Heimat

ONCKEN
MAGAZIN
JOHANN-GERHARD-ONCKEN
KIRCHE HAMBURG
NR. 1 / 2016
Heimat
HIER STEHT DIE RUBRIK
1
Heimat: Die Orte,
mit denen ich
gute Erfahrungen
verbinde.
Vanessa Niedergesäß
IMPRESSUM
ALLES NEU,
MACHT DER MAI …
… und so erscheint im Mai 2016 ganz passend die erste Ausgabe unseres neuen Gemeindebriefes – Das Onckenmagazin. Vom Format bis zu den Inhalten
gibt es viele kleinere und größere Veränderungen, die dieses neue Magazin
prägen sollen. Jede Ausgabe wird themenbezogen sein, die Artikel werden
sich mit den unterschiedlichsten Perspektiven des jeweiligen Themas auseinandersetzen.
Das Thema unserer ersten Ausgabe lautet „Heimat“. Ein Begriff, der vertraut
ist, aber doch nicht leicht zu definieren. Ein vielschichtiger Begriff, der sich
über die Jahre immer wieder verändert. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
war Heimat noch eine rein juristische Bezeichnung. Im Grimm‘schen Wörterbuch ist Heimat definiert als das Land oder Landstrich, an dem man geboren ist oder bleibenden Aufenthalt hat. Heimat hatte jedoch nur derjenige,
der auch Eigentum oder Besitzrechte an diesem Ort hatte. Wer ohne Besitz,
also „heimatlos“ war, dem war es in Teilen Deutschlands sogar verwehrt zu
heiraten.
Heute definiert das Internet-Lexion Wikipedia Heimat als eine Beziehung
zwischen Mensch und Raum. Seit dem 19. Jahrhundert und mit der Wandlung der Rechtsnormen hat sich der Begriff Heimat ebenso weiterentwickelt. Heute ist zu der sachlichen Ebene, welche noch immer eine enge
Verbindung zum Herkunftsort herstellt, eine weitere Ebene, eine Gefühlsebene gekommen. „Heimat“ wird emotionaler verstanden. So gibt es Heimatgefühle, Heimatklänge, Heimweh – alles Begriffe, die mit dem Gefühl
der Sehnsucht und Geborgenheit verbunden sind. Daneben gibt es auch die
„geistige Heimat“, die nicht einen bestimmten Ort, sondern die Zugehörigkeit zu einer inneren, gedanklichen Einstellung beschreibt.
Mit diesen und anderen Aspekten des Themas Heimat beschäftigen sich
die Artikel dieser Ausgabe. Ein großes Dankeschön gilt allen, die das Redaktionsteam tatkräftig mit Artikeln und Fotos unterstützt haben! Wir freuen
uns auch jetzt schon auf die Reaktionen auf diese erste Ausgabe des Onckenmagazins und bitten um Leserbriefe an [email protected].
Herzliche Grüße und viel Freude beim Lesen wünschen
Friederike Wolkenhauer und das Redaktionsteam
VORWORT
3
INHALT
3VORWORT
4INHALT
48IMPRESSUM
50AUSBLICK
6
Titelthema
HEIMAT – VERSUCH
EINER ANNÄHERUNG
14
Titelthema
VERSCHIEDENE
TEXTE ZUM THEMA
HEIMAT
16
Titelthema
HEIMATGEFÜHLE
10
Titelthema
HEIMAT GEFUNDEN
12
Titelthema
MEIN ZUHAUSE IST
NICHT IN DIESER
DIMENSION
20
Angedacht
ÜBER DEN
HORIZONT HINAUS
4
INHALT
36
Do it yourself
UPCYCLING MIT
KONSERVENDOSEN
24
40
DAS BEDÜRFNIS
NACH HEIMAT
FEIJOADA, EIN
KULINARISCHER
AUSFLUG NACH
BRASILIEN
Titelthema
26
Titelthema
CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGSFRAUEN &
IHRE KINDER
Rezept
42
Menschen aus der Gemeinde
INTERVIEW MIT
AUGUSTE GESSEL
32
46
TAUFE – EIN HAUCH
VON HEIMAT
VORSCHAU
Titelthema
Wichtige Termine
INHALT
5
6
HEIMAT – VERSUCH EINER ANNÄHERUNG
HEIMAT
VERSUCH EINER ANNÄHERUNG
Heimat – für Deutsche ein nicht
Heimat - wie soll man heute emoti-
mehr den kollektiven Heimatbe-
ganz einfaches Thema. Wir Deut-
onal, begeisternd, feierlich, moti-
griff der Nachkriegsjahre: Natur,
schen haben während der Kriege
vierend, von einer wichtigen und
Dorf, intakte Familie, glückliche
Tausenden die Heimat genommen,
lebensnotwendigen Sache reden,
Kühe auf der Wies‘n, VW-Käfer,
Frauen, Männern und Kindern. An-
ohne nicht gleich den schmalen
Glockengeläut
dererseits mussten auch Deutsche
Grad der Sachlichkeit zu verlassen?
Kinder. Zum Glück hat der Begriff
durch Flucht und Vertreibung ihre
Der moderne, braune Sumpf be-
Heimat eine wohltuende Weite ge-
Heimat verlassen. Sicherlich ist es
nutzt und missbraucht den Begriff
funden. Heimat ist mehr. Wir gehen
den Menschen dieser Generation
für seine politischen Absichten.
auf territoriale, emotionale, digi-
gelungen, eine neue Heimat zu
Heimat wird dort mit „Deutschna-
tale, zeitliche und geistige Spuren-
finden, das Bewusstsein des Ver-
tional“ gleichgestellt und damit
suche.
lustes der „alten Heimat“ bleibt je-
pervertiert. Wer heute zu viel Hei-
doch bestehen.
matgefühl zeigt, rutscht sofort in
Heimat steht für jenen Ort „zu dem
eine gewisse Ecke. Das Hissen
aufgrund tatsächlichen Herkom-
Den gefühlten Verlust von Heimat,
einer Deutschlandflagge im heimi-
mens oder vergleichbar ursprüngli-
obwohl
schen Vorgarten wird beargwöhnt.
cher Verbundenheitsgefühle eine
Heimat geblieben ist, beschreiben
Unbedenklich
das
unmittelbare und für die jeweilige
ostdeutsche
Fähnchenschwenken für Fußball-
Identität konstitutive Vertrautheit
fans.
besteht“, so belehrt uns der Brock-
man
in
der
örtlichen
Bürgerinnen
und
Bürger nach ‘89. Sie haben einen
ist
dagegen
Teil ihrer alten Heimat verloren,
und
lachende
haus. Heimat ist die Stelle im
nicht nur die Arbeit, sondern auch
Heimat – ein ambivalenter und zu-
Raum, die uns so vertraut ist.
Alltagserinnerungen, wie zum Bei-
tiefst emotional aufgeladener Be-
Diesen Ort suchen wir uns nicht
spiel die gute alte Schulküchensolj-
griff. Die einen sehnen sich ein
aus. Wir finden ihn vor, wachsen in
anka, die hauchdünnen Filinchen
Leben lang nach ihr, andere wissen
ihm auf. Territoriale Herkunfts-
oder die Ost-Schrippen.
genau, wo sie ist. Für einige be-
heimat. Es ist der Ort, dessen Ge-
findet sich Heimat im Kopf, für an-
ruch wir in der Nase behalten; den
dere ist Heimat eine Utopie.
wir wieder erkennen, obwohl Gras
Andererseits verlassen jedes Jahr
rund 140.000 Auswanderer unser
drüber
gewachsen
ist;
der
Land. Es sind jene Deutsche, die in
Dabei ist Heimat ein so schönes
manchmal unsere „heile Welt“
sich die Sehnsucht tragen, unter an-
Wort. „Heim“ steckt da drin, wir as-
bleibt. An diesem Ort, zwischen
deren Umständen eine neue, bes-
soziieren Heimeligkeit, Schutz, in
den Dimensionen von Gemein-
sere Heimat zu finden. Ebenso viele
guten
Geborgenheit,
schaft, Raum und Tradition be-
Menschen stellen jedes Jahr bei uns
intim, Sicherheit. Natürlich soll es
ginnt die Entwicklung der eigenen
einen Asylantrag, in der Hoffnung,
nicht zu pathisch werden, zu sch-
Ich-Identität. Heimat ist für jeden
dass Deutschland ihre Heimat wird.
malzig. Bei uns gibt es längst nicht
woanders:
Händen,
im
siegerländischen
HEIMAT – VERSUCH EINER ANNÄHERUNG
7
Fachwerkdorf,
im
Krabbenkut-
eines Menschen auch eine zweite
und deren Songs sich über Monate
ter-Hafen in Friesland, in der Miets-
Heimat geben, eine Wahlheimat.
in den Charts hielten. Dire Straits,
kaserne mit vier Hinterhöfen in
Die erste Heimat kann einem
Pink Floyd, Frank Zappa oder
Kreuzberg oder in der Zechensied-
fremd werden. Eben dann, wenn
Boston – Heimatmusik für mich.
lung im Ruhrgebiet.
man sich in dieser ersten Heimat
Genauso kann Heimat in der Zu-
nicht mehr daheim fühlt.
kunft liegen, als Utopie oder in der
Das Überraschende an der territo-
Phantasie. Heimat ist erfahrbar. Für
rialen Heimat ist, dass wir sie oft-
Heimat ist im Wandel und war es
jeden anders. Heimat kann man
mals erst dann lieben lernen, wenn
wohl schon immer. Seit den An-
sehen, hören, riechen, schmecken,
wir sie vermissen. „Erst die Fremde
fängen der Moderne im 18. und 19.
berühren, sich in ihr bewegen, sie in
lehrt uns, was wir an der Heimat be-
Jahrhundert beschleunigt sich der
sich
sitzen“, meinte schon Theodor Fon-
Prozess einer Befreiung von Bin-
eben.
tane. Solange die Heimat da ist,
dungen aller Art. Dieser Prozess
spürt man sie kaum. Was uns
machte auch vor der Heimat nicht
Darüber hinaus existiert Heimat
Heimat bedeutet, erfahren wir am
Halt.
klar,
nicht nur im Gefühl, in der Sinn-
besten, wenn wir sie eine Weile
Heimat lässt sich nicht vertreiben.
lichkeit oder an einem Ort, sondern
nicht haben. Plötzlich spürt man
So sind zum Beispiel die Heimat-
auch in den Gedanken. Wir nennen
jenes so vertraute Gefühl, wenn
forschung und die Entstehung von
das geistige Heimat. Das können
zum Beispiel im Asienurlaub eine
Heimatmuseen eine Antwort auf
jene Denkweisen sein, die einem
Bachkantate aus dem Radio perlt
den Verlust von Heimat durch die
Menschen so geläufig sind, dass er
oder wenn jemand im ausländi-
industrielle Zerstörung. Im 21.
keine anderen für möglich hält.
schen Fernsehen Brecht oder Rilke
Jahrhundert führt die Globalisie-
Hier kann man jedes Wort ein-
zitiert. So kann unsere Heimat
rung zur universellen Auseinan-
ordnen und kennt den Hintersinn,
umso schöner werden, desto weiter
dersetzung mit dem, was Heimat
der mitschwingt und der für Au-
weg sie ist. Ferne verklärt und
ist. Es kommen neue Arten von
ßenstehende zunächst schwer ver-
macht sehnsüchtig.
Heimat ins Spiel. Technische Ge-
ständlich ist.
Gleichzeitig
wurde
spüren. Sinnliche
Heimat
räte wie iPhones, Laptops oder TabAber Heimat ist mehr. „Heimat ist
lets erlauben den Aufenthalt in der
Heimat – für den einen der alte
ein Gefühl“, so sinnierte Herbert
digitalen Heimat: zu Hause im
Sessel hinterm Ofen, für den an-
Grönemeyer in seinem 1999 er-
Chatroom. Die „Digital Natives“,
deren die Sehnsucht nach einer an-
schienen Song. Heimat kann hier
die Generation, die mit digitalen
deren, zukünftigen Welt. Heimat
und dort sein, vor allem aber in sich
Technologien vertraut ist, weil sie
kann unendlich weit über das hin-
selbst. Das meinte schon der russi-
mit diesen aufgewachsen ist, steht
ausgehen, was vor Augen ist, bis hin
sche
Sin-
so als Gegenbewegung zu den „Im-
zur himmlischen Heimat. Jeder
jawski, der 1973 nach Frankreich
migrants“, den analog Daheimgeb-
von uns braucht eine Heimat. Aber
emigrierte. Er sagte: „Heimat ist
liebenen.
jeder von uns kann nur selbst ent-
Schriftsteller
Andrej
kein geografischer Begriff. Man
scheiden, wo er sie sucht und wo er
trägt sie in sich selbst.“ Heimat ist
Heimat ist noch mehr. Heimat
da, wo ich Heimat sein lassen will.
kann eine zeitliche Dimension be-
Um es mit dem deutschen Philoso-
inhalten, also die Erinnerung an
phen
sagen.
eine vergangene Zeit und deren
„Heimat ist da, wo ich verstehe und
Stil. Für mich persönlich wären das
wo ich verstanden werde“. Heimat
aus musikalischer Sicht die wun-
kann auch eine Person sein, eine
derbar verrockten 80-iger, in der
Gruppe, eine Gemeinschaft, ein Be-
Musik noch per Hand gemacht
ziehungsnetz. So kann es im Leben
wurde und Stars echte Stars waren
8
Karl
Jaspers
zu
HEIMAT – VERSUCH EINER ANNÄHERUNG
sie findet.
Frank-Eric Müller
Heimat ist für
mich keine Stadt
oder Kommune.
Heimat findet dort
für mich statt,
wo andere mich
lieben und annehmen
und ich liebe und
annehme, d.h. die
Auswirkung von
gegenseitiger Liebe
beheimatet mich in
meinem Leben und
unserer Welt.
Lea Herbert
HIER STEHT DIE RUBRIK
9
HEIMAT
GEFUNDEN
MEINE HEIMAT
Der Geruch von Salzwasser, Möwengeschrei, Bücher,
vertraute Gesichter, Kaffee, Menschen, die meine verschrobenen Eigenschaften kennen und mich trotzdem
lieben. Das ist Heimat für mich. Es sind Dinge, Gerüche,
Gefühle, Menschen. Heimat ist ein Ort, an dem meine
Seele atmet, ein Ort an dem ich kein Make-up und keine
gutsitzende Jeans brauche, ein Ort voller Erinnerungen
und Menschen, deren Gegenwart, Worte und Umarmungen mein Herz zur Ruhe kommen lassen.
Obwohl „Zuhause“ immer das war, was ich (besonders
als introvertierter Mensch) brauchte, war mein Inneres
ruhe- und rastlos. Und so zog ich von Stadt zu Stadt,
wechselte
Zimmer,
Mitbewohner
und
Second-
hand-IKEA-Möbel. Und jede neue Stadt wurde zu
einem weiteren Ort mit guten Momenten und Abenteuern, Freundschaften, Grillen im Stadtpark und Fischbrötchen im Hafen. Und so pendelten meine Heimwehgefühle zwischen „Mein Rostock“, „Hamburg, meine
Perle“ und „Berlin, du bist so wunderbar“.
Seit über vier Monaten habe ich wieder eine neue
Heimat – Molyvos, eine Stadt mit rund 1.400 Einwohnern, im Norden der griechischen Insel Lesvos. Und
wann immer ich mich auf der kurvenreichen Straße der
Stadt nähere, erstrahlt die Burgruine auf dem Berg und
die Lichter der Stadt geben mir das Gefühl, ein neues
Zuhause gefunden zu haben. Und ich bin Gott unendlich dankbar für diesen neuen Ort, an den er mich berufen hat, denn hier habe ich meine Heimat gefunden.
HEIMATLOS
Lesvos ist das Tor zu Europa. Über 1.000.000 Flüchtlinge
sind 2015/2016 über die gefährliche Route über das
Wasser gekommen. Die Türkei ist so dicht bei; tagtäglich schauen wir hinüber und können nur erahnen, wie
viele Menschen auf der anderen Seite warten, um end10
HEIMAT – HEIMAT GEFUNDEN
lich in ein besseres Leben starten zu können. Die zehn
Doch nicht nur Flüchtlinge sehnen sich nach einem Zu-
Kilometer erscheinen so nah und doch entscheiden sie
hause. Wir alle sind auf der Suche nach dem einen Ort,
täglich über Leben und Tod.
an dem unsere Seele zur Ruhe kommt. Wir sind ge-
Die abertausend Menschen, die diese Option wählen,
trieben und gebeutelt von finanziellen Sorgen, Krank-
haben ihre Heimat aufgeben
heit, Tod, Essstörung, scheiternden Beziehungen, man-
müssen; sie haben ihr Leben
gelnder Liebe. Und wir sehnen uns nach einem Ort, an
in einen Rucksack gestopft
dem wird all das ablegen können und für einen Moment
und sich auf den langen und
einfach nur Kind sein dürfen. Wir wünschen uns ge-
beschwerlichen Weg gemacht.
liebt, erkannt und angenommen zu sein. Dieses Ver-
Sie sind zerrissen zwischen der
langen wurde von Anbeginn der Zeit in unser Herz ge-
Trauer über ihre zerstörte Heimat und
pflanzt. Es ist Heimweh nach dem Himmel.
der Hoffnung nach einem neuen Zuhause.
Und darum wandern sie Wochen und Monate
mit Billig-Flip Flops, schieben ihre Angehörigen im
HEIMATGEBER
Rollstuhl durch Wälder, Flüsse und endlose Straßen und
Und darum bin ich hier: Um den Heimatlosen von
sind bereit, 4.000 Kilometer bei unsag-
einem Gott zu erzählen, der uns nach Hause ruft. Der als
baren Bedingungen mit ihren
liebender Vater darauf wartet, uns in die Arme zu
Neugeborenen zu wan-
schließen. Der uns Heimat sein will. Der möchte, dass
dern. Sie riskieren
wir uns danach ausstrecken IHN zu kennen und jeden
buchstäblich
Tag mehr zu lieben. Und dann wird ER unseren Blick
alles.
von einer zerstörten oder vergangenen Heimat auf eine
zukünftige richten. Dann wird unsere Seele ankommen,
weil wir erkannt sind. Weil wir erleben, dass wir geliebt
sind, ohne etwas dafür tun zu müssen.
Und das ist, was ich hier tue: Jesus begegnen. Flüchtlingen von einem Gott zu erzählen, der aus Liebe für sie
gestorben ist. Einen Ort gestalten, an dem Ehrenamtliche und Volontäre zur Ruhe kommen. Backen. Zuhören. Ermutigen. In Gottes Wahrheit eintauchen.
Kaffee kochen. Trauern und Trösten. Dienen. Für und
mit anderen beten. Stehenbleiben. Lieben. Menschen
und Gott verbinden. Lachen. Staunen über Gottes
Größe. Geschichten hören. Auf Jesus verweisen. IHM
die Ehre geben.
Und mich daran freuen, endlich meine Heimat gefunden zu haben – meine Heimat in IHM.
Sarah Burzlaff
Sarah befindet sich seit letztem Jahr auf der Insel Lesvos,
um dort vor Ort Flüchtlingen zu helfen und zieht nun
nach Athen, um die Arbeit an anderer Stelle weiterzuführen. Wenn Du Sie finanziell bei Ihrer Arbeit unterstützen möchtest, schreibe eine E-Mail an
[email protected] und wir setzen
uns mit Dir in Verbindung.
HEIMAT – HEIMAT GEFUNDEN
11
MEIN ZUHAUSE IST
NICHT IN DIESER
DIMENSION
Seit einigen Jahren hängt ein beson-
Durch verschiedene Schichten und
sind keine Gebäude oder Menschen
deres Bild im Haus meiner Eltern.
die Grundierung hat das Bild ein
zu erkennen, die mir vertraut sind
Gemalt
Schwester,
Profil. Dieses Profil bewundere ich
und die für mich Heimat prägen. Es
strahlt es Wärme, Licht, Geborgen-
seit ich das Bild das erste Mal ge-
ist das Profil.
heit und Freude aus.
sehen habe.
Im Nachdenken über den Begriff
Es ist ein Teil von meinem Zuhause
Was aber hat dieses Bild mit Heimat
Heimat kam mir recht schnell dieses
geworden und gehört einfach dort hin.
zu tun? Auf den ersten Blick nichts.
Bild in Erinnerung.
Neben den Farben, finde ich die
Es bildet weder den Ort, noch die
Für mich ist Heimat mehr als ein Ort
Struktur des Bildes besonders schön.
Landschaft ab, aus der ich komme. Es
an dem ich geboren
12
von
meiner
HEIMAT – MEIN ZUHAUSE IST NICHT IN DIESER DIMENSION
oder aufge-
wachsen bin. Heimat ist für mich das
Die Farben die dazu kommen, sie
Gott möchte dem Leben Profil, Tiefe
Zusammenspiel aus einem Ort, der
machen das Bild lebendig und bunt.
und Struktur geben. Er will das
Sprache, die dort gesprochen wird
Erinnerungen und Erlebnisse. Jeder
Denken, Fühlen, Handeln und Er-
(ich liebe die Sprachmelodie und den
einzelne Lebensabschnitt, jeder Tag
leben prägen.
Dialekt), der Mentalität, die Men-
hinterlässt sein Farbenspiel auf
Im Lied: Farbe kommt in dein Leben
schen, die mich geprägt haben, Erin-
meinem Lebensbild.
von Christian Loer wird genau das
nerungen und das Gefühl der Zuge-
Je älter ich werde, umso vielseitiger
besungen.
hörigkeit. Meine Heimat, mit allem
wird es, umso interessanter wird die
„Farbe kommt in dein Leben, wo der
was dazugehört, ist für mich die
Kombination aus Struktur und
Meistermaler malt.“
Grundierung meines Lebensbildes.
Farbe.
Gott ist der beste „Maler“ – er hat das
Die Grundlage auf der alles Weitere
Mein Lebensbild zu gestalten, es zu
Leben geschenkt, er möchte Deinem
aufgetragen wird.
verfeinern, ist und bleibt ein Prozess.
und meinem Leben Profil, Tiefe und
In meinem Vergleich ist Heimat
Farbe geben. Er möchte meine Grun-
nicht die Leinwand (vielleicht kann
Ein Prozess, der mit der Grundie-
dierung auftragen, mein Bild mit
man diese am ehesten mit dem Ge-
rung begonnen hat .
Farbe neu ausfüllen. Nicht abgekop-
schenk des Lebens selbst verglei-
Gleichzeitig merke ich immer mehr,
pelt
chen), es ist die Grundierung. Un-
dass hier auf der Erde mein Begriff
Heimat, nicht
scheinbar
von Heimat, ja meine Heimat selber
meinem Erleben. Er möchte Deinem
Konturen Profil gibt.
ein Versuch ist, Heimat zu sein.
und
Die Art zu sprechen, die direkte Art
Hebräer 13, 14 (nach der NGÜ) sagt:
Struktur und Farbe geben, in einer
der Menschen und der Dialekt, sie
„Denn hier auf der Erde gibt es
Dimension, die besser ist als ich es
prägen meine Kommunikation bis
keinen Ort, der wirklich unsere
mir vorstellen kann.
heute, auch wenn ich schon lange
Heimat wäre und wo wir für immer
Wie sieht Deine Heimat aus? Was
nicht mehr in meiner Heimat wohne.
bleiben
ganze
hat Dich geprägt? Wie sieht die
Die Lebenseinstellung, die regionale
Sehnsucht gilt jener zukünftigen
Grundierung aus?
Mentalität prägt bis heute meine
Stadt, zu der wir unterwegs sind.“
Die entscheidende Frage ist: Lasse
Sicht der Welt. Lebensgewohn-
Da, wo ich eigentlich hingehöre, da
ich zu, dass Gott mir seine Grundie-
heiten wie verregnete Tage (mehr als
wo ich meine Identität, meine Prä-
rung aufträgt, mein Leben prägt und
im Süden Deutschlandes) lassen
gung habe, da wo mein Zuhause ist,
gestaltet? Lasse ich ihn mein Lebens-
mich eine andere Perspektive auf
das ist letztlich nicht auf der Erde. Es
bild gestalten?
sonnige Tage haben, als meine
ist nicht in dieser Dimension. Meine
Ich freue mich über meine Heimat
Freundin aus Baden- Württemberg.
Heimat kann mir ein Gefühl dafür
hier auf der Erde, bin dankbar für sie
Natürlich kommen die Liebe zu hü-
geben was meine wirkliche Heimat
und möchte mich doch jeden Tag
geliger Landschaft, Mischwäldern,
als Kind Gottes ist.
neu von meiner Heimat bei Gott
die Begeisterung für die Kombina-
Als Jünger Jesu ist meine eigentliche
prägen und gestalten lassen. Denn
tion aus Industrie, Natur und Kunst
Heimat, das wohin ich gehöre, das,
sie ist es, die letztlich die perfekte
aus meiner Heimat.
was mich prägt, nicht auf dieser Erde
Heimat ist.
Das alles begleitet mich und prägt
zu finden. Es ist die Gegenwart
meine Sicht der Welt bis heute. Es ist
Gottes. Es ist der Ort, an dem Gott
die Grundierung, auf der alles Wei-
der Herr ist, wo er regiert. Sein Reich!
tere aufgebaut wird und Struktur er-
Das was mich also im Tiefsten prägt ,
hält.
meine Grundierung als Kind Gottes,
Meine Heimat prägt mich, auch
ist also nicht auf dieser Erde zu
wenn ich nicht in ihr wohne. Mein
finden. Es macht sich letztlich nicht
Lebensbild bekommt durch meine
an einem Ort, sondern an einer
Prägung auch aus der Heimat Tiefe.
Person fest.
und
doch
das
was
könnten. Unsere
von
meiner
meinem
menschlichen
abgekoppelt
Lebensbild
von
Tiefe,
Mirjam Fuchs
HEIMAT – MEIN ZUHAUSE IST NICHT IN DIESER DIMENSION
13
HEIMAT
„Es ist meine Gemeinde, meine geistliche Heimat. Es ist
das fröhliche Grüßen, das Fragen, wie es einem geht und
Mich reizt immer wieder Vers 1 aus Psalm 122: „Ich war
die Antwort abwarten.
voller Freude, als sie zu mir sprachen: „Wir gehen zum
Gern erzähle ich von der Begegnung mit einem lei-
Hause des Herrn.“
tenden Kollegen: „Herr Adam, schön, Sie wiederzu-
Es waren meine Eltern, die das sagten. So bin ich in
sehen! Wie geht es Ihnen?“
meiner Jugendzeit als Fußballtorwart mit ihnen 20 km
„Schlecht!“
nach Verden gefahren und hatte meinen Torwartdress
„Prima!“
an. Ich musste nämlich nach der Andacht noch 7 km bis
Als ich ihn staunend ansah, wurde er etwas nachdenk-
zum Fußballspiel mit dem Fahrrad fahren. Und nach
lich.
dem Spiel ging es mit lädierten Knochen als Torwart zu-
Hören wir eigentlich hin, was gesagt wird?
rück. Ich habe nichts bereut.
Bei meinen „Onckens“ habe ich immer das Gefühl, dass
Das ist sehr lange her. Nun leben wir seit 1986 in Ham-
zugehört wird. Da ist ein Stück wahre, geistliche Heimat.
burg, davon seit 1999 halbjährlich in Südfrankreich. Seit
Onckens ist meine Tankstelle. Dieser „Sprit ist kos-
April 2016 sind wir nicht mehr „Franzosen.“
tenlos und unendlich“.
In Frankreich hatten wir sehr gute Kontakte, Bekannte
Nun denke ich an die vielen Schwestern und Brüder, die
und viele, die hofften, dass wir endgültig dort Bürger
ohne diese Tankstelle auskommen wollen. Ich vermisse
werden. Die Freunde in Frankreich hofften, dass wir
viele von ihnen.
unser Haus nicht verkaufen, weil sie uns als Freunde be-
Wissen sie eigentlich, was ihnen entgeht? Was bedeutet
halten wollten.
ihnen die Gemeinschaft des Abendmahls? Für mich ist
Meine Geschwister in Hamburg hofften, dass wir das
das die Gelegenheit, Gott zu danken, dass Er seinen
Haus loswerden. „Lieber Harry, wir brauchen Dich in
Sohn Jesus Christus für uns geopfert hat.
der Gemeinde.“
Fazit: Heimat für mich ist „Onckens“ von ganzem
Onckens hat gesiegt!
Herzen“.
„Was zieht Dich eigentlich nach Hamburg?“, war die
Frage der Freunde in Südfrankreich.
14
HEIMAT – GEMISCHTES
Harry Adam
Was könnte der Begriff Heimat bei verschiedenen
fühlend gesehen … bleiben und endlich da sein können …
Menschen auslösen?
nein! Geht doch nicht … nur die wohlige Erinnerung
mitnehmen können … wieder Ort los, Heimat los … dann
Es könnte der Geruch von Weihnachtsplätzchen sein,
ankommen, aufgenommen, angenommen werden,
ein Kuscheltier, das duftende Heu, erinnernd an eine
bleiben können … leider nein!
besondere Gebirgswanderung oder der Algen Meer-
Und wieder weiter, weiter … grenzenlose einsame Er-
wassegeruch am Strand, Pferdegeruch – ohh ja …
schöpfung … an die Heimat, die es einmal war und
alles das ist deutlich vor meinem inneren Auge zu
nicht mehr ist schmerzvoll denkend … weiter gehen …
sehen.
bis?
Ganz bestimmte Klänge oder Melodien einer Musik
Hören von Gesagtem – Deine Heimat ist in Dir zu
oder die morgendlichen Gesänge von Vögeln lässt das
finden, klingt gut und wie finde ich sie in mir? Weiter
Gefühl von tiefer Freude spüren.
Das Quietschen der vorbeifahrenden Straßenbahn erinnernt an Gespräche mit Opa am Küchentisch.
Auch die Berührung von menschlicher Haut, verbunden mit warmen und geborgenen Gefühlen.
Das Streicheln von Hund, Katze oder Meerschweinchen, deren Zuneigung genießend und schließlich der
besondere leckere Geschmack von frisch ausgepuhlten
Erbsen im Schrebergarten von Tante Rüstig.
Heimat, der Ort, wo geboren und nie Heimat gewesen …
Heimat unterwegs … entwertet und entwürdigt …
suchend, mehr oder weniger hoffend … Heimat unterwegs? Auf der Flucht vom Krieg, Hunger oder
der Familie?
Ian Hamilton Finlay schreibt 1996 auf einer Bodentafel
zwischen den Gebäuden der Kunsthalle in Hamburg
folgenden Satz in verschiedenen Sprachen:
„Die Heimat ist nicht das Land – sie ist die Gemeinschaft
der Gefühle.“
Regina Michaelis-Braun
und einen zugewandten Menschen kurz gefunden …
wieder verlassen müssen … unterwegs sein, weiter unterwegs … von Menschen verstanden, versorgt und mit-
Schreibst Du etwas für den Gemeindebrief ? Thema Heimat!
Sofort dachte ich an Ostpreußen, Masuren, Flucht und Vertreibung.
Dann kam gerade unser jüngster Sohn zu Besuch, Jahrgang 1972.
Ich fragte ihn: „Was verstehst Du unter Heimat“?
Die Antwort: „Heimat ist, in mir verwurzelt zu sein“.
Kindheitserinnerung, Gerüche, Menschen, Orte, Urlaube,
Musik, Rituale, Tradition, Elternhaus und dann: „Die Heimat kann mir keiner nehmen“.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht.
Gisela Sembritzki
HEIMAT – GEMISCHTES
15
HEIMATGEFÜHLE
„Die Erinnerungen (an die Heimat) sind das einzige Pa-
Heimat ist auch dort, wo meine „Heimatgemeinde“ ist.
radies, aus dem man nicht vertrieben werden kann.“
Zu Rositten gehörte auch die „Baptistenkapelle“ mit
Heimat ist ein gern besungenes Thema, besonders be-
der „Sonntagschule“, mit „Tante Pajewski“ (der Frau des
liebt bei Soldaten im Krieg und fern der Heimat:
„Predigers“) und auch mit „Tante Malchen“. Und wenn
„Heimat, deine Sterne, sie strahlen mir auch am fremden
ich beim Ostpreußentreffen (Kr.Pr.Eylau) in Verden die
Ort. Was sie sagen, deute ich so gerne, als der Liebe zärt-
„ergrauten Großväter“ und damaligen Bauernjungs
liches Losungswort.“ Oder schon 1914-1918: „Vor der
fragte, ob sie den Kaiser von China kennen, wussten sie
Kaserne, vor dem großen Tor, stand eine Laterne und
es nicht; aber das „alte Mädchen“, „Tante Malchen“,
steht sie noch davor; so woll’n wir uns wiederseh’n, bei
kannten sie alle – unvergesslich wie sie mit uns – „den
der Laterne woll’n wir steh’n, wie einst Lili Marleen.“
Kleinsten“- sang: „O wie fein, O wie fein, wird es in dem
Oder auch bei Matrosen auf hoher See: „Der Junge an
Himmel sein …“ –
der Reeling, der denkt ans Mädchen, das er liebt zuhaus.
Unsere „Baptistenkapelle“ stand neben unserem
Die Küsten sind voller Häfen, doch jeder Hafen spuckt
Grundstück mit meinem Elternhaus (das „Posthaus“,
ihn einmal wieder aus.“ (Lale Andersen und später auch
denn mein Vater war „Posthalter“) und sie war die ein-
Freddy Quinn).
zige Kirche im Dorf (seit 1855). Meine Eltern gehörten
zur Gemeinde, und mein Vater war Gemeindekassierer
„Wo meine Wiege stand, da ist mein Heimatland…“.
und sang Bass im Gemischten Chor. Und mein frommer
Meine Wiege stand in Rositten, ein längliches Bau-
Opa nahm mich – den „Drei-Jahre-hoch“ immer mit,
erndorf, 40 km südlich von Königsberg (heute Kalinin-
wenn er sich in sein Zimmer zum Gebet zurückzog. Er
grad). Mein Eltern- und auch Geburtshaus hat schon
betete kniend und betete laut; und ich kniete neben ihm
mein Urgroßvater gebaut (um 1850). Meine Eltern
und sah ihn schweigend aber mit großen Augen an; und
haben mir ihren Glauben vorgelebt. Und sie machten n i
wenn mein Opa ein paar Tränen vergoss, dann weinte
c h t durch „kleine Karo’s noch ein Kreuz“, um das dann
ich mit. Das erzählte mir mein Vater, der uns einmal be-
für besonders fromm zu halten. Ich hatte Raum zum
lauscht hatte; er wollte doch wissen, „Wat de Voader mit
Leben und Luft zum Atmen, würde ich heute sagen. Ich
dem Jung moakt“…
hatte eine sonnige Kindheit in Dorf und Wald und Flur
Und als ich 1977, als Pastor der Oncken-Gemeinde, nach
bis – zur Flucht mit Pferd und Wagen am 08.02.1945:
Hamburg kam, traf ich Hanni Pajewski wieder. Sie war
Anfang Februar 1945 auch geflüchtet, aber allein, zu
„Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen;
Fuß und mit sechs kleinen Kindern; und sie landete
über weite Felder lichte Wunder gehen. –
glücklich in Hamburg, ihrer Heimat. Sie schrieb unter-
Starke Bauern schreiten hinter Pferd und Pflug;
wegs Briefe an ihren Mann, der Frontsoldat war. Eine
über Ackerbreiten streicht der Vogelzug. –
Enkelin hat daraus ein ganzes Buch gemacht. „Tante Pa-
Und die Meere rauschen den Choral der Zeit;
jewski“ – das blieb sie bis ans End – begleitete mich als
Elche steh‘n und lauschen in die Ewigkeit.“
Pastor mit ihren Gebeten und Fragen (Ihre Heimatge-
- Ostpreußenlied -
meinde war die „Böhmkenstraße“, 1943 in der „Gommora-Nacht“ bombenzerstört, als sie noch eine junge
Frau war).
16
HEIMAT – HEIMATGEFÜHLE
Und sie erzählte mir auch einiges über meinen Kinder-
wachsen“ geworden – auch und gerade durch das Stu-
glauben, den ich unter meiner „Pimpfenuniform“ („Hit-
dium der Theologie.
ler-Jungen-Jungschar“, 10-14 Jahre) versteckt hatte; und
manchmal auch schon meinte, verloren zu haben. Aber
Doch Heimat ist nicht nur dort, „wo meine Wiege
mein Glauben ist n i c h t verlorengegangen; und ich
stand“; sondern auch dort, wo die Menschen sind, die
glaube, das hängt mit den „nachhaltigen“ Gebeten
mich lieben und die mich brauchen. –
meines Opas zusammen. Und wie ich meine „Jugend-
Heimatgefühle hege ich auch für das Schwabenland. Ich
sünden als Jungzugführer in der Nazizeit“ bewältigt
bin ein „Beuteschwabe“, denn nach der Flucht und den
habe, ist ein anderes Thema und würde hier zu weit
„Nachkriegs(w)irrungen“ landeten wir in Spaichingen
führen).
in Baden-Württemberg, unweit vom Bodensee, einem
Und mein „Kinderglauben“ aus meinen Kindertagen in
kleinen Katholischen Städtchen mit zwei großen Kir-
Rositten gehört noch immer zu (m)einem Urvertrauen;
chen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Dort lernte ich
allerdings ist der „aus den Kinderschuhen raus“ und „er-
Tischler und fuhr jeden Sonntag mit dem Fahrrad 15 km
HEIMAT – HEIMATGEFÜHLE
17
nach Tuttlingen. Dort war eine „Ost-
Zudem lernte ich – zwar im Jugend-
Und in den Bergen bin ich auch Zu-
preußische Flüchtlingsgemeinde“
seminar – (m)eine echte Ostfriesin
hause; denn „steig ich den Berg hi-
entstanden, auch „Klein-Königs-
kennen. Und so wurden mir auch
nauf, das macht mir Freude.“ Etwa
berg“ genannt; nach Rositten meine
Weener an der Ems im Rheiderland
15x waren wir mit Gemeinde-
z w e i t e Heimatgemeinde. Dort
und ebenso Firrel, die „Perle Ost-
gruppen im Tennengebirge in Wer-
wurde ich Jugendleiter; und dort er-
frieslands“; zu Heimatgemeinden. –
fenweng, ein Hochtal (1.000 m), um-
fuhr ich auch – auf einem Jugendlei-
Erika und ich heirateten 1955,
geben von Bergen (bis 2.300 m). Es
terlehrgang im Jugendseminar in
hatten und haben drei Töchter und
gibt dort keinen Gipfel, auf dem wir
Hamburg (1951) - meine Berufung
– über die Goldene Hochzeit hinaus
nicht schon waren. Dazu kamen
zum Pastor …
– waren wir bis zu Erikas Tod
„Wanderungen“ auf den Hochkönig,
Es lag auf der Hand und war ein
(1/2013) ein glücklich verheiratetes
die Zugspitze und den Dachstein
„heimatliches Geschenk“, dass nach
Team; und zwar in allen vier Ge-
(alle je rund 3.000 m). Die Berge sind
meinem
meinden
gemeinsamen
auch (m)eine Heimat, am liebsten
Rennbahnstraße
Dienstes. Erika hatte nicht nur
auf einer Hütte – und mit „Kaiser-
115, meine erste Dienststelle in
mich, sondern auch meine Beru-
schmarrn“!
Stuttgart war, als Filialprediger für
fung angenommen; wir wurden
Esslingen und Göppingen (damals
„Pastorsleute“, und sie war die Frau,
war ich noch ein „Doppelver-
„die alles so herrlich regieret“….
diener“). In Esslingen – wo wir „auf
Und auch diese vier Gemeinden –
dem
–
Stuttgart mit Esslingen und Göp-
„standen auch die Wiegen“ unserer
pingen, Wanne-Eickel, Duisburg
beiden Töchter Uta und Anne
und Hamburg – Oncken-Gemeinde
(Maike wurde dann in Ostfriesland
– waren und sind für uns wie
geboren). Unsere Uta (3 Jahre)
Heimat. Das hängt mit den Men-
fragte mich mal: „Papa, sprechen die
schen zusammen, mit denen wir
hier auch deutsch?“ – Die Schwaben
lebten, die uns liebten und die uns
können alles, nur nicht hoch-
brauchen konnten; und mit denen
deutsch, witzelten damals schon die
wir teilweise auch heute noch guten
„Rei’g‘schmeckten“ (die Zugezo-
Kontakt haben. Gemeinde ist ein-
genen). – Ich aber habe auch heute
fach schön, schön heimatlich. –
noch Heimatgefühle, wenn ich
Das „Pilgerheim Weltersbach“, ein
„Schwäbische Laute“ höre …
Altendorf in Westfalen, hat fol-
Studium
Hamburg-Horn,
Hegensberg
(1953-57)
wohnten
in
unseres
gendes Leitbild: „Wir bieten ein ZuIch habe auch Heimtgefühle, wenn
hause für Menschen, unabhängig
ich
Plattdeutsch“
von ihrem Glauben und ihrer Her-
höre. Ich war als Student 2x zum Fe-
kunft. Wir wünschen uns, dass sie
riendienst in Firrel (ich durfte
bei uns Heimat finden.“ – Und eine
nochmal kommen, obwohl ich schon
ähnliche Heimaterfahrung machten
einmal da war!?); sodass mich meine
wir als Bewohner des Alberti-
Semester-Kollegen den „Bauernpre-
nen-Hauses in HH-Schnelsen (seit
diger von Ostfriesland“ nannten. Ein
2/2007).
Titel, auf den ich heute noch ein biss-
Als wir nach den ersten acht Wo-
chen stolz bin; denn sooo dumm
chen von einem Besuch kamen,
sind die Ostfriesen nicht, wie es uns
sagte Erika, sich die Hände reibend:
manche „dummen Ostfriesenwitze“
„Ich freu mich schon auf mein Zu-
weis machen wollen.
hause.“
18
„ostfriesisches
HEIMAT – HEIMATGEFÜHLE
Erhard Rockel
"Heimat ist jeder
Ort der Welt
wo es Menschen
gibt, die Dich als
Bruder oder
Schwester
aufnehmen.“
Daniel Hoyos Rodriguez
HIER STEHT DIE RUBRIK
19
»Wir haben hier keine
bleibende Stadt, sondern die zukünftige
suchen wir.«
(Hebr. 13,14)
20
ANGEDACHT
HEIMAT –
ÜBER DEN
HORIZONT
HINAUS
Unser Glaube ist von der Überzeu-
manche Unsicherheiten versichern,
Auch Beziehungen verändern sich,
gung inspiriert, eine Heimat in einer
wir mögen in einer Ehe Dauer an-
zu den Kindern, zu Freunden. Ge-
zukünftigen, besseren, ewigen Welt
streben, wir mögen uns in einem ge-
liebte Menschen werden sterben.
zu finden. Wie beim Auszug der Is-
wählten Beruf zu verwirklichen
Andere werden geboren.
raeliten aus Ägypten setzt diese Vor-
trachten, wir mögen vielen anderen
Veränderungen machen auch Angst.
stellung einer zukünftigen Heimat
das Leben verschönt haben, wir
Man muss loslassen, Vertrautes auf-
in Bewegung. Wir sind auf dem Weg
mögen uns selbst unserer Erden-
geben, sich an neue Menschen oder
an einen Ort, von dem wir hören, an
tage durch Bildung und Reisen so
neue Aufgaben gewöhnen. Es gibt
den wir glauben, ihn aber noch nicht
angenehm wie möglich gestaltet
Augenblicke, da wünschen wir uns
kennen - die himmlische Heimat.
haben — über all dem steht uns
die Erfahrung von Ewigkeit: wenn
Im Hebräerbrief des Neues Testa-
schwebt dieses tiefe, dieses notwen-
wir intensives Liebesglück erleben;
mentes heißt es: „Wir haben hier
dige und manchmal so bittere gött-
wenn wir etwa auf einem Familien-
keine bleibende Stadt, sondern die
liche „befristet“. Gastrecht ist nicht
fest unser Leben als von Gott und
zukünftige suchen wir.“(Hebr.13,14)
Heimatrecht. Wir sind und bleiben
Menschen gesegnet fröhlich und
Dieser Satz setzt uns auf gepackte
unterwegs, auf der Suche nach der
unbeschwert feiern; wenn uns ein
Koffer. Nichts bleibt, so klingt es an.
Heimat, nach dem Sinn, dem Steten,
Projekt gelingt, an dem wir mit viel
Alles ist vergänglich. Wir haben hier
dem ewig Bleibenden.
Energie und Herzblut gearbeitet
nichts Bleibendes. Im Gegenteil.
Bis es soweit ist, leben wir in Bewe-
haben.
Wir sind Wanderer, Passanten, Vor-
gung. Bewegung aber bedeutet Ver-
In solchen Augenblicken bewegt
bei-Geher. Wir sind Gäste auf Erden.
änderung.
uns
uns die Sehnsucht nach Beständig-
So sagt es auch das Alte Testament.
ständig. Unser Aussehen verändert
keit. Dann möchten wir, dass alles so
Gast auf Erde bedeutet: Wir mögen
sich. Wir bekommen Falten, werden
bleibt, wie es gerade ist. Dann, in
uns einrichten, wir mögen uns ma-
krank oder wir werden gesund.
diesen glückserfüllten Augenbli-
teriell sichern, wir mögen uns gegen
Leben gibt es nicht im Stillstand.
cken, fällt es manchmal schwer, uns
Wir
verändern
ANGEDACHT
21
mit der Vergänglichkeit alles Irdi-
anfühlt, „draußen“ zu sein? Kennen
türlich kann man sagen, dass der, der
schen abzufinden. Dann wollen wir
wir das Heimweh derer, die sich
Jesus glaubt, gefunden hat. Der
Hütten bauen, in denen alles so
fremd fühlen? Können wir uns die
heißt Kind Gottes und damit ist er
bleibt, wie es ist. Das Leben soll so
Angst
Erbe (Gal. 4,4). Dieser Mensch weiß,
bleiben. Die Gemeinde soll so
Migranten vorstellen?
was
bleiben. Die
Es geht nicht nur um die Not derer,
Reicht das aber? Ist das alles?
bleiben. Die Arbeit soll so bleiben.
die weit weg von zu Hause sind.
Zukunft, Ankommen, Heimat und
Es gibt auch „Denk-Hütten“. Das
Auch mancher, der „vor die Tür ge-
all das, was wir damit verbinden und
können unsere Lehrsysteme sein.
setzt“ wurde, weiss, was es heisst,
ersehen, fällt uns nicht in den Schoß,
Wehe, wenn dann jemand neuen
„nicht mehr gut genug“, oder „zu alt“
ist nicht schon längst bequem ins
Wind hereinbringt. Und dennoch -
zu sein: am Arbeitsplatz, in den Be-
Trockene gebracht. Die zukünftige
wir haben hier keine bleibende
ziehungen, in der Gesellschaft. Das
Stadt suchen wir. Wer jetzt noch
Stadt. Beim Nachdenken wird uns
ist keine positive Mobilität, sondern
keine Heimat hat und beginnt zu
klar, dass es gerade die Vergänglich-
die Hoffnungslosigkeit derer, die
suchen, dem sagt die Bibel: Es gibt
keit ist, die unser Glück und unser
ihrer Familie keine Zukunft sichern
eine künftige Stadt, auch wenn hier
Leben so kostbar macht. Wie sagte
können. „Keine bleibende Stadt“,
alles vergeht. Es gibt Zukunft und
noch Hermann Hesse in seinem Ge-
das ist ein Bild für Vergänglichkeit,
Heimat, wenn wir die Augen offen-
dicht Stufen „Wir sollen heiter
aber auch für die Urangst der Opfer,
halten, wenn wir suchen und uns
Raum um Raum durchschreiten, an
die den Rhythmus der heutigen
finden lassen. Es gibt Orientierung
keinem wie an einer Heimat hängen,
Welt nicht einhalten können.
und Halt, wenn wir zu Gott hin
der Weltgeist will nicht fesseln uns
Wir
eine
denken – egal, wie groß die Fragen
und engen, er will uns Stuf‘ um
Heimat. Ja wir haben sogar einen
um uns herum auch sein mögen,
Stufe heben, weiten. Kaum sind wir
Anspruch
und was auch immer die Zukunft
heimisch einem Lebenskreise und
Schweiz gibt es das Heimatrecht bis
bringen wird.
traulich eingewohnt, so droht Er-
heute. Kirche hat zu allen Zeiten
Es muss nicht so bleiben wie es ist.
schlaffen. Nur wer bereit zu Auf-
auch die Aufgabe, Heimat zu sein.
Es kann anders, neu und richtig
bruch ist und Reise, mag lähmender
Obwohl hier nichts bleibt, brauchen
werden. Die Sehnsucht danach ist
Gewöhnung sich entraffen.“
wir Häuser, Hütte, Kapellen und
uns längst ins Herz gepflanzt, denn
„Unsere Heimat aber ist im Himmel.
Kirchen, um Menschen ein „Zu-
„Wir haben hier keine bleibende
Von dort erwarten wir auch Jesus
hause“ zu bieten. Wie kann das aus-
Stadt, sondern die zukünftige su-
Christus, den Herrn als Retter“, so
sehen? Wie kann Gemeinde zur
chen wir“.
formuliert Paulus in Phil. 3,20.
Heimat werden?
“Das kann ja alles sein!”, regt sich
„Wir haben hier keine bleibende
Frank-Eric Müller
Emanuel auf, der ohne Familie, ohne
Stadt, sondern die zukünftige su-
Pastor der Oncken-
Kontakte, ohne Bleibe aus Togo
chen wir!“ Das aktive Moment des
Gemeinde
kam. “Für Euch ist ‘unterwegs sein’
Bibelwortes drückt sich im Verb
einfach. Ihr wisst nicht, was es
„suchen“ aus. Die Identität der
heisst, ‘draußen’ zu sein!” Emanuel
Kirche, die die zukünftige Stadt
aus Togo hat vielleicht eine größere
sucht, ist nicht ihre Mobilität, son-
Veränderung hinter sich, als wir je in
dern ihr Ziel. Mit der zukünftigen
unserem Leben erlebt haben und er-
Stadt ist die Ewigkeit bei Gott ge-
leben werden.
meint. Wir haben also einen weiten
Er hat alles verlassen, und kam
Blick.
hierher. Er ist zwar da, aber nicht
Suchen, das ist sehr aktiv. Ich lese
„drinnen“, sondern immer noch
den Satz so, dass dieses Suchen Zeit
„draußen“. Wissen wir, wie sich das
unseres Lebens nicht aufhört. Na-
22
ANGEDACHT
Kinder
sollen
so
der
Flüchtlinge,
Menschen
auf
brauchen
Heimat. In
der
der
Heilsgewissheit
bedeutet.
Heimat ist für mich der Ort,
dem ich von klein auf
gesellschaftlich wie
auch landschaftlich
verbunden bin.
Jens Schüller
Heimat ist Da wo
meine Familie ist!
Lisa Asmussen
HIER STEHT DIE RUBRIK
23
DAS BEDÜRFNIS
NACH HEIMAT
Stadt der Welt, wo es alles gab, was ich brauchte, außer
diesem einen Masterstudiengang, der mich interessierte. C’est la vie, dann zieht man halt ins Ausland. Auslandserfahrung wird heutzutage sowieso überall erwartet und zwei Jahre sind schnell um, tröstete ich mich
selbst, war aber von diesen klischeehaften Gedanken
überhaupt nicht überzeugt.
Heimat zeigt sich oft erst, wenn man sie verlässt. Wenn
jemand mich fragt, was ich am meisten vermisse, sage
ich oft einfach „ungarisches Essen“, aber alleine aus dem
Grund, dass es sonst unheimlich schwer zu beschreiben
ist. Denn was fehlt mir nun wirklich? Die direkte,
manchmal sogar unhöfliche Art der Menschen (die sich
aber Touristen gegenüber fast nie äußert)? Ich mag die
eigentlich gar nicht und versuche sogar, selber etwas dagegen zu tun, freundlich zu sein, so wie ich es in Norddeutschland gelernt habe. Aber selbst wenn ich den
Kopf schüttele oder mich über das freche Verhalten von
anderen aufrege, gehört es irgendwie dazu. Genauso
wie der fast unerträglich heiße Sommer - aber es fehlt
mir echt, über die Hitze zu meckern.
Heimat könnte also ein Ort sein, den man kennt, wo
Bilder, Gerüche und Geräusche tausend Erinnerungen
hervorrufen. Der Spielplatz, die Schule, die Straße, die
Bank an der Donau, der Park, das Lieblingscafé, das alte
Vor zweieinhalb Jahren packte ich meinen Koffer und
Tonsignal in der U-Bahn, der seltsame, trotzdem ver-
zog nach Hamburg, in eine Stadt, in ein Land, wo ich
traute Geruch der Tennishalle, die alten Busse, die mor-
nicht hinwollte. Aber selbst wenn es sich so ergab, war
gens aus allen Ecken platzen, die billigen Stehplätze im
ich mir ziemlich sicher, dass ich nach dem Studium ge-
dritten Rang des Konzertsaals, die Straßenlaterne,
nauso schnell weg bin wie ich kam. Ich fühlte mich in
gegen die ich mit fünf mit dem Schlitten flog, die
der Heimat nämlich sehr wohl: meine Familie war da -
warmen Sommernächte, die ewig lange Schlange am
bis auf meine Schwester, die ihren Lebensmittelpunkt
Eingang der Eisbahn und mein Zimmer bei meinen El-
nach dem Abi in England einrichtete -, ich hatte einen
tern.
großen Kreis von sehr guten und engen Freunden, eine
Mittlerweile habe ich auch in Hamburg solche Orte. Es
super Gemeinde und lebte in der schönsten und tollsten
würde natürlich weitere vierundzwanzig Jahre dauern,
24
HEIMAT – BEDÜRFNIS HEIMAT
lässt? Gibt es eine zweite Heimat? Eine Wahlheimat?
Ich denke nicht, aber zweieinhalb Jahre sind vielleicht
einfach zu kurz, um das entscheiden zu können. Für
mich ist Heimat zu einer Idylle geworden: sie ist die Vergangenheit, mein altes Leben, wo ich kaum Streit erlebe,
da ich selten da bin, wo ich morgens nicht mehr über
den Berufsverkehr zu schimpfen brauche, wo ich das
politische Geschehen nur indirekt mitbekomme und
wo ich quasi nur Urlaub mache. Zu einem Ort, wohin ich
vor meinen Problemen fliehen kann, der aber keine Realität mehr ist. Bin ich damit heimatlos geworden? Die
ähnlich viele Erinnerungen zu sammeln, wie in Budapest, aber das imaginäre Archiv ist trotzdem schon
ziemlich dick. Beim Jahrgangstreffen hieß es, „wisst ihr
noch, im ersten Semester in der Bergkate …“ und während einer Liebeskummer-Phase war die Stadt eine Ausstellung von ehemals schönen, dann vielmehr schmerzhaften Erinnerungen. Denn es sind die Erlebnisse, die
verschiedenen Erinnerungen, die einen Ort für einen
mit Leben füllen und zu etwas Besonderem machen.
Und natürlich die Menschen, mit denen man diese teilt.
Freunde, lieb gewonnene Menschen: ohne geht Heimat
nicht. Menschen, bei denen man sein Vertrauen gut aufgehoben wissen kann, die seelische Nachbarn sind, alleine sie bedeuten ein Stück Heimat, oder zumindest
eine Prise Gemütlichkeit, wenn sonst alles unterzugehen scheint. „Nur wo du bist, da ist ein Ort“, schrieb
Elizabeth Barrett-Browning und es ist ein trauriges Urteil auf mich und Hamburg bezogen. Wenn nämlich
Frage kann zwar sehr weit führen, da aber mein Bauchgefühl sagt, dass ich gern jederzeit nach Budapest zurückkehren würde, weil ich die Familie, die Freunde und
das Lebensgefühl unheimlich vermisse, lässt sie sich direkt beantworten.
Dass ich wahrscheinlich erstmal nicht zurück in die
Heimat ziehen werde, ist eine andere Geschichte. Die
Arbeit, die Liebe und die mit denen verbundenen Umstände stehen im Weg – und das ist sogar richtig so.
Denn ich weiß nicht, wo Gott mich in einem Jahr sehen
will, was er mir alles noch beibringen will und wo er für
mich das neue Zuhause bereitet. Bis er mir das alles
zeigt, brauche ich nichts anderes zu tun als ihm zur Ehre
leben, dort, wo er mich jetzt sehen will: in Hamburg.
Und mein Gott wird alle meine Bedürfnisse reichlich erfüllen in Herrlichkeit in Jesus Christus.
Eszter Magyar
nicht alles rund ist, rufe ich meistens entweder meine
Mutter oder meine Schwester oder eine Freundin aus
meiner Gemeinde in Budapest an. In Hamburg sind es
bisher wenige, die mir so vertraut sind. Die eine ist auch
Ungarin: die Herkunft, aber vor allem die Sprache verbindet uns. Egal wie gut wir Deutsch können, die ungarische Sprache schenkt uns das unmittelbarste Gefühl
von Heimat, selbst wenn wir gerade in einem Hamburger Café frühstücken. Egal wie problemlos ich deutsche Literatur lesen kann, am schönsten klingt für mich
nach wie vor die ungarische Poesie. Und egal wie lange
ich schon in Deutschland lebe, richtig heimisch fühle
ich mich erst, wenn ich mich mit jemandem auf Ungarisch austauschen kann.
Heimat ist ein Ort, es sind die Menschen, die Erinnerungen und die Sprache. Doch was bleibt, wenn man
seine Heimat, freiwillig oder gezwungenermaßen, verHEIMAT – BEDÜRFNIS HEIMAT
25
EIN
GEMEINDECAFÉ ALS
WOHNZIMMER
FÜR
FLÜCHTLINGE
Im Oktober 2015 gingen die Bilder des am
Rande der Ägäis ertrunkenen Kindes aus Syrien
um die Welt. In dem Bewusstsein, dass sich zuerst Hamburger Moscheegemeinden, dann katholische und schließlich evangelisch-lutherische Gemeinden um die täglich am Hamburger
Hauptbahnhof angestrandeten Flüchtlinge abmühen, wurde einer Gruppe von 13 baptistischen Oncken-Freikirchlern klar: Spätestens
(also lieber spät als nie) jetzt sind wir dran.
Diese „wilde 13“ bestand und besteht weitgehend aus älteren und gesundheitlich angeschlagenen Gemeindegliedern, aber mit Herz und
Hand am rechten Fleck.
Was kann diese „Rentnerband“ leisten, fragten
wir uns.
Viele
Flüchtlinge
leben
in
Massenunter-
künften, wo sie keine Minute zur Ruhe kommen
können. Besonders bedroht und gefährdet sind
dabei Frauen und deren Kinder. Schon die alttestamentliche Geschichte der Ruth und ihrer
Schwiegermutter Naomi macht die besondere
Schutzbedürftigkeit von Frauen auf der Flucht
deutlich. Oftmals bedroht und ausgebeutet,
nicht nur von der einheimischen Wirtschaft,
sondern auch von Männern, auch von jenen, die
sich bisweilen gleichsam auf der Flucht befinden. Frauen auf der Flucht und deren Kinder
befinden sich somit in einer dreifach bedrohten
Lage. Und dabei wünscht sich die aufnehmende
Gesellschaft gleichsam die zivilisatorische und
soziale Kraft dieser Frauen, damit AUCH die Integration
der
sie
umgebenden
Männer,
Freunden, Verwandten, männlichen Kindern
gelingen möge.
Wir, die älteste Baptisten-Kirche auf dem europäischen Kontinent, verfügt nun nicht nur über
eine schöne Kirche, sondern auch über ein Café
in zentraler Lage, welches manche Tage
schlichtweg leer steht.
So entstand in der „wilden 13“ die Idee eines kreativen „Zur-Ruhe-kommen-Raumes“ für weibliche Flüchtlinge und deren Kinder. Unser Gemeinde-Café soll (auch!) zum „Wohnzimmer“
26
HEIMAT – CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGE
Abendbrot (syrische und deutsche
Küche) her und verspeisen es mit
schmatzender Freude. Gemeinsam
mit den Frauen herrscht ein fröhliches Treiben und ein Klönschnack
mit Händen und Füßen. Parallel
dazu spielen Kinder mit Bausteinen,
Ritterburgen und Autobahnen. Andere sind in unserem Kreativ-Maler-Atelier und toben sich mit Pinseln aus oder kommen mit feinen
Stiften zur inneren Ruhe.
Wieder andere syrische Achtjährige
werden von unseren fast Achtzigjährigen
quasi
„adoptiert“
und
lernen unter ihrer herzlichen Hand
ein wenig mehr Deutsch.
Perspektivisch wollen wir noch
für besonders bedrohte und belas-
Im Dezember enstanden intensive
tete Flüchtlingsfrauen aus einer
Kontakte zwischen den alten Hasen
Erstaufnahmeunterkunft werden.
von „Herzliches Lokstedt“ und unserer jungen „Rentnerband“ - auf
Unsere Kontaktaufnahmen gingen
Augenhöhe. Die „Herzlichen“ haben
in verschiedene Richtungen. Par-
junge Helfer und die sich in Not be-
allel dazu lief ein Info- Gottesdienst
findenden Flüchtlingsfrauen. Wir
(zu „Exodus 2“) mit Sonderkollekte.
haben einen geeignete Räumlich-
Nach einigen verworfenen Recher-
keit und eine Truppe älterer Helfer.
chen (Wir haben lernen müssen,
Hinzu kam – ebenfalls auf Augen-
was geht und was nicht geht!) sind
höhe – ein freikirchliches Geschenk
wir auf die Flüchtlingsinitative
aus der Nachbarschaft, zwei Straßen
„Herzliches
gestoßen,
weiter. Dort residiert eine seit Jahr-
welche bereits seit 2013 Menschen
zehnten mit uns herzlich verbun-
unterstützt, die vor Gewalt, Terror
dene Advent-Gemeinde, die unser
und Willkür aus ihrer Heimat
Projekt von Anfang an mit Woman-
fliehen mussten und in der Cont-
und Manpower unterstützt hat.
ainer-Unterkunft
Hamburg-
Auch die beiden jungen Pastoren
Lokstedt untergebracht wurden.
sind von Anfang an dabei – an un-
Dort laufen bereits Sport- und
serer Seite.
Lokstedt“
in
garten gemeinsam nutzen und mit
den Frauen nähen – zum Selbstbedarf und Behalt sowie zum möglichen Verkauf durch die Flüchtlingsfrauen.
Des
weiteren
sind
Stadterkundungsgänge, Museumsund Galeriebesuche geplant und
verbindlich
angemeldet.
Somit
wollen wir gemeinsam den Horizont der zu uns geflohenen Flüchtlingsfrauen UND unseren eigenen
Horizont erweitern.
Jesus, der Gott, an den wir glauben
und dem wir vertrauen, war auch
ein direkter Nachkomme der „Ausländerin“ Ruth, einer Flüchtlingsfrau. Im Namen unseres Gottes, der
wiederum selbst ein Flüchtlingskind war – ohne Laufen zu können -
Sprachangebote, „Women‘s Club“
und Fahrradwerkstatt. Sowie viele
Ende Januar haben wir – alle sehr
ehrenamtliche
aufgeregt – losgelegt. Syrische und
Unterstützungen
mehr kochen, unseren Gemeinde-
auf Augenhöhe.
afghanische
Speziell engagiert sich „Herzliches
Kinder beleben uns und unser Café
Lokstedt“ für besonders bedrohte
QUO VADIS. Adrenalin pur!
Flüchtlinsfrauen aus Syrien und Af-
Gemeinsam (!) mit den Flüchtlings-
ghanistan sowie deren Kinder.
frauen richten wir hier ein gesundes
Frauen
und
deren
und ein politisch Verfolgter, ohne
auch nur sprechen zu können –
wollen wir uns diese Frauen aus Syrien und Afghanistan in unserem
Café QUO VADIS und auch sonst
anbefohlen sein lassen.
Wir Christen sind weitgehend inteHEIMAT – CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGE
27
griert in die von uns mitgestaltete
„Ich komme aus Damaskus, einer
Damaskus studiert, auch wenn ich
säkulare Kultur der westlichen Auf-
einst traumhaft schönen Stadt. Ge-
wusste, dass „frau“ bei uns in Syrien
klärung und können für die ankom-
nauer gesagt aus einem schönen
bald nach dem Studium erst einmal
menden Orientalen eine Brücke
grünen Villenvorort. Ich bin die Äl-
Kinder kriegt. Ich bin stolz, beides
sein hinein in diese gemeinsame
teste von fünf Geschwistern. Mein
hingekriegt zu haben: Mutter sein
Gesellschaft. Ebenso können wir für
Vater war Journalist und hat als Kor-
und einige Jahre in meinem stu-
die
eine
respondent für verschiedene briti-
dierten Beruf arbeiten zu können.
Brücke sein hin zu den gläubigen
sche Zeitungen gearbeitet. Die
Bis zum letzten Tag meines Aufent-
Muslimen, weil wir deren Anliegen
Rollen waren bei uns zuhause klar,
halts in Syrien!
ein Stück weit dolmetschen können.
aber jede/r durfte bei uns denken
Mein Mann arbeitet als Arzt in
und sagen, was er/sie wollte. Und
einem Krankenhaus.
Menschen bekommen ein mensch-
wir alle waren und sind neugierig
Seit 5-6 Jahren wurde die Intoleranz
liches Gesicht, wenn sie ihre Ge-
auf das Leben und seine Möglich-
in Syrien immer größer. Übrigens
schichte erzählen können und wenn
keiten.
auf allen Seiten. Syrien war seit Jahr-
wir ihnen zuhören.
Ich bin gerne zur Schule gegangen,
hunderten ein Land der Sunniten
Ihre für viele Frauen aus Syrien typi-
Mathe war mein Lieblingsfach. Und
und Schiiten, der maronitischen
sche Geschichte erzählt an dieser
Englisch. Und natürlich meine
Christen und der Aleviten und
Stelle Jasmin (Name geändert), 34
Freundinnen!
vieler
Jahre alt und Mutter dreier Kinder
Ich habe Ingenieurswissenschaften
ohne Religion.
im Alter von 5, 8 und 11 Jahren:
mit Schwerpunkt Architektur in
Doch dann wurden die Drangsalie-
28
säkulare
Gesellschaft
HEIMAT – CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGE
anderer Gruppen mit und
rungen des Assad-Regimes immer
bedrohlicher und noch mörderischer
das
Vorgehen
der
soge-
nannten Gotteskrieger des IS.
Ich kann es nicht ertragen, wenn
Menschen mir drohen und immerzu fordern: Du musst so leben,
so denken, so glauben, dich so verhalten, kleiden, deine Kinder so erziehen …
Die Versorgungslage verschlechterte sich von Tag zu Tag. Keine Lebensmittel. Keine Medizin. Alle
Wege waren dicht.
Misstrauen und Gewaltbereitschaft
blühten von Tag zu Tag mehr. Ein
Cousin landete im Staatsgefängnis,
wurde misshandelt und ermordet.
Ein anderer Cousin wurde von der
IS-Bombe getroffen.
Flucht machen musste.
Stunden in Richtung griechische
Ich selbst hätte das weiter ausge-
Ich hatte das verdammte Glück,
Inseln. Wie Verbrecher kamen wir
halten, denn ich liebe mein Land.
über die Grenze in den Libanon aus-
in ein Militärlager für 6 Tage ohne
Aber nicht mit und für meine
reisen zu können und von dort mit
sanitäre oder ärztliche Versorgung,
Kinder.
dem Flugzeug nach Izmir in die
zwischen Hunger, Gestank, Frieren
Sie sollten in Sicherheit
leben und eine
humane Zukunft
haben können.
Deshalb habe ich
mich
auf
Flucht
Die
die
begeben.
arabischen
Länder
hatten
ihre Grenzen geschlossen oder es
herrschten
hältnisse
Ver-
»Ich selbst hätte das weiter ausge-
halten, denn ich liebe mein Land. Aber
nicht mit und für meine Kinder. Sie
sollten in Sicherheit leben und eine
humane Zukunft haben können.
Deshalb habe ich mich auf die
kaum
anders als in Sy-
Flucht begeben.«
und
Dreck.
Wir
wurden
sehr grob behandelt,
was
sich in allen
weiteren
Fluchtländern außer in
Österreich
und Deutschland
wieder-
holte.
Auf dem Boot
rien. Die arabischen Staaten haben
Türkei. Somit blieb meinen Kindern
nach Athen wieder Meter hohe
ihre Türen trotz derselben Sprache
und mir die gefährliche Flucht über
Wellen und das endlose Geschrei
und Religion verschlossen und
die kriegerische Grenze zwischen
der Frauen und Kinder in unserer
Deutschland hat seine Türen für die
Syrien und der Türkei erspart.
erbärmlichen Angst.
Flüchtlinge geöffnet.
Von dem, was dann kam, wurde
Ohne Versorgung oder sanitäre Ein-
Das für mich Schlimmste war, dass
meinen Kindern und mir nichts er-
richtung wurden wir in Athen in
mein Mann weiter festgehalten
spart. Bei hohem Wellengang ging
Busse und Autos gepfercht, die uns
wurde und ich mich mit meinen
es in einem nahezu seeuntaugli-
nach Makedonien brachten. Keine
drei kleinen Kindern allein auf die
chen
Minute Ruhe, kein Schlaf, Kälte von
kleinen
Boot
über
viele
HEIMAT – CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGE
29
Außen und Innen.
meine Kinder bin nur ich allein da.
In Makedonien pferchte man uns
Freundschaften sind schwer mög-
dann in schrottreife Züge, deren To-
lich, denn in der Not gehören An-
iletten abgeschlossen waren, Tag
feindungen,
und Nacht. Meine Kinder und ich
und auch kleine Diebstähle zum
lagen auf dem Gang und auf den
Alltag in der Flüchtlingsunterkunft.
Waggonübergängen. Tagelang in
Ich möchte endlich wieder arbeiten
Dreck
Ohne
können, möchte meinen Kindern
Dasselbe
etwas ermöglichen. Als Architektin.
setzte sich in Serbien, Kroatien und
Vielleicht als Mathematik-Lehrerin,
Slowenien unverändert fort. 22
denn ich spreche sehr gut Englisch.
Tage lang auf der Balkanroute mit
Meine
Angst in jeder Minute.
Schulen. Nur für meine Kinder habe
Von Österreich wurden wir dann
ich meine Heimat verlassen. Meine
schnell in sauberen Bussen nach
Kinder sollen eine Zukunft haben,
Deutschland gebracht.
jenseits von Krieg und Gewalt.
Hier lebe ich jetzt mit meinen drei
Und ich möchte, dass mein Mann
Kindern in der Erstaufnahme in
endlich ausreisen und bei uns sein
Hamburg-Lokstedt. Ich bin froh
kann.
und dankbar, hier in Deutschland zu
Noch habe ich viel Kraft, denn ich
sein. Vor allem, weil meine Kinder
bin – wie viele andere geflohene Sy-
in Sicherheit sind.
rerinnen – eine starke Frau. Besser
Aber das Leben in einer Unterkunft
gesagt: weil ich es sein muss.“
und
Gestank.
Waschmöglichkeiten.
Schuldzuweisungen
Kinder
brauchen
ohne Intimsphäre, ohne abschießbare Schränke, ohne Ruhe. 24
Stunden lang, ohne Spielsachen für
die Kinder und ohne das Wissen,
was Morgen sein kann, ist hart. Für
30
HEIMAT – CAFÉ FÜR FLÜCHTLINGE
Dr. Michael Ackermann
gute
Heimat ist für mich der Ort,
an dem man sich Zuhause
fühlt, wo man geboren
wurde und aufgewachsen ist,
wo die Verwandten,
Großeltern, Eltern, Tanten,
Cousins, Cousinen und
Freunde wohnen, wo es
Menschen gibt, die sich
mit mir verbunden fühlen.
Jeremie Teffo
HIER STEHT DIE RUBRIK
31
TAUFE
EIN HAUCH VON HEIMAT
Die Taufe wird in den neutesta-
zitiert wird, beschreibt: „Wenn je-
eurer Sünden, und euer Leib war
mentlichen Schriften an den ver-
mand in Christus ist, ist er eine neue
unbeschnitten; Gott aber hat euch
schiedensten Stellen dokumentiert,
Schöpfung: Das Alte ist vergangen;
mit Christus zusammen lebendig
beschrieben und erklärt. Von Jesus
Neues ist geworden.“ (2. Kor. 5,17)
gemacht und uns alle Sünden ver-
wissen wir, dass er sich taufen ließ
Die Taufe ist ein Ausdruck des
geben. Er hat den Schuldschein, der
(Mt. 4), in der Apostelgeschichte
neuen Menschen. In der Taufe sind
gegen uns sprach, durchgestrichen
lesen wir, dass zur Taufe der Glaube
wir noch einmal geboren.
und seine Forderungen, die uns an-
allein die Voraussetzung ist (Apg. 8).
Der Apostel Paulus entfaltet in
klagten, aufgehoben. Er hat ihn da-
Die Taufe steht im NT im engen Zu-
seinen Briefen sogar eine Tauftheo-
durch getilgt, dass er ihn an das
sammenhang mit der Bekehrung zu
logie (Röm. 6 und Kol. 2). In Ko-
Kreuz geheftet hat. Die Fürsten und
Christus. Wenn Menschen in Kon-
losser beschreibt Paulus die Taufe
Gewalten hat er entwaffnet und öf-
takt mit dem Schöpfergott kommen
so: „Mit Christus wurdet ihr in der
fentlich zur Schau gestellt; durch
werden sie vollkommen anders. Der
Taufe begraben, mit ihm auch aufer-
Christus hat er über sie trium-
Glaube an Gott heißt: Ich bin nicht
weckt, durch den Glauben an die
phiert.“
Opfer meiner Vergangenheit.
Kraft Gottes, der ihn von den Toten
Ein Bibelvers, der gerne bei Taufen
auferweckt hat. Ihr ward tot infolge
32
HEIMAT – TAUFE, EIN HAUCH VON HEIMAT
Die drei wichtigsten Aussagen zur
grundsätzlich hat sich etwas verän-
sie bekommen wir Rückendeckung
Taufe in in diesem Text sind:
dert.
nach hinten. Ja, wir können über-
Wer von der Auferweckung spricht,
haupt keine tragfähige Zukunfts-
1. Taufe heißt:
meint: Neues Leben aus neuem Ma-
hoffnung haben, wenn wir die Last
Geboren zum neuen Leben. Damit
terial, aus dem neuen „Stoff“ des
der Vergangenheit nicht los wären.
ist die Totalerneuerung unseres Le-
Unverweslichen, des nicht mehr der
„Ihr ward tot infolge eurer Sünden“,
bens gemeint. Ein Sterben und Auf-
Sünde und dem Tod Unterwor-
schreibt Paulus. Daher ist es für
erstehen, das nur in der Verbesse-
fenen. Noch überlagern sich diese
viele Menschen eine ganz beglü-
rung des Menschen bestünde, ist
beiden Wirklichkeiten zwischen
ckende
nicht das hier Gemeinte. Es geht
dem alten und dem neuen Men-
merken, dass Gott Schuld vergibt.
nicht nur um ein neues Denken,
schen. Der Christ als der „in
Unser Text gebraucht, um diesen
Wollen und Tun, sondern um ein
Christus“ lebende, mit der „Anzah-
Sachverhalt zu schildern, ein Bild:
neues Sein. Hier ist also nicht Recy-
lung“ auf das zukünftige Leben ver-
Die Taufe hat, so könnte man sagen,
cling gemeint. Hier geht es nicht um
sehene Mensch, als die „neue Kre-
den alten Menschen getötet. Wir
„Aus alt mach neu!“ Sondern: Aus
atur“, wird feststellen: Der alte
werden mit unserer Sünde nicht da-
einem
hoff-
Mensch lebt gar nicht mehr, ich bin
durch fertig, dass wir uns der Ver-
nungslosen Menschen wird ein
schon mit Christus auferstanden.
antwortung zu entziehen versu-
Mensch, der sich der Ewigkeit ge-
Das nennt sich Heilsgewissheit! In
chen. Es
wiss ist. Aus einem Menschen,
der Taufe manifestiert sich diese
ungestörtes Verhältnis zu Gott und
dessen Lebensperspektive nur bis
Gewissheit.
zu den Menschen geben, solange
sündenbeladenen,
zum Tode reicht, wird ein Mensch,
Erfahrung,
kann
kein
wenn
Sie
gesundes,
alte Schuld unbereinigt ist. Was
der über den Tod hinaus sieht und
2. Taufe heißt:
einer dem anderen angetan hat,
schon hier und jetzt den Charakter
Von Schuld entlastet. Die Taufe gibt
muss das Verhältnis beider bleibend
der Unverweslichkeit bekommt.
uns nicht nur eine Perspektive für
belasten, es sein denn, die böse Ver-
Rein äußerlich bleibt alles beim
die Zukunft. Die Taufe gibt uns auch
gangenheit wird ausgelöscht.
Alten. Da bleibt trotz des Glaubens
eine Gewissheit für unsere Vergan-
„Er hat den Schuldschein…“. Der
noch die ein oder andere Ecke des
genheit. Und die sieht bei jedem von
Text gebraucht das Bild von dem
alten Menschen bestehen. Aber
uns sehr unterschiedlich aus. Durch
ausgelöschten Schuldbrief. Das Do-
HEIMAT – TAUFE, EIN HAUCH VON HEIMAT
33
kument, mit allen Daten, dass uns
menen größer denn je. Selbst Go-
belastet, hat Gott selbst ans Kreuz
ethe schrieb in „Götz von Berli-
genagelt. Da ist die Schuld ge-
chingen im 5. Akt: „Wir Menschen
storben. Damit ist, was uns belastet
führen uns nicht selbst; bösen Geis-
aus der Welt. Wird in der Taufe das
tern ist Macht über uns gelassen“.
Sterben Jesu auf uns angewandt, so
Wir sind aber zu Gott befreit!
ist damit unsere Vergangenheit aus-
Christi Kreuz und Auferstehung –
gelöscht.
in der Taufe uns zugewandt – hat die
Herrschaft
solch
„himmlischer
3. Taufe heißt:
Schicksals und Verderbensmächte“
Zu Gott befreit. Christus hat die
gebrochen.
Mächte unterworfen, und zwar
Die Vergebung der Sünden gilt. Wir
durch das Kreuz. Nichts kann uns
haben den freien Zugang zu Gott.
mehr von der Liebe Gottes trennen
Die Auferstehung Jesu Christi, die
(Röm. 8, 38).
Bürgschaft für unsere eigene Auferstehung, ist Faktum, das niemand
Können wir damit etwas anfangen?
mehr ungeschehen machen kann.
Das alte Weltbild ist nicht mehr das
Wir haben keine bösen Mächte zu
unsere! Wir werden die unsicht-
fürchten, wir dürfen sie getrost ver-
baren bösen Mächte nicht mehr
achten.
unter dem Himmel suchen. Die
So gesehen hat Taufe etwas mit
Frage ist, ob wir diese Mächte nicht
Heimat zu tun. Taufe bedeutet ei-
in unserer eigene Geschichte zu su-
nerseits ankommen, im Glauben zu
chen haben: als überindividuelle
Hause sein, in die Gemeinschaft der
Strömungen,
Gemeinde
Tendenzen,
Ideen,
völlig
zu
Trends, Zwänge, Suggestivkräfte.
werden und andererseits bedeutet
Aber das andere gilt es auch zu be-
Taufe losgehen, anfangen, mit an-
denken. Gerade in unserer Zeit ist
deren gemeinsam Glauben leben.
die Angst und die Sehnsucht vor
und nach überirdischen Phäno-
34
integriert
HEIMAT – TAUFE, EIN HAUCH VON HEIMAT
Frank-Eric Müller
Heimat ist da, wo ich
zur Ruhe komme
und mich geborgen
fühle.
Samuel Lehmpfuhl
HIER STEHT DIE RUBRIK
35
DO IT YOURSELF
AUS KONSERVENDOSEN SCHICKE
AUFBEWAHRUNGEN BASTELN
In dieser Kategorie des Oncken Magazins möchten wir
und wirft die Dose gedankenlos weg.
Euch zukünftig mit DIY Ideen inspirieren und be-
Diese Ausnahme wiederholt und wiederholt sich und
ginnen mit der Frage:
schon enden viel zu viele von denen im Müll.
Müll oder Dekoration für zu Hause?
Dabei lassen sich mit Papier und Schere tolle Sachen aus
Wer kennt das nicht - man geht einkaufen, greift aus-
den Blechdosen machen, die zu Hause überall einen
nahmsweise mal zu den Mandarinen in der Konserven-
Platz finden und zusätzlich die Umwelt schonen!
dose, zaubert zu Hause schnell eine Quarkspeise her
36
DO IT YOURSELF
Was ihr benötigt:
– Konservendose (beliebige Größe)
– Prägepapier oder Tapete
– Weißes Lackspray (z. B. Acrylic
Spray Paint 150 ml, ca. 6,99 €)
– Schere
– Doppelseitiges Klebeband
Zum „Verzieren“:
– Juteband
– Geschenkband
– Farbige Holzschmetterlinge
– Bedrucktes Papier
Das Material habe ich bei „IDEE Creativmarkt“ besorgt, hier wird man
immer fündig.
Anleitung:
1. Die Etiketten auf den Dosen lösen sich wie von selbst,
wenn ihr sie vorher im warmen Wasser mit ein wenig
Spülmittel einweicht. Außerdem verlieren sie so auch
den Geruch von dem Inhalt, den ihr zuvor noch genüsslich vernascht habt.
Ist die Dose trocken, notiert Ihr euch die Maße,
2 schneidet das Prägepapier zurecht und befestigt es
anschließend mit einem doppelseitigen Klebeband
an dem Blech.
3. Sobald nichts mehr verrutscht, schnappt ihr euch das
Lackspray, geht an die frische Luft und besprüht die
Ränder sowie den Boden der Konservendose. Ca. 20
Minuten trocknen lassen und dann das ganze wiederholen, damit kein Silber mehr durchschimmert.
4. Jetzt liegt es ganz an euch die Dose zu gestalten. Ob
mit Schleifen, Schmetterlingen (passend zur Jahreszeit) oder mit einem Juteband – lasst eurer Kreativität
freien Lauf!
5 Und das Beste an dem ganzen? Sie sind vielseitig einsetzbar! Ob als Übertopf für Blumen, Aufbewahrungsplatz für Shampoo, Schmuck, etc., oder für Stifte
& Co., sie sind in jedem Zimmer ein Hingucker!
DO IT YOURSELF
37
Als ich gefragt wurde, ob ich nicht Lust hätte, zum
Thema „HEIMAT“ die Do-it-yourself Seite zu gestalten,
war mein erster Gedanke „Yay, endlich wieder basteln“
und kurz darauf dachte ich „Was ist eigentlich Heimat?
Hat es für jeden dieselbe Bedeutung? Ist es ein Synonym für „zu Hause?“
Beim Googeln bin ich dann über den Satz gestolpert
„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.“
Es muss also nicht zwangsläufig das vertraute Umfeld
sein, in dem man aufgewachsen ist, Schönes und nicht
so Schönes erlebt hat. Das Haus, in dem die Eltern heute
noch leben. Man kann sagen, ich fühle mich in Hamburg
am wohlsten, hier bin ich glücklich, hier fühle ich mich
heimisch – trotz der vielen Regentage.
Manch einer reist in ein Land, gelockt durch die Kultur
und vielen warmen Sonnentagen und kehrt jedes Jahr
zurück, weil man dort glücklich ist. Und irgendwann
bleibt man dort – weil man die Heimat gefunden hat.
Sehr passend finde ich hier folgendes Zitat:
„Heimat kann man nicht vererben, sie ist in meinem
Kopf. Und sie ist in meiner Seele.“
(Horst Bienek 1930 – 1990)
Jennifer Shresta
38
DO IT YOURSELF
DO IT YOURSELF
39
REZEPT
Feijoada
40
HEIMAT – REZEPT AUS BRASILIEN
FEIJOADA
EIN BRASILIANISCHES
NATIONALGERICHT
In Brasilien ist „Feijoada“ das brasilianische Nationalgericht, ein deftiger Eintopf aus schwarzen Bohnen, Wurst
und Schweinefleisch. Die verschiedenen Stücke kann
man beim Metzger vorbestellen. In Brasilien wird dazu
traditionell Reis und grünes Blattgemüse serviert.
Bei Fragen stehe ich Euch gerne zur Verfügung.
Liebe Grüße und „bom apetite!“.
Eure Desirée Reif
ZUBEREITUNG
Zubereitungzeit: 25 Minuten Kochzeit: 2 Stunden
1. 6 l Wasser, Bohnen, Salz, Pfeffer und Lorbeerblätter in
einen großen Topf geben, zum Kochen bringen, Hitze
reduzieren und 50 Minuten köcheln.
2. Die Hälfte des Specks in grobe Stücke schneiden, die
andere Hälfte klein würfeln und beiseite stellen.
ZUTATEN Portionen: 10 – 8 l Wasser
– 1 kg schwarze Bohnen, abgespült
– Salz
– Pfeffer
– 4 Lorbeerblätter
– 400 g Speck am Stück
– 500 g luftgetrocknetes gesalzenes Rindfleisch,
in Stücke geschnitten
– 2 ungesalzene Schweinefüße
– 250 g geräucherte Schweinerippchen
– 2 ungesalzene Schweineschwänze
– 100 g Schweinebauch, in Stücke geschnitten
– 1 ungesalzenes Schweineohr
– 1 geräucherte Wurst, in Stücke geschnitten
– 500 g scharf gewürzte Wurst, in Stücke geschnitten
– 2 EL Öl
– 4 Knoblauchzehen, gehackt
– 2 Zwiebeln, gehackt
– 2 große Bund frische Petersilie, gehackt
3. In der Zwischenzeit 2 l Wasser in einem großen Topf
bei hoher Hitze zum Kochen bringen. Getrocknetes
Rindfleisch, Schweinefüße und Schweinerippchen
hineingeben und 25 Minuten simmern. Schweineschwanz, die großen Speckstücke, Schweinebauch,
Schweineohren und Wurst zugeben und weitere 25
Minuten simmern.
4. Fleisch herausnehmen, zu den Bohnen geben und
weitere 45 Minuten simmern.
5. Öl in einer großen Pfanne erhitzen und Knoblauch
darin 45 Sekunden anbraten. Zu den Bohnen geben.
In derselben Pfanne die kleinen Speckwürfel 2
Minuten auslassen. Zwiebeln zugeben und hellbraun
und weich anbraten. Petersilie zugeben und alles gut
verrühren. Mischung ebenfalls zu den Bohnen geben,
umrühren und weitere 25 Minuten köcheln, bis alles
gut durch ist.
6. Fleisch herausnehmen und auf einer Servierplatte
anrichten. Bohnen in eine Schüssel gießen und heiß
mit Reis servieren.
HEIMAT – REZEPT AUS BRASILIEN
41
MENSCHEN AUS DER
GEMEINDE
INTERVIEW MIT AUGUSTE GESSEL
Interview mit Auguste Gessel vom 22.03.2016 in ihrer
RK: Die Böhmkenstraße wurde während des 2. Welt-
Wohnung in Hamburg Wilhelmsburg. Das Interview
krieges ausgebombt.
führte Reinhold Krause.
AG: Als die Böhmkenstraße ausgebombt wurde, war ich
nicht hier, denn ich musste mein Pflichtjahr nach der
RK: Schwester Gessel, Sie sind hier in Hamburg ge-
Schule ableisten.
boren?
AG: Ich bin direkt hier auf der Veddel geboren. Wo ich
RK: Darf ich einmal nachfragen: Was war das Pflicht-
jetzt lebe ist Wilhelmsburg. Mein Vater war ein sehr fa-
jahr?
natischer Hamburger. Und Wilhelmsburg gehörte zu
AG: Wir mussten ein Haushaltsjahr ableisten. Das war
Preußen. Die Veddel gehörte aber zu Hamburg. Und
Pflicht, wenn man aus der Schule kam. Dieses habe ich
darum ist mein Vater nicht von der Veddel wegge-
in Siloah, dem späteren Albertinen-Diakoniewerk, im
gangen.
Mutterhaus abgeleistet. Danach bin ich nach Hause zu
Auf der Veddel haben meine Eltern und wir Kinder ge-
meinen Eltern gekommen. Darauf bestimmte meine
wohnt und wir Kinder sind in die Sonntagsschule nach
Mutter, dass ich etwas arbeiten müsse. Und so bin ich in
Rothenburgsort über die Elbbrücken zu Fuß gegangen.
das Erholungsheim von Siloah nach Bad Pyrmont gekommen und habe dort ca. 2 ½ Jahre gearbeitet. Und
RK: Wie hieß Ihr Vater?
weil ich Heimweh hatte, musste ich unbedingt wieder
AG: Carl Schütte. Carl mit C.
nach Hamburg zurückkehren.
RK: Gehört Ihr Vater zur Gemeinde Rothenburg?
RK: Und wie war Ihr weiterer Lebensweg?
AG: Nein, er gehörte zur Böhmkenstraße.
AG: Dann folgte der Arbeitsdienst. Meine Freundin und
ich wussten zuerst nicht, was wir als Beruf lernen
RK: Gehörte die ganze Familie zur Böhmkenstraße?
wollten. Zunächst dachten wir auch an eine Kranken-
AG: Ja, meine Mutter auch. Beide Eltern gehörten zur
schwesterausbildung. Aber zu Kriegszeiten konnte
Böhmkenstraße.
man auch nicht alles einfach lernen.
So meinten die Krankenschwestern von Siloah, dass wir
RK: Und Sie sind auch in der Böhmkenstraße getauft
erst einmal zum Arbeitsdienst gehen sollten.
worden?
AG: Ich bin in der Böhmkenstraße im Jahr 1939, als ich
RK: Und was haben Sie nach dem Arbeitsdienst ge-
aus der Schule kam, von Pastor Stahl, zusammen mit
macht?
Harald und Liselotte Becker, getauft worden. Mit Ger-
AG: Zu einer Krankenschwesternausbildung ist es bei
hard Voss bin ich damals in die Jugend gegangen.
mir nicht gekommen. Meine Freundin, die nicht zur Gemeinde gehörte, konnte eine Ausbildung zur Krankenschwester machen. Meine Mutter hat mich dann in der
Kinderpflegerinnenschule angemeldet.
42
INTERVIEW MIT AUGUSTE GESSEL
RK: Gehörte diese Kinderpflegerinnenschule zu Alber-
AG: Dann musste ich ein Anerkennungsjahr machen.
tinen?
AG: Nein. Dies war eine Ausbildung zur Pflege der
RK: Wo haben Sie dieses Anerkennungsjahr abge-
kleinen Kinder, keine Erzieherinnenausbildung. Die
leistet?
Schule lag damals in der Feldbrunnenstraße. Die Aus-
AG: In verschiedenen Familien. Aber die haben mich
bildung dauerte, soweit ich mich erinnere, zwei Jahre.
ausgenutzt. Und dadurch habe ich kein Anerkennungsjahr anerkannt bekommen. Ich musste die Kohle heran-
RK: Wissen Sie noch, wann dies war?
schleppen und den Hühnerstall ausmisten, wie auch
AG: Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass vor
den Rasen mähen. Danach hatte ich nichts mit den Kin-
dem Prüfungstag in der Nacht davor die Schule ausge-
dern in den Familien zu tun. Und das sollte mein Aner-
bombt wurde.
kennungsjahr sein! Da habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich auf keinen Fall in diese Familien
RK: Glücklicherweise waren Sie zu diesem Zeitpunkt
zurückkehren wolle. Ich musste sogar in einer Familie,
nicht in der Schule!
in der Nähe von Poppenbüttel, meine Brotmarken ab-
AG: Ja, wir haben nicht in der Schule, sondern zu Hause
geben. Aufgrund dieses unglücklichen Jahres bin ich
gewohnt. Da unsere Lehrerinnen alle überlebt hatten,
Kinderpflegerin ohne Anerkennungsjahr. In der Folge-
wurde die Prüfung in die Erzieherinnenschule verlegt.
zeit habe ich hier in Wilhelmsburg in der Krippe gearbeitet. Dort habe ich in einem Buch über mich lesen
RK: Und nach der Ausbildung, was haben Sie dann
müssen: Kinderpflegerin ohne Anerkennung!
weiter erlebt?
INTERVIEW MIT AUGUSTE GESSEL
43
RK: Das ist wirklich eine große Ungerechtigkeit ge-
Kind nach Hause genommen und eine Nähmaschine
wesen …
gekauft, um in Heimarbeit die Kleider zu nähen. End-
AG: Ja, nur weil man mich so ausgenutzt hat.
lich war mein Sohn Uwe wieder bei mir.
RK: Seit 1939 gehörten Sie zur Gemeinde Böhm-
RK: Das war für Sie und Ihr Kind sicher die beste Lö-
kenstraße. Wo sind Sie nach dem Krieg zur Gemeinde
sung. Und wie lange waren Sie dann noch in der Heim-
gegangen? Da gab es die Böhmkenstraße nicht mehr.
arbeit tätig?
AG: Dann bin ich nur noch in die Gemeinde Grindel-
AG: Bis meine Tochter Marlies kam. Den Termin erin-
allee gegangen. Da ich kein Anerkennungsjahr aner-
nere ich z. Zt. nicht mehr. Auf jeden Fall hatte ich meine
kannt bekommen habe, musste ich in einer Fabrik mein
Kinder bei mir. In dieser Zeit wohnten wir noch bei
Geld verdienen. Dort habe ich meinen Mann kennenge-
meinen Eltern in der Harburger Chaussee. Bald starb
lernt.
meine Mutter, darauf auch mein Vater. Dann starb auch
Tante Hannchen. Schließlich war es dann meine Woh-
RK: Darf ich fragen, was das für eine Fabrik war, in der
nung mit drei Zimmern. Als die Kinder etwas größer
Sie Ihren Mann getroffen haben?
wurden, bin ich wieder zur Arbeit gegangen.
AG: Das war eine Schiffsblockfabrik, hier in der Veddel.
Aber dann habe ich die Wohnung doch getauscht, weil
das Arbeitsamt auf meine Anfrage, ob sie mir eine neue
RK: Was haben Sie da für eine Tätigkeit ausgeübt?
Arbeit vermitteln könnten, zwar keine Arbeit für mich
AG: Ich wurde an den Bohr- und Fräsmaschinen ange-
hatten, stattdessen aber einen Hausmeister suchten. So
lernt. Doch irgendwann mochte ich diese Tätigkeit
teilte ich dem Arbeitsamt mit, das dies ja eine Tätigkeit
nicht mehr ausüben und habe die Büros in der Fabrik
für meinen Mann sein könnte. So haben wir die Drei-
gereinigt. Und dort habe ich meinen Mann kennenge-
zimmerwohnung meiner Eltern gegen eine Dreizim-
lernt. Schließlich haben wir bei meinen Eltern zuhause
merwohnung im Arbeitsamt getauscht, wo wir eine län-
geheiratet, im Sinne einer Haustrauung.
gere Zeit gewohnt haben. Wie lange wir dort gewohnt
haben, kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich glaube,
RK: Wurden Sie von Pastor Heeren getraut?
als meine Tochter Marlies zur Schule kam, gingen meine
AG: Ich glaube ja. Es muss im Jahr 1952 gewesen sein.
Kinder und ich weg von meinem Mann, weil ich seine
Gewalttätigkeit nicht mehr ertragen konnte. So stand
RK: Gehörte Ihr Mann auch zur Gemeinde?
ich mit meinen Kindern schließlich allein mit unseren
AG: Nein, er gehörte nicht zur Gemeinde. In der Zeit, als
Koffern auf der Straße.
ich jung verheiratet war, bin ich kaum zur Gemeinde gegangen. Mein Mann stand sehr unter dem Einfluss
RK: Wann war das zeitlich gesehen?
seiner Mutter, was sich sehr negativ auf unsere Bezie-
AG. Marlies war gerade zur Schule gekommen, als sie
hung auswirkte. Wir haben uns später scheiden lassen.
sieben Jahre alt war, so um 1974. Zuerst kam ich bei
meinem Bruder Gerhard mit meinen Kindern unter.
RK: Wie ging es dann weiter?
AG: Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation
RK: War dies Gerhard Schütte?
musste ich vorübergehend mein Kind zur Schwägerin
AG: Ja , Gerhard Schütte, mein jüngster Bruder.
nach Alsterdorf geben, um in der Kleiderfabrik, in der
Caffermacherreihe, am Band Kleider zu nähen. Abends
RK: Wie sind denn Günter Schütte mit Ihnen ver-
bin ich nach Hause gekommen und habe geweint, weil
wandt?
mein Baby nicht da war. Ich habe fast jeden Abend ge-
AG: Der Vater von Günter Schütte, Willi Schütte, ist
weint, wenn ich abends allein war. Schließlich hat mein
mein Cousin. Dessen Vater war meines Vaters Vater, der
Mann dann eine Taxe bestellt, um unser Kind aus Als-
in Sasel wohnte. Warum mein Vater ausgerechnet auf
terdorf wieder abzuholen, nachdem wir schon ein paar
der Veddel wohnte, während die übrige Verwandtschaft
Wochen voneinander getrennt waren. Wir haben unser
in Sasel wohnte, kann ich nicht beantworten.
44
INTERVIEW MIT AUGUSTE GESSEL
RK: Wie ging es dann weiter?
RK: Inge Schütte war eine sehr liebe und freundliche
AG: Nachdem ich bei meinem Bruder ausgezogen war,
Frau, die ich in ganz besonderer Erinnerung habe.
suchte ich eine Arbeit über die Zeitung und fand eine
AG: Und schließlich kam Marlies aus der Schule, die
Anzeige, in der ein Witwer mit einer Dreizimmerwoh-
auch etwas lernen sollte. Sie habe ich zur Handelsschule
nung eine Haushälterin suchte. Dort haben wir nur für
geschickt, die sie nach drei Jahren erfolgreich abge-
ein Jahr gewohnt, weil dieser Mann sich meinen Kin-
schlossen hat. Anschließend ist sie beruflich bei der Go-
dern gegenüber schlecht verhielt. Daraufhin bin ich zu
thaer Versicherung tätig gewesen.
dem früheren Wohnungsverwalter meiner Eltern in der
Harburger Chaussee 33 gegangen und habe ihm meine
RK: Sie sind immer Mitglied in unserer Gemeinde ge-
Geschichte erzählt. Dieser hatte zuerst eine Zweizim-
wesen, zuerst in der Böhmkenstraße und anschließend
merwohnung im vierten und dann eine Dreizimmer-
in der Grindelallee. Bis vor kurzem sind Sie noch zur Bi-
wohnung in der zweiten Etage für mich und meine
belstunde gekommen, was aus gesundheitlichen
Kinder. Für eine längere Zeit haben wir dort gelebt, wo
Gründen jetzt nicht mehr möglich ist.
ich schon früher zuvor mit meinen Eltern gewohnt
AG: Ich kann selbst hier in der Wohnung mich nur noch
habe. In dieser Zeit ging mein Sohn Uwe in die Real-
mit dem Gehwagen bewegen. Dreimal bin ich schon ge-
schule und wollte auch noch Geld mit Zeitungsaus-
fallen und mein Nachbar von gegenüber musste mir
tragen verdienen. Da habe ich zu ihm gesagt, dass ich das
aufhelfen. Nun ist er selber so krank und kann mir nicht
Geld verdienen müsse und er doch lieber seine Schular-
helfen. Jetzt habe ich einen Alarmknopf an meinem
beiten machen sollte. Und ich erinnere mich noch mit
Handgelenk. Zuletzt bin noch einmal in meiner
großer Freude daran, dass ich von der Schulbehörde
Schlafstube gefallen und musste feststellen, dass ich
einen Brief bekommen habe, indem bestätigt wurde,
mich selbst nicht hochziehen kann. Zum Glück lag mein
dass Uwe die Aufnahmeprüfung für die Realschule be-
Telefon auf dem Tisch und so habe ich meinen Sohn
standen hat.
Uwe angerufen, der schnell mit dem Auto aus Kirchdorf
gekommen ist und mir aufgeholfen hat.
RK: Was hat ihr Sohn gelernt?
AG: Industriekaufmann bei der Firma Merkel in Wil-
RK: Ja, bitte unbedingt den Gehwagen benutzen, damit
helmsburg. Nachdem er ausgelernt hatte, kam er in die
Sie nicht wieder fallen! Darf ich zum Schluss noch eine
englische Filiale von Merkel nach Halite. Dort war er bis
Frage stellen? Was bedeutet für Sie Heimat? Sie
zum Jahr 2015 Geschäftsführer. Da hat er großes Glück
wohnten in Ihrem Leben überwiegend in Hamburg.
gehabt.
AG: Ja, die Veddel ist meine Heimat und wir sind sonntags in die Sonntagsschule nach Rothenburgsort über
RK: Und wie sind Sie dann wieder zur Gemeinde Grin-
die Elbbrücken gegangen. Geleitet hat die Sonntags-
delallee gekommen?
schule Onkel Matthies. Auch den Gottesdienst hat er
AG: Seit der Zeit, als ich wieder in der Harburger
dort in den gleichen Räumen abgehalten. Meine älteste
Chaussee gewohnt habe. Aber auch in der Zeit, als mein
Schwester ist dort auch getauft worden. Meine Ge-
Sohn noch klein war, bin ich mit ihm in die Grindelallee
meinde ist die Grindelallee.
gekommen. Später habe ich in der Altentagesstätte
immer den Kaffee gekocht, zusammen mit ihrer Mutter,
RK: Liebe Schwester Gessel, danke für das Interview.
Hanna Krause. Mit ihr und mit Inge Schütte habe ich
immer zusammen gesessen. Inge Schütte hat mich nach
( Schwester Gessel ist heute 91 Jahre alt und lebt in einer
dem Gottesdienst immer wieder zum Essen eingeladen,
kleinen, behindertengerechten Wohnung in Wilhelms-
aber ich bin nie zu Inge hinauf in ihre Wohnung zum
burg)
Essen gegangen, was mir nachträglich ganz furchtbar
leid tut. Inge hat mich immer so freundlich eingeladen.
Reinhold Krause
INTERVIEW MIT AUGUSTE GESSEL
45
EINFÜHRUNGSGOTTESDIENST
MIRJAM FUCHS AM 19. JUNI
Am So., den 19. Juni 2016 ist der Einführungsgottesdienst
von Mirjam Fuchs. Obwohl es der dritte Sonntag im Monat
ist – und damit eigentlich ein 11.00 Uhr-Gottesdienst –
wollen wir an diesem Tag den Gottesdienst um 10.00 Uhr
starten! Grund dafür ist das geplante Programm. Als Gemeinde freuen wir uns, dass es nun endlich soweit ist.
Mirjam kommt zu uns und beginnt ihren Dienst in unserer
Gemeinde. Die Einführungspredigt wird Pastorin Andrea
Kallweit-Bensel, Dozentin für Psychologie und Seelsorge
an der Biblisch-Theologischen Akademie Wiedenest halten.
Im Gottesdienst haben alle Gemeindegruppen die Möglichkeit, sich mit einem Beitrag Mirjam vorzustellen. Im Anschluss an den Gottesdienst werden wir miteinander essen
und feiern. Herzliche Einladung!
TAUFE
AM
3. JULI
Herzliche Einladung zum Taufgottesdienst am So., den
03.Juli 2016. Taufgottesdienste sind ein besonderes Erlebnis – für die Täuflinge, aber auch für und als Gemeinde. Dem Taufgottesdienst vorweg gehen drei Informationsabende zum Thema. Im Mai und Juni
werden diese Abende im QUO VADIS unter der Leitung von Pastor Frank-Eric Müller durchgeführt. Wer
zum Thema Taufe Fragen hat, sich mit der eigenen Taufe
beschäftigt oder einfach nur mal ins Thema reinschnuppern will, der ist dazu herzlich willkommen. Wenn Dich
der Gedanke an eine Taufe in unserer Gemeinde beschäftigt, dann suche doch bitte das Gespräch mit Pastor
Müller.
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VORSCHAU
SOMMERFEST
10. JULI
10 UHR
Sommerfest. Wie im vergangenen Jahr werden wir auch
in 2016 ein Sommerfest feiern. Am Sonntag, den 10. Juli
starten wir um 10 Uhr mit einem Familiengottesdienst.
Zurzeit arbeiten wir an dem Thema. Zusammen mit der
Koreanischen Gemeinde wollen wir diesen Tag verbringen. Eingeladen sind aber auch alle Eltern und
Kinder von Drin & Draußen. Dieser Tag ist gleichzeitig
der Abschluss von Drin&Draußen vor der Sommer-
pause. Eingeladen ist natürlich auch die SMD-Gruppe,
die sich regelmäßig in unseren Räumen trifft. Nach dem
Gottesdienst stehen wieder Aktionen, Spiele, gemeinsames Mittagessen und Überraschungen auf dem Programm.
Alle diese drei besonderen Veranstaltungen sind sehr
gute Gelegenheiten, Nachbarn, Freunde und Bekannte
einzuladen und mitzubringen. Ergreife die Gelegenheit
beim Schopf und lade jetzt schon dafür ein.
VORSCHAU
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Heimat ist der Ort,
wo ich ich sein kann.
Merle Lungfiel
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IMPRESSUM
Schwedenfreizeit
Sommer 2016 – 21.-29.08.
Du hast Lust, Dich im Sommer zu entspannen,
willst aber nicht zuhause abhängen, denn dort
kennst du eh schon alles?
Dann stell Dir mal Folgendes vor: Strahlend blauer
Himmel, saftig grüne Wiesen und Du mittendrin!
Ein typisch niedliches Holzhaus in Schweden, direkt am See mitten im Småland, dem Pipi-Langstrumpf-Land. Da wollen wir hin, und du kommst
mit!
TERMIN: 21.–29. AUGUST 2016
KOSTEN: ~ 200 €
ANREISE:
LOS GEHT ES GEMEINSAM IN DER
GRINDELALLEE
Du bist Dir unsicher, weil Du keine Leute kennst?
Kein Problem, hinterher kennst Du sie ;-).
Die Freizeit ist dafür da, dass wir unsere neue Mitarbeiterin für die junge Gemeinde, Mirjam Fuchs,
kennenlernen und uns auch gegenseitig. Das heißt,
die Gruppe ist komplett neu gemischt und es gibt
keine alten Hasen, die aufeinander hocken und vor
denen man sich scheuen müsste. Das heißt, es gibt
keinen Grund für Dich, nicht mitzukommen :-).
Falls Du Fragen zur Freizeit hast, kannst du Dich
gern bei Franzi oder Frank-Eric melden:
[email protected] oder
[email protected]
Bitte melde Dich bis spätestens 15.07.2016 bei
Franzi oder Frank-Eric an.
Wir freuen uns auf Dich!
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AUSBLICK
DIE NÄCHSTE
AUSGABE ERSCHEINT
IM SEPTEMBER MIT DEM
THEMA BEZIEHUNGEN
Das nächste ONCKEN MAGAZIN steht unter dem
Butter und Brot - eine wunderbar ephemere Beziehung.
Thema Beziehungen. Du bist eingeladen, Artikel, Texte,
Walter Fürst, Schweizer Aphoristiker
Gedanken, Fotos o.ä. dazu beizutragen.
Damit Deine Phantasie dazu beflügelt wird, haben wir
Leben ist die dauernde Anpassung innerer Beziehung
hier einige Zitate mehr oder weniger bekannter Persön-
an äußere.
lichkeiten aufgelistet. Vielleicht helfen sie Dir bei der
Herbert Spencer, englischer Philosoph und Soziologe
Ideenfindung.
Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der
Religion ist persönliche Beziehung zu Gott. Sie ist un-
31.07.2016
bedingte Gegenwart.
Paul Anton de Lagarde, deutscher Orientalist und Kulturphilosoph
Eine Beziehung wird vorwärts gelebt und rückwärts
verstanden.
Nicht die sexuelle Beziehung ist Grundlage für die
Kenneth Branagh, brit. Schauspieler
Liebe, sondern die Liebe ist Grundlage für die sexuelle
Beziehung.
In einer Beziehung kommt es nicht nur darauf an, auf
Phil Bormanns, belgischer Ordenspriester und Schriftsteller
das gleiche Ziel zuzugehen, sondern auch auf die aufeinander abgestimmte Geschwindigkeit.
Rum und Ruhm - auch eine Kain & Abel-Beziehung.
Maximilian Hofbauer
Martin Gerhard Reisenberg, Diplom-Bibliothekar und Autor
In einer Beziehung ist es hilfreich, eine Beziehung zur
Eine Beziehung ist ein Geben und Nehmen, nicht ein
Beziehung zu haben.
Geben und Hinnehmen.
Andrea Mira Meneghin, Hausfrau aus Basel
Heiko Noack, Dichter
Eine Beziehung, die kriselt, ist ein Wackelkontakt.
In den fetten Jahren ist unsere Beziehung zu Gott eine
Klaus Klares, deutscher Verleger
sehr flüchtige.
Pavel Kosorin, tschechischer Schriftsteller und Aphoristiker
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AUSBLICK
27. – 31. Juli 2016
Otterndorf
HEIMATGEBER
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Sommer · Sonne · Sand · Mehr
Meine HEIMATGEBER
Auf www.buju.de/heimatcode den
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eigenen Heimatcode erstellen!
BUJU 2016
27. - 31.7. 2016
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Bundesjugendtreffen des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.
Veranstalter: Gemeindejugendwerk · 14641 Wustermark
www.gjw.de · www.buju.de
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