Ein Garten wie eine zart klingende

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Ein Garten wie eine
zart klingende
MELODIE
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FOTOS: BENEDIKT DITTLI
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Das Lenzburg-Beet: Mit Blüten von Salvia nemorosa ‘Caradonna’, Kalimeris und Päonien (im Vordergrund).
Tiermediziner sind sie beide.
Doch während Sabina Meyers Liebe
vor allem den Blumen gilt, spürt
Adrian Meyer in ihrem Garten im
aargauischen Hägglingen den
Tieren nach. Neue Impulse für
die Entwicklung der Pflanzenbilder
gab die Begegnung mit der
Gartengestalterin Anne Forster.
Vo n Ca r m en Ho c ker
Auf dem Tisch liegt ein Buch, aus dem Notizzettel quellen:
«Gärtnern mit alten Rosen» des britischen Rosenzüchters
John Scarman. Die Lektüre dieses Buches weckte bei Sabina
Meyer das Interesse an historischen Duftrosen. Und nachdem
sie den Wochenendkurs «English gardening» im südbadischen Landhaus Ettenbühl besucht hatte, wollte sie in ihrem
Garten vor allem eins haben: Rosen. Keine staksigen Edelrosen in Monokultur, sondern buschig wachsende, einmal
blühende Rosen, inmitten mehrjähriger Stauden: «Ich mag
wilde Gärten, keine gepützelten.»
Adrian Meyers Augenmerk gilt der Blumenwiese, die sich
über weite Teile des 2000 m2 grossen Gartens erstreckt. Er
interessiert sich weniger für Rosen als für alles, was kreucht
und fleucht. Wenn Sabina ihren Mann sucht, schaut sie zuerst
nach, ob er mit seiner Kamera in der Blumenwiese robbt. In
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Eine schöne Kombination: Prärielilien und Wiesen-Salbei in der Frühlingswiese.
Gewöhnliche Prärielilie Camassia cusickii.
Der Milchstern Ornithogalum umbellatum kommt wild in der Wiese vor.
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«Wir mögen wilde Gärten»: Adrian und Sabina Meyer.
Prärielilien und Narzissen blühen im Frühling in der grossen
Blumenwiese zusammen mit Wiesen-Salbei und anderen Wildblumen.
dreizehn Jahren hat er über 500 einheimische Wildtiere im
Garten fotografiert: von Schmetterlingen über Wildbienen
bis zu Reptilien und Vögeln. «Sie ist die Pflanzenfrau, ich bin
der Tiermann», sagt er und zählt sogleich auf, welche Tierarten er bereits dokumentiert hat. Unter anderem die seltene
Weisse Turmschnecke Zebrina detrita, auch Märzenschnecke
genannt. Sie kommt im Schweizer Mittelland nur an wenigen,
trockenen Standorten vor. Auf der Rückseite des Hauses, an
einer sandigen Böschung, summen in der Frühlingswiese
Hunderte Wildbienen wie die Graue Sandbiene Andrena cineraria und die Gemeine Pelzbiene Anthophora plumipes.
Bodennistende Wildbienen brauchen eine dicke Sandschicht,
in die sie ihre Nisthöhlen bauen können. Je höher die Schicht
ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, unterschiedliche
Arten anzuziehen. Manche Wildbienen bohren ihre Höhlen
bis zu 40 cm tief in den Boden.
MAGERE WIESE MIT REICHER FLORA
Schon immer war es Sabina Meyers Traum gewesen, ein Haus
mit grossem Umschwung zu haben. Auf einem Spaziergang
mit ihrem Hund entdeckten sie das Wiesenstück am Rande
des Dorfes. Wie einzigartig der Standort in Bezug auf Flora
und Fauna ist, kristallisierte sich nach und nach heraus. Als
sie die Wiese, auf der früher Schafe weideten, im ersten Frühjahr einfach wachsen liessen, wurden sie mit einer Vielfalt
an einheimischen Wiesenblumen belohnt: Inmitten der Gräser zeigten sich die Blüten von Milchstern Ornithogalum
umbellatum, Wiesenschaumkraut Cardamine pratensis,
Feld-Witwenblume Knautia arvensis, Wiesen-Margerite
Leucanthemum vulgare, Wiesen-Flockenblume Centaurea
jacea, Tauben-Skabiose Scabiosa columbaria, Wiesen-Sal-
Duftende Narzissen Narcissus poeticus var. recurvus.
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Die Gärtnerin und die Gestalterin.
Schattierungen von Weiss über Rosa bis hin zu Blau
mögen beide Gartenfrauen gern.
bei Salvia pratense und Natternkopf Echium vulgare. Ein
Bild von einer romantischen Blumenwiese, wie es sich viele
Gartenfreunde wünschen. Doch so gute Voraussetzungen wie
auf dem sandigen Grundstück von Familie Meyer gibt es selten. Meist ist der Boden zu nährstoffreich, sodass gepflanzte Wildblumen wie Wiesen-Salbei wieder verschwinden oder
im Falle einer Aussaat erst gar nicht keimen.
IDEEN IM EINKLANG
Drei Jahre liegt die erste Begegnung zwischen Sabina Meyer
und Anne Forster zurück. Das «Bioterra»-Porträt «Mit Chopin
im Garten» über den Privatgarten der Gestalterin hatte damals Sabinas Aufmerksamkeit auf sich gezogen. «Was für
ein schöner Garten – und was für eine interessante Frau»,
dachte sich die Musikliebhaberin und meldete sich sogleich
Leichtes Schweben – verblühte Allium-Kugeln.
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für den Kurs «Ein blaues Wunder» an. Kurz darauf lud sie
Anne Forster in ihren Garten ein. Denn der Kurs hatte in ihr
den Wunsch geweckt, die Beete lockerer und luftiger zu gestalten. In einem ersten Rosenrausch hatte sie die Pflanzen
etwas zu dicht gesetzt, es fehlte an Abwechslung und Struktur. Anne Forster erinnert sich, dass sie bei ihrem ersten
Besuch von der Lage und Topografie des Gartens beeindruckt
war. Auf der einen Seite die Weitsicht mit Blick auf Lenzburg,
Felder und Berge und innerhalb des Gartens ein Terrain, auf
dem sich Ebenen mit leichten Hängen abwechseln. Kaum ein
Gestalter könnte die Landschaft so sanft und harmonisch
modellieren wie die Natur selbst. Von Anfang an verstanden
sich die beiden Frauen gut, ihre Vorstellungen von Gestaltung, Farben und Formen harmonierten. Als Sabina ihr sagte, dass sie Rot und Gelb nicht mag, antwortete Anne nur:
«Das musst Du mir nicht zweimal sagen. Meine Lieblingsfarbe ist Blau».
PFLANZENBILDER VERFEINERN
Noch im selben Jahr nahmen die beiden erste Projekte in Angriff. Da war zunächst das «Lenzburg-Beet» entlang der Böschung am Feldweg, in dem Sträucher und Rosen zu üppig
geworden waren und die Stauden aufgrund der vielen Wurzelunkräuter kümmerten. Nachdem alle Pflanzen ausgegraben worden waren, suchte man eine Lösung für ein ebenes
Beet. Mit Felsbrocken, die bei einer Bachumgestaltung in der
Nachbargemeinde angefallen waren, wurde eine Stützmauer
gebaut. So konnte die Erde tiefgründig ausgetauscht werden.
Normalerweise ist es Anne Forster ein Anliegen, mit den
Standortgegebenheiten zu arbeiten. «Manchmal ist es aber
ratsam, in eine Bodenerneuerung zu investieren, um langfristig Ruhe und Freude zu haben», erklärt die Gartengestalterin diese Massnahme. Zumal wenn der Garten biologisch,
ohne Einsatz jeglicher Spritzmittel gepflegt werden soll.
Bestehende Sträucher wie Flieder und Magnolie wurden in
FOTOS: BENEDIKT DITTLI
Ein Platz zum Geniessen und Sein: In Gesellschaft mit Rosen, Storchschabel und Wiesenblumen.
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AUS ADRIAN MEYERS FOTOARBEIT:
Senf-Weissling Leptidea sinapis.
Graue Sandbiene Andrena cineraria.
Hauhechel-Bläuling Polyommatus icarus.
Innerhalb der letzten fünf Jahre hat Adrian Meyer 33 Tagfalter
und 235 Nachtfalter im eigenen Garten entdeckt.
die Pflanzung integriert, vorhandene Stauden neu gruppiert
und ergänzt. Rückblickend bezeichnet sich Sabina als Pflanzensammlerin, die vor allem in kleinen Spezialitätengärtnereien den vielen Versuchungen nur schwer widerstehen konnte. Warum sich auf eine Iris-Sorte beschränken, wenn es doch
so viele Schönheiten gibt? Doch im Gegensatz zu einem botanischen Garten, bei dem im Vordergrund steht, die pflanzliche Vielfalt anschaulich zu dokumentieren, lebt die Ästhetik eines Privatgartens von Struktur, von einer Melodie, die
durch ihren Rhythmus akzentuiert wird. Sabina liebt nicht
nur zarte Töne, sondern auch filigrane Blüten und Blätter.
Anne Forster griff diesen Wunsch auf, setzte aber bewusst
Kontrapunkte mit markanten Stauden wie der Iris germanica ‘Hello Darkness’, deren violettschwarze Blüten wie grosse
Tupfer durchs Beet tanzen. Nach der Blüte sorgt das lanzettenförmige Laub noch monatelang für Struktur im Beet. Auch
die kugelförmigen Laubbüsche der Pfingstrosen und der
aufstrebende Habitus von Eisenhut Aconitum carmichaelii
‘Arendsii’ und Ziersalbei Salvia nemorosa ‘Caradonna’ setzen Akzente. Ganz in der Tradition des britischen Mixed
Border liegen dazwischen verbindende Inseln niedrig wach-
Rasenweg durchs wild-romantische Blühen.
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sender Duftstauden wie Phlox divaricata ‘Clouds of Perfume’. Am Rande der Blumenwiese, unter den Gehölzen, breiten
sich teppichartige Pflanzungen der niedrigen Zwiebelblüher
Krokus Crocus etruscus ‘Zwanenburg’, Blausternchen Scilla siberica ‘Alba’, Frühlingsstern Ipheion und Hasenglöckchen Hyacinthoides non-scripta aus. Eine Neuentdeckung
für Sabina waren Stauden-Clematis, die Anne Forster schon
im Chopin-Garten zahlreich pflanzte: «Diese Clematis-Art
könnte auch mein Herz erobern», sagt sie. Die sommerliche
Blüte der Sorte ‘Star River’ löst jene der einmal blühenden,
historischen Rosen ab und ihr üppiges, gesundes Laub strukturiert das Beet.
«NATURALISED», WÜRDEN DIE ENGLÄNDER SAGEN
Adrian Meyers Steckenpferd ist die Beobachtung und systematische Erfassung von Schmetterlingen. Innerhalb der
letzten sieben Jahre hat er 33 Tagfalter und 235 Nachtfalter
im eigenen Garten entdeckt. Kein Wunder, dass ihm die
Blumenwiese besonders am Herzen liegt. Schon manchen
Schmetterling hat er auf den Blumen und Blättern fotografiert. Im Garten soll eine reiche Flora blühen, die vielen Insekten und anderen Tieren Lebensraum und Nahrung bietet.
Zusammen mit Anne Forster tüftelte Sabina daran, wie man
den Frühlingsaspekt der Blumenwiese verschönern könnte.
Dichternarzissen wurden ergänzt und hellblau blühende
Prärielilien neu gesetzt. Anne Forsters Gestaltungsphilosophie ist, sich auf wenige Arten und Sorten zu konzentrieren
und davon grössere Mengen zu pflanzen, gerade auf grösseren Flächen. Durch die Wiederholung erhält die Pflanzung
einen ungekünstelten Charakter, der an natürlich vorkommende Blütenfelder erinnert. In einer ersten Gemeinschaftsaktion wurden 500 Prärielilienzwiebeln gesetzt. Da das Resultat so umwerfend war, wollte Sabina Meyer die Idee
fortführen und noch ein weiteres Stück der Blumenwiese mit
Prärielilien durchwirken. Im vergangenen Herbst lieferte ein
Camion nochmals 1000 Stück, die bei milden Temperaturen
leichter in die Erde gebracht werden konnten als bei der ersten Pflanzung. Nun sind alle gespannt, wie die Blumenwiese
und der Garten sich weiterentwickeln werden. «Ein Garten
ist kein Bild, das immer so bleibt», weiss Anne Forster. Weil
die Natur dynamisch ist, aber auch, weil Sabina noch so viele Gedanken im Kopf herumschwirren.
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ANNE FORSTER
Über die Blumenwiese
Es war Sabinas Idee, die Blumenwiese
mit mehreren Rasenwegen zu
durchziehen. Als gestalterisches
Element, aber auch aus praktischen
Gründen, um verschiedene Orte im
Garten miteinander zu verbinden.
Obwohl das Mähen Adrians Sache ist,
lässt es sich Sabina nicht nehmen, diese Wege im Frühling jedes Jahr neu zu
definieren. Schwungvoll zieht sie die
Bahnen, die anschliessend zwei- bis
dreimal im Sommer gemäht werden.
In diesen Bereichen haben wir bewusst
keine Blumenzwiebeln gesetzt. Adrian
beginnt mit der Mahd der Blumenwiese Ende Juni, da bis dahin alle
Blumen Zeit hatten, sich zu versamen.
Und er mäht blockweise, damit die
Tiere weiterwandern können.
Für den Frühlingsaspekt habe ich
zwei Zwiebelblüher ausgewählt: die
einheimische Dichternarzisse
Narcissus poeticus var. recurvus,
die in kleinen Gruppen bereits
vorhanden war, und die Prärielilie
Camassia cusickii. Ihre hellblauen
Blüten heben sich besonders schön
von den gleichzeitig blühenden,
dunkelblauen Ähren des Wiesen-Salbeis ab.
Über die Pflanzung
Die Zwiebeln der Prärielilie sind mit
etwa 17 cm sehr gross. Ihre Pflanzung
kommt deshalb einem Kraftakt gleich,
zumal wenn man 500 oder wie im
letzten Herbst gar 1000 Stück setzt.
Wir haben mit dem Spaten quadratische Rasenstücke an drei Seiten
ausgestochen und aufgeklappt.
Anschliessend muss Erde entfernt
werden, da man später sonst eine
Hügelwiese hätte. Zu den Zwiebeln
gibt man etwas Kompost, klappt das
Rasenstück wieder zu und drückt es
leicht an. Auf eine – meist empfohlene
– Nachdüngung haben wir verzichtet,
da die Wiese mager bleiben soll, um
deren natürliche Vielfalt zu erhalten.
Beide Zwiebelblüher werden von
Bienen als Pollenspender angeflogen.
Zu Pfauenauge-Narzisse
Narcissus poeticus var. recurvus
Eine Varietät der Weissen Narzisse,
ursprünglich südwesteuropäisch,
blüht zerstreut in Schweizer Wiesen.
Sie bildet den Schluss des NarzissenReigens und blüht bis weit in den Mai
hinein. Die leicht zurückgebogenen,
FOTOS: BENEDIKT DITTLI, GARTENPLAN: ANNE FORSTER
weissen Blütenblätter stehen um eine
grünlich-gelbe Trompete mit leuchtend rotem Rand. Die duftende
Dichternarzisse braucht etwas Zeit,
um sich zu etablieren. Höhe: 30 cm.
Zu Prärielilie Camassia cusickii
Die Gewöhnliche Prärielilie ist eine
hellblaue Camassia-Art. Ein Zwiebelgewächs, das sich besonders zur
Ansiedlung und Verwilderung in
Blumenwiesen eignet. Prärielilien
bilden üppiges Laub, das Zeit zum
Einziehen benötigt. Während diese
Phase in einem Staudenbeet unschön
anzusehen wäre, fällt sie in einer
Blumenwiese kaum auf. Höhe: 60 cm,
auch als Schnittblume geeignet.
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