Finanzpsychologie: Wie gewonnen, so zerronnen Wie die eigene Psyche private Anleger teuer zu stehen kommen kann Stefan Arn Das Ehepaar Felber möchte einen Hauskauf tätigen und spart fleissig. Die Medien berichten von Höhenflügen der Börsen und weil die Felbers die Chance auf einen früheren Hauskauf sehen, legen sie einen guten Teil des Ersparten an der Börse an. Die Kurse brechen sechs Monate später ein, das Ehepaar verliert viel Geld. Bei Anlageüberlegungen verhindern systematische Urteilsfehler oft rationale Entscheide. Dieser Artikel widmet sich einigen Erklärungsansätzen der Finanzpsychologie und leitet daraus Konsequenzen ab, damit es privaten Anlegern nicht wie dem Ehepaar Felber ergehen muss. c Die Börsen – unberechenbare Systeme in einer beschleunigten Welt Subprimekrise, Bankenkrise, Staatsschuldenkrise: Seit 2007 kommen Anleger kaum zur Ruhe, Rendite lässt sich bei vertretbarem Risiko zunehmend schwerer erzielen. Mit jedem Einbruch der Börse lösen sich Milliardenvermögen binnen kurzer Zeit auf. Dies schmerzt private Anleger besonders. Oft werden sie dabei Opfer systematischer Urteilsfehler, derer sie sich zudem nicht bewusst sind. Heuristiken – nützliche Helferlein in Alltagssituationen Heuristiken sind Entscheidungshilfen in komplexen Entscheidungssituationen unter Zeitdruck. Werden nicht Fussballinteressierte beispielsweise gefragt, ob in der anstehenden Champions League Saison Manchester United oder der FK Astana besser abschneiden wird, würden die meisten auf Manchester United tippen und damit wohl richtig liegen. Wie kommt es dazu? Das Gehirn prüft mangels gegenwärtig verfügbarer Informationen, ob zum Thema etwas abgelegt ist. Dies wird eher auf Manchester United zutreffen, da diese Mannschaft in den Medien oft genannt wird, eben weil sie auch er- folgreich ist. Die so genannte Verfügbarkeitsheuristik führt wie in diesem Fall häufig zu richtigen Entscheidungen. Da die Börse eigenen Gesetzen gehorcht und als chaotisches System unberechenbar ist, versagen hier Heuristiken meist. Anlageentscheide auf Basis der beschriebenen Verfügbarkeitsheuristik führen selten zu Gewinnen, da der bekannte Erfolg eines Unternehmens bereits im Kurs eingepreist ist. Dessen sind sich viele Anleger nicht bewusst. Oft wird auch von Einzelnachrichten fälschlich auf das Börsengeschehen geschlossen, was mit der Repräsentativheuristik erklärbar ist. Es handelt sich dabei um das Phänomen, dass sich Menschen Dinge oft aus Einzelereignissen, aus einer viel zu geringen Fallzahl also, erklären. Die so genannte Ankerheuristik kann zu Fehlentscheiden führen, weil der Einstandspreis einer Aktie stets als Referenz herangezogen wird. Dieser hat aus Sicht des Börsengeschehens aber keinerlei Bedeutung, ist er doch lediglich ein Punkt zu einer bestimmten Zeit auf einer sich stetig fortzeichnenden Fieberkurve. Und schliesslich beeinflussen momentane Stimmungen Anlageentscheide, es kommt zu Spontankäufen oder -verkäufen. Verantwortlich dafür ist die Affektheuristik. Sie besagt, dass Gefühle Entscheide ganz wesentlich mitbestimmen, ja oft gar dominieren. Diese Beispiele streifen lediglich vier einer ganzen Reihe von Heuristiken. Kirchler (2011) beschreibt diese in seinem Buch "Wirtschaftspsychologie" eingehend. Private Anleger sind schlecht beraten, wenn sie sich bei Anlageentscheiden auf die in Alltagssituationen häufig einwandfrei funktionierenden Heuristiken verlassen. Leider warten aber noch weitere psychologische Fallen systematischer Urteilsfehler auf Anleger. c Systematische Urteilsfehler sind erklärbar, aber schlecht für das Vermögen Der Mensch vermag nur sehr begrenzt Information zu verarbeiten und mit diesen rationale Entscheide zu fällen. Man spricht auch von kognitivem Geiz. So werden bei Anlageentscheiden beispielsweise oft nur Höchstkurse und der aktuelle Kurs herangezogen. Die Psychologie spricht in diesem Fall von der ‚Spitze-Ende-Regel‘. Wegen des ‚Mere Exposure Effekts‘ werden Aktien von Unternehmen gekauft, bloss weil Anleger deren Namen oft gehört haben. Systematische Urteilsfehler können sich aber auch in Wahrnehmungsverzerrungen sich selber betreffend ausdrücken. 93% der Devisenhändler glauben beispielsweise, sie seien überdurchschnittlich erfolgreich. Es ist aber offensichtlich, dass Überdurchschnittlichkeit bloss auf die Hälfte der Händler zutreffen kann. Sie erliegen dem ‚Overconfidence bias‘, dem Hang sich selber zu überschätzen. Man mag über diese Devisenhändler schmunzeln, wie oft aber überschätzen wir uns selber? Besonders trickreich schliesslich ist der ‚Hindsight bias‘. Er lässt Menschen irrtümlich glauben, sie seien mit ihren Prognosen richtig gelegen. Dabei merken sie gar nicht, dass die Erinnerung dem Selbstwert dienend nachträglich angepasst wird. Dadurch wird für künftige Entscheide wichtiges Lernen wesentlich erschwert. Besonders eindringlich mahnt Montier (2010): "Sie haben es nicht die ganze Zeit gewusst, Sie meinten nur, es zu wissen." Heuristiken und systematische Urteilsfehler sind spannende Phänomene. Als besonders lesenswerte und kurzweilig geschriebene Lektüren bieten sich „Schnelles Denken, langsames Denken“ (engl. Thinking, fast and slow) des Wirtschaftsnobelpreis- trägers Kahnemann (2011) oder "Die Psychologie der Börse" des Ökonomen Montier (2010) an. Wie kann nun damit umgegangen werden, damit der Traum vom Geld nicht zum Alptraum wird? Heuristiken und systematische Urteilsfehler kommen in unseren Gehirnen automatisch zustande, also ohne jegliches Zutun von Denkenergie. Voraussetzung für deren Handhabung ist das Bewusstsein über sie. Private Anleger sollten sich beim Fällen von Anlageentscheiden also stets selbstkritisch fragen, inwiefern sie sich von Heuristiken leiten lassen und wo systematische Urteilsfehler am Werk sein könnten. Verhindern lassen sich beide nicht völlig, wohl aber reduzieren. Es ist unterdessen gut belegt, dass bei komplexen Entscheiden Statistik und objektive Kriterien dem intuitiven Urteilsvermögen meist überlegen sind. Da die Börsen eben chaotische Systeme sind, muss die Objektivierung und Systematisierung in Form von Analgestrategien erfolgen. Das dazu notwendige Aneignen und Aktualisieren vom Verständnis der Börsen- und Marktmechanismen sowie die Kenntnis der relevanten Unternehmensinformationen benötigt viel Zeit. Ist eine ausgewogene Anlagestrategie gefunden, können die jeweiligen Anlageentscheide um diese Strategie herum gefällt werden. In diesem Rahmen ist auch wieder Platz für Intuition geschaffen. Es gilt aber stets anzuerkennen, dass die Börsen unberechenbar sind und das Unwissen von Laien und Profis gleichermassen zwangsläufig gross ist. Ich empfehle, dies in der Risikostrategie zu berücksichtigen. Beim Abwägen der individuellen Risikofähigkeit und Risikobereitschaft scheint mir zudem das Bewusstsein sehr wichtig, dass antizipierte und erlebte Verluste zwei ganz unterschiedliche Dinge sind. Letzteres tut nämlich weh und um das auszuhalten, braucht es wohl auch eine gute Portion Abgebrühtheit. Werde ich von Privaten nach meiner Meinung gefragt, ob sie ihr Glück an der Börse suchen sollten, stelle ich ihnen jeweils, frei nach Kostolany, folgende Gegenfrage: „Kannst Du Dir vorstellen, dass das zweitschönste an der Börse sein kann Geld zu verlieren?“ Wenn die Antwort ein ‚Nein‘ ist, oder ich nur mit fragenden Blicken angeschaut werde, rate ich jeweils, sich nicht selber unglücklich zu machen, die Nerven zu schonen und vom Spekulieren abzusehen. Vielleicht wäre das auch das Beste für das Ehepaar Felber gewesen. Nicht jedermann scheint für die Börse geschaffen und das ist doch auch in Ordnung so. Vertiefungsliteratur Brunetti, A. (2012). Wirtschaftskrise ohne Ende? Bern: hep Verlag. Kahnemann, D. (2011). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag. Kirchler, E. (2011). Wirtschaftspsychologie. Göttingen: Hogrefe. Kostolany, A. (2003). Der grosse Kostolany. Berlin: Ullstein Taschenbuch Verlag. Montier, J. (2010). Die Psychologie der Börse. München: FinanzBuch Verlag. Autor: Arn, Stefan Dipl. Betriebswirtschafter HF, MAS Business Psychology und Privatanleger
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