Einführungsrede zur Vernissage Kurt Bruckner am 22. Mai 2016 Wenn die Wahrnehmung ornamental tanzt Kurt Bruckner ist in Schaffhausen kein Unbekannter. Vor allem mit seinen skulpturalen Betongüssen ist er in der Öffentlichkeit präsent. Seine figurativen Werke changieren zwischen Realität und Surrealität und sind dabei ganz nah bei menschlichen Verhaltensweisen. Humorvoll verpackt allerdings. Als wir uns das erste Mal in seinem Atelier trafen und uns bei dieser Gelegenheit überhaupt erstmals begegnet sind, begann Kurt Bruckner von seiner «Dualität» zu erzählen. «Ich sage Dualität, weil ich links und rechts schreiben kann. Mit den Jahren ist das immer stärker zum Zug gekommen. Da ist die digitale Welt der Bilder und die Steinzeit in der Bildhauerei. Beim Giessen der Skulpturen das Positiv und Negativ. Ich verwende Blattgold und Beton und, und, und...», erklärte er mir. Als ich mich mit Kurt Bruckner unterhielt und daran war, ihn ein bisschen besser kennen zu lernen, empfand ich «Zweiheit» zunehmend passender für sein Wesen als den radikaleren Ausdruck «Dualität». Wir sassen vor einer Auswahl seiner aktuellen ornamentalen Bilder, daneben hingen einige frühe Aquarelle und ein Hinterglasbild und wir sassen vor allem auch direkt vor seinem Computer, der einen entscheidenden Anteil an seinen neusten Arbeiten hat. Im Nebeneinander der Werke wurde ersichtlich, über welch langen Zeitraum sich Kurt Bruckner kontinuierlich seiner neuen Schaffensphase angenähert hat. Es war um die Jahrtausendwende, als er das intensive Bedürfnis nach einer Neuorientierung verspürte. Seine bildhauerische Arbeit war ihm derart vertraut geworden, dass sich im Zuge seines «dualen» Wesens die Sehnsucht nach Neugier Raum verschaffen musste. Die Offenheit gegenüber der fixierten Form, das Unendliche gegenüber dem Endlichen waren seine neuen Kompasskomponenten. «Kurt Bruckner – Quasikristall» steht auf der Einladungskarte. Auch von einem Atom ist die Rede, aus dem Griechischen abgeleitet, trägt der Begriff «unteilbar» in sich. Da war ich im Atelier am Hintersteig 9 einem Menschen begegnet, der eine gelebte Erdverbundenheit ausstrahlte. Gleichzeitig fielen im Gespräch immer wieder Begriffe wie Meditation, Konzentration und Sensibilisierung der Wahrnehmung. Sollte man vielleicht eine leise anklingende mystische Neigung heraushören? Zumindest wurde ein Interesse an Vereinigung in breit abgestützter Hinsicht unterschwellig vermittelt. Kurt Bruckner – ein romantischer Realist, ein spielerischer Forscher, ein genussfreudiger Strukturalist? In Kurt Bruckners Schaffen können Fabelwesen und Farben gleichermassen Transmitter lehrreicher Stoffe sein. An einige Aussagen des deutschen Romantikers und Mystikers Novalis, der von 1772 – 1801 lebte, musste ich denken. Etwa, dass alles zum Zauberwerkzeug werden könne und dass alle geistige Berührung der Berührung eines Zauberstabs gleiche. Novalis hielt echte Mathematik als das eigentliche Werkzeug des Magiers. Im Licht sah er die Aktion des Weltalls und im Auge den vorzüglichen Sinn für das Weltall. Nun, Kurt Bruckner ist kein Poet im engeren Sinn, doch scheint er mir ein Engagement für eine Welt in sich zu tragen, die durch eine poetische Beschaffenheit viel an humaner Lebensqualität gewinnen könnte. Dabei setzt er ganz entschieden auf das Auge, diesen «vorzüglichen Sinn für das Weltall». Kurt Bruckner ist ein Mensch mit einer ausgeprägten Beobachtungsgabe, ob er sich nun mit seinen skulpturalen Fabelwesen beschäftigt oder ob er sich in Gefilde des Quasikristallinen beziehungsweise des Quasiperiodischen begibt. Nachdem er sich längere Zeit vor allem mit islamischen Ornamenten beschäftigt und diese für sich zu analysieren begonnen hatte, war er durch Zufall im Jahr 2004 in der Zeitschrift «Spektrum der Wissenschaft» auf eine Abbildung der Penrose Parkettierung gestossen. Penrose, ein englischer Mathematiker und theoretischer Physiker, hatte entdeckt, dass sich eine Ebene mit nur zwei Kacheln lückenlos bedecken lässt, ohne dass sich Teilausschnitte je periodisch wiederholten: einmal mit zwei Rhomben, der eine mit einem 36° Winkel, der andere mit einem 72° Grad Winkel, oder mit den Kacheln Pfeil und Drachen. Die klassischen ornamentalen Muster sind periodisch und sie folgen der Translationssymmetrie, das heisst, dass die Verschiebung um einen festen Vektor zu einer deckungsgleichen Figur beziehungsweise einer deckungsgleichen Musterwiederholung führt. Die Penrose Parkettierung zeichnet demgegenüber eine fünfzählige Rotationssymmetrie und eine quasiperiodische Ordnung aus. Gerne wird in diesem Kontext der Begriff «Chaos» ins Spiel gebracht. Kurt Bruckner war augenblicklich angetan von der mathematischen Struktur und sah in dem «dynamischen Raster» ein grosses Potenzial für seine eigene Arbeit und die damit verbundene Weiterentwicklung seiner ornamentalen Bilder angelegt. Pragmatisch und mit dem Elan der künstlerischen Freiheit dachte er sich, dass man die leeren Penrose Kacheln doch für ornamentale Zwecke füllen – dekorieren – könnte. Schnell zeigte sich allerdings, dass er seine gestalterischen Anliegen auf der Basis der bekannten wissenschaftlichen, relativ komplizierten Konstruktionsweisen einer Penrose Parkettierung niemals effizient realisieren könnte. Ohne grössere mathematische Vorkenntnisse und vor allem ohne Wissen um die sogenannte Substitutionsmethode war es ihm gelungen, auf einem rein visuellen Weg ein eigenes Aufbausystem zu entwickeln. Walter Steurer, emeritierter Professor für Kristallographie an der ETH Zürich, wird es in naher Zukunft in einer renommierten wissenschaftlichen Publikation vorstellen. Dort wird dann nachzulesen sein, wie das von Kurt Bruckner empirisch gewonnene System im mathematischen Denkkosmos fachlich kompetent zu verorten ist. Eine Rede ist nicht der geeignete Ort, um Kurt Bruckners Konstruktionsmethode analysierend zu beschreiben und die verschiedenen Füllmöglichkeiten mit ihren farbformalen Generierungen vorzustellen. Diese Dienste erfüllt auf ideale Weise der begleitende Ausstellungskatalog, der im Anhang als eine Art Handbuch konzipiert wurde. Allem voran steht jedoch das Interesse, mittels der ornamentalen Bilder der Wahrnehmung neue Impulse zu geben. Augenfreude und Augenirritation, sinnliches Vergnügen und das Aufbrechen von «Vorurteilen» in der oberflächlichen Wahrnehmungsroutine sind gleichermassen bedeutsam. Kurt Bruckners Bilder sind beunruhigend reizvoll; es sind Ornamente mit Störfaktoren. Den konkreten Bildern der islamischen Kunst wurde im Vergleich dazu oftmals ein Höchstmass an spiritueller Dichte zugesprochen. Kurt Bruckners Arbeiten sind dezidiert auf die visuelle Wahrnehmung ausgerichtet, wobei ausgewählte Werke bei längerer Betrachtung zuweilen ebenfalls eine meditative Gestimmtheit auslösen können. «Dem Künstler Kurt Bruckner, meinem neuen Lehrer in Sachen Ornamentik, den ich leider erst getroffen habe, als das Buch schon fertig war – Danke!», hat Hans Belting, emeritierter Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Kurt Bruckner als Zeichen der Sympathie und Wertschätzung als Widmung in das von ihm verfasste Buch «Florenz und Bagdad – Eine westöstliche Geschichte des Blicks» geschrieben. Der Blick über kulturelle Grenzen hinaus ist auch ein Anliegen von Kurt Bruckner. Dass Hans Beltings Forschungen auch Bereiche der Hirnforschung tangieren, dürfte im Atelier in Schaffhausen ebenfalls auf Interesse gestossen sein. Und, meine Damen und Herren, ich gestehe, dass die Zusammenarbeit mit Kurt Bruckner auch von mir so mancherlei «Hirnakrobatik» abverlangt hat. Sich zwischen künstlerischer Freiheit und wissenschaftlicher Logik zu bewegen und beiden Gebieten gerecht zu werden, war nicht nur einmal ein Drahtseilakt. Ausgelöst hat den kleineren ornamentalen Krimi allem voran ein im Jahr 2007 publizierter Artikel in der Zeitschrift «Science», der weltweit für Aufsehen gesorgt hatte. Peter Lu hatte darin formuliert, dass einzelne islamische Muster bereits im 15. Jahrhundert quasiperiodische Strukturen aufweisen würden. Kurt Bruckner kam durch eigene Untersuchungen zum Schluss, dass dies nicht sein könne und die Baumeister damals mit Winkelhalbierungen gearbeitet hätten. Immer mehr wurde für mich zur Herausforderung, zwischen Begriffen, die aus der Kristallografie und Topik stammen, und Begriffen, die anderen, zuweilen gänzlich unterschiedlichen Bereichen angehören, zu differenzieren. Doch soll das ästhetische Erscheinungsbild mit all seinen einnehmenden, fordernden und irritierenden Reizen in den Werken von Kurt Bruckner im Vordergrund stehen. Er sucht vornehmlich den spielerischen Variantenreichtum; er will aber dennoch auf einer strukturierten Grundlage aufbauen, einer Grundlage, die er im Endstadium seiner Bilder den Blicken der Betrachter wiederum weitgehend, oftmals gänzlich, entzieht. Es wird verschoben, gespiegelt, gedreht, überlagert und addiert. Es werden Linien verdickt und Farbbahnen wiederum verdünnt, halbiert, gefüllt oder leer gelassen. Es wird mit Farbund Schwarzweiss-Kontrasten experimentiert, es wird das Wechselspiel von zwei- und dreidimensionalen Effekten ausgereizt. Zuweilen erinnern die Bilder an zarte Spitzengewebe, dann wiederum an atomare Strukturen. Sie wirken wie Kaleidoskope oder Hologramme, lassen an orientalische Innenraumdekorationen oder Materialoberflächen denken, man glaubt in sphärische Bilder oder ein figurativ anmutendes Gewimmel einzutauchen. Zur Herausforderung wird gerade die Ambivalenz der Bilderscheinungen, die Konfrontation mit dem nie wirklich Fassbaren oder Benennbaren. Ornamente sprechen eine globale Sprache, sie können als Brückenbauer zwischen den Kulturen fungieren. Ornamente können Krisen auslösen, wenn sie durch Manipulation noch nicht erschlossene, noch nicht erkannte, noch nicht ersehene Konstellationen für die Wahrnehmung hervorbringen. Formierungen tauchen auf und lösen sich auf, alles ist Bewegung, Wandel – Begegnung. Quasikristalle lenken unsere Gedanken in kosmische Bereiche. Kurt Bruckners künstlerische Ornamente sind zwar streng genommen nicht quasikristallin, doch sind sie den Strukturen von Quasikristallen in gewisser Hinsicht verwandt. Kurt Bruckners Ornamente dienen in erster Linie einer reizvollen Wahrnehmungsschulung, die ihre Geheimnisse bewahrt. Und für alle, die streng wissenschaftlich interessiert sind, ein paar Angaben zur Begrifflichkeit, bei denen mir Walter Steurer hilfreich zur Seite stand: Kurt Bruckner erzeugt mit seiner Methode eine dekorierte Penrose Parkettierung. Die nicht-dekorierte PP ist quasiperiodisch, das heisst unter anderem, dass sie Skalierungssymmetrie besitzt, also auf immer grösseren Skalen (Potenzen von tau=1,618...{entspricht dem Goldenen Schnitt}) sich selbst ähnlich ist. Ein Quasikristall ist ein in der Realität existierender Körper mit einer quasiperiodischen Struktur. Die Atome besetzen dabei die Penrose Rhomben auf eine bestimmte Art und Weise. Durch Kurts Bruckner Dekoration der PP verliert das Muster seine Eigenschaft der Selbstähnlichkeit; d.h., vergrössert man das Muster um Potenzen des Faktors tau, werden zwar die Eckpunkte jedes Penrose Rhombus’ auf Eckpunkte der ursprünglichen PP abgebildet; dies funktioniert aber nicht für die Dekoration. Strenggenommen sind also Kurt Bruckners Muster nicht mehr quasiperiodisch, sondern aperiodisch. Einsichten werden in diesem eigenwilligen Werk zahlreiche offeriert. Und allmählich glaube ich annähernd zu begreifen, dass die alten Baumeister im 15. Jahrhundert mit überdeckenden Parkettierungen mit unterschiedlicher Skalierung gearbeitet haben ... – das Quasiperiodische wäre, so wage ich zu formulieren, schon damals latent angelegt. Ich lade Sie alle ein auf einen Weg der Aufmerksamkeit, um sinnliche Einblicke geistige Einsichten werden zu lassen. Spiegeln – Drehen – Anfügen – Lücken füllen, merci. ©Sabine Arlitt, Zürich, Mai 2016
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