Gedanken zum Unfall - osning-bahn

Gedanken zum Unfall an Pfingstsonntag
von Stephan Schröder, Vorstandsmitglied der Osning-Bahn e.V.
Seit zwei Jahren fahren wir regelmäßig mit unserem Schienenbus zwischen
Gütersloh und Bad Laer. Eine schöne Strecke, die wir und unsere Fahrgäste mögen.
Doch zuweilen schwang auch ein ungutes Gefühl mit. Wie häufig haben wir schon
Autofahrer, die uns trotz Pfeifen oder blinkender Warnlichter offenbar nicht
wahrgenommen haben, im letzten Moment an einem Bahnübergang eine
Vollbremsung machen sehen. Auch am Blankenhagener Weg. Mehrmals konnten wir
selbst mit Vollbremsungen einen Zusammenprall verhindern. Situationen, die
Unverständnis und Wut beim Zugpersonal erzeugen wegen einer unnötigen
Gefährdung, der wir bei unserer ehrenamtlichen Tätigkeit, mit der wir unseren
Fahrgästen eine Freude machen wollen, ausgesetzt sind.
Am Pfingstsonntag dann der Unfall. Ungebremst, für den Lokführer erst im letzten
Moment zu sehen, rast jemand mit einem Auto genau vor den Zug. Sekunden früher
– nichts wäre passiert. Sekunden später – neben den Fahrzeuginsassen wären auch
Fahrgäste oder Zugpersonal zu Schaden gekommen. Ein Unfall, der nie hätte
passieren können, hätte sich der Autofahrer an eine einfache Regel gehalten: Rot
bedeutet Halt. Und nun: Zwei Tote, ein schwerverletzter junger Mann, der neben
vielleicht lebenslang anhaltenden körperlichen Schäden damit leben muss, seine
Eltern getötet zu haben, ein geschockter Lokführer, verunsichertes Zugpersonal und
Fahrgäste, denen Zweifel kommen könnten, ob man mit einem Zug noch diese
Strecke befahren soll.
Wir bekamen in den letzten Tagen viel Unterstützung: Anteilnahme,
Besserungswünsche für den Lokführer. Das Mitleid mit den Autoinsassen hielt sich
Grenzen. Schließlich hat jemand, gelinde gesagt, grob fahrlässig gehandelt, rechtlich
gesehen eine Straftat begangen – einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr.
Vielleicht aber machen wir uns die Beurteilung zu einfach. Warum passieren solche
Unfälle immer wieder - noch im März an der gleichen Stelle, als eine Frau mit ihrem
Auto vor eine Diesellok fuhr? Sollte man nicht erwarten, dass solche Ereignisse zum
Nachdenken führen? Aufpassen, bei Rotlicht kommt tatsächlich ein Zug, er hat
Vorrang und ist deutlich stabiler gebaut als jedes Auto! Die Unfallstatistik spricht eine
andere Sprache.
Doch der Unfallfahrer ist nicht nur Täter geworden, sondern auch Opfer einer seit
Jahrzehnten geförderten Ideologie, in der Autoverkehr über alles geht und um jeden
Preis zu fördern ist – auch auf Kosten der Sicherheit. Die Eisenbahn wird an den
Rand gedrängt und nicht beachtet, nicht nur an Bahnübergängen.
Menschliches Handeln ist fehlerbehaftet. Wer Fehler macht, macht auch gefährliche
Fehler. Bei der Bahn versucht man deren Auswirkungen durch technische
Maßnahmen zu verhindern, fast immer erfolgreich. In Firmen gibt es ein
Sicherheitsmanagement, dass Arbeitsabläufe hinsichtlich ihrer Sicherheit überprüft
und verbessert. Wir Eisenbahner haben zweimal jährlich verpflichtende
Fortbildungen, Bahnübergänge sind ein Dauerthema dabei. Weiterhin gibt es
Simulatortraining und Gesundheitstests. Und im Straßenverkehr? Einmal die
Führerscheinprüfung bestanden, gilt der „Lappen“ lebenslang. Fortbildung,
Gesundheits-checks – nur als freiwilliges Angebot. Und das, obwohl der
Straßenverkehr systembedingt unsicherer ist als der Eisenbahnverkehr. An
Bahnübergängen trifft die Eisenbahn mit ihrer sehr ausgeprägten Sicherheits-
philosophie auf Schludrigkeit im Straßenverkehr, wo Lobbyisten die Mär vom
jederzeit verfügbaren Auto verbreiten. Sicherheitsmaßnahmen stören nur die „Freie
Fahrt für freie Bürger“. Unfälle wie dieser werden billigend in Kauf genommen. Im
Laufe seines Lebens wird statistisch jeder Dritte Opfer eines Unfalls im
Straßenverkehr. Irgendwann gewöhnt man sich daran und Unfälle werden zu
Randnotizen in den Medien. Außer die Eisenbahn ist involviert – dann wird sie zum
Sündenbock. Dann „rasen“ Züge auf einen Bahnübergang und „erfassen“ dort
Fahrzeuge – als kämen böse Monster mit Greifarmen, die unschuldige Autos und
ihre Insassen attackieren.
Nein, es ist umgekehrt: Die Züge und ihre Insassen werden Opfer unverantwortlichen
Handelns seitens der Autofahrer!
Der Unfallfahrer vom Pfingstsonntag wird sich den Gefahren nicht bewusst gewesen
sein - jetzt kennt er sie. Hätte er eine entsprechende Fortbildung gehabt, bei der auf
die Gefahren hingewiesen wird und wäre ihm klar gewesen, dass er für seine
Mitfahrer die volle Verantwortung trägt, wäre er wohl anders gefahren. Die wahren
Schuldigen für diesen und viele andere unnötige Unfälle sind in den Büroetagen der
Autolobby zu suchen.
Wie geht es weiter? Für uns stehen im Juni zwei Fahrtage an. Unser Personal ist
unsicher, ob es in dieser Situation fahren möchte. Muss man fahren, um ein Zeichen
zu setzen, dass es weitergeht? Soll man besser nicht? Es wird darauf ankommen,
welche Reaktionen - Zuspruch oder Ablehnung - wir in nächster Zeit erfahren.
Es ist zu wünschen, dass dieser Unfall aufrüttelt, zum Nachdenken bringt und
Änderungen bewirkt. Dabei geht es nicht nur um eine Schrankenanlage am
Blankenhagener Weg, die wir begrüßen würden. Es geht um ein bessere Fortbildung
im Straßenverkehr, damit jeder versteht, dass ein Auto nicht nur „Freude am Fahren“
bringt, sondern dem Fahrer auch eine hohe Verantwortung auferlegt – das muss er
wissen und entsprechend handeln. Wer dies nicht versteht, darf keinen Führerschein
besitzen. Es geht auch um einen anderen Stellenwert der Eisenbahn in den Köpfen
und mehr Wissen, wie man mit ihr umgehen sollte, nicht nur an Bahnübergängen.
Wir vermitteln dieses Wissen an Vereinsmitglieder und Fahrgäste, es muss zur
Allgemeinbildung gehören. Schließlich kann jeder durch eigenes Handeln, wozu
auch die Aufklärung anderer gehört, dazu beitragen, dass wir solche Unfälle nicht
mehr erleben müssen.
Vielleicht finden der Unfallfahrer und seine Angehörigen die Kraft, sich in diesem
Sinne für mehr Sicherheit im Straßenverkehr einzusetzen, andere zu warnen und zu
sensibilisieren. Dann hätte dieser Unfall zumindest irgendetwas Sinnvolles bewirkt.
Wir würden sie darin unterstützen.
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und ist keine offizielle
Stellungnahme der Osning-Bahn e.V.