Invasive Koronar-Diagnostik und Therapie 2014 – Der Radialis-Zugang ist Standard am Luzerner Kantonsspital Abteilung Kardiologie, Department Medizin, Luzerner Kantonsspital Luzern Dr. med. Florim Cuculi, Oberarzt mbF Kardiologie, Leiter Chest Pain Unit und Co-Autoren (siehe Schluss des Artikels) Einführung Die Diagnose und Behandlung der koronaren Herzkrankheit (KHK) hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend gewandelt. Einerseits werden die Patienten, die von KHK betroffen sind, immer älter und die zu behandelnden Läsionen immer komplexer. Andererseits haben sich die Möglichkeiten, die KHK zu diagnostizieren und zu behandeln verbessert. Eine der Verbesserungen ist die Einführung des Zugangs über die Arteria radialis (Radialis-Zugang), der am Luzerner Kantonsspital als Standard etabliert ist. Diagnostik der KHK bei Patienten mit stabiler Angina pectoris Bei der Abklärung der KHK spielen sowohl die Anamnese wie auch das kardiovaskuläre Risikoprofil des Patienten eine wichtige Rolle. Typischerweise klagen die Patienten über retrosternalen Druck, einige spüren eine Enge im Bereich des Halses oder Schmerzen im Bereich der Oberarme oder des Unterkiefers. Einige Patienten präsentieren sich nur mit Atemnot (=Angina-Äquivalent). Falls die Beschwerden durch körperliche Tätigkeit provoziert werden und nach Gabe von Nitroglycerin innerhalb von 5 Minuten sistieren, ist eine KHK sehr wahrscheinlich. Wir sehen aber immer wieder Patienten, die sich mit schwerster KHK präsentieren und noch nie die oben erwähnten Symptome hatten (= stumme Ischämie) – so dass das Fehlen typischer Symptome eine KHK keineswegs ausschliesst. Laut den neuesten Empfehlungen der Europäischen Kardiologie Gesellschaft ist bei hoher Wahrscheinlichkeit für eine KHK (Beispiel 70-jähriger Mann mit Diabetes Mellitus und typischen Symptomen) der nächste sinnvolle Test die invasive Koronarangiographie (1). Bei einer mittleren Wahrscheinlichkeit macht eine Ischämie-Suche mit einem funktionellen Test Sinn (Stressechokardiographie, Herz-MRI oder Szintigraphie). Bei einer niedrigen Wahrscheinlichkeit ist im Prinzip ein abwartendes Vorgehen angezeigt – ein Herz-CT kann aber häufig Klarheit schaffen und eine KHK definitiv ausschliessen (1), (2). 62 Luzerner Arzt 97/2014 Invasive Koronarangiographie 2014 Die erste selektive Koronarangiographie wurde im Jahre 1958 inzidentell durchgeführt. Als Mason Sones versuchte, die Aortenwurzel mittels einer Kontrasmittelgabe darzustellen, rutschte der Katheter ungewollt in die rechte Kranzarterie und es entstand die erste selektive Aufnahme einer Koronararterie. Die Methode verbreitete sich sehr schnell und legte schlussendlich den Grundstein für die Bypass-Operation und die perkutane Koronarbehandlung (3), (4), (5). Durch verbessertes Material, verbesserte Technik, und Erfahrung konnte die Sicherheit der Koronarangiographie deutlich erhöht werden. Die invasive Koronarangiographie wurde jahrzehntelang über die Arteria femoralis, seltener über die Arteria brachialis durchgeführt. Die invasive Diagnostik und Therapie über die Arteria radialis (Radialis-Zugang) wurde erst in den letzten 10 Jahren auf breiter Basis eingeführt und ist vor allem in Frankreich und in England der Standard Zugang an den meisten Zentren. Der Zugang über die Arteria brachialis sollte eine absolute Ausnahme bleiben, da dies eine Endarterie ist und bei Verschluss der Verlust des Armes droht. Zugang über die Arteria femoralis Der Zugang über die Arteria femoralis ist technisch relativ einfach und in den meisten Fällen sicher. Allerdings können bei < 5 % der Patienten (je nach Alter und Ko-Morbidität) Komplikationen auftreten, die für den Patienten mühsam und meistens kostspielig sind (6). Die häufigste Komplikation ist ein lokales Hämatom, das aber meistens gut zu behandeln ist. Weitere lokale Komplikationen sind ein Aneurysma Spurium, eine FemoralisDissektion, eine arterio-venöse Fistel, die wir meistens in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen der Angiologie behandeln können. Das Auftreten eines Retroperitoneal-Hämatoms ist eine schwerwiegende und für den Patienten unter Umständen lebensbedrohliche Komplikation, die schnell behandelt werden muss. In gewissen Fällen ist eine chirurgische Ausräumung und Übernähung der verletzten Arterie notwendig. Bild 1 Behandlung einer Patientin über den Radialis-Zugang. A: Punktion mit einer Radialis Seldinger Nadel. B: Einführen einer 6F-Schleuse. C: Koronarangiographie über die Arteria radialis. Fast alle Koronareingriffe können heutzutage von radial durchgeführt werden. D: Zur lokalen Kompression wird ein mit Luft gefülltes Radialis-Band eingesetzt (Pfeil). Über die nächsten 6 Stunden nach dem Eingriff wird kontinuierlich Luft abgelassen. Vorteile des RadialisZugangs Die Arteria radialis wird nach der Seldinger-Technik analog der Arteria femoralis punktiert (Bild 1A) und es wird eine meistens hydrophil beschichtete Schleuse eingeführt (Bild 1B). Es werden für beide Zugänge ähnliche diagnostische und therapeutische Katheter verwendet (Bild 1C). Der Hauptvorteil des Radialis-Zugangs ist die deutliche Reduktion aller obengenannten Komplikationen. Die Arteria radialis hat einen deutlich kleineren Durchmesser als die Arteria femoralis und ist oberflächlich gelegen, so dass eine Kompression meistens problemlos ist. Wir verwenden das sogenannte Terumo-Band (Bild 1D). Die Blutung aus der Arteria radialis ist sehr selten und kann meistens durch lokale Kompression gut behandelt werden. Die restlichen Komplikationen sind eine Rarität. Über den Radialis-Zugang behandelte Patienten können sofort nach dem Eingriff mobilisiert werden, was von Patienten (vor allem ältere Patienten und Rückenschmerz-Patienten) und Pflegepersonal geschätzt wird. Patienten, die von radial untersucht worden sind haben nach dem Eingriff nachweislich eine bessere Lebensqualität im Vergleich zu femoral untersuchten Patienten und der RadialisZugang wird von Patienten bevorzugt (7). Nachteile des Radialis-Zugangs Der Radialis-Zugang ist technisch anspruchsvoller und es hat eine flachere Lernkurve. Da die Arteria radialis kleiner und deutlich empfindlicher ist als die Arteria femoralis sollten Manipulationen mit dem Katheter auf ein Minimum reduziert werden, da sonst die Arteria radialis spastisch reagiert und dann häufig die Untersuchung femoral durchgeführt werden muss. Eine vorgängige Sedation vermindert das Auftreten von Spasmen (8) und wird am LUKS routinemässig eingesetzt. Ein Verschluss der Arteria radialis ist relativ selten (ca. 2 %) und äusserst selten symptomatisch (9). Durch eine sachgemäs se Vorbereitung und Handhabung der Katheter lässt sich die tiefe Komplikationsrate weiter reduzieren (10). b) Schwacher Radialis-Puls: das weist auf eine dünne oder verschlossene Arteria radialis hin und die Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Untersuchung von radial her ist kleiner. c) Vorabklärungen bei geplantem perkutanem Aortenklappenersatz: Darstellung der Beckenarterien und Abschätzen allfälliger Probleme (Verkalkungen, Tortuosität usw.). d) Wenn zusätzlich zur Koronarangiographie eine rhythmologische Abklärung mit elektrophysiologischer Untersuchung und evtl. Radio-Frequenz-Ablation geplant ist, bleibt der femorale Zugang der Standardzugang. Behandlung des ST-Hebungsinfarkts: Tiefere Mortalität mit dem RadialisZugang Während bei der Diagnostik- und der Behandlung von Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und Myokardinfarkt ohne ST-Hebungen (NSTEMI) der Radialis-Zugang mehr Komfort bietet und das Auftreten von behandelbaren vaskuläre Komplikationen (v.a. Blutungen) reduziert (11), ist er bei der Behandlung des ST-Hebungsinfarktes (STEMI, Bild 2) in einer Studie sogar mit einer signifikant tieferen kardialen Mortalität assoziiert gewesen (12), (13). Allerdings ist auch bekannt, dass die Vorteile vor allem in highvolume Zentren zur Geltung kommen, so dass die Behandlung des STEMI von radial nur dann Sinn macht, wenn man genügend Erfahrung mit einfacheren Fällen gesammelt hat (14), (15). Radialis-Zugang am Luzerner Kantonsspital Der Radialis Zugang wird am Luzerner Kantonsspital seit 2012 routinemässig Bild 3 Koronarangiographien über den RadialisZugang am Luzerner Kantonsspital. angewandt (Bild 3) und findet sehr guten Anklang bei Patienten und Zuweisern. Die meisten elektiven Koronar-Eingriffe werden bei uns ambulant durchgeführt und die über die Arteria radialis untersuchten Patienten können sofort nach dem Eingriff mobilisiert werden und das Spital in der Regel nach 6 Stunden verlassen. In Zukunft verweilen die am Luzerner Kantonsspital ambulant untersuchten Patienten nach dem Koronar-Eingriff in der Radialis-Lounge, wo bequeme Sessel zur Verfügung stehen (Bild 4A). Über den Radialis-Zugang untersuchte Patienten werden direkt nach dem Eingriff mobilisiert (Bild 4B). Zusammenfassung Der Radialis-Zugang macht die Diagnostik und Behandlung der koronaren Herzkrankheit sicherer und hat sich am Luzerner Kantonsspital als Standard für die Behandlung von stabilen Patienten und von Patienten mit einem Myokardinfarkt etabliert. Wann ist der FemoralisZugang sinnvoll? Bei folgenden Patienten ist der Femoralis-Zugang möglicherweise besser geeignet als der Radialis-Zugang: a) Sehr kleine Patienten (< 160 cm): bei kleiner Aortenwurzel und kurzer Aorta ascendens ist eine stabile Katheterposition schwierig zu realisieren. Bild 2 Behandlung eines Patienten mit inferiorem ST-Hebungsinfarkt über den Radialis-Zugang. A: Verschlossene rechte Koronararterie. B: Gutes Resultat nach Rekanalisation und Stent-Implantation. Luzerner Arzt 97/2014 63 8. Deftereos S, Giannopoulos G, Raisakis K et al. Moderate procedural sedation and opioid analgesia during transradial coronary interventions to prevent spasm: a prospective randomized study. JACC Cardiovascular interventions 2013;6:267–73. 9. Stella PR, Kiemeneij F, Laarman GJ, Odekerken D, Slagboom T, van der Wieken R. Incidence and outcome of radial artery occlusion following transradial artery coronary angioplasty. Catheterization and cardiovascular diagnosis 1997;40:156–8. 10. Mamas MA, Fraser DG, Ratib K et al. Minimising radial injury: prevention is better than cure. EuroIntervention: journal of EuroPCR in collaboration with the Working Group on Interventional Cardiology of the European Society of Cardiology 2014. 11. Mehta SR, Jolly SS, Cairns J et al. Effects of radial versus femoral artery access in patients with acute coronary syndromes with or without ST-segment elevation. Journal of the American College of Cardiology 2012;60:2490–9. 12. Romagnoli E, Biondi-Zoccai G, Sciahbasi A et al. Radial versus femoral randomized investigation in ST-segment elevation acute coronary syndrome: the RIFLE-STEACS (Radial Versus Femoral Randomized Investigation in ST-Elevation Acute Coronary Syndrome) study. Journal of the American College of Cardiology 2012;60:2481–9. 13. Mamas MA, Ratib K, Routledge H et al. Influence of arterial access site selection on outcomes in primary percutaneous coronary intervention: are the results of randomized trials achievable in clinical practice? JACC Cardiovascular interventions 2013;6:698–706. 14. Jolly SS, Cairns J, Niemela K et al. Effect of radial versus femoral access on radiation dose and the importance of procedural volume: a substudy of the multicenter randomized RIVAL trial. JACC Cardiovascular interventions 2013;6:258–66. 15. Hamon M, Pristipino C, Di Mario C et al. Consensus document on the radial approach in percutaneous cardiovascular interventions: position paper by the European Association of Percutaneous Cardiovascular Interventions and Working Groups on Acute Cardiac Care** and Thrombosis of the European Society of Cardiology. EuroIntervention: journal of EuroPCR in collaboration with the Working Group on Interventional Cardiology of the European Society of Cardiology 2013;8:1242–51. Bild 4 Die Radialis-Lounge am Luzerner Kantonsspital. A: Der Patient wird nach dem Eingriff mit dem Sessel in die Radialis-Lounge gefahren. B: Momentaufnahme in der Radialis-Lounge: nach einer Koronarintervention über den Radialis-Zugang müssen Patienten nicht flach liegen, sondern werden umgehend mobilisiert. Referenzen: 1. Montalescot G, Sechtem U, Achenbach S et al. 2013 ESC guidelines on the management of stable coronary artery disease: the Task Force on the management of stable coronary artery disease of the European Society of Cardiology. European heart journal 2013;34:2949–3003. 2. Cuculi F, Kharbanda R, Prendergast B. Low diagnostic yield of elective coronary angiography. The New England journal of medicine 2010;363:93–4; author reply 94–5. 3. Proudfit WL, Shirey EK, Sones FM, Jr. Selective cine coronary arteriography. Correlation with clinical findings in 1,000 patients. Circulation 1966;33:901–10. 4. Effler DB, Sones FM, Jr., Groves LK, Suarez E. Myocardial revascularization by 64 Luzerner Arzt 97/2014 Vineberg’s internal mammary artery implant. Evaluation of postoperative results. The Journal of thoracic and cardiovascular surgery 1965;50:527–33. 5. Gruntzig A. Transluminal dilatation of coronary-artery stenosis. Lancet 1978;1:263. 6. Toggweiler S, Leipsic J, Binder RK et al. Management of vascular access in transcatheter aortic valve replacement: part 1: basic anatomy, imaging, sheaths, wires, and access routes. JACC Cardiovascular interventions 2013;6:643–53. 7. Cooper CJ, El-Shiekh RA, Cohen DJ et al. Effect of transradial access on quality of life and cost of cardiac catheterization: A randomized comparison. American heart journal 1999;138:430–6. Abteilung Kardiologie, Department Medizin, Luzerner Kantonsspital Luzern Dr. med. Florim Cuculi, Oberarzt mbF Kardiologie, Leiter Chest Pain Unit Dr. med. Stefan Toggweiler, Leitender Arzt Kardiologie, Leiter interventionelle Herzklappentherapie Dr. med. Raymond Mury, Belegarzt Kardiologie Assoc. Prof. Dr. med. Peiman Jamshidi, Leiter Invasive Kardiologie PD Dr. med. Richard Kobza, Chefarzt ad interim Kardiologie Korrespondierender Autor: Dr. med. Florim Cuculi Oberarzt mbF Kardiologie Department Medizin, Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 Tel: 041 205 2134 Fax: 041 205 5738 E-Mail: [email protected]
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