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Panorama
Deutschland
S TA S I
Nachhall des Donners
or dem Landgericht Berlin muß sich
demnächst ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter verantworten, der an der gewaltsamen Entführung eines früheren DDRBürgers aus der Bundesrepublik beteiligt
gewesen sein soll. Der angeklagte Rentner Horst L., 68, gehörte in den fünfziger Jahren zu einer Operativgruppe der
Stasi, die von einem Mitarbeiter mit
dem Decknamen „Donner“ geleitet wurde (spiegel 10/1996)
und für „Sonderaufgaben“ in der Bundesrepublik eingesetzt wurde.
Ermittler werfen dem
Beschuldigten vor,
im November 1955
den ehemals in OstBerlin lebenden Werner Rieker auf der
Autobahn bei Frankfurt am Main überfallen und in die
DDR entführt zu haben. Insgesamt drei
Mitarbeiter der StaRieker, Sohn (1955) si überwältigten damals den Mann,
schlugen ihn mit Knüppeln zusammen und
verschleppten ihn in das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in BerlinLichtenberg.
Rieker wurde in der DDR wegen Spionage zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren
verurteilt, von denen er 8 in der Haftanstalt Bautzen II absaß. Er starb 1984 in
West-Berlin.
H. GUTMANN / FORMAT
V
Häusliche Pflege
PFLEGEVERSICHERUNG
Überschuß für den Euro
D
ie Wünsche der Arbeitgeberverbände, den Beitrag zur Pflegeversicherung
zu senken und damit entlastet zu werden, dürften sich auf absehbare Zeit nicht
erfüllen. Der 8,5 Milliarden Mark schwere Überschuß in den Pflegekassen wird
nämlich bei der Feststellung des Staatsdefizits mit der Nettokreditaufnahme des
Bundes verrechnet – ohne das Pflegegeld,
darauf pochen nun die Finanzpolitiker von
Union und FDP, würde die Bundesrepublik das Maastricht-Kriterium vollends verfehlen.
Der Überschuß rührt vor allem daher, daß
die Beitragspflicht von Arbeitgebern am
1. Januar 1995 einsetzte, die Leistungspflicht der Sozialversicherung aber erst vier
Monate später. Ende des Jahres 1996 lag
der Überschuß bei 7,9 Milliarden Mark,
1997 wird er noch einmal um 1,2 bis 1,5
Milliarden steigen.
Danach werden sich Aufwendungen und
Erträge voraussichtlich die Waage halten.
Das Finanzpolster wird jedoch gebraucht,
um den Beitrag auf Dauer stabil zu halten.
Schon frühere Begehrlichkeiten von Sozialpolitikern, den Pflegebeitrag zu senken
und dafür den Rentenbeitrag zu erhöhen,
hatte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm
abgewehrt.
R H E I N L A N D - P FA L Z
U M W E LT
Gift für die Elbe
e
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Chemische und
pharmazeutische Industrie
Elb
ie Elbe transportiert weit mehr Giftstoffe in den Westen als bisher bekannt. Nach Untersuchungen der internationalen Umweltorganisation Greenpeace
in Prag sind die Industrieabwässer aus
Chemie-, Maschinenbau- und Zellstoffwerken vor allem mit schwer abbaubaren
Chlorchemikalien „hochgradig belastet“.
Die Spolchemie im böhmischen Ústí nad
Labem, die vergangene Woche die Einleitung von täglich 200 Kilogramm der möglicherweise erbgutverändernden Substanz
Haloether zugab, kippt neben dem
Schwermetall Quecksilber große Mengen
des krebserzeugenden Trichlormethan in
die Elbe. Mit „2700 Mikrogramm pro Liter
Abwasser“, berichtet Greenpeace, sei der
deutsche Richtwert um „das 500fache
überschritten“. Das Werk liefert Grundstoffe für Autolacke oder Zwei-Komponenten-Kleber. In dem Chemiekombinat
Synthesia, Hersteller von Sprengstoffen
(Semtex), Pestiziden, Pigmenten oder
Kunststoffen, gingen nach GreenpeaceRecherchen rund „40 Prozent“ der Abwässer durch eine Bio-Kläranlage, der Rest
direkt in die Elbe. Erst zum Ende des Jahrtausends soll ein von Bonn gefördertes
Programm zum Kläranlagenbau in dem
böhmischen Industrierevier greifen.
Zellstoffund Papierindustrie
Dresden
DEUTSCHLAND
POLEN
Ústí nad
Labem
Lovosice
Kralupy
Neratovice
Prag
Sokolov
Pilsen
d e r
Stětí
Kolín
Pardubice
TSCHECHIEN
s p i e g e l
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Geschönt und abgestürzt
V
orstandsmitglieder und Aufsichtsräte
der Mainzer Aktiengesellschaft für Beteiligungen an Telekommunikationsunternehmen (AGFB) sollen nach Ermittlungen
der Staatsanwaltschaft Koblenz Aktionäre
jahrelang mit geschönten Berichten getäuscht haben. Nach anfänglichem Höhenflug war die AGFB-Aktie von über 300
auf derzeit knapp 80 Mark gestürzt. Geschätzter Gesamtschaden für die Anleger:
mindestens 250 Millionen Mark. Die AGFB
wurde nach dem Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften von der
Vermögen- und Gewerbesteuer befreit.
Dafür waren Vorschriften zum Schutz der
Aktionäre einzuhalten. Die Anklage, die
das Koblenzer Landgericht noch zulassen
muß, birgt politischen Sprengstoff. Zuständig für Genehmigung und Überwachung der Steuerbefreiung ist der Mainzer
FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle.