200 Jahre Evangelische Stadtkirche Karlsruhe

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Pfingsten 2016
KARLSRUHE
Ausgabe Nr. 111 – Seite 25
Mit dem Segen des Friedensengels
Die evangelische Stadtkirche am Marktplatz feiert 200. Geburtstag
Nanu, wo schauen sie
denn alle hin? Mit Baustellen im öffentlichen
Raum ist das so eine Sache. Wird im Freien gebuddelt, betoniert und
mit großen Maschinen
hantiert, dann kommen
sie sofort aus allen Himmelsrichtungen angeflogen: die Baustellen-Kiebitze. Das ist bei der
U-Strab-Baustelle so,
das war aber auch vor
65 Jahren nicht anders.
Auch damals befand
sich Karlsruhes interessanteste Baustelle im
Herzen der Stadt, jedoch nicht im Untergrund, sondern in luftiger Höhe: Gebannt verfolgten Passanten die
Arbeiter, die über den
Dächern der Stadt, auf
der
Balustrade
der
evangelischen Stadtkirche balancierten, um
dort zunächst ein Gerüst
zu errichten und dann
die obere Hälfte des zerstörten Turms zu renovieren. Der ausgeglühte
und teilweise brüchige
Sandsteinturm erhielt
unter anderem ein einzigartiges Korsett aus
Stahlbeton, das ihm die
notwendige Festigkeit
gab.
Friedensengel
als eine „Cathedralkirche“ plante und
in Anlehnung an einen antiken griechischen Tempel gestaltete, ein „besonderer Ort“, nicht zuletzt durch seine
Lage mitten in der
Stadt. „Es ist ein
Privileg hier Pfarrer
zu sein, ein Geschenk“, sagt Dirk
Keller. Und wer dem
57-Jährigen zuhört,
zweifelt nicht eine
Sekunde daran.
Schon als Jugendliche sei sie regelmäßig auf dem Marktplatz gestanden, wo
sie immer mit der S4
aus ihrem Heimatort
Durmersheim
ankam, und habe fast
ehrfürchtig auf das
Gebäude
geblickt,
erzählt
Pfarrerin
Claudia Rauch. Ohne
zu ahnen, dass dieser
Weinbrenner
Bau
mit den mächtigen
Säulen mal ihr Arbeitsplatz
werden
würde. „Die Kirche
hat etwas Erhabenes“, schwärmt die
36-Jährige. „Ich finde es schön, so zentral arbeiten zu können, Mitten in der
Stadt.“
Im Mai 1951 begann
Kulturkonzept
die erste WiederaufbauEtappe an dem markanDie 1807 begonneten
Weinbrennerbau,
ne und 1816 geweihder 1944 gleich zweimal
te Stadtkirche sei
– am 27. Mai und am 4.
damals in erster LiDezember – von Brandnie zu Repräsentatibomben getroffen wuronszwecken errichde. Dass man beim Wie- AUF DEN KIRCHTURM zieht es die Geistlichen Claudia Rauch und Dirk Keller tet
worden.
„Es
deraufbau
zunächst regelmäßig. Im Sommer können auch die Karlsruher Bürger in diesen Genuss stand nicht die Nähe
Foto: jodo zu den Menschen im
dem Turm auf das Mau- kommen – nachdem sie die 144 Treppenstufen bewältigt haben.
erwerk rückte, war der
Vordergrund“, sagen
Sicherheit geschuldet. Ein gutes Jahr
schweifen. „Leider ist heute die Sicht
Keller und Rauch, die aber genau das als
nach Beginn der Arbeiten am Kirchturm
nicht ganz so gut. Wenn das Wetter entihre Aufgabe sehen. Dabei hilft ihnen
versammelten sich an einem Samstag
sprechend ist, kann man von hier aus bis
ein Stück weit auch die Kultur: Seit viewieder Scharren von neugierigen Kiezum Pfälzer Wald sehen.“ Obwohl der
len Jahren ist die Stadtkirche im kultubitzen auf dem Marktplatz und blickten
Pfarrer der Alt- und Mittelstadtgemeinrellen Leben der Fächerstadt fest verangen Himmel: Doch der sehnsüchtig erde, zu der die evangelischen Stadtkirche
kert. Ausstellungen, Konzerte, Theaterwartete Himmelsbote kam nicht angegehört, schon oft die 144 Treppenstufen
stücke und sogar Tanzaufführungen mit
flogen, sorgfältig in einen Holzverschlag
bis zur Turmterrasse hinaufgestiegen ist
Ballett – die Verbindung von Musik,
verpackt, wurde der glänzende Frieund den atemberaubenden Blick genosKunst und theologischen Themen hat
densengel auf den Turm gezogen und
sen hat, begeistert ihn die Aussicht imTradition im Gotteshaus am Marktplatz.
anschließend montiert. Seitdem dreht
mer wieder aufs Neue. Sie habe für ihn
Dieses besondere Konzept lockt auch
sich die 2,70 Meter hohe vergoldete
auch etwas Meditatives. „Im vergangeimmer wieder Menschen in die Kirche,
Kupferfigur unaufhörlich nach dem
nen Sommer schaute ich mir von hier die
die normalerweise keinen Gottesdienst
Wind und ist zum Symbol der evangeliSchlosslichtspiele an“, erzählt der Pfarbesuchen. Zu einem Flamenco-Gottesschen Stadtkirche geworden, die an
rer. Spannend sei auch immer der Blick
dienst im März kamen gut 500 Besucher.
Pfingstsonntag 1816 eingeweiht wurde
auf die U-Strab-Bauarbeiten am Markt„Wenn es uns gelingt, Kultur mit
und jetzt ihren 200. Geburtstag feiert.
platz. Ja, auch ein Pfarrer wird gerne
christlichem Glauben und einer Botmal zum Baustellen-Kiebitz – mit Loschaft zu verbinden, dann geht es auf“,
144 Treppenstufen
genplatz.
sind Dirk Keller und Claudia Rauch
überzeugt. Und: „Wir sind mitten in der
„Gerade dreht er uns das Hinterteil
Großherzog fands zu teuer
Stadt besonders herausgefordert, Menzu“, sagt Pfarrer Dirk Keller schmunschen für unseren Glauben zu intereszelnd, während er seinen Hals nach der
Dass der Engel, der in seiner rechten
sieren.“ Der Wiederaufbau der zerstörFigur reckt. Die Augen des geflügelten
Hand eine Friedenspalme und in der linten Kirche in den Jahren 1951 und 1958
Himmelsboten scheinen in diesem Moken ein Lorbeerkranz hält, auf der
– nach dem Entwurf von Horst Linde –
ment auf dem Wildparkstadion zu ruTurmspitze mit dem Wind geht und sich
sei der architektonische Ausdruck dahen. Vielleicht in Erwartung des letzten
stetig dreht, war der Wunsch von Baufür: „Der Mantel der Kirche ist ganz im
KSC-Heimspiels? Dirk Keller lacht und
meister Friedrich Weinbrenner. „Er hatStil von Weinbrenner gehalten, der Inlässt wiederum seinen Blick über die
te die Idee einer gesegneten Stadt“, sagt
nenraum steht dagegen für die Moderne,
Dächer und Kirchtürme der Stadt
Pfarrer Keller. Wäre es allerdings nach
für die Gegenwart“, betont Pfarrer Keldem
damaligen
ler. „Auch wir bewegen uns zwischen
Großherzog
Karl
der Tradition und dem Auftrag, diese
Friedrich
geganmit der Gegenwart zu verbinden.“
gen, hätte statt des
Patrizia Kaluzny
Himmelsboten eine
Schale die Kirchturmspitze geziert.
„Dem Großherzog
war der Engel zu
teuer, er wollte ihn
nicht“,
berichtet
Der 200. Geburtstag der evangelider Geistliche. Am
schen Stadtkirche wird am morgiEnde setzte sich
gen Pfingstsonntag mit einem Festaber der Baumeisgottesdienst gefeiert. Dieser beginnt
ter durch. Zum
um 10.30 Uhr. Altlandesbischof
Glück findet PfarKlaus Engelhardt wird in seiner
rer Keller: „Der
Predigt an markante Menschen und
Engel
ist
zum
Ereignisse der Stadtkirche erinnern
Wahrzeichen
der
– und an den bleibenden Auftrag,
Stadtkirche geworden die evangelische Gemeinde am
den.“ Und er ist zuMarktplatz bei allem Wandel hat.
gleich das Pendant
Zu der Festgemeinde werden außerzum Merkur, der
dem
Oberbürgermeister
Frank
sich – ebenfalls gülMentrup sowie der evangelische
den glänzend – auf
Dekan Thomas Schalla und sein kader Turmspitze des
tholischer Kollege Hubert Streckert
Rathauses mit dem
sprechen. Zum Abschluss des FestWind dreht.
sonntags erklingt ab 19 Uhr ein JuBesonderer Ort
biläumskonzert. Der Bachchor
Karlsruhe und Camerata 2000 verSeit Herbst 2012
tonen Psalmen Karlsruher Kompoist Dirk Keller
nisten.
Pfarrer in der evanDas Jubiläum der Stadtkirche
gelischen Stadtkirwird bis zum Advent gefeiert, unter
che, die Stelle teilt
anderem mit einer Ausstellung in
er sich seit drei Jahder Krypta unter dem Titel „Mittenren mit Pfarrerin
drin“, Kunstinstallationen und eiClaudia Rauch. Für
nem Stadtkirchenfest am 25. und
beide ist das Got26. Juni.
kal
DER FRIEDENSENGEL kehrte 1952 auf die Turmspitze der teshaus, das Friedevangelischen Stadtkirche zurück. Foto: Schlesiger/Stadtarchiv rich Weinbrenner
Programm
DIE NEUEN SCHIENEN sind da: Am Pfingstwochenende wird am Kaiserplatz die
letzte Lücke zum Gleis in der Kaiserstraße gen Europaplatz geschlossen. Foto: Kasig
Keine Pfingstruhe
Gleisarbeiten am Mühlburger Tor / Bahn umgeleitet
ruh. Das Mühlburger Tor ist heute
und an den zwei Pfingstfeiertagen ein
Ort des Widerspruchs: Hochbetrieb
und Stillstand, Baulärm und Ruhe,
Anschluss und Unterbrechung.
Weil das neue Gleis auf der Südseite
von U-Strab-Rampe und Kaiserdenkmal über Pfingsten ans Schienennetz
angeschlossen wird, können bis
Dienstag, 17. Mai, 4 Uhr dort keine
Bahnen rollen. Der Schienenverkehr
wird deshalb über den Weinbrennerplatz abgewickelt, entweder via Kai-
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serallee/Schillerstraße oder via Kühler Krug.
Laut Kasig wird an diesem Wochenende auch schon das provisorische
Gleis in Fahrtrichtung Europaplatz
nördlich des Kaiserplatzes ausgebaut.
„Ab Dienstag geht es dann wieder für
die ÖPNV-Fahrgäste richtig rund um
den Kaiserplatz, da die Bahnen dann
wie vor Baubeginn der Kombilösung
nördlich und südlich das Denkmal
umrunden“, erklärt Kasig-Pressesprecher Achim Winkel.