4090589 Pfingsten 2016 KARLSRUHE Ausgabe Nr. 111 – Seite 25 Mit dem Segen des Friedensengels Die evangelische Stadtkirche am Marktplatz feiert 200. Geburtstag Nanu, wo schauen sie denn alle hin? Mit Baustellen im öffentlichen Raum ist das so eine Sache. Wird im Freien gebuddelt, betoniert und mit großen Maschinen hantiert, dann kommen sie sofort aus allen Himmelsrichtungen angeflogen: die Baustellen-Kiebitze. Das ist bei der U-Strab-Baustelle so, das war aber auch vor 65 Jahren nicht anders. Auch damals befand sich Karlsruhes interessanteste Baustelle im Herzen der Stadt, jedoch nicht im Untergrund, sondern in luftiger Höhe: Gebannt verfolgten Passanten die Arbeiter, die über den Dächern der Stadt, auf der Balustrade der evangelischen Stadtkirche balancierten, um dort zunächst ein Gerüst zu errichten und dann die obere Hälfte des zerstörten Turms zu renovieren. Der ausgeglühte und teilweise brüchige Sandsteinturm erhielt unter anderem ein einzigartiges Korsett aus Stahlbeton, das ihm die notwendige Festigkeit gab. Friedensengel als eine „Cathedralkirche“ plante und in Anlehnung an einen antiken griechischen Tempel gestaltete, ein „besonderer Ort“, nicht zuletzt durch seine Lage mitten in der Stadt. „Es ist ein Privileg hier Pfarrer zu sein, ein Geschenk“, sagt Dirk Keller. Und wer dem 57-Jährigen zuhört, zweifelt nicht eine Sekunde daran. Schon als Jugendliche sei sie regelmäßig auf dem Marktplatz gestanden, wo sie immer mit der S4 aus ihrem Heimatort Durmersheim ankam, und habe fast ehrfürchtig auf das Gebäude geblickt, erzählt Pfarrerin Claudia Rauch. Ohne zu ahnen, dass dieser Weinbrenner Bau mit den mächtigen Säulen mal ihr Arbeitsplatz werden würde. „Die Kirche hat etwas Erhabenes“, schwärmt die 36-Jährige. „Ich finde es schön, so zentral arbeiten zu können, Mitten in der Stadt.“ Im Mai 1951 begann Kulturkonzept die erste WiederaufbauEtappe an dem markanDie 1807 begonneten Weinbrennerbau, ne und 1816 geweihder 1944 gleich zweimal te Stadtkirche sei – am 27. Mai und am 4. damals in erster LiDezember – von Brandnie zu Repräsentatibomben getroffen wuronszwecken errichde. Dass man beim Wie- AUF DEN KIRCHTURM zieht es die Geistlichen Claudia Rauch und Dirk Keller tet worden. „Es deraufbau zunächst regelmäßig. Im Sommer können auch die Karlsruher Bürger in diesen Genuss stand nicht die Nähe Foto: jodo zu den Menschen im dem Turm auf das Mau- kommen – nachdem sie die 144 Treppenstufen bewältigt haben. erwerk rückte, war der Vordergrund“, sagen Sicherheit geschuldet. Ein gutes Jahr schweifen. „Leider ist heute die Sicht Keller und Rauch, die aber genau das als nach Beginn der Arbeiten am Kirchturm nicht ganz so gut. Wenn das Wetter entihre Aufgabe sehen. Dabei hilft ihnen versammelten sich an einem Samstag sprechend ist, kann man von hier aus bis ein Stück weit auch die Kultur: Seit viewieder Scharren von neugierigen Kiezum Pfälzer Wald sehen.“ Obwohl der len Jahren ist die Stadtkirche im kultubitzen auf dem Marktplatz und blickten Pfarrer der Alt- und Mittelstadtgemeinrellen Leben der Fächerstadt fest verangen Himmel: Doch der sehnsüchtig erde, zu der die evangelischen Stadtkirche kert. Ausstellungen, Konzerte, Theaterwartete Himmelsbote kam nicht angegehört, schon oft die 144 Treppenstufen stücke und sogar Tanzaufführungen mit flogen, sorgfältig in einen Holzverschlag bis zur Turmterrasse hinaufgestiegen ist Ballett – die Verbindung von Musik, verpackt, wurde der glänzende Frieund den atemberaubenden Blick genosKunst und theologischen Themen hat densengel auf den Turm gezogen und sen hat, begeistert ihn die Aussicht imTradition im Gotteshaus am Marktplatz. anschließend montiert. Seitdem dreht mer wieder aufs Neue. Sie habe für ihn Dieses besondere Konzept lockt auch sich die 2,70 Meter hohe vergoldete auch etwas Meditatives. „Im vergangeimmer wieder Menschen in die Kirche, Kupferfigur unaufhörlich nach dem nen Sommer schaute ich mir von hier die die normalerweise keinen Gottesdienst Wind und ist zum Symbol der evangeliSchlosslichtspiele an“, erzählt der Pfarbesuchen. Zu einem Flamenco-Gottesschen Stadtkirche geworden, die an rer. Spannend sei auch immer der Blick dienst im März kamen gut 500 Besucher. Pfingstsonntag 1816 eingeweiht wurde auf die U-Strab-Bauarbeiten am Markt„Wenn es uns gelingt, Kultur mit und jetzt ihren 200. Geburtstag feiert. platz. Ja, auch ein Pfarrer wird gerne christlichem Glauben und einer Botmal zum Baustellen-Kiebitz – mit Loschaft zu verbinden, dann geht es auf“, 144 Treppenstufen genplatz. sind Dirk Keller und Claudia Rauch überzeugt. Und: „Wir sind mitten in der „Gerade dreht er uns das Hinterteil Großherzog fands zu teuer Stadt besonders herausgefordert, Menzu“, sagt Pfarrer Dirk Keller schmunschen für unseren Glauben zu intereszelnd, während er seinen Hals nach der Dass der Engel, der in seiner rechten sieren.“ Der Wiederaufbau der zerstörFigur reckt. Die Augen des geflügelten Hand eine Friedenspalme und in der linten Kirche in den Jahren 1951 und 1958 Himmelsboten scheinen in diesem Moken ein Lorbeerkranz hält, auf der – nach dem Entwurf von Horst Linde – ment auf dem Wildparkstadion zu ruTurmspitze mit dem Wind geht und sich sei der architektonische Ausdruck dahen. Vielleicht in Erwartung des letzten stetig dreht, war der Wunsch von Baufür: „Der Mantel der Kirche ist ganz im KSC-Heimspiels? Dirk Keller lacht und meister Friedrich Weinbrenner. „Er hatStil von Weinbrenner gehalten, der Inlässt wiederum seinen Blick über die te die Idee einer gesegneten Stadt“, sagt nenraum steht dagegen für die Moderne, Dächer und Kirchtürme der Stadt Pfarrer Keller. Wäre es allerdings nach für die Gegenwart“, betont Pfarrer Keldem damaligen ler. „Auch wir bewegen uns zwischen Großherzog Karl der Tradition und dem Auftrag, diese Friedrich geganmit der Gegenwart zu verbinden.“ gen, hätte statt des Patrizia Kaluzny Himmelsboten eine Schale die Kirchturmspitze geziert. „Dem Großherzog war der Engel zu teuer, er wollte ihn nicht“, berichtet Der 200. Geburtstag der evangelider Geistliche. Am schen Stadtkirche wird am morgiEnde setzte sich gen Pfingstsonntag mit einem Festaber der Baumeisgottesdienst gefeiert. Dieser beginnt ter durch. Zum um 10.30 Uhr. Altlandesbischof Glück findet PfarKlaus Engelhardt wird in seiner rer Keller: „Der Predigt an markante Menschen und Engel ist zum Ereignisse der Stadtkirche erinnern Wahrzeichen der – und an den bleibenden Auftrag, Stadtkirche geworden die evangelische Gemeinde am den.“ Und er ist zuMarktplatz bei allem Wandel hat. gleich das Pendant Zu der Festgemeinde werden außerzum Merkur, der dem Oberbürgermeister Frank sich – ebenfalls gülMentrup sowie der evangelische den glänzend – auf Dekan Thomas Schalla und sein kader Turmspitze des tholischer Kollege Hubert Streckert Rathauses mit dem sprechen. Zum Abschluss des FestWind dreht. sonntags erklingt ab 19 Uhr ein JuBesonderer Ort biläumskonzert. Der Bachchor Karlsruhe und Camerata 2000 verSeit Herbst 2012 tonen Psalmen Karlsruher Kompoist Dirk Keller nisten. Pfarrer in der evanDas Jubiläum der Stadtkirche gelischen Stadtkirwird bis zum Advent gefeiert, unter che, die Stelle teilt anderem mit einer Ausstellung in er sich seit drei Jahder Krypta unter dem Titel „Mittenren mit Pfarrerin drin“, Kunstinstallationen und eiClaudia Rauch. Für nem Stadtkirchenfest am 25. und beide ist das Got26. Juni. kal DER FRIEDENSENGEL kehrte 1952 auf die Turmspitze der teshaus, das Friedevangelischen Stadtkirche zurück. Foto: Schlesiger/Stadtarchiv rich Weinbrenner Programm DIE NEUEN SCHIENEN sind da: Am Pfingstwochenende wird am Kaiserplatz die letzte Lücke zum Gleis in der Kaiserstraße gen Europaplatz geschlossen. Foto: Kasig Keine Pfingstruhe Gleisarbeiten am Mühlburger Tor / Bahn umgeleitet ruh. Das Mühlburger Tor ist heute und an den zwei Pfingstfeiertagen ein Ort des Widerspruchs: Hochbetrieb und Stillstand, Baulärm und Ruhe, Anschluss und Unterbrechung. Weil das neue Gleis auf der Südseite von U-Strab-Rampe und Kaiserdenkmal über Pfingsten ans Schienennetz angeschlossen wird, können bis Dienstag, 17. Mai, 4 Uhr dort keine Bahnen rollen. Der Schienenverkehr wird deshalb über den Weinbrennerplatz abgewickelt, entweder via Kai- Anzeige serallee/Schillerstraße oder via Kühler Krug. Laut Kasig wird an diesem Wochenende auch schon das provisorische Gleis in Fahrtrichtung Europaplatz nördlich des Kaiserplatzes ausgebaut. „Ab Dienstag geht es dann wieder für die ÖPNV-Fahrgäste richtig rund um den Kaiserplatz, da die Bahnen dann wie vor Baubeginn der Kombilösung nördlich und südlich das Denkmal umrunden“, erklärt Kasig-Pressesprecher Achim Winkel.
© Copyright 2024 ExpyDoc