A M WO C H E N E N D E HF1 MÜNCHEN, PFINGSTEN, 14./15./16. MAI 2016 FOTOS: BR/SZ-TV, AGDESIGN GROUP, AFP, MONTAGE SZ WWW.SÜDDEUTSCHE.DE 72. JAHRGANG / 19. WOCHE / NR. 111 / 3,20 EURO 50 JAHRE MISSTRAUEN Bis heute hat China sich von Maos Kulturrevolution nicht erholt GOLD IM MUND Gesellschaft, Seite 49 Gen-Mais, Glaube, Vaterland: eine Reise durch die USA – mit Whiskey zum Frühstück Die Seite Drei Frische Fischer Edelrestaurants und Privatküchen verlangen nach immer mehr Fisch. Das verändert einen jahrtausendealten Beruf HÖR AUF MICH Hypnose gilt als Hokuspokus – doch sie wird sogar in der Medizin eingesetzt Stil, Seite 64 Wissen, Seite 37 (SZ) Katja Kessler, die Ehefrau von Kai Diekmann, hat ein Buch über eine Frau geschrieben, die mit einem Mann verheiratet ist, der „Schatzi“ heißt. Das ist ein ziemlich raffinierter Kunstgriff, denn kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, dass mit „Schatzi“ Kai Diekmann gemeint sein könnte. Die beiden Premium-Journalisten haben viel Freude daran, mit augenzwinkernden SemiSatiren ein großes Hallo im öffentlichen Raum anzuzetteln. Diekmann selbst hat ja vor Kurzem ein Interview mit Jan Böhmermann geführt, das er komplett selbst erfunden hat. Damit wollte der mit allen Wassern der postmedialen Referenzkultur gewaschene Diekmann aufzeigen, dass es im Grunde pupsegal ist, wer in der Öffentlichkeit was sagt. Hauptsache es steht in Bild, dem Satiremagazin für den Pfiffikus von vorgestern. Aber das nur als Hintergrundinformation für Leute, die nicht wissen, dass guter Journalismus nicht unbedingt die Wahrheit braucht, um tausendfach geliked zu werden. Nun hat also Katja Kessler einen Ehemann erfunden, „Schatzi“, dem sie im Bedarfsfall auch eine Niere spenden würde. Warum? Weil, sagt Katja Kessler, immer davon die Rede sei, man würde dem anderen sein Herz schenken, aber wenn es um die Nieren geht, „müssten viele Frauen noch mal nachdenken“. Es sind, liebe Frau Kessler, nicht die dümmsten Frauen, die noch mal nachdenken, bevor sie etwas tun, sagen oder schreiben. Natürlich ist das mit der Niere nicht so ganz ernst gemeint, sondern – zwinker, zwinker – eine coole Vorlage für das zärtliche Ehemann-Bashing, das Katja Kessler in die Welt trommelt, damit die Leute nicht denken, an der Seite von Kai Diekmann laufe ein erbötiges Hascherl, das keinen eigenen Kopf hätte. Manchmal denkt sich Frau Kessler ziemlich keck, die Ehe wäre so schön, wäre da nicht der Mann, der stört. Wie witzig man doch in einem Buch rüberkommen kann. Wichtig ist nur, dass beide Partner super über sich selbst lachen können. Aber jetzt muss auch mal Schluss sein mit dem trüben Gemotze. Seien wir mal lieber froh, dass es jetzt ein richtig lustiges Ehe-Buch zu kaufen gibt. Nicht diese „Ich bin mit ihm durch dick und dünn gegangen und am Ende war es nur noch dünn“-Prosa von Bettina Wulff. Nicht die „Ich hab den Typen zum Erfolg begleitet und jetzt fährt er mit einer Jüngeren Moped“-Tristesse einer Valérie Trierweiler. Katja Kessler und Kai Diekmann sind die Zelda und Scott Fitzgerald unserer Tage. Ihre Ehe ist Champagner, Charme und Ironie. Ihr Leben findet dort statt, wo die Zahnbürste der Durchschnitts-Ehe nicht hinkommt. Und jetzt pass auf: „Schatzi“, sagt Kai Diekmann, sei eine Kunstfigur, die mit ihm nichts zu tun habe. Bald wird „Schatzi“ Kai Diekmann für Bild interviewen. Und alle Welt wird glauben, Kai Diekmann gebe es wirklich. Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 45-48 16 40 63 34-35 61019 4 190655 803203 Leben in der Geisterstadt Wirtschaft wächst stark Zuerst die Kaufhäuser, dann die Postämter, jetzt verschwinden Sparkassen- und Bankfilialen. In Deutschlands Provinz fühlen sich immer mehr Menschen abgehängt 4,8 Prozent mehr Lohn in der Metallindustrie von joachim käppner Über Amorbach hat der Philosoph Theodor W. Adorno gesagt, das Klosterstädtchen im Odenwald sei „der einzige Ort auf diesem fragwürdigen Planeten, in dem ich mich im Grunde noch zuhause fühle“. Vor den Nazis war er geflohen, und als er zurück aus dem Exil kam, nahm er im „Hotel Post“ Quartier. Amorbach erschien ihm als Insel, vielleicht weil das „AnmutigLiebliche, Helle, Frohe und Heitere“ das Wesen der Barockstadt bestimmte, wie es in einem alten Heimatbuch hieß. Die Kirchtürme, Gassen und Fachwerkhäuser sind noch immer schön, aber nicht wenige Läden und Geschäfte stehen leer. Das „Hotel Post“ ist verlassen, das andere gute Haus am Platze ebenso. Das Hallenbad ist dicht. In der Region verschwinden immer mehr Sparkassen, Tendenz steigend. Es ist eine schleichende Verödung wie in so vielen Unterzentren jenseits der Boomgegenden: Kaufhäuser und kleine Läden schließen, die Postfiliale ebenso, Wirtshäuser machen dicht. Der Deutsche Städtetag beklagt die „drohende Verödung der Innenstädte“. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), schätzt, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre „bis zu 50 000 Handelsstandorte in Deutschland wegfallen werden“, von jetzt 450 000 Läden, Geschäften, Filialen – und das, obwohl der Einzelhandel dank der guten Wirtschaftslage gerade blüht. Der Tante-Emma-Laden ist bereits ein Fall für das Heimatmuseum, wo er gern nachgebaut wird, samt Waage, Brausetütchen und Gläsern voller Erdbeerbonbons. Bald könnte daneben eine Sparkassen-Filiale stehen, Abteilung: So waren die Siebzigerjahre, die Bank des kleinen Mannes mit Kundenschalter und Überweisungs- Ein Anblick, bei dem sich die Nackenhaare aufstellen: eine dreieckige Rückenflosse ragt aus dem Wasser, ein torpedoförmiger Schatten schlängelt sich in Richtung Ufer. Hai-Alarm auf Mallorca! Die Szene kursiert im Internet, Passanten haben sie am vergangenen Mittwoch gefilmt. Pünktlich zum Beginn der Pfingstferien, die viele Deutsche auf ihrer Lieblingsinsel verbringen, ist das Tier aus den Tiefen des Meeres aufgetaucht. Ein Blauhai im Hafenbecken des Porto Pi von Palma, nur knapp 500 Meter Luftlinie vom Familienstrand Cala Major entfernt. Die Guardia Civil machte sich Mühe, das Tier nicht zu verletzen. Mit einem Lasso wollten die Polizisten den Raubfisch aus dem Hafenbecken ziehen. Das misslang. Erst, als sie den Blauhai mit einem Boot umkreisten, flüchtete er – kehrte aber am nächsten Tag noch einmal zurück. Seitdem ist die Aufregung groß: Wo wird der Hai als Nächstes auftauchen? Die von Kinofilmen und reißerischen Berichten geprägten Urängste sitzen tief. DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche formular. Zuletzt hatte der Sparkassenund Giroverband eine weitere Ausdünnung des Filialnetzes angekündigt und die Konzentration auf „Beratungs-Knowhow“, so Verbandspräsident Georg Fahrenschon. Niedrigzinsen und Online-Banking belasten das Gewerbe. Bayerns Sparkassen wollen bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen schließen. Und das ist nur der Anfang. Oliver Mihm, Vorstandschef der Finanzmarkt-Beratungsfirma Investors Marketing, geht davon aus, dass in den kommenden Jahren bis zu 35 Prozent aller deutschen Bankfilialen zumachen oder zu Selbstbedienungs-Standorten werden (siehe Grafik). Den Vorwurf vieler Kommunen an die Sparkassen, sie zögen sich, obwohl öffent- liche Geldhäuser, aus der Fläche und damit aus der Verantwortung zurück, will Mihm aber nicht gelten lassen: „Wenn ein Bürgermeister glaubt, zur Belebung seiner City brauche er möglichst viele Bankfilialen, hat er nicht verstanden, wie Handel funktioniert.“ Entscheidend sei doch, dass immer mehr Kunden Bankgeschäfte daheim am Computer erledigen: „Und eine Sparkasse, in die niemand hineingeht, macht eine Stadt nicht attraktiver.“ Dennoch betrachten viele Städte in der Provinz das Filialsterben als weiteren Sargnagel. US-Szenarien, wo manche inner cities nur noch für Straßenräuber ein lohnendes Ziel bieten, sind zwar noch um einiges entfernt. Aber die Warnzeichen sind da. Mit Bundeswirtschaftsminister Das Ende der Bankfiliale Rückgang der Zweigstellen bis zum Jahr 2025 Sonstige Banken Genossenschaftsbanken 44 100 Sparkassen, Landesbanken -23% 34 000 16 837 11 351 -41% 20 000 12 733 10 833 5000 7000 14 530 11 861 2005 SZ-Grafik; Quelle: Investors Marketing AG 2015 8000 2025* * Prognose Unheimlicher Feriengast Ein Hai beunruhigt die Touristen auf Mallorca. Jetzt fragen sich viele: Was hat ihn angelockt? Da können Experten noch so oft betonen, wie übertrieben die Befürchtungen sind, unfreiwillige Bekanntschaft mit dem mehrreihigen, messerscharfen Gebiss der Tiere zu machen. „Eher wird man von einer herabfallenden Kokosnuss getötet, als durch einen Hai-Biss“, sagt etwa Robert Hueter, Direktor des Hai-Forschungszentrums von Sarasota in Florida. Aber das beruhigt einen Familienvater auf Mallorca wohl nur bedingt, wenn er seiner kleinen Tochter am Strand die Schwimmflügel aufbläst. Selbst Tierschützer räumen ein, dass der Respekt vor den Raubfischen gerechtfertigt ist: „Ein Blauhai er- reicht bis zu vier Meter Länge – es kann schon zum Problem werden, wenn man auf ihn trifft“, sagt Roland Gramling von der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Das mallorquinische Exemplar hat sich nach Meinung von Experten entweder schlicht verirrt oder ist einer von Menschen gelegten Spur in den Hafen nachgeschwommen: Abfällen von Touristenschiffen oder über Bord gekipptem Beifang von Fischern. Es ist nicht der erste Hai-Alarm auf Mallorca. Im Jahr 2000 wurden Strandabschnitte gesperrt, weil ein Blauhai in Ufernähe gesichtet wurde. Sigmar Gabriel (SPD) hat der Handelsverband daher 2015 eine „Dialogplattform“ gegründet, wie sich die Verödung verhindern lässt, und mit dem Städte- und Gemeindebund soeben eine „Allianz für die Innenstadt“. Erste Erkenntnis der Beratungen: „Ein neues Stadterlebnis lässt sich schaffen“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Gehm, „doch nur mit großen, gemeinsamen Anstrengungen.“ Es sei noch nicht zu spät, sagt auch Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik, „aber wenn man jetzt nicht anfangen würde, wäre der Bedeutungsverlust vieler kleiner Städte kaum aufzuhalten“. Zwar wird kein Dialogforum verhindern, dass die Leute online einkaufen und immer mobiler werden. Aber viele Probleme der Kommunen seien „auch hausgemacht und Ergebnis von Kirchturmpolitik“, so Pätzold – etwa die Flächenausweisung für Discounter, um dem Nachbarort zuvorzukommen. Die Folge für die kleinen Geschäfte in der Stadt: Leerstand, blinde Fenster, Tristesse. Viele Städte nutzen nicht mal die erlaubten vier verkaufsoffenen Sonntage im Jahr. Öffnungszeiten erinnern an die Ära Adenauer. Ein Wust von Vorschriften blockiert noch den letzten Metzger, der umbauen will; die Wlan-Versorgung ist schlechter als in Bangladesch. All dies lässt sich ändern. Dann, glaubt Bankenberater Mihm, wird die Sparkasse ebenfalls eine Zukunft haben: „Es wird sie auch in 50 Jahren noch geben, weil das Netz die direkte Beratung von Mensch zu Mensch nicht ersetzen kann.“ Auch Amorbach will die Stadt neu beleben und als Erstes die leeren Hotels zu einem Stadthotel vereinen, damit Reisegruppen im Ort bleiben (und Geld lassen) können. Vielleicht wird im neuen Hotel an Adorno erinnert, der hier darüber nachsann, was es bedeutet, zu Hause zu sein. Aber gemessen daran, wie weit Touristen in aller Welt selbst in entlegene maritime Regionen vorrücken, kommt es tatsächlich zu wenigen Vorfällen. Laut International Shark Attack File, der zentralen Datenbank über Hai-Angriffe, gab es im vergangenen Jahr 98 unprovozierte Attacken, sechs davon tödlich. Am gefährlichsten surfen und schwimmen Urlauber in Florida, Australien und Südafrika. In Spanien gab es fünf Angriffe – seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1847. So gesehen, zieht der Hai bei der Begegnung mit Menschen den Kürzeren. Laut WWF werden jährlich Millionen Haie getötet; und weil sie sich so langsam fortpflanzen, sind viele Arten längst gefährdet oder vom Aussterben bedroht, auch der Blauhai. Der Hunger auf sein Fleisch ist nicht nur in Asien groß. Laut WWF fangen die europäischen Fischereien im weltweiten Vergleich die meisten Haie und Rochen für den Handel. Besonders eifrig auf der Jagd sind laut den Umweltschützern die Spanier. jochen temsch Berlin – Deutschlands Wirtschaft wächst so stark wie lange nicht. Dank kauffreudiger Verbraucher, höherer Ausgaben und steigender Investitionen wuchs das Bruttoinlandsprodukt von Januar bis März um 0,7 Prozent. Der Anstieg ist mehr als doppelt so groß wie im Vorquartal und so kräftig wie seit zwei Jahren nicht. Von den 19 Ländern der Euro-Zone schafften nur Spanien und Zypern stärkere Zuwächse, wie Eurostat meldete. Die gute Konjunktur spiegelt sich im Tarifanschluss der Metallindustrie wider. Nach einem 14-stündigen Verhandlungsmarathon einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft in Köln am Freitagmorgen auf eine zweistufige Lohnerhöhung im Volumen von 4,8 Prozent. sz Wirtschaft Glyphosat vergiftet Klima in der Koalition Berlin – Der Streit um das Pflanzengift Glyphosat eskaliert. Das Kanzleramt will sich in die Auseinandersetzung zwischen SPD- und unionsgeführten Ministerien einschalten. „Es ist offenbar, dass es derzeit keine einheitliche Position in der Bundesregierung gibt“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. In den kommenden Tagen soll es Gespräche „unter Beteiligung“ des Kanzleramts geben. Grund des Streits sind ungeklärte Gesundheitsrisiken. sz Seite 4, Politik MIT STELLENMARKT Dax ▲ Dow ▼ Euro ▼ Xetra 16.30 h 9942 Punkte N.Y.16.30 h 17670 Punkte 16.30 h 1,1303 US-$ + 0,81% - 0,29% - 0,0075 DAS WETTER ▲ TAGS 17°/ 1° ▼ NACHTS Die Schauer über dem Südwesten und Süden werden weniger. Am Alpenrand dauert der Regen an. Im Norden und Nordwesten sind Gewitter möglich. Temperaturen zwischen acht und 17 Grad. Seite 16 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,90; dkr. 31; £ 3,60; kn 35; SFr. 5,00; czk 115; Ft 1050 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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