2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Wenn Manager zu Praktikanten werden SeitenWechsel für Führungskräfte Autor: Godehard Weyerer Redaktion: Rudolf Linßen Regie: Godehard Weyerer Sendung: Freitag, 20.05.16 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ MANUSKRIPT Atmo 01: (Hafen-Atmo) O-Ton 01: (Rech) Na klar bin ich mir bewusst, dass ein Stück weit Glück dazu gehört, um mich auf dem Weg laufen zu lassen, auf dem ich unterwegs war und nach wie vor bin. Sprecher: Thomas Rech hat sich hochgearbeitet. Vom Fahrer zum Betriebsleiter und Prokuristen. Unter seiner Regie werden pro Jahr in Bremerhaven rund zwei Millionen Fahrzeuge verladen und gelöscht. Atmo 01: hoch Sprecher: Exportfahrzeuge werden für die Fahrt nach Übersee vorbereitet, die, die importiert werden, umgerüstet, bevor sie an die Händler in ganz Europa ausgeliefert werden. Atmo 01: hoch Sprecher: Stoßstange an Stoßstange stehen die Fahrzeuge auf den Stellflächen, die Platz bieten für 120.000 Fahrzeuge. Thomas Rech ist Chef von 1.300 Mitarbeitern. Probleme, die von zu Hause mitgenommen werden, schmälern den Einsatz am Arbeitsplatz. O-Ton 02: (Rech, mit Gabelstabler) Man stellt das nicht bei jedem sofort fest, das ist einfach so, dass ist der Größenordnung geschuldet, sondern natürlich auch dem Umstand, ist der Mitarbeiter bereit darüber zu sprechen und es anzugeben, ich habe da ein Problem, ich will gerne mal reden. Sprecher: Thomas Rech ist vor 25 Jahren in die Firma eingestiegen. Erst als Fahrer, dann zum Schichtleiter befördert, schließlich in die Mitarbeiterführung aufgestiegen. Jedes Jahr macht er eine Weiterbildung. Betriebswirtschaftliche Themen, Logistik, Teamführung. Dieses Jahr ist nun der Seitenwechsel an der Reihe. Thomas Rech hat sich für ein Obdachlosen-Cafe in der Bremer Innenstadt entschieden. O-Ton 03: (Rech) Für mich persönlich ist wichtig, eine andere Welt bewusst kennenzulernen. Da habe ich auch bewusst das Thema Obdachlosigkeit gewählt, weil es mir ehrlicherweise gesagt schwer fällt, damit umzugehen. Wenn ein Obdachloser, jetzt mach ich mal die Schublade auf, irgendwo an der Ecke steht und fragt, haste mal ne Mark oder einen Euro mittlerweile, dann weiche ich dem lieber aus, weil ich nicht weiß, wie gehe ich mit dem um. Atmo 03: (Atmo-Cafe innen) 2 Sprecher: Zwei Wochen später. In der Bremer Innenstadt, wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, in einer von schmucklosen Hochhäusern eingefassten Betonschlucht, aus der nach und nach alle Geschäfte und Restaurants abgewandert sind, hält allein das Cafe Papagei die Stellung. Thomas Rech und ich haben uns 8:30 verabredet. Die Sozialarbeiter sitzen im Cafe bereits am Tisch. Wir setzen uns dazu. O-Ton 05: Rüdiger: Moin. Ich bin Rüdiger. Thomas. Moin, Herr Weyerer Autor: Hallo. Jonas: Möchtest du einen Kaffee? Gerne. Mit? Mit nichts. Conny: Das sind uns die Liebsten! Mit Nichts. Atmo 04: 1002, 00:56-01:40 (Atmo im Cafe) Sprecher: Conny ist Leiterin des Teams im Cafe Papagei, Jonas arbeitet als Streetworker, Rüdiger leitet die Einrichtung. O-Ton 06: Rüdiger: Ich bin gleich weg. Conny: Wieso? Rüdiger: ich verhandle die neue Leistung ... Conny: Stimmt, stimmt, stimmt. Was? Rüdiger: Wir sind ja finanziert durch die Behörde hier, Leistungsentgeld durch das Amt für Soziale Dienste. Ich gehe jetzt ins Controlling, als ich leite hier die Einrichtung, und werde jetzt das Budget ausarbeiten. Das macht hier für ein Jahr? Rüdiger: Das machen wir immer für ein Jahr. Jeden Monat gibt es einen ControllingBericht. Wir sind eigenverantwortlich für das Budget. Dann müssen wir gucken, wo hakt es finanziell. Gerade im sozialen Bereich ist es immer sehr, sehr eng gestrickt, s gibt nie irgendwo ein Plus. Dann muss nachverhandelt werden oder der Leistungssatz wird gekündigt und neu verhandelt. Ich bin gerade erschreckt. Rüdiger: Es gibt wie in der Wirtschaft alles volle Kante auch hier. Ich muss heute Morgen aber keine Power-Point-Präsentation machen? Rüdiger: Nee, nee! Atmo 05: 1002, 09:07-19:02 (Atmo im Cafe) Sprecher: Vor dem Cafe warten knapp zehn Männer. Um neun Uhr wird geöffnet. Bis 16 Uhr haben die Obdachlosen es hier warm und trocken, können duschen, die Tageszeitung lesen, an den Computer gehen oder am Tresen für wenig Geld Getränke und Lebensmittel kaufen. 3 O-Ton 09: Wie schafft ihr das, ... Haltet ihr das auf Distanz oder wie geht das? Ich habe mir das ja auch überlegt, die Woche wie machst du das, wie nahe lässt du es an dich rankommen? Jonas: Es gibt schon Situationen oder auch Personen, (Conny überreicht Rech eine Schürze), die Betroffenheit verursachen. Wenn ich sehe, wie jemand abgebaut hat, wenn jemand sich weigert, sich entsprechend mit Kleidung auszurüsten oder ich jemand habe, dem ich einen Schlafsack ihm anbiete, und der sagt, kann ich nicht gebrauchen, will ich nicht rumschleppen und ich weiß, der schläft nur in seinen sieben Kleiderschichten. … Das ist heftig. Das macht auch betroffen. Sprecher: Am Aufgang zur Treppe, die in den ersten Stock führt, wo die Büroräume liegen, hängen vier Bilder. Sie erinnern an die, die in den vergangenen Monaten auf der Straße gestorben sind. Keiner von ihnen, sagt Jonas, sei erfroren, aber das Leben draußen würde die Gesundheit verschleißen. Und der Alkohol, der das alles erträglicher machen soll, tue ein Übriges. Der Streetworker wird den Seitenwechsler diese Woche in die Welt der Obdachlosen begleiten. Heute, am ersten Tag, ist erst einmal TresenDienst angesagt. O-Ton 07: Autor: Was haben Sie jetzt in die Hand gedrückt bekommen? Meine Arbeitskleidung. Autor: Wie sieht die aus? Schick. Weinrot, fescher Papagei vorne drauf. Conny: Da ist unsere Dienstschürze. Jonas: Fünf Minuten. Autor: Dann drängeln sie rein. Jonas: Heute geht es. An anderen Tagen stehen da 15, 20 Leute. Dann ist Gedränge. Wo kann ich meine Jacke lassen? Conny: Bei mir oben. Jonas: Brauchst du noch was aus den Taschen? Ja, Zigaretten. Sonst muss ich hier schnorren. Das ist auch doof. Jonas: Dann glaubt dir auch keiner mehr, dass du ein Seitenwechsler bist…. Wenn du anfängst zu schnorren, helfen sie dir dann noch, einen Harzt-IV-Antrag zu stellen. Atmo 06: (Atmo Leute kommen ins Cafe) Conny: Wenn du möchtest, kannst du dich schon hinter den Tresen begeben. Na denn, Conny: und dich zu Gaby gesellen. Atmo ... O-Ton 08: (Jonas) Es wird noch ein bisschen mehr bis zum Mittag, nach und nach kommen so 30, 35 Leute, die sich hier aufhalten. Ab Nachmittag wird es bisschen leerer. Atmo 07: (vom Cafe zum Tresen) 4 Sprecher: Im vorderen Bereich des Cafes, dort wo der Fernseher an der Wand hängt, setzen sich die ersten Gäste zünden sich Zigaretten an. Hinter der Glastür liegt ein zweiter Raum. Ebenfalls mit Tischen und Stühlen bestückt. Hier gilt Rauchverbot. Hier ist der Tresen. Hier gibt es belegte Brötchen, Jogurt, Salate, Kaffee und kalte Getränke. O-Ton 09: Autor: Sie haben Ihre ersten Anweisungen bekommen? Ich habe die ersten Anweisungen erhalten. Autor: Die wären? Getränke holen und wegräumen. Und wenn ich mir gemerkt hätte, wo was steht, dann müsste ich nicht jede Tür aufmachen. Jetzt schauen wir mal, was das hier so wird. Atmo 08: Tresen) Gabi: Ich müsste da mal an die Kasse (Kassen-Atmo) O-Ton 10: Gabi: Morgen. Obdachloser: Heute möchte ich ein Multivitaminsaft. Gabi: Groß oder klein? Obdachloser: Den normalen Gaby: Unnormalen haben wir nicht. 20 Cent. (Erklärt ihm die Kasse) Sprecher: Beliebtes Zahlungsmittel ist Kleingeld. Vorzugsweise Cent-Münzen gehen über den Tresen. O-Ton 11: Obdachloser: Einmal mit Hackepeter noch mal und einmal mit Fleischsalat. … Nee, keine Zwiebeln. Gabi: Sorry, 70 Cent. Danke schön. Kasse. Hallo (obdachlose Frau) Ein Apfelsaft und ein Kakao und ein Erdbeer-Jogurt. Gabi:1.75 bitte. Obdachlose: 1,2,3,4,5,6, haben wir da noch was. O-Ton 12: Frauen: Gibt es nur 10-20 Prozent, weil Frauen, weil es für sie alleine draußen wirklich besonders gefährlich ist, würden sich lieber für einen Typ mit Wohnung entscheiden und dann spontan entscheiden, den lieben sie. Bei Frauen ist es dann so, wenn die dann in den Frauenwohnangeboten auftauchen, dann sind sie psychisch schon sehr verbraucht von dieser Art von Zwischenwohnen. Das liegt nicht jeder Frau, sich ständig behaupten zu müssen gegen vermeintliche Beschützer. Das ist anstrengend. Einige, die dann draußen schlafen, die haben das auch dann richtig drauf. 5 Atmo 09: vom Tresen ins laute Cafe) Sprecher: Organisiert wird der Seitenwechsel von der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg, einer Organisation, die sich seit über 250 Jahren gemeinnützigen Aufgaben widmet und sich als Scharnier zwischen Wirtschaft und sozialen Einrichtungen sieht. O-Ton 15: (Jonas im lauten Cafe) Morgen und übermorgen werden wir zwei Tage rausgehen und eben die normale Tour, die ich sonst mache, die Leute aufsuchen, mit ihnen schnacken, was los ist, ob sie was brauchen. Sprecher: Wer die Seite wechselt, so die Idee, anschließend für die kleinen Nöte und Sorgen der Mitarbeiter ein offeneres Ohr haben. Denn das Engagement am Arbeitsplatz lasse zu wünschen übrig, sagen die Unternehmensberater von Gallup. Der deutsche Ableger der US-amerikanischen Gesellschaft legt jährlich einen Zufriedenheits-Index vor. Demnach hätten im letzten Jahr gerade einmal 16 Prozent aller Arbeitnehmer eine hohe emotionale Bindung zum Betrieb, in dem sie beschäftigt sind. 69 Prozent machten "Dienst nach Vorschrift". O-Ton 15: (Jonas im lauten Cafe) Donnerstag gibt … es wieder einen Tag hier drin. Freitag haben wir mit dem Seitenwechsler draußen ein Abschlussfrühstück, wo wir 130 Brötchen schmieren und verteilen. Das wird eben auch finanziert durch das, was wir durch den Seitenwechsel bekommen. Da bekommen unsere Leute, unsere Kundschaft direkt was vom Seitenwechsler zurück. O-Ton 13: (hinterm Tresen) Was darf es hier sein? O: Ein Kaffee für 50 Cent. Ist das die Große, Gabi? Gabi: Genau. O: Und ein Brötchen mit Ei. Kassieren machst du? Ich kenn die Preise noch nicht. Gabi: 1,20 muss er bezahlen. Super, danke. Sprecher: Thomas Rech nimmt das Geld entgegen, legt es in die Kasse. Er räumt die Spülmaschine ein und füllt die Kaffeemaschine auf. Bis 16 Uhr steht er heute hinter dem Tresen. O-Ton 14: (Rech) Hier ist kein Gerumpel und Gemoser am Tresen, wenn es drei Minuten länger dauert, wenn ich mich noch ein wenig dusselig anstelle, weil ich nicht weiß, wo der Kaffee steht oder der Becher. … alles sehr diszipliniert hier, das finde ich schon beeindruckend, hatte ich mir in dieser Form nicht erwartet. Also, ich finde es ganz gut, dass heute noch so eine Barriere dazwischen ist, weil so kann ich mich da gedanklich auch ein wenig anschleichen oder annähern. Ich würde 6 jetzt lügen, wenn ich jetzt sagen würde, dass die Hemmschwelle, die doch vorhanden ist, dass die alleine durch die Tatsache, dass ich hier stehe, weg ist. Das wäre Quatsch. Atmo 10: (Obdachlose kommen rein) Sprecher: Mittwoch, neun Uhr, wie jeden Tag öffnet das Cafe, die Obdachlosen kommen herein. Für Thomas Rech beginnt der dritte Tag seines Seitenwechsels. O-Ton 16: Jonas: Dann nehmen wir unseren Kaffee und ziehen los. Wir müssen gucken, dass wir so um 10 Uhr rüberkommen. Moin. Moin. Autor: Wie war für Sie der erste Tag? Rech: War hochgradig spannend und irgendwie habe ich gestern zum Jonas schon gesagt, bin ich gestern mit einem völlig anderen Blickwinkel durch die Gegend gelaufen. Sonst habe ich in die Schaufenster geguckt. Die sind mir gestern nicht so aufgefallen, sondern die Leute, die vor den Schaufenstern gestanden haben und versucht haben, das ein oder andere Cent- oder Eurostück zu erbetteln. Autor: Haben Sie sich schon an den Verhaltensweisen, die ohne Wohnung draußen leben, ein bisschen gewöhnt, wie sie miteinander umgehen, die Sprache? Rech: Im Prinzip gehen die ganz normal miteinander um. Und auch da ist es geprägt von einem hohen Maß an Respekt, das war so meine Wahrnehmung. Man respektiert sich gegenseitig, in de Regel sprechen die miteinander als übereinander. Das finde ich schon sehr interessant. Autor: Das ist in großen Betrieben manchmal anders? Manchmal. (lacht) Atmo 11: (Rollcontainer, Lebensmittel) Sprecher: Ein Fahrer liefert Lebensmittel an. Aus dem Rollcontainer werden Milch, Jogurt, Ketchup, Senf, Pudding, Säfte, Eier die Treppe hochgetragen. Thomas Rech packt mit an. Kurze Zwischenfrage: Ist in Bremerhaven noch alles in Ordnung? CUT 17 (Rech) Ja, gehe davon aus. Bislang hat sich keiner gemeldet. Keiner ist falsch, wir haben schon telefoniert. Aber es läuft. Alles gut. Autor: Die unlösbare Aufgabe hat sich noch nicht eingestellt. Nein, ist ein gutes Gefühl, eine gute Mannschaft zu haben, die das Tagesgeschäft so abwickelt. Autor: Kurz anrufen, das musste dann doch sein? Ja. Ganz ohne ging es nicht. Atmo 12: Schönen Tag noch. Tschüss. (Rollcontainer raus, Tür zu) Gabi: Was für ein Chaos heute morgen wieder! (Tür zu) 7 O-Ton 18: Autor: Wir gehen jetzt raus? Jonas: Ja, wir starten jetzt unsere Runde. Dienstag und Mittwoch ist für mich Tour, das heißt, ich laufe draußen rum. Und heute kommt Thomas eben mit wie gestern, gucken, wie es den Leuten geht, ob die Leute was brauchen, wie die Stimmung ist. (aus Cafe, Rech im Gespräch mit Obdachlosen) Obdachloser: Wenn du willst, kann ich dir das ja mal zeigen. Ja, gerne. Obdachloser: Es ist eine Erleichterung. Ich habe vorher bei Stefani Platte gemacht. Da gegenüber ist es schon eine Erleichterung. Da lag ich nur so in einem kleinen Eingang drin. Das ist jetzt aber nur Nässe-, keine Kälteschutz. Obdachloser: Ich tu mit meinem Camping-Kocher ne halbe Stunde, dann habe ich angenehme 10 Grad. Atmo 13: Gespräch) Sprecher: Draußen vor dem Cafe ist Thomas Rech mit einem Obdachlosen ins Gespräch gekommen. Er erzählt ihm, dass er eine Hundehütte bewohnt. Damit hat Thomas Rech nicht gerechnet. O-Ton 19: (Rech) Allein die Bezeichnung finde ich brutal. Obdachloser: Aber ehrlich gesagt, das ist für einen Obdachlosen, der auf der Straße schläft, ist das wirklich eine Erleichterung. Erstens du weißt, wo du deine Sachen lagern kannst. Ich habe da 240 Bücher drin gestapelt. Kannst du das abschließen? Obdachloser: Ja. Gut, die wichtigsten Sachen habe ich immer dabei. … Kann ich verstehen. So, ich muss n Kaffee haben. Jonas: Wir gehen jetzt noch einen Schlafsack holen, den wir gestern einem versprochen haben und dann gehen wir zum Bus, der steht da. (schlecht verständlich) (Tür zu) Nee. … SWB. Beirat Gröpelingen hat für den Bus mit gespendet. Das wirkt auf mich, ihr habt ja gefragt, was wollt ihr für Ideen haben, das wirkt auf mich wie Vorwurf. Sprecher: Was bei Thomas Rech auf Unmut stößt, sind sechs Fotos auf der Schiebetür des Busses: in der oberen Reihe ein schmuckes Eigenheim, ein gehobenes Mittelklasse-Auto und ein Schreibtisch in einem gemütlichen Büro. Darunter eine Parkbank, ein Einkaufswagen, vollgestopft mit allerlei Habseligkeiten, eine verbeulte Konservendose, in der ein wenig Kleingeld liegt. O-Ton 20: (Rech) Bei mir kommt an: ungerecht. Jonas: Ist ungerecht, ja. Muss ich jetzt mit einem schlechten Gewissen in meinem Haus schlafen? 8 Jonas: Du musst doch nicht mit einem schlechten Gewissen in deinem Haus schlafen. Die Frage ist doch, warum kriegen wir als Gesellschaft dieses Problem mit der Parkbank nicht gelöst. Kann doch nicht angehen. Mir gefällt es, wenn sich jemand aufregt und sagt, Mensch soll das jetzt ein Vorwurf sein? Sind wir doch schon im Gespräch. Da waren wir gestern ja auch schon. Jonas: Lass uns mal los. Atmo 14: Seitentür zu, Motor an O-Ton 21: (Jonas steigt ein, Motor im Stand) Autor: Was bringt denn die Arbeit hier draußen? Jonas: Kleinigkeiten. Aber besser als gar nichts. Weil die großen Sachen wie Wohnung und Arbeitsplätze habe ich keine Aktien drinne, das wäre ein echter Fortschritt. Aber das ist ja kein Grund, die Leute alleine auf der Strecke zu lassen. Deswegen geht es um Kleinigkeiten. …. Autor: Also Kennzahlen, wie viel Leute Ihr vom Alkohol weggebracht habt, wie viel Leute Ihr in eine Wohnung gebracht hat, wäre der falsche Ansatz? Jonas: Das wäre der ganz der falsche Ansatz. Ich sage, ich bringe niemandem vom Alkohol weg, solange er keine Wohnung, Arbeit und Perspektive hat, weiß ich nicht, warum er nicht weiter besser den Kopf vernebeln soll, weil es einfach hart ist, es ständig auszuhalten, dass ich eben auf der Verliererseite des Lebens bin. Autor: Eine ganz andere Herangehensweise. Sie haben mir erzählt, dass die Arbeit bei Ihnen nach klaren Vorgaben gewertet wird. (Auto fährt an) Klare Arbeitsvorgaben und natürlich kennzahlenorientiert. Das ist schon anders hier. Habe ich gestern zu Jonas auch schon gesagt, eine andere Tagungstaktung. Autor: Was ist da anders? Im direkten Vergleich unserer beiden Jobs? Autor: Ja. Ich komme hier sehr gut ohne Uhr klar. Bin ich gestern zumindest. Heute geht es mir ähnlich. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich von einem Termin zum nächsten hetzen. …Jonas berichtige mich bitte, wenn es falsch ist. Jonas: Nee, Zeit spielt keine Rolle, außer wir haben Termine abgemacht. Da waren wir in dieser Woche sehr zurückhaltend. Autor: O.k. Wo fahren wir hin? Jonas: Wir fahren zur Domsheide, um einen Schlafsack auszuliefern und gucken, wer im Bereich Domsheide, Marktplatz noch so sitzt. Atmo 15: (Handbremse angezogen), (raus aus Auto, Tür zu) O-Ton 22: Jonas: Moin Manni. Das ist der bessere Schlafsack. Manni: Oh ja. Jonas: Was ist mit deinen Klamotten? Hast du eigentlich Thermo-Unterwäsche? Manni: Nein. Jonas: Willst du haben? Manni: Ja. 9 Jonas: Dann gehe ich mal zum Bus. Dir ist gerade eine Kippe runtergefallen, bevor die in die Nässe fällt. Manni: Oh ja. Jonas: Dann kommen wir gleich wieder Manni: O.k., Danke ich dir. Also, wir waren ja gestern auch schon hier. Bei der Runde, die wir gedreht haben, haben wir viele unterschiedliche Leute kennengelernt. Und er ist schon ein Härtefall. Das ist Sterben auf Raten oder auf Ansage. Wie geht es Ihnen dabei? Autor: Das finde ich, das ist schon eine Stufe zu hart. Bei den anderen kommt man noch ins Gespräch. ... Psychisch labil, vom desolaten, körperlichen Zustand mal abgesehen. Keine Ahnung. Jonas, schläft der auch draußen. Jonas: Ja macht er, wenn es geht zum Teil in der Schalterhalle, die werden aber nach und nach geschlossen. Dann schläft er so rechts hier im überdachten Eingangsbereich vom Dom hier. Sprecher: Tief versunken hockt der Obdachlose auf dem Pflaster, den Kopf gesenkt zwischen den Armen. Man versteht ihn kaum. Streetworker Jonas und Thomas Rech gehen zurück zum Bus, holen ihm Thermounterwäsche und reichen sie ihm. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. O-Ton 23: (kommen wieder rein) Manni: Danke schön. Jonas: Du rufst auf jeden Fall an, wenn du was brauchst. Oder meldest dich im Cafe. Manni: Was ja, wo da ist. Jonas: Okay. Bis dann, Tschau.. Sprecher: Auch ich verabschiede mich für heute. Am übernächsten Tag treffe ich Thomas Rech wieder im Cafe, oben in der Küche. Brötchen werden geschmiert. Atmo 17: Atmo Brötchen schmieren) O-Ton 24: (Rech) Das wird jetzt ein kostenloses Frühstück, das wir ab 12 Uhr am Bremer Hauptbahnhof anbieten. Autor: Was war am Mittwoch noch los, nachdem wir uns verabschiedet hatten? Wir haben unsere Runde weitergedreht. Autor: Und heute, Herr Rech, ist der letzte Tag? Heute ist der letzte Tag. Die Woche ist irgendwie rasend schnell vergangen. Bin gespannt, was ich heute noch am Bahnhof so alles erlebe, Ja! Sprecher: 130 Brötchen sind halbiert und geschmiert – mit Butter, Käse, Schinken, Hackepeter zur Feier des Tages auch mit Lachs, garniert mit Tomaten, Paprika, Gurken, Zwiebeln. Auf Tabletts werden sie in Transportboxen geschoben und zum Bus 10 heruntergetragen. In Tüten abgepackt sind jeweils eine Tafel Schokolade, ein kleines Erfrischungsgetränk, ein hart gekochtes Ei. Atmo 19: (Atmo Abfahrt, Tür zu, Motor an, Abfahrt) Sprecher: Zum Bahnhof ist es nicht weit. Hinter einem Seitenflügel wird geparkt und aufgebaut. O-Ton 25: (Tür auf) Moin, moin. Autor: Es geht gleich los. Was haben Sie jetzt für eine Aufgabe zugeteilt bekommen? Ich bin jetzt der Brötchen-Packer. Die Kollegen rufen mir zu, was da gewünscht wird und ich pack das dann auf die Teller und reiche das dann durch. Kriege ich hin Autor: Ich gehe davon aus. Aber Herr Rech, ist Ihnen aus Bremerhaven schon irgend etwas zu Ohren gekommen, von Ihrem Arbeitsplatz? Ja, gestern hatte ich mehrere lange Telefonate. Atmo: Obdachloser: Einmal Käse, einmal Lachs und einmal Hackepeter. Hackepeter, Lachs und Käse. Jonas: Und eine Tüte. Obdachloser: Danke Jonas. Mach mir mal drei Gestern wie gesagt, ein zweistündiges Telefonat mit meinem operativen Geschäftsführer. Das sind halt dann so ein paar Themen, die dann so hochpoppen, die sonst auch bei mir laufen, und wenn man dann kurzfristig nicht da ist, dann unklar ist, er es dann gerade macht. Moin, was darf es sein? Obdachloser: was Ihr habt. Lachs und Schinken. Haben wir beides. Jonas: Zwei gekochte Schinken, ein Mett. Obdachloser: Ich bedanke mich, war alles in Ordnung. Sehr gerne Obdachloser: Schönen Tag. Danke gleichfalls Obdachloser: Was für eine Organisation ist das? Jonas: Vom Cafe Papagei sind wir. Und immer, wenn wir einen haben, der ein Frühstück spendet, wie Thomas jetzt, dann können wir was raushauen. Obdachloser: Danke Thomas Gerne. Guten Appetit. Sprecher: Eineinhalb Stunden später. Die Tabletts sind leer, die Transportboxen im Bus verstaut, es geht zurück ins Cafe. Die Woche ist vorbei. Mit ihr der Seitenwechsel. O-Ton 26: Ja, dann lass uns das Wochenende einläuten. War ein spannendes Abenteuer bei euch. Jonas: Eine schöne und viel zu schnelle Woche. … War ganz locker für mich, hat Spaß gemacht. Gehen wir zusammen raus? C: Ja. Tschüss 11 … (raus) Hat Spaß gemacht. Vielen Dank. Jonas: Ich danke dir auch. Und auf ein Wiedersehen freue ich mich schon. C: Ich begleite euch noch ein Stück. Sprecher: Thomas Rech fährt zurück nach Bremerhaven. Ab Montag wird er wieder an seinem angestammten Arbeitsplatz sein. O-Ton 27: (Rech) Wann war es denn. 18. Bis 22.. Ja, vorvorletzte Woche. Sprecher: Thomas Rech sitzt am runden Besprechungstisch in seinem Büro im dritten Stock. Vor dem Fenster hat im Hafenbecken ein Autotransporter festgemacht. An Bord haben 6.000 Fahrzeuge Platz. Vier solcher Ozeanriesen liegen zur Zeit in Bremerhaven. Und müssen zeitgleich abgefertigt werden. In 12 Stunden wollen sie wieder in See stechen. Verspätungen ziehen empfindliche Konventionalstrafen nach sich. O-Ton 28: (Rech) Meine Mitarbeiter sagten mir im Vorwege immer, dass ich doch in der einen oder anderen Stelle sehr dominant unterwegs bin. Und sie haben schon festgestellt, zumindest in den letzten beiden Wochen, dass ich mich an der einen oder anderen Stelle verändert habe. Ich versuche mehr zuzuhören. Sprecher: Der 47-Jährige ist wieder voll im Geschäft, und doch wirken die Eindrücke und Erfahrungen des Seitenwechsels nach. O-Ton 29: (Rech) In der Gestaltung des Arbeitsalltages insofern präsent, als ich mit meinen direkten Mitarbeitern über die Erfahrungen der Woche gesprochen habe, meine Eindrücke rübergekegelt habe und das Nachdenklichkeitsthema weitergegeben habe. Insbesondere wie gut es uns allen geht, auch wenn wir jeden Tag immer wieder sagen, oh was ist das hier alles nur für ein Chaos, wie anstrengend usw, usw. Einfach so einen Vergleich zu haben, wie es auch gehen kann. Sprecher: In der freien Wirtschaft soll jedes Ziel möglichst schnell und effektiv umgesetzt werden. Sozialarbeit, weiß er jetzt, funktioniert anders. O-Ton 30: (Rech) Terminhatz habe ich da nicht gemerkt. Zeitlichen Druck habe ich da wirklich nicht gespürt und trotzdem war jeder Tag wahnsinnig schnell zu Ende. Sprecher: Thomas Rech jedenfalls würde das Angebot im Obdachlosencafe stärker kundenorientiert ausrichten, wie er es von seiner Arbeit kennt. Beispielsweise die Öffnungszeiten mehr nach den Wünschen und Bedürfnissen der Gäste ausrichten. Aber das ist nur so eine Idee. 12 O-Ton 31: (Rech) Genaueres dann in einem halben Jahr vielleicht. ... Zwei Wochen sind ja doch ein bisschen kurz, da ist der Eindruck noch frisch. Ich hoffe nicht, dass es so schnell verpufft wie bei manch anderen Seminaren. Aber dafür waren die Eindrücke doch zu tief. 13
© Copyright 2025 ExpyDoc