Kultur Der Landbote Samstag, 14. Mai 2016 | 27 Verlorene und andere Paradiese Über Flucht und Grenzen MUSEUM RIETBERG Selbst in einem wunderschönen Landschaftsgarten, dem Rieterpark, gelegen, hat sich das Museum Rietberg in Zürich ein ebenso umfassendes wie faszinierendes Thema vorgenommen: Es zeigt «Gärten der Welt». THEATER Sechs Zürcher Theater haben sich auf je ganz eigene Weise mit Elfriede Jelineks «Die Schutzbefohlenen» beschäftigt. Am 21. Mai werden sämtliche Inszenierungen in einer «langen Nacht» gezeigt. Unglaublicher Reichtum. Wörtlich: nicht auszudenken. Und es geht uns alle an, im Allgemeinen wie im Besonderen. Wer sich nur ein wenig mitreissen lässt – und das ist bei den grossen Ausstellungen im Museum Rietberg nie schwer –, ist gleich erfüllt von Gartengefühlen, Gartengedanken. Wie das ist, war und sein könnte, im Garten der Kindheit, im Garten der Menschheit, im Garten, wo alle Sinne befriedigt werden und wo man über sich und die Welt nachdenken kann. Lebendige Symmetrien So wie zum Beispiel im Bagh-e Fin (Kashan, Provinz Isfahan), der zu den schönsten, charakteristischsten Gärten der persischen Kultur gehört: Aus einer hohen Halle des Pavillons blickt man, lebendige Symmetrien, hinaus aufs Wasserbecken und sich kreuzende Wasserläufe. Man sitzt und schaut, spaziert nicht umher, lustwandelt nicht. Denn der persische Garten ist seinem innersten Wesen nach ein «Ort der Kontemplation» (Axel Langer im Katalog). Die ununterbrochene, weit zurückreichende Tradition des persischen Gartens hat die Kultur geprägt und ihre Spuren hinterlassen, ganz fassbare, wie im Motiv von Rosen und Nachtigallen auf einer Lackdose oder in einem 300 Jahre alten «Gartenteppich», der die gestaltete Natur in kunstvoller Schönheit spiegelt. Übertroffen wird diese Schönheit noch von den Gärten in der persischen Buchmalerei, wo sie zum Schauplatz aller möglichen Geschichten werden. Etwa der Liebesgeschichte von Homay und Homayun: Auch wenn die erste Begegnung des Prinzen mit der geliebten Homayun vorerst nur im Traum stattfindet, so entspricht der Garten mit Bach und blühenden Bäumen, Rosen und Malven, Schwert- und Feuerlilien durchaus persischer Realität. Und ja, die Miniatur dieses unbekannten Meisters (Herat, um 1430), eine Leihgabe aus dem Louvre, ist vielleicht wirklich das schönste Gartenblatt Persiens. Orte der Sehnsucht Mit den auf Papier gemalten und den idealtypisch angelegten persischen Gärten sind erst zwei der 30 Geschichten angetönt, die in «Gärten der Welt» erzählt werden. Es sind Geschichten von und über Gärten aus Ägypten, Asien und Europa, vereint im ersten «Versuch, die Gärten des Orients und des Okzidents umfassend in einer Ausstellung zu präsentieren», wie die Kuratoren Albert Lutz und Hans von Trotha betonen. Das geschieht im doppelten Wortsinn beispielhaft und führt vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis in unsere Gegenwart, führt von der «Sehnsucht nach dem Paradies» bis zum «Baumgarten im Gebirge», wie ihn Alberto Giacometti beim Blick aus dem Fenster sah, und das alles anhand einer konzentrierten Fülle ausgesuchter Exponate inklusive Videos und 3-D-Animationen. «Gärten sind immer gebaute Ideen» (Lutz/von Trotha). Das zeigt die Ausstellung, das versucht sie sinnfällig zu machen. Wer das ernst nimmt, braucht viel Zeit für sie. Nur schon der Auftakt zu den eigentlichen Gartengeschichten hat es in sich. Werden und Vergehen, Gefährdung all dessen, was ist, und bei Wolfgang Laibs Installation mit Blütenstaub von Kiefern («die radikal Die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt seit 2012 an ihrem Text «Die Schutzbefohlenen», einem monumentalen Klagechor, in dem sie sich kritisch mit der herrschenden Flüchtlingspolitik auseinandersetzt. Zahlreiche Theater brachten den Text seither in verschiedensten Versionen auf die Bühne. In Zürich haben sich nun gleich sechs Häuser zusammengetan, um gemeinsam ein Mammutprojekt zu realisieren. «Sechs Stationen zu Flucht und Grenzen», so heisst der Untertitel des Theatermarathons, an dem sich Gessnerallee, Junges Schauspielhaus, Neumarkt, Rote Fabrik, Schauspielhaus und Winkelwiese beteiligen. «Wenn der Blick in die ‹Gärten der Welt› dazu beiträgt, die Welt als Garten zu betrachten, den es zu bewahren gilt, hat die Ausstellung ihr vielleicht wichtigstes Ziel erreicht.» Albert Lutz und Hans von Trotha reduzierte Form eines Gartens: ein Feld voller Keimzellen») ist der Staub, von dem der Mensch genommen und zu dem er wieder werden wird, nicht fern. Da steht auch unsere Urmutter Eva, wie Rodin sie geschaffen hat, nach dem Sündenfall, der sie und Adam erst ausserhalb des Paradieses zu Menschen machte. Dorthin möchten viele gern zurück, Gärten können dabei, zumindest auf Zeit, helfen. Gärten als Inseln im Dasein, vom Dasein: Sie begegnen uns in der RietbergSchau immer wieder, nicht nur Kulturgeschichte spiegelt sich in ihnen, sie bringen Haltung zum Ausdruck. Zauberhaft, was im Fernen Osten an Welten im Kleinen geschaffen wurde, Rückzugsorte für Literaten und Beamte, die sich aus Amts- oder Politikverdrossenheit auf andere Werte besannen wie Kontemplation, Freundschaft, Dichtung, künstlerische Betätigung überhaupt: «Der Garten des genügsamen Beamten» (Album von Wen Zhengming, 1551) oder «Der Garten des Verweilens» (Album von Zhang Hong, 1627) gehören dazu. Natürlich fehlt auch der berühmte Steingarten des Ryoan-ji, Teil einer Zen-Klosteranlage in Eine der schönsten Gartendarstellungen der persischen Malerei: «Homay und Homayun in einem Garten». Unbekannter Künstler aus Herat, um 1430, Farben, Gold und Tinte auf Papier; Musée du Louvre. Kyoto, nicht, der, wie die Ausstellung zeigt,Künstler wie John Cage oder David Hockney inspiriert hat. Und, wir sind auch da in Japan, das Insektenbuch von Kitagawa Utamaro (1788): lebensvoll genaue Einblicke in die Pflanzenund Kleintierwelt des Gartens, mit erotischen Gedichten der besten Dichter der Zeit kombiniert, Eduard Klopfenstein hat sie eigens neu übersetzt. Mathematik und Freiheit Verschlossene und weite Gärten, der Hortus conclusus mit der jung- fräulichen Maria (grossartig der Bildteppich von 1554, Benediktiner-Kollegium Sarnen), der Garten als erfüllte Utopie (bei William Blake und anderen), der barocke Garten als lebendige Mathematik (Vaux-le-Vicomte und Versailles als Paradebeispiele) oder in der Folge als freier Landschaftsgarten mit begehbaren Idyllen (Rousham nahe Oxford): Der Besucher von «Gärten der Welt» wird auf die verschiedensten Weisen aufgerufen, sich zur Natur als bald mehr, bald weniger gestalteter Landschaft zu verhalten, Diesseitiges Relief aus dem Grab des ägyptischen Priesters Nijaji und seiner Frau, um 1290 v. Chr. Isis als Baumgöttin versorgt auch die Toten mit Wasser und Nahrung. Museum August Kestner, Hannover – «Wespe und Haarraupe auf Pfeilwurzpflanze». Farbholzschnitt aus Kitagawa Utamaros Insektenbuch, 1788. Bilder pd und Jenseitiges bedenkend. Da ist man manchmal ganz froh, wenn man sich einfach dem Schauen hingeben kann, dem filmisch bewegten (Villa d’Este, Tivoli; Stourhead, Wiltshire) oder dem, was Künstler malerisch thematisiert haben, sei es nun so gartenfroh wie bei Adolf Dietrich oder von so verwunschener Klarheit wie bei Paul Klee. Angelika Maass DATEN UND FAKTEN Gärten der Welt dauert bis 9. Oktober und wird von einer Fülle von Veranstaltungen begleitet – ein Blick auf die Website www.rietberg.ch lohnt sich, ebenso auch in das Magazin zur Ausstellung. Zum Museumsbesuch, für den man viel Zeit einrechnen sollte, gehört auch ein Gang durch den Park, ein Blick auf die Installation mit dem Wandelgarten, ein Abstecher hinüber zur Park-Villa, wo die Ausstellung Indische Gärten sowie Gärten im Film (20 Min.) gezeigt werden. Das Museum ist am Pfingstmon tag geöffnet. An diesem Tag findet zudem ein Kräutermarkt statt (10–17 Uhr). Der Katalog kann hier leider nur erwähnt werden (320 S., über 200 Abb., günstige 39 Fr.): Er bietet anregende, gut lesbare Beiträge von 21 Autorinnen und Autoren. aa Annäherung an einen Text «Eine Zusammenarbeit in dieser Form findet zum ersten Mal statt», sagt Lisa Letnansky, die Produktionsleiterin von «Die Schutzbefohlenen». Und fügt an: «Alle sechs Inszenierungen beruhen auf dem Jelinek-Text. Doch das ist auch schon die einzige Verbindung – darüber hinaus sind die einzelnen Teams völlig frei.» Erleben lassen sich die sechs verschiedenartigen Annäherungen an ein und denselben Text im Laufe eines einzigen Abends. Dieser beginnt für alle Zuschauenden im Pfauen und endet in der Roten Fabrik. Dazwischen besucht man ( je nachdem, welcher Gruppe man zugeteilt ist) die Vorstellungen in den übrigen Theaterhäusern. Für die Inszenierungen verantwortlich zeichnen unter anderen die Regisseurin Barbara Frey und der Schlagzeuger Fritz Hauser, die Autorin und Regisseurin Ivna Žic und der Schriftsteller Peter Waterhouse, die Künstler Markus Öhrn und Pär Thörn und der Regisseur Daniel Kuschewski. «Sechs Stationen zu Flucht und Grenze: DeutschKURSK»: So heisst das Projekt, welches Timo Krstin und Miriam Walther Kohn für die Gessnerallee realisiert haben. «Wir haben uns gefragt: Wie kann man mit einem Theatertext über Flüchtlinge mehr machen als Theater über Flüchtlinge?», sagt Krstin. «Oder: Wie kann man ihn sinnvoll benutzen?» Lotto spielen Die Antwort liegt für das Künstlerduo darin, dass es den Text als Grundlage für einen Deutschkurs an der Autonomen Schule Zürich benutzt, an dem auch, aber nicht nur Flüchtlinge teilnehmen. Konkret wird Satz um Satz auseinandergenommen, diskutiert und in ein verständlicheres Deutsch übertragen. Natürlich agieren die Künstler bei diesem Prozess in erster Linie als Moderierende – «doch wir lernen gleichzeitig auch sehr viel von den Kursteilnehmenden», sagt Krstin. Insgesamt bringe die Arbeit Erkenntnisse über den Jelinek-Text, denn so langsam und gründlich würde man diesen sonst kaum lesen. Im ersten Teil der Inszenierung erfährt das Publikum Genaueres über den Deutschkurs. Der zweite Teil dreht sich dann um die Wörter «Lotto spielen», die im Kurs immer wieder Anlass zu Diskussionen gaben – oder konkreter: um die Tatsache, dass das Asylrecht wie eine Lotterie funktioniert. Anne Bagattini, sfd
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