Evangelisches Frankfurt Zeitung für Mitglieder der evangelischen Kirche in Frankfurt am Main Mai/Juni 2016 · 40. Jahrgang · Nr. 3 Familien unter Druck Einblicke in das Böse Ja zum Christsein Alle reden davon, wie wichtig Familien sind, doch es ist schwierig. Viele Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, auch aus > Seite 3 wirtschaftlichen Gründen. Woher kommt das Böse? Und wie gehen wir mit ihm um? Auf solche Fragen gibt nicht nur die Religion eine Antwort, sondern auch die > Seite 5 Kriminalliteratur. Knapp 800 Jugendliche werden in diesen Wochen in Frankfurt konfirmiert. Aber es ist für die Kirche gar nicht so leicht, für 13- und 14-Jähri> Seite 10 ge interessant zu sein. In eigener Sache „Evangelisches Frankfurt“ wird weitergeführt ▶„Evangelisches Frankfurt“, die Zeitung der Evangelischen Kirche in Frankfurt, wird auch über das Jahr 2016 hinaus erscheinen. Das hat die Evangelische Stadtsynode beschlossen. Die Zeitung wird unbefristet weitergeführt, allerdings mit einem reduzierten Budget, sodass in Zukunft statt bisher sieben nur noch fünf Ausgaben pro Jahr mit der Post verschickt werden. Um trotzdem weiterhin auch aktuell aus der Frankfurter Kirche berichten zu können, werden zusätzliche Artikel im Internet unter www.evangelischesfrankfurt. de und auf Facebook erscheinen. Auch ein neues Layout bekommt die Zeitung, die mit einer Auflage von 110 000 Exemplaren an alle Frankfurter evangelischen Haushalte verschickt wird – die erste Ausgabe im neuen Gewand erscheint nach der Sommerpause am 18. September. Redaktion Pro & Contra Darf die Kirche gegen die AfD sein? ▶Selten haben uns zu einem Thema so viele Zuschriften erreicht, wie zu unserem Bericht über die Kritik an der AfD und einem entsprechenden Kommentar unseres theologischen Redakteurs. Viele Leser vertraten die Ansicht, die Kirche dürfe sich nicht zu einzelnen Parteien äußern, sie habe „politische Neutralität“ zu wahren. Wie steht es um das Verhältnis zwischen Religion und Politik? Wo verlaufen die Grenzen zwischen einer tagespolitischen Parteinahme und einer gesellschaftspolitischen Positionierung, die aus religiösen Gründen notwendig und geboten ist? Lesen Sie dazu mehr auf Seite 4 und im Kommentar auf Seite 2. Redaktion Bunte Menge auf dem Römerberg: Auch in diesem Jahr gibt es am Pfingstmontag, 16. Mai, in der Innenstadt wieder ein internationales ökumenisches Pfingstfest. Unter dem Motto „Die Eine Welt – Haus für alle?“ ist auf dem Römerberg zunächst ein Bühnenprogramm mit Talk und Liedern und um 11 Uhr dann ein Open-AirGottesdienst geplant, die Predigt hält Stadtdekan Achim Knecht. Um 12.30 Uhr geht es im Dominikanerkloster am Börneplatz weiter mit einem Internationalen Fest. Es gibt kulinarische Köstlichkeiten und Kultur und zum Abschluss um 16.15 Uhr ein Gotteslob mit Texten und Chören aus aller Welt. Lesen Sie mehr über die BedeuFoto: Rolf Oeser tung von Pfingsten als einem der höchsten christlichen Feste in der Rubrik „Luther & Co.“ auf Seite 7. Fortbildung für Engagierte Frankfurt ist nun einer von 18 Standorten der landeskirchlichen Ehrenamtsakademie ▶Über 4000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in der Evangelischen Kirche in Frankfurt. Mehr als 600 davon arbeiten in leitenden Funktionen, zum Beispiel in Kirchenvorständen oder Gremien wie der Stadtsynode. Unterstützung, Qualifizierung und Fortbildung für diese Arbeit bietet die Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die nun auch einen Standort in Frankfurt hat. Er wurde Ende April offiziell von Stadtdekan Achim Knecht und dem Leiter der EKHN-Ehrenamtsakademie, Pfarrer Steffen Bauer, eröffnet. Dass Ehrenamtliche mit Leitungsaufgaben betreut werden, sei „ein Markenzeichen der evangelischen Kirche“, betonte Stadtdekan Achim Knecht. Akademieleiter Steffen Bauer forderte die Ehrenamtlichen dazu auf, aktiv Themen und Bedarfe für Fortbildungen anzumelden, „damit wir unser Angebot direkt auf Sie zuschneiden können“. Neben praktischen Inhalten wie „Sitzungen vorbereiten und gestalten“ oder der Analyse von Praxisbeispielen bietet die Ehrenamtsakademie auch Fortbildungen zu theologischen Themen sowie den Austausch zu ethischen Fragestellungen. Kurse gibt es auch in den Bereichen Leitungskompetenz, Öffentlichkeitsarbeit, Strategische Planung, Personal, Finanzen, Fundraising, Bau- und Kirchenrecht. Um die verschiedenen Angebote besser zu vernetzen und Ressourcen zu bündeln, wurden insgesamt 18 regionale Standorte gebildet. Die Fortbildungen sind für die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer kostenfrei, die Finanzierung übernimmt die Landeskirche. Jeder Standort hat ein jährliches Budget zur Verfügung. In Frankfurt koordiniert Bildungsreferentin Anke Meyer die Angebote. Sie organisiert auf Wunsch auch maßgeschneiderte Veranstaltungen zu bestimmten Bedarfen in den einzelnen Gemeinden. In ihrem Festvortrag sagte Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx, die bis vor kurzem das Referat Sozial- und Gesellschaftspolitik der Evangelischen Kirche Deutschland geleitet hat, dass gerade die Flüchtlingskrise wieder sehr deutlich gemacht habe, wie wichtig und hoch willkommen ehrenamtliches Engagement für die Gesellschaft ist. Das dürfe allerdings nicht dazu führen, dass sich der Sozialstaat aus seiner Verantwortung verabschiedet. Es spreche aber für ein gewachsenes Selbstbewusstsein der Menschen, dass sie gesellschaftliche Anliegen selbst in die Hand nehmen. „Wer sich engagiert, gewinnt“, betonte Coenen-Marx. Sich für das Gemeinwohl zu engagieren bedeute Teilhabe, vermittle das Gefühl, gebraucht zu werden, mache stark. Diese Möglichkeit müsse auch benachteiligten Menschen offen stehen, nicht nur gut Situierten. Coenen-Marx wies auch darauf hin, dass 70 Prozent der Ehrenamtlichen in der Kirche Frauen sind, die meisten davon allerdings nicht in leitenden Funktionen. Sie leisteten ebenfalls wertvolle Arbeit, und auch dafür müsse es gute Rahmenbedingungen geben. Engagement in der Kirche bedeute oft auch neue Motivation für den Glauben. Stephanie von Selchow ▸ Menschen und Meinungen Seite 2 „Ich mag Gremienarbeit“ Kommentar Eine Religion unter Generalverdacht Christine Ulmke ist neu im Vorstand des Evangelischen Stadtdekanats ▶Vergleiche mit der NS-Zeit sind immer schwierig. Aber wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, warnt, dass erstmals seit den Nazis wieder eine ganze Religionsgemeinschaft bedroht wird, so wird die Ungeheuerlichkeit der Positionen der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ zum Islam deutlich. „Eine unerträgliche Grenzüberschreitung und Provokation“ nannte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier deren Forderungen. In einer einstimmigen Entschließung betonte der Hessische Landtag, „dass Fremdenhass, die Verklärung des Nationalsozialismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus oder das Absprechen der Menschenwürde nicht akzeptabel sind“. Formal bekennt sich die AfD im Wahlprogramm zwar zur Glaubensfreiheit, doch solle der Staat dieser Schranken setzen. Minarette und Rufe von Muezzins sollen verboten, muslimische Organisationen formal nicht den Kirchen gleichgestellt werden. Die Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sollen islamische Organisationen nicht erhalten. Außerdem will die AfD die Beschneidung von Kindern verbieten, was auch gegen die jüdische Religionspraxis geht. Man braucht aber nicht weiter zu betonen, dass das Grundgesetz die Religionsfreiheit garantiert. Dies gilt ohne Einschränkungen für alle Religionen, eben auch für den Islam. Religiöse Radikalisierung gibt es in allen Religionen. Wenn man die Akteure der AfD genau anschaut, dann finden sich hier zahlreiche so genannte „bibeltreue Christen“, die zu den religiösen Scharfmachern zählen. Die FAZ schrieb 2014 sogar: „In der Alternative für Deutschland übernehmen bibeltreue Protestanten die Macht. Längst kritisieren sie nicht mehr nur den Euro, sondern auch Schwule und Muslime. Sogar die Schulpflicht stellen sie in Frage.“ Fundamentalisten, ob christlich oder muslimisch, sind tendenziell antidemokratisch. Eine offene, tolerante Gesellschaft braucht aber eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung. Nur so kann man Gemeinsamkeiten feststellen, aber auch Unterschiede aushalten. Wer eine ganze Religionsgemeinschaft, sogar eine Weltreligion, in gehässiger Absicht diskriminiert, stellt sich gegen das Grundgesetz. Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, muss auch Ja sagen zu Minaretten. Unsere leidvolle deutsche Geschichte verpflichtet uns in dieser Hinsicht besonders. Nie wieder dürfen in Deutschland Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt werden Kurt-Helmuth Eimuth Beratung und Information Info-Telefon/Kircheneintrittsstelle Kurt-Schumacher-Straße 23, Telefon 069 21651111 Auskunft über alle Fragen rund um die Frankfurter evangelische Kirche. Evangelische Propstei Rhein-Main Rechneigrabenstraße 10, Telefon 069 92107388 In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gibt es keinen Bischof, sondern sechs regionale Pröpstinnen und Pröpste im Kirchengebiet. Pröpstin in Rhein-Main ist Gabriele Scherle. Evangelischer Regionalverband/ Evangelisches Stadtdekanat Kurt-Schumacher-Straße 23, Telefon 069 21650 www.frankfurt-evangelisch.de Der Evangelische Regionalverband Frankfurt ist ein Zusammenschluss von Kirchengemeinden und Stadtdekanat und verantwortet die übergemeindlichen Angebote der Kirche. Das Stadtdekanat ist für die Entwicklung der Arbeitsbereiche in Gemeinden und kirchlichen Diensten zuständig. Beide werden von einem gemeinsamen Vorstand geleitet, Vorstandsvorsitzender ist Stadtdekan Dr. Achim Knecht. Spendenkonto Evangelische Bank Kassel, IBAN DE64 5206 0410 0004 0002 00 Mit einem Stichwort (wie „Obdachlosenarbeit„ oder „Gemeinde XY“) können Sie bestimmen, wem Ihre Spende zugute kommt. Wenn Sie Ihre Adresse angeben, bekommen Sie eine Spendenquittung für das Finanzamt. Beratung Telefonseelsorge 0800 1 11 01 11 Beratungsstelle für Frauen 94350230 Evangelisches Zentrum für Beratung und Therapie 5302–222 Paar- und Lebensberatung 5302–222 Familienberatung 5302–220 Migranten und Flüchtlinge 5302–291 Evangelisches Zentrum für Beratung Höchst 7593672–10 Begegnung und Bildung Evangelisches Frauenbegegnungszentrum 9 20 70 80 Evangelische Akademie 17 41–5260 Kontaktstelle für Körperbehinderte und Langzeitkranke 24751494003 Familienbildung 605004–0 -Höchst 759367280 Reisen 29723911 Jugend Stadtjugendpfarramt 959149–0 Sankt Peter 2972595100 Jugendreisen 959149–22 Evangelisches Jugendwerk 9521830 Diakonie Geschäftsstelle Evangelisches Pflegezentrum Alten- und Krankenpflege Hauswirtschaftliche Hilfen Beratung und Begleitung Kleider- und Möbelspenden Evangelisches Frankfurt 24751490 25492-0 25492-121 25 492-131 25 492-110 90 436780 Sucht Alkoholfreie Begegnungsstätte Dominikanergasse 295456 Suchtkrankenberatung 1505–9030 -Höchst 759367260 ▶So etwas nennt man wohl einen Senkrechtstart: Christine Ulmke, promovierte Molekularbiologin aus Unterliederbach, wurde im vergangenen Jahr neu in den Kirchenvorstand ihrer Gemeinde gewählt. Ein noch prominenteres Ehrenamt folgte bald auf dem Fuß: Die 48-Jährige ist nun auch Mitglied im Vorstand der Evangelischen Stadtdekanatssynode, die 57 Frankfurter Gemeinden und knapp 130 000 Kirchenmitglieder vertritt. „Ich mag Gremienarbeit“, sagt sie und lächelt. Spannend seien die ersten Sitzungen im Kirchenvorstand der Gemeinde Unterliederbach gewesen, berichtet sie. „Man bekommt einen ganz neuen Blick auf die Dinge, die in der Gemeinde passieren.“ Ein guter Gegenpol zu ihrem Beruf. Als Lehrerin an der PaulEhrlich-Schule in FrankfurtHöchst unterrichtet sie angehende Chemikantinnen, Drogisten und Pharmakantinnen in Fächern wie Tieftemperaturtechnik. Ist es schwierig, neben dem Beruf noch Zeit für anspruchsvolle Ehrenämter zu haben, die durchaus verlangen, sich abends nochmal über viele Seiten Papier zu beugen? „Ich empfinde das als unglaublich erfüllend“, sagt Christine Ulmke. „Ich denke mein Leben manchmal vom Ende aus und stelle mir die Frage: Für was möchte ich meine Zeit einsetzen? Meine Ehrenämter sind geschenkte Lebenszeit und, klar, auch ein gewisser Luxus.“ 2009 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern, die heute 16 und 18 Jahre alt sind, von Herborn nach Frankfurt gezogen. In Unterliederbach sang sie schon bald im Kirchenchor. Die Traditionen einer Gemeinde kennenzu- Christine Ulmke mag Gremienarbeit: Die 48 Jahre alte Molekularbiologin aus Unterliederbach ist nicht nur im Kirchenvorstand, sondern auch Mitglied im Foto: Rolf Oeser Vorstand des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt. lernen und behutsam Neues hinzufügen: Dieser Spagat gefällt ihr. „Der Weihnachtsbasar zum Beispiel, da steht der Ablauf seit Jahrzehnten fest, man muss so vieles bedenken, wenn man etwas verändern möchte.“ Angst vor neuen Erfahrungen hat sie jedenfalls nicht. Ende der 90er Jahre ging Ulmke mit ihrem Mann, der ebenfalls Lehrer ist, für zweieinhalb Jahre nach Paraguay. „Eine sehr schöne, intensive Zeit“ sei das gewesen, im Umfeld der kleinen Privatschule der Mennoniten im 7000-EinwohnerStädtchen Filadelfia, das im Westen des südamerikanischen Landes mitten in einer Savannenlandschaft liegt. „Wir sind genau in dem Moment gegangen, in dem wir so heimisch geworden waren, dass es eine realistische Überlegung war, für immer zu bleiben, ein Stückchen Land zu kaufen.“ Zu den Freunden von damals hat Christine Ulmke noch viel Kontakt, im Sommer reist die ganze Familie nach Filadelfia. „Wir möchten den Kindern gern zeigen, wo sie mal gelebt haben, sie waren zu klein, um viele Erinnerungen zu haben.“ Aber vorher freut sich Ulmke über etwas sehr Wichtiges daheim: Die Fußball-Europameisterschaft. Da wird in der Stephanuskirche in Unterliederbach ein Beamer aufgestellt, Gemeindemitglieder können die Partien aus den Kirchenbänken verfolgen. Christine Ulmke freut sich riesig darauf. „Die Gemeinde als Lebensmittelpunkt, das ist eine Idee, die mir gefällt.“ Anne Lemhöfer Lebenslagen Im Alter nochmal umziehen ▶Im Alter aus einer großen Wohnung in eine kleinere umzuziehen, eventuell ins Seniorenwohnheim, ist ein großer Schritt: Man verlässt die vertraute Umgebung, muss sich von Sachen trennen, an denen Erinnerungen hängen. Aber dennoch kann es eine notwendige oder jedenfalls sinnvolle Entscheidung sein. Eine Art „Erste Hilfe“ für alle, die sich das überlegen, bietet Barbara Hedtmann von der Koordinationsstelle Seniorenarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt an. Sie kennt verschiedene Altenpflegeheime, aber auch Modelle gemeinschaftlichen Wohnens oder die Sozialwohnungen der Stadt. Regelmäßig organisiert sie auch Informationsveranstaltungen dazu, bei denen man sich vor Ort ein Bild machen kann. Sie erzählt aber von Möglichkeiten, die eigene Wohnung al- tersgemäß umzubauen, wenn man so lange wie möglich zuhause bleiben möchte. In der University of Applied Sciences etwa kann man ein „Wohnlabor“ besichtigen, eine nahezu barrierefreie Wohnung. Wer sich für einen Umzug entschieden hat, könne eventuell Hilfe über den gemeindepädagogischen Dienst der Kirchengemeinde bekommen, rät Hedtmann. „Es ist gut, wenn einen jemand berät, der nicht emotional involviert ist.“ Gemeinsam kann man die neue Wohnung ausmessen und überlegen, was sinnvoll mitzunehmen ist – und was nicht. Welche Gegenstände verschenkt werden sollen, welche vielleicht verkauft, etwa, um Kosten zu decken. Was an soziale Einrichtungen gespendet werden kann und was auf den Sperrmüll gehört. Dann kann eine Umzugsfirma tätig werden. „Ich empfehle, mindestens zwei Angebote einzuholen“, sagt Hedtmann. „Neben dem Know-How zählt auch, wie einfühlsam die Mitarbeitenden sind.“ Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Kosten. Manche Umzugsunternehmen bieten spezielle Seniorenumzüge an, man findet sie, wenn man bei Google „Seniorenumzüge Frankfurt“ eingibt. Sie bieten alles aus einer Hand: Beratung, Ein- und Auspacken, Abund Aufbau von Möbeln und technischen Geräten, Entrümpelung, Reinigung, Behördengänge. „Umziehen im Alter ist nicht leicht“, sagt Hedtmann, „aber wer sich rechtzeitig kümmert, kann selbst entscheiden, wie er das alte Umfeld verlässt und das neue gestaltet. Bevor andere darüber bestimmen.“ Kontakt: [email protected]. Stephanie von Selchow Evangelisches Frankfurt ▸ Familie Seite 3 Familien unter Druck ■ Biblische Vielfalt Alle reden von Familien, doch die äußeren Rahmenbedingungen sind nicht gut. Viele Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, auch aus wirtschaftlichen Gründen. ▶„Jeder Mensch hat eine Familie. Und jede Familie fühlt sich anders an – sie ist groß, klein, traditionell, modern, zerstritten, harmonisch, kaputt oder heil – vielleicht sogar vieles davon gleichzeitig“, schreibt Kirchenpräsident Volker Jung. Für die evangelische Kirche, so betont er, sei nicht die Form des Zusammenlebens wichtig, sondern „dass sich Menschen aufmerksam über Generationen und Verwandtschaftsgrade hinweg in ihrer Familie umeinander kümmern“. Tatsächlich wurde der Begriff „Familie“ erst Ende des 17. Jahrhunderts in die deutsche Sprache aufgenommen. Und was genau einer „verhäuslichten Familienkindheit“: Immer mehr Freizeitaktivitäten werden ins Haus verlegt, die oft fehlenden Geschwisterkinder durch elterliche Aktivität und Familie heißt, dass Menschen sich umeinander kümmern geplante Freizeit ersetzt. Eltern werden zu „Familienmanagern“, die versuchen, eine „Verinselung“ ihrer Kinder durch gezielte Freizeitgestaltung zu überbrücken. Sie investieren viel Zeit und Geld, Erziehungsleistung. Sie sind es, die zeitweilig auf Berufstätigkeit verzichten. Zwar haben junge Frauen und Männer heute vergleichbare Lebensstile und Karrierechancen, aber sobald das erste Kind kommt, wird die Aufgabenverteilung wieder im traditionellen Sinn organisiert. Dabei setzt der persönlich hohe Anspruch an Beruf und Familie alle unter Druck: Mütter wollen „gute Mütter“ sein und dennoch berufstätig, und die neuen Väter wollen auch Zeit für die Familie haben. Eine sehr massive Trennungslinie sozialer Abgrenzung verläuft zwischen aktiven Eltern, die sich stark um ihre Kinder kümmern, Gesellschaftsschichten gegenüber benachteiligt: Sie können nicht die gleiche Kleidung tragen, sich nicht die gleichen technischen Geräte kaufen, und sie fahren nicht zusammen mit ihren Eltern in schicke Ferien zu exotischen Zielen. Das alles spielt sich in einer stark auf Konsum und Zurschaustellung von Markenartikeln ausgerichteten Gesellschaft ab, in der Medien und Werbung diese materielle Ausrichtung ständig unterstreichen – wobei gerade in benachteiligten Familien besonders häufig der Fernseher läuft. Nur wenige Eltern können diesem Druck selbstbewusst entge- ▶Vater, Mutter, Kind kommt in der Bibel selten vor, dafür viele andere Familienformen: Patchworkfamilie Jakob, einer der Stammväter Israels, wollte eigentlich nur seine große Liebe Rahel heiraten. Doch deren Vater Laban jubelt ihm zunächst einmal Rahels ältere Schwester Lea unter. Erst sieben Jahre später darf er dann zusätzlich auch Rahel heiraten (1. Mose 49). Leihmutterschaft Sara ist hochbetagt und kinderlos. Deshalb stiftet sie ihren Mann Abraham an, dass er mit ihrer Magd Hagar ein Kind zeugen soll – gesagt, getan! Doch das Dreiecksverhältnis funktioniert nicht: Hagar, ganz stolze Mutter, wird gegenüber der kinderlosen Sara aufmüpfig, woraufhin die ihren Mann drängt, Hagar in die Wüste zu schicken (1. Mose 16). Scheidung Scheidung war in der Antike verbreitet – allerdings stand dieses Recht nur dem Mann zu. Demgegenüber sagt Jesus: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ (Markus 10, 9). Gleichzeitig weiß Jesus, dass die Realität am Ideal oft scheitert. Als eine aufgebrachte Menge eine Ehebrecherin steinigen will, sagt er deshalb zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“ Und tatsächlich: Keiner wirft (Johannes 8, 7). Homosexualität Foto: Colourbox eine „Familie“ ist, ist keineswegs eindeutig. Jedenfalls mehr als die klassische Variante von „Vater, Mutter, Kind“. Was zählt, ist die starke Bindung der Personen aneinander, und dass sie gegenseitige Verantwortung übernehmen. Allerdings geraten heute Familien immer stärker unter Druck. Es hat vor allem wirtschaftliche um ihre Kinder mit anderen Kindern zusammenzubringen. Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Kindheit gestiegen, die Elternrolle wurde „pädagogisiert“. Erziehungsziele wie Gehorsam, Pflichtbewusstsein und Anpassung wurden durch ein partnerschaftlich-egalitäres Beziehungsmodell ersetzt. Für die ■ „Jede Familie ist anders!“ ▶Unter dem Motto „Jede Familie ist anders“ macht die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) auf die vielfältigen Möglichkeiten des Zusammenlebens aufmerksam. Mit ei- und soziale Gründe, dass es immer schwieriger wird, im Alltag füreinander zu sorgen und Kinder gut beim Aufwachsen zu begleiten. Gerade das Kind-Sein hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Noch bis in die 1980er Jahre hinein war Kindheit quasi öffentlich, sie fand zum Großteil auf der Straße statt. Heute sprechen Soziologen von nem Info-Brief und großen Bannern an den Kirchen weist sie auf die besondere Bedeutung der Familie hin: www.ekhn.de/ aktuell/nicht-allein/nichtallein/ startseite.html. Redaktion Eltern ist es beim Aushandeln von Regeln durchaus schwierig, das richtige Maß zu finden: Manche sind „Helikoptereltern“ und verwöhnen ihre Kinder viel zu sehr, andere vernachlässigen sie. Dabei bedeutet Elternschaft nach wie vor für Väter etwas anderes als für Mütter. Mütter erbringen trotz Emanzipation auch heute den überwiegenden Teil der sie bewusst erziehen und intensiv fördern, und solchen Eltern, die die Entwicklung ihrer Kinder eher „laufen lassen“. Diese Eltern sind oft schnell mit ihren Kindern überfordert, stellen eher niedrige Anforderungen und sind häufig schon zufrieden, wenn die Söhne nicht kriminell und die Töchter nicht zu früh schwanger werden. Die einen geraten unter Druck, weil sie Angst haben, ihren Kindern nicht das Optimum zu bieten, die anderen, weil sie von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Nach Schätzungen sind heute knapp ein Drittel der Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. In vielen Fällen hat das wirtschaftliche Gründe: 15 Prozent der Familien in Deutschland leben nach offizieller Statistik in relativer Armut. In diesen Familien ist die Beziehung der Eltern zu den Kindern häufig schwierig. Die Kinder finden nicht den nötigen Halt, den sie brauchen, weil die Eltern mit anderen Problemen belastet sind. Da die Kinder die Knappheit des Geldes in der Familie spüren, fühlen sie sich häufig Altersgenossen aus anderen gentreten und haben gelernt, mit ihren knappen finanziellen Mitteln möglichst effizient umzuge- Ein Drittel der Eltern sind heute überfordert hen. Konsum steht in diesen Familien letztlich auch für Fürsorge: Dass sie ihren Kindern demonstrativ eine Playstation und ein Handy kaufen, ist für viele Eltern am unteren Rand der Gesellschaft ein symbolisches Zeichen: Es beweist, dass sie ihrem Förderanspruch genügen. Sie hoffen, mit diesen Konsumartikeln haben ihre Kinder die Chance, mit Kindern aus wohlhabenderen Familien mitzuhalten. Die wiederum hecheln unermüdlich nach den besten Bildungschancen für ihre Kinder, der besten Privatschule, den besten Förderkursen. Dabei werden sie selbst zu Hilfslehrerinnen und -lehrern: Die Karriere des Kindes haben viele bereits im Kindergarten im Blick. Kurt-Helmuth Eimuth Homosexualität, schwul, lesbisch – das sind moderne Beziehungskonzepte, die die Bibel nicht kennt: „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so ist das ein Gräuel und beide sollten des Todes sterben“ (3. Mose 20, 13). Dort steht allerdings auch, dass es ein Gräuel ist, wenn jemand „Lebewesen aus dem Wasser ohne Schuppen und Flossen“ (also Scampi oder Muscheln) oder Blutwurst isst. Also adé, hessische Schlachtplatte und Pizza Frutti di Mare! Babyklappe Dass eine Mutter ihr neugeborenes Kind abgibt, liegt meist an untragbaren Umständen, so auch bei der Mutter von Mose. Die Israeliten waren in Ägypten versklavt, und dem Pharao war ein Dorn im Auge, dass sie so viele Kinder hatten. Deshalb ließ er alle neugeborenen Söhne der Israeliten in den Nil werfen. Aber die Mutter des kleinen Mose machte ein Kästchen aus Rohr, legte ihr Kind hinein und setzte es auf dem Nil aus. Die Tochter des Pharao fand und adoptierte es (2. Mose 2). Quelle: EKHN ▸ Pro und Contra Seite 4 Evangelisches Frankfurt Christlich ist politisch Zuschriften Zu: Kirche gegen AfD, Nr. 2/2016 Wieso diese Hetze von Seiten der Kirche auf eine demokratisch legitime Partei, die nichts anderes tut, als die Angst der Bevölkerung wahrzunehmen. Etwas, was unsere „etablierten Parteien“ nicht tun. Klaus Müller Äußerungen der evangelischen Kirche zu gesellschaftspolitischen Themen haben eine lange Tradition. Denn christlich zu sein bezieht sich nicht nur auf Glaubensdinge, sondern auch auf den Umgang miteinander. ▶Kirchliche Stellungnahmen zu gesellschaftspolitischen Themen gründen sich von ihrem Prinzip her auf Stellungnahmen der alttestamentlichen Propheten. Es handelt sich dabei aber nicht darum, im allgemeinen Meinungsspektrum eine politische Position einzunehmen, sondern vielmehr um theologische Gutachten. Die Propheten argumentieren von einer theologischen Warte her und weisen mit diesem Maßstab auf Fehlentwicklungen hin. Ein Beispiel: Zu den religiösen (!) Verpflichtungen in der hebräischen Bibel gehörte die Fürsorge für Witwen und Waisen. Wenn diese durch das stark patriarchal geprägte Recht benachteiligt wurden und faktisch der Willkür unterlagen (indem zum Beispiel ihre schwache Rechtsposition ausgenutzt wurde), mahnten die Propheten die Herrschenden. Das ist eine religiöse Stellungnahme, die aber natürlich politische Konsequenzen haben muss. Auch heute verstehen sich die Kirchen nicht als politische Parteigänger, sie tragen aber mit ihren religiösen Argumenten zur Meinungsbildung bei. Diese Aufgabe hat der Staat den Kirchen nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus ausdrücklich zugewiesen, und sie entspricht auch dem, was den Kirchen in ihrem Inneren am Herzen liegt, nämlich am Maßstab des Evangeliums von Jesus Christus gesellschaftliche Entwicklungen zu verfolgen und auch zu kommentieren. Dies geschieht durch den Kirchen offiziell zugewiesene Plätze in Entscheidungsgremien wie natürlich auch in öffentlichen Stellungnahmen, aber immer mit einer theologischen Expertise. In der Vergangenheit haben sich die Kirchen öffentlich, zum Beispiel zur Wiederbewaffnung oder zur Abtreibung, geäußert. Stellungnahmen mit politischer Relevanz finden sich auch regelmäßig in so genannten „Denkschriften“. Wer befindet darüber, welche Parteien mit christlichen Prinzipien vereinbar sind und welche nicht? Mit Ihrer Argumentation bewegen Sie sich auf ganz dünnem Eis. Rainer Ohland Protest gegen die AfD auf dem Römerberg am Tag der ersten Sitzung des neuen Frankfurter Stadtparlaments. Die AfD bekam in Frankfurt 8,9 Prozent der StimFoto: Rolf Oeser men und damit acht Sitze in der Stadtverordnetenversammlung. In dieser Tradition haben sich verschiedene Kirchenvertreterinnen und -vertreter nun auch zur AfD geäußert. Sie sehen in einer ganzen Reihe von Äußerungen dieser Partei ein rassistisches Menschenbild zum Ausdruck kommen, das dem biblischen in keiner Weise entspricht. Und sie sagen, dass Homophobie und Islamfeindlichkeit nicht den christlichen Maßstäben genügen, wenn wir die durch Jesus praktizierte Nächstenliebe ernst nehmen. Es kann demnach also nicht verwundern, dass „Evangelisches Frankfurt“ theologische Stellungnahmen verbreitet, zumal dem Christentum ja eigen ist, nicht nur im stillen Kämmerlein praktiziert zu werden, sondern die Gesellschaft mit prägen zu wollen. Dabei ist die Stimme der offiziellen evangelischen Kirche nur eine christliche Stimme (es gibt auch andere), und jede Christin und jeder Christ kann und soll diese Äußerungen am Zeugnis der Heiligen Schrift selbst überprüfen. Wilfried Steller Darf die Kirche gegen die AfD sein? Religion ist nach christlichem Verständnis nicht nur Privatsache. Deshalb dürfen oder müssen Christen sogar gegen Äußerungen von AfD-Politikern Stellung beziehen – wie gegen jede andere Partei oder Position auch – wenn das christliche Menschenbild verletzt, rechtspopulistische Propaganda oder Stimmungsmache gegen Flüchtlinge betrieben wird. Genauso wenn die AfD alle Muslime in Deutschland unter terroristischen Generalverdacht stellt. Fundamentalisten gibt es in jeder Religion. Die Evangelische Kirche in Frankfurt steht für den interreligiösen Dialog, den wir etwa mit dem Rat der Religionen etabliert haben. Die Kriminalisierung von 99,9 Prozent aller Muslime, die von ihrem Grundrecht auf freie Religionsausübung Gebrauch machen, schadet dem friedlichen Miteinander. Michael Münch (65), DiplomSoziologe Ja, wie gegen jede andere Partei auch, wenn diese sich von christlichen Grundsätzen entfernt. Wer aber der AfD aufgrund aus dem Kontext gerissener und verfälschter Zitate von Mitgliedern trotz Distanzierung des Parteivorstands einen „Schießbefehl“ unterstellt und wer diese Partei pauschal als „menschenfeindlich“ denunziert, redet „falsch Zeugnis“ und diskreditiert sich als Christ. Er vertieft zudem die durch die Flüchtlingspolitik verursachte Spaltung der Gesellschaft. Anstatt sich einer zutiefst unchristlichen Hetze gegen eine demokratische Partei als einzige Opposition gegen eine autokratische und rechtswidrige Flüchtlingspolitik hinzugeben, sollten Christen jener Partei, die unter anderem durch ihre Waffenexporte Fluchtursachen setzt, das Recht absprechen, sich christlich zu nennen. Jürgen Dornheim (52), Diplom-Ingenieur Im Gegensatz zur AfD haben wir als Kirche ein Programm – die Bibel. Wenn es um Flüchtlinge geht, ist für mich klar: Wir müssen uns Menschen zuwenden, die Hilfe brauchen. Aber wir sollten uns auch fragen: Was treibt Menschen an, die AfD zu wählen? Sie dokumentieren: „Wir sind unzufrieden mit den Antworten der anderen Parteien.“ Sie haben Angst vor einer unsicheren Zukunft, die sie durch die Flüchtlinge verschärft sehen. Es wäre falsch, das nicht ernst zu nehmen. Unsere kirchliche Kompetenz aber ist die Beziehung zu Menschen, die wir an- und aufnehmen können, wie sie sind. Dafür engagieren sich viele, auch wenn es sie stark fordert. Die Kirchen sollten sich nicht in die Parteipolitik begeben. Unser Horizont endet nicht an regionalen oder kulturellen Grenzen oder mit Wahlperioden. Wer eine ausschließlich an der christlichen Maxime orientierte Politik propagiert und die für einen Staat konstitutiven verfassungsrechtlichen, ökonomischen und soziologischen Kategorien als fremdenfeindlich diffamiert und negiert, sollte der Bevölkerung klar sagen, dass dadurch nicht nur das Risiko von Terroranschlägen steigt, sondern auch eine Destabilisierung und letztlich das Kollabieren des Staates die Folge sein wird. Ingeborg Valy Zu: „Transsexualität ist normal“, Nr. 2/2016 Ein wenig bedenklich, von physiologisch „männlichen“ und „weiblichen“ Gehirnen zu sprechen und zu argumentieren, finde ich. Ansonsten: Traurig, dass man das als Kirche überhaupt sagen muss: Was hat eine sexuelle Orientierung mit dem Glauben an Gott und einer christlichen Lebensführung zu tun? Das ist privat, betrifft nur einen selbst und geht niemanden was an! Ira Lenski Die Umfrage Gunter Volz (56), Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung Die Kirche hat sich nicht in Wahlkämpfe einzumischen. Darf ich nun Ihrer Meinung nach nicht mehr frei wählen und meiner Meinung auf dem Stimmzettel Ausdruck verleihen? Stephan Werner Bettina Knop (45), Lehrerin In der Aprilausgabe haben Sie behauptet, als guter Christ könne man die „Alternative für Deutschland“ nicht wählen. Ich bin keine AfD-Wählerin, aber ich finde es überhaupt nicht gut, wenn meine Kirche auf diese Weise einseitig politisch Stellung bezieht. Ich empfinde es als Bevormundung, wenn Kirche mir sagt, was ich wählen oder nicht wählen soll. Man kann das Parteiprogramm der AfD nicht mögen, aber zunächst einmal ist das eine demokratische Partei und man muss sich mit ihren Positionen auseinandersetzen. Es ist doch viel mutiger und auch demokratischer, mit Meinungen, die man nicht teilt, umzugehen und sich mit den Menschen, die sich der AfD nahe fühlen, zu unterhalten. Einseitige Verteufelung reizt sie doch erst recht. Wir möchten alle als mündige Bürger angesehen werden! Der Bericht ist so unbiblisch, dass man nur schreien könnte! Hat dieser Kirchenpräsident einige Seiten aus seiner Bibel herausgerissen? Siegrid Schnitzspahn Zu: Gedenktag braucht Sinn, Nr. 2/2016 Mit Interesse habe ich die Artikel zum Karfreitag feiern gelesen. Es passte zu dem, was ich kurz zuvor in der Stadt erlebt hatte. Ich suchte einen ruhigen Ort zur Besinnung und um von einem mir wichtigen Menschen, den ich verloren habe, symbolisch Abschied zu nehmen. Es war unmöglich, einen solchen Ort zu finden! Weder am Main noch in einer Kirche habe ich gefunden, was ich gesucht habe. Die Menschen haben keinerlei Respekt mehr vor diesem Tag und den Bedürfnissen jener, die ihn besinnlich begehen wollen. Jutta Fey ■ Briefe an die Redaktion sind willkommen, Kürzungen müssen wir uns allerdings vorbehalten. Adressen finden Sie im Impressum auf Seite 12. Evangelisches Frankfurt ▸ Das Böse Seite 5 Dem Bösen ins Auge blicken Ein Gespräch zwischen Theologie und Kriminalliteratur in der Deutschen Nationalbibliothek ▶„Das Böse ist immer und überall“, kalauerte einst die österreichische Pop-Band „Erste Allgemeine Verunsicherung“. Aber woher und wie kommt es in die Welt? Und was hat der liebe Gott damit zu tun? Zu dieser Frage hatte die Evangelische Akademie Kriminalschriftsteller und Theologen zum Gespräch in die Nationalbibliothek eingeladen. Immerhin ist heute jedes vierte veröffentlichte Buch ein Krimi; das Böse weckt offensichtlich in hohem Maße Neugier beim Publikum, und die Literatur scheint geeignet, ihm auf die Spur zu kommen. Allerdings nicht grundsätzlich und philosophisch; darin waren sich die Autoren rasch einig. Für Robert Hültner etwa gibt es „das Böse“ nicht. „Was dagegen sehr wohl und schmerzhaft fühlbar existiert, sind einzelne Mitglieder der Gesellschaft, die Böses tun, die sich asozial bis rücksichtslos verhalten, die ohne jede Empathie über Leid und Leichen gehen, um ihre Ziele zu verwirklichen.“ Thema von Kriminalromanen ist nicht nur, wie die „bösen“ Menschen von der „guten“ Seite, meist dem polizeilichen Ermittler, aufgespürt und dingfest gemacht werden. Das war vielleicht noch bei den reinen Rätsel-Krimis eines Edgar Wallace so, die raffinierte Verbrechen und noch raffiniertere Verbrecherjagden schilderten, sich aber um Psyche und Persönlichkeit der Beteiligten kaum kümmerten. Mittlerweile ist das deutlich anders. Warum der Täter zum Täter wird, macht heutzutage einen nicht geringen Teil der Spannung im Krimi aus. Die Kriminalliteratur entwickelt dabei keine theoretischen Erklärungsmuster, sondern sie erzählt konkrete Geschichten und beschreibt, wie Menschen „in die Sphäre von Gewalt, Angst und vielleicht auch etwas Bösem hineingeraten“, sagte der Autor Matthias Wittekindt. Wobei er gern von einer „Verstrickung“ spricht; „einen Vorsatz unterstelle ich erstmal nicht“. Die Krimi-Literatur zeichnet also gerade kein übersichtliches Schwarz-Weiß-Bild vom Leben, sondern eine unheimliche Grauzone, die auch Leserinnen und Leser nicht unberührt lässt: „Unheimlich wird es immer, wenn ich miterlebe, wie das Böse in jemandem wie mir selbst zu wirken beginnt“, sagt Wittekindt. Und ist damit überraschend nah an dem, wie die Bibel das Böse beschreibt. Nämlich ebenfalls nicht abstrakt, sondern in konkreten Geschichten um Mord und Totschlag, um Vergewaltigung und Betrug. Das fängt schon mit dem ersten Mord der Weltgeschichte an, bei dem Kain seinen Bruder Abel erschlägt, und zieht sich weiter durch das Alte und das Neue Testament, von den Räubern auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho bis zum Justizmord an Jesus und seinem Ende am Kreuz, dem Galgen der Antike. Und auch hier ist es nicht so, dass die Bösen nur böse und die Guten nur gut sind: Helden wie König David sind zugleich auch Übeltäter und werden bestraft; Übeltäter wie Kain werden nicht der Vernichtung preisgegeben, sondern von Gott mit Diese zwei Herren haben aus Habgier einen reichen Lord umgebracht: Die Schauspieler Robert Hoffmann und Klaus Kinski verkörperten die Bösen in der EdgarFoto: Röhnert/picture alliance Wallace-Verfilmung „Neues vom Hexer“. dem „Kainsmal“ geschützt. Die Bibel spricht freilich nicht aus neutraler Perspektive. In ihr versucht Gott, den Menschen die Augen zu öffnen. Die Geschichten sollen mahnen, um das Abgleiten in Schuld zu verhindern. Das meint jedenfalls der Würzburger Theologe Klaas Huizing, der Gott nicht in der Rolle des großen Zampano und Akteurs sieht, sondern eher als „Coach“. Gott zeige Menschen Wege auf, wie sie aus Angst und Scham herausfinden, ohne kurzschlüssig zur Gewalt zu greifen: „Biblische Literatur ist Schuldverhinderungsliteratur.“ Was die Bibel dagegen nicht liefert, ist eine schlüssige, umfassende Erklärung, woher das Böse kommt. Allenfalls wird deutlich, was es nicht ist: eine eigenständige Macht im Gegenüber zu Gott. Der oft in dieser Rolle gesehene Teufel spielt vor allem im Alten Testament eine eher nebensächliche Rolle. Das Böse ist eben keine von außen kommende Kraft, sondern gehört zu den Möglichkeiten des Menschen. Es gilt, mit diesem destruktiven Potenzial zu rechnen und ihm Grenzen zu setzen. Dazu genügt es allerdings nicht, sich auf die inneren Vorgänge in den Menschen zu konzentrieren, die zu Tätern werden, betont der Autor Robert Hültner. Abbildung oben: Kain erschlägt seinen Bruder Abel und begeht so den ersten Mord der Weltgeschichte (Bild eines unbekannten Künstlers, Foto: picture-alliance um 1900). „Wir müssen jene Bedingungen genauer betrachten, die bei dem einen ‚Böses‘ hervorrufen, beim anderen nicht. Und damit die Verfasstheit der Gesellschaft.“ Genau das ist die Perspektive, die sowohl die geschriebene Kri- Krimis stellen gesellschaftliche Problemfelder dar minalliteratur als auch die entsprechenden Filme und Fernsehsendungen wie etwa der „Tatort“ am Sonntagabend zunehmend eingenommen haben. Aus der bloßen Suche nach dem Täter („Who done it?“) ist längst eine oft sehr differenzierte Darstellung gesellschaftlicher Problemfelder geworden, in denen dann einzelne kriminelle Taten als fast unausweichlich erscheinen. Hat die Theologie dem noch etwas hinzuzufügen? Folgt man dem Marburger Theologen Dietrich Korsch, jedenfalls nicht metaphysische Auskünfte über den Ursprung des Bösen. Wichtiger sei „der Wille, dass das Gute sein und siegen soll, so machtvoll und beklemmend das Böse ist“. Der Impuls, unter allen Bedingungen dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen, soweit die Kräfte es zulassen, darin zeige sich eine religiöse Bindung letztlich mehr als in allen Versuchen gelehrter Bescheidwisserei. Lutz Lemhöfer ▸ Kirche und Kultur Seite 6 Evangelisches Frankfurt Flucht und Theater Ein Abend über die Verbindung von Kunst und politischem Engagement ▶Flüchtende trugen im antiken Griechenland einen mit Baumwolle umwickelten Ölzweig in der Hand. In Heiligtümern fanden sie Schutzräume. Die Danaiden in Aischylos‘ Tragödie „Die Schutzflehenden“ mussten dieses Recht mit der kollektiven Androhung von Suizid durchsetzen, sagt Jörn Etzold vom Frankfurter Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Ein weiter Bogen spannt sich an diesem Abend in der Naxoshalle von der antiken Tragödie bis zur heutigen Theaterarbeit mit Geflüchteten. „Die Grenze zwischen Kunst und politischem Engagement scheint sich neu zu sortieren“, sagt Ralph Fischer von der Evangelischen Akademie Frankfurt. Theater bekennen sich nicht nur mit Transparenten an ihren Fassaden zum Grundrecht auf Asyl, sie machen auch Menschen im Zwischen- und Grenzstatus des Asylverfahrens sichtbar. Beispielsweise im Theaterprojekt „Frankfurt Babel“ mit 15 einheimischen und 15 geflüchteten Jugendlichen. Martina Droste, Leiterin des Jungen Schauspiel Frankfurt, berichtet, wie sich Jugendliche aus zwölf Nationen, die 23 Sprachen sprechen, der gro- ßen Utopie des Turmbaus zu Babel näherten. Aus dem Reichtum und der Vielfalt ihrer verschiedenen Sprachen und Lebensgeschichten entwickelten sie in der Theaterarbeit gemeinsam eine Vision für die Zukunft. Ganz anders als geplant verlaufen derzeit die Proben zu Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in Chili“ im Theater Willy Praml. Denn anstelle der gesuchten professionellen geflüchteten Theaterleute kamen fast 50 Enthusiasten, von denen die wenigsten je auf einer Bühne gestanden haben. Sie erhoffen sich durch die Mitarbeit Impulse für ihre Zukunftsplanung. Ziel ist es, Heinrich von Kleist, den „Nationalliteraten, in dieses Flüchtlingsgeschehen so einzubinden, dass es für alle einen Sinn macht“, sagt Theatermacher Willy Praml. Zurzeit erarbeiten Geflüchtete und Ensemble das Stück in drei Sprachen, die in der Aufführung verschmelzen sollen. Das Theater als Raum für konkrete Aktionen politischer Schönheit lässt Joschka Fleckenstein vom Berliner Zentrum für politische Schönheit lebendig werden. Politische Aktionen und Kunst werden eins, wenn ein „Jahrhundertwerk der Humanität“, näm- ■ Enkelin und Großmutter Schöpfung im interreligiösen Dialog ▶Psalm 104, von Luther über- Jörn Etzold vom Frankfurter Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft Foto: Rolf Oeser (rechts) sprach über den Flucht in der antiken Tragödie. lich eine Brücke über das Mittelmeer zwischen Afrika und Europa gebaut werden soll. Um das „stille Sterben“ im Mittelmeer schon vorher wirksam zu bekämpfen, sollen 1000 Rettungsplattformen im Meer installiert werden – eine schwimmt bereits. Die Aktion „Erster Europäischer Mauerfall“ bildete 2014 den Auftakt zum Festival Voicing Resistance am Berliner Maxim-Gor- ki-Theater: 25 Jahre nach dem innerdeutschen Mauerfall fuhren zwei Reisebusse voller Aktivisten und Aktivistinnen mit Bolzenschneidern zum bulgarisch-griechischen Grenzzaun. Sie wollten den neuen Eisernen Vorhang abbauen, der an den EU-Außengrenzen steht. Mehr als 30 000 Menschen starben bereits bei dem Versuch, diese neue Mauer zu überwinden. Susanne Schmidt-Lüer schrieben mit „Lob des Schöpfers“, schildert bildreich und hymnisch die Schöpfung der Welt und ist entstehungsgeschichtlich verwandt mit frühen Schöpfungserzählungen, etwa dem ägyptischen Aton-Hymnus des Echnaton. Mit mannigfachen Vertonungen von Psalm 104 befasst sich der Interreligiöse Chor Frankfurt in seinem aktuellen Projekt. Zum ersten Mal wird dabei im Kontext der Frankfurter Tehillim-Psalmen-Projekte neben Werken aus dem jüdischchristlichen Kontext auch Musik aus dem islamischen Kulturraum zu hören sein. Der in Köln lebende irakische Komponist Saad Thamir stellt in einer Auftragskomposition Versen aus Psalm 104 verwandte Suren aus dem Koran gegenüber. Der Chor singt zudem Werke von Samuel David, John Dowland, Henry Purcell, Johann Sebastian Bach und Philipp Glass. Am Montag, 23. Mai, 19.30 Uhr, gibt es eine Aufführung im Jüdischen Gemeindezentrum, ergänzt um einen interreligiösen Dialog zwischen der Judaistin Hanna Liss und dem Religionswissenschaftler und Ägyptologen Jan Assmann. Karten bei Musikalien Petroll im Oeder Weg 43. Silke Kirch Abstimmen mit Applaus Liebe, Sinnsuche und Gesellschaftskritik beim Poetry Slam Dieter David Seuthes Roman „Frankfurt verboten“ über die junge Musikerin Elise war dieses Jahr Thema von „Frankfurt liest ein Buch“. In der Andreasgemeinde in Eschersheim lasen Nina und Andrea Wolf Passagen, wo es um die Foto: Rolf Oeser innige Beziehung der Großmutter zu Elise geht. ▶Rotes und blaues Licht, Stühle und Sessel locker aufgereiht, hinten eine kleine Bar. Zum „Poetry Slam“ in der Jugendkulturkirche Sankt Peter kommt das Publikum in Cliquen: Mädchen und Jungen im Konfirmandenalter, junge Studierende. Schon der Moderator ist ein Ereignis: Dalibor Markovic, ein Beatboxer, der den kleinen Auffahr-Unfall, der ihm kurz vor der Show passiert ist, zum Running Gag des ganzen Abends macht. Das Format „Poetry Slam“ – zu Deutsch: Dichterwettstreit – entstand 1986 in Chicago und verbreitete sich rasch weltweit. An diesem Abend tragen sechs „Slammer“ selbst geschriebene Texte vor, die sich manchmal reimen, meist aber nur rhythmisch gesprochen werden. Anke Fuchs, Mitte 20, aus Bonn, erzählt, sie wäre gerne mal schwanger, ohne ein Kind haben zu müssen, würd’ sich gern umbringen, ohne tot sein zu wollen, inszeniert die Lust am Abgrund. Raban Lebemann slammt den Tremor in seiner Hand, und Dennis Schulz, ein Physikstudent, trägt „Fun Facts“ vor, weil er sich über jemanden geärgert hat, der die Natur so zauberhaft findet, dass er sie nicht wissenschaftlich auseinandernehmen will. Zum Beispiel erzählte er von intelligenten Stadt-Krähen, die in der Rotphase von Ampeln Nüsse auf die Straße legen, damit sie in der Grün-Phase von den darüber fahrenden Autos geknackt werden. Sein Vortrag gefällt dem Publikum so gut, dass er Sieger in der ersten Runde wird. Abgestimmt wird mit Applaus. Wer am lautesten beklatscht wird, gewinnt. In ist sexistische Kackscheiße“) – und reimt dann los, über Liebe. Ansgar Hufnagel schließlich erzählt ernst, offen und poetisch von seinen Ängsten und von Wünschen: „Ich möchte das Alphabet des Lebens lernen“. Gewinner des Abends: Der Physikstudent Dennis Schulz begeisterte in der Foto: Ilona Surrey Jugendkulturkirche mit seiner Aufzählung von „Fun Facts“. der Pause legt DJ Sherm da Worm auf. Das Publikum diskutiert, lacht, amüsiert sich. Die zweite Runde beginnt mit einem älteren, versierten Slammer: Wolf Hogekamp trägt 15 Cuts, also kurze Stücke, vor, die Worthülsen zum Thema Flüchtlinge entlarven. Mega Martin macht erstmal klar, dass Liebeslyrik keine Mädchenlyrik ist („Das Moderator Dalibor Markovic lobt alle, die an diesem Abend auf der Bühne standen: „Sie haben ihre Texte, ihre Ideen und ihre Gefühle mit uns geteilt.” Aber gewinnen kann eben nur einer: Im Finale schlägt Dennis Schulz Wolf Hogekamp. Die Bibel, sagt er, passt auf keine Kuhhaut. Außer vielleicht in Fünf- oder SechsPunkt-Schrift. Stephanie von Selchow ▸ Theologie und Leben Evangelisches Frankfurt Chancen des Alters Ein Buch für Frauen zwischen 60 und 80 ▶Ist die älter werdende Gesellschaft Anlass für ein Horrorszenario, wie es in manchen Medien dargestellt wird? Nein, meint Erni Kutter, und beleuchtet in ihrem Buch verschiedene Aspekte des „Voralters“, wie sie die Zeitspanne zwischen 60 und 80 Jahren nennt, wobei sie sich besonders an Frauen richtet. Innere Bilder hätten einen großen Einfluss darauf, ob Menschen das Alleinsein im Alter oder die Erfahrungen mit schwerer Krankheit nur als Einschränkung erleben oder auch als Auslöser von Reifungsprozessen. Bedürftigkeit sei „ein menschlicher Normalzustand“, schreibt sie. Sich das bewusst zu machen, macht es unter Umsteänden auch leichter, bei nachlassenden Kräften von anderen Hilfe anzunehmen. Das Buch gehört nicht zur Ratgeber-Literatur mit Tipps für gutes Altern. Die Autorin geht vielmehr von sich selbst aus und erzählt, was ihr bei ihren eigenen Erfahrungen mit Krankheit und Nähe zum Tod geholfen, was den Genesungsprozess ihres kranken Körpers und ihrer versehrten Seele unterstützt hat. Erni Kutter: Jahre, die uns geschenkt sind. Patmosverlag, Ostfildern 2016, 14,99 Euro. Was das Handeln in der Welt angeht, so spricht sie vor allem älteren Frauen eine besondere Autorität zu. In vielen traditionellen Gesellschaften war es die Aufgabe der Alten, sich um das „große Ganze“, um das Wohl und die Zukunft der Sippe zu kümmern. Könnten es so nicht auch heute die „großen Mütter“, die „Großmütter“ sein, „die frei und erfahren genug sind, die Zukunft unseres Planeten und all seiner Bewohner_innen zu ihrer Sache zu machen?“ Wer sich Erni Kutter anschließen möchte und Frauen als die Protagonistinnen einer neuen Alterskultur sieht, ist mit diesem Buch gut ausgerüstet, die „geschenkten Jahre“ aktiv und sinnvoll zu gestalten. Juliane Brumberg Luther &. Co. Ungezähmter Geist ▶In der gesellschaftlichen Wahrnehmung schafft es Pfingsten im Dreiklang der großen christlichen Feste gerade mal auf einen weit abgeschlagenen letzten Platz. Die Kirchen kann es freuen, dass sie an Pfingsten, anders als an Weihnachten und Ostern, nicht ankämpfen müssen gegen die inhaltliche Verflachung durch verweltlichende Tendenzen, sondern dem Fest seine ureigenste Gestalt geben können. Sie nehmen in der Tat – zum Beispiel am Pfingstmontag auf dem Frankfurter Römerberg – die Chance wahr, aus ihren Gotteshäusern herauszukommen und mit den Impulsen des Heiligen Geistes und dem Weltumspannenden der christlichen Botschaft den öffentlichen Raum zu bespielen. Der bunt gefüllte zentrale Ort der Stadt kann auch in diesem Jahr ein Zeichen für die Lebendigkeit des Heiligen Geistes der Geschwisterlichkeit setzen, der keine Grenzen kennt, weder was Nation oder Hautfarbe angeht noch Religion, geschlechtliche Orientierung oder sonst etwas: Denn dieser Heilige Geist ist kein Ungeist der Angst, Ablehnung und Vertreibung, sondern ein Geist des Verbindenden und der Integration, ein Geist der Gemeinschaft und des Zusammenlebens in der Einen Welt. Das Entgrenzende und Kommunikationsstiftende des Heiligen Geistes ist im Pfingstwunder von Apostelgeschichte 2 beispielhaft Wirklichkeit geworden, als sich Sprach- und Kulturgrenzen prinzipiell durchlässig für die Botschaft von Jesus Christus gezeigt haben. Das Phänomen ist und bleibt ein Wunder, was heißt: Es ist allein Gottes Erfolg. Aber es ist auch eine Herausforderung für Christen und Christinnen, sich diesem Phänomen ernsthaft zu öffnen, denn das jahrzehntelange gute Einvernehmen zwischen Kirchen und Staat hat hierzulande zu einer gezähmten Religiosität geführt, die brav in Demokratie und Freiheit aufgeht und nicht mehr recht weiß, dass Religion immer auch etwas Unbändiges, Wildes hat, mit dem sie alle vorfindlichen Strukturen in Frage stellt und zu überwinden trachtet – das ist beim Christentum nicht anders als beim Islam. Pfingsten rückt in den Blick, dass die Eine Welt nicht nur aus internationaler Folklore und Küche besteht, sondern eben auch aus himmelschreiend ungerecht verteilten Lebenschancen. Und da zur christlichen Botschaft unauflöslich die christliche Nächstenliebe gehört, ohne Rücksicht auf die noch in den Köpfen befindlichen Grenzen, zielt der Heilige Geist auf eine geschwisterliche, teilnehmende und teilgebende Lebensweise im Horizont der Einen Welt. Und die hat vor dem Hintergrund der weltlichen Europahymne mit dem Text „Alle Menschen werden Brüder“ durchaus das Zeug zu einem säkularen Pfingstmotto. Wilfried Steller Seite 7 Christliche Perspektiven Nicht allein In Familien übernehmen Menschen Verantwortung füreinander, sorgen für andere und vor allem für die Schwächeren. Dass die „Care-Arbeit“ gelingen kann, ist ein Gestaltungsauftrag für die ganze Gesellschaft. ▶„Nicht allein – Jede Familie ist anders!“, dieses Motto ist seit Ende April auf roten Fahnen auch an Frankfurter Kirchen zu lesen. Es ist ein Anstoß der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, neu über das Thema „Familie“ nachzudenken. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat das 2013 so formuliert: „Leitlinie einer evangelisch ausgerichteten Förderung von Familien, Ehen und Lebenspartnerschaften muss die konsequente Stärkung von fürsorglichen familiären Beziehungen sein. Alle familiären Bindungen, in denen sich Menschen in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können.“ Menschen können sich heute freier entscheiden, wie sie verbindlich zusammenleben. Mit dieser Entwicklung öffnet sich auch ein neues Bewusstsein dafür, was Familie eigentlich sein soll: Ein Ort, an dem sich Menschen verlässlich unterstützen und wechselseitig Kraft geben, in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit und in unterschiedlichen Rollen. Menschen brauchen verlässliche Beziehungen. Familie ist darin auch ein wichtiger Kontrapunkt zu anderen gesellschaftlichen Maßstäben. Denn Familie setzt nicht in erster Linie auf Vergleichbarkeit, sondern auf Unterschiedlichkeit. In Schule, Sport und Beruf geht es meistens um ein Kräftemessen unter Gleichen. Schülerinnen und Sprinter brauchen gleiche Voraussetzungen für einen fairen Start. In der Familie ist dies anders. Hier geht es gerade um die Unterschiede zwischen Menschen, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Lebenserfahrung, körperliche Kraft, Verantwortung und aktuelle seelische Verfassung. Da ist es gerade gut, dass nicht alle das Gleiche können und einbringen und dass die einen einmal stark und ein anderes Mal schwach sind. Im Ersten Korintherbrief verwendet Paulus das Bild eines Körpers für die Verbindung von sehr unterschiedlichen Menschen in der christlichen Gemeinde (Kapitel 12). Das Zusammenleben in der Gemeinde kann mit dem Zusammenwirken der verschiedenen Körperteile verglichen werden. Ohr, Hand, Kopf und Fuß brauchen einander. Keiner kann sagen, er sei weniger wichtig. Alle haben die gleiche Würde und alle gemeinsam bilden ein Ganzes. Daraus folgt für Paulus: Wenn einer leidet, leiden alle, und wenn einer geehrt wird, freuen sich alle. Die wichtigste Aufgabe aller Körperteile ist es, für einander da zu sein. Paulus verwendet hier den griechischen Begriff für das alte Wort „Fürsorge“. Fürsorge bedeutet nicht, sich immerzu Sorgen zu machen. Gott hat die Sorge für morgen, Menschen haben die für das Heute, so sieht es Paulus. Fürsorge meint eher ein bewusstes und achtsames Hören auf die Bedürfnisse der anderen, in besonderer Weise der Schwächeren. In Korinth ging es dabei ganz konkret um die Würde der Armen. Die oberen Schichten verachteten Vertraute Zweisamkeit: Verlässliche Beziehungen sind wichtig. Pfarrerin Ursula Schoen ist Prodekanin im Evangelischen Stadtdekanat Foto: Rolf Oeser Frankfurt. die unteren, die Handarbeiter. Fürsorge ist auch eine zentrale Aufgabe der Familie in allen praktischen Alltagsfragen, aber ebenso in der verantwortlichen Sorge für die, die sie besonders brauchen. „Care-Arbeit“ nennt man dies heute. In einer Gesellschaft, in der ein hoher Erfolgsdruck auf der mittleren Generation liegt, wird die Care-Arbeit zunehmend von professionellen Fachkräften übernommen. Oft fehlt das Bewusstsein dafür, dass Care-Arbeit ein Geben und Nehmen ist, dass Krankenschwestern, Pfleger, Erzieherinnen und Küchenhilfen in der Großküche Arbeitsbedingungen brauchen, die ihre Würde achten und ihnen verlässlichen Rückhalt bieten. Die Fürsorge für andere ist weit mehr als eine reine Familienangelegenheit. Sie ist ein Gestaltungsauftrag für die Gesellschaft und grundlegend für ihren Zusammenhalt. Ursula Schoen Foto: corbis_fancy/Fotolia.com ▸ Kirche aktuell Seite 8 ■ Gottesdienst zum Auftakt Bevor die neu gewählte Frankfurter Stadtverordnetenversammlung im April zu ihrer ersten Sitzung zusammentrat, haben die Kirchen zu einem Gottesdienst in die Alte Nikolaikirche am Römerberg eingeladen. Mit dabei waren unter anderem Kämmerer und Kirchendezernent Uwe Becker, Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld und Kulturdezernent Felix Semmelroth (alle CDU), Stadträtin Cornelia-Katrin von Plottnitz (Grüne), sowie die Frankfurter FDP-Vorsitzende Annette Rinn. In der ersten Reihe saß Esther Gebhardt, die frühere Vorstandsvorsitzende des Evangelischen RegionalverbanFoto: Rolf Oeser des, sie ist für die SPD neu in das Stadtparlament eingezogen. Das Gemeindeporträt Evangelisches Frankfurt Schwarze Deutsche Buchvorstellung mit Party in Sankt Peter ▶Sie hatten es satt, immer wieder Sätze wie „Sie sprechen aber gut deutsch“ oder die Frage „Woher kommen Sie denn?“ zu hören und schritten zur Tat. „Wir nannten uns Schwarz; und wir reklamierten das Deutschsein“, fasst Eleonore Wiedenroth-Coulibaly die Geburt der „Initiative Schwarze Deutsche“ (ISD) vor 30 Jahren zusammen. Zu den Frauen der ersten Stunde gehörend, stieß die Übersetzerin bundesweit Projekte an, die „Schwarzen Identitäten“ Raum gewährten. Wegweisende Zeichen setzte damals auch die ISD-Mitbegründerin May Ayim. Mit ihrem Buch „Farbe bekennen“ sorgte sie 1986 dafür, dass die Lebenssituation afro-deutscher Frauen erstmals ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. Der anfangs vom Ökumenischen Weltkirchenrat finanziell unterstützte ISD ist heute ein gemeinnütziger Verein, der sich „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ nennt und in zahlreichen Städten vertreten ist. Zum dreißigjährigen Bestehen gaben jetzt sechs Frauen der ISDFrankfurt einen Sammelband Katharinengemeinde im Westend Die Kirche, in die Goethes gingen ▶St. Katharinen an der Hauptwache ist Traditions- und Passantenkirche zugleich. Viele der 2800 Gemeindemitglieder fühlen sich der zentralen Frankfurter Kirche, in die schon Familie Goethe zum Gottesdienst ging, über Generationen verbunden. An hohen Feiertagen und bei den Familiengottesdiensten besetzen sie oft mit der ganzen Familie eine Kirchenbank. Zusätzlich zur WestendKlientel kommen Menschen aus der ganzen Stadt. „Bei unseren traditionellen Abendmahlsgottesdiensten mit fein ausgearbeiteter Liturgie schätzen viele auch unsere exzellente Kirchenmusik“ sagt Pfarrerin Gita Leber. Die Katharinenkirche ist Predigtsitz von Kirchenpräsident Volker Jung und Stadtdekan Achim Knecht; bei ökumenischen Gottesdiensten steht manchmal auch der katholische Stadtdekan auf der Kanzel. „Mit Obdachlosenarbeit, kirchenmusikalischen Proben und Konzerten sowie unseren Gottesdiensten und den Angeboten der Stadtkirchenarbeit sind wir fast voll ausgebucht“, erzählt Leber. „Das funktioniert nur, weil wir sehr gut planen.“ Nur ein- bis zweimal im Monat könne die Kirche von Veranstaltern genutzt werden, die nicht zur Gemeinde gehören. „Die Lage an der Hauptwache ist aber auch eine Herausforderung“, sagt Pfarrerin Claudia Neffgen. Denn die Ende des 17. Jahrhunderts von Melchior Hess erbaute spätgotische Hallenkirche liegt nicht mitten im Gemeindegebiet, sondern an dessen Spitze – Fressgass und Bockenheimer Landstraße bilden die westliche Grenze, die Eschersheimer Landstraße bis zur Miquelallee die östliche. Das hat historische Gründe: Als Frankfurt Ende des 19. Jahrhunderts immer größer wurde, wurden die Gemeinden von der Innenstadt aus tortenstückförmig in die äußeren Bezirke erweitert. Für Gemeindefeste ist die Kirche außerdem ungeeignet, weil die Sitzbänke nicht verschoben werden dürfen. Gefeiert und getagt wird deshalb im Gemeindezentrum in der Leerbachstraße. Die Gemeindearbeit ist von diakonischen Aufgaben geprägt: Bekannt ist die jährliche Winterspeisung für Bedürftige, bei der zu Spitzenzeiten 300 Essen am Tag ausgegeben werden, samt medizinischer Versorgung und seelsorgerlicher Begleitung. Zusätzlich wird aber auch das ganze Jahr über ein monatlicher Brunch für Obdachlose angeboten. Zur Gemeinde gehören außerdem zwei Kindertagesstätten für 100 Kinder. Pfarrerin Leber besucht regelmäßig die Altenheime Kursanus und Sonnenhof, Pfarrerin Neffgen bietet in Einzelgesprächen professionelle Trauerbegleitung an. Neben festen Kreisen wie dem Seniorentreff und dem Ehepaarkreis lädt Leber monatlich zu einem Kultur-Ausflug ein sowie zu einer jährlichen Reise. „So stoßen auch immer wieder neue Menschen zu uns, von denen sich einige dann wieder in anderen Bereichen ehrenamtlich engagieren“, erzählt sie. Stephanie von Selchow Die Pfarrerinnen Claudia Neffgen (links) und Gita Leber vor dem Gemeindezentrum der Katharinengemeinde in der LeerFoto: Rolf Oeser bachstraße. Das Gemeindegebiet reicht von der Hauptwache bis hoch zur Miquelallee. „Spiegelblicke“ heraus. Mehr als 50 Frauen und Männer aus unterschiedlichen Generationen zeichnen hier in Reportagen, biografischen Texten und Gedichten Lebensrealitäten Schwarzer Menschen nach. In der Jugendkulturkirche Sankt Peter wurde das Buch im Rahmen eines „Story Telling Salons“ vorgestellt. Die Rolle, die die Hautfarbe bei der Suche nach einem Job oder einer Wohnung spielt, kommt hierbei ebenso zur Sprache wie der alltägliche Rassismus im Kulturbetrieb. Das zweite in Sankt Peter präsentierte Werk heißt „Sisters and Souls“ und ist anlässlich des 20. Todestages von May Ayim erschienen. Aus feministischer Perspektive von 25 Frauen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen, sexuellen Orientierungen und Altersgruppen geschrieben, richte sich das Augenmerk der Anthologie auf die doppelte Diskriminierung Schwarzer Frauen: die rassistische und sexistische, so Herausgeberin Natasha Kelly. „Es ist der Versuch, mit Weißen Sprach- und Denkgewohnheiten zu brechen.“ Doris Stickler Partnerkirche in Polen gegen Frauenordination ▶Mit Enttäuschung hat die Stellvertretende hessen-nassauische Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf auf die Entscheidung der Lutherischen Kirche in Polen reagiert, auch weiterhin keine Pfarrerinnen zuzulassen. Bei der Synode der Evangelisch-Augsburgischen Kirche von Polen war im April die notwendige Zweidrittel-Mehrheit für die Frauenordination nicht zustande gekommen: 38 Delegierte hatten dafür und 26 dagegen votiert; vier enthielten sich. Hessen-Nassau hatte die polnische Partnerkirche in den vergangenen Jahren bei der Frauenordination beraten. Aus evangelischer Sicht gebe es „keine nachvollziehbaren Argumente, die gegen eine Ordination von Frauen sprechen“, betonte Scherf. Dass dies auch die Meinung der meisten polnischen Synodalen sei, stimme sie trotz allem hoffnungsvoll, sagte Scherf. Sie vermutet deshalb, dass eine neue Synode das Thema erneut auf die Tagesordnung setzt. Die Frage der Frauenordination wird in der rund 70 000 Mitglieder zählenden evangelischen Kirche von Polen seit Jahrzehnten diskutiert. Im Jahr 2010 war sie schon einmal abgelehnt worden. Redaktion Übrigens: Auch bei Facebook können Sie sich mit „Evangelisches Frankfurt“ verbinden“! Evangelisches Frankfurt ▸ Kirche aktuell Seite 9 Mit Luther durch Frankfurt Zweimal hat der Reformator hier übernachtet – auf dem Weg nach Worms und zurück Neue kirchliche Projekte für Flüchtlinge ▶Ein „Silber- und Goldloch, durch das alles abfließt, was wächst und gedeiht“ war Frankfurt für Martin Luther. Dass der Reformator dennoch gleich zweimal in dem „Sündenpfuhl“ übernachtete – auf dem Hin- und auf dem Rückweg – hing allein mit praktischen Gründen zusammen: Die Stadt lag auf seinem Weg nach Worms, wo er 1521 die „ketzerischen“ Thesen vor dem Reichstag verteidigte. Die Stippvisite dürfte ihm dennoch gefallen haben. „Kaum hatte Luther sein Quartier im Gasthaus ‚Zum Strauß’ bezogen, traf schon eine Lieferung Malvasierwein ein“, verriet Pfarrer Jeffrey Myers beim Rundgang „Auf Luthers Spuren“. In Gesellschaft der edlen Spenderin und anderer Honoratioren habe Luther dem süßen Tropfen sowie den „Freuden der Musica“ dann bis spät in die Nacht gehuldigt. Die Zuversicht, die er laut Überlieferung an diesem Abend bezeugt haben soll, wurde freilich ▶Die Frankfurter Evangelische Kirche hat einige neue Projekte für Geflüchtete gestartet. Der Evangelische Verein für Jugendsozialarbeit baut in Kooperation mit der Cronstett- und Hynspergischen evangelischen Stiftung ein Projekt an Berufsschulen auf, um junge Geflüchtete besonders zu fördern, etwa durch zusätzlichen Sprachunterricht oder ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren. Geplant sei darüber hinaus der Aufbau einer Ergänzungsschule für junge Geflüchtete, sagte Stadtdekan Achim Knecht in seinem Bericht vor der Evangelischen Stadtsynode im April. Auch das Mentoringprogramm Socius wachse weiter. In diesem Sommer würden mehr als 100 ausgebildete ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren Flüchtlinge und Asylsuchende bei ihrer Intergration in der Stadt begleiten. Seit Anfang Mai betreut das Diakonische Werk für Frankfurt zudem die Flüchtlingseinrichtung am „Alten Flugplatz“ in Bonames. Redaktion Pfarrer Jeffrey Myers ist in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zuständig für die Reformationsdekade – und hat so mancherlei Wissenswertes über die Beziehung des Reformators Martin Luther zu Frankfurt heFoto: Rolf Oeser rausgefunden. St. Katharinen: Seelsorge im Vorbeigehen Am Anfang der Buchgasse rechts, wo heute das Bankhaus Bethmann steht, war die Gaststätte „Zum Strauß“, in der Martin Foto: Rolf Oeser Luther zweimal übernachtet hat. anderntags zerstört: Weil Luther in Worms seine Thesen nicht widerrufen hatte, belegte ihn der Papst mit dem Bann. Angesichts des großen Interesses – rund 70 Frauen und Männer waren bei dem Rundgang dabei – bedauerte Myers es umso mehr, dass vom Aufenthalt des Reformators heute kaum noch sichtbare Zeugnisse erhalten sind: Wo früher der Gasthof zum Strauß war, steht inzwischen das Bankhaus Bethmann, nur ein Wandbild mit Straußenvogel erinnert noch an den Vorgänger. Auch an den anderen Stationen konnte Myers die Spuren des Epoche machenden Kurzbesuchers nur vermittelt vor Augen führen. Etwa in der Buchgasse, wo eine Stele an die über 500-jährige Tradition der Buchmesse erinnert: In Frankfurt nahm die Verbreitung der Luther-Bibel ihren Ausgang; während der Herbstmesse 1520 verkaufte ein einziger Händler allein 1400 Exemplare. Den Reformator scherte das allerdings wenig. „Ich habe die Hoffnung meines Evangeliums nicht auf euer Frankfurt gesetzt“, ließ er wissen, als der Magistrat der Krönungsstadt für seinen Geschmack zu viel Rücksicht auf die katholischen Machthaber nahm. Gleichwohl bekannte man sich in Frankfurt durchaus schon früh und auch offensiv zu Luthers Lehre. Jeffrey Myers, der in einem Projektteam der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau für die Reformationsdekade mitarbeitet, macht auf dem Rundgang auch vor der Paulskirche halt, in deren Vorgängerin 1528 das erste evangelische Abendmahl Frankfurts gefeiert wurde. Selbst der Dom kam während der religiösen Umbrüche nicht ungeschoren davon: Auf Druck des Bürgertums wurde er 1533 zur evangelischen Hauptkirche umgewidmet, damit einher ging sogar die Abschaffung des katholischen Kirchenwesens. Zwei Jahre später erhielten die Katholiken allerdings Gotteshaus und Rechte wieder zurück – nicht zuletzt, weil Philipp Melanchthon dazu geraten hatte. Manche Protestanten hielt das freilich nicht von Sticheleien gegen die „Papisten“ ab. Doris Stickler ■ Integration durch den Magen ▶Viele Menschen sind in der Frankfurter City unterwegs. Alle, denen etwas auf der Seele brennt, die bei Problemen jeglicher Art ein offenes Ohr brauchen, können das jetzt montags bis samstags zwischen 15 und 17 in der Katharinenkirche an der Hauptwache finden: Hier sind ehrenamtliche, aber ausgebildete Seelsorgerinnen und Seelsorger anzutreffen, mit denen man unverbindlich, vertraulich und offen sprechen. Es handelt sich nicht um spezielle Beratung, bei Bedarf bekommt man aber Adressen von Beratungsstellen und Hilfsangeboten. „Eigentlich ist es so gedacht, dass die Leute nur einmal kommen“, sagt Stadtkirchenpfarrer Olaf Lewerenz, manche kämen aber auch wiederholt. Einige schauen spontan vorbei, andere brauchen ein wenig Mut, um sich zu melden. Natürlich kann man dabei anonym bleiben. Redaktion Umweltpreis für den japanischen Ex-Premier Kan ▶Der frühere japanische Premierminister Naoto Kan ist als erster Preisträger von der Stadt Frankfurt und dem Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit einem neuen Umweltpreis ausgezeichnet worden. „Courage beim Atomausstieg“ heißt der mit 10 000 Euro dotierte Preis. Kan hatte sich nach dem Reaktorunfall von Fukushima vor fünf Jahren zu einem entschiedenen Befürworter eines Atomausstiegs und der Entwicklung erneuerbarer Energiequellen gewandelt. Das Preisgeld stiftete das „Elektrizitätswerk Schönau“. Redaktion „Menschen aus Idomeni schnell umsiedeln“ Bärlauchpesto, Gnocchi mit Salbeibutter und Baguette standen im April auf dem Menüplan der Initiative „Shout Out Loud“ in der Gethsemanekirche im Nordend. Einmal im Monat wird unter dem Motto „Integration geht durch den Magen“ gemeinsam mit Flüchtlingen gekocht. Gestartet ist das Projekt vorigen Sommer im Frankfurter Garten. Als es drauFoto: Ilona Surrey ßen zu kalt wurde, bot die Kirchengemeinde ihre Räume an. Infos: www.shoutoutloud.eu. ▶Vertreter der evangelischen Kirche haben mehr Hilfen der Europäischen Union für die Menschen in dem Flüchtlingslager im nordgriechischen Idomeni gefordert. Bei einer Reise zur Griechischen Evangelischen Kirche hatte sich unter anderem auch der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung vor Ort ein Bild von der Lage verschafft. Vor allem den allein reisenden Frauen mit Kindern müsse unbürokratisch eine Umsiedlung ermöglicht werden, damit sie in anderen europäischen Ländern den Asylantrag stellen können. Viele hätten dort Familienangehörige, zu denen sie möchten. Redaktion ▸ Kirche aktuell Seite 10 Evangelisches Frankfurt Ja zur christlichen Gemeinde 800 Jugendliche werden in diesen Wochen in Frankfurt konfirmiert. Was macht die Kirche für 13- und 14-Jährige interessant? ▶Nach und nach trudeln sie in der Gethsemanekirche ein, und es sind viele: Fünfzig Jugendliche werden dieses Jahr im Nordend, in der Peters- und der Gethsemanegemeinde, konfirmiert. Dieser Boom ist eine der aus kirchlicher Perspektive eher erfreulichen Begleiterscheinungen der Gentrifizierung, also der Aufwertung und Verteuerung des Wohnraums in den begehrten Innenstadtlagen: Es ziehen viele junge Familien hierher, und damit auch viele Kinder und Jugendliche. In Frankfurt feiern jedes Jahr zwischen 750 und 800 Jugendliche Konfirmation, das heißt, sie bekräftigen nun religionsmündig ihre Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde. Die Zahlen sind, Unkenrufen zum Trotz, seit Jahren stabil. Das ist allerdings den wachsenden Einwohnerzahlen zu verdanken. Relativ gesehen sinkt der Anteil der Konfirmierten pro Jahrgang und lag 2014 nur noch bei rund 13 Prozent. Die Gemeinden bereiten die Jugendlichen mit Kursen auf die Konfirmation vor, denn schließlich müssen sie wissen, wozu sie Ja sagen und warum. Im Nordend kennen sie sich schon ganz gut aus. Zu Beginn der Konfi-Stunde versammeln sich alle um den Altar. Der gemeinsam gesungene Lobpreis „Laudato Si“ klingt zwar ein bisschen schief, dafür scheint die Psalmlesung richtig Spaß zu machen: Anfangs murmeln alle ganz leise, dann werden sie lauter und lauter, bis sie am Ende fast brüllen. Im Anschluss ist Probe für das Passionsspiel, das hier fester Bestandteil der Konfizeit ist. Aus dem Lautsprecher kommt Musik von Starwars und Shantel, dann zieht Jesus – gespielt von einem Mädchen – auf dem Skateboard in die Kirche ein. Es ist für die Gemeinden gar nicht so leicht, für 13- und 14-Jährige heute interessant zu sein. Durchaus kritisch betrachten etwa Henry und Steffen das, was ihnen in der Konfizeit geboten Zwei, die dieses Jahr in Frankfurt konfirmiert werden: Steffen (links) von der Emmausgemeinde in Eschersheim und Henry von der Bethlehemgemeinde in Foto: Ilona Surrey Ginnheim. Wobei der Wissensdurst je nachdem durchaus variiert. Mit Bonhoeffer hätte er seiner kleinen Gruppe aus fünf Jugendlichen sicherlich nicht kommen können, sagt Pfarrer Wilfried Steller aus Fechenheim. Funktioniert habe hingegen eine weniger intellektuelle Herangehensweise. So hat die Gestalttherapeutin Sara Wagner mit den Konfis, ausgehend von der Josefsgeschichte, unterschiedliche Gefühle mit Hilfe von „Malgymnastik“ bearbeitet. „Das war für sie interessant, allerdings erst ab dem Moment, wo sie verstanden haben, dass ich sie nicht benote oder bewerte, dass sie es nur für sich selber machen.“ Vielleicht ist das der verbindende Nenner in punkto Konfi-Zeit. Denn auch Andreas Hoffmann und Thorsten Peters, die beiden Pfarrer aus dem Nordend, betonen, dass es dabei nicht darum gehe, etwas „Nützliches“ zu lernen. Das Leben von Jugendlichen sei heute schon durchgetaktet genug. Was vielmehr allzu oft fehle, das seien Freiräume für ganz eigene Erlebnisse. Antje Schrupp Jesus zieht mit seinen (beziehungsweise hier: ihren) Jüngerinnen und Jüngern in Jerusalem ein: Im Nordend ist es schon eine gute Tradition, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden ein Passionsspiel entwickeln und aufführen. Hier die Foto: Rolf Oeser diesjährige Aufführung am Palmsonntag in der Gethsemanekirche. wurde. Eine Freizeit zum Beispiel, bei der die Inhalte teilweise von älteren Jugendlichen vermittelt werden sollten, bekommt Punktabzug: „Die kannten sich teils selber gar nicht mit den Themen aus und wussten keine Antwort, wenn man sie was gefragt hat“, bemängelt Steffen. Schon besser sei da ein Konfitag in der Jugendkulturkirche Sankt Peter gewesen – bloß mit sieben Stunden viel zu lang! Henry fand gut, wenn er etwas Substanzielles lernen konnte, zum Beispiel, wie Ostern entstanden ist. Auch einen Vortrag über den von den Nazis hingerichteten Theologen Dietrich Bonhoeffer fand er interessant. Dass Jugendliche sich nicht für Kirche und Religion interessieren und nur wegen der Geschenke zur Konfirmation gingen, ist jedenfalls ein Gerücht. Das ergab auch eine Studie der Universität Bamberg: 60 Prozent der befragten Konfirmandinnen und Konfirmanden sagten zum Beispiel, sie hätten dabei gelernt, wie wichtig es ist, sich mit ethischen Fragen auseinander zu setzen. Gerechtes Sprechen ■ Boutique länger geöffnet „Café Klartext“ mit Antje Schrupp über feministische Sprachkritik ▶Die Ignoranz gegenüber einer geschlechtergerechten Sprache entpuppt sich bisweilen als überaus kontraproduktiv. Beim „Café Klartext“ im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum zeigte die Journalistin Antje Schrupp das am Beispiel eines Ratgebers für Geflüchtete. Der betone zwar einerseits, dass Frauen in Deutschland gleichberechtigt sind, liste andererseits aber mit Ausnahme der Krankenschwester alle Berufe nur in der männlichen Form auf. Was insgesamt die Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache anbelangt, bedauert die Publizistin und Redakteurin von „Evangelisches Frankfurt“, dass das Bemühen inzwischen deutlich nachgelassen habe. Zugleich riet sie aber davon ab, deren Verwendung mit erbittertem Ernst voranzutreiben. Sie bevorzuge einen spielerischen Umgang, der Raum zum Ausprobieren und Experimentieren gewährt. In ihren eigenen Texten verwendet Antje Schrupp mal die weibliche, mal die männliche Form und setzt bei längeren Abhandlungen den Unterstrich ein. Der verdränge ohnehin immer mehr das vor allem von älteren sprachbewussten Menschen präferierte „große I“. Jüngere würden also statt „LeserInnen“ meist „Leser_innen“ schreiben. Für die große Mehrheit gelte aber nach wie vor: Wenn es um gemischtgeschlechtliche Gruppen geht, wird das generische Maskulinum gewählt. Dabei ist die Behauptung, bei der männlichen Pluralform würden Frauen automatisch mitgedacht, ihrer Erfahrung nach schlichtweg falsch. Die Politikwissenschaftlerin versteht zwar, dass oftmals stilistische Gründe einer geschlechter- gerechten Sprache im Wege stehen. Dennoch hält sie es für „wichtig, weiterhin daran zu arbeiten“. Zumal etliche Studien belegten, wie stark die Sprache das Denken und Handeln bestimmt. Würden etwa Kindern Berufe geschlechtergerecht vorgestellt, seien Mädchen eher bereit, typische Männerberufe zu ergreifen. Sprache sei ständig im Wandel und letztlich auch eine Gewohnheitssache, sagt Antje Schrupp, „ein Aushandlungsprozess der Menschen, die sie benutzen“. So sei auch offen, wie mit historischen Texten umgegangen werden soll, die aus heutiger Sicht problematische Sprache benutzen. Eine gelungene Lösung sei zum Beispiel, dass in den neu aufgelegten Ausgaben von Pippi Langstrumpf aus dem vormaligen „Negerkönig“ ein „Südseekönig“ gemacht wurde. Doris Stickler ▶Die Second Hand Boutique „samt & sonders“ der Diakonie Frankfurt in der Rohrbachstraße 54 ist jetzt auch freitags bis 18 Uhr geöffnet, um der großen Nachfrage Rechnung zu tragen. Zugleich startet ein neues Projekt: Aus gespendeten Herrenhemden werden originelle Taschen genäht, welche die Kundinnen beim Einkauf anstelle von Papiertaschen erhalten. red Evangelisches Frankfurt ▸ Kirche aktuell Seite 11 Und dann gefriert das Bild Wie funktioniert Gottesdienst im Internet? Unsere Autorin hat es ausprobiert ▶Zeit zum Ausschlafen habe ich an diesem Sonntag reichlich: Der Sublan-Gottesdienst beginnt erst um 14 Uhr. Sublan – das Wort ist zusammengesetzt aus „Subkultur“ und „W-Lan“ und steht für eine neue Art, Gottesdienst zu feiern: online und interaktiv in einer temporären Gemeinde von bis zu 5000 Teilnehmenden. Seit 2009 veranstaltet und betreut Rasmus Bertram, ehemaliger Pfarrer der Jugendkulturkirche Sankt Peter, Internet-Gottesdienste. Voriges Jahr wurde er von der Landeskirche offiziell beauftragt, das Format weiterzuentwickeln. Angesprochen sind vor allem jüngere Menschen – der Trailer, den ich mir vorab anschaue, deutet in diese Richtung: „Lass meine Mudda aus dem Spiel“ heißt es im Untertitel zur Sendung. Über Smartphone, Tablet oder Rechner lässt sich eine eigens entwickelte App nutzen. Misstrauisch, wie ich in Bezug auf Technik bin, wende ich mich vorab an die minderjährigen Technik-Profis in meinem Haushalt, um sicher zu stellen, dass alles funktioniert. Gott mit dem Smartphone zu erreichen, könnte schwierig werden, dachte Gottesdienst am Computer – da ist unter Umständen die Versuchung groß, zwiFoto: Silke Kirch schendurch mal eben die Wäsche aufzuhängen. ich. Vor allem als „Mudda“. Eine Viertelstunde vor Gottesdienstbeginn ist Einlass. Anstelle des Trailers werden jetzt Studiobilder gesendet. Dort sieht man geschäftiges Treiben. Den Gottesdienst bei Sublan.tv vorzubereiten, ist durchaus aufwendig: Ein etwa 30-köpfiges Team braucht der Pfarrer, um im Filmstudio in Wetzlar einen Gottesdienst live feiern zu können. Es gibt eine smarte Moderatorin, Nena Baumüller, eine Band mit dem Namen „Mal angenommen“, mehrere Chatrooms, eine Wand aus Ziegelsteinen, an der zwei Betende online Gebetswünsche entgegennehmen und Kerzen aufstellen. Mit dabei ist auch der „EventPastor“ Mickey Wiese. Die beiden Theologen reden locker, auch über Substanzielles, etwa die Lesung aus Matthäus 18, die, von einer jungen Frau gesprochen, als Filmaufnahme eingeblendet wird. Sie steht auf einem Dach im Wind vor der Frankfurter Skyline. „Hart am Limit“ – unter dem Motto geht es um Werte, um Konflikte, um Vergeltung, Vergebung und die Frage, was uns heilig ist. Die Gottesdienstbesucher und -besucherinnen sollen Zuschriften einsenden, die dann verlesen und diskutiert werden. Das Ziel ist nicht, alle hörbar zu machen, sondern einen roten Faden zu zwirbeln, der Verbindung schafft. Das braucht merklich Übung. Während die Band spielt, könnte ich eigentlich auch Wäsche abhängen, denke ich. Obgleich der Gottesdienst interaktiv sein soll, fühle ich mich ziemlich sprachlos und untätig. Also tippe ich einen Kommentar in das Teilnahmefeld für Zuschriften und Gebete. 500 Zeichen sind möglich. Als ich den Sendebutton anklicke, gefriert das Bild und lässt sich vorerst nicht wiederbeleben. Die Geschichte von der Rückkehr des verlorenen Sohnes, die ein junger Mann am Fuße einer Treppe stehend liest, bleibt ohne Ende. Aber ich habe ohnehin bald Chorprobe. Auf dem Weg dorthin denke ich über die Akustik von Sakralbauten nach und summe ein Lied. Silke Kirch Wie Verschleierung wirkt Religionswissenschaftlerinnen über die Wahrnehmung verschiedener Formen des Kopftuchs ▶Es ist zwölf Mal dieselbe junge Frau. Einmal hat sie ein Tuch locker um den Kopf geschlungen und trägt eine Art Tracht, ein anderes Mal ist der Mund bedeckt. Ein Bild zeigt sie mit Business-Jacket und Kopftuch, auf anderen ist sie mit farblich aufeinander abgestimmten Tüchern, Ohrringen und eng anliegender Kleidung zu sehen. Wieder andere zeigen sie in blauer Burka oder im schwarzen Ganzkörper-Niquab. Die Fotos haben die Religionswissenschaftlerinnen Jasmin Munoz und Alia Hübsch-Chandry im Rahmen ihrer Bachelorarbeit männlichen und weiblichen Testpersonen ohne muslimischen Hintergrund vorgelegt und sie zu ihren Eindrücken befragt. Ergebnis: Extreme Selbstinszenierung und extreme Verschleierung wurden als angepasst, gekünstelt oder unmündig empfunden, während gemäßigte Verschleierung oder Trachten den Testpersonen authentisch und glaubwürdig vorkamen. Im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum stellten Munoz und Hübsch-Chandry ihre Forschungen „Zum Wirkungspotenzial von Verschleierungsformen“ vor und stellten sich der Diskussion mit dem zum Teil sehr kritischen Publikum. Die Geschichte der weiblichen Verschleierung reicht weit zurück, erläuterte Hübsch-Chandry. Frühe Abbildungen aus Mesopotamien zeigten verschleierte Mut- Kopftuch muss nicht langweilig sein: Muslimisch inspirierte Designermode bei Foto: picture alliance/Photoshot der Londoner Fashion Week im Februar. tergottheiten. Im antiken Griechenland hätten verheiratete Frauen aus der Oberschicht Schleier getragen: als Zeichen ihres Status und ihrer „Unverfügbarkeit“. Mit der französischen Revolution fand im Westen eine Verschiebung statt: Seitdem stehe hier das „Verschleiern“ als Symbol für Lüge und Gefahr. Muslimische Frauen, die ein Kopftuch oder andere Formen der Verschleierung tragen, berufen sich zum Beispiel auf die 33. Sure, wonach Gattinnen „etwas von ihrem Gewand über den Kopf ziehen“ sollen, weil sie „so am ehesten erkannt und nicht belästigt“ würden. Fromme Musliminnen trügen Kopftuch aus „Liebe zu Gott“, sagte Hübsch-Chandry. Dass in manchen Ländern Frauen gezwungen werden, sich zu verschleiern, konterkariere das. Es gebe allerdings auch sehr konservative Frauen, die sogar die Burka aus Überzeugung trügen. Die Kopfbedeckungen dürften im Übrigen durchaus schön sein, denn „Gott ist schön und liebt die Schönheit“ heiße es im Koran. Sie sollten nur nicht aufreizend sein, so Hübsch-Chandry. Jasmin Munoz ging vor allem auf die Lebenspraxis ein. In Europa würden kopftuchtragende Frauen entweder mit Bedrohung oder Rückwärtsgewandtheit und Unterdrückung assoziiert. Bei einer Umfrage unter 6000 muslimischen Frauen aus 49 Herkunftsländern hätten jedoch 92,3 Prozent gesagt, sie trügen das Kopftuch aus religiöser Pflicht, 43,3 Prozent aus Gründen der Sicherheit, 36 Prozent, um als Muslimin erkannt zu werden, 21 Prozent aus Tradition, 15 Prozent zum Schutz vor Belästigung, 7,3 Prozent aus modischen Gründen, 6,7 Prozent, weil es der Partner will und 5,8 Prozent wegen der Familie. Stephanie von Selchow Kurz notiert ■ Guide zur Dreikönigskirche Die 1881 eingeweihte Dreikönigskirche am Sachsenhäuser Ufer enthält viele Schätze, zum Beispiel von Charles Crodel ein „Geheimnisfenster“ und ein „Glücksfenster“, in dem Kinder Fußball spielen. Eine neue Broschüre erläutert nun alles Wissenswerte ausführlich – die deutsche Ausgabe gibt es bereits, eine englische, russische und chinesische sind in Arbeit. Die Dreikönigskirche ist tagsüber ab 10 Uhr zur Besichtigung geöffnet. ■ Oper für Kinder George Bizets berühmte Oper „Carmen“ kommt in einer kindgerechten Fassung am Sonntag, 26. Juni, um 17 Uhr in der Festeburgkirche in Preungesheim, An der Wolfsweide 58, zur Aufführung. Mit dabei sind Thomas Korte und seine Handspielpuppe sowie Mitglieder des Opernstudios (Eintritt: 10 Euro für Erwachsene, 5 Euro für Kinder von 10 bis 14 Jahren, jüngere Kinder frei). ■ Richtfest in Schwanheim Richtfest für ihren neuen Gemeindepavillon hat die Martinusgemeinde in Schwanheim im April gefeiert. Er wird im Garten der Kirche und in Nachbarschaft zum Pfarrhaus gebaut, sodass ein Ensemble entsteht. Das alte Gemeindehaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite wird dafür aufgegeben. ■ Neubau in Alt-Hausen Das alte evangelische Gemeindehaus in Hausen (Alt-Hausen) ist abgerissen worden, und die Arbeiten am Neubau, der bis Ende des Jahres fertig sein soll, haben begonnen. Der zweigeschossige Bau wird direkt an die Kirche anschließen und auch eine Verbindung zur benachbarten Kindertagesstätte bekommen. Im Foyer soll ein Familiencafé eingerichtet werden, das für alle im Stadtteil offen ist. ■ Verdienstorden für Gern Pünktlich zu seinem Ruhestand ist der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Pfarrer Wolfgang Gern, von Ministerpräsident Volker Bouffier mit dem Hessischen Verdienstorden am Bande ausgezeichnet worden. Gern stand 16 Jahre an der Spitze der Diakonie. Sein Nachfolger wird Horst Rühl, bisher Diakoniedezernent der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. ■ Telefonseelsorge: neuer Kurs Ein neuer Kurs für Menschen, die ehrenamtlich in der Telefonseelsorge mitarbeiten möchten, startet im Herbst. Mitbringen müssen sie Offenheit für andere, die Bereitschaft, eigene Überzeugungen auch einmal in Frage stellen zu lassen sowie seelische und körperliche Belastbarkeit. Die Ehrenamtlichen übernehmen später in der Regel monatlich drei Dienste am Telefon und erhalten regelmäßig Supervision und Fortbildung. Infos unter Telefon 069 282890 oder [email protected]. Mai/Juni 2016 · 40. Jahrgang · Nr. 3 · www.evangelischesfrankfurt.de Seite 12 Kurt-Schumacher-Straße 23 · 60311 Frankfurt/Main ▸ Panorama Evangelisches Frankfurt Veranstaltung Terminkalender JugendKirchentag in Offenbach ■ Begegnung Kantatengottesdienst – am Pfingstsonntag, 15. Mai, um 10 Uhr in der Katharinenkirche an der Hauptwache. Christlicher Glaube heute – Predigt von Stadtdekan Achim Knecht am Pfingstsonntag, 15. Mai, im Gottesdienst um 10 Uhr in der Osterkirche in Sachsenhausen, Mörfelder Landstraße 214. Frankfurts Innenstadtklöster – Vortrag am Dienstag, 7. Juni, um 19.30 Uhr im Dominikanerkloster am Börneplatz. Künstlerinnen – vergessen oder übersehen im Kunstbetrieb? Vortrag von Julia Voss am Dienstag, 14. Juni, um 19.30 Uhr im Atelier Frankfurt, Schwedlerstraße 1. Stadion-Gottesdienst – auf der Bühne in der Commerzbank-Arena vor dem EM-Fußballspiel Deutschland gegen Polen am Donnerstag, 16. Juni, um 18.15 Uhr. Stadt_Klausur – Künstlerische Interventionen zum Thema „Sinn_Orte“ am Freitag, 17. Juni, um 20 Uhr im Dominikanerkloster, Börneplatz. ■ Konzerte Regers 100. Todestag – Orgel- und Kammermusk am Mittwoch, 11. Mai, um 19.30 Uhr in der Katharinenkirche, Hauptwache (10/8 Euro). Pfingstnacht – Experimentelle Musik für Orgel und Percussion am Samstag, 14. Mai, um 22 Uhr in der Thomaskirche, Heddernheimer Kirchstraße 2b (Eintritt frei). Spazierwegkonzerte – sonntags am 15. und 29. Mai um 15 Uhr in der Auferstehungskirche in Praunheim, Graebestraße 8 (Eintritt frei). Pfingstkonzert – der Jungen Kantorei mit Werken von Schubert, Mendelssohn u.a. am Sonntag, 15. Mai, um 18 Uhr in der Lutherkirche im Nordend (25/15 Euro). Geistreiches – mit dem Oberhessischen Vocalensemble am Sonntag, 15. Mai, 18 Uhr in der Jakobskirche in Bockenheim, am Kirchplatz. Monteverdis Marienvesper – am Sonntag, 15. Mai, um 20 Uhr in der Heiliggeistkirche am Börneplatz (15 Euro). Jazz-Konzert – mit Vitold Rek und Burkard Kunkel am Freitag, 20. Mai, um 20 Uhr in der Gethsemanekirche im Nordend, Eckenheimer Landstraße 90 (12/9 Euro). A-Cappella-Musik – aus Renaissance und Barock am Freitag, 20. Mai, um 20 Uhr in der Kirche Cantate Domino in der Nordweststadt, Ernst-Kahn-Straße 20 (Eintritt frei). Französische Barockmusik – mit dem „ensemble bassovorum vox“ am Samstag, 21. Mai, um 21 Uhr in der Epiphaniaskirche im Nordend, Oeder Weg/Ecke Holzhausenstraße (10/5 Euro). Klavierabend mit Chopin – am Sonntag, 22. Mai, um 19.30 Uhr in der Festeburgkirche in Preungesheim, An der Wolfsweide 48 (14/10 Euro). Mehr unter www.frankfurt-evangelisch.de. „Alexander“ lautet der Titel einer Ausstellung mit Bildern von Axel Geis, die noch bis 20. Mai in der Weißfrauen Diakoniekirche, Weser-/Ecke Gutleutstraße, zu sehen ist. Geis präsentiert eine moderne Darstellung der klassischen Malerei. Im Vordergrund steht der menschliche Körper, charakteristisch ist dabei der introvertierte Blick der porträtierten Personen. Auf den hier gezeigten Werken beschäftigt sich Axel Geis mit dem Ingmar Bergman-Film „Fanny und Alexander“. Geöffnet Foto: Ilona Surrey ist die Ausstellung montags bis freitags von 12 bis 16 Uhr. Nicht ganz freiwillig Kirche berät Flüchtlinge, die Deutschland verlassen müssen ▶Atiqullah Maywand sitzt in sei- zum Flughafen oder Busbahnhof. und allein von Januar bis April nem Büro im Haus am Weißen „Im Fall einer Abschiebung be- 2016 waren es 81 Fälle. Die BeraStein, man hört das Rauschen der kommt man eine Einreisesperre, tung nutzen vor allem AsylsuEschersheimer Landstraße. Er die bis zu fünf Jahre dauern kann. chende mit schlechten Erfolgsspricht ruhig, wählt seine Worte Das wollen viele vermeiden“, er- aussichten, etwa aus den Balkanmit Bedacht. Das ist wichtig, denn klärt er. „Freiwillig“ auszureisen ländern. „Oft haben sie ihre gedie Menschen, die ihm gegenüber sei eine Möglichkeit, die Selbst- samten Ersparnisse Schleusern sitzen, sind fast immer verzwei- bestimmung über das eigene überlassen“, weiß Maywand. Daher gibt es für rückkehrwillige Schicksal zu behalten. felt, zumindest angespannt. Die Reisekosten übernimmt die Flüchtlinge auch eine finanzielle Atiqullah Maywand, 63, ist Sozialarbeiter und seit Anfang der Internationale Organisation für Starthilfe im Heimatland. Atiqullah Maywand hat aller90er Jahre in der Flüchtlingsbera- Migration (IOM) im Auftrag des und dings auch schon erlebt, dass tung der Evangelischen Kirche Bundesinnenministeriums Frankfurt tätig. Ein aktueller der Länder. Dabei ist unter ande- Menschen ausreisen wollten, obSchwerpunkt seiner Arbeit ist die rem festgelegt, wer aus welchem wohl sie hier bleiben dürften. „Ich Rückkehrberatung. Meist sind es Land wie viel finanzielle Unter- erinnere mich an einen jungen Geflüchtete, die keine Chance auf stützung bekommt. Bund und Mann aus Afghanistan, dem die Anerkennung in Deutschland ha- Länder finanzieren das Rückkehr- Fernsehbilder über Angriffe auf ben, die die „freiwillige Ausreise“ förderprogramm mit bis zu 14,9 Flüchtlinge große Angst gemacht haben, und der deshalb nicht bleials Alternative zur Abschiebung Millionen Euro im Jahr. Bis 2014 saßen in Maywands ben wollte.“ Andere fühlen sich wählen. Freiwillig stimmt also in den meisten Fällen nicht so ganz, Büro pro Jahr kaum mehr als 20 sehr einsam in Deutschland. „Sie es ist nur für einen Großteil der Menschen mit diesem Anliegen. sagen: Zuhause habe ich wenigsRatsuchenden die beste unter Voriges Jahr waren es schon 105, tens eine Familie.“ Anne Lemhöfer mehreren schlechteren Lösungen. „Bei den meisten Menschen, die zu uns kommen, sind alle rechtlichen Wege erschöpft“, sagt Maywand. Die meisten sind „ausreisepflichtig“, wie es im Amtsdeutsch heißt: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, oder die Chance einer Anerkennung ist gering. Atiqullah Maywand hilft dann bei der Beschaffung der Reisedokumente, meldet der Ausländerbehörde die geplante freiwillige Rückkehr, damit die Abschiebung ausgesetzt wird, und organisiert den Rückflug. Jeder Einzelfall ist anders. Hilfe gibt es etwa bei der Auflösung eines Mietver- Atiqullah Maywand (rechts) und seine Kollegin Farah Haidari beraten seit Jahrzehnten trags, der Abmeldung von Flüchtlinge in Frankfurt. Großen Bedarf gibt es zur Zeit an Rückkehrberatung für Asylder Schule und der Fahrt suchende, die hier keine Chancen auf Anerkennung haben. Foto: Rolf Oeser ▶Frieden, Gerechtigkeit, andere Kulturen und Schöpfung – darum geht es beim Jugendkirchentag vom 26. bis 29. Mai in Offenbach. Rund 4000 Jugendliche aus ganz Hessen und darüber hinaus werden erwartet. Insgesamt gibt es fünf „Themenparks“ mit Workshops, Diskussionen, Jugendgottesdiensten, interaktiven Ausstellungen und Partys, die von Jugendlichen selbst vorbereitet worden sind. Auch das Frankfurter Stadtjugendpfarramt ist dabei – es ist federführend für den Themenpark „Offen für Gerechtigkeit“ verantwortlich. Austragungsort ist vor allem die Offenbacher Innenstadt, sodass man zu Fuß alles erreichen kann. Auf dem Main gibt es am Freitagund Samstagabend jeweils eine Skyline-Party-Tour auf dem Ausflugsschiff „Rhein Dream“. Die Offenbacher Stadtkirche wird zum „Zentrum Bibel“, die Französisch-Reformierte Kirche zur „Stillen Kirche“, am Main wird ein Strand mit Volleyballfeld installiert. Die Auftaktveranstaltung mit Eröffnungsgottesdienst findet am Donnerstag, 26. Mai, um 17 Uhr in der Offenbacher Messe statt. Anschließend gibt es eine Jugendkulturnacht (3 Euro). Tageskarten für Freitag und Samstag kosten je 15 Euro. Alle Infos unter www.good-days.de. Redaktion Das Letzte Ein tot Ding ▶Für uns Evangelische ist so eine Reliquie zwar bloß, um es mit Luther zu sagen, „ein tot Ding“, aber dass jetzt aus dem Dom ein Schädelstück der Heiligen Hedwig von Schlesien (1174–1243) gestohlen wurde, ist natürlich trotzdem das Letzte. Zumal wir dadurch erfahren mussten, dass es offenbar einen regelrechten Schwarzmarkt für sakrale Gegenstände gibt. Dabei ist der immaterielle Wert dieser Sachen doch so viel höher als der materielle! Impressum Herausgeber: Der Vorstand des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main. [email protected] Redaktion: Pfarrer Ralf Bräuer (Redaktionsleitung), Dr. Antje Schrupp (Geschäftsführung), Kurt-Helmuth Eimuth, Stephanie von Selchow, Anne Lemhöfer, Pfarrer Wilfried Steller Geschäftsstelle/Anzeigen: Kurt-Schumacher-Straße 23, 60311 Frankfurt am Main, Telefon 069 21 65–13 83, Fax 21 65–23 83, Druck: Axel Springer AG – Druckhaus Spandau Brunsbütteler Damm 156–172, 13581 Berlin Die Zeitung wird kostenlos an Frankfurter Mitglieder der evangelischen Kirche verteilt. ISSN 1438–8243 Mai/Juni· 40. Jahrgang · Nr. 3 Die nächste Ausgabe erscheint am 10. Juli 2016. www.facebook.de/evangelischesfrankfurt
© Copyright 2025 ExpyDoc