Gabriela A . Köhler: Ella Das ganz Besondere Erbe

Gabriela A. Köhler
Ella
Das ganz
Besondere
Erbe
Bereits erschienen in dieser Reihe:
Ella
Der Anfang
Copyright: ©2016 Gabriela Köhler
Kontakt: [email protected]
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Covergestaltung: © 2016 Gabriela Köhler
Dieses Buch widme ich all Denjenigen,
die mich bestärkt haben,
meinen Traum vom Schreiben zu verwirklichen
und allen Lesern,
die schon auf dieses Buch gewartet haben!
Gabriela A. Köhler
Es passieren Dinge auf dieser Welt,
die lassen sich nicht erklären.
Es gibt sie aber doch!
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Ella wachte auf. Es war noch dunkel. Sie drehte sich um und
schaute auf den Wecker. Oje, schon so spät. Energisch knuffte
sie ihren Mann an: „Matthias, aufwachen. Wir haben
verschlafen. Du musste dich beeilen.“
Matthias brummte in sein Kissen hinein. Es dauerte einen
Augenblick, ehe er richtig wach war. Dann drehte er sich um,
nahm seine Frau in den Arm, gab ihr einen dicken Kuss und
fragte: „Wie spät ist es denn?“
„Schon nach Halbsieben“, Ella setzte sich auf und ließ ihre Beine
aus dem Bett baumeln. „Ich bringe gleich die Kaffeemaschine in
Gang und mach das Frühstück fertig. – Los, du Faulpelz,
aufstehen!“
Mit einem Schwung zog sie Matthias die Bettdecke weg. Jetzt
war auch ihre Hündin Nora aufgewacht. Mit einem gewaltigen
Satz sprang sie ins Bett und begrüßte ihre “Leute“
schwanzwedelnd. Bei dieser Übermacht hatte Matthias keine
Chance. Lachend stand er auf und verschwand im Badezimmer.
Ella schmuste noch einen Moment mit Nora, die sich gleich ganz
dicht an sie schmiegte und die Streicheleinheiten sehr genoss.
„Jetzt müssen wir aber weitermachen, meine Liebe“, Ella stand
auf und ging in die Küche.
Gemeinsames Frühstück war bei Ella und Matthias ein festes
Ritual. Schnell war der Frühstückstisch gedeckt und es roch nach
frischem Kaffee.
Auch Nora bekam ihren Napf gefüllt, den sie sogleich ruckzuck
leerte. Noch ein paar Schlucke Wasser hinterher und dann leckte
sie sich sorgsam die „Schnute“ ab.
„Hast du es heute gar nicht so eilig?“, fragend schaute Ella zu
ihrem Mann.
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„Ach, nö – bin eben sowieso Alleinunterhalter am Computer.
Wieder so eine Betrugssache im Internet. Das nimmt wirklich
Überhand. Das Schlimme ist, häufig kommt man an die
Drahtzieher wirklich nicht ran. Diesmal haben wir vielleicht
Glück, drück mir mal die Daumen! Matthias lächelte seine Frau
an. „…und wie sieht dein Tag heute aus?“
Ella überlegte kurz: „Viele Termine, aber eigentlich nichts
Besonderes, bis auf das Freispringen heute Morgen. Nächste
Woche hat Rosiana ihre Stutenleistungsprüfung und wir wollen
sie ein letztes Mal Springen lassen. Ansonsten hat sie sich in den
letzten zwei Monaten so super entwickelt. Ich bin schon
gespannt, wie sie sich schlagen wird.“
Matthias trank noch den Kaffee aus, schnappte sich seine
Sporttasche und verabschiedete sich: „Wird heute später, weißt
ja, ich habe noch Judo-Training.“
Auch Ella machte sich nun rasch fertig, öffnete die Fenster zum
Lüften, schüttelte die Betten auf und räumte die Küche auf. Sie
hatte heute viel vor. Eine halbe Stunde später fuhr sie auf den
Parkplatz des „Tannenhofes“.
Nach dem langen Winter wurden hier gerade die Bauarbeiten für
den neuen Stall und die darüber liegenden Wohnungen
fortgesetzt. Von dem verheerenden Feuer im letzten Herbst war
nichts mehr zu sehen. Ella parkte ihren Wagen und ließ Nora
raus, die schon erwartungsvoll aus dem Fenster schaute.
Schnurstracks lief sie als erstes zu ihrem Kumpel Hasso.
Wenn Ella mit den Pferden arbeitete, musste Nora in der
Sattelkammer oder in einer Pferdebox warten. Sie war
inzwischen zehn Monate alt und etwa so groß, wie ein
Schäferhund. Außer dem schwarzen, glänzenden Fell waren ihre
großen dunklen Augen, mit denen sie so herzzerreißend schauen
konnte, besonders schön. Sie war für ihr Alter sehr gehorsam,
und blieb eigentlich immer in der Nähe ihres Frauchens. Ella
liebte ihre Hündin sehr und empfand es als großes Glück sie zu
haben. Sie glaubte fest daran, dass das Schicksal kräftig
mitgemischt hatte im letzten Jahr, damit sie Nora bekam.
6
Im Stall herrschte trotz der frühen Stunde schon reges Treiben.
Harry war beim Boxen auszumisten. Er hatte sich inzwischen
wieder ganz von der schweren Verletzung durch den Brandstifter
erholt.
Gerald Höffer, der Hofbesitzer und gute Freund, schleppte die
Stangen und Ständer für das Freispringen in die Halle.
„Hallo, Gerald“, begrüßte Ella ihn. „Du bist ja schon fleißig. Ich
helfe dir gleich, muss nur noch rasch nach Nora schauen. Nicht,
dass sie doch mal abhandenkommt.“
Gerald lachte: „ Guten Morgen Ella. Keinen Stress, bin hier gleich
fertig! Die ersten drei Pferde habe ich auch schon in der
Führanlage, dann können wir in Ruhe anfangen mit dem
Freispringen“.
„Super!“, Ella drehte sich um und rief ihrer Hündin.
Es dauerte nur wenige Sekunden und Nora kam um die Ecke
gesaust. Knapp dahinter folgte Hasso.
„Da seid ihr ja, ihr zwei“, Ella lobte sie beide und gab ihnen eine
Knabberstange. „Jetzt geht´s ab in die Box“. Widerstrebend ließ
sich Nora einsperren. „Dauert doch nicht lange“, tröstete Ella sie.
„…und nachher machen wir mit Willi einen schönen Ausritt,
versprochen.“ Nora wedelte sachte mit der Rute und legte sich
auf die bereitliegende Decke.
Das Freispringen, bei dem die Pferde durch eine Gasse alleine
über eine Reihe von Hindernissen sprangen, war eine tolle
Abwechslung. Die meisten Pferde sprangen gerne und drehten
dabei freiwillig im flotten Galopp einige Runden in der Reithalle.
Eher musste man sie in ihrem Eifer etwas bremsen, als mit der
Peitsche dahinter gehen, um sie aufzumuntern. Nach jeder
durchsprungenen Hindernisreihe gab es eine Belohnung.
Ganz zum Schluss waren heute die zwei Stuten dran, die nächste
Woche ihre Stutenleistungsprüfung ablegen sollten. Als Erstes
Carina, sie gehörte den Höffers und war abstammungsgemäß
sowieso eher ein Springpferd. Sie machte ihre Sache mehr als
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gut. Nach nur wenigen Runden waren Gerald und Ella zufrieden
mit ihr.
„Die Stute macht das klasse“, Ella war begeistert. „Das wird
bestimmt mal ein tolles Springpferd und rittig ist sie dabei auch
noch. Wetten, dass sie über einen Notenschnitt von acht
kommt?“
Gerald wog etwas skeptisch den Kopf: „Wir wollen den Tag nicht
vor dem Abend loben. Du weißt doch, so eine Prüfung hat ihre
eigenen Gesetze.“
Ella lachte: „Sei doch nicht so pessimistisch. Wir werden nächste
Woche ja sehen. …und jetzt hole ich mal Rosiana.“
Die Stute war aufgeregt und tänzelte an der Hand, als Ella sie aus
der Führanlage abholte.
Das schaffst du locker“, sprach Ella sachte auf sie ein.
Bisher war Rosiana beim Freispringen immer viel zu hastig
unterwegs gewesen und dadurch flach und mit weggedrücktem
Rücken gesprungen. Um mehr Ruhe hereinzubekommen, hatte
Ella sie immer bis ganz dicht an den ersten Sprung herangeführt
und sie praktisch erst im Absprung losgelassen. Außerdem
sollten auf den Boden liegende Stangen Rosiana helfen die
Distanzen und Anzahl der Galoppsprünge einzuhalten.
Heute führte Ella die Stute nochmals an der Reihe entlang und
ließ sie alles anschauen. Weil Gerald noch am Umbauen war,
standen sie anschließend in der Mitte der Halle und warteten.
Ella streichelte sachte über Rosianas Schopf und Stirn.
„Bleib ganz ruhig, meine Süße! Guck mal, so ein kleines Kreuz als
Einsprung, dann zwei Galoppsprünge zum Steilsprung und noch
mal zwei zum Oxer.“ Ella schaute der Stute ganz fest in die
Augen. Dann musste sie lachen, weil Rosiana, wie zur
Bestätigung, mit dem Kopf nickte und dem Huf scharrte.
„Ich glaub, sie hat dich verstanden“, rief Gerald belustigt
herüber.
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Zuerst waren die Hindernisse alle sehr niedrig. Ella führte
Rosiana wieder ruhig bis ganz dicht an das erste Kreuz heran und
ließ sie zum Abspringen los. Heute wirkte sie tatsächlich
gelassener und absolvierte die Reihe sehr manierlich.
„Sieht ja aus, als wär sie heute besser. Das ist ja schön“,
kommentierte Gerald die Sprünge. „Vielleicht hat sie jetzt
kopfmäßig verarbeitet, was sie soll.“
Ella fing Rosiana ein, belohnte sie mit einem Leckerli und
Streicheln am Hals.
Gerald baute die Sprünge gleich höher. „Wenn sie so gelassen
bleibt, machen wir nur noch zwei, drei Durchgänge mit ihr.“
Auch die zweite Runde war ziemlich gut.
„Ein kleines Bisschen fängt sie jetzt auch an sich im Rücken
aufzuwölben“, bemerkte Ella zufrieden.
Beim dritten Versuch war der letzte Sprung schon ziemlich hoch.
Aber wenn Rosiana bei ihrer Prüfung gute Springnoten
bekommen sollte, musste sie diese Abmessungen schon
schaffen. Fast mit etwas Routine galoppierte die Stute über die
Sprünge und machte einen Riesensatz über den hohen Oxer.
„Ja, was war das denn?“, bemerkte Gerald überrascht. „Das war
ja richtig gut. Na, dann kann die Prüfung wohl kommen.“
Ella ging auf Rosiana zu, die nach einigen Galoppsprüngen hinter
dem Oxer stehen geblieben war und ihr entgegen schaute.
„Das war prima, meine Liebe“, Ella befestigte den Führstrick am
Halfter und streichelte die Stute. Ein Gefühl von Triumph und
auch Erleichterung durchströmte Ella. „Da hast du allen Grund
stolz auf dich zu sein. So gut war das heute!“, sprach sie die Stute
an. „Und nächste Woche machst du das genauso, nicht wahr?“
Gerald blickte den beiden hinterher, als sie die Halle, Richtung
Stall, verließen. Wieder einmal hatte er erlebt, dass Ella
irgendwie ein ganz besonderes Verhältnis zu Tieren hatte. Fast,
als wenn sie sich mit ihnen unterhalten konnte.
9
Nach dem Abbauen der Sprünge machte Ella ihren Willi fertig,
um auszureiten. Nora sprang freudig um sie herum. Kurze Zeit
später machten sich die drei auf den Weg. Ella wollte eine
größere Runde Richtung Wald reiten. Die Wege waren nach dem
vielen Regen in den letzten Wochen ziemlich aufgeweicht, so
waren sie nur gemächlich im Schritt unterwegs.
Nora rannte meistens voraus, nur wenn es etwas besonders
Gutes zu erschnüffeln gab, blieb sie mal zurück. Auf den Wald zu
rief Ella sie dichter heran. Noch wusste sie nicht genau, wie Nora
sich verhielt, wenn sie Wild sah. Bisher konnte sie die Hündin
allerdings immer rechtzeitig zurückrufen.
Plötzlich spitzte Willi die Ohren und blieb stehen. Ella klopfte ihn
und schaute ebenfalls in Richtung Wald. Sie konnte zuerst nicht
erspähen, was Willi wohl bemerkt hatte und wollte ihn schon
weitertreiben. Da sah sie plötzlich eine Bewegung. Anscheinend
kam ihnen etwas entgegen. Nora blieb ebenfalls abrupt stehen,
schaute hoch und hob die Nase in den Wind.
Nur Sekunden später erkannte Ella, dass ein Hund auf sie zu
gerannt kam. Sie rief Nora noch mal zu sich heran, stieg aus dem
Sattel und nahm die Zügel über den Hals. Als sie nur noch
zwanzig Meter trennten, erkannte Ella die Hündin vom Förster.
Faija sah total erschöpft aus. Sie hechelte ganz schnell und
reagierte erst nach mehrmaligem Ansprechen überhaupt.
Ella nahm Nora an die Leine und ließ sie Platz machen. Willi band
sie provisorisch mit dem Zügel an einen Busch fest. Dann wandte
sie sich wieder der Hündin zu. Sie bückte sich zu ihr herunter und
bemerkte, dass das rechte Ohr blutverkrustet war.
„Faija, was ist denn mit dir passiert?“ Ella griff vorsichtig ans
Halsband und streichelte sie. Sie spürte das Herz der Hündin
rasend schlagen, und plötzlich meinte sie, Schüsse zu hören,
spürte Panik und Schmerzen so intensiv, dass sie erschrocken
ihre Hand wegzog. Wieder so eine erschreckende und
unheimliche Wahrnehmung. Widerwillig schüttelte sie ihren
Kopf.
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„Wo hast du denn dein Herrchen gelassen?“, Ella schaute sich
noch mal um, ob der Förster vielleicht noch auftaucht, aber er
war nirgends zu sehen. „Dann werden wir mal im Forsthaus
anrufen und fragen, ob du schon vermisst wirst, was?“
Ella holte ihr Handy aus der Tasche und suchte die Nummer
heraus.
„Hallo Frau Winkler“, meldete sie sich bei der Frau des Försters.
„Ich habe hier gerade Faija aufgegabelt. Sie kam alleine aus dem
Wald gelaufen und scheint verletzt zu sein. Ist sie irgendwie
weggelaufen?“
Roswitha Winkler wirkte gleich sehr besorgt: „Das ist ja komisch.
Mein Mann ist heute Morgen mit ihr losgegangen. Er wollte im
Wald nach dem Rechten sehen, die Wildzäune und Hochsitze
kontrollieren. Da muss doch was passiert sein. Die beiden sind
doch sonst unzertrennlich. Ich versuche gleich mal, ihn auf dem
Handy zu erreichen, und rufe Sie zurück, ja?“
„In Ordnung“, Ella steckte ihr Handy wieder in die Tasche und
wandte sich wieder zu Faija. Nora war inzwischen vorsichtig auf
den fremden Hund zugegangen, schnüffelte an ihr und wedelte
dann freundlich mit der Rute. Ella streichelte beide Hunde.
„Wollen wir mal in den Wald gehen und nach deinem Herrchen
Ausschau halten? Du kannst uns bestimmt den Weg zeigen,
oder?“ Ella schaute die Hündin direkt an und forderte sie noch
mal auf: „Los Faija, zeig uns, wo dein Herrchen ist“. Dann
schnappte sie sich die Zügel von Willi und tatsächlich drehte sich
die Hündin um und trabte Richtung Wald zurück.
Nora sprang neben ihr herum, um sie zum Spielen aufzufordern,
aber Faija lief jetzt unbeirrt den Weg entlang und ließ sich nicht
ablenken.
Ella stieg schnell auf und trabte hinterher. Auf halben Weg
klingelte ihr Handy. So rasch es ging, holte sie es aus ihrer
Jackentasche und nahm das Gespräch an.
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„Hallo, hier ist wieder Roswitha Winkler“, meldete sich die Frau
des Försters. „Ich kann meinen Mann nicht erreichen. Das Handy
klingelt zwar, aber er geht nicht ran.“
„Wissen Sie denn nicht wenigsten in etwa, wo Ihr Mann hin
wollte?“, fragte Ella. „Ich bin eben schon fast am Waldrand.“
„Nein, weiß ich wirklich nicht. Was machen wir denn jetzt?“
Verzweiflung klang aus Frau Winklers Stimme.
„Ich habe den Eindruck, als wenn Faija zurückläuft. Ich bin dicht
hinter ihr“, versuchte Ella, sie zu beruhigen. „Jetzt wird sie
schneller. Ich muss mich beeilen, um mitzukommen. Bestimmt
führt sie mich zu Ihrem Mann. Ich melde mich dann wieder,
versprochen.“
Hastig beendete Ella den Anruf, steckte das Handy weg und
sortierte die Zügel. Noch ein Blick zu Nora, die das ganze Spiel
anscheinend sehr spannend fand. Ella rief sie energisch heran
und befahl ihr, dicht hinter dem Pferd zu laufen. So hatten sie es
schon einige Male geübt, wenn sie zusammen galoppiert waren.
So kamen sie am Waldrand an. Faija lief in einen engen Weg
hinein. Ella bekam Mühe, mitzukommen. Die tief hängenden
Äste zwangen sie, langsam zu reiten. Zwischendurch verlor sie
Faija ganz aus den Augen, dann kam sie wieder flotter voran und
konnte zur Hündin aufschließen. Der Weg, eigentlich eher ein
Trampelpfad, führte sie quer durch den Wald. Ella war sich
zwischendurch gar nicht mehr so sicher, dass Faija wirklich auf
dem Weg zu ihrem Herrchen war. Doch plötzlich wendet sie
zielstrebig in eine breite Holzrücke-Schneise ab. Ella musste zum
Schritt durchparieren und lenkte Willi vorsichtig über
querliegende Äste und Baumwurzeln. Mühsam kämpften sie sich
vorwärts. Der Abstand zur Hündin vergrößerte sich wieder. Es
schien eine Ewigkeit zu dauern, dann kamen sie an einem
befahrbaren Weg raus. In der Ferne sah Ella Faija laufen. Nun
konnte sie zumindest hinterhertraben und kam ihr wieder
deutlich näher. Zwischendurch schaute sie sich immer wieder
um. Nora lief, wenn auch mit hängender Zunge, noch artig
hinterher.
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Ella kannte sich durch ihre ausgedehnten Ausritte gut im Wald
aus, wusste also auch, wo sie sich augenblicklich befanden. Faija
lief Richtung Bundesstraße. Nicht weit von hier lag ein größerer
Parkplatz für Wanderer. An einer Wegkreuzung holte Ella die
Hündin ein. Sie war stehengeblieben. Ella stieg ab. Sie sah, dass
die Faija am Ende ihrer Kräfte war. Die Wunde am Ohr blutete
jetzt wieder, wahrscheinlich war sie damit an einem Ast
hängengeblieben, als sie sich durchs Gestrüpp gekämpft hatte.
Doch als Ella sich zu ihr herunterbeugte, um sie zu streicheln,
und nach dem Ohr zu schauen, entzog sie sich ihrer Hand. Dann
setzte sie sich wieder in Bewegung und trottete nach rechts
weiter in den Weg hinein.
Ella schob rasch die Steigbügel am Sattel hoch und streichelte
Nora: „Na, jetzt bist du ganz schön kaputt, was? Hilft nichts, wir
müssen hinter Faija her. Komm, jetzt gehen wir zu Fuß“,
ermunterte Ella ihre junge Hündin.
Zu dritt machten sie sich an die Verfolgung. Willi lief flott
nebenher, so als hätte auch er die Besonderheit der Situation
verstanden.
Nach hundert Metern endete der Weg auf einer Lichtung. In der
Mitte stand ein Hochsitz. Am Fuß der Leiter sah Ella den Förster
regungslos liegen. Faija leckte ihm das Gesicht ab, winselte dabei
und kratzte mit der Pfote an seinem Arm.
Ella reagierte schnell. Sie ließ die Zügel von Willi fallen und
rannte auf den Förster zu. Noch im Laufen wählte sie den Notruf:
„Hallo, hier ist Brenner. Schicken Sie bitte sofort Hilfe. Ich habe
Herrn Winkler, den Förster gefunden. Er scheint bewusstlos zu
sein. Ich bin nahe dem großen Waldparkplatz „Hohes Holz“, im
Wald auf einer Lichtung.“
„Okay, Frau Brenner, bleiben Sie bei dem Verletzten. Hilfe ist
unterwegs. Machen Sie sich bitte sofort bemerkbar, wenn Sie
das Eintreffen der Rettungskräfte bemerken“, informierte sie der
Beamte. „Die Kollegen kennen sich im Gelände dort aus und
werden Sie bestimmt gleich finden“, beruhigte er sie noch.
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Ella bedankte sich, da hatte sie den Förster erreicht. Sie kniete
sich neben Herrn Winkler hin. Er lag auf dem Rücken. Ella sprach
ihn an und tätschelte ihn an der Wange, doch er reagierte nicht.
Dann suchte sie hastig nach dem Puls. Erst spürte sich gar nichts,
viel zu sehr schlug ihr eigenes Herz durch das Laufen und die
Aufregung. Sie atmete erst mal durch und zwang sich zur Ruhe.
Dann fasste sie an den Hals und drückte ganz leicht auf die Ader.
Es dauerte einen Moment, bis sie einen ganz leichten, sehr
schnellen Puls spürte. Blitzschnell überlegte sie, was sie am
besten für den Verletzten tun konnte. Erst mal sprach sie Herrn
Winkler noch mal an. Er reagierte aber weiterhin nicht. Natürlich
hatte sie gelernt, dass die erste Maßnahme die „stabile
Seitenlage“ war, doch Ella hatte Angst, dass der Verletzte
vielleicht an der Wirbelsäule verletzt war. Außerdem war der
Förster ein großer, stabiler Mann, den Ella nur mit Mühe hätte
bewegen können. Deshalb blieb sie nur bei ihm hocken und
redete mit ihm: „Jetzt bloß durchhalten Herr Winkler! Hilfe ist
schon unterwegs.“
Es kam ihr dann doch wie eine Ewigkeit vor, bis sie die Sirene von
Polizei und Rettungswagen hörte, die praktisch zeitgleich auf
dem Parkplatz ankamen. Ella stand auf und rief so laut sie
konnte: „ Hier sind wir! Hier, hierher!“
Tatsächlich erschien Augenblicke später der erste Polizist auf der
Lichtung. Er überblickte kurz die Lage. Mit einem Fahrzeug war
hier nicht heranzukommen. Er drehte sich um und rief zurück:
„Hier ist kein Durchkommen mit dem Krankenwagen. Sie müssen
zu Fuß kommen!“
In dem Moment kam der Notarzt schon angerannt und
kümmerte sich um Herrn Winkler. Auch er versuchte ihn ohne
Erfolg anzusprechen und wandte sich dann zu Ella: „Wissen Sie,
was passiert ist?“ Ella schüttelte mit dem Kopf. Sie stand rasch
auf, um den Sanitätern mit der Trage Platz zu machen. Dann ging
sie rüber zu Willi, der etwas abseits stand. Da hatte es sich mal
wieder bewährt, das er in Westernmanier gelernt hatte, sofort
stehen zu bleiben, wenn der Zügel auf dem Boden hing. Sie
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versuchte, die Hunde festzuhalten und zu beruhigen. Doch die
beiden wurden von der plötzlich herrschenden Hektik
angesteckt. Faija zog am Halsband und jaulte zusätzlich laut, weil
sie zu ihrem Herrchen wollte. Ella versuchte, sich mit den Tieren
etwas zu entfernen. Ihre Situation war verzwickt. Lange würde
sie alle drei nicht halten können. Willi wurde ebenfalls
zunehmend nervöser und zog rückwärts. Nora, total
verunsichert, wickelte sie, bei dem Versuch hinter ihren Beinen
Schutz zu suchen, mit der Leine immer wieder ein. Außerdem
musste sie Faija mit einer Hand am Halsband festhalten.
In dem Moment kam ein zweiter Polizist auf die Lichtung. Er
erkannte Ellas heikle Situation sofort. „Warten Sie mal, ich helfe
Ihnen.“ Routiniert nahm er Ella die Zügel von Willi ab und holte
einen kurzen Strick aus der Hosentasche. „Hier, damit können Sie
den zweiten Hund festmachen“. Ella war erleichtert, befestigte
den Strick mit einem Knoten und ließ beide Hunde ´Sitz` machen.
„Danke“, lächelte sie ihren Helfer an. „Lange hätte ich alle drei
wohl nicht mehr halten können“.
Sie schaute zu Herrn Winkler rüber. Der Notarzt hatte seine erste
Untersuchung abgeschlossen. Ein Sanitäter legte einen Zugang
für eine Infusion, der andere rannte zurück zum Rettungswagen
um weiteres Material zu holen. Aber Herr Winkler lebte!
Ella war etwas erleichtert. In dem Moment dachte sie wieder an
seine Frau, die bestimmt schon auf ihren Anruf wartete. „Wir
müssen unbedingt Frau Winkler anrufen. Ich habe versprochen
mich zu melden, wenn ich ihren Mann finden sollte“, wandte sie
sich an den netten Polizisten.
„Haben Sie die Nummer parat?“, fragte er. „Lassen Sie mich das
lieber machen, und Sie kümmern sich um die Tiere.“ Ella nickte:
„Ja, so machen wir das. Warten Sie einen Augenblick.“ Ella holte
ihr Handy aus der Tasche und reichte es ihm. „Nehmen Sie gleich
meins, das geht schneller…“. Dabei sah sie das Namensschild an
seiner Uniform „…Herr Wagner?“ „Okay“, lächelte dieser. „Dann
geben Sie mal her.“ Er nahm von Ella das Handy entgegen und
drückte auf die Wiederholungstaste.
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Frau Winkler nahm das Gespräch sofort an. Sie hatte schon
ängstlich auf den Rückruf gewartet und war umso erschrockener,
als sie die Polizei in der Leitung hatte. Oberkommissar Wagner
stellte sich vor, und versuchte, sie gleich etwas zu beruhigen.
„Wir haben ihren Mann gefunden. Wie es aussieht, ist er vom
Hochsitz gestürzt. Der Notarzt ist schon da und versorgt ihn. Jetzt
machen sie sich nicht zu große Sorgen. Ihr Mann lebt und ist in
guten Händen. Am besten kommen sie her.“ Er erklärte Frau
Winkler noch, wohin sie fahren sollte, und legte dann auf.
Ella nahm das Handy wieder an sich. „Wie geht es jetzt weiter“,
fragte sie. „Ich muss ja auch sehen, wie ich mit Pferd und Hund
wieder nach Hause komme. Den ganzen Weg zurückreiten geht
auf keinen Fall, das wäre viel zu weit, vor allem für meinen
Hund.“
„Was schlagen Sie denn vor?“, fragte der Polizist. Ella überlegte
kurz. „Am besten ich rufe im Stall an und fragte, ob jemand Zeit
hat, mich abzuholen.“ „Ja, das wäre wohl das Beste“, nickte er.
„Ihre Aussage können Sie auch morgen noch machen. Wie es
aussieht, handelt es sich hier wohl sowieso um einen
bedauerlichen Unfall.“
Ella schluckte. Sollte sie über die Wahrnehmung, die sie bei Faija
gespürt hatte, etwas sagen? Eigentlich wollte sie nicht mit ihrer
Fähigkeit hausieren gehen. Dann fiel ihr plötzlich ein, wie sie ihre
Informationen unterbringen konnte: „Hatte der Förster
eigentlich seine Waffe dabei?“
„Wie kommen sie darauf?“, fragte Olaf Wagner zurück. „Haben
Sie einen Schuss gehört? Bisher haben wir keine Waffe
gefunden, aber vielleicht liegt sie noch auf dem Hochsitz, kann ja
sein.“
Ella schüttelte den Kopf: „Gehört habe ich nichts, aber der Hund
ist an Ohr verletzt. Könnte eine Schussverletzung sein, zumal sie
vollkommen durch den Wind war, als ich sie gefunden habe.“
„Na, dann schauen wir gleich mal nach. Ich sage Bescheid.“ Er
entfernte sich zu seinen Kollegen, die inzwischen mit einem
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zweiten Streifenwagen eingetroffen waren und das Gelände
weiträumiger absperrten und Spuren sicherten.
Ella schnappte sich ihr Handy und wählte die Nummer von
Höffers. Gerald nahm das Gespräch sofort an. Mit knappen
Worten erzählte sie ihm, was sich zugetragen hatte.
„So ein Unglück“, antwortete Gerald erschüttert. „Ich schicke
gleich meine Frau los, dich abzuholen. Ich habe leider gleich
einen wichtigen Termin. Mensch, da fällt mir ein, unser
Pferdehänger ist doch eben gar nicht fahrbereit!“
„Dann nehmt ihr meinen“, warf Ella gleich ein. „Die Schlüssel
sind im Spint. Der ist nicht verschlossen, da kommt ihr ran. - Ach
ja, und vergiss bitte Halfter und Strick nicht und vielleicht noch
eine Abschwitzdecke. Ist alles vor Willis Box“, bat sie.
„...und wo genau soll Gisela hinkommen?“, fragte Gerald.
„Zu dem großen Parkplatz „Hohes Holz“ an der Bundesstraße. Ich
warte dann da“, informierte Ella ihn.
„Okay“, Gerald legte auf und auch Ella verstaute ihr Handy
wieder.
Zu allem Übel begann es jetzt noch, zu nieseln. In wenigen
Momenten wurde aus den ersten kleinen Tropfen ein richtig
heftiger Regen. Ella schaute sich um. Herr Winkler war
inzwischen auf eine Vakuummatratze verstaut worden und fertig
für den Abtransport. Die Sanitäter beeilten sich, mit der Trage
zum Krankenwagen zu kommen.
Die Polizei war noch mit der Aufnahme des Unfallgeschehens
beschäftigt, musste ihre Arbeit aber wegen des starken Regens
auch erst mal abbrechen.
Herr Wagner kam auf Ella zu gerannt: „Kommen Sie, ich nehme
ihnen einen Hund ab. Lassen Sie uns Richtung Parkplatz gehen.
Unter den Bäumen ist es wenigsten etwas geschützt.“ Erleichtert
übergab ihm Ella den Strick, an dem Faija befestigt war.
„Ist denn für Ihre Abholung alles klar?“, erkundigte sich der
Polizist im Laufen und drehte sich dabei kurz zu Ella um.
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Ella nickte: „Ich werde gleich am Parkplatz abgeholt. Frau Höffer
kommt.“
Unter den Bäumen peitschte der Regen nicht ganz so stark, aber
die ersten zarten Blätter konnten das Wasser nicht wirklich
abhalten. Völlig durchnässt kamen sie auf dem Parkplatz an.
Herr Winkler war bereits im Rettungswagen verstaut, der mit
seinem Blinklicht mitten auf dem Platz stand. Der Notarzt traf
seine letzten Vorbereitungen für den Abtransport des Verletzten.
In dem Moment kam Frau Winkler angefahren. Mit einer
heftigen Bremsung brachte sie ihren Wagen zum Stehen und
sprang heraus. „Wo ist mein Mann, wie geht es ihm?“, atemlos
und ängstlich sah sie sich um.
„Der Notarzt kümmert sich um ihn“, versuchte ein Polizist, sie zu
beruhigen.
„Ich will zu ihm, bitte…“, flehend schaute Frau Winkler ihn an.
„Kommen Sie“, der Polizist nahm sie behutsam am Arm, „wir
sehen mal, was der Arzt sagt.“
Er klopfte an die seitliche Schiebetür des Rettungswagens: „ Die
Frau des Verletzten ist jetzt da“, informierte er das
Rettungsteam. Der Arzt gab den Sanitätern noch ein paar
Anweisungen und wandte sich an Frau Winkler: „Ihr Mann lebt,
ist aber bewusstlos und hat vermutlich schwere innere
Verletzungen. Wir bringen ihn jetzt schnellstmöglich in die Klinik.
Wenn Sie wollen, können Sie mitfahren.“ Frau Winkler kämpfte
mit den Tränen, nickte zaghaft und stieg mit in den
Rettungswagen ein. Fast augenblicklich rollte der Wagen an,
wendete vorsichtig auf dem Parkplatz und entfernte sich mit
eingeschaltetem Blaulicht rasch Richtung Krankenhaus.
Vor Aufregung hatte Frau Winkler alles andere vergessen. Der
Autoschlüssel steckte noch im Zündschloss, sodass die Polizei
den Wagen an die Seite fahren konnte und abschloss.
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Ella schaute, dem kleiner werdenden Krankenwagen, hinter her.
„Ja, was machen wir denn jetzt mit dir?“, wandte sie sich an
Faija.
Beide Hunde schauten sie mit großen, erwartungsvollen Augen
an, sodass sie lächeln musste. „Ihr vertragt euch ganz gut, was
ihr zwei? Dann werden wir dich erst mal mitnehmen und zu
Hause dem Tierarzt vorstellen. Dein Frauchen kann dich später
abholen. Das kriegen wir schon hin.“ Vorsichtig streichelte sie
Faija über den Kopf und passte dabei auf, nicht an das verletzte
Ohr zu kommen.
Langsam leerte sich der Parkplatz. Auch die Polizisten machten
sich nach und nach auf den Weg.
Ella schaute die Straße entlang, von wo Gisela mit dem Anhänger
kommen musste. Inzwischen waren sie alle nass bis auf die Haut.
Olaf Wagner sprach Ella noch mal an: „Wir fahren jetzt auch. Bei
dem fürchterlichen Regen können wir heute sowieso nichts mehr
ausrichten. Kommt Sie denn bald jemand abholen?“
„Ja, ja“, antwortete Ella und schob sich mit einer Hand die nasse
Haarsträhne aus dem Gesicht. „Frau Höffer muss gleich hier sein.
Faija nehme ich auch mit und zeige sie nachher dem Tierarzt. Ist
das okay? Können Sie das Frau Winkler ausrichten oder soll ich
sie anrufen?“
„Nett, dass Sie sich um den Hund kümmern. Wir sagen Bescheid,
und morgen kommen Sie bitte zum Kommissariat. Im Laufe des
Vormittags. Geht das?“, fragte der Polizist.
„Das kriege ich hin“, antwortete Ella. Sehnsüchtig schaute sie
wieder zur Straße und endlich sah sie das Auto mit dem
Anhänger.
Augenblicke später hielt Gisela Höffer das Gespann mit einer
kräftigen Bremsung neben ihnen an. Aufgeregt sprang sie aus
dem Wagen. „Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Wir
mussten noch einen Adapter suchen für das Stromkabel. Unser
Auto hat eine andere Steckdose.“
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„Gut, dass du da bist“, rief Ella erleichtert. Der Polizist
verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken.
„Mann, was für ein Wetter!“, Gisela machte schnell die
Hängerklappe runter. Ella führte Willi hinauf und Gisela machte
hinten die Stange zu. Dann standen sie dicht gedrängt in dem
Anhänger, auf einer Seite das Pferd und auf der anderen Seite
die zwei Frauen und die beiden Hunde.
„Ich versorge eben Willi, mach doch schnell den Kofferraum auf,
dass wir die Hunde unterbringen können“, riet Ella.
Gisela nickte. Rasch zog sie sich die Kapuze wieder über den Kopf
und verließ den Anhänger durch die vordere Tür. Sie öffnete die
Kofferraumklappe, zog das Gepäcknetz hoch und breitete eine
ältere Decke aus. Dann holte sie die beiden Hunde aus dem
Anhänger. Anstandslos sprangen die beiden ins Auto und Gisela
schloss die Klappe hinter ihnen. Dann half sie Ella, nahm ihr den
Sattel ab und gab ihr die Abschwitzdecke für Willi. Die Frauen
arbeiteten Hand in Hand und schon kurze Zeit später saßen sie
beide in Auto und fuhren zurück zum Stall.
Gisela wollte natürlich genau wissen, was passiert war. Bis sie im
Stall angekommen waren, hatte Ella ihr alles erzählt. Dann
versorgte sie Willi und rief beim Tierarzt an, um ihr Kommen mit
Faija anzukündigen. Außerdem sagte sie ihre Unterrichtstermine
für heute ab.
Doris half ihrer Mutter den Anhänger abzustellen und kam dann
zu Ella in den Stall. „Mutti sagt, du sollst schnell mit ins Haus
kommen und was Warmes trinken.“
Ella überlegte kurz: „Ich habe mich schon bei Dr. Behmel
angekündigt, wegen der Verletzung von Faija. Ich will ihn nicht
warten lassen. Aber hast du vielleicht eine trockene Jacke für
mich und ein paar alte Handtücher für die beiden Hunde?“
Jetzt wurde Doris erst bewusst, wie durchnässt Ella war. „Klar,
bringe ich dir gleich her. Brauchst du noch was anderes?“
„Nein“, Ella schüttelte den Kopf. „Ich habe meine Jeans, Schuhe
und Pullover im Schrank.“
20
Während Doris ins Haus lief, um Jacke und Handtücher zu holen,
schälte Ella sich aus den nassen Klamotten und zog die trockenen
Sachen an. Danach fühlte sie sich gleich wohler. Trotzdem rieb
sie sich fröstelnd die Arme und war froh, als Doris wiederkam
und ihr eine dicke Jacke gab. „Das ist Muttis Winterjacke“,
lächelte sie Ella an, „damit dir erst mal wieder warm wird“.
„Danke“, sagte Ella, schlüpfte eilig in die Daunenjacke und
machte sie zu. „Hilfst du mir noch, die beiden Hunde etwas
abzutrocknen? Die sitzen hier“, Ella zeigte auf eine leer stehende
Box gegenüber.
Doris schaute durch das Gitter. Da lagen die beiden Hündinnen
nebeneinander im Stroh und waren ebenfalls noch klatschnass.
„Na, dann wollen wir die beiden mal versorgen.“ Energisch
schnappte sich Doris die Handtücher, gab Ella eines davon ab
und öffnete die Boxentür.
Nora kam sofort schwanzwedelnd heraus, Faija hielt sich etwas
im Hintergrund. „Nimm du mal Nora“, riet Ella ihrer Helferin. „Ich
versuche, an Faija heranzukommen.“
Gemeinsam rubbelten sie die Hunde tüchtig trocken. Dabei
musste Ella noch viele Fragen beantworten. Doris wollte
natürlich ganz genau wissen, wie sich alles zugetragen hatte.
„…und die Hündin hat dich tatsächlich hingeführt?“, fragte Doris.
„Das ist ja toll. Wer weiß, wann Herr Winkler sonst gefunden
worden wäre.“ Anerkennend streichelte Doris über Faijas Kopf.
„Da hast du deinem Herrchen wahrscheinlich das Leben gerettet.
Du bist wirklich ein super Hund!“
Ella lachte: „ Das hat sie echt gut gemacht“. Sie reichte Doris das
schmutzige Handtuch. „Nimmst du das mit rein? Ich fahre jetzt
erst mal zum Tierarzt, damit er sich ihr Ohr ansehen kann.“
Doris nahm ihr das Handtuch ab. Ella schnappte sich beide
Hunde und lief rasch zu ihrem Auto. Es regnete immer noch
heftig. Die drei mussten im Slalom um die großen Pfützen
herum, die sich inzwischen auf dem Hof gebildet hatten.
21
Eilig öffnete sie die Kofferraumklappe und die Hunde sprangen
hinein.
Genauso schnell stieg sie ins Auto und fuhr los. Dr. Behmel hatte
seine Praxis im Nachbarort, keine zehn Minuten Fahrt. Als sie
dort auf den Hof ankam, wurde sie schon von ihm erwartet. Er
schaute aus dem Haus und winkte Ella zu, dass sie mit ihrem
Wagen unter den Carport fahren sollte. Ella war dankbar. Sie
hatte sich schon wieder im Regen stehen sehen und verzweifelt
versuchen, Faija aus dem Auto zu holen, aber Nora drinnen zu
behalten.
Doch es ging dann ganz einfach, weil Nora keine Anstalten
machte mitzuwollen. Sie hatte noch schlechte Erinnerungen an
ihren letzten Besuch beim Tierarzt. Da gab es gleich mehrere
`Pikser`, weil die Impfungen fällig gewesen waren. Die
angebotenen Leckerlis als Wiedergutmachung, die sie damals
zwar gnädigerweise angenommen hatte, konnten die schlechte
Erfahrung anscheinend nicht wettmachen.
„Hallo Ella“, grüßte Dr. Behmel und gab ihr die Hand. „Dann lass
uns mal die Patientin gleich anschauen.“
„Gut, dass du gerade in der Praxis warst und gleich Zeit hattest“,
freute sich Ella. „Faija ist am Ohr verletzt, das muss unbedingt
versorgt werden.“
„Na, dann kommt rein. Und während wir das Ohr verarzten,
kannst du mir erst mal erzählen, was passiert ist“, Harald Behmel
ging vor und machte die Tür auf.
Gemeinsam hoben sie Faija auf den Behandlungstisch.
Anstandslos ließ sie sich das Ohr vom Tierarzt anschauen.
„Oje, das sieht ja nicht so schön aus. Das müssen wir richtig
sauber machen. Dafür werden wir sie sedieren müssen“,
diagnostizierte der Tierarzt. „Meine Helferin ist heute nicht da.
Kannst du mir dabei zur Hand gehen?“, fragte er Ella.
„Klar, meine Termine habe ich für heute ohnehin abgesagt“, war
Ella einverstanden.
22
„Gut, dann legen wir die „Dame“ gleich mal schlafen. Ich mache
nur eine leichte Narkose, dann dauert es nicht zu lange, ehe sie
wieder wach ist“, sagte Harald, zog das Narkosemittel auf eine
Spritze und verabreichte sie der Hündin.
Es dauerte nur kurze Zeit, ehe Faija sich hinlegte und „schlief“.
Sorgsam entfernte Dr. Behmel die Haare rund um die Wunde
und wusch das Blut und den Schmutz ab. Ella streichelte die
Hündin und reichte dem Tierarzt die verlangten Utensilien.
„Das ist ja eigenartig, ein richtiges Loch, wie ein Durchschuss“,
bemerkte der Tierarzt. Ella musste unwillkürlich nicken: „Das
kann gut sein.“
Harald schaute erstaunt auf und musterte Ella. „Weißt du da
mehr? - Na, kannst du mir nachher erzählen, wenn wir warten,
dass Faija wieder aufwacht“.
Er wandte sich wieder seiner Patientin zu. Zehn Minuten später
war die Wunde sauber, desinfiziert und mit einem Sprühverband
versehen.
Gemeinsam hoben sie Faija vom Tisch und legten sie zum
Aufwachen auf eine Decke an der Heizung.
„Eine halbe Stunde werden wir noch warten müssen, ehe sie
wieder richtig da ist“, vermutete Harald Behmel. „Was machst du
denn dann mit ihr?“, wollte er wissen.
Ella zuckte mit den Achseln. „Mal sehen. Erst mal werde ich
versuchen Frau Winkler zu erreichen. Ich will ja auch wissen, wie
es ihrem Mann geht. Wenn alle Stricke reißen, nehme ich sie erst
mal mit. Gott sei Dank vertragen sich die beiden Hunde. Das wird
zur Not schon gehen.“
„Dann lass uns jetzt einen Kaffee trinken und du erzählst mir die
ganze Geschichte. In der Küche gossen sie sich jeder einen
großen Pott Kaffee ein und gingen zurück in den
Behandlungsraum, um ein Auge auf die schlafende Patientin zu
haben.
„Und nun leg mal los!“, forderte der Tierarzt Ella auf.
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Zwischendurch schüttelte er bei ihrem Bericht ungläubig den
Kopf. „Ein toller Hund. Wenn man bedenkt, dass sie
wahrscheinlich ihrem Besitzer damit das Leben gerettet hat. Es
war aber auch ein Glück, dass du gerade zur Stelle warst und mit
dem Pferd hinterher konntest.“
„Ja, das war wirklich alles ein toller Zufall“.
Ella empfand es auch so: „Weißt du, ich hatte schon vermutet,
dass Faijas Verletzung von einem Schuss herrührt. Deine
Diagnose sollten wir unbedingt der Polizei mitteilen.“
Harald Behmel nickte. „Ja, könnte wirklich wichtig sein“.
„Morgen Vormittag soll ich sowieso zum Kommissariat kommen,
da kann ich davon erzählen“, schlug Ella vor. „Sie können sich ja
mit dir in Verbindung setzten, wenn sie noch Fragen haben.“
„Okay“, antwortete der Arzt lächelnd. „So machen wir es. Gib
ihnen einfach meine Handynummer, da erreichen sie mich
jederzeit.“
Inzwischen begann Faija, sich wieder zu regen. Noch ganz
benommen schaute sie hoch und versuchte aufzustehen. Ella
bückte sich zu ihr herunter und streichelte sie.
„Lass ihr mal noch zehn Minuten, dann wird es wieder gehen“,
meinte Harald.
Ella nahm ihr Handy zur Hand. Sie versuchte, Frau Winkler zu
erreichen. Doch es ging niemand ran. Sie war bestimmt noch im
Krankenhaus.
Als Faija aufstand und ihre ersten taumeligen Schritte machte,
trugen sie beide die Hündin zum Auto. Nora musste auf die
Rückbank umziehen und Faija wurde in den Kofferraum gelegt.
Ella bedankte sich noch mal bei Harald und fuhr sachte los. Sie
schaute zur Uhr. Kurz nach halb Vier. Sie wollte zuerst am
Krankenhaus vorbeifahren. Natürlich interessierte es sie, wie es
Herrn Winkler ging, und sie hoffte, seine Frau anzutreffen.
Der Parkplatz vor der Klinik war voll. Ella kurvte zweimal
rundherum, bis sie eine Parklücke ergatterte. Beim Aussteigen
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vergewisserte sie sich, dass es den Hunden gut ging. Nora lag
lang ausgestreckt auf der Rückbank und schlief. Faija schaute
auch nur kurz hoch und legte sich wieder hin. „Ihr zwei seid ganz
artig, ich bin bald wieder da“, verabschiedete sich Ella von den
beiden. Dann öffnete sie noch die Seitenfenster ein kleines
Stück, schloss ab und machte sich auf den Weg zum
Krankenhaus.
Durch ihren langen Aufenthalt, im letzten Jahr, kannte sich Ella
hier gut aus. Zielstrebig ging sie zur Information, um nach Herrn
Winkler zu fragen.
Herr Franke, der Pförtner, erkannte sie sofort wieder, als Ella vor
ihm stand. „Mensch Frau Hofbauer, das ist ja nett, Sie wieder zu
sehen. Wie geht es Ihnen?“
Auch Ella erinnerte sich an den stets fröhlichen Herrn Franke. Sie
lächelte: „Das Sie sich an mich erinnern können, bei den vielen
Menschen, die Sie jeden Tag sehen.“
„Wie soll ich mich an so eine hübsche, junge Frau nicht
erinnern?“, erwiderte er schelmisch grinsend.
„Mir geht es gut und ich heiße inzwischen auch nicht mehr
Hofbauer, sondern Brenner“, informierte Ella den Pförtner.
„Na, dann gratuliere ich Ihnen noch zur Hochzeit und wünsche
alles Gute. Und wie kann ich Ihnen jetzt helfen?“, erwiderte Herr
Franke freundlich.
„Heute ist ein Herr Winkler mit dem Rettungswagen eingeliefert
worden. Ich wollte mich erkundigen, wie es ihm geht und
außerdem suche ich seine Frau, weil ich ihren Hund noch bei mir
im Auto habe“, informierte Ella den Pförtner.
„Ich schaue gleich mal nach.“ Herr Franke mache sich an seinem
Computer zu schaffen. „Da haben wir ihn ja. Genau, Herr Winkler
ist operiert worden und liegt jetzt auf der Intensivstation. Wollen
Sie mal hochgehen? Sie können zwar bestimmt nicht zu ihm,
aber vielleicht treffen Sie ja eine Schwester, die Ihnen Auskunft
geben kann oder sogar seine Frau.“
25
Ella nickte: „Danke, ich versuche mal mein Glück. Wie ich
hinkomme, weiß ich ja noch.“ Ella drehte sich zum Fahrstuhl um
und rief im Weggehen: „Tschüss Herr Franke, bis zum nächsten
Mal.“
Auf dem Gang vor der Intensivstation traf Ella tatsächlich auf
Frau Winkler. Über deren Gesicht huschte ein leichtes Lächeln,
als sie sie bemerkte: „Frau Brenner!“ Bevor sich Ella versehen
konnte, wurde sie umarmt und kräftig gedrückt. „Ich bin Ihnen ja
so dankbar. Wenn Sie nicht gewesen wären. Wer weiß, was mit
meinem Helmut passiert wäre!“
„Und wie geht es ihm jetzt?“, erkundigte sich Ella besorgt.
Frau Winkler berichtete, dass ihr Mann operiert worden war. Er
hatte durch den Sturz innere Verletzungen davongetragen und
drohte innerlich zu verbluten. Die OP war gut verlaufen und wie
ein Wunder waren Knochen und Kopf unverletzt geblieben.
„Manchmal sind ein paar Pfund mehr auf den Rippen ganz gut.
Die haben bestimmt einiges abgepolstert“, meinte Frau Winkler
mit Galgenhumor.
„Ist er denn schon ansprechbar?“, fragte Ella.
„Na ja, ganz kurz war er schon wach, aber ist dann gleich wieder
eingeschlafen“, erzählte Frau Winkler. „Dann hat der Arzt mit mir
gesprochen und jetzt bin ich doch einigermaßen beruhigt.
Eigentlich bin ich gerade auf dem Weg nach Hause.“
Plötzlich fiel ihr Faija ein. „Mein Gott, in der ganzen Aufregung
habe ich gar nicht mehr an den Hund gedacht. Wo ist sie denn
jetzt?“ Frau Winkler schaute etwas verstört drein.
Ella fasste beruhigend an ihre Schulter: „Keine Sorge, die sitzt bei
mir unten im Auto und ist okay. Wir waren schon beim Tierarzt
und haben ihre Verletzung am Ohr versorgen lassen.“
„Wie lieb von Ihnen, dass Sie sich gekümmert haben. Das kann
ich gar nicht wieder gut machen!“, sagte die Försterfrau.
„Am besten, ich bringe Sie jetzt nach Hause“, schlug Ella vor.
26
Frau Winkler nahm das Angebot dankbar an. Gemeinsam
machten sie sich auf den Weg zum Parkplatz und wurden von
beiden Hunden freudig begrüßt. Faija war auch wieder ganz
wach. Nora saß auf dem Fahrersitz und schaute, als wenn sie
gleich losfahren wollte.
Ella quartierte beide Hunde wieder zusammen in den
Kofferraum. Knapp zwanzig Minuten später erreichten sie das
Forsthaus. Frau Winkler wollte Ella noch mit rein bitten, doch sie
lehnte dankend ab. Ihr war kalt, und sie fühlte sich jetzt wieder
durch und durch nass. Sie wollte nur noch nach Hause und unter
die heiße Dusche. Langsam fiel die Anspannung der letzten
Stunden von Ella ab, und sie merkte, wie kaputt sie war. Der
Rücken begann, ihr wehzutun. Das hatte sie schon öfter erlebt,
besonders dann, wenn ihr, wie heute, sehr kalt geworden war.
Also verabschiedeten sich die beiden Frauen, wobei sich Frau
Winkler noch mal überschwänglich bedankte. Als Ella ihr Auto
wendete und losfuhr, sah sie im Rückspiegel, dass sie noch lange
dastand und hinterher winkte.
Matthias war bereits zu Hause. Es schaute auf die Uhr. Nun
musste Ella aber bald kommen. Er dachte schon dran sie
anzurufen, obwohl sie sich darauf verständigt hatten, ihre
Handys während der Arbeit nur im Notfall zu benutzen. Da hörte
er, dass die Tür aufgeschlossen wurde. Nora drängelte sich
schnell an Ella vorbei und rannte mit einem lauten
Begrüßungsjaulen zu ihrem Herrchen.
„Hallo“, rief Ella in die Wohnung, „wir sind auch wieder da!“
Matthias streichelte erst Nora, dann kam er in den Flur. „Hallo,
mein Schatz. Du hast aber heute lange gemacht.“ Sachte nahm
er seine Frau in die Arme und küsste sie. Ella kuschelte sich in
seine Arme, dabei merkte Matthias, dass sie richtig fröstelte. „Du
bist ja ganz kalt. Ist irgendwas passiert?“
Ella informierte ihm erst mal nur kurz: „ Ich habe heute mittag
den Förster verletzt im Wald gefunden. Das hat alles bis eben
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gedauert. Ich brauche jetzt unbedingt eine heiße Dusche, dann
geht es mir bestimmt gleich besser, und ich erzähle dir alles.“
„Dann nichts wie ab ins Badezimmer“, sagte Matthias
mitfühlend. „Ich werde inzwischen, was zu Essen machen und
Nora Futter geben.
Eine halbe Stunde später saßen sie gemütlich auf der Couch. Ella
ging es nach dem Duschen wieder besser. Ausführlich schilderte
sie nun ihrem Mann, was sie heute erlebt hatte und ließ auch die
Gefühle und Bilder nicht aus, die sie bei Faija gespürt hatte.
„Da sitze ich nun in meinem Büro und habe von alledem nichts
mitbekommen“, Matthias schüttelte den Kopf.
„Ich habe deinen Kollegen von meiner Vermutung nichts gesagt,
sondern nur gefragt, ob Herr Winkler eine Waffe dabei hatte.
Kann ja sein, dass sich bei dem Sturz ausversehen ein Schuss
gelöst hat. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht daran, weil ich
erst Faijas panische Angst und ihr Wegrennen gespürt habe und
dann ihren Schmerz“, erklärte Ella. „Und nun kommt das Beste!
Als Dr. Behmel das verletzte Ohr von Faija sauber gemacht hat,
konnte man in ihrem Ohrlappen wirklich ein kleines, kreisrundes
Loch erkennen. Der Tierarzt hat auch gleich auf eine
Schussverletzung getippt.“
„Dann hast du wohl mal wieder richtig gelegen mit deinen
Wahrnehmungen. Manchmal ist das wirklich ein bisschen
unheimlich“. Lachend zog Matthias seine Frau zu sich ran. „Du
bist halt doch meine „kleine Hexe“. Bin gespannt, was dabei
herauskommt. - So, und jetzt bringe ich dich ins Bett, und du
schläfst dich richtig aus. Nicht, dass du noch krank wirst.“
Matthias nahm Ella in die Arme, hob sie hoch und trug sie ins
Schlafzimmer.
„Aber nur, wenn du auch gleich ins Bett kommst“, protestierte
sie. Gerne kam Matthias ihrer Bitte nach. Als sie
zusammengekuschelt unter der Bettdecke lagen, dauerte es nur
wenige Augenblicke und Ella war sie in den Armen ihres Mannes
eingeschlafen.
28
2
Der nächste Vormittag verlief ruhig. Ella hatte einige Pferde zu
reiten und machte sich gegen 11 Uhr auf den Weg ins Präsidium,
um, wie besprochen, ihre Aussage zu Protokoll zu geben.
In dem Fall gab es inzwischen eine dramatische Wendung. Am
Vormittag hatte man aus dem Krankenhaus angerufen. Herr
Winkler war aufgewacht. Er hatte den Schwestern erzählt, dass
sein Sturz kein Unfall gewesen war, und dringend darum
gebeten, die Polizei zu verständigen.
Daraufhin waren die beiden ermittelnden Beamten zu ihm
gefahren und hatten seine Aussage aufgenommen. Danach sei
Herr Winkler arglos den Hochsitz hochgeklettert, um sich von
oben umzusehen. Plötzlich sah er sich einer vermummten
Gestalt gegenüber, die ihm von der Kanzel aus einen heftigen
Stoß vor die Brust gab. Derartig überrascht hatte er keine Chance
mehr gehabt, sich festzuhalten, und war von oben
heruntergefallen. Danach konnte er sich an nichts mehr
erinnern. Er war wohl gleich bewusstlos geworden und erst
Stunden später im Krankenhaus wieder aufgewacht.
Nach dieser Aussage rückte die Polizei, einschließlich der
Spurensicherung, sofort aus, um den Tatort nochmals zu sichten.
Durch den heftigen Regen und die Annahme, dass es sich um
einen Unfall handelte, waren die Spuren gestern nur
oberflächlich gesichert worden. Das machte es heute natürlich
nicht leichter.
Ella fragte sich im Präsidium durch, bei wem sie ihre Aussage
machen konnte. Schließlich landete sie im Büro von Michael
König, einem guten Freund ihres Mannes und inzwischen auch
von ihr.
„Hallo Michael“, freute sich Ella. „Ich sollte mich heute melden,
um eine Aussage zu dem gestrigen Unfall von Herrn Winkler zu
machen.“
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Michael stand auf, um sie zu begrüßen: „Hallo Ella, na so eine
Überraschung! Du warst es, die den Förster gefunden hat? Ich
habe nur bei der Morgenbesprechung von dem Vorgang gehört.
Aber die Kollegen sind alle noch mal los, in den Wald. Es gibt
ganz neue Erkenntnisse.“
„Ach, ja…“ Ella tat überrascht, obwohl sie durch ihre
Wahrnehmungen über Faija sowieso nicht an einen einfachen
Unfall glaubte.
„Komm setze dich“, Michael zeigte auf einen Stuhl. „Dann
nehme ich jetzt deine Aussage auf.“
Ella erzählte ihm den ganzen Hergang und zum Schluss auch von
ihrer Vermutung, dass Schüsse gefallen waren. „Du weißt ja, dass
ich manchmal „Gefühle “ bei Tieren intuitiv spüren kann.“
Michael nickte nur. Aus der Vergangenheit wusste er, dass Ella
da einen besonderen Sinn hatte. Er konnte sich zwar nicht
vorstellen, wie das funktionierte und sein rationaler Verstand
sagte ihm auch, dass das eigentlich gar nicht sein konnte. Aber
die Resultate sprachen eine andere Sprache.
„Okay, was hast du denn von Faija erfahren?“, wollte er wissen.
„Als ich Faija gefunden habe, war sie total aufgelöst und am Ohr
verletzt. Ich habe sofort gespürt, es war auf sie geschossen
worden“, erzählte Ella. „Da war es ja noch meine Ahnung, aber
anschließend war ich mit der Hündin beim Tierarzt, um die
Wunde versorgen zu lassen. Dr. Behmel hat die Verletzung
gesehen und auch gleich gesagt, dass es sich wohl um einen
Schuss gehandelt hat.“
Nun wurde Michael doch hellhörig. „Weißt du was, wir werden
zusammen an den Tatort fahren, und du erzählst deine
Vermutung der Spurensicherung. Wenn es sich wirklich um einen
Durchschuss bei dem Hund handelt, müsste man das Projektil ja
eigentlich finden können.“
Tatsächlich machten sie sich umgehend auf den Weg in den
Wald. Auf dem Parkplatz herrschte Hochbetrieb. Alles war
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abgesperrt. Michael und Ella bahnten sich den Weg bis zum Chef
der Spurensicherung.
Dr. Klauert stand mitten auf der Lichtung und war ziemlich
schlecht gelaunt: „So ein Mist hier! Der Regen hat alles, was
vielleicht an Spuren da war, zunichtegemacht. Und die paar
Sachen, die wir gefunden haben, lassen sich doch gar nicht
zuordnen, bei dem Gewimmel an Menschen, was hier gestern
geherrscht hat.“
Michael begrüßte ihn und stellte Ella vor. „Hallo Doktor Klauert.
Ich bringe ihnen hier Frau Brenner. Sie hat gestern erst den Hund
und dann den Förster gefunden. Das Interessante daran ist, dass
der Hund eine Verletzung hat, die aussieht, als wenn auf ihn
geschossen wurde. Vielleicht ist das eine Spur.“
Dr. Klauert musterte Ella von oben bis unten durch seine dicke
Brille. „So?“ Es entstand eine Pause. „Wie kommen sie darauf?“
Ella erzählte von der Verletzung an Faijas Ohr. „Wenn sie dazu
noch Fragen haben, können sie ja Dr. Behmel anrufen. Ich habe
seine private Handy-Nummer, auf der ist er immer zu erreichen.“
„Ach, der Harald“, erfreut schaute Dr. Klauert auf. „Den kann ich
gleich mal anrufen. Wir kennen uns doch gut von der Jagd.“
Ella suchte die Handynummer heraus und Dr. Klauert erreichte
seinen Jagdfreund sofort.
Nach einer kurzen Begrüßungsfloskel erkundigte er sich nach
Faija und ihrer angeblichen Schussverletzung: „Hast du gestern
den Hund vom Förster behandelt? --- „Ach, tatsächlich.“ ---„...und da bist du ganz sicher?“--- „Das bringt ja ein ganz anderes
Licht auf die Sache.“ --- „Dann danke ich dir.“--- „Ja, bis nächsten
Samstag.--- Freue mich! --- Tschüss!“
Ella und Michael warteten etwas abseits. „Das ist ja ein Ding“,
wandte sich Dr. Klauert ihnen wieder zu. „Dr. Behmel hat mir
nicht nur zugesichert, dass der Hund eine Schussverletzung hat.
Er äußert auch die Vermutung, dass es sich bei der Tatwaffe
nicht um eine Jagdwaffe, sondern um etwas Kleinkalibriges
gehandelt haben muss. - Da werden wir uns wohl mal auf die
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Suche nach dem Projektil machen. Die sprichwörtliche Suche
nach der Nadel im Heuhaufen“, hielt Dr. Klauert mehr ein
Selbstgespräch. „Aber wir können ja zumindest die Richtung
etwas eingrenzen.“ Er wandte sich an Ella. „Von wo sind Sie denn
mit dem Hund gekommen?“
Ella zeigte ihm den Weg: „Von hier aus!“ Dr. Klauert nickte. „Gut,
gut, dann schauen wir mal. - Danke. Wir brauchen Sie dann nicht
mehr.“
Ella wandte sich lächelnd zu Michael: „Kurz und knapp
abgefertigt“, stellte sie fest. „So ist er halt, unser Doc. Mach dir
nichts draus, er meint es nicht persönlich“, tröstete Michael sie.
Ella machte sich auf den Weg zu ihrem Auto. Ein Blick zur Uhr,
schon wieder so spät. Die nächsten Kunden warteten, und
zwischendurch musste sie noch einen Spaziergang mit Nora
machen und etwas essen.
Der Nachmittag verging. Ella war froh, als sie fertig war und nach
Hause konnte. Beim langen Stehen in der Reithalle hatte sich ihr
Rücken wieder gemeldet. Die Schmerzen wurden immer stärker.
Ella kannte das schon. Sie musste unbedingt einen Termin mit
ihrer Physiotherapeutin machen. Kurzfristig half erst mal
Warmhalten und hinlegen.
Deshalb machte sie sich zuhause eine Wärmflasche und legte
sich auf die Couch. Für morgen musste sie noch einen Termin
absagen. Weil die Kundin nicht ans Handy ging, schrieb Ella ihr
eine SMS und legte das Handy auf dem Beistelltisch ab. Das
sollte sich später als großes Glück herausstellen. Nach einer
halben Stunde Ausruhen, ließen die Rückenschmerzen etwas
nach und Ella beschloss, zu duschen. Ausgiebig ließ sie das heiße
Wasser an ihrem Körper herunterrieseln. Als sie sich
anschließend mit dem Handtuch trocken rubbelte, passierte das
Unglück. Sie rutschte beim Verlassen der Dusche auf den Fliesen
aus, verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts auf ihren Po. Es
war kein schlimmer Sturz. Unter normalen Umständen wäre
wohl nicht viel passiert. Doch so durchzuckte Ella ein furchtbarer
Schmerz im Rücken. Unwillkürlich musste sie aufschreien, so
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schlimm war es. Nora kam daraufhin sofort angerannt, um nach
ihrem Frauchen zu schauen. Stürmisch belagerte sie Ella, die vor
Schmerz erst mal nur dasitzen konnte. Dann hielt Ella die Hündin
mit den Händen etwas auf Abstand und sprach auf sie ein: „Ach
Nora! Lass mich! Ich habe mir ganz schön wehgetan - komm,
mach mal Sitz!“ Nora setzte sich artig hin, ließ ihr Frauchen aber
keinen Moment aus den Augen. Ella versuchte, sich mit den
Armen abzustützen, um aufzustehen. Bei der sachtesten
Bewegung schoß der Scherz wieder wie ein Blitz durch ihren
Rücken. Ella kamen die Tränen. Was sollte sie jetzt machen? Sie
kam unmöglich alleine hoch! Aber sitzen bleiben, bis Matthias
nach Hause kam? Vielleicht ließ der Schmerz mit der Zeit nach
und sie könnte dann aufstehen? Mit einer Hand hangelte Ella
sich ein Handtuch und legte es sich über. Langsam wurde ihr
auch kalt. Nora nahm ihre Bewegungen zum Anlass, aufzustehen
und sie wieder zu belagern. „Ach Nora“, Ella musste trotz der
Schmerzen lächeln. „Ich weiß ja, dass du mir nur helfen willst“.
Ella überlegte fieberhaft. Das Handy lag unerreichbar auf dem
Tisch im Wohnzimmer. „Wenn du mich jetzt verstehen und mir
das Handy holen würdest, das wäre wunderbar“, sagte Ella und
schaute Nora verzweifelt an. „Es liegt auf dem Tisch. Ich sehe es
geradezu vor mir, da, wo ich es vorhin abgelegt habe.“ Nora
fiepte ganz leise und stupste sie mit der Nase an. „Das wär`s
jetzt, Nora! Hol mir das Handy! Los, Nora! Hol das Handy!“,
forderte Ella ihre Hündin auf und zeigte Richtung Wohnzimmer.
Ganz ernst nahm sie die Aufforderung natürlich nicht. Aber Nora
war abgelenkt und belagerte sie nicht mehr. Durch den Tonfall
animiert, drehte sich Nora tatsächlich um und verschwand aus
dem Badezimmer. Ella versuchte, noch mal hochzukommen,
aber es ging beim besten Willen nicht. Erschöpft legte sie sich
wieder zurück. Das Handy wäre die Rettung, dann könnte sie
Matthias anrufen. Wenn es doch nicht so weit weg liegen würde.
In dem Moment kam Nora stolz erhobenen Hauptes ins Bad
getrabt. Ella meinte schon, dass sie sich wieder ihrer
Annäherungsversuche erwehren müsste, da sah sie, dass Nora
etwas im Maul hatte. Erst glaubte sie, ihren Augen nicht zu
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trauen. Nora hatte tatsächlich das Handy im Fang. Ella streckte
die Hand aus und nahm es der Hündin ab. Sie schaute auf das
Handy und konnte es irgendwie nicht wahrhaben. Nora hatte ihr
tatsächlich das Handy gebracht. Apportieren und Bringen hatte
sie mit der Hündin noch nicht viel gemacht, auch, weil Nora nicht
viel Freude dabei zeigte. Also, was war das eben? Wirklich Zufall?
Nora setzte sich hin und wedelte mit der Rute. Ella hatte das
Gefühl, als würde sich die Hündin diebisch freuen. So schelmisch
schaute sie ihr Frauchen an. Doch jetzt war ihr erst mal alles egal.
Fröstelnd und mit zittrigen Händen rief sie Matthias an. Der
Rufton ging raus. Hoffentlich hörte er gleich. Es hatte schon
mehrere Male geklingelt, als Ella endlich die vertraute Stimme
ihres Mannes hörte: „Hallo, Liebling! Was hast du denn so
Dringendes?“
Ella schilderte ihre missliche Lage. Matthias ließ sofort seine
Arbeit am Schreibtisch liegen, informierte schnell noch seine
Kollegen und machte sich rasch auf den Weg nach Hause.
Ella wurde in der Zeit von Nora ganz rührend umsorgt. Ganz
dicht schmiegte sich die Hündin an ihr Frauchen, leckte ihr die
Hand und legt die Pfote auf ihr Bein. Nach zwanzig Minuten
hörten Ella und Nora, wie Matthias rasch den Schlüssel
umdrehte und in die Wohnung stürmte. Nora lief ihm
schwanzwedelnd entgegen. Ella atmete erleichtert auf.
Matthias kümmerte er sich gleich rührend um seine Frau. „Hallo,
Liebling. Da bin ich. Was machst du nur für Sachen?“
Ella konnte ihn nur etwas gequält anschauen. „Bloß gut, dass du
da bist. So was Blödes ist mir auch noch nicht passiert.“
Matthias half seiner Frau ganz vorsichtig hoch und begleitete sie
zum Bett. „Soll ich nicht doch besser einen Krankenwagen
rufen?“, fragte er besorgt, als er sah, wie stark ihre Schmerzen
waren.
„Nein, nein!“ Ella schüttelte energisch den Kopf. „Ich brauche
nur Ruhe und muss mich warmhalten“.
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„Na gut, wenn du meinst. Dann mache ich dir jetzt eine
Wärmflasche“, bot Matthias an und deckte Ella sorgsam mit der
Bettdecke zu. Dann verschwand er in der Küche und kam nur
wenige Minuten später mit der Wärmflasche wieder. Ella nahm
sie dankbar entgegen und schob sie sich in den Rücken.
„Gleich wird es besser, ganz bestimmt“, war sie nun
zuversichtlich.
„Kann ich noch was für dich tun? Willst du etwas essen oder
trinken?“ Ella schüttelte den Kopf. Matthias setzte sich zu ihr auf
den Bettrand.
„Eins muss ich dir noch erzählen“, Matthias streichelte Ella über
die Haare. „Du glaubst gar nicht, was deine Aussage ausgelöst
hat“, erzählte er. „Die Kollegen haben heute das ganze Gelände
im Wald nach einem Projektil abgesucht und dabei ganz schön
über Dr. Klauert geschimpft. Der hat nicht locker gelassen und
sie immer wieder angetrieben.
„…und haben sie was gefunden?“, erkundigte sich Ella neugierig.
„Sie haben!“ Matthias grinste. „Nach mehreren Stunden wurde
tatsächlich ein Projektil gefunden. Dr. Klauert hat es wie einen
Schatz in Empfang genommen und sämtliche Kollegen waren
heilfroh, als die Suche ein Ende hatte.“
„Dann bin ich jetzt aber gespannt, was bei den Untersuchungen
herauskommt. Habt ihr denn noch andere Spuren, die auf den
Täter hinweisen?“, fragte Ella.
Matthias schüttelte den Kopf: „So viel ich weiß, gibt es sonst
keine Hinweise. Vielleicht meldet sich noch jemand, der ein
Fahrzeug zur fraglichen Zeit auf dem Parkplatz gesehen hat. Aber
ehrlich gesagt, ich habe wenig Hoffnung. Jetzt ist die Kugel erst
mal bei der Ballistik. Kann ja sein, dass die Waffe schon mal
verwendet wurde. Das wäre auf jeden Fall eine Spur“, meinte
Matthias hoffnungsvoll. „Aber nun lass ich dich erst mal schlafen.
Hoffentlich geht es dir morgen besser“, wünschte Matthias, gab
Ella einen Kuss und verließ leise das Schlafzimmer. Eine Minute
später kam er noch mal rein und legte Ellas Handy auf den
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Nachttisch. „Da hast du ja vorhin Glück gehabt, dass du dein
Handy dabei hattest“, stellte er lächelnd fest.
Ella ging es im Bett schon wesentlich besser. Langsam ließen die
Schmerzen nach. „Du wirst es mir bestimmt nicht glauben, aber
Nora hat mir das Handy vorhin gebracht“, sagte Ella.
Matthias schaute ungläubig: „Wie, Nora hat es dir gebracht?“
„Na, ich hatte vorher noch eine Nachricht geschrieben und das
Handy auf den Tisch im Wohnzimmer gelegt. Als ich dann im
Badezimmer lag und nicht mehr hochgekommen bin, hat mich
Nora richtig belagert. Da habe ich sie spaßeshalber losgeschickt,
um das Handy zu holen. Sie hat es tatsächlich gemacht. Was soll
ich sagen? Total unwahrscheinlich, ich weiß! Aber es war wirklich
so!“
Selbst jetzt spürte Ella wieder, wie sie bei der Erinnerung an die
Situation Gänsehaut bekam.
Matthias schaute erst seine Frau, dann die Hündin an und
schüttelte nur den Kopf. „Meine beiden Frauen! Das geht ja echt
nicht mit rechten Dingen zu! Bevor hier noch irgendwelche
wunderlichen Dinge passieren, schläfst du dich erst mal gesund
und ich drehe mit Nora noch eine große Runde“.
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3
Am folgenden Morgen konnte sich Ella wieder ganz gut
bewegen. Die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Das gestrig
Erlebte wirkte trotzdem noch nach und brachte sie ins Grübeln.
Wieso konnte Nora ihr gestern ihr Handy bringen? Sie hatte noch
nie bestimmte Gegenstände auf Befehl apportiert.
Doch dann holte sie der Alltag ein. Sie telefonierte mit ihrer
Physiotherapeutin und bat um einen baldigen Termin. Da sie sich
schon lange kannten, schob Anke Stiefelbein sie gleich am
folgenden Tag dazwischen: „Dann komm am besten um 12.30
Uhr. Geht das bei dir?“
Ella war froh, dass Anke sie überhaupt gleich rannehmen konnte,
da sie aus Erfahrung wusste, wie schwer es war, einen Termin zu
bekommen: „Das ist prima. Super, dass es so schnell klappt!“,
bedankte sie sich.
„Dann sieh mal zu, dass du es bis morgen schaffst. Nimm ruhig
eine Schmerztablette und spiele da nicht die Heldin. Durch die
Schmerzen verkrampfst du dich sonst nur noch mehr“, riet ihr
Anke. „...und Ella, kein Reiten oder schweres Heben mehr bis
morgen, und halte dich warm, versprichst du mir das?“
Ella hatte ihre Planung für heute sowieso schon etwas
umgestellt. So konnte sie der Physiotherapeutin versprechen,
sich zu schonen. Ihre Ausbildungspferde würden heute mal nur
auf die Koppel oder in die Führanlage gehen und einen Teil ihres
Unterrichtes verschob sie auf die nächsten Tage. Sie wollte auf
jeden Fall wieder schnell fit werden. In der nächsten Woche
stand die Stutenleistungsprüfung für Rosiana und Carina an, bei
der sie die beiden Pferde vorreiten sollte.
So machte sie sich bald auf den Weg in den Stall. Den Vormittag
verbrachte sie mit dem Versorgen der Pferde. Alles dauerte
heute etwas länger, weil sich Ella nur langsam und vorsichtig
bewegen konnte. Anschließend machte sie noch einen kleinen
Spaziergang mit Nora und kaufte ein.
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Als sie mittags nach Hause kam, sah sie, dass der
Anrufbeantworter blinkte. Noch mit den Einkaufstüten in der
Hand drückte sie den Knopf für die Wiedergabe. In diesem
Augenblick konnte sie nicht im Entferntesten ahnen, was dieser
Anruf für ihr Leben bedeuten würde:
„Guten Tag, Frau Brenner, mein Name ist Roswitha Kemmerer
und ich bin Rechtsanwältin. Ich bin auf der Suche nach
Nachfahren von Luise Hofbauer. Frau Hofbauer war Jahrgang
1945 und wohnte in West-Berlin. Sollten die Angaben auf ihre
Großmutter zutreffen, dann wäre es nett, wenn Sie sich bei mir
melden würden. Ich werde aber auch noch mal versuchen, Sie zu
erreichen." Es folgte noch die Telefonnummer mit einem
Abschiedsgruß. Dann schaltete sich der Anrufbeantworter mit
einem vernehmlichen Klacken ab.
Ella stellte ihren Einkauf in der Küche ab und musste sich erst
mal setzen. Ein komischer Anruf. Was wollte die Rechtsanwältin
von ihr, und was hatte das mit ihrer Großmutter zu tun?
Viele Erinnerungen an ihre Kindheit kamen in Ella hoch. Sie war
in den ersten Jahren hauptsächlich von ihren Großeltern
aufgezogen worden. Oma Luise und Opa Herbert hatten sich
liebevoll um sie gekümmert. Ihre Mutter Margarete war eine
fröhliche junge Frau. Sie studierte damals an der FH in Berlin
Betriebswirtschaft und lernte dort den argentinischen
Austauschstudenten Juan kennen und lieben. Sie hatten eine
wunderbare Zeit zusammen, bis Juan wieder zurückmusste in
seine Heimat. Es kam, wie es eben manchmal passiert.
Margarete wurde schwanger, was sie allerdings erst nach der
Abreise ihres Freundes bemerkte. Von Anfang an war ihr klar,
dass sie das Kind bekommen wollte. Natürlich versuchte sie
auch, ihren abgereisten Freund zu informieren. Doch einen Juan
Rodriguez de la Carras fand sich in ganz Argentinien nicht. Ellas
Vater blieb für Margarete Hofbauer unauffindbar. Margarete gab
die Suche auf. Natürlich war sie sehr enttäuscht, wurde von ihren
Eltern aber liebevoll aufgefangen. Sie unterstützten sie, wo sie
konnten. Die ersten Jahre wohnte Margarete mit ihrer Tochter
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weiterhin bei ihren Eltern, später ganz in der Nähe, in einer
kleineren Drei-Zimmer-Wohnung. Nach dem Studium begann sie,
in einem mittelständischen Unternehmen zu arbeiten. Trotz des
anspruchsvollen Jobs, der sie auch häufig ins Ausland führte,
nahm sie sich immer Zeit für ihre Tochter.
Als Ella zehn Jahre alt war, geschah ein fürchterliches Unglück.
Luise und Herbert Hofbauer kamen bei einem schweren
Verkehrsunfall ums Leben. Sowohl Margarete, als auch Ella
brauchten lange, ehe sie über den Verlust der Eltern, bzw.
Großeltern hinwegkamen. In dieser Zeit rückten sie noch näher
zusammen und konnten sich durch Gespräche und schöne
Erinnerungen gegenseitig trösten.
Einen einzigen Streitpunkt gab es zwischen Mutter und Tochter.
Als Ella älter wurde, hatte sie natürlich das Bedürfnis mehr über
ihren Vater zu erfahren. Doch Ihre Mutter wollte Zeit ihres
Lebens nicht weiter über ihn sprechen. So wusste Ella nur, dass
er aus Südamerika stammte, auch Student war und Juan hieß.
Wenn Margarete Hofbauer mal etwas erzählte, was sehr selten
passierte, dann war das überaus liebevoll und mit Verständnis:
„Weißt du, wir waren damals jung und sehr verliebt. Dein Vater
hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er nach dem Studium
wieder in seine Heimat zurückkehren wollte. Ich konnte mir
damals nicht vorstellen mitzugehen, und ich glaube, das hätte er
auch nicht gewollt.“
In den nächsten Jahren machte Margarete Karriere in ihrer
Firma, bei der sie für die Akquise und Betreuung der Kunden
verantwortlich war. Das brachte auch mit sich, dass sie sehr viel
unterwegs war. Außerdem wurde sie in die Frankfurter Zentrale
ihres Unternehmens berufen. Sie überlegte nicht lange und
nahm die neue Herausforderung gerne an. In Berlin hielt sie
eigentlich nichts.
Vom Großstadtleben hatte sie erst mal genug. Deshalb suchte sie
für ihre Tochter und sich eine schöne, große Wohnung auf dem
Land.
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Trotz der gute Anbindung an die Autobahn, brauchte sie eine
knappe Stunde zu ihrem Arbeitsplatz. Den Zeitaufwand nahm sie
gerne in Kauf für ein ruhigeres und beschaulicheres Leben in der
Kleinstadt.
In den ersten Jahren hatte sie für Ella ein Kindermädchen
angestellt. Als Ella sechszehn wurde, waren sie sich einig, dass sie
jetzt selbstständig genug war, auch mal ein paar Tage alleine
zurechtzukommen. Für den Notfall konnte sie sich an die
Sekretärin ihrer Mutter wenden, die immer sofort für sie da war.
So vergingen die nächsten Jahre recht glücklich.
Nach dem Abitur gab es einmal heftige Diskussionen über Ellas
Berufswunsch Pferdetrainerin zu werden, nachdem es mit einem
Studienplatz in Veterinärmedizin wegen des Numerus clausus`
nicht gleich geklappt hatte. Ihre Mutter fand den Beruf viel zu
gefährlich und körperlich zu anstrengend. Letztlich gab sie doch
nach und half ihrer Tochter einen guten Ausbildungsplatz zu
bekommen.
Ella bezog zu Beginn der Lehre ein kleines Appartement in der
Nähe des Ausbildungsbetriebes und ihre Mutter machte sich auf
eine beruflich wichtige Auslandsreise. Genau von dieser Reise,
die sie nach Ostafrika führten, brachte Margarete eine schwere
Tropenkrankheit mit. Nach einigen Tagen bekam sie sehr hohes
Fieber. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert, doch trotz aller
Bemühungen der Ärzte, ging es ihr von Tag zu Tag schlechter. Als
Ella ihre Mutter besuchte, war sie schon sehr geschwächt.
Trotzdem war sie zuversichtlich wieder gesund zu werden:
„Mach dir keine Sorgen, Kleines. So schnell lass ich mich von ein
paar Viren nicht unterkriegen.“
Mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch verabschiedete sich
Ella damals widerwillig von ihrer Mutter.
In den nächsten Tagen telefonierten sie regelmäßig miteinander
und Ella merkte, dass es ihrer Mutter nicht besser ging.
Deshalb wollte sie gleich am Wochenende wieder zu ihr fahren.
Doch noch bevor sie sich auf den Weg machen konnte, bekam
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sie die Nachricht, dass ihre Mutter den Kampf gegen die
Krankheit verloren hatte und am Morgen verstorben war.
Ohne ihre neue Freundin Clara, die im selben Betrieb lernte,
allerdings schon im zweiten Ausbildungsjahr war, hätte Ella
wahrscheinlich die schwere Zeit nicht so glimpflich überstanden.
Clara war damals immer für sie da gewesen, hatte sie tröstet und
ihr den Rücken freigehalten, wenn Ella unterwegs war und die
vielen Formalitäten erledigte.
Ihre Mutter hatte alle Papiere gut geordnet und ein Testament
zugunsten ihrer Tochter hinterlassen. Ein großes Erbe gab es
nicht, nur etwas Familienschmuck, einige antike Möbel und
etwas Bargeld auf einem Sparkonto. Ella hatte sehr gehofft, in
den Papieren mehr über ihren Vater zu erfahren. Doch da wurde
sie enttäuscht. Es gab keinen einzigen Hinweis auf ihn.
Ella wischte sich eine Träne von der Wange. Oje, jetzt hatten sie
die Erinnerungen an ihre Mutter übermannt. Sie stand auf und
räumte ihre Einkäufe ein. Später wollte sie diese Frau Kemmerer
anrufen. Sie war sehr gespannt, was die Anwältin von ihr wollte.
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Letztlich wurde es doch nichts mehr mit dem Anruf an diesem
Tag. Ella legte sich auf die Couch zum Ausruhen und schlief tief
und fest ein. Sie wachte erst auf, als Matthias heimkam und die
Wohnungstür aufschloss.
Nach der üblichen Begrüßung durch eine feste Umarmung und
einen dicken Kuss, erkundigte sich Matthias nach Ellas Befinden:
„Was macht denn dein Rücken? Hast du einen Termin bei der
´Physio` bekommen?“
Ella nickte: „Ich kann gleich morgen kommen. Eben geht es
wieder. Ich muss mich nur schön warm halten und keine
hastigen Bewegungen machen.“
Matthias zwinkerte seiner Frau aufmunternd zu: „Dann legst du
dich nachher gleich wieder hin. Ich mache dir noch eine neue
Wärmflasche zurecht und kümmere mich um Nora.“
Ella war ganz gerührt: „Womit habe ich nur so einen
fürsorglichen Mann verdient?“
„Na, man gut, das du das einsiehst“, lachte Matthias.
Er verschwand unter der Dusche und Ella machte in der Zeit
etwas zu Essen zurecht. Beim Abendbrot erzählte Ella von dem
Anruf der Anwältin. „Leider habe ich die Zeit verschlafen, sonst
hätte ich vorhin noch zurückgerufen. Aber dann mache ich das
gleich morgen, nach meinem Termin bei Frau Stiefelbein.“
„Und du hast keine Ahnung, was die Frau von dir will?“, fragte
Matthias.
Ella schüttelte den Kopf: „Meine Mutter ist jetzt schon so lange
tot. Ich bin wirklich gespannt.“
Nach dem Essen verschwand Ella wirklich ins Bett, versorgt mit
der versprochenen Wärmflasche und einem angefangenen Buch.
Matthias machte sich fertig, um noch eine große Runde zu
Joggen.
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Nora freute sich riesig, als sie merkte, dass es gleich losging. Als
die beiden nach einer Stunde wiederkamen, schlief Ella tief und
fest. Matthias legte sachte das Buch beiseite, machte das Licht
aus und schloss ganz leise die Schlafzimmertür. Morgen war auch
noch ein Tag.
Ella wachte schon lange vor dem Weckerklingeln auf. Sie schaute
auf die Uhr. Hatte sie doch tatsächlich durchgeschlafen. Ihr
Rücken fühlte sich heute Morgen auch schon deutlich besser an.
Nach der Behandlung würde bestimmt wieder alles okay sein, da
war sie ganz zuversichtlich. Vorsichtig schlüpfte sie unter der
Bettdecke hervor, um Matthias nicht zu wecken. Eine Stunde
hatte er noch „Galgenfrist“. Ella setzte den Kaffee auf und ging
ins Bad. Ganz in Ruhe duschte sie ausgiebig und zog sich an.
Dann ging sie mit Nora kurz vor die Tür. Auf dem Rückweg freute
sie sich schon auf eine große Tasse Kaffee. Dabei würde sie in
aller Ruhe die Tageszeitung lesen, die sie aus dem Briefkasten
mitgebracht hatte.
Als sie dann am Küchentisch saß, blieben ihre Augen an einer
Überschrift hängen. Sie war nicht besonders groß und auch erst
auf Seite drei. „Tierquäler verurteilt“, stand dort. Ella begann
sofort, den Artikel zu lesen. Sie erinnerte sich, dass Marina bei
ihrem letzten Treffen erzählt hatte, dass der Gerichtstermin
anstand.
Tatsächlich berichtete die Zeitung über die Verurteilung von
Peter Brauner. Ihm konnte nachgewiesen werden mehrere
Pferde gequält zu haben, um die Besitzer zu betrügen. Er war
wirklich zu einer Haftstrafe verurteilt worden, ohne Bewährung.
Ella atmete auf. Allerdings stand in dem Bericht nichts davon,
dass er auch ein Berufsverbot erhalten hatte. Marina war als
Geschädigte und als Zeugin bei dem Prozess anwesend gewesen.
Bestimmt konnte sie ihr Näheres erzählen, wenn sie das nächste
Mal zum Training kam.
Ella war ganz in Gedanken, als Matthias verschlafen in der Küche
auftauchte: „ Bist du schon lange wach? Ich habe dich gar nicht
gehört.“
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„Ich bin heute schon ganz früh raus. Kein Wunder, so viel habe
ich schon lange nicht mehr geschlafen“, antwortete Ella ihren
Mann. Sie stand auf und nahm ihn in die Arme. „Du weißt doch,
ich liebe den frühen Morgen, wenn es hell wird und langsam
alles zum Leben erwacht. Hab schon mit Nora eine kleine Runde
gedreht, den Kaffee aufgesetzt und Zeitung gelesen. Die hast du
jetzt dafür beim Frühstück ganz für dich alleine. Es steht übrigens
auch was über die Verurteilung von Peter Brauner drin.“
„Ach, ja?“, fragte Matthias interessiert.
„Der geht jetzt erst mal ins Gefängnis. Na, du wirst es ja lesen“,
sagte Ella mit Genugtuung.
Beide schmusten noch einige Augenblicke miteinander, bevor sie
sich an den Frühstückstisch setzten. Eine dreiviertel Stunde
später machte sie sich auf den Weg zur Arbeit. Ella wollte im Stall
wenigsten nach dem Rechten schauen und Rosiana longieren,
damit sie fit blieb für nächste Woche. Alles verlief planmäßig,
und um 10 Uhr war Ella wieder zu Hause.
Bevor sie den Termin bei der Physiotherapeutin hatte, wollte sie
unbedingt noch die Rechtsanwältin anrufen, um zu erfahren, was
sie von ihr wollte. Etwas aufgeregt suchte sie den Zettel mit der
Nummer hervor, schnappte sich das Telefon und setzte sich
gemütlich in die Sofaecke. Rasch drückte sie die Tasten und
hörte den Rufton rausgehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sie hatte das sonderbare Gefühl, dass dieser Anruf etwas ganz
Besonderes bringen würde.
„Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem Sekretariat der
Anwaltskanzlei Kemmerer, Hermann und Goldmann. Mein Name
ist Andrea Humbold. Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine
freundliche Stimme. Ella stellte sich vor und erklärte ihr
Anliegen. „Oh, einen Augenblick bitte. Ich schaue mal, ob Frau
Kemmerer noch im Haus ist. Sie hat heute zwei Termine bei
Gericht. Aber ich versuche gleich, Sie durchzustellen.“
Es dauerte nur wenige Sekunden und Ella war mit der
Rechtsanwältin verbunden. „Guten Tag Frau Brenner. Das ist
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sehr freundlich, dass Sie sich so rasch zurückmelden“, wurde Ella
begrüßt. „Leider habe ich nicht viel Zeit, aber vielleicht können
Sie mir sagen, ob sie tatsächlich verwandt sind mit Luise und
Herbert Hofbauer?“
„Ja!“, antwortete Ella aufgeregt. „Das waren meine Großeltern.
Sie sind aber schon lange tot. Sie sind bei einem Verkehrsunfall
ums Leben gekommen. Da war ich noch ein Kind.“
„Und was ist mit Ihrer Mutter?“, fragte Frau Kemmerer. „Meine
Mutter ist 2003 an einer Tropenkrankheit verstorben“, sagte Ella.
„Oh, das tut mir leid“, erwiderte die Anwältin mitfühlend. „Gut.
Ich will Ihnen kurz erklären, worum es geht. Ich bin zufällig auf
Unterlagen gestoßen. Wie es aussieht, waren sie für Ihre
Großmutter bestimmt. Wie wäre es, wenn wir uns nächste
Woche treffen?“, schlug die Rechtsanwältin vor. „Wollen Sie
vielleicht nach Berlin kommen? Oder, wenn das nicht geht,
könnte ich Ende des Monats bei Ihnen vorbei kommen, da habe
ich sowieso in der Gegend zu tun.“
Ella war zunächst etwas sprachlos und überlegte fieberhaft, wie
sie zueinander kommen konnten. Nächste Woche, nach der
Stutenleistungsprüfung,
wäre
es
ihr
möglich,
die
Unterrichtsstunden abzusagen. Aber sie wollte natürlich, dass
Matthias mitkam. „Ich werde mit meinem Mann sprechen, wann
er sich freinehmen kann“, sagte Ella.
Deshalb kamen die beiden Frauen überein, in den nächsten
Tagen noch mal zu telefonieren und dann einen Termin
auszumachen. Ella blieb noch eine Weile auf dem Sofa sitzen.
Nach dem Gespräch war sie eigentlich um keinen deut schlauer.
Eher war das Ganze noch mysteriöser. Ein Blick auf die Uhr ließ
sie aufschrecken. Sie musste sich fertigmachen, um pünktlich bei
Frau Stiefelbein zu sein.
Ella fühlte sich nach der Behandlung gleich noch viel besser.
Allerdings sollte sie auf Anraten der Therapeutin in den nächsten
Tagen und Wochen noch einige Behandlungen wahrnehmen:
„Da werden wir noch einiges zu tun haben, meine liebe Ella! Du
hast einfach zu lange gewartet!“
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Ella bedankte sich: „Ich weiß, ich weiß! Ich gelobe Besserung.
Noch mal besten Dank für deine schnelle Hilfe. Lass uns gleich
die nächsten Termine heraussuchen. Wenn ich die erst mal
eingeplant habe, dann komme ich auch gestimmt.“
Rasch kamen sie überein. Dankbar und froh verabschiedete sich
Ella. Beschwingten Schrittes und ohne Schmerzen lief sie zu
ihrem Auto. Auch über den Tag blieb in ihrem Rücken alles ruhig.
Am Abend hatte Ella es eilig nach Hause zu kommen. Sicher war
Matthias schon da und sie hatte ihm doch einiges zu erzählen.
So war es tatsächlich. Matthias saß zu Hause am Computer,
arbeitete noch und wartete dabei sehnsüchtig auf Ella.
Einmal wollte er natürlich wissen, was Ellas Rücken machte und
außerdem hatte er sehr interessante Neuigkeiten zu berichten
über den Fall des Försters. Da gab es wirklich erstaunliche
Erkenntnisse.
Endlich hörte er seine beiden Frauen kommen. Stürmisch wurde
er von Nora begrüßt. Lachend drehte er sich auf seinem
Bürostuhl herum und nahm sie in Empfang, bevor sie in seinen
Schoß springen und ihn vollends belagern konnte. Nach einem
ausgiebigen Streicheln stand er auf, um seine Frau in den Arm zu
nehmen. „Da seid ihr ja beide.“ Prüfend schaute er in Ellas
Gesicht. „Dir geht es besser, oder? Das sehe ich dir doch an.“
Ella nickte: „Wie neu! Frau Stiefelbein hat wieder ein Wunder
vollbracht.“
„Lass uns rasch das Abendessen fertigmachen, und dann
erzählen wir uns beide, was so passiert ist heute“, schlug
Matthias vor.
Gemeinsam machten sie ein paar Brote fertig. Ella schälte noch
etwas Obst zum Nachtisch, und Matthias schenkte zwei Gläser
Weißwein ein. Sie trugen die Sachen ins Wohnzimmer und
machten es sich auf der Couch gemütlich.
Matthias fing als Erster an, zu reden: „Nachdem es deinem
Rücken viel besser geht, will ich natürlich wissen, ob du die
Anwältin angerufen hast, und was dabei herausgekommen ist.“
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„Hab ich“, Ella nickte mit dem Kopf. „Ganz viel hab ich allerdings
nicht erfahren. Es handelt sich um Unterlagen meiner
Urgroßmutter, die erst jetzt wiedergefunden wurden. Die
Anwältin hat gefragt, ob wir vielleicht nach Berlin kommen
wollen, um sie abzuholen. Was meinst du, ob du dir demnächst
mal freinehmen kannst, dass wir zusammen hinfahren?“
„Das lässt sich bestimmt machen. Das kann ich morgen gleich
klären. Dann machen wir einen kleinen Ausflug Richtung Berlin.
Hört sich doch ganz gut an. Wird sowieso Zeit, dass wir mal
wieder rauskommen.“ Matthias war zuversichtlich.
„Und jetzt muss ich dir noch was ganz Ungeheures erzählen.
Heute kam der Bericht der Ballistik, wegen des gefundenen
Projektils im Fall Winkler“, tat Matthias geheimnisvoll.
Ella horchte sofort auf: „Da bin ich aber neugierig. Was haben
deine Kollegen herausbekommen. Los, spann mich nicht länger
auf die Folter.“
„Die Waffe ist tatsächlich schon mal benutzt worden. Dr. Klauert
hat das Ergebnis dreimal überprüft, so überraschend war es. Vor
mehr als drei Jahren wurde der Bankier Dietrich Freyer damit
getötet.“
Ella überlegte kurz. Der Name kam ihr bekannt vor. Jetzt fiel es
ihr wieder ein: „War das nicht dieser Entführungsfall, wo man
den Vater bei der Geldübergabe erschossen hat, und das
Entführungsopfer, ein kleiner Junge, wurde nie gefunden?“
„Genau. Bis heute gab es keine konkreten Hinweise. Letztes Jahr
wurde der Fall unaufgeklärt zu den Akten gelegt. Da kannst du
dir vorstellen, was bei uns los ist. Wie es aussieht, wird wohl eine
Sonderkommission unter Leitung des Landeskriminalamtes
gebildet. Der Oberstaatsanwalt gibt heute Abend eine
Pressekonferenz, um die Öffentlichkeit zu informieren. Dann
werden wir von den Journalisten bestimmt überrollt“.
Am nächsten Tag kam es, wie Matthias vorausgesagt hatte. Es
wimmelte in der ganzen Gegend von Journalisten. Radio und
Fernsehen waren mit ihren Teams vor Ort. Da es keine
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Ende der Leseprobe von:
Ella - Das ganz Besondere Erbe
Gabriela Angela Köhler
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