Eine Perlenschnur im Gefäss

FALLBERICHTE
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Eine Gefässerkrankung mit starken Flankenschmerzen
Eine Perlenschnur im Gefäss
Naim Mehmeti a , Alina Bosshard b , David Czell c , Philippe Aubert d , Urs Mantel a
a
c
Angiologie, Departement für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur; b Klinik für Innere Medizin, Departement für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur;
Neurologie, Departement für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur; d Institut für Radiologie, Kantonsspital Winterthur
Fallbeschreibung
lisation durchgeführte neurologische Status war eben-
Die notfallmässige Selbstvorstellung der 56-jährigen
Patientin erfolgte aufgrund von Flankenschmerzen
links. Den Schmerz beschrieb sie als sehr stark (Visuelle
Analogskala VAS 8–10), dumpf und in der Tiefe liegend.
Diarrhoe, Nausea, Emesis, Dysurie, Fieber sowie Blut
im Urin wurden verneint.
Bei Eintritt präsentierte sich die Patientin im reduzierten Allgemeinzustand. Der Blutdruck im Liegen am
Oberarm rechts betrug 180/90 mm Hg, der Puls war
rhythmisch mit einer Frequenz von 70/min. Es konnte
ein vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern
auskultiert werden. Das Abdomen war weich und indolent bei normalen Darmgeräuschen ohne Klopfdolenz
über der linken Nierenloge. Der im Verlauf der Hospita-
falls unauffällig. Sowohl die persönliche Anamnese als
auch die Systemanamnese fielen bland aus.
Laborchemisch zeigte sich bei Eintritt ein Hämoglobin
von 13,6 g/dl, eine Thrombozytenzahl von 231 × 109/l,
und die Leukozyten betrugen 9,1 × 109/l (Norm 3,0–
9,6 × 109/l). Auffallend war eine erhöhte LDH von 490 U/l
(Norm <220 U/l), das Kreatinin war normwertig bei
48 µmol/l, der Urinstatus bis auf eine leichte Erythrozyturie unauffällig. Die Vaskulitisserologie war unauffällig.
Zur weiteren Diagnostik wurde eine Computertomographie des Abdomens durchgeführt. Dabei zeigte sich ein
Niereninfarkt in der Pars intermedia links (Abb. 1). Die
im Rahmen der Emboliequellensuche durchgeführte
Echokardiographie zeigte einen unauffälligen Befund,
insbesondere liessen sich keine intrakavitären Thromben nachweisen. Im 24-Stunden-EKG zeigten sich bis auf
gelegentliche ventrikuläre Extrasystolen ebenfalls keine
Auffälligkeiten. In der Angiographie zeigte sich das typische Bild einer fibromuskulären Dysplasie der Nierenarterien beidseits mit perlschnurartigen Wandveränderungen und Nachweis einer Dissektion eines
Segmentastes im oberen Nierendrittel links als Ursache
für den Niereninfarkt, weswegen in der Folge eine therapeutische Antikoagulation eingeleitet wurde (Abb. 2A,
B). In der aufgrund der fibromuskulären Dysplasie in Ergänzung durchgeführten Duplexsonographie der extrakraniellen, hirnversorgenden Gefässe zeigte sich einerseits eine semizirkuläre, echoarme Wandauflagerung in
der A. carotis interna links ab Abgang mit zunehmender,
über 90%iger Stenosierung distal und andererseits eine
echoreiche, fraglich segelförmige Struktur in der distalen A. carotis interna rechts, differentialdiagnostisch am
ehesten vereinbar mit einer frischeren, längerstreckigen
Dissektion mit Thrombosierung bzw. Wandhämatom
links sowie einer älteren Dissektion rechts. In der daraufhin durchgeführten Angio-Computertomographie
bestätigte sich der Verdacht, und es konnte eine Dissektion der A. carotis interna links auf Höhe des ventralen
Atlasbogens mit hochgradiger Stenosierung nachgewiesen werden. Zusätzlich zeigte sich, dass sich die Dis-
Abbildung 1: Kontrastmittel-CT der linken Niere in schräg-sagittaler Schichtführung:
Darstellung eines typisch dreiecksförmigen Parenchyminfarktes der Niere (Pfeil),
ursächlich für die klinische Symptomatik der Patientin.
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sektion bis in die Schädelbasis fortsetzt bei zudem
rechtsseitiger, älterer Dissektion mit Pseudoaneurysmata. In der ebenfalls durchgeführten MR-Angiogra-
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A
B
Abbildung 2: A: Angiographie der Nierenarterien beidseits: Für FMD typische, perlschnurartig angeordnete Stenosen
und Ektasien der Nierenhauptarterien beidseits (Pfeile). B: Dissektion eines Nierenarteriensegmentastes (Pfeil),
Nierenparenchyminfarkt (offener Pfeil).
phie konnten Aneurysmata zerebral ausgeschlossen
Die Ursache der FMD ist unklar. Die häufigste klinische
werden (Abb. 3A, B). Hinweise für frische oder ältere In-
Manifestation bei Befall der Nierenarterien ist die arte-
farkte fanden sich nicht. Die Dissektion der Karotiden
rielle Hypertonie [3]. Die FMD der Arteriae carotides
interpretierten wir im Rahmen der fibromuskulären
kann unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen,
Dysplasie, und es wurde, bei asymptomatischer Patien-
Schwindel und Nackenschmerzen bis hin zu ischämi-
tin, ein konservatives Vorgehen gewählt mit Weiter-
schen oder hämorrhagischen Insulten verursachen [3].
führung der Antikoagulation, die bereits aufgrund des
Differentialdiagnostisch kommen Arteriosklerose, Vas-
Niereninfarktes eingeleitet wurde.
kulitis und die segmental arterielle Mediolyse in Frage.
Eine Assoziation mit dem Marfan-Syndrom, der Takayasu-Arteriitis, der Neurofibromatose Typ I und dem
Kommentar
Ehlers-Danlos-Syndrom Typ IV wird auch beschrieben
Die fibromuskuläre Dysplasie (FMD) ist eine nicht ent-
[3]. Für die Diagnosestellung ist eine Bildgebung mittels
zündliche, nicht arteriosklerotische Erkrankung der
Duplexsonographie, Computertomographie oder MR-
Arterien, die zu Stenosen, Verschlüssen, Dissektionen
Angiographie notwendig. Bei klinisch hochgradigem
sowie zu aneurysmatischen Erweiterungen der betrof-
Verdacht und im Hinblick auf die Planung einer Inter-
fenen Gefässe führen kann und erstmals im Jahre 1938
vention sollte eine Angiographie durchgeführt werden.
von Leadbetter und Burkland beschrieben wurde [1].
Diagnostisch fallen hier häufig – wie bei unserer Patien-
Die Prävalenz der FMD in der Gesamtpopulation ist
tin – perlschnurartig veränderte Gefässe mit Stenosen
nicht bekannt [2]. Auch zur Inzidenz gibt es in der Lite-
und poststenotischen Dilatationen auf.
ratur keine genauen Angaben. Bei etwa zwei Drittel der
Bei der FMD der Nierenarterien ist die Indikation für
Patienten können mehrere Arterien betroffen sein
eine perkutane transluminale Angioplastie (PTA) in
[2, 3]. Grundsätzlich kann die FMD jedes arterielle Ge-
folgenden Situationen zu diskutieren:
fäss betreffen [3]. Bei Patienten mit FMD sind in 75% der
– Bei Patienten mit neu diagnostizierter arterieller
Fälle die Nierenarterien betroffen, hierbei in 35% der
Hypertonie, insbesondere jungen Patienten, bei de-
Fälle bilateral [3]. Die Karotiden, vor allem die A. carotis
nen die Wahrscheinlichkeit einer Arteriosklerose
interna, sind mit 25–30% die zweithäufigste Lokalisation
gering ist, mit dem Ziel der Heilung oder Reduktion
der FMD [3]. Die FMD betrifft vor allem Frauen zwischen
dem 20. und 60. Lebensjahr, kann aber auch Männer
und Kinder betreffen [3].
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der arteriellen Hypertonie.
– Bei Patienten mit therapieresistenter Hypertonie
trotz Dreierkombination.
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A
B
Abbildung 3: 3D-MR-Angiographie der hirnzuführenden Arterien. A: Karotisarterien und B: Vertebralarterien. Ausgeprägte,
für FMD typische, perlschnurartig angeordnete Stenosen und Ektasien der Aa. carotides internae beidseits und gering
wahrscheinlich auch der Aa. vertebrales beidseits. Rechts zudem Darstellung fokaler Gefässdissektionen der A. carotis interna
(Pfeile), links höchstgradige fokale Stenose der A. carotis interna (offener Pfeil).
– Bei Patienten, die Antihypertensiva nicht tolerieren
oder nicht compliant sind.
– Bei bilateraler FMD oder unilateraler renaler FMD,
bei lediglich einer einzelnen vorhandenen funktionierenden Niere [3].
Bezüglich der FMD der Arteriae carotides bei asymptomatischem Patienten empfiehlt sich eine Prophylaxe
neurologische und angiologische Verlaufskontrollen.
Informed consent
Die Publikation erfolgt im Einverständnis der Patientin.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
mit einem Thrombozytenaggregationshemmer. Bei
1
Dr. med. Naim Mehmeti
symtomatischen Patienten besteht je nach Befund die
2
Angiologie
PTA als Therapieoption [2].
Korrespondenz:
Departement für
Innere Medizin
Bei unserer Patientin haben wir uns, wie oben be-
Kantonsspital Winterthur
schrieben, aufgrund des zusätzlich vorliegenden Nie-
3
reninfarktes für eine Weiterführung der oralen Anti-
4
Brauerstrasse 15
CH-8401 Winterthur
naim.mehmeti[at]ksw.ch
koagulation entschieden und planen engmaschige
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Leadbetter WF, Burkland CE. Hypertension in unilateral renal
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state of the science and critical unanswered questions: a scientific
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