Giorgio Bassani und seine Stadt (1916/2016)

Giorgio Bassani und
seine Stadt (1916/2016)
Mit seinen Romanen und Erzählungen hat Giorgio Bassani seine Heimatstadt Ferrara zu einer Weltbühne werden lassen, in der sich die Tragikomödie der Geschichte abspielt. Die städtische Dimension dieses Werkes,
die mit dem kulturellen jüdischen Erbe des Autors verbunden ist, steht
neben der Beziehung zur Filmkunst im Zentrum einer Reihe von Veranstaltungen anlässlich seines 100. Geburtstags: Eine Ausstellung, eine Lesung,
ein wissenschaftliches Seminar und Filmabende sollen das Œuvre eines
Schriftstellers beleuchten, der die italienische Literatur der Nachkriegszeit wesentlich geprägt hat. Außerdem wird die Stadt Ferrara ihre Sehenswürdigkeiten und kulinarischen Spezialitäten vorstellen. Paola Bassani,
die Tochter des Schriftstellers, wird an der Veranstaltungsreihe teilnehmen.
Giorgio Bassani wird am 4. März 1916 in Bologna als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Arztfamilie geboren und verbringt seine Kindheit und
Jugend in Ferrara, der Stadt, die seit jeher Zentrum der assimilierten Juden
ist. Nach dem Abitur immatrikuliert er sich 1935 an der Universität Bologna
für ein Literaturstudium, das er mit einer Arbeit über Niccolò Tommaseo
1939 abschließt. Neben den zahlreichen Freundschaften, die er im kulturellen und literarischen Milieu in beiden Städten unterhält, wird ihm
auch der Kunsthistoriker Roberto Longhi, bei dem er Vorlesungen hört,
zum Freund und Förderer seiner schriftstellerischen Versuche. Eine erste
Erzählung erscheint im „Corriere Padano“ und 1940 folgt sein erster Roman
Una città di pianura, die er wegen der faschistischen Rassengesetze
unter dem Pseudonym Giacomo Marchi veröffentlicht. Gleichzeitig unterrichtet er als Hilfslehrer an der jüdischen Schule in Ferrara – ihm ist als
Jude der Zugang zu öffentlichen Schulen verwehrt. Zunehmend aber
wird er vor allem zum politischen Aktivisten und engagiert sich im antifaschistischen Widerstand, was ihm 1943 eine kurze Haftstrafe einbringt.
Im selben Jahr heiratet er, verlässt Ferrara und zieht mit seiner Ehefrau
nach Rom. 1945 veröffentlicht er den Gedichtband Storie dei poveri
amanti e altri versi, dem in den Folgejahren drei weitere Bände folgen.
1948 wird ihm die Redaktion der Literaturzeitschrift „Botteghe Oscure“
anvertraut, die Bassani erfolgreich führt – er entdeckt Talente und fördert
sie, u.a. den jungen Pasolini. 1954 wechselt er als Redakteur zur Zeitschrift
„Paragone“ und veröffentlicht 1956 den Erzählband Cinque storie ferraresi,
mit dem er den Premio Strega gewinnt und seinen zukünftigen Erzählraum
Ferrara schafft. 1957 wird er zum Vizepräsidenten der RAI ernannt und
ist als Dozent für Theatergeschichte an der Accademia Nazionale d’Arte
Drammatica in Rom tätig. 1958 veröffentlicht er den später auch verfilmten
Roman Gli occhiali d’oro. In der Zwischenzeit als Lektor beim Verlag
Feltrinelli tätig, setzt er die Publikation des Gattopardo von Giuseppe Tomasi
di Lampedusa durch. 1960 erscheint dann eine erweiterte Ausgabe und
Sammlung seiner Erzählungen aus Ferrara über die Jahre des Faschismus
in seiner Heimatstadt: Le storie ferraresi.
Den Höhepunkt seines schriftstellerischen Ruhms erreicht Bassani 1962
mit dem Roman Il Giardino dei Finzi-Contini. Er beschreibt das Schicksal
einer jüdischen Familie in Ferrara, wird mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und 1970 von Vittorio De Sica verfilmt. In ebenso eindringlicher
wie meisterhafter Weise setzt Bassani mit dem Werk dem jüdischen Leben
in seiner Heimatstadt ein Denkmal und wird zu einem der wichtigsten
Chronisten des italienischen Judentums unter den Faschisten. Es folgen
1964 die Veröffentlichung von Dietro la porta, 1968 von L’Airone (Der
Reiher) und L‘odore del fieno (Der Geruch von Heu) 1972. 1980 erscheint
Il romanzo di Ferrara, in dem die sechs großen Erzählungen Bassanis
zusammengefasst werden und das als das Epos seiner Zeit gilt und zugleich
„die Geschichte seines persönlichen Lebens“ ist. 1984 erscheinen noch
zwei Sammelbände mit Gedichten und Aufsätzen. Von schwerer Krankheit
gezeichnet, zieht sich Bassani später aus dem öffentlichen Leben zurück
und stirbt im Jahr 2000 in Rom.
Ausstellung
Mo 23. Mai | 19.00 Uhr | Eröffnung
Ein Spaziergang
durch die innere Stadt
Das Ferrara von Giorgio Bassani
Ausstellung bis 08. Juli | Mo–Do 10.00–16.00 Uhr
Fr 10.00–14.00 Uhr und während der Abendveranstaltungen
Ein Projekt der Stadt Ferrara in Zusammenarbeit mit dem Italienischen
Kulturinstitut Berlin und der Fondazione MEIS | Kuratorin: Sharon Reichel
Im Anschluss virtuelle Führung durch die Stadt Ferrara
Mit Kostproben gastronomischer Spezialitäten
Istituto Italiano di Cultura | Hildebrandstraße 2 | Berlin-Tiergarten
Der Leser, der in die Erzählungen und Romane Giorgio Bassanis eintaucht, erkennt sofort, dass die Stadt Ferrara die Hauptrolle in seinem
Werk darstellt. Die Ausstellung folgt dem Autor auf einem imaginären
Spaziergang innerhalb der Stadtmauern, wo reale Orte sich mit denen
der Literatur vermischen. Auf diesem Rundgang erhalten die Worte des
Schriftstellers ein eigenes Leben und zeichnen einen Stadtplan nach, mit
dem ein Tourist auch heute noch den Geheimnissen von Ferrara nachspüren kann. Und es sind die Stadtmauern, die die Protagonisten und auch
die Leser der Bücher Bassanis wie in einer Umarmung zu umschließen
scheinen, und sie – mal – vor der Boshaftigkeit der Außenwelt schützen,
oder in ihnen aber Gefühle wecken, die die Gesellschaft nicht immer
wahrhaben will.
Liest man Bassani heute wieder, so wird man sein Ferrara verstehen,
man wird aber auch mit wiedererwachter Bewunderung auf die heutige
Stadt schauen, die sich im Laufe der Jahre verändert, ihre Fehler abgelegt und ihre Vorzüge zur Geltung gebracht hat.
Lesung
Dienstag, 24. Mai | 19.00 Uhr
Ferrareser Geschichten
Lesung Felix von Manteuffel
aus Die Gärten der Finzi-Contini und Der Reiher
Einleitung Bernhard Huß | Auf Deutsch
In Zusammenarbeit mit dem Wagenbach Verlag
Istituto Italiano di Cultura | Hildebrandstraße 2 | Berlin-Tiergarten
Il Giardino dei Finzi-Contini aus dem Jahr 1962 ist der bekannteste, mit
verschiedenen Preisen ausgezeichnete und später von Vittoria De Sica
verfilmte Roman Bassanis. Er ist eines der Meisterwerke der italienischen
Nachkriegsliteratur und handelt vom tragischen Schicksal einer vornehmen
und alteingesessenen jüdischen Familie in Ferrara, die sich dem Faschismus entgegensetzt und an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird.
Und zugleich ist es die Liebesgeschichte zwischen dem Ich-Erzähler und
Micòl, der bewunderten und unkonventionellen Tochter der Familie FinziContini. Die Geschichte, die sich mit dem politischen und sozialen Hintergrund verbindet, endet ebenso unerfüllt wie tragisch, als im Herbst 1943
die ganze Familie deportiert wird „und keiner weiß, ob sie ein Grab gefunden haben“.
Die Gärten der Finzi-Contini, aus dem Italienischen von
Herbert Schlüter, Verlag Klaus Wagenbach 2001
it. Il Giardino dei Finzi-Contini, Einaudi 1962
Mit dem 1968 veröffentlichten Roman Airone eröffnet Bassani einen
Blick auf das Nachkriegs-Italien, in dem die alte bürgerliche Ordnung aus
den Fugen geraten ist. Er erzählt die Geschichte eines Jagdausfluges und
eines einzigen Tages, den der jüdische Landbesitzer Edgardo Limentani
mit seinem Jagdhelfer verbringt. Nur widerwillig und ohne Motivation
bricht er auf, und lässt das Geschehen um ihn herum über sich ergehen.
Als er schließlich auf einen Reiher trifft und Schüsse fallen, ist es, als ob
auf ihn selbst geschossen würde. Und tatsächlich beschließt er, nach
Hause zurückgekehrt, dass dieser eine Tag sein letzter sein würde. Die
Last der Vergangenheit und das Unvermögen mit einer veränderten Welt
zurechtzukommen, stehen im Mittelpunkt dieses sprachlich dichten und
wehmütigen Romans, der in seiner existenzialistischen Grundströmung
zugleich die allgemeine Desillusionierung Bassanis zum Ausdruck bringt.
Der Reiher, aus dem Italienischen von Herbert Schlüter,
Verlag Klaus Wagenbach 2007
it.: L‘airone, Mondadori 1968
Felix von Manteuffel (geboren 1945 in Bayrischzell) lernte das Schauspielhandwerk an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Von 1972
bis 1984 gehörte er dem Ensemble der Münchener Kammerspiele an.
Seit 1984 ist er freischaffender Schauspieler auf deutschen Bühnen
sowie in Film und Fernsehen. Überdies ist er gefragter Hörbuchsprecher.
Film
Mittwoch 25.Mai | 19.00 Uhr
Freitag 27.Mai | 18.00 Uhr
Gli occhiali d’oro –
Brille mit Goldrand
La lunga notte
del ’43
(I/F 1987, R.: G. Montaldo, D.: P. Noiret, R. Everett, V. Golino, 105‘, OF)
Istituto Italiano di Cultura | Hildebrandstraße 2 | Berlin-Tiergarten
Der 1987 auf dem Roman von Bassani basierende Film spielt im faschistischen Ferrara des Jahres 1938. Der angesehene, seine Homosexualität
zunächst verheimlichende Arzt Fadigati verliebt sich in den Studenten
Eraldo und wird gesellschaftlich immer mehr isoliert, genauso wie der
jüdischstämmige Student David und seine Freundin, die unter den offenen
Feindseligkeiten zu leiden haben. Beide verbindet eine enge Freundschaft,
die tragisch endet, als Fadigati Selbstmord begeht, nachdem er sich zu
seinen Gefühlen bekannt und erfahren hat, dass sie nicht erwidert werden.
Das von Philippe Noiret und Rupert Everett überzeugend gespielte und
mit der mit dem Premio David ausgezeichneten Musik von Ennio Morricone
unterlegte Drama ist ein einfühlsames und melancholisches Porträt zweier
Außenseiter, die aus dem Rahmen gesellschaftlicher Normen fallen.
Im Laufe der Bassani-Woche werden auch die Dokumentarfilme
Giorgio Bassani. Un autore, una città und Giorgio Bassani
(R.: L. Montefoschi, OmE) gezeigt.
Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber der vorgeführten Filme ausfindig zu
machen. Sollte es uns in Einzelfällen nicht gelungen sein, die Rechteinhaber zu benachrichtigen, so bitten wir diese, sich beim italienischen Kulturinstitut Berlin zu melden.
(I 1960, R.: F. Vancini, D.: Enrico Maria Salerno,
Gino Cervi, 106‘, OmE)
In Zusammenarbeit mit dem Bundesplatz-Kino
Bundesplatz-Kino | Bundesplatz 14
Berlin-Wilmersdorf
Basierend auf der gleichnamigen Erzählung von
Giorgio Bassani, beschreibt der Film die Zerrissenheit der italienischen Gesellschaft am Ende
des II. Weltkriegs anhand der Geschichte von
Anna und ihrem Mann Pino, der den Mord an
einer Gruppe von Antifaschisten durch den örtlichen Kommandanten beobachtet. Unter den
Opfern ist der Vater des Mannes, den Anna
eigentlich liebt. Doch den Bitten Annas gibt der
Ehemann nicht nach und wird – unter Druck des
faschistischen Kommandanten – die Namen
der Mörder nicht verraten. In eindrucksvollen
schwarz-weiß-Bildern aus dem winterlichen
Ferrara führt der preisgekrönte Film die tiefe
Resignation vor, in die die Menschen durch die
gewalttätigen und allgegenwärtigen Methoden
der Faschisten geführt wurden.
Workshop
Donnerstag 26. Mai | 9.30 – 18.00 Uhr
Sulle pagine di Bassani
Mit Giulio Busi (FU Berlin), Anna Dolfi (Università di Firenze), Sonia Gentili
(Università Sapienza di Roma), Georges Güntert (Universität Zürich),
Piero Pieri (Università di Bologna), Alberto Roncaccia (Université de
Lausanne) | Einführung: Bernhard Huß | Auf Italienisch
In Zusammenarbeit mit dem Italienzentrum der FU Berlin
Freie Universität Berlin | Habelschwerdter Allee 45
Raum L 116 (Seminarzentrum) | Berlin-Dahlem
Im Mittelpunkt des in Zusammenarbeit mit dem Italienzentrum und dem
Fachbereich für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin veranstalteten internationalen Workshops, stehen die narrativen Texte Giorgio
Bassanis, deren unterschiedliche Ebenen einer ebenso umfassenden wie
textnahen Analyse unterzogen werden sollen. Zwei einleitende Beiträge zur
Rolle Ferraras und der Bedeutung der jüdischen Kultur im Romanwerk des
Autors bilden den Rahmen für die eingehenden Interpretationen einiger
ausgesuchter und exemplarischer Textstellen, die im Plenum anschließend diskutiert werden. Die ausgesuchten Textseiten wurden im Vorfeld
von Studenten übersetzt, die wiederum ihre Arbeit zur Diskussion stellen.
Mehr Informationen zum Programm:
www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/italienzentrum
Die Veranstaltungsreihe steht
unter der Schirmherrschaft der Fondazione Giorgio Bassani
und wurde in Zusammenarbeit mit ihr koordiniert
Zu den Veranstaltungen im Italienischen Kulturinstitut bitten wir um
Anmeldung unter [email protected] | Der Eintritt ist frei
ISTITUTO ITALIANO DI CULTURA BERLINO
Hildebrandstraße 2 | 10785 Berlin-Tiergarten
Tel. 030 - 26 99 41 0 | Fax 030 - 26 99 41 26 | [email protected]
Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen finden Sie unter:
IIC Berlino |
IIC_Berlino
www.iicberlino.esteri.it |
Wir danken unseren Kooperationspartnern: