Nach so viel Vergnügen ist wieder mal Zeit für ein bisschen

72 Glück an der Grenze
Nach so viel Vergnügen ist wieder mal Zeit für ein bisschen negatives Bauchkribbeln. Die Grenzüberquerung nach Südafrika steht an. Werden sie uns
nochmal drei Monate Visum geben? Oder werden sie nachrechnen und sich
auf die „90 Tage im Zeitraum von 365 Tagen“ berufen? Diese Sorge haben
wir bis ganz kurz vor den Tag X hinausgeschoben, also bis heute.
Bei der Ausreise aus Botswana bestätigt sich mal wieder die Regel: Je grimmiger der Gesichtsausdruck, desto Grenzbeamter. Aber sie lassen uns anstandslos raus. Über eine holprige Umleitung geht es an Rindern und Eseln
vorbei zur südafrikanischen Seite des kleinen Grenzübergangs. Letzte Anweisungen: Immer lächeln, immer freundlich – und es geht an den Einreiseschalter. Formulare sind diesmal keine auszufüllen. Der Beamte macht mit
sehr wenigen Worten alles mit Stefan alleine aus. Er fragt nicht mal, wie
lange wir im Land bleiben wollen. Automatisch stempelt er uns 90 Tage ein,
also bis Mitte Juli. Leider nicht uns allen. Es ist ihm nicht entgangen, dass
Rebecca bereits ein Visum für Südafrika bis Mitte Juni in ihrem Pass stehen
hat. Von ihrer Olympiareise nach Pretoria mit der Schule. Das ist blöd. Wir
werden das Schneewittchen erst Mitte Juli verschiffen und dann das Land
verlassen. Rebecca sollte da eigentlich noch dabei sein. Also, tief Luft geholt
und zurück zum Schalter. „What's the problem?“. Oh, das klingt streng. Ich
versuche, zu erklären, warum das für uns sehr ungünstig ist und dass Rebecca ja nur sechs Tage im Land war. Ob er ihr Visum nicht bitte auch ver längern könnte. Er verneint und erklärt, warum. Sie habe ja noch genug Zeit im
Land, das Visum gehe ja bis Mitte Juni. Wir reden ein bisschen aneinander
vorbei, er sagt nochmal, warum es nicht ginge, ich verstehe nicht ganz –
kurz, wir kommen uns nicht näher. Plötzlich meine ich, sein Problem zu verstehen – nämlich, dass er die Visadauer nicht so lange vor dem „Verfallsdatum“ ändern kann, weil das vom System her nicht geht. „Oh“, sage ich,
„now I understand!“ Stefan sagt das gleiche. Der Herr wird ein wenig milder
und sagt, wir könnten es ja einfach in Johannesburg bei der zuständigen Behörde versuchen. Die würden es dann schon verlängern. Oder sogar in Rustenburg, das ist in der Nähe. Aber eben erst im Juni. Wir seufzen und erklären, dass wir zu der Zeit irgendwo in der Pampa an der nördlichen Küste sein
werden.
72 Glück an der Grenze
„Where is the passport?“, fragt er, nimmt ihn, geht vor die Tür, schaut nach
rechts und links, geht zu seinem Schalter, nimmt den Stempel und haut ihr das
gleiche Datum wie uns auf eine neue Seite. Zack, zack, fertig. Thank you –
pleasure – good-bye.
So schnell geht’s, wenn es geht. Hier hatten wir mal absolutes Glück. Die willkürliche Entscheidung eines Einzelnen, sich über eine Vorschrift hinwegzusetzen, hat uns das Leben extrem erleichtert. Vielen Dank!
Beschwingt fliegen wir die ersten Kilometer über südafrikanischem Boden. Die
Straße ist ordentlich, die Umgebung scheint uns wieder saftiger und grüner
als zuletzt in Botswana. Und es gibt Hügel!
72 Glück an der Grenze
Bald erwischt uns die Polizei, wie wir auf einer Seitenstraße einfach stehen
bleiben, um auf der Karte nachzusehen, wie es weitergeht. Anstatt uns weiter
schimpfen zu lassen, fragen wir die Damen im Polizeiauto, ob sie den Weg
zum Groot Morico Bosveld Nature Reserve kennen. Da wollen wir eigentlich
gar nicht hin, aber die Toll Road muss es auch nicht unbedingt sein, denn wir
gelten als Laster und werden kräftig zur Kasse gebeten. Außerdem sieht man
entlang der großen Straßen viel weniger und wir fahren eh so langsam. Sie
ordnen an, ihnen zu folgen, sie würden uns den Weg weisen. An der ersten
möglichen Abzweigung (wir können Kartenlesen und wissen eigentlich, wo es
langgeht) fahren sie geradeaus. Äh, na gut. An der zweiten rauschen sie auch
vorbei. Also, was jetzt? Wollen sie uns zur Polizeistation lotsen und dort bestrafen? Oder haben sie uns längst vergessen? Na, dann biegen wir doch
lieber eigenmächtig ab. Und danke für die Hilfe!
Wir kommen an einen Damm und sehen auf der anderen Seite des Wassers
Autos und Menschen beim Grillen. Da müssen wir hin. Und tatsächlich – hier
ist ein Tor zu einem Erholungsgelände mit Chalets und Bootshäusern und
einem weitläufigen Campingplatz am Wasser entlang. Die Betreiber wohnen
gegenüber, für 120 Rand können wir hier stehen, Kinder umsonst, egal wo,
nur nicht zu nah am Wasser, denn unser Fahrzeug könnten sie wahrscheinlich
nicht aus dem Schlamm ziehen. Was für ein Glücksfall! Wir sind die einzigen
Übernachtungsgäste auf einem Platz so groß, dass er als italienischer Campingplatz wahrscheinlich große 1.000 Parzellen hätte. Von der Baumgrenze
zum Wasser sind es etwa 200 Meter. Hier stellen wir uns hin und sammeln
schon mal Holz für ein Lagerfeuer. Was für ein Traumplatz! Okay, die Toiletten- und Duschhäuschen hätten mal wieder eine Überholung nötig. Aber das
Klo müssen wir ja nicht unbedingt nutzen, wir haben ja unser eigenes, und
aus den Duschen kommt immerhin Wasser – sogar warmes! Was für eine nette Willkommensüberraschung, die uns Südafrika mit diesem Platz beschert.
Im Stausee gibt es mindestens vier Hechte. Tolle Hechte. Mama, Papa, Finn
und Anouk, die sich unerschrocken ins dunkle Wasser wagen. Es ist warm und
doch erfrischend, der Boden angenehm sandig. Man merkt, dass der See normalerweise einen viel höheren Wasserstand hat. Tatsächlich hat er im Moment nur 15 % seines normalen Volumens um diese Zeit. Sollte es auf 6%
sinken, müssen die Farmer die Bewässerung ihrer Felder einstellen, erzählt
die Betreiberin.
72 Glück an der Grenze
Am Abend grillen wir und sitzen danach um's Lagerfeuer. Schön. So schön,dass
wir am nächsten Morgen entschieden, noch eine Nacht zu bleiben. Unsere frischen Nahrungsvorräte sind zwar knapp, aber für ein vegetarisches Grillen und
einmal Stockbrot am Feuer reicht es noch.
Mit Schule, Berichtschreiben, Fußballspielen, Baden, Lesen und Spielen geht
der Tag schnell rum.
Eigentlich würden wir gerne noch länger bleiben, aber es fehlt an Brot und Internet. Wir müssen Rebeccas Gastfamilie in Pretoria schreiben, wann wir kommen, und wir wollen an Stefans Geburtstag im Mountain Sanctuary Park bei
Rustenburg sein. Wollen...