"Ein Jahr für die Kunst": Text von Noemi Hermann, PH Zug

Auslandsaufenthalt in Regensburg
Noemi Hermann
EIN JAHR FÜR DIE KUNST
Zurück aus dem Auslandsaufenthalt
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Der Zug ist Abgefahren, hin und her Schweiz-Deutschland, Deutschland-Schweiz, fast ein Jahr
lang, jedes zweite Wochenende. Damit ich meine frische Liebe in der Schweiz nicht aus den
Augen verlor. Nun zieht zum letzen Mal Regensburg an mir vorbei, sehe ich zum letzen Mal den
Bahnhof, den Park, die Strassen, die mich durch das fremde Regensburg führten und irgendwie
auch zu einem mir noch fremden ich. Ich sehe schon das Schmunzeln der Leute, wenn ich ihnen davon erzähle, dass ich zurück in der
Schweiz gerade einen Kulturschock erlebe, doch den „Eigenkulturschock“ gibt es tatsächlich.
Schon einige Kulturwissenschaftler haben sich mit diesem Phänomen auseinander gesetzt und
ich komme nun scheinbar auch nicht drum herum.
„Meine Damen und Herren, Willkommen in der Schweiz“, spricht der Zugchef, kurz nachdem wir
am Bodensee vorbei gefahren sind. Was ist das für ein Schmerz, der da plötzlich in mir aufsteigt,
er scheint aus einer Mischung aus Erleichterung und Sehnsucht zu bestehen. Erleichterung
Endlich zähle ich zum letzen mal die sechs Stunden, wie ein Countdown herab, bis der Zug im
Zürcher Hauptbahnhof stehen bleibt. „Bitte alle aussteigen, dieser Zug endet hier.“ . Wie sich
das anhört, wenn man weiss, dass auch für einem selbst etwas endet. Wieder in der ziehenden
Pendlerflut zu stehen, erleichtert mich irgendwie. Das Leben geht weiter, wie die Leute um mich
herum. Ich freunde mich mit dem Gedanken an, einfach in der Stadt wieder weiter zu machen
wo ich die Koffer gepackt habe, um ins Ausland zu gehen. Doch ich merke, ich muss zuerst
wieder „meine alte Stadt“ kennenlernen, denn ich merke, wie ich in meinen Gedanken aus der
Ferne, aus Zürich eine „Heidistadt“ gemacht habe, wohl auch weil ich im Ausland gelernt habe,
so über diese Stadt zu denken. Da in meiner ausländischen „Heimat-auf-Zeit“ die Menschen
Zürich nur als Touristen kennengelernt haben und mit Geschichten zurück aus der Schweiz
kamen, die nur wenig mit dem Leben eines „echten Zürchers“, einer „echten Zürcherin“ zu tun
haben. Denn in Zürich findet der Alltag nicht nur um das rot-weiss karierte Tischtuch statt. Bin ich jetzt wirklich wieder eine Zürcherin und in meinem „alten Leben“ oder fehlt es mir
vielleicht sogar, ganz alleine „die Schweizerin“ zu sein und diesen Titel mit niemandem teilen zu
müssen, mit diesem Attribut plötzlich in der Masse unterzugehen anstatt aufzufallen. !
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Auslandsaufenthalt in Regensburg
Noemi Hermann
Sehnsucht
Damals vor knapp einem Jahr fing alles an mit der Frage: „Was wäre wenn…? Was wäre wenn
ich nicht an einer Pädagogischen Hochschule studieren würde, sondern an einer Universität?
Wenn ich plötzlich alles auf die Kunst setzen würde? Wenn ich anstatt Lehramtsstudentin zur
Kunststudentin werde und dies in einem anderen Land? Deutschland?
Diese Überlegung gefiel mir und ich freundete mich mit dem Gedanken immer mehr an, bis ich
schliesslich meinen Koffer aus dem ICE hievte und mir ein Lächeln übers Gesicht huschte, als
die DB Mitarbeiterin: „Meine Damen und Herren, Willkomme in Regensburg…“ durch die
Lautsprecher sprach.
Ja es hat mich in die bayrische Stadt Regensburg gezogen, einer der Deutschen
Partnerhochschulen meiner Pädagogischen Hochschule in Zug. Hier hin, wo noch kein anderer
Studierende meiner Hochschule war. Auch dieser Gedanke gefiel mir, denn ich wollte nicht wie
„alle“ nach Berlin, denn ich schwimme irgendwie gerne gegen den Strom und wo geht das nicht
besser als in einer kleinen Stadt an der reissenden Donau. Regensburg wurde schnell zu einer neuen Heimat für mich, es ist irgendwie wie ein grosses
Zürcher „Niederdörfli“, alles so klein und verwinkelt und hier und da hat sich jemand mit einem
eigenen Geschäft seinen Traum verwirklicht. Viele Galerien und Handwerksateliers gibt es hier,
dies lies natürlich mein Künstlerherz höher schlagen. Rasch liebäugelte ich mit dem Gedanken
ein eigenes Atelier zu eröffnen in dem ich meiner Acrylmalerei nachgehen konnte, was bis jetzt
nebst der Lehrerinnenausbildung nur als ein Hobby Entfaltung fand.
Doch erstmal startete ich das Studium der Kunstvermittlung an der Universität Regensburg. Es
gefiel mir ab der ersten Sekunde, als es hiess: „Kaufen Sie sich auf die nächste Stunde bitte
einen Malkasten und Pinsel“. An der Pädagogischen Hochschule ist das Bildnerische Gestalten
nur ein Fach nebst Deutsch, Mathe und weiteren Fächern. Doch in Regensburg kann ich mich
nun innerhalb meines Auslandaufenthalts in der Fachrichtung Kunst vertiefen, denn mein Ziel ist
es später einmal mich auf die Kunstvermittlung zu spezialisieren. Ein Atelier fand ich schneller als gedacht, da ein deutscher Mitstudent gerade einen Nachmieter
suchte. Schnell füllte ich es mit jungfräulich weissen Leinwänden, Farben und Pinseln und bald
war fast jedes meiner Kleider irgendwo voller Farbe, da ich in jeder freien Minute in die Welt der
Farben eintauchte.
An der Universität besuchte ich Kurse in Kunstgeschichte, Design,Malerei, Philosophie und
Pädagogik und ich merkte, wie durch das dazu gewonnene Wissen mein Kunststil mehr und
mehr beeinflusst wurde und daher zu etwas ganz eigenem in sich stimmigen heran reifte. Doch nicht nur meine Pinselführung auch meine Denkweise hat sich durch die Zeit in
Regensburg verändert. Ich habe gemerkt wie viele Wege einem offen stehen und was im Inneren
seiner Selbst passiert, wenn man seinen ganz eigenen Weg geht. Nun bin ich also wieder in
Zürich, schlendere an der Limmat vorbei und muss schmunzeln, da ich weiss, dass dies noch
das „alte Zürich ist, so wie ich es verlassen habe, ich jedoch nicht mehr die gleiche wie zuvor.
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