Presseinformation Konzept Fahrscheinloses Berlin 2030 Stufenplan zur Einführung eines fahrscheinlosen ÖPNV in Berlin Eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben setzt Mobilität voraus. Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus will allen, die sich in Berlin aufhalten, ermöglichen, sich ungehindert und umweltschonend in der Stadt zu bewegen: unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Aufenthaltsstatus, ihrem Alter oder einer körperlichen Einschränkung. Ein fahrscheinloser öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), eingebettet in eine soziale und ökologische Verkehrswende, ist unser Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Ein solidarisch finanzierter, fahrscheinloser ÖPNV ist möglich. Um seine Vorteile für eine soziale und ökologische Neugestaltung des Berliner Verkehrs zum Tragen zu bringen, ist ein massiver Umbau des Straßenraums zugunsten des Umweltverbunds aus öffentlichem Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr notwendig. Unter dieser Voraussetzung wird auch der Anteil von Rad- und Fußverkehr weiter ansteigen. Doch dafür sind Investitionen nötig, die nur durch zusätzliche finanzielle Mittel getätigt werden können. Eine Verkehrswende ist nicht von heute auf morgen zu vollziehen. Es braucht Zeit, insbesondere wenn alle Betroffenen an den dafür nötigen Entscheidungen maßgeblich teilhaben sollen. Diese Zeit wollen wir nutzen, um mit Freiwilligen Solidartickets für Schüler*innen, Auszubildende und Arbeitnehmer*innen und Übernachtungsgäste – angelehnt an das Vorbild der Semestertickets – ein Übergangsmodell hin zu einem solidarisch finanzierten, fahrscheinlosen ÖPNV zu etablieren. Durch die gemeinschaftliche Abnahme von Solidartickets ist es möglich die Fahrgastzahlen zu steigern und den Verkehrsunternehmen höhere und vor allem stabilere und kalkulierbare Einnahmen zu verschaffen – bei gleichzeitig sinkenden Fahrpreisen. Zudem macht die schrittweise Verbreitung bezahlbarer Solidartickets den fahrscheinlosen Nahverkehr erlebbar und schafft Akzeptanz für mehr. Damit die Umstellung auf einen solidarisch finanzierten Nahverkehrs ganz ohne Fahrscheine gelingt, müssen einige Weichen neu gestellt werden. Das geht nicht über Nacht. Wir, die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, sind davon überzeugt, dass ein fahrscheinloser ÖPNV bis spätestens zum Jahr 2030 Wirklichkeit werden kann – wenn jetzt die ersten notwendigen Schritte eingeleitet werden. Unser Stufenplan „Fahrscheinloses Berlin 2030“ bietet dafür ein Umsetzungskonzept. 2 Stufe 1: Finanzierung solidarisch sichern Bis zum Jahr 2018 wird die Umstellung der gegenwärtig unzureichenden ÖPNV-Finanzierung auf eine kostendeckende und finanzierungssichere Grundlage vorbereitet. Solidarische Ticketmodelle werden entwickelt und eine Nahverkehrsabgabe für so genannte Nutznießer*innen wird geprüft. Diese profitieren derzeit von ihrer Anbindung an einen leistungsfähigen ÖPNV, ohne sich in ausreichendem Maße an dessen Finanzierung zu beteiligen. Die Nahverkehrsabgabe erschließt ganz neue Finanzierungsquellen, mit denen in zehn Jahren mindestens 2,5 Mrd. Euro für Investitionen bereitgestellt werden können. Gleichzeitig sind die staatlichen Zuschüsse von Bund und Land mindestens zu erhalten. Durch diese zusätzlichen Finanzierungsquellen wird es auch möglich sein, das derzeitige Tarifniveau zu halten und insbesondere für Menschen mit wenig Einkommen zu senken. Stufe 2: Übergang zum fahrscheinlosen ÖPNV vorbereiten Der Senat von Berlin ermittelt mit einer detaillierten Umsetzungsstudie einschließlich eines zeitlich und möglicherweise räumlich begrenzten Pilotbetriebs die zu erwartende Nachfrageentwicklung und den Investitionsbedarf für einen fahrscheinlosen Nahverkehr mit einem solidarischen ÖPNV-Beitrags für alle Berliner*innen und Übernachtungsgäste. Durch neue Beteiligungsmodelle ist die Mitbestimmung der Berliner*innen sowie der sonstigen Akteure im ÖPNV deutlich zu erhöhen, so dass die Umsetzungskonzepte breit abgestimmt werden. Im Ergebnis der Umsetzungsstudie werden die für die Neugestaltung des Straßenraums erforderlichen planerischen und verwaltungstechnischen Grundlagen für einen fahrscheinlosen ÖPNV bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode im Jahr 2021 gelegt. Stufe 3: Verkehrsinfrastruktur neu gestalten Im Jahr 2021 fährt die Mehrheit der Fahrgäste in Berliner Bussen und Bahnen mit Solidartickets auf einer gemeinschaftlichen Finanzierungsbasis. Nun wird die geplante Modernisierung, Neugestaltung und Erweiterung der Verkehrsinfrastrukturen umgesetzt, bevor dann … Stufe 4: Fahrscheinloses Berlin 2030 verwirklichen … spätestens im Jahr 2030 das Ziel erreicht ist. 3 Stufe 1: Finanzierung solidarisch sichern (2016–2018) Die Zukunft der ÖPNV-Finanzierung ist ungewiss. Selbst wenn die 2019 auslaufenden Bundesmittel gesichert und jährlich leicht erhöht werden: Die wachsenden Ansprüche an einen leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Nahverkehr als Rückgrat umweltfreundlicher Mobilität lassen sich mit den bestehenden Instrumenten nicht finanzieren. Weitere Fahrpreiserhöhungen können dieses Defizit nicht ausgleichen. Der erste Schritt auf dem Weg zu einem fahrscheinlosen ÖPNV muss also sein, neue Grundlagen für die Finanzierung einer Ausweitung und Verbesserung des ÖPNV-Angebots zu schaffen. Gleichzeitig sollen weitere Fahrpreissteigerungen ausgeschlossen und solidarische Ticketmodelle auf weitere Nutzer*innengruppen ausgeweitet werden, um Stück für Stück das Recht auf Mobilität für alle, insbesondere auch für Menschen mit geringem Einkommen, zu sichern. Die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs wird neu und transparenter gestaltet. Unser Vorschlag eines langfristig zu verwirklichenden Gesamtfinanzierungskonzepts beruht auf drei Säulen: • Säule 1: Grundfinanzierung durch dynamisierte staatliche Zuschüsse aus Landes- und Bundesmitteln; • Säule 2: finanzielle Beteiligung der Nutznießer*innen durch eine Nahverkehrsabgabe; • Säule 3: Umlagefinanzierung durch Solidarticketmodelle und langfristig durch einen solidarischen ÖPNV-Beitrag. Bis zum Jahr 2018 sollen die Grundlagen für ein solches Finanzierungskonzept geschaffen werden: Solidarticketmodelle für den Großteil der Fahrgäste und Erhebungs- und Berechnungskonzepte für Nutznießerbeiträge schaffen gleichzeitig die finanziellen Voraussetzungen dafür, dass Kostensteigerungen nicht länger über Fahrpreiserhöhungen aufgefangen werden müssen. So wird das Recht auf Mobilität aller zum Leitziel der Berliner Verkehrspolitik als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Solidarische Ticketmodelle Solidarische Ticketmodelle sind ein Weg, mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen. Das Prinzip ist einfach und mit Zeit-, Abo- und Semestertickets hinreichend erprobt: Wenn nicht jede Fahrkarte einzeln wirtschaftlich kalkuliert werden muss, sondern sich größere Gruppen verbindlich zur Abnahme von Abonnement-Tickets verpflichten, reduziert sich der Ticketpreis für die Einzelnen. Gleichzeitig profitieren die Verkehrsunternehmen von wachsenden und vor allem stabilen und kalkulierbaren Einnahmen. Das Semesterticket ist das bekannteste Solidarticket und ein Erfolgsmodell. Zuerst eingeführt im Jahr 2000 an der Alice Salomon Hochschule, fahren inzwischen die Studierenden aller Universitäten und Hochschulen in Berlin solidarisch: Durch die Umlage der Fahrtkosten auf alle genießt jede und jeder die Vorteile eines vergleichsweise günstigen Tickets zum Preis von aktuell 30,68 Euro im Monat, gültig für den Tarifbereich ABC. Eine vergleichbare Umweltkarte kostet derzeit im günstigsten Fall 79,98 Euro im Monat. Studien zeigen: Das Semesterticket hat unter Studierenden eine Verkehrswende im Kleinen bewirkt, ohne die befürchteten Mehrverkehre oder einen massiven Umstieg von Zufußgehenden und Radfahrenden anstelle von Auto- 4 fahrenden auf den ÖPNV zu bewirken. Im Ergebnis sind die Studierenden überwiegend zufrieden mit ihrem Solidarticket, selbst wenn sie keinen hinreichenden persönlichen Nutzen daraus ziehen. Allein die Möglichkeit, den ÖPNV immer und jederzeit ohne tarifliche Hürden nutzen zu können, überzeugt. Da die Ausweitung des Semesterticketmodells auf weitere Fahrgastgruppen rechtlich (noch) nicht umsetzbar ist, schlagen wir Freiwillige Solidarticketmodelle für Schüler*innen, Auszubildende, Arbeitnehmer*innen und Übernachtungsgäste vor. Ein solidarisches „Schulticket“ wird ergänzend zu den bestehenden Schülertickets eingeführt. Es beruht auf dem Gedanken, dass sich alle Schüler*innen einer Schule, die ohnehin über ein Schülerticket verfügen, zu einer gemeinschaftlichen Abnahme ihrer Tickets verpflichten und dadurch Mengenrabatte erhalten. Dafür schließt die Schulleitung eine Vereinbarung mit den Verkehrsunternehmen, die auf der Grundlage der vorhandenen Anzahl an Schülertickets den Preis eines Solidartickets berechnen. Dieses Solidarticket kann dann auch von den Schüler*innen dieser Schule bezogen werden, die bis dahin noch nicht über ein Schülerticket verfügten. Hierfür sowie für die Bereitstellung bezirks- oder berlinweiter Schultickets sind die rechtlichen Grundlagen zu prüfen und gegebenenfalls neu zu schaffen. Ein ähnliches Modell schlagen wir für Arbeitnehmer*innen vor. Zusätzlich zu den bestehenden Firmenticket-Angeboten der Verkehrsunternehmen soll ein solidarisches „Jobticket“ eingeführt werden, mit dem auf der Grundlage bestehender Zeit- und Abonnementkarten allen Mitarbeiter*innen eines Unternehmens oder einer Behörde ein günstigeres Solidarticket zur Verfügung gestellt wird. Kleinere Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, sich für gemeinsame Abnahmen von solidarischen Jobtickets zusammenzuschließen. Übernachtungsgäste erhalten von ihren Hotels, Pensionen oder Anbieter*innen von Ferienwohnungen ein „Gästeticket“, finanziert über einen entsprechenden Aufschlag auf den Übernachtungspreis. Voraussetzung dafür ist die Teilnahme des jeweiligen Beherbergungsbetriebs an einem entsprechenden, mit den Verkehrsunternehmen ausgehandeltem solidarischen Gästeticketmodell. Gegenüber den Verkehrsunternehmen und innerhalb des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) muss sich der Senat dafür einsetzen, dass Schulen und Behörden, Arbeitgeber*innen und Beherbergungsbetrieben solche Freiwilligen Solidarticketmodelle zu Verfügung stehen, die einer transparenten und nachvollziehbaren Bedarfs- und Wirtschaftskalkulation folgen. Beim solidarischen Schulticket sind unter Berücksichtigung der bestehenden Ausgleichszahlungen ermäßigte Geschwisterkarten und kostenlose Schultickets ab dem dritten Kind und für Inhaber*innen des berlinpasses vorzusehen. Auszubildende erhalten das solidarische Jobticket zu einem ermäßigten Preis. Bis zum Jahr 2018 verhandelt der Senat innerhalb des VBB und mit den Verkehrsunternehmen die Einführung solidarischer Ticketmodelle, prüft die notwendigen Schritte, um diese rechtssicher umzusetzen, und entwirft daraufhin ein Konzept sowie eine breite, öffentlichkeitswirksame Kampagne, um die Solidartickets an möglichst vielen Schulen, in Behörden und Betrieben sowie für möglichst viele Übernachtungsgäste zu etablieren. 5 Einführung einer Nahverkehrsabgabe Rund zehn Prozent mehr Menschen als heute werden ihre Wege im ÖPNV zurücklegen, wenn sie dafür keinen Fahrschein lösen müssen. Das hat die von der Berliner Piratenfraktion in Auftrag gegebene „Grundlagen und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin“* ergeben. Dieser Zuwachs stellt Anforderungen an die ÖPNV-Infrastruktur, die über die ohnehin notwendige Sanierung hinausgehen. Neue Strecken, mehr Fahrzeuge, Taktverdichtungen, ÖPNV-Beschleunigungsmaßnahmen und mehr Personal sind erforderlich, um die nötigen Kapazitäten hierfür zu schaffen. Um diese Voraussetzungen für die Einführung eines fahrscheinlosen ÖPNV zu schaffen, müssen zusätzliche Finanzierungsquellen erschlossen werden. Ein wesentlicher Teil dieser Mittel kann durch eine Nahverkehrsabgabe aufgebracht werden. Mit einer Nahverkehrsabgabe leisten Nutznießer*innen, die von ihrer Anbindung an einen leistungsfähigen ÖPNV profitieren – ebenso wie die Fahrgäste – ihren finanziellen Beitrag zur Sicherung und zum Ausbau des Bus- und Bahnnetzes. Besonders eignet sich dafür das Instrument der kommunalen Beiträge. Diese können erhoben werden, wenn die Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen bestimmten Gruppen einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil bietet. Der ÖPNV ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, der nicht allein den Fahrgästen nutzt: Eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr steigert den Wert von Grundstücken und Immobilien, erspart Arbeitgeber*innen die Kosten zum Bau von Stellplätzen und erhöht ihre Attraktivität für Beschäftigte. Sie garantiert, dass der Einzelhandel für potenzielle Kund*innen und Großveranstaltungen für ihre Besucher*innen erreichbar sind und gewährleistet unkomplizierte und stadtweite Mobilität für alle Tourist*innen und Gäste, von der auch das Hotelgewerbe profitiert. Außerdem ist der öffentliche Nahverkehr gerade in innerstädtischen Gebieten eine unbedingte Voraussetzung dafür, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) überhaupt fließen kann, und stellt Autofahrer*innen im Bedarfsfall eine alternative Beförderungsmöglichkeit bereit. Die Nahverkehrsabgabe, als zweite Säule unseres Stufenplans „Fahrscheinloses Berlin 2030“, stellt die dringend benötigten Finanzmittel für den Erhalt, die Ausweitung und die Verbesserung des Nahverkehrsangebots bereit. Da die wirtschaftlichen Vorteile, die die genannten Gruppen durch die Bereitstellung des ÖPNV genießen, in Quantität und Qualität variieren, kann es jedoch keine einheitliche Nahverkehrsabgabe für alle Nutznießer*innen geben. Wir schlagen eine Nahverkehrsabgabe als Kombination kommunaler Beiträge und anderer Finanzierungsinstrumente vor, die von den nachfolgend genannten Nutznieß*innen erhoben wird: Arbeitgeber*innen-Abgabe: Nach dem Vorbild der Wiener „Dienstgeberabgabe“ soll von Berliner Arbeitgeber*innen ein Beitrag erhoben werden, der sich am wirtschaftlichen Sondervorteil der ÖPNV-Anbindung von Betrieben und Behörden bemisst. Wenn als Nahverkehrsabgabe ein Beitrag von 2 Euro je Arbeitnehmer*in und angefangener Kalenderwoche erhoben wird, ergäbe dies Einnahmen von rund 160 Mio. Euro im Jahr. Tourismus-Abgabe: Der Tourismusbeitrag wird als Beitrag von allen Beherbergungsbetrieben, also von Hotels, Hostels, Pensionen, Ferienwohnungen, * Maaß, Christian, Gregor Waluga u. Raphael Weyland (2015), Grundlagen- und Machbarkeitsstudie Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin, Endbericht für die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, https://www.piratenfraktion-berlin.de/wp-content/uploads/2015/06/Piratenfraktion_Studie_Fahrscheinloser_OEPNV_Berlin_Juni_2015.pdf. Jugendherbergen und Campingplätzen, im Berliner Stadtgebiet erhoben. Wird hierzu beispielsweise 1 Euro pro Gast und Übernachtung angesetzt, ergäbe dies zusätzliche Einnahmen in Höhe von rund 30 Mio. Euro im Jahr. Veranstaltungs-Abgabe: Insbesondere Großveranstaltungen wie Fußballspiele oder andere Sportereignisse, größere Konzerte und Festivals oder andere Events wären ohne einen leistungsfähigen ÖPNV kaum durchführbar. Um kommerzielle Veranstaltungen angemessen in die ÖPNV-Finanzierung einzubeziehen, soll für Veranstaltungen ab 1.000 Besucher*innen ein Beitrag beispielsweise in Höhe von einem Euro pro Teilnehmendem erhoben werden. Einzelhandels-Abgabe: Der Einzelhandel profitiert von kurzen Wegen zum öffentlichen Personennahverkehr, in besonders hohem Maße im Innenstadtbereich. Aber auch in den Außenbezirken ist die direkte Anbindung an Busse und Bahnen von Vorteil. Entsprechend soll von Einzelhandelsunternehmen ein kommunaler Beitrag erhoben werden, der sich am Umsatz der Unternehmen bemisst. Bei einem jährlichen Gesamtbruttoumsatz des Berliner Einzelhandels von rund 20 Mrd. Euro und einem Einzelhandelsbeitrag von 1 Euro je 1000 Euro Bruttoumsatz ergäbe das Einnahmen von rund 20 Mio. Euro im Jahr. Immobilieneigentums-Abgabe: Für die Einbeziehung von Grundstücksbzw. Immobilieneigentümer*innen in eine Nahverkehrsabgabe sind kommunale Beiträge kein geeignetes Instrument, denn diese dürften auf den Betriebskostenanteil der Mieten umgelegt werden. Eine derartige Benachteiligung von Mieter*innen lehnen wir ab. Die auf die ÖPNV-Anbindung zurückgehenden Wertsteigerungen der Liegenschaften und Immobilien sollen stattdessen durch die Erhöhung des Grunderwerbssteuer-Hebesatzes von derzeit 6 auf 6,5 Prozent zur ÖPNV-Finanzierung beitragen. Dies ergäbe zusätzliche Einnahmen von rund 30 Mio. Euro im Jahr. Auf diese Weise wird außerdem die Immobilien-Spekulation eingeschränkt, für uns ein willkommener Nebeneffekt. MIV-Abgabe: Auch Autofahrer*innen profitieren von einem leistungsfähigen ÖPNV-Angebot, das die Straßen entlastet und ihnen eine alternative Beförderungsoption im Bedarfsfall bereithält. Eine Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung auf die gesamte Innenstadt innerhalb des S-BahnRings sowie auf die Stadtteilzentren in den Außenbezirken sorgt dafür, dass die Autofahrer*innen angemessen an der Verkehrswende beteiligt werden. Die jetzigen Gebiete der Parkraumbewirtschaftung erzielen jährlich NettoEinnahmen von 8,25 Mio. Euro. Schon durch eine Verdreifachung der Flächen für die Parkraumbewirtschaftung lassen sich diese Einnahmen auf rund 25 Mio. Euro im Jahr erhöhen. Weitere Einnahmen aus Stellplatzgebühren für Parkhäuser und private Parkplätze sowie aus einer City-Maut im Bereich der jetzigen Umweltzone sollen geprüft werden. Insgesamt können mit der Nahverkehrsabgabe für Nutznießer*innen jährlich rund 250–300 Mio. Euro zusätzlich in den Ausbau und die Verbesserung des ÖPNV investiert werden. Das entspricht nahezu einer Verdoppelung der derzeit von der BVG A.ö.R. und der S-Bahn Berlin GmbH getätigten ÖPNV-Investitionen. Bis zum Jahr 2018 sollen die Rechtsgrundlagen für die Einführung der Nahverkehrsabgabe geschaffen und vom Senat Modelle zur Berechnung und Erhebung der Beiträge bereitgestellt werden. 7 Recht auf Mobilität als Leitziel der Verkehrspolitik Der öffentliche Nahverkehr ist nicht nur von zentraler Bedeutung für einen funktionierenden und umweltfreundlichen Verkehr. Der ÖPNV ist auch die entscheidende Bedingung dafür, dass sich Menschen mit geringem Einkommen in Berlin bewegen und somit am städtischen Leben teilhaben können. Das Recht auf Mobilität muss als Leitziel der Verkehrspolitik verankert werden. Die Förderung eines allgemein zugänglichen, bezahlbaren und barrierefreien öffentlichen Nahverkehrs ist das wichtigste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Mit der Einführung von Solidartickets und einer Nahverkehrsabgabe sind nicht nur die ersten Schritte zum fahrscheinlosen ÖPNV getan. Die damit verbundene Sicherung der Finanzierungsgrundlagen und die Erschließung zusätzlicher Mittel ermöglicht es, Fahrpreiserhöhungen zu vermeiden und damit sozialen Zielen gerecht zu werden. Außerdem soll der Preis des Sozialtickets auf die Höhe des geltenden Regelsatzes „Verkehr“ nach Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) abgesenkt und der Kreis der Berechtigten um Empfänger*innen von Wohngeld nach Wohngeldgesetz (WoGG) erweitert werden. So werden die Ausgaben für städtische Mobilität durch den entsprechenden Beitragssatz im ALG II bzw. in der Grundsicherung gedeckt. Der Senat muss mit den Verkehrsunternehmen über eine weitere Vergünstigung des Seniorentickets VBB Abo plus sowie über eine Einführung ermäßigter Sozial-Tagestickets und 4-Fahrten-Karten verhandeln. Stufe 2: ÖPNV solidarisch – Übergang zum fahrscheinlosen ÖPNV vorbereiten (2018–2021) Im Jahr 2018 wird mit der Etablierung eines neuen ÖPNV-Finanzierungsmodells die Übergangsphase zu einem Fahrscheinlosen Berlin 2030 eingeleitet. Die Nahverkehrsabgabe für ÖPNV-Nutznießer*innen und die zusätzlichen Solidartickets für Schüler*innen, Auszubildende, Arbeitgeber*innen und Übernachtungsgäste werden nun eingeführt. Darüber informiert und davon überzeugt der Senat in einer breit angelegten öffentlichen Kampagne. Ziel ist es, bis zum Jahr 2021 möglichst alle Schulen und Behörden sowie eine große Mehrheit der Unternehmen in Berlin für die Einführung solidarischer Schulund Jobtickets zu gewinnen, und eine breite öffentliche Unterstützung für diese und weitere Schritte hin zu einer solidarischen Umlagefinanzierung des ÖPNV zu erreichen. Gleichzeitig werden die Modernisierung und der Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur vorbereitet, damit der ÖPNV mehr Menschen besser, schneller und komfortabler befördern kann. Infrastrukturvorhaben sind langwierig und erfordern Investitionen, die angesichts des gegenwärtigen Zustands auch dringend notwendig sind. Deshalb gilt es, die Planung bereits bestehender Langfristvorhaben aus dem Stadtentwicklungsplan Verkehr 2025 (StEP 2025) vorzuziehen und mit der Konzeption weiterer Netzergänzungen und Infrastrukturvorhaben zu beginnen. Auf diese Weise werden die planerischen Grundlagen für eine Anpassung der Verkehrsinfrastruktur im ÖPNV und im öffentlichen Straßenraum entworfen und – unter umfassender Beteiligung und Mitentscheidung aller Betroffenen – abgestimmt. Ein solidarisch finanzierter, fahrscheinloser ÖPNV gehört als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge in die Hände der Bewohner*innen Berlins. 8 Sie sind in dessen Ausgestaltung einzubeziehen und sollen hierbei relevante Entscheidungen treffen können. All diese Schritte, einschließlich einer Umsetzungsstudie, die einen Pilotbetrieb fahrscheinloser ÖPNV umfasst, sollen spätestens zum Ende der kommenden Legislaturperiode, also bis zum Jahr 2021, abgeschlossen sein. Umsetzungsstudie für fahrscheinlosen Nahverkehr Die im Auftrag der Berliner Piratenfraktion erstellte „Grundlagen- und Machbarkeitsstudie: Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin“ hat gezeigt, dass ein fahrscheinloser Nahverkehr rechtlich und finanziell machbar ist. Eine genaue Aufschlüsselung der voraussichtlichen Bedarfsentwicklung, die Erkenntnisse darüber liefert, an welchen Stellen welche Investitionen für zusätzliche Kapazitäten nötig sind, konnte im Rahmen der Studie jedoch nicht geleistet werden. Damit ein fahrscheinloser ÖPNV infrastrukturell und von den Verkehrsunternehmen angemessen geplant und vorbereitet werden kann, soll der Senat eine Umsetzungsstudie beauftragen, die verkehrszellengenau und mittels mathematischer Modellierung unter umfassender Beteiligung der Berliner*innen sowie aller anderen Akteure die Auswirkungen eines fahrscheinlosen ÖPNV prognostiziert. Die entsprechenden Daten können mit einem zeitlich (und möglicherweise räumlich) begrenzten Pilotversuch erhoben werden. Hierfür sind vom Senat von Berlin das nötige Budget zu bestimmen und in die Beratungen zum Haushaltsplan für die Jahre 2018 und 2019 einzubringen. Beteiligung der Bürger*innen an Ihrem ÖPNV ermöglichen Wenn alle potenziellen und tatsächlichen Nutzer*innen sowie die Nutznießer*innen den ÖPNV solidarisch finanzieren, haben sie auch das Recht, an Entscheidungen über das Nahverkehrsangebot maßgeblich teilzuhaben. Somit ist mit einem solidarisch finanzierten, fahrscheinlosen ÖPNV die Chance verbunden, den ÖPNV der anonymen Verfügungsmacht von Politik, Verwaltung und Unternehmensberatungen zu entziehen und den öffentlichen Nahverkehr als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge zurück in die Hände der Berliner*innen zu legen. Um eine umfassende Beteiligung an der Planung und Ausgestaltung des Berliner ÖPNV zu gewährleisten, müssen zunächst die Inhalte der Verkehrsverträge mit den beauftragten Verkehrsunternehmen zugänglich gemacht werden. Der Senat ist dafür verantwortlich, dass diese Verträge im Sinne der Transparenz und Informationsfreiheit der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Beteiligung darf sich nicht auf eine Abstimmung mit Unternehmen, mit der Fachöffentlichkeit und mit Lobbygruppen beschränken, die weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Federführung weitgehend intransparent agierender Beratungsunternehmen stattfindet. Stattdessen muss eine wirkliche Beteiligung auch die Berliner Bevölkerung und deren Basisinitiativen frühzeitig, umfassend und verbindlich in die Entscheidungsfindung zur Angebotsplanung einbeziehen. Neben regelmäßigen Einwohner*innen-Versammlungen, in denen nicht nur fertige Konzepte vorgestellt, sondern bei denen die Berliner*innen auch in Entscheidungen einbezogen werden, eignen sich innovative Verfahren wie Planungszellen und Bürgergutachten, regelmäßige Online-Dialoge oder kollaborative Verfahren zur Netzplanung. Außerdem müssen die Interessen der Fahrgäste, der Nutznießer*innen sowie der Fachverbände angemessen im Aufsichtsrat der BVG A.ö.R. vertreten sein. 9 Darüber hinaus gilt es, in mehreren Stufen sowohl niedrigschwellige Beteiligungsverfahren als auch verbindliche Mitentscheidungsmöglichkeiten zu entwickeln, deren Relevanz sich in den politischen und verwaltungstechnischen Entscheidungen auf Bezirks- und Landesebene widerspiegelt. Diese Beteiligungs- und Mitentscheidungsverfahren sind für das Aufsetzen neuer Verkehrsverträge, für die im StEP Verkehr 2025 formulierten Vorgaben und Handlungskonzepte sowie für die Fortschreibung des Nahverkehrsplans festzulegen. Verkehrswende planen Ein fahrscheinloser ÖPNV bietet gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, indem er ungehinderten und diskriminierungsfreien Zugang zu Mobilität ermöglicht. Er ist zugleich ein wichtiger Schritt in Richtung einer Verkehrswende, wenn er in ein integriertes Verkehrskonzept eingebettet wird. In den geltenden Strategiepapieren und Plänen des Berliner Senats – von der Fußverkehrs- und der Radverkehrsstrategie über den Luftreinhalteplan und den Stadtentwicklungsplan Verkehr bis hin zum Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm – sowie in Forderungen und konzeptionellen Beiträgen aus der Zivilgesellschaft wie zuletzt vom Volksentscheid Radverkehr sind wichtige Leitlinien einer solchen Neugestaltung bereits formuliert. Um diese und darüber hinausgehende Leitlinien auch tatsächlich umsetzen zu können, sind nicht nur ausreichend Finanzmittel und Personal notwendig, sondern auch verbindliche Umsetzungskonzepte mit konkreten Planungsvorgaben und Zeitplänen, die gemeinsam mit den Bezirken, den Verbänden und den relevanten Akteur*innen der Verkehrsplanung und unter umfassender Beteiligung der Berliner Bevölkerung erarbeitet werden: • Umsetzungskonzept Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur • Umsetzungskonzept Rad- und Fußverkehrsförderung • Umsetzungskonzept barrierearme Umgestaltung des Straßenraums • Umsetzungskonzept für eine Einschränkung des Autoverkehrs durch Rückbau oder Verengung von Straßen, die Verkehrsberuhigung von Nebenstraßen und öffentlichen Plätzen sowie durch Geschwindigkeitsbegrenzungen • Umsetzungskonzept für eine flächendeckende Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf die Berliner Innenstadt und auf Zentren in der äußeren Stadt sowie Vorbereitung einer City-Maut bzw. einer verschärften Umweltzone, um Autofahrer*innen angemessen an den direkten und indirekten Kosten des Autoverkehrs zu beteiligen. Stufe 3: Verkehrsinfrastruktur neu gestalten (2021–2030) Im Jahr 2021 fährt ein Großteil der Fahrgäste in Berliner Bussen und Bahnen solidarisch. Damit haben deutlich mehr Menschen einen deutlich günstigeren Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln als heute. Durch die stabileren Einnahmen der Verkehrsunternehmen aus den Solidartickets, die zusätzlichen Finanzmittel aus der Nahverkehrsabgabe und durch die 10 verabschiedeten Umsetzungskonzepte für einen massiven Ausbau des ÖPNV und für einen Umbau des Berliner Straßenlands werden mit dieser dritten Stufe nun die tatsächlichen infrastrukturellen Voraussetzungen für einen fahrscheinlosen Nahverkehr geschaffen. Die Ausweitung des Solidarmodells auf weitere Nutzer*innengruppen ist nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum komplett fahrscheinlosen Nahverkehr. Aufbauend auf den Ergebnissen der nun vorliegenden Umsetzungsstudie entwirft der Senat im Dialog mit den Verkehrsbetrieben ein Konzept für einen sozial gestaffelten solidarischen ÖPNV-Beitrag für Berliner*innen und Übernachtungsgäste, der langfristig, spätestens ab dem Jahr 2030, die Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf ersetzt. Verkehrswende baulich umsetzen Über viele Jahre wurde die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin nur unzureichend instandgehalten und kaum ausgebaut. Nach den gegenwärtigen Planungen werden bis 2020 höchstens 5,7 zusätzliche Kilometer Straßenbahn-, 2,2 Kilometer U-Bahn- und rund 4 Kilometer S-Bahn-Strecke fertig gestellt. Ob der geplante barrierefreie Umbau aller 173 U-Bahnhöfe in Berlin und aller 166 S-Bahnhöfe in Berlin und Brandenburg sowie der Straßenbahnhaltestellen gelingt, steht noch in den Sternen. Das Ergebnis dieser zögerlichen Infrastrukturplanung ist ein erheblicher Sanierungs- und Modernisierungsstau. Die Folgen sind Kapazitätsengpässe insbesondere in der Innenstadt und ein lückenhafter Zugang zum ÖPNV in den Außenbezirken. Mit den zusätzlichen Einnahmen aus der Nahverkehrsabgabe und den erhöhten Einnahmen aus den solidarischen Ticketmodellen stehen finanzielle Mittel bereit, um das Berliner Nahverkehrsangebot dem erhöhten Bedarf entsprechend auszubauen, der in der Umsetzungsstudie für einen fahrscheinlosen ÖPNV ermittelt wurde. Allein aus der Nahverkehrsabgabe stehen in zehn Jahren mindestens 2,5 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung. Zum Vergleich: Bei der Umsetzung aller Langfristvorhaben für den Straßenbahn-Neubau im StEP Verkehr 2025 würden nach aktuellen Schätzungen Kosten von rund 630 Mio. Euro entstehen. Die Schwerpunkte des ÖPNV-Infrastrukturausbaus liegen darauf, flächendeckend den laut Nahverkehrsplan üblichen Einzugsradius von maximal 300 Metern bis zum nächsten ÖPNV-Haltepunkt zu verwirklichen. Im gesamten Stadtgebiet Berlins fahren dann Busse und Bahnen im Takt von maximal 10 Minuten. Die Kapazitäten auf überlasteten Strecken in der Innenstadt werden erhöht, zusätzliche Schienen- und Busverbindungen geschaffen und Neubaugebiete angemessen an das ÖPNV-Netz angeschlossen. Innerhalb des Umweltverbunds verschiedene Verkehrsmittel miteinander zu kombinieren, wird mit Mobilitätsstationen, Fahrradparkhäusern und einem leistungsfähigen Leihfahrradsystem ermöglicht. Zeitgleich zur Modernisierung und zum Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur wird der Straßenraum entsprechend der erarbeiteten Umsetzungskonzepte umgestaltet. Dabei gilt die Maßgabe, dass der Rück- und Umbau von Straßen möglichst aus Mitteln finanziert wird, die im Straßenraum erhoben wurden, d.h. vorwiegend aus einer Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung, aus einer intensivierten Kontrolle von Falschparken und Geschwindigkeitsverstößen, aus Stellplatzgebühren für private Parkhäuser und Parkplätze sowie möglicherweise aus einer datenarm auszugestaltenden City-Maut. 11 Vorbereitung eines solidarischen ÖPNV-Beitrags Mit der weitgehenden Einführung von Solidartickets wurde die Nutzerfinanzierung des ÖPNV schon größtenteils auf eine Umlagefinanzierung umgestellt. Dieses noch auf der Ausgabe von Fahrscheinen beruhende Übergangsmodell wird bis zum Jahr 2030 durch einen solidarischen ÖPNV-Beitrag aller Berliner*innen und Übernachtungsgäste ersetzt. Wir schlagen hierfür ein vierstufiges, sozialverträgliches Beitragsmodell vor: • Beitragsbefreiung für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie alle bisher vom Fahrgeld befreiten Bevölkerungsgruppen; • Ermäßigter Beitrag I von 15 Euro im Monat für Schüler*innen über 18 Jahren, Absolvierende eines Freiwilligen Sozialen/Ökologischen Jahres oder des Bundesfreiwilligendienstes sowie für Empfänger*innen von Transferleistungen und von Wohngeld; • Ermäßigter Beitrag II von 20 Euro im Monat für alle Studierenden und Auszubildenden an Berliner Hochschulen bzw. in Berliner Betrieben; • Regulärer Beitrag von 35 Euro im Monat – gilt für alle Berliner*innen, die weder zu einem ermäßigten Beitrag berechtigt noch ganz vom Beitrag befreit sind. Übernachtungsgäste in Hotels, Hostels, Pensionen, Ferienwohnungen, Jugendherbergen und auf Campingplätzen leisten mit dem solidarischen ÖPNVBeitrag in Höhe von 1,50 Euro pro Nacht, aufbauend auf dem inzwischen bereits etablierten Gästeticket, nun verpflichtend ihren Anteil an der Finanzierung des Nahverkehrs. Um ein solches solidarisches Beitragsmodell umsetzen zu können, muss vom Senat eine umfassende Handlungsoffensive gestartet werden mit dem Ziel, den solidarischen ÖPNV-Beitrag im Jahr 2030 einzuführen. Folgende Schritte müssen dafür unternommen werden: 1. Beitragserhebung: Der Senat arbeitet ein Konzept aus, wie ein ÖPNV-Beitrag unbürokratisch, datenarmen und nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip erhoben werden kann und welche Landesbehörde dies im Auftrag des Landes Berlins tun soll. Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit ist dabei zu beteiligen. 2. Kalkulation der Beitragshöhen: Der ÖPNV-Beitrag stellt neben den bestehenden, dynamisch anzupassenden staatlichen Zuschüssen aus Bundes- und Landesmitteln und der Nahverkehrsabgabe als Finanzierungsanteil der Nutznießer*innen die dritte Finanzierungssäule eines fahrscheinlosen ÖPNV dar. Die aus dieser Säule zu erzielenden Einnahmen ergeben sich entsprechend aus der Differenz der ÖPNV-Kosten und den bereits bestehenden Einnahmen aus staatlichen Zuschüssen und Nahverkehrsabgabe. In die Beitragskalkulation gehen die seit Einführung der Solidartickets gewonnenen Erkenntnisse ebenso ein wie die Ergebnisse der Umsetzungsstudie zum fahrscheinlosen ÖPNV. Zusätzlich muss geprüft werden, in welcher Höhe die bisherigen Kosten für die Herstellung, den Vertrieb und die Kontrollen von Fahrscheinen sowie für die Einforderungen von Strafzahlungen und die damit verbundenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten bis hin zu den Haftkosten für die zu Ersatzstrafen verurteilten „Umsonstfahrer*innen“ beitragsmindernd zu berücksichtigen sind. 12 3. Einbeziehung von Pendler*innen: Um Pendler*innen aus dem Berliner Umland angemessen an der solidarischen Finanzierung zu beteiligen, gilt es innerhalb des VBB mit der Brandenburger Landesregierung und mit ÖPNV-Aufgabenträgern aus den umliegenden Landkreisen Brandenburgs Verhandlungen zu führen. Zu bevorzugen ist dabei eine Lösung, die das Modell des fahrscheinlosen ÖPNV über eine länderübergreifende solidarische Beitragsfinanzierung auf die umliegenden Landkreise ausdehnt. Alternativ könnten Pendler*innen auch über Ausgleichszahlungen zwischen den Verkehrsunternehmen innerhalb des VBB einbezogen werden. Dafür müsste das bestehende System der Einnahmeaufteilungen so angepasst werden, dass die Verkehrsunternehmen einen angemessenen Ausgleich für die vom fahrscheinlosen ÖPNV profitierenden, nach Berlin pendelnden Brandenburger*innen erhalten. Stufe 4: Fahrscheinloses Berlin 2030 verwirklichen. 13 Zusammenfassung Fahrscheinloses Berlin 2030 Stufenplan zur Einführung eines fahrscheinlosen ÖPNV in Berlin Eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben setzt Mobilität voraus. Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus will allen, die sich in Berlin aufhalten, ermöglichen, sich ungehindert und umweltschonend in der Stadt zu bewegen: unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Aufenthaltsstatus, ihrem Alter oder einer körperlichen Einschränkung. Ein fahrscheinloser öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), eingebettet in eine soziale und ökologische Verkehrswende, ist unser Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Im Juni 2015 haben wir eine „Grundlagen- und Machbarkeitsstudie: Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin“ vorgestellt, die zeigt: Ein solidarisch finanzierter Nahverkehr ohne Fahrscheine ist rechtlich und finanziell machbar. Nun legt die Piratenfraktion einen detaillierten Stufenplan vor, wie ein Fahrscheinloses Berlin im Jahr 2030 Wirklichkeit werden kann. Dafür gilt es jetzt die notwendigen Schritte einzuleiten. Mit unseren parlamentarischen Anträgen „Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin“ (I bis IV) geben wir der rot-schwarzen Koalition hierfür die Gelegenheit. Stufe 1: In den Jahren 2016 bis 2018 wird die ÖPNV-Finanzierung neu geordnet und auf sichere Füße gestellt: Säulen der ÖPNV-Finanzierung 1 030 Mio € Umlagefinanzierung 2014 ab 2018 bis 2030 686 Mio € Staatliche Zuschüsse aus Bundes- und Landesmitteln min. 256,5 Mio € Nahverkehrsabgabe ab 2018 Ausgleichsleistungen Rentenzahlungen Investitionsmittel Säule 1 Arbeitgeber*innen, Tourismus, Einzelhandel, Veranstaltung, Immobilien, MIV. Säule 2 Fahrgeldeinnahmen Solidarmodelle Semesterticket Säule 3 Fahrgeldeinnahmen Solidarmodelle Semesterticket Freiwillige Solidarmodelle: Schulticket Jobticket Gästeticket Solidarischer ÖPNV-Beitrag Beitragsbefreiung Ermäßigter Beitrag I 15€ Ermäßigter Beitrag II 20€ Regulärer Beitrag 35 € Gästebeitrag 1,50€/Nacht Freiwillige Solidarticketmodelle für Schüler*innen, Auszubildende, Arbeitnehmer*innen und Übernachtungsgäste bedeuten den Einstieg in eine solidarische ÖPNV-Finanzierung. So werden Busse und Bahnen für einen Großteil der Fahrgäste deutlich günstiger und damit attraktiver. Gleichzeitig profitieren die Verkehrsunternehmen von wachsenden und kalkulierbare Einnahmen. Eine Nahverkehrsabgabe beteiligt Nutznießer*innen des ÖPNV an dessen Finanzierung. Die zusätzlichen Einnahmen von mindestens 2,5 Mrd. Euro in zehn Jahren ermöglichen dringend nötige Investitionen in Erhalt, Ausbau und Verbesserung der ÖPNV-Infrastruktur. Voraussetzung für die Einführung von kommunalen Beiträgen als neues Finanzierungsinstrument sind entsprechende Gesetzesänderungen des ÖPNV- sowie des Gesetzes über Gebühren und Beiträge. Chronologie zum fahrscheinlosen ÖPNV Neuordnung 2016 – Stufe 1 • Vorbereitung der Freiwilligen Solidarticketmodelle • gesetzliche Grundlagen für Beitragsfinanzierung des ÖPNV • Vorbereitung der Nahverkehrsabgabe • soziale Fahrpreisgestaltung Übergangsphase 2018 – Stufe 2 • schrittweise Einführung der Freiwilligen Solidartickets und der Nahverkehrsabgabe • Studie zur Umsetzung eines fahrscheinlosen ÖPNV • Verkehrswende planen: Umsetzungskonzepte zur Neugestaltung der Verkehrsinfrastruktur Einführung Investitionsprogramm 2021 – Stufe 3 • Verbesserung und Erweiterung der ÖPNV-Infrastruktur • Neugestaltung des Straßenraums zugunsten des Umweltverbunds • Vorbereitung des solidarischen ÖPNV-Beitrags Stufe 2: Der Übergang zum fahrscheinlosen ÖPNV vorbereitet: Eine detaillierte Umsetzungsstudie im Auftrag des Senats, einschließlich eines zeitlich begrenzten Pilotbetriebs, untersucht die zu erwartende Nachfrage und ermittelt den Investitionsbedarf. Auf dieser Grundlage werden gemeinsam mit den Bezirken und unter umfassender Beteiligung bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode im Jahr 2021 verbindliche Umsetzungskonzepte die Verbesserung der ÖPNV-Infrastruktur und für eine Neugestaltung des Straßenraums erarbeitet. Stufe 3: Im Jahr 2021 startet ein zehnjähriges „Investitionsprogramm Fahrscheinloses Berlin 2030“, das mit den zusätzlichen Einnahmen aus der Nahverkehrsabgabe die infrastrukturellen Grundlagen für einen fahrscheinlosen ÖPNV legt. Währenddessen wird mithilfe einer wissenschaftlichen Studie ein datenarm und unbürokratisch zu erhebender, solidarischer ÖPNV-Beitrag aller Berliner*innen und Übernachtungsgäste vorbereitet. Stufe 4: Spätestens im Jahr 2030 wird der fahrscheinlose ÖPNV in Berlin eingeführt. Damit können alle, die sich in Berlin aufhalten, den ÖPNV ohne Tarifhindernisse nutzen. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Schwerbehinderte fahren im fahrscheinlosen ÖPNV umsonst. Knapp ein Drittel aller Berliner*innen – Empfänger*innen von Transferleistungen, Auszubildende und Studierende – zahlt einen ermäßigten Beitrag von 15 bzw. 20 Euro. Alle anderen Berliner*innen zahlen 35 Euro im Monat und alle Übernachtungsgäste 1,50 Euro pro Nacht. 2030
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