SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Claudia Roth (Grüne), Vizepräsidentin des Bundestages, gab heute, 13.05.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten: Dafür UND dagegen?“ Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 13.05.2016 Grüne zu sicheren Herkunftsstaaten: Versuch, Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen Baden-Baden: Im Streit um die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten hat die Grünen-Politikerin Claudia Roth die geschlossene Ablehnung ihrer Partei heute im Bundestag angekündigt. Roth, sagte im Südwestrundfunk (SWR), mit Blick auf die noch anstehende Abstimmung über das Gesetz im Bundesrat, es werde nicht funktionieren, von einer unglaubwürdigen Haltung der Grünen zu sprechen. Auch im grün-schwarzen Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg stehe eindeutig, dass es nur eine Erweiterung geben könne, wenn es verfassungsrechtliche, hohe Voraussetzungen gebe. Ministerpräsident Kretschmann habe immer gesagt, die verfassungsrechtliche Kompatibilität wolle er erst überprüfen. Es stimme nicht, dass es bei fairen Verfahren und der Prüfung des Einzelfalls bleibe. Die Verfahren würden deutlich beschleunigt. Es gebe massive Beschränkungen von Verfahrensrechten, von Rechtsschutz und von sozialen und wirtschaftlichen Rechten. Und genau das widerspreche auch den gesetzlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts oder vor allem des Europäischen Gerichtshofs und der europäischen Verfassungsrichtlinie. Die besage, es dürfe kein Verbot von Flüchtlingen wegen ihrer Herkunft geben. Roth sagte, man könne nicht sagen, „Flüchtling aus Algerien ist weniger Wert als Flüchtling aus Eritrea“. Wortlaut des Live-Gesprächs: Gediehn: Grüne Zustimmung im Bundesrat zu einer länger werdenden Liste sicherer Herkunftsstaaten - es wäre das dritte Mal im Juni. Aber so oder so angesichts der ersten beiden Male: Wie glaubwürdig ist denn da heute Vormittag die Kritik aus Ihrer Fraktion im Bundestag? Roth: Sehr glaubwürdig, weil ob und was der Bundesrat macht, ist überhaupt noch nicht entschieden. Heute ist es auf jeden Fall so, dass im Bundestag die Grüne Fraktion geschlossen gegen den Versuch, das Grundrecht auf Asyl weiter auszuhöhlen, stimmen wird. Es gibt keine Stimme für die Ausweitung dieses von mir grundsätzlich in Frage gestellten Prinzips der sicheren Herkunftsländer. Denn Algerien, Marokko und Tunesien erfüllen aus meiner Sicht nicht die verfassungsrechtlichen und die unionsrechtlichen Voraussetzungen, die eine Ausweitung möglich machen würde. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Gediehn: Sie haben das Stichwort „verfassungsrechtlich“ gebracht. Sollte dieses Gesetz kommen, werden Sie denn dagegen vorgehen? Roth: Ja, erst mal wollen wir versuchen, dass es verhindert wird. Denn was sagt unsere Verfassung: Unsere Verfassung sagt, dass es nicht sein kann, dass Menschen in einem Land verfolgt werden, auch eine spezifische Gruppe verfolgt werden. Sondern, es wird verlangt, dass es landesweit Sicherheit gibt vor politischer Verfolgung für alle Personen und für alle Bevölkerungsgruppen. Ich nehme ich mal eine Gruppe, die nun in allen drei Ländern massiv diskriminiert, verfolgt, gedemütigt wird, das sind die Schwulen, Lesben, Transgender. Da kann es natürlich auch nicht sein, dass man dann sagt, ja dann müsst ihr eben im Verborgenen eure sexuelle Identität leben. Sondern es muss möglich sein, dass ein Mensch frei und offen leben kann, ohne dass er dadurch eingeschränkt wird oder Konsequenzen zu fürchten hat. Gediehn: Das ist natürlich weltweit leider nicht der Fall, in sehr, sehr, sehr vielen Ländern. Die Regierung sagt, es bleibt auch in diesen, jetzt möglicherweise neuen, sicheren Herkunftsstaaten bei Menschen die zu uns kommen und so etwas angeben, bei fairen Verfahren, bei der Prüfung des Einzelfalls. Roth: Das stimmt nicht. Die Verfahren werden deutlich beschleunigt. Es gibt massive Beschränkungen von Verfahrensrechten, von Rechtsschutz und von sozialen und wirtschaftlichen Rechten. Und genau das widerspricht auch den gesetzlichen Vorgaben oder den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts oder vor allem des Europäischen Gerichtshofs und der europäischen Verfassungsrichtlinie, die nämlich sagt, es darf kein Verbot geben von Flüchtlingen, wegen ihrer Herkunft. Also man kann jetzt nicht sagen: „Flüchtling aus Algerien ist weniger Wert als Flüchtling aus Eritrea“. Deswegen finde ich auch sehr, sehr richtig, dass Winfried Kretschmann immer gesagt hat, für ihn ist die Voraussetzung für eine Zustimmung, die verfassungsrechtliche Kompatibilität und die will er erst mal überprüfen und wir auch. Gediehn: Schauen wir auf das Bundesland von Winfried Kretschmann. Seit Januar durchlaufen Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten in Baden-Württemberg schon ein spezielles Verfahren. Binnen 48 Stunden sollen sie registriert, untersucht, vom Bundesamt für Migration befragt werden. Sie bleiben auch in den Erstaufnahmestellen des Landes, getrennt von anderen Flüchtlingen. Das ist Realität, aber ist das noch Grün? Roth: Was richtig ist, ist, dass man versucht, die Verfahren zu beschleunigen. Es ist nämlich wirklich schrecklich, wenn Menschen Wochen, monatelang ein Damoklesschwert über sich haben. Aber es wird auf keinen Fall praktiziert à la sicherer Herkunftsstaaten. Gediehn: Wir haben auch hier schon jetzt die Unterscheidung nach Herkunftsgruppen und Ländern, wie auch immer man das Konstrukt nennen mag. Roth: Die haben wir in ganz Deutschland, dass man sagt, Menschen aus Syrien, aus dem Irak, aus Eritrea haben eine höhere Wahrscheinlichkeit der Anerkennung. Andere Geflüchtete habe eine geringere, das heißt, es soll insgesamt beschleunigt werden, aber es heißt nicht, dass man ihre Verfahrensrechte, ihren Rechtschutz und ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte einschränkt. Deswegen bin ich sehr kritisch insgesamt, was den Versuch der Entrechtung von Flüchtlingen angeht. Aber was nicht funktioniert ist, das man jetzt sozusagen sagt, es gibt eine unglaubwürdige Haltung von Seiten der Grünen, denn auch im grün-schwarzen Koalitionsvertrag Baden-Württemberg steht eindeutig drin, dass es nur eine Erweiterung geben kann, wenn es verfassungsrechtliche, hohe Voraussetzungen dafür gibt. Und die sind noch nicht vorgelegt worden, da warten wir drauf. Die Bundesregierung hat diese Voraussetzungen uns nicht vorgelegt, das Auswärtige Amt muss deutlich sagen, wie es die Lage in den drei Ländern einschätzt, im Maghreb. Ich glaube, man kann nicht davon sprechen, dass Gruppen wie Journalisten, wie Blogger, wie Menschenrechtler, vor allem übrigens auch wie Frauen, sicher seien. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Gediehn: Trotzdem noch einmal nachgefragt: Sie erkennen an, dass man bei Menschen, denen man helfen will, priorisieren darf nach Hilfsbedürftigkeit? Roth: Ich erkenne nicht an, dass man unterscheidet. Und ich glaube, dass sich das auch schlecht auswirkt, weil es innerhalb der Geflüchteten tatsächlich zu Spannungen kommt. Die sagen: Warum? Ich komm aus Afghanistan, ich hab doch auch Gründe. Aber das war sicher geschuldet, den Maßnahmen als sehr viele Menschen zu uns gekommen sind. Heute soll ja im Bundestag eine Ausweitung eines Instruments passieren, dass von Staatsseite aus ein Land als sicher erklärt, was mit der individuellen Rechtsgebung durch das Grundrecht auf Asyl aus meiner Sicht nichts mehr zu tun hat. Wie kann ein Staat erklären, aus innenpolitischem Interesse, ein Land ist sicher und nicht in den Vordergrund stellen die Frage, ob jeder Einzelne, jede einzelne Person für sich individuell tatsächlich sicher ist. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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