SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Max Reger, der Falstaff der Musik Teil 3 Von Thomas Rübenacker Sendung: Mittwoch, 11. Mai 2016 Redaktion: Bettina Winkler (Wiederholung von 2014) 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Anni Frind singt es, über die Jürgen Schaarwächter vom Karlsruher Max-Reger-Institut schreibt: „Frind zog sich von allen Auftritten zurück, als der Krieg ausbrach, um nicht mit den Nazis kollaborieren zu müssen. Heutzutage ist sie nahezu völlig vergessen, aber trotz ihrer geringen Zahl von Platteneinspielungen stand sie einmal im Ruf einer der höchstgeschätzten lyrischen Soprane im Deutschland der 1920-er und 30-er Jahre.“ MUSIK: REGER, DES KINDES GEBET, CD 1, TRACK 13 (2:29) (Absage) Im Oktober 1896, als 23-Jähriger, tritt Max Reger seinen Militärdienst in Wiesbaden an, als „Einjährig Freiwilliger“ im 80. Infanterie-Regiment. Das ist, je nach Perspektive, eine Katastrophe oder eine Farce, etwas wie die Kinoklamotten der 50-er Jahre, „Schütze Bumm muss in den Knast“ oder „Piefke, der Schrecken der Kompanie“. Er hatte ja bereits kleine künstlerische Erfolge gehabt, und der Stumpfsinn beim Kommiss ödet ihn so an, dass er eigentlich nur zum Küchendienst verwendbar ist: Für alles andere ist er entweder zu betrunken oder zu tapsig; beim Dienst an der Waffe fürchten einige sogar, der Schütze Reger könnte versehentlich auf die eigenen Leute schießen … Aber die Militärzeit ist ohnehin nur der Auftakt zu einer größeren Lebenskrise, die Depressionen bleiben, der Alkoholismus nimmt zu, die Schulden tun es ebenfalls. Wenig später holt ihn seine Schwester Emma ins Elternhaus nach Weiden zurück: Sie befürchtet sonst seinen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Zusammenbruch. Aber die „Große Krise“ wird zum bestimmenden Faktor seiner Selbstfindung, sie hilft, seine Ästhetik zu definieren – frei nach dem alten Motto: „Was mich nicht umbringt, macht mich 3 stärker.“ In dieser Zeit komponiert Reger sein Opus 27, eine Phantasie über den Bach-Choral „Ein' feste Burg ist unser Gott“, womit schon Mendelssohn seine „Reformations“-Symphonie glorios beschloss. Das Stück ist knapp 14 Minuten lang, aber ich möchte es Ihnen ganz vorspielen: Damit Sie hören, was ein 25Jähriger, der in einer tiefen Depression gefangen ist und obendrein körperlich hochlabil, auf seinem Lieblingsinstrument, der Orgel, noch alles in Bewegung setzen kann. MUSIK: REGER, CHORALPHANTASIE „EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT“, CD 2, TRACK 1 (13:40) Reger pur: eine seiner stärksten Choralphantasien, über „Ein' feste Burg ist unser Gott“ op. 27, abgetrotzt dem Jahr seiner größten Krise, 1898, da war er 25 Jahre alt. Bernhard Buttmann spielte auf der Max-Reger-Orgel von St. Michael in Weiden in der Oberpfalz – mithin auf einem Instrument, an dem rund 100 Jahre zuvor noch Reger selber gesessen hatte. Die Folgen der großen Krise, ausgelöst von Nichtverstandenwerden, ungeliebter Brotarbeit, drögem Klavierunterricht, Schuldenmachen, Krankheit und wachsendem Alkoholismus, beschreibt Susanne Popp, die Direktorin des Karlsruher Max-Reger-Instituts, wie folgt: „(Er) ist (…) an der Krise gewachsen. Die Selbstgewissheit, es als Komponist zu Großem zu bringen, ist ungebrochen, ja, vielleicht als Trotzreaktion auf die Zweifel seiner nächsten Umgebung, sogar gestärkt. Zu sicher ist ihm das Geschenk seines Talents, zu stark spürt er die Verpflichtung, dieses auch zu nutzen. Bewusst ist ihm auch, dass nur er allein es schaffen wird, dass er ohne Hilfe 'den eigenen Weg' gehen muss. So tritt er uns als gestärkter Mensch entgegen, der allerdings ohne diese Vorgeschichte, ohne Verletzungen und Krisenzeiten, nicht so geworden wäre, wie er sich um 1900 zeigt: feinfühlig und polterig zugleich, bärbeißig und selbstironisch, selbstbewusst und bestätigungssüchtig, umtriebig und ruhebedürftig, ein Mensch, der eigensinnig Abstand zu allem hält, was dem Verdacht des Gewohnten oder gar Gewöhnlichen ausgesetzt ist. Nach Überwinden der Versagensängste ist er zum wilhelminischen Leistungsethiker geworden, der von sich das Funktionieren einer Maschine verlangt; Komponieren und Musikmachen wird ihm zur Existenz, er kennt kein Abschalten, keinen Urlaub und wird sich als Interpret und Komponist in Personalunion früh verbrauchen.“ Nun, dabei fällt mir wieder Regers selbstironische Berufsbezeichnung „Accordarbeiter“ ein: Die bekommt vor diesem Hintergrund einen bitteren Nachgeschmack … Immerhin hat der Komponist, der von seinen beiden höchst konservativen Lehrern Lindner und Riemann als „Neoklassiker“ aufgebaut wurde, dem nach Bach und Beethoven eigentlich nur noch Brahms geheuer sein dürfte, inzwischen auch 4 seine wahre Ästhetik gefunden, sie passt zur Polystilistik der Jahrhundertwende. An Ferruccio Busoni schreibt Reger: „Ich nehme das Gute, wie es eben kommt. Und ist mir jede Parteilichkeit – Brahms contra Wagner – im Grunde höchst zuwider.“ In einem anderen Brief, diesmal an den Herzog Georg II. von SachsenMeiningen, bekräftigt er diese Haltung noch im Jahre 1912: „Ich, der ich mitten im Leben stehe, als Selbstschaffender mit beitrage zur weiteren Entwicklung unserer deutschen Musik, nehme eben das Große wo es ist u. blüht, ob es nun von Brahms oder Bruckner oder Wagner oder Strauß ist.“ Das bedeutet aber keineswegs: Epigonentum, sondern: Verbundenheit. In einer Zeit des nie vorher und nie nachher wieder so reichen musikalischen Pluralismus' ist es eher ein SichEinreihen, eher ein Zeichen von Demut. MUSIK: REGER, SERENADE, TRACK 2 (12:59; ACHTUNG! BITTE BEI 4:23 RASCH AUSBLENDEN (ZÄSUR)!; CA. 4:24) Was Max Reger nicht zum „Neoklassiker“ prädestinierte, zu dem ihn seine beiden Lehrer erziehen wollten, war weniger seine völlige Unlust zur Oper als vielmehr die Berührungsängste mit der Symphonik. Es gibt in seinem Oeuvre nur abgebrochene Versuche wie die zwei Kopfsätze zu einer D-dur-Symphonie (von 1890 beziehungsweise 1902), oder aber die wahre Absicht versteckt sich – ähnlich wie beim frühen Brahms – hinter verniedlichenden Titeln wie Serenade oder Sinfonietta. Die Sinfonietta von 1904, fast fünfzig Minuten lang und überinstrumentiert, stieß bei der Premiere in Essen (unter Felix Mottl) und dann, 1905, in München auf unverständige Ohren; die Kritiker unterstellten, Reger sei eben ein Orgel-, aber kein Orchesterkomponist, geschweige denn ein Symphoniker. Dabei hatte er seinen kompletten Erstling für Orchester einem Freund, dem Organisten Karl Straube, so angekündigt: „Die Ideen von diesem Werk strömen mir nur so von selbst zu; es wird urfidel, sehr witzig.“ Die Serenade Gdur op. 95, deren Anfang Sie gerade hörten, war dann eine Reaktion auf die Kontroverse: symphonisch im Anspruch, aber nicht im Titel; andererseits eine Komposition für Orchester vom Raffiniertesten, auch Stringendesten; immer noch sprudelnd von Einfällen, aber transparenter jetzt, ökonomischer in den Mitteln. Diesmal schreibt Reger an Georg Dohrn: „... ein höchst unschuldiges Ding, das so klar ist, dass es selbst dem dümmsten Kerl sofort eingehen muss.“ Hören wir uns noch den Schluss des sehr lebhaften ersten Satzes an, eines Allegro molto, übrigens in einer historischen Aufnahme aus dem Jahr 1943, mit den Berliner Philharmonikern unter dem größten Champion des Werkes, Eugen Jochum. MUSIK: REGER, SERENADE, TRACK 2 (DER REST: AB 4:26 BIS ENDE; CA. 8:33) Letztlich war klar, dass Reger die tiefe Depression nicht im Elternhaus würde überwinden können; es war vielmehr ein Ort zum „Überwintern“, zum Sammeln 5 der Kräfte, zur Vorbereitung. Eine Karriere würde er von hier aus nicht starten können – dazu bedurfte es einer Großstadt, Berlin, Hamburg oder Köln. Oder, da nächstliegend und bereits vertraut: München. Im September 1901 zieht er dort in die Wörthstraße, allerdings nicht allein: Seine Eltern und Schwester Emma ziehen mit, um auch weiterhin „ein Auge auf ihn zu haben“. Er importiert also, sozusagen, den Überwachungsverein „Elternhaus“. Das drückt aufs Gemüt. Umso erfreulicher, dass Elsa von Bercken, der er Klavierunterricht erteilt und die sein jahrelanges Werben um sie immer abgeschmettert hatte, ihm nun, im Jahr 1902, doch noch das Jawort gibt. Zwar ist sie eine geschiedene Protestantin, was den Katholiken Reger automatisch exkommuniziert (eines von beidem hätte schon gereicht), aber hier bekommt er erstmals die Chance, seinen eigenen Hausstand aufzumachen. Er muss nur seinen Alkoholkonsum einschränken – was ihm zumindest anfangs auch gelingt. Die Ehe funktioniert; zwar bleibt sie kinderlos, aber später, in Leipzig, adoptiert man zwei Töchter. Und nach Regers frühem Tod verwaltet Elsa seinen Nachruhm beispielhaft, nicht wie die sprichwörtlichen Komponistenwitwen, die allen Nachgeborenen nur das Leben schwer machen. Elsa Reger ruft eine Stiftung ins Leben und fördert auch mit segnender Hand – und bisweilen harter Münze – die diversen Reger-Institute, auch das in Karlsruhe. Eine bessere Nachlassverwalterin hätte sich der Komponist gar nicht wünschen können. Aber einfach ist es zuerst einmal nicht, in München: zu sperrig ist die Figur Reger, zu komplex sein Werk. Richard Strauss, der bereits Arrivierte, hilft zwar, zum Beispiel mit der Suche nach Verlegern, und wird dafür mit gleich zwei Widmungen für Orgelwerke bedacht. Aber das bringt noch nicht den Erfolg. Regers Ambitionen überladen seine Stücke des öftern, und sein Stil ist kein einheitlicher, mühelos wiedererkennbarer – wie etwa der von Richard Strauss oder von Claude Debussy. Genau seine Aufgeschlossenheit für alles Neue wird Reger jetzt zum Verhängnis; wie im Leben will er auch in der Kunst zu viel „in sich hinein“ fressen, das führt zu Verwirrungen und irritierter Distanz. Carl Krebs, der Kritiker der Berliner Tageszeitung „Der Tag“, bringt es auf den Punkt: „Wenn mir ein neues Stück von Reger bevorsteht, kriege ich immer etwas Herzklopfen, denn man weiß nie, was da kommen wird (…); bald schreibt er unschuldsvoll wie ein zulpendes Kind, bald wieder so, dass man meint, die Ausführenden seien irrsinnig geworden oder gingen darauf aus, sich gegenseitig Possen zu spielen.“ Sein Ehrgeiz, in der Kammermusik jeden Spieler gleichberechtigt zu beschäftigen, keinem eine Atempause zu gönnen, sondern alles möglichst komplex im Fluss zu halten und die Entwicklung in allen Stimmen voranzutreiben (zweifellos ein Erbe der dominant kontrapunktischen Erziehung) – macht das Geschehen oft opak, nicht mehr nachvollziehbar oder, wie ein Kritiker sagte: „Man stelle sich ein Blatt Papiers vor, vollgekritzelt mit zahlreichen Linien, wobei sich erst bei näherer 6 Draufschau die Physiognomie einer Person herausschält.“ Das Klavierquintett cmoll op. 64 ist ein Beispiel für diese „Überfrachtung“. Das eigentlich gut eingespielte Hösl-Quartett, das die Münchner Uraufführung geben sollte, hatte schon bei den Proben beträchtliche Probleme mit der komplexen Struktur, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Premiere selbst zu Regers erstem satten Skandal wurde. Hinterher sprachen einige Spitzzüngige sogar von des Komponisten „Strafkammermusik“ … MUSIK: REGER, KLAVIERQUARTETT C-MOLL OP. 64 , NR. 3: LENTO (7:07) Max Regers erster großer Skandal: Das Klavierquintett c-moll op. 64, uraufgeführt am 1. Mai 1903 vom Hösl-Quartett, mit dem Komponisten selbst am Klavier. Hinterher sprechen spitze Zungen von Regers „Strafkammermusik“ … In unserer Aufnahme des langsamen Satzes, Lento addolorato e con gran affetto, spielten Karl Engel und das Benthien-Quartett.
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