Wort zum Monat Mai 2016

Spital Limmattal
Urdorferstrasse 100
CH-8952 Schlieren
Telefon 044 733 11 11
www.spital-limmattal.ch
MONATSWORT DER SEELSORGENDEN Mai 2016
Von allen Seiten umgibst du mich
Die Künstlerin Christel Holl hat diesem Bild den
Namen gegeben „Von allen Seiten umgibst du
mich“. Sie knüpft damit an den Psalm 139 an. Zuletzt habe ich dieses Bild im Rahmen eines Familiengottesdienstes zum Thema „Kleine Menschen unterwegs in der grossen weiten Welt“
verwendet. Es hing an der Tafel aus dem Untizimmer des Religionsunterrichtes, umgeben von
Bildern, die Flüchtlingskinder zeigen. Kinder, die
alleine – ohne Eltern und Verwandte – in diesen
Tagen, Wochen und Monaten auf der Flucht
sind. Inmitten dieser traurig und nachdenklich
stimmenden Bilder stellte das Bild von Christel
Holl einen echten Gegenpol dar. Am Ende des
Gottesdienstes waren alle Teilnehmenden dazu
eingeladen, ein Flüchtlingsbild und –kind, welches ihr Herz besonders berührte, mit nach Hause zu nehmen, ihm oder ihr einen Platz zu
geben und für die Zukunft mit Gebet und wohlwollenden Gedanken zu begleiten. Eine entsprechende Anzahl verschiedener Bildkopien lag auf dem Altar bereit. Nur nicht das Bild von Christel Holl, der abstrakte Mensch, der gleichzeitig in der Darstellung ganz unterschiedliche Sehnsüchte und Bedürfnisse hervorruft. Aber genau danach fragten ein Schüler und eine Mutter.
Die Sehnsucht, selbst in dieser Bildmitte zu sitzen und sich diesem Satz: „Von allen Seiten
umgibst du mich“ aussetzen zu dürfen, war grösser als alles andere.
Diese ganz allgemeine menschliche Sehnsucht ist ebenso wahr und Realität wie im erwähnten
Fall die allein umherziehenden Flüchtlingskinder. Jedes von ihnen möchten wir fraglos gerne
in die Bildmitte setzen und Gott mit seiner oder ihrer ganzen Lebenssituation ans Herz legen.
Und doch: Manchmal übertrifft die eigene Situation und Sehnsucht alles andere.
Und damit bin ich bei ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. In den Räumlichkeiten von Spital und
Pflegezentrum treffen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, Generationen, Kulturen und Mentalitäten aufeinander. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Patienten und Bewohner,
Angehörige, Freunde, Nachbarn… Ganze Lebensabschnitte oder aber Lebensübergänge werden hier verbracht, erlebt, geteilt oder gar erlitten. Lebenszeiten und –abschnitte, die ganz
verschiedene Themen in sich tragen. Für keine liegt das Leben mehr in seiner ganzen Fülle
an Möglichkeiten in der Zukunft. Die Alten unter uns dürfen bereits auf ein ganzes Leben mit
all den verschiedenen Abschnitten zurückblicken. Beim Blick zurück gilt es, manches auch
auszuhalten. Da gibt es die Abschnitte und Ereignisse, die sind gelungen, da haben wir etwas
realisieren können, wie wir es uns gewünscht und vorgestellt haben. Anderes war vielleicht
gut beabsichtigt und verlief dann trotzdem ganz anders. Wieder anderes haben wir gar nie
umsetzen können. Es hat sich nicht ergeben, die Umstände erlaubten es nicht. Das Alter konfrontiert nun mit verschiedenen Themen: Abschiede, Krankheit, Schwäche, Müdigkeit, Einsamkeit, Trauer – nicht nur über Verstorbene, sondern auch über nicht gelebtes Leben oder
ein Leben, dessen Endlichkeit und Begrenztheit mit den zunehmenden Jahren immer deutlicher spürbar wird.
Und dann gibt es weiter beim Gang durch die Generationen das so genannte „Mittelalter“ –
die Töchter- und Söhnegeneration unserer Bewohner aus dem PZ. Vom Alter stehen sie gerade „zwischen“ allen Zeiten. Nicht mehr ganz jung, aber sicher nicht alt. Vieles im Leben
Spital Limmattal
bereits realisiert, manche Enttäuschung ernüchternd erlebt, einige Lebenserfahrung gesammelt, nicht mehr einfach unbedingt ganz gesund und fit, auf der Schwelle in einen definitiv
weiteren Lebensabschnitt, der einmal nicht nur die goldene Herbstsonne kennen wird, sondern
auch klamme, feuchte, neblige Novembertage im Gemüt. „Wechseljahre“ – nicht umsonst
sprechen wir davon.
Und die junge Generation? Gehe ich mit offenen Augen durch unsere beiden Häuser, dann ist
diese Generation stark vertreten. Viele aufgeschlossene, wache, interessierte und lachende
Gesichter sind dabei, in die ich täglich blicken darf. Aber was heisst das? Zu Beginn meiner
Ausführungen war es ein Kind, welches sich in die einladende farbenfrohe Geborgenheit des
Bildes von Christel Holl hineinsehnte. Die junge Generation sehnt sich inzwischen oftmals bereits nach Entschleunigung. Der Erwartungsdruck im Privaten wie in der Arbeitswelt, der auf
ihnen lastet, ist gross. Das „Mittelalter“ mit den Themen „Depression & Burnout“ wirft dieser
Generation warnende und vielleicht auch bedrohliche Schatten voraus.
Ganz gleich, wohin wir nun vom Alter her gehören: In jeder und jedem von uns ist beim Anblick
dieses Bildes wohl das Bedürfnis oder vielleicht sogar eine echte Sehnsucht, dieser Mensch
im Zentrum des Bildes zu sein, sitzend in einem gleissend hellen Licht, aufblickend mit Perspektive und Horizont, gesehen und wahrgenommen, von einer Farbenfülle und Dynamik umgeben, die nahezu an einen Regenbogenwirbel erinnert. Der Regenbogen, der im Alten Testament einhergeht mit Zuspruch und Verheissung Gottes an den Menschen:
„Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und
den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen. Meinen Bogen setze ich
in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.“ Gen 9,12f
Als Seelsorgerin möchte ich uns allen dieses Bild von Christel Holl anbieten, damit wir regelmässig mit unserem Alltags- und Lebensgepäck darin Platz nehmen können, um uns dem
auszusetzen, was uns verheissen ist und so eindrücklich und verheissungsvoll in dieser Übersetzung des Psalm 139 zum Ausdruck kommt.
Gott, du kennst mich und weisst alles über mich.
Du begleitest jeden Schritt, den ich tue, bei jeder Bewegung siehst du mich.
Ob ich etwas tue oder ausruhe, du gibst auf mich Acht.
Wenn ich rede oder denke, immer spreche ich mit dir.
Von allen Seiten umgibst du mich.
Ich bin nur ein kleiner Mensch in der grossen Welt.
Und doch interessierst du dich so sehr für mich.
Es gibt keinen Ort, wo mich deine Hand nicht hält.
Auch wenn es dunkel ist, weisst du, wo ich bin.
Für dich ist die Nacht hell wie der Tag. Seit meiner Geburt kennst du mich.
Schon bevor ich geboren war, hast du an mich gedacht.
Vom ersten Lebenstag an warst du bei mir.
Und du weisst, wo mein Weg einmal hinführt.
Ich kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die von dir nichts wissen wollen.
Ich bitte dich Gott, dass du nie von meiner Seite weichst.
Bewahre mich vor falschen Wegen und führe mich zu einem guten Ziel.
aus: Martin Polster, Gib mir Wurzeln, lass mich wachsen
Kommen sie gut an, dort, wohin sie gerade unterwegs sind!
Christiane Burrichter