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Elisabeth Ertl, Florian Humer
Machs dir doch selbst!
Das Mietshäuser Syndikat in Österreich
"Machs dir doch selbst!" ist der Slogan eines syndikalistisch organisierten
Kollektivs, welches in Österreich seit jüngster Zeit selbstermächtigt
Nutzungseigentum schafft. Das sogenannte habiTAT will sich gegen die −−
gerade auf dem Wohnungsmarkt massiv auswirkende −− Profitorientierung
von Wohnbaukonzernen und global agierenden Immobilieninvestoren wehren,
indem es die Fäden jetzt selbst in die Hand nimmt. Als ein solidarischer
Zusammenschluss sozialgebundener Mietshausprojekte und −initiativen
möchte dieser Verbund −− nicht zuletzt durch seine ausgetüftelte
Rechtskonstruktion −− Wohn−, Arbeits− und Lebensraum aus der
Wirkungsmacht kapitalistischer Logiken befreien. Dabei geht es −− im
altgenossenschaftlichen Gedanken übrigens −− um die Vergemeinschaftung
und selbstermächtigte Aneignung von (Wohn−)Raum, welcher nachhaltig aus
dem Privateigentum gelöst und dadurch auch dem Spekulationsmarkt entzogen
wird. Es ist auch der Widerstand der Aktivisten und Aktivistinnen gegen
konventionelle und planmäßig vorgegebene Strukturen österreichischer
Wohnraumkultur und durch das selbstverantwortliche Tätigwerden zeigt sich
das klare Do−it−yourself−Grundverständnis der habiTäterInnen. Ein
Bottom−up−Prozess der sozio−kulturellen Wohnlandschaft also, in welchem
den Bedürfnissen der einzelnen AkteurInnen durch eine kollektive Aneignung
von Häusern und direkte partizipative Gestaltungsmöglichkeit entsprochen
wird. Es ist der Versuch aus der Mentalität einer Ellbogengesellschaft sowie
des unreflektierten Mainstream− und Konsumverhaltens auszubrechen, um
zeitgemäßen und selbstermächtigten Wohn− und Lebensformen Platz zu
machen. By the way entsteht dabei auch noch ein solidarisches Netzwerk, das
mit den patriarchalen Praktiken neoliberalen Wirtschaftens bricht.
Linz, Österreich. Photo: Stadtkommunikation Linz (Magistrat der Landeshauptstadt
Linz). Source: Wikimedia
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Alles nur geklaut!
... werden da Häuser besetzt? Oder: Wie bitte soll das gehen? Das habiTAT hat
seit Anfang 2014 daran gearbeitet die Struktur der deutschen Mietshäuser
Syndikats auf den österreichischen Rechtsraum zu übertragen. Denn das
Mietshäuser Syndikat macht selbstverwaltetes und solidarisches Wohnen
schon seit bald 25 Jahren vor. In diesem Dachverband organisieren sich derzeit
über 100 Hausprojekte mit an die 3000 BewohnerInnen und er unterstützt auch
ständig neue Projekte dabei sich Häuser kollektiv anzueignen. Die Idee des
Syndikats wurde unter dem Druck steigender Repression und
Zwangsräumungen in der HausbesetzerInnen−Szene am Anfang der 1980er in
Freiburg (D) geboren. Theoretisch inspiriert wurden die AktivistInnen zum
Gedanken einer Modellierung von selbstorganisierten
Hausaneignungsstrukturen beispielsweise durch Impulse von Klaus Novy
(Solidargemeinschaften für Wohnungsverwaltung und −neubau, 1982) und
Mathias Neuling (Auf fremden Pfaden: ein Leitfaden der Rechtsformen für
selbstverwaltete Betriebe und Projekte, 1980). Der wesentliche Gedanke des
Syndikatmodells ist Eigentum seinen EigentümerInnen zu entziehen und zu
vergemeinschaften, um über den eigenen Wohn−, Lebens− und Arbeitsraum
(mit−)bestimmen zu können. Ein Haus soll also von jenen selbstverwaltet
werden, die es nutzen und bewohnen. Dabei soll nicht nur die Handlungs− und
Wirkungsmacht über die eigene Lebensumgebung zurückerobert werden,
sondern in weiterer Folge auch leistbarer Wohnraum entstehen, welcher
soziale Ungleichheiten ausbalanciert. Das Modell lichtet folglich eine
politische Agenda ab, in der Fremdbestimmung vermieden wird und
demokratische Verhältnisse auf Augenhöhe strukturell überhaupt erst entstehen
können.
Dabei ist die Rechtsstruktur des Modells von sehr zentraler Bedeutung, denn
durch diese wird zum einen sichergestellt, dass die BewohnerInnen kein
persönliches Eigentum am Haus erwerben, trotzdem aber selbstverwaltet und
autonom leben können. Zum anderen wird ausgeschlossen, dass das Haus
jemals wieder in Privatbesitz gelangt und damit der Spekulation und
Gentrifizierungsprozessen entgegengewirkt wird. Dies gelingt −− fast schon
ironischerweise −− durch die Gründung einer Hausbesitz−GmbH, bei der der
Eigentumstitel des selbstverwalteten Hauses liegt. Als GesellschafterInnen der
GmbH treten dabei der Hausverein −− bestehend aus den BewohnerInnen bzw.
MieterInnen −− und der Dachverband des Syndikats −− in Österreich eben das
habiTAT −− auf. Dabei übernimmt der Hausverein die Geschäftsführung, die
Hausverwaltung, besitzt ein Vetorecht gegen den Verkauf des Objekts und
entscheidet über alle Belange des täglichen Zusammenlebens. Der
syndikalistische Verbund hingegen besitzt lediglich ein Vetorecht gegen einen
Verkauf des Hauses oder etwaige Gewinnausschüttungen und wird dadurch zur
Kontrollinstanz, um eine Spekulation mit dem Objekt auszuschließen. Mit der
Übertragung des Werteigentums auf eine so gestaltete juristische Person
werden alle Rechte natürlicher Personen soweit eingeschränkt, dass niemand
aus einem Verkauf des Hauses Profit schöpfen kann. Aus privatem Kapital,
dessen −− oft einziger − Zweck die eigene Vermehrung ist, entsteht ein
Nutzungseigentum, das auf den Erhalt und die Verbesserung der
Lebensqualität ausgerichtet ist. Die BewohnerInnen des Hausprojekts sind
gleichzeitig MieterInnen und dabei ihre eigenen VermieterInnen. Es wird kein
privater Besitz erworben, sondern weiterhin Miete bezahlt, und gleichzeitig
kann über den eigenen Wohnraum selbst bestimmt und dieser frei gestaltet
werden.
Solidarität!
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Der Dachverband hat neben den Vetorechten gegen die Verwertung der
Immobilien noch eine weitere zentrale Aufgabe. Er dient als Solidarnetzwerk,
welches innerhalb bestehender Projekte, vor allem aber für neue Projekte den
Transfer von Know−how und finanziellen Mitteln sicherstellt. Eine wichtige
Basis dieses Austausches ist der Solidarbeitrag, der in die Mieten bestehender
Projekte eingerechnet ist. Dieser fließt in den Syndikatsdachverband, um neue
Projekte in der Anschubfinanzierung zu unterstützen und die kapitalmäßige
Beteiligung des Dachverbands an den einzelnen Projekt−GmbHs zu
ermöglichen. Der Grundgedanke ist dabei, dass ein Teil des durch die Tilgung
der Kredite über die Jahre entstehenden finanziellen Freiraums dazu verwendet
werden soll, noch mehr Häuser vom Markt zu nehmen oder auch neue
Gebäude zu bauen.
Es entsteht somit ein Netzwerk vieler Hausprojekt−GmbHs, welche durch das
Syndikat solidarisch miteinander verbunden sind. Je mehr bestehende Projekte
es gibt, desto mehr neue Projekte können entstehen. Die Gründung
eigenständiger Gesellschaften gewährleistet die Autonomie jedes
Hausprojektes und birgt den Vorteil, dass das Risiko im Falle einer Insolvenz
eines einzelnen Projektes und die dadurch entstehende Gefährdung der
Dachorganisation ausgeschaltet wird.
Der Solidarbeitrag soll jedoch keine rein bürokratische Verpflichtung sein, die
persönlichen Lebensrealitäten und unterschiedlichen sozioökonomische
Ressourcen der verschiedenen Projekte und deren BewohnerInnen verlangen
nach einem menschlicheren, prozesshafteren und auch demokratischeren
Zugang. Solidarzahlungen stehen deshalb in den Plena des Dachverbands zur
Diskussion und können angepasst, ausgesetzt oder gestundet werden.
Lieber Tausend FreundInnen im Rücken −− als eine Bank im
Nacken!
... und trotzdem stellt sich die große Frage nach der Finanzierung solcher
Mietshausprojekte. Wie können Menschen gemeinsam ein Haus kaufen, wenn
sie nicht über das nötige Kapital verfügen? Damit zeigt sich mit dem
Finanzierungskonzept eine weitere wesentliche Säule der
Syndikatsmodellierung. Es soll vorrangig eine gleichberechtigte Teilhabe aller
BewohnerInnen −− somit unabhängig der kapitalmäßigen Einlage −−
garantieren. Jedoch benötigt die Hausbesitz−GmbH −− selbst um für eine
Bank kreditfähig zu werden −− ein gewisses Eigenkapital, welches mittels
Direktkrediten aufgebaut wird. Direktkredite sind Darlehen von privaten
Personen, die ihr Geld −− statt bei einer Bank −− in ein Projekt ihres
Vertrauens einlegen. Ein Crowdinvesting also, bei dem viele kleine Beträge
gesammelt werden, um den Eigenanteil beim Hauskauf aufzubringen.
Natürlich sind die einzelnen Direktkredite zeitlich limitiert −− per
Kündigungsfrist oder Laufzeit −− und werden nach Ablauf oder Kündigung
einfach durch neue Direktkredite ersetzt.
Dementsprechend sind in den Finanzierungsplänen auch immer Rücklagen
vorgesehen, welche ein rasches Auswechseln der Darlehen erlauben. Auch hier
profitiert man von den jahrelangen Erfahrungen des deutschen Mietshäuser
Syndikats. Seit dessen Gründung Anfang der 1990er Jahre ist es erst ein
einziges Mal zu einer Insolvenz eines Projektes gekommen. Grund war in
diesem speziellen Einzelfall, dass zu Beginn der Projektplanung die Substanz
des Objekts falsch bewertet wurde und die ursprünglich kalkulierten
Umbaukosten um ein Vielfaches übertroffen wurden. Trotz dieses Falles hat
sich das Finanzierungssystem bei allen anderen Projekten gut bewährt und
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ermöglicht mehreren Tausend Menschen −− fernab von sozialem Status und
Eigenkapital −− selbstbestimmtes und −ermächtigtes Wohnen.
Kommt Zeit, kommt Rat,...
... kommt habiTAT! Nach vielen Tausend Arbeitsstunden ist es −− in enger
Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser Syndikat in Deutschland und dessen
Arbeitsgruppe International −− nun in Österreich als erstem weiteren
europäischen Land gelungen, das Modell zu überführen. Das Engagement der
habiTäterInnen zeigt das Bedürfnis nach einem Ausbruch aus der Vereinzelung
von Wohn− und Lebensverhältnissen und der Isolierung der Kleinfamilie auf,
hin zu einer kollektiven Gegenkultur, die einen Kontrast zu kapitalistischen
und individualistischen Strukturen schafft. Durch die Säulen der
Selbstverwaltung, Solidarität und Kapitalneutralisierung im Syndikatsmodell
soll eine Organisationsstruktur aufgebaut werden, in der eine reale soziale
Gleichheit für einzelne Personen möglich ist und die Schaffung mündiger,
demokratischer und zeitgemäßer Wohn−, Lebens− und Arbeitsverhältnisse
erzielt wird. Zusätzlich bietet es einen konkreten und beharrlichen Ansatz,
welcher sich der Generationenaufgabe einer sukzessiven Entmarktung der
Welt gestellt hat. Analog zu dem von Foucault geprägten Begriff der
Heterotopie werden mit dieser Konstruktion Widerlager und
Gegenplatzierungen in bereits existierende Orte gezeichnet und fassbare
Utopien realisiert. Durch den Versuch, das Feld des Denkbaren neu zu
definieren und einen souveränen Umgang mit sozial determinierten Grenzen zu
finden, wird ein geschützter Raum erschaffen, der sich durch eine
Widerstandsfähigkeit gegen institutionelle Abrichtung auszeichnet.
Free Willy*Fred!
... oder: her mit dem guten Leben! Das habiTAT fungiert nun seit 2015
bundesweit als Dachverband mehrerer Hausprojektinitiativen und einem ersten
konkreten Pionierprojekt. Das erste Haus wurde Ende 2015 gekauft, heißt
Willy*Fred und steht in Linz. Mitten im Zentrum −− zwischen Bank, Puff und
gegenüber einer Kirche −− ragt das vierstöckige, teilweise über 350 Jahre alte
Haus hervor, welches ursprünglich erbaut am alten Stadtgraben nun über einer
Hauptverkehrsroute thront. Mit seinen 1.650m2 Wohnfläche bietet es genug
Platz für über 30 BewohnerInnen und mehrere Gewerbeflächen. Gut ein Drittel
der Wohnflächen sind und bleiben an AltmieterInnen vermietet, die damit Teil
des Hausvereins werden. Die restlichen Wohnungen wurden zuvor als
Hotelwohnungen vermietet, wodurch es für die ursprüngliche Projektgruppe
möglich war, auch in das Haus einzuziehen. Die freien Gewerbeflächen
werden von den gemeinnützigen Vereinen das kollektiv. kritische bildungs−,
beratungs− und kulturarbeit von und für migrantinnen und FIFTITU% −−
Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur in OÖ bespielt. Zudem
findet hier auch der Verein VIMÖ −− Verein intersexueller Menschen
Österreich seinen Heimathafen und es sind noch weitere vielfältige Projekte in
Planung. Schon jetzt also ist das Willy*Fred Hausprojekt −− übrigens benannt
im Gedenken an eine Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus im
Salzkammergut −− ein gelungenes Pionierprojekt des habiTAT und bereichert
die sozio−kulturelle Landschaft in Linz. Mit einer nur dreimonatigen
Kampagne ist es der Projektgruppe gelungen, über eine Million Euro an
Direktkrediten als Eigenkapital der Willy−Fred Hausbesitz−GmbH für den
Hauskauf zu sammeln. Letztendlich war es spätestens dieser Rückenwind, der
gezeigt hat, dass auch hierzulande die Zeit reif ist, neue Pfade der
Wohnformen zu erkunden.
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Auch in Wien sind mit den Gruppen Stadtklan und SchloR bereits Menschen
mit dem Aufbau selbstbestimmter Wohn− und Lebensräume beschäftigt und
gestalten das habiTAT aktiv mit. Da Wien stark im Fokus internationaler
AnlegerInnen ist, wird auch hier mit Nachdruck versucht, Häuser freizukaufen
und leistbares Wohnen möglich zu machen. Auf Hinweise auf potenzielle
Objekte freuen sich die Projektinitiativen und 2016 wird somit ein spannendes
Jahr, in dem hoffentlich auch der eine oder andere Freikaufvertrag
unterschrieben wird.
Weitere Infos und Kontaktmöglichkeiten gibt es unter: http://habitat.servus.at,
http://habitat.servus.at/willy−fred, http://stadtklan.org, http://schlor.org.
Published 2016−05−04
Original in German
Contribution by Dérive
First published in Dérive 62 (2016)
© Elisabeth Ertl / Florian Humer / Dérive
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