Im Höhenrausch

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No. 16 / 2016 ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl
Im Höhenrausch
Ideen und Projekte für den Ausbau der Skigebiete sprießen wie Pilze
aus dem Boden. Der Optimismus der Branche scheint grenzenlos,
obwohl die Winter wärmer und schneeärmer werden. Kann das
gut gehen?
D
as Kirchlein vor den Geislerspitzen findet sich auf zahlreichen Ansichtskarten
der Dolomiten. Die kleine St.-Magdalena-Kirche von Villnöß hat etlichen Malern schon
Motiv gestanden und selbst gestandenen Touristikern so etwas wie Poesie abgerungen.
St. Magdalena ist mit dem gleichnamigen Dorf
eines der Wahrzeichen des Tales und des Landes.
Die Geislerspitzen am Talende gehören zum Weltnaturerbe Dolomiten. Man wirbt mit der Marke
„Alpine Pearls“, die Gemeinde ist Gründungsmitglied des Vereins, der für sanften Tourismus steht
und zu dem so mondäne Orte wie Berchtesgaden
oder Arosa zählen.
Der kleine Dorf-Skilift, in Sichtweite zum
Kirchlein, liegt in diesen Apriltagen etwas verwaist
weiter talauswärts. Doch mit dem Lift für Kinder
und Anfänger haben Touristiker im Tal Großes vor.
Geht es nach ihren Plänen, dann könnte er schon in
absehbarer Zeit zu einer der größten Skischaukeln
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in Europa führen, zur berühmten ­ Sellaronda
und den unendlichen Weiten der ­ DolomitiSuperski-Schaukel mit ihren insgesamt rund 1.200
Pistenkilometern. Kann das skitouristische Herz
schneller schlagen?
Die Idee der Villnösser Skivisionäre ist bereits etwas abgehangen und doch atemberaubend:
Der bestehende Lift würde in Richtung BroglesHütte auf die nördliche Kante der Innerraschötz
führen; eine Umlaufbahn mit Talstation im Dorf
und Bergstation oberhalb der Berger-Ebene auf
gut 2.000 Metern. Von dort sollte dann eine Gondel-Bahn über die Abbrüche von Innerraschötz auf
den Grödner Hotspot, die auf 2.500 Meter gelegene Seceda weiterführen. Talwärts ginge es für die
Skifahrer dann über die Berger-Ebene retour, auf
einer neuen 2,8 Kilometer langen Piste quer durch
den Wald nach St. Magdalena.
Willkommen in der Welt der Skivisionäre von
heute. Das Projekt liegt noch in der Schublade, geNo. 16 / 2016
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„Bei
skitechnischen
Anbindungen
oder Zusammenschlüssen geht
es nicht nur um
das eine Projekt.
Es braucht
die Makroper­spektive. Birgt
das Projekt
Entwicklungschancen auch für
die Region?“
Harald Pechlaner,
Eurac-Regionalentwickler
– nahezu im ganzen Land feiern Ideen und Projekte für neue Aufstiegsanlagen samt neuen Pisten
fröhliche Urständ. Oder es wird bereits an konkreten Machbarkeitsstudien gebastelt.
Betrachtet man Zahl und Größe der angedachten oder geplanten Projekte, so kann die
Diagnose nur lauten: Die Branche ist im Höhenrausch. Die Flucht nach vorne oder, um im
Bild zu bleiben – die Flucht nach oben – soll ein
altes Geschäftsmodell in die Zukunft retten. Kann
das angesichts der Klimaveränderung mit wärmeren und schneeärmeren Wintern, empfindlich gestiegenen Betriebskosten dank künstlicher
Beschneiung, und angesichts des schwächelnden Skifahrer-Nachwuchses und der ökologisch
heiklen Gratwanderungen gut gehen?
Sanft ist es bislang auch in Langtaufers zugegangen. Der lokale Tourismusverein wirbt auf seiner
Homepage mit dem Slogan „Natur in ursprünglichster Form“. Doch nach Jahrzehnten des mehr
erlittenen als gelebten Modells des sanften Tourismus, winkt man von österreichischer Seite mit
einem verlockenden Angebot. Eine skitechnische
Anbindung an den über dem Tal thronenden
Kauner­taler Gletscher soll das wirtschaftlich unter
notorischem Unterdruck leidende Tal stabilisieren,
ja gar auf Vordermann bringen. In der zuständigen Gemeinde Graun wird kommende Woche die
Foto: Alexander Alber
wiss. Doch erste informelle Gespräche mit den zuständigen Landesämtern, dem Mobilitätslandesrat
und dem Landeshauptmann hat es bereits gegeben.
Auf der Jahreshauptversammlung des Villnösser
Tourismusvereins vor gut einem Monat wurde bereits die Gründung eines Vereins vorgeschlagen,
um die Liftverbindung mit Gröden voranzutreiben. Der Mitgliedsbeitrag kostet 100 Euro.
Wie in Gröden touristisch die Post abgeht, lässt
die Gastgewerbebranche des touristisch sanften
Vilnöß immer weniger in sich ruhen.
Liftanbindungen an große Skigebiete oder Zusammenschlüsse von benachbarten Skigebieten
scheinen in Südtirol derzeit überhaupt der Renner
zu sein. Die erstaunlichen Erfolgsgeschichten von
Zusammenschlüssen im benachbarten Tirol haben
es vorgemacht: Wer weiterhin erfolgreich sein will,
rüstet auf oder wagt die Liaison mit der ehemaligen Konkurrenz im Nebental. Allein in der ausgelaufenen Wintersaison haben Österreichs Seilbahner 570 Millionen Euro investiert.
Wachsen, um zu überleben, heißt die
magische Formel. Dementsprechend wird der Ausbau auch südlich des Brenners massiv forciert. Ob
Gletscher­anbindung in Langtaufers, der Aufbau
eines Skischaukel in den Sextner Dolomiten, neue
Lifte auf und quer über die Seiser Alm oder eine
anvisierte skitechnische Umrundung des Latemar
St. Magdalena, Villnöß. Die Vision: Der Dorfskilift (Bildmitte) soll zu einer Bahn ausgebaut werden, die in Richtung Brogleshütte führt; eine
Kabinenbahn sollte dann auf die Seceda weiterführen. Die Piste retour ginge über das Waldstück im Bild.
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Man scheut offenbar keine Kosten. Die skitouristische Maschinerie brummt, als gäbe es kein Morgen. Könnte es mit dem sanften Tourismus in Langtaufers und Villnöß also schon bald vorbei sein?
Ausgerechnet jenen beiden Tälern im Lande, die
für ein touristisches Gegenmodell im Turbotourismusland stehen? Noch freilich haben die Projekte
zahlreiche Hürden zu überwinden. Machbarkeitsstudien müssen gemäß ­neuer Gesetzgebung glaubhaft nachweisen können, dass sich das Vorhaben
wirtschaftlich rechnet und sich daraus keine negativen sozioökonomischen Auswirkungen ergeben;
parallel dazu werden die landschaftlichen und umwelttechnischen Eingriffe bewertet, eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) rundet das Ganze
ab, bevor die Landesregierung definitiv ihren Daumen hebt oder nach unten senkt. Doch dass man
ausgerechnet in diesen beiden Tälern nach neuen
skitechnischen Anbindungen ruft, spricht Bände.
Die Südtiroler Skigebiete suchen hände­ringend
„Es würden alle profitieren“
Großinvestor Hans Rubatscher über die skitechnische
Verbindung Langtaufers-Kaunertalgletscher.
Foto: Markus Larcher
Machbarkeitsstudie vorgestellt, die dem jahrzehntealten Projekt auf die Sprünge helfen soll (ff Nr.
14/2016).
Die Studie will zeigen, dass das ganze Vinsch­
ger Oberland von einem skitouristischen Anschluss profitieren kann. „Ein Gletscherskigebiet
zieht andere mit. Wir sehen das eindrucksvoll
im Pitztal, wo die Gästezahlen stetig gewachsen
sind, oder auch im Stubaital“, sagt Hans Rubatscher. Der Innsbrucker Großinvestor verweist auf
die großen Chancen für das strukturschwache
Vinsch­ger Oberland (siehe nebenstehendes Interview). Rubatscher gehört neben dem Gletschergebiet Kauner­tal mehrheitlich auch jenes von Pitztal;
dieses will er nun mit dem Ötztaler Gletscherskigebiet verbinden. Die „große Wertschöpfung“ einer Anbindung käme beiden Seiten zugute, ist er
überzeugt. Die Eckdaten des Projektes: ein Investitionsvolumen von 22 Millionen Euro brutto, ohne Beschneiungsanlagen; zwei Lifte sollen
über eine Distanz von 4,2 Kilometer auf den Gletscher führen. „Damit würde der Charakter der unerschlossenen hochalpinen Bereiche erheblich und
dauerhaft verändert werden“, kritisiert man beim
Südtiroler Alpenverein.
Tatsächlich wäre ein Bau der Talpiste vom
Karlesjoch nach Langtaufers mit massiven Eingriffen in steiles und felsiges Gelände verbunden.
Rubatscher spricht von einem Tunnel – oder von
einer schönen Pistentrasse, die vom Weißseejoch
herabführen könnte; hierzu müsste von ­Kaunertaler
Seite erst noch ein Lift gebaut werden.
ff: Der energischste Widerstand gegen Ihr
Liftprojekt kommt aus den Reihen der Obervinschger
Skiwirtschaft. Erstaunt?
Hans Rubatscher: Bei Zusammenschlüssen oder
Erweiterungen von Skigebieten gibt es immer Widerstand. Die Angst, dass die Wertschöpfung ins Kaunertal abfließt, ist unbegründet. Mir wurde zu Beginn signalisiert, das
Projekt weiterzuverfolgen. In Wahrheit ist man aber dagegen. Ich stelle
fest, dass man eine andere Mentalität hat: Man ist nicht so offen wie bei
uns. Es fehlt mir auch ein bestimmtes Maß an kohärentem Verhalten.
Wie wollen Sie ihre Kollegen von Ihrem Projekt überzeugen?
Ein Gletscherskigebiet ist immer ein touristisches Zugpferd für eine
Region. Davon profitieren alle. Das sieht man auch im Pitztal, wo die
Gästezahlen stetig gewachsen sind. Im Stubaital kann man denselben Effekt beobachten: Die anderen Skigebiete im Tal profitieren vom
Gletscher, der den Namen des Pitztals erst richtig bekannt gemacht
hat. Im Zillertal hatten Skiliftbetreiber in den Achtzigerjahren Angst,
dass neue Bahnprojekte das Geschäft ruinieren könnten. Das
Gegenteil davon ist eingetreten, heute geht es allen besser, weil das
ganze Tal skitouristisch so interessant geworden ist.
Nicht alle Touristiker sind von der Gletscheranbindung überzeugt.
Das Gletscherskigebiet Kaunertal macht 60 Prozent des Umsatzes in
der Zeit, in der die umliegenden Skigebiete geschlossen haben. Das
heißt, es geht um eine Verlängerung der Saison und um eine bessere
Bettenauslastung – ein Umstand, der angesichts der schwachen
Bettenauslastung im Vinschger Oberland doch interessant wäre.
Außerdem spricht die klimatisch bedingte Temperaturzunahme dafür,
auch auf ein Gletscherskigebiet zu setzen.
Langtaufers wird von den Touristikern seit vielen Jahren als Tal mit
intakter „Natur in ursprünglichster Form“ beworben. Mit dem sanften
Tourismus wäre es bei einer Liftverbindung wohl vorbei.
Der sanfte Tourismus bringt nicht viele Gäste. Man sieht das zum
Beispiel in Osttirol. Die Hohen Tauern unter Schutz zu stellen, damit
wäre das Groß der Osttiroler Bevölkerung heute nicht mehr einverstanden. Die Nächtigungszahlen sind rückläufig. Die Gäste werden
bequemer: Sie wollen zwar alles angeboten bekommen, aber im
Grunde wollen sie sich nicht anstrengen: Viele gehen nur dann auf die
Berggipfel, wenn sie ein Stück weit mit der Bahn fahren können.
Wie würden Sie die extrem abschüssige Verbindungspiste
Karlesjoch-Langtaufers entschärfen?
Entweder durch einen Tunnel oder mit einem noch zu bauenden Lift
n
auf das Weißseejoch auf unserer Seite. Interview: Markus Larcher
Lesen Sie weiter auf Seite 32
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Wirtschaftsmotor Wintertourismus: Die Skibranche
in Zahlen und ihre neuen Projekte
Schöneben
Langtaufers*
Schnals
610,2 ha
10.899 P/h
6
610,2 ha
10.899 P/h
3
514,3 ha
14.956 P/h
12
Haider Alm
1
Kaunertal
1
1
344,7 ha
4.753 P/h
5
Watles
1
1
1
1
242,7 ha
4.007 P/h
3
2
1
1
1
Skipistenfläche: 3.868 ha
(0,5 % der Gesamtfläche Südtirols)
Pistenkilometer: ca 990 Kilometer
Anzahl der Seilbahnanlagen: 372
Beschneibar: 86 % der Pisten
Förderleistung insgesamt:
521.126 Personen pro Stunde
Stromverbrauch (Aufstiegsanlage +
Beschneiung)*:­ 115 Mio. Kilowattstunden
Sulden
Latsch*
284,2 ha
12.157 P/h
10
235,1 ha
3.676 P/h
4
Schneekanonen*: 3.086
Nettogewinn gesamt: 21,3 Mio. Euro
(+23,6 % im Vergleich zum Vorjahr)
Beschäftigte in der Seilbahnbranche*:
1.952 Personen, davon 1.248 saisonal angestellt
*2013
Trafoi
Schwemmalm
157,4 ha
2.834 P/h
3
363,5 ha
9.620 P/h
6
*geschlossen
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Ratschings
Rosskopf
Plose
Speikboden
Kronplatz
Rienz
Sexten-HelmRotwand­
wiesen
513,5 ha
15.274 P/h
8
319,5 ha
6.666 P/h
5
542,1 ha
13.869 P/h
10
487,7 ha
12.145 P/h
7
1.602,3 ha
51.580 P/h
21
57,9 ha
2.565 P/h
3
1.008,3 ha
16.393 P/h
17
Kreuzbergpass
22,7 ha
1.420 P/h
2
Pfelders
Ladurns
Gitschberg
Untermoi
Klausberg
Rein in Taufers­
Haunold
Altprags
127,4 ha
4.300 P/h
4
240,8 ha
3.600 P/h
3
401 ha
18.774 P/h
8
95,4 ha
500 P/h
2
377,1 ha
13.100 P/h
8
41,4 ha
2.006 P/h
3
84,3 ha
5.429 P/h
5
109,2 ha
1.438 P/h
2
5
5
1
1
St. Vigil
Reinswald
158,1 ha
1.900 P/h
4
290,6 ha
5.520 P/h
4
1
1
2
Sillian
1
Kastelruth*
2
91,3 ha
1.576 P/h
3
Meran 2000
Comelico
1
Ritten
1
149,4 ha
3.400 P/h
4
1
1
Corvara-Abtei
Gardenaccia
Pedraces
1.895,3 ha
48.912 P/h
27
122,6 ha
5.065 P/h
5
122,6 ha
4.300 P/h
4
Moena
1
Vigiljoch
Obereggen
Seceda
Danterceppies­Grödner-Joch
70,2 ha
1.590 P/h
4
428,2 ha
19.706 P/h
11
444,2 ha
12.226 P/h
10
565,9 ha
35.846 P/h
23
Karerpass
Jochgrimm
Seiser Alm
568,7 ha
14.628 P/h
14
100,4 ha
3.718 P/h
4
568,7 ha
14.628 P/h
14
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl M. Pana­CiampinioiSellajoch
1.529,2 ha
42.353 P/h
30
Legende
1
neu angedachte Pisten*
Anzahl der neu
­angedachten Projekte*
1
neu angedachte Lifte*
Seiser Alm
Name des Skigebietes
568,7 ha
14.628 P/h
14
Fläche
Förderleistung
(Personen pro Stunde)
Anzahl Aufstiegsanlagen
*ohne Gewähr auf Vollständigkeit
No. 16 / 2016
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ff-Grafik; Recherche: Markus Larcher
416,6 ha
9.650 P/h
7
2
Foto: Harald Wisthaler
titel
Foto: Alexander Alber
Trasse für den heftig umstrittenen Zusammenschluss der Skigebiete Helm und
Rotwand in Sexten im Jahr 2014. Mittlerweile plant man eine länderübergreifende
Skischaukel, die nach Sillian und Comelico (Belluno) reicht.
Das Skigebiet Col Raiser oberhalb von St. Christina (Gröden) zur diesjährigen
Weihnachtssaison – ein Bild, das im Winter 2015/16 symbolisch für alle Skigebiete steht. Die hochgerüsteten Liftbetreiber retteten sich mit Kunstschnee.
32
No. 16 / 2016 nach Erweiterungsmöglichkeiten oder gar Zusammenschlüssen. So wie das Skigebiet Sextner
Dolomiten.
Die gleichnamige AG betreibt die Skigebiete Helm, Rotwand und Haunold im oberen
Pustertal. Der höchst umstrittene Zusammenschluss von Helm und Rotwand hat die Liftbetreiber darin bestärkt, auch den skitechnischen Zusammenschluss mit dem Kreuzbergpass und dem
dahinter­liegenden Comelico Superiore in Belluno
anzustreben. „Es ist stets sinnvoll, zusammenzuführen, was zusammengehört“, sagt Marc Winkler, Direktor der Gesellschaft. Bestärkt haben die
Skipistenbetreiber die erheblichen Zuwächse, die
die Helm-Rotwand-Verbindung mit sich gebracht
hat – Zuwächse im zweistelligen Bereich.
Winkler wie auch dem Mehrheitseigentümer
Franz Senfter schwebt seit geraumer Zeit Großes
vor. Eine Skischaukel, die sich bis ins Osttiroler
Sillian erstreckt. „Wir befinden uns in einem Stadium, in dem es gilt, Grundeigentümer und Betroffene zu informieren, bevor über Pisten und
Lifte gesprochen wird“, sagt Winkler. Sicher ist:
Der Nordtiroler Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für einen solchen Zusammenschluss geschaffen. „Wir setzen immer das Machbare um
und behalten das Sinnvolle und Wünschenswerte
im Auge“, merkt Winkler süffisant an.
Anbieten würde sich ein Lift vom Stiergarten
zur Sillianer Hütte am Grenzkamm zu Österreich,
von wo aus eine Piste (samt entsprechender Liftanlage) nach Sillian hinabführen könnte. Ein Projekt,
das bereits in zwei Jahren durchführbar erscheint
– vorbehaltlich der Rekurse seitens von Umweltverbänden, die die Ski-Erschließung des Grenzkammes unweit des Brut- und Nistplatzes des seltenen Auer- und Spielhahns nicht goutieren.
Das Hochpustertaler Projekt ist jedenfalls dazu
angetan, die Gesamtförderleistung der Südtiroler
Aufstiegsanlagen gehörig zu verstärken. So hat im
vergangenen Jahrzehnt die Förderleistung bereits
um gut 11 Prozent zugenommen. Wenn es die
Skiliftbetreiber darauf anlegen würden, könnten
sie in einer Stunde gut über eine halbe Million
Gäste in höhere Gefilde transportieren – damit diese auf 660 Pisten mit insgesamt 1.000 Kilometern Länge wieder zu Tale brettern können (siehe
Grafik Seite 32).
Der Skisport ist und bleibt im Winter der Urlaubsgrund Nummer eins. Südtirol zählt rund 11
Millionen Winternächtigungen mit einer Wertschöpfung von 1,6 Milliarden Euro. Das entspricht
rund 9,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also
dem Maß für die gesamte wirtschaftliche Leistung
einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres. Die
Ankünfte in den vergangenen Monaten Dezember
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Druck zur Größe
Tourismusforscher Robert Steiger sagt: „Der Skitourismus hat seine natürliche Grenze
erreicht.“ Und jetzt wandelt sich auch noch das Klima.
ff: Immer mehr Lifte bringen immer
mehr Menschen in die Berge. Ein
Wachstumsmodell mit Zukunft?
Es braucht alle Infrastrukturen, auch wenn
sie nicht genutzt werden?
Robert Steiger: Wachstum ist auch im
Wer sich von der Konkurrenz abheben will,
nimmt das in Kauf. Für kleinere und
mittlere Skigebiete kann das zum Problem
werden. Viele Skigebiete sind defizitär oder
schaffen es nur mehr, die laufenden Kosten hereinzubringen, sind nicht mehr in
der Lage zu reinvestieren. Bei den kleineren
Skigebieten sind die erfolgreich, die sich
gut positionieren, etwa als Freeride- oder
Familien-Skigebiet. Also diejenigen, die ein
bestimmtes Thema besetzen, weil sie mit
der Größe nicht punkten können.
Foto: Archiv Robert Steiger
Tourismus das Leitmodell. Jetzt stehen wir
aber vor einer großen Herausforderung:
Wir stecken im Alpenraum in einer
Stagnationsphase. Eine Stagnation auf
sehr hohem Niveau, die von Region zu
Region unterschiedlich ist. Sofern es
Robert Steiger forscht als
Geograph und Tourismus­
überhaupt noch Wachstumsbereiche gibt,
experte am Institut für
spielen sie sich im Rahmen ganz weniger
Finanzwissenschaften der
Prozentpunkte ab. Selbst dort, wo es noch
Universität Innsbruck.
Sein Schwerpunkt:
Zuwächse gibt, wäre die Wertschöpfung gedie Folgen des Klimawandels
nauer zu untersuchen. Zusätzliche
Inwieweit spielen Überlegungen zu den
für den Tourismus.
Bettenauslastung lässt sich nämlich auch
klimatischen Veränderungen beim Ausbau
über einen niedrigeren Preis erkaufen.
von Skigebieten eine Rolle?
Südtirol hat im Sommer bei den Übernachtungen
Abgesehen von den ökologischen Fragestellungen, wird die
höhere Steigerungsraten als im Winter. Die Sommersaison
Klimaveränderung von den Skiliftbetreibern vor allem als
ist leicht dynamischer, ausgehend von einem niedrigeren
finanzielle Herausforderung und damit als ein steigendes
Niveau, was die Wertschöpfung betrifft.
Risiko wahrgenommen: Man weiß, dass man mehr in die
Beschneiung investieren muss. Die Modellrechnungen
Der Skitourismus hat seine natürliche Grenze erreicht?
zeigen, dass eine Erwärmung von zwei Grad Celsius eine
Im Grunde ja. Natürlich versucht man sich alpenweit noch
Verdoppelung des Beschneiungsaufwandes bedeuten kann.
zu verbessern, indem man den Komfort zu verbessern verDiese zwei Grad werden wir wahrscheinlich in rund
sucht und Skigebiete vergrößert oder zusammenlegt. Es
30 Jahren erreichen – wenn wir von einem optimistischen
gibt einen gewissen Druck zur Größe. Man sieht an einigen Szenario ausgehen. Die Modellergebnisse für Südtirol
Beispielen in Tirol, dass Zusammenschlüsse wirtschaftlich
zeigen, dass ein großer Teil der Skigebiete bei ausreichender
durchaus sinnvoll sind, weil damit ein deutliches Plus an
Beschneiung über die Mitte des Jahrhunderts hinaus noch
Übernachtungszahlen und Skifahrerzahlen einhergeht.
relativ schneesicher sind.
Zunächst jedenfalls. In Südtirol verhält es sich ähnlich, wie
die recht erfolgreiche skitechnische Verbindung von Helm
Die Klimaveränderung ist in der Branche also noch nicht
wirklich ein Thema?
und Rotwand zeigt.
Sie wird eher im Stillen wahrgenommen. Manche BetreiSkitechnische Zusammenschlüsse werden automatisch
ber haben bereits begonnen, stärker in die Sommerangebote
mit höheren Touristenzahlen belohnt?
zu investieren. Der Vorteil beim Sommergeschäft: Die InTendenziell ja. Umweltverbände kritisieren, dass Skigebiete
vestitionen halten sich in Grenzen. Ein paar Huntertausend
mit 200 Pistenkilometern und mehr skifahrerisch nicht zu
Euro an Investitionen für einen Bike-Park hat eine andere
bewältigen sind. Die Frage ist also, ob die Größe mittlerDimension als ein paar Millionen für einen neuen Lift samt
weile ein Marketing-Gag ist oder ob die Skifahrer ein solPiste und Beschneiung.
ches Angebot auch nutzen. Die Branche geht von einer
kritischen Größe von 100 Pistenkilometern aus. DarunIn welchen Planungshorizonten bewegen sich
Skiliftbetreiber bei ihren Investitionen?
ter würde ein Skigebiet vom internationalen Gast gar nicht
wahrgenommen. Ob es wirklich so ist, sei dahingestellt. Der Ich behaupte, dass dieser selten über die Investitionszyklen
Trend im Tourismus geht in Richtung des multioptionalen
hinausgeht. Diese liegen durchschnittlich bei rund
Gastes: Dieser kommt im Winter nicht mehr ausschließlich 20 Jahren. n
zum Skifahren, er will auch Angebote wie Wellness.
Interview: Markus Larcher
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Foto: Oswald Reichegger
titel
Als Absatzmarkt ist Südtirol Schnee von gestern
Eine ungewohnte Stille hatte sich Ende vergangener Woche über die
Chefetagen von Südtirols Vorzeigefirmen gelegt. Wer mailte oder anrief,
las Abwesenheitsnotizen, landete in Musikschleifen, sprach mit Anrufbeantwortern. Manager und Marketingleute von Leitner, Techno Alpin und
Doppelmayr waren ins französische Grenoble gereist. Dort versammelte
sich die Branche zur „Mountain Planet“.
Mit x-tausend Gästen aus soundsoviel Nationen, die sich in zig Meetings
austauschen, wirbt die weltgrößte Messe für Bergnutzung. Wirklich wichtig: jene 160 Direktoren, Bürgermeister und Tourismuschefs, die von der
Messeleitung als „internationale Entscheidungsträger“ geadelt wurden.
Die bestimmen mit, wer welches Wintersportgebiet entwickeln darf.
Eine gute Gelegenheit für hiesige Unternehmen. Denn als wichtiger
Absatzmarkt für Lifte und Gondeln ist Südtirol Schnee von gestern.
Zwei Prozent des Umsatzes erwirtschaften hier die Bozener Schnee­
kanonen-Spezialisten Techno Alpin. Zwischen drei und fünf Prozent sind
es beim Sterzinger Seilbahnhersteller Leitner Ropeways, und die in Lana
ansässige Konkurrenz Doppelmayr, die nur den italienischen Markt
beliefert, erzielt zehn Prozent des Umsatzes in Südtirol. Für die Bilanzen
spielen Skigebiete vor der Haustür eine untergeordnete Rolle.
„Wir können hier keine neuen Pisten zaubern“, bedauert Leitner-Chef
Michael Seeber. Man modernisiere vorhandene Anlagen. „Im gesamten
Alpenbereich ist der Boom vorbei“, so Seeber. Wachstumsmöglichkeiten?
China und Russland. Neues Terrain sucht Leitner auch in Großstädten.
In Berlin errichten Mitarbeiter eine Seilbahn für die Internationale
Gartenausstellung 2017.
Doppelmayr immerhin ersetzt aktuell zwei Seilbahnen in Südtirol. Im
Ahrntal (Klausberg) innerhalb weniger Wochen. Eröffnung: 1. Juli.
„Wir arbeiten unter extremem Zeitdruck“, erzählt Geschäftsführer
Othmar Eisath. Und man baut die Seilbahn von Burgstall nach Vöran neu.
Für Techno Alpin ist Südtirol vor allem Visitenkarte. „Hier haben wir
unsere Wurzeln, hier präsentieren wir Kunden unsere Vorzeigeprojekte“,
sagt Marketingchefin Patrizia Pircher. Der gesamte Alpenraum sei zwar
weiterhin der größte Markt, doch im Visier habe man auch China.
Dort werden 2022 die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Die gute
Nachricht für den Beschneiungsspezialisten: Austragungsort Peking gilt
als wenig schneesicher.
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Frank Brunner
No. 16 / 2016 bis einschließlich Februar haben um gut 7 Prozent
zugelegt, die Nächtigungen um gut 5 Prozent. Für
die abgelaufene Wintersaison kann noch keine Gesamtbilanz gezogen werden, doch allein die größte
Skischaukel im Lande, Dolomiti Superski, kann in
puncto Gästetransport einen Zuwachs von 9 Prozent verzeichnen. „Die Saison ist zufriedenstellend
bis gut ausgefallen“, sagt Siegfried Pichler, Präsident des Verbandes der Seilbahnunternehmer –
trotz des schneearmen Winters.
Man muss sich diese Zahlen vor Augen halten,
will man die wirtschaftliche Bedeutung der Seilbahnbranche verstehen. Dass diese in der Regel
selbst gut wirtschaftet, zeigt der Umsatz von 2013:
280 Millionen Euro (+2,9 Prozent im Vergleich
zu 2012), bei einem Gewinn von über 38 Millionen Euro, ein Plus von gut 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Selbst die beachtlichen Betriebskosten von 242 Millionen Euro konnte man 2013
einfrieren, ja sie sogar leicht unter den Wert des
Vorjahres drücken. Das ist mit ein Grund, warum
man in die Offensive geht. „So viel, wie derzeit in
Südtirol erneuert und liftmäßig gebaut wird, wird
in ganz Trentino, Belluno und Aostatal nicht errichtet“, heißt es im Landesamt für Seilbahnen.
„Die mittlere tägliche Pro-Kopf-Ausgabe der
Touristen im Winterhalbjahr liegt mit 136 Euro
gegenüber 105 Euro im Sommerhalbjahr deutlich
höher. Somit ist klar, dass der Wintertourismus
in Südtirol eine besondere Rolle spielt“, sagt Landeshauptmann Arno Kompatscher. Was das politisch heißt, ist naheliegend: Wo man diesen Motor am Laufen halten kann, wird man ihm – sofern
wirtschaftlich sinnvoll – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch den nötigen Treibstoff
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Fotos: Alexander Alber
zuführen. Grundsätzlich meint Kompatscher aber
zu ff: „Zu glauben, dass die skitechnische Erschließung oder eine Skiverbindung die Lösung für jedes
strukturschwache Gebiet ist, halte ich für falsch.“
Was das im Detail heißt, bleibt abzuwarten. In
einem offenen Brief an die für die Raumordnung
zuständigen Minister der Alpenstaaten fordert die
Alpenschutzkommission Cipra eine international
abgestimmte Raumplanung, die der flächenhaften
Erweiterung von Skigebieten Einhalt gebietet.
Wörtlich heißt es in dem Brief von vergangener
Woche, dass „politische oder wirtschaftliche Interessen oftmals höher gewichtet werden als nichtmonetäre Werte wie Lebensqualität, Landschaft,
Bio­diversität oder ökologische Vernetzung“.
Auch führe der Ausbau von Skigebieten zu einem
ruinösen Wettbewerb der Skigebiete, zerstöre
Landschaft und Natur.
„Skitechnische Verbindungslifte, die durch bislang skifahrerisch ungenütztes und unberührtes
Gelände führen, sind Erschließungen“, gibt Andreas Riedl vom Dachverband für Natur und Umweltschutz zu bedenken. In diese Kategorie fallen
für ihn angestrebte Verbindungslifte wie Langtaufers–Kaunertal, Haider Alm–Schöneben, Kastelruth–Seiser Alm, Rosskopf–Pflersch, Karerpass–Moena, Villnöß–Grödner Tal oder Sexten
–Kreuzbergpass.
Unproblematisch muten da Erweiterungsprojekte an, wie sie auf Südtirols größtem Skiberg, dem
Kronplatz, angedacht sind. Im Skigebiet mit mehr
als 100 Pistenkilometern und 32 Liften (100 km
Wasserleitungen, über 500 Schneekanonen) rockt
es an Spitzentagen mit 24.500 Skifahrern ohnehin.
„Wir müssen uns weiterentwickeln“, sagt Andrea
Del Frari, Direktor des Skilift-Betreiberkonsorti® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl ums Skirama. Weil es am Kronplatz noch Platz für
neue Pisten gibt, hat man auch schon zwei neue
Pisten angedacht. „Die ­Größe eines Skigebietes ist
für den Gast eine große Entscheidungshilfe“, ist
sich Del Frari sicher.
Doch die geballte Kraft der Masse ist anderen schon länger ein Dorn im Auge. „Größe,
­Länge und dergleichen mehr ist für uns kein Thema mehr“, sagt Südtirols Chefvermarkter, Marco Pappalardo. Mit Massentourismus kann man
den Kommunikationschef des neuen Südtiroler
Wirtschafts-Dienstleisters IDM regelrecht in die
Flucht schlagen. „Auslastung heißt nicht Überlastung“, sagt er. Für ihn sind zigtausend Skifahrer
auf einem einzigen Berg alles andere als ein Magnet. „Da müssen wir aufpassen“, sagt Pappalardo, Südtirols Gäste würden nämlich Authentizität
und ein Werte-Umfeld suchen. Gerade darin liegt
auch die Chance für die kleineren und mittelgro­
ßen Skigebiete, die mehr schlecht als recht ein Auskommen haben. Beispiel Rosskopf, Plose, Trafoi
oder Watles, um nur einige zu nennen.
Pappalardo hofft, dass die große Herausforderung für die Skigebiete, sich für einen intelligenten
Sommertourismus attraktiv zu machen, mit kreativer Umsicht angegangen wird: „Klotzen ist keine
weiterführende Strategie mehr“.
In Villnöß hat man den Sommer touristisch schon gut im Griff. Es ist der Wintertourismus, der nicht brummt. Also wiederholt Franz
Messner, Präsident des Tourismusvereins, ein
Standard­argument der Befürworter für die Liftanbindung ans Grödental, „Alle Mitglieder bei ,Alpine pearls‘ haben eine Liftverbindung. Gibt es
eine sanftere Mobilität als eine Seilbahn?“ n
Mitarbeit: Georg Mair
Von links: Kronplatz,
Südtirols größter
Skiberg; Kabinenbahn
auf die Plose; Harald
Pechlaner, Chef des
Eurac-Institutes für
Regionalentwicklung
und Standortmanagement; Sandstrand auf
dem Erlebnisberg
Watles.
„Für Skigebiete,
die sich aufgrund
der wirtschaftlichen Entwicklung nicht halten
können, braucht
es eine mittelfristige Ausstiegsperspektive.
Die Politik könnte
mögliche
Ausstiegsszenarien einfordern.“
Harald Pechlaner
No. 16 / 2016
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