PDF - Katholische Kirche beim hr

Morgenfeier hr2-kultur, Donnerstag, 05.05.2016 (Christi Himmelfahrt)
Pfr. Stefan Wanske, Friedberg
Himmelfahrt und die Spuren Jesu
In Jerusalem auf dem Ölberg gibt es die sogenannte Himmelfahrtsmoschee. Eine
Kirche hat an dieser Stelle schon im vierten Jahrhundert gestanden. Dann wurde in
der Kreuzfahrerzeit eine kleine Kirche mit achteckigem Grundriss gebaut. 1187
wurde eine Moschee daraus. Aber die wird bis heute vor allem auch von christlichen
Pilgern besucht. Das liegt an einem eigenartigen Felsen im Innern der Kirche.
In schlichtem weißem Marmor eingefasst, ist darauf so etwas wie ein Fußabdruck zu
erkennen. Das sei der Fußabdruck, so sagt es die fromme Legende, den Jesus bei
seiner Himmelfahrt zuletzt auf der Erde hinterlassen hätte.
Auch ich habe vor ein paar Jahren als Jerusalempilger ein wenig lächeln müssen, als
mir damals dieser in der Erde liegende Stein präsentiert wurde. In Erinnerung an
Jesu Himmelfahrt, so erzählt man sich, hätten die Erbauer der Kirche vor fast 900
Jahren sogar symbolisch auf ein Dach verzichtet, damit der Blick in den Himmel offen
bleibt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass heutzutage viele Pilger und Touristen in Jerusalem
eine derart konkrete und stoffliche Vorstellung von Christi Himmelfahrt seltsam
finden.
Heute, vierzig Tage nach Ostern, feiern die Christen das Fest „Christi Himmelfahrt“.
Irgendwie muss ich jedes Jahr an diesem Tag an diesen merkwürdigen Ort in
Jerusalem denken.
Auch wenn für mich mit diesem Fest viel eher ein Glaubensthema in den Blick
genommen wird, als dass an ein lokales historisches Geschehen erinnert würde: Mir
sagt dieser Felsen trotzdem etwas ganz Wichtiges:
Jesus hat in dieser Welt Spuren hinterlassen, auch wenn seine physischen
Fußabdrücke verweht sein mögen. Menschen aller Generationen haben in ihrem
Leben versucht, Jesu Spuren weiter zu folgen. – Auch dort, wo sich seine
geschichtlich greifbaren Spuren auf der Erde verlieren. Und so geht seine Geschichte
weiter.
Musik 1: Giuseppe Torelli, „Sinfonia in D major G.23 – Vivace“. CD 2/2 „Torelli –
Complete Trumpet Concertos. Thomas Hammes / Peter Leiner / European Chamber
Soloists / Nicol Matt”, Label Brilliant Classics (92401/2), Track 32, 02:14
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Viele Leute unternehmen auch heute noch Pilgerreisen ins Heilige Land unter dem
Motto „Unterwegs auf den Spuren Jesu“. Eine kaum überschaubare
Menschenmenge besucht jedes Jahr die Orte, denen in der Bibel und in der
Überlieferung wichtige Ereignisse im Leben Jesu zugeschrieben werden. Dazu
gehört sein überlieferter Geburtsort Bethlehem, seine Heimatstadt Nazareth, und
auch Jerusalem: der Ort seines Sterbens und seiner Auferstehung.
Aber im Gegensatz zu manchen Fremdenführern auf dem Ölberg in Jerusalem, ist
die Bibel beim Thema der Himmelfahrt Jesu ziemlich zurückhaltend.
Im Neuen Testament kommt Markus, der Evangelist, mit einem einzigen Satz aus:
„Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel
aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes.“ (Markusevangelium 16, 19).
Der Evangelist Lukas verwendet dafür schon zwei ganze Bibelverse und schreibt:
„Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Betanien. Dort erhob er seine Hände und
segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel
emporgehoben.“ (Lukasevangelium 24,50-51). Die Apostelgeschichte im Neuen
Testament präzisiert diese kurzen Hinweise schließlich noch etwas: 40 Tage nach
der Auferstehung Jesu sei das geschehen, und zwar am Ölberg. (Apostelgeschichte
1,3 und 1,12)
Die Stellen, an denen die Bibel von Christi Himmelfahrt spricht, sind im heutigen
Verständnis eher Glaubensbekenntnisse, keine Reportagen. Die beiden anderen
Evangelisten, Johannes und Matthäus, erwähnen Jesu Himmelfahrt nur indirekt. Sie
erzählen davon, wie Jesus selbst voraussagt, dass er einmal „zur Rechten Gottes
sitzen“ wird.
In der Musikgeschichte hat dieses Glaubensbekenntnis großartige Spuren
hinterlassen. Georg Philipp Telemann komponierte mit 80 Jahren ein KonzertOratorium zu Christi Himmelfahrt und gestaltete darin ein Duett, das ein triumphales
Bild vom Einzug des Auferstandenen in den Himmel entwirft:
„Ihr Tore Gottes, öffnet euch!
Der König ziehet in sein Reich.
Macht Bahn, ihr Serafinenchöre!
Er steigt auf seines Vaters Thron!“
Musik 2: Georg Philipp Telemann, Duett „Ihr Tore Gottes, öffnet euch“. CD
„Telemann: Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu" TWV 6:6 (Rheinische Kantorei,
Das kleine Konzert, Hermann Max, Label capriccio (10 596), Track 20, bis 03:04
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Schon in der ersten Generation von christlichen Gemeinden gehört das zum
Grundbekenntnis des Glaubens: Jesus ist „am dritten Tage auferstanden von den
Toten, aufgefahren in den Himmel und sitzt zur Rechten Gottes!“ – Dieser rechte
Platz neben dem Herrscher ist schon in der Antike ein besonderer Ehrenplatz,
reserviert zum Beispiel für den Thronfolger.
Die Himmelfahrts-Ankündigung Jesu aus dem Johannesevangelium hat den
Komponisten Andreas Hammerschmidt im Jahr 1671 zu einer geistlichen Motette
inspiriert. Damals war er 60 Jahre alt. Sein halbes Leben war durch einen
verheerenden Krieg geprägt gewesen. Ganze 30 Jahre hatte der in Deutschland
gewütet.
Andreas Hammerschmidt war also von Kindheitstagen an in einem verwüsteten Land
aufgewachsen. Mitten im Krieg, mit 23 Jahren, war er als Organist an die Petrikirche
im sächsischen Freiberg berufen worden. Mit 26 Jahren heiratete er und gründete
eine Familie. Sobald es ging, zog er auf der Flucht vor den Kriegswirren nach Zittau
weiter, wo eine Organistenstelle frei wurde. Dort hat er dann, schon im vorgerückten
Alter, seine Himmelfahrts-Motette komponiert.
Himmelfahrt: Das scheinen die Komponisten nicht unbedingt mit feucht-fröhlicher
Stimmung zu verbinden. Für Andreas Hammerschmidt scheint dieser Tag gerade
auch ein wichtiges Fest für Krisenzeiten gewesen zu sein.
Hier ist seine Vertonung des Jesuswortes aus dem Johannesevangelium:
„Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater,
ich fahre auf zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Und wenn ich von euch aufgenommen werde,
will ich euch senden den Geist der Wahrheit und euer Herz soll sich freuen.“
(Johannesevangelium 20,17)
Musik 3: Andreas Hammerschmidt, „Ich fahre auf zu meinem Vater“. Motette für 2
Clarini, Chor und Basso continuo. CD „Jörg Breiding / Himmlische Cantorey /
Knabenchor Hannover / Johann Rosenmüller Ensemble: Verleih uns Frieden.
Geistliche Vokalmusik von Andreas Hammerschmidt “, Label Rondeau-Production
(ROP7001), Track 08, 03:16
„Euer Herz soll sich freuen.“ Das ruft Jesus den Jüngern zu. Die fühlen sich nach
seiner Auferstehung erst mal verlassen, so erzählt es das Johannesevangelium. Was
wir in der Bibel über Jesu Himmelfahrt lesen, das ist nicht für Menschen geschrieben,
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die ohnehin „im siebten Himmel schweben“, sondern für solche, die sich
alleingelassen fühlen.
Und es will keine Antwort sein auf die Frage, WO denn Jesus jetzt ist, wenn er nicht
mehr auf der Erde weilt. Es wird vielmehr in Bildern und Ereignissen davon erzählt,
WER Jesus überhaupt ist. Seine ganze Geschichte spricht ja genau davon: Gott wird
Mensch als wehrloses Kind. Er macht durch Zeichen und Wunder deutlich, wie nahe
Gott den Menschen ist. Er stirbt am Kreuz den Tod eines Kriminellen. Nach seiner
Auferstehung zeigt sich durch vierzig Tage hindurch immer wieder den Jüngern, bis
sie glauben können, dass er lebt. Und in den Bildern von seiner Himmelfahrt wird
schließlich verdeutlicht: Gott lässt seinen Sohn nicht im Stich, sondern gibt ihm den
angemessenen Platz, der ihm zukommt. Er ist ganz und gar bei Gott.
Gerade in Krisenzeiten war dies im Glauben eine wichtige Botschaft von Ostern und
Himmelfahrt: In allen irdischen Dunkelheiten hat mit Jesus für die Menschen eine
neue Zukunft begonnen. Gewalt und Tod haben bei Gott nicht das letzte Wort
behalten. Der Himmel, die ganz andere Wirklichkeit, die Sphäre Gottes, steht für alle
offen.
1780 hat Carl Philipp Emanuel Bach diesen Gedanken in ein beeindruckendes Lied
gefasst. Er war damals Musikdirektor an den fünf Hamburger Hauptkirchen. Sein
Lied „Er lebt, des Todes Sieger lebet!“ singt in der dritten Strophe:
„Er lebt! Die Rechte Jesu siegt.
Sie siegt und ist erhöhet.
Und zu des Siegers Füßen liegt,
wer frech ihm widerstehet.
Besiegt ist, was uns droht,
besiegt sind Höll und Tod
von seines Arms Gewalt.
Von seinem Sieg erschallt
der Himmel und die Erde.“
Musik 4: Carl Philipp Emanuel Bach, „Osterlied“, CD „Carl Philipp Emanuel Bach /
Johann Christoph Friedrich: Geistliche und weltliche Lieder“. Gotthold Schwarz /
Sabine Bauer, Label Capriccio (10 856), Track 8, 02:05
„Besiegt ist, was uns droht!“ Das ist der Trost, den der Himmelfahrtstag dem Leid
entgegenstellt. Die Himmelfahrt Jesu, die hat man sich früher deshalb gern auch sehr
viel konkreter ausgemalt als heute. Das zeigt nicht nur der Fußabdruck in der
Jerusalemer Himmelfahrtsmoschee, sondern auch ein Brauch aus der Barockzeit. Im
alpenländischen Raum war es damals üblich, dass beim Gottesdienst an Christi
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Himmelfahrt in der Kirche eine Jesusfigur an Seilen hochgezogen wurde. Dann
verschwand sie durch eine Klappe in der Decke. Auch, wenn auch diese
Inszenierung aus heutiger Sicht beinahe rührend naiv wirkt: Ich finde, sie zeigt doch
etwas Richtiges.
Die Leute in den Zeiten vor der Raumfahrt haben sich den Himmel ja noch
tatsächlich ganz plastisch „da oben“ vorgestellt. Zugleich jedoch war ihnen immer
klar, dass „oben“ und „unten“ nicht nur bloße Raumbegriffe sind.
Durch bloßes Reisen durch den Raum, selbst wenn es der Weltraum ist, entsteht
noch keine neue Perspektive. Aber genau um die geht es beim Bild der Himmelfahrt.
Die sichtbare Bewegung nach oben ist ein Bild für den Bereich Gottes. Jesus ist aus
der sichtbaren Wirklichkeit hinüber gegangen in die unsichtbare Realität Gottes. Aber
vom Himmel her ist Gott gegenwärtig und wirksam.
Der rumänisch-französische Dichter Eugène Ionesco, der 1994 gestorben ist, hat
einmal geschrieben: „Im Kreis gehen die Menschen, im Käfig ihres Planeten, weil sie
vergessen haben, dass man zum Himmel aufblicken kann.“ – Den Satz finde ich
bemerkenswert und einleuchtend: Im Kreis gehen, das ist auf die Dauer langweilig.
Man sieht nichts Neues, und alles bleibt ständig beim Alten. Ionesco war kein
gläubiger Christ, sondern eher ein zutiefst skeptischer Weiser. Wenn sogar er
trotzdem vom „Himmel“ spricht, dann ist klar: Das ist durchaus kein Ort über den
Wolken.
Der Himmel, in den Jesus aufgenommen wird, um sich zur Rechten Gottes des
Vaters zu setzen, ist eher schon so etwas wie eine andere, eine höhere Dimension.
Wobei „höher“ nichts mit Geographie, sondern mit einem größeren Maß an Liebe zu
tun hat.
Davon erzählt eine bekannte Geschichte aus dem Volk Israel, dem Jesus ja selbst
angehörte:
Von einem Rabbi ging die Sage, dass er jeden Morgen vor dem Frühgebet zum
Himmel emporsteige. Ein frommer Gelehrter lachte darüber und legte sich vor
Morgengrauen auf die Lauer. Da sah er: der Rabbi verließ, wie ein Holzknecht
gekleidet, sein Haus und ging zum Wald. Der Gelehrte folgte von weitem.
Er sah den Rabbi Holz hacken. Dann lud sich der Rabbi das Holz auf den Rücken
und schleppte es zu einer armen, einsamen Witwe. Der Gelehrte blickte durch das
Fenster. In der Stube kniete der Rabbi am Boden und heizte ein. Als die Leute
nachher den Gelehrten fragten, was es mit des Rabbis täglicher Himmelfahrt auf sich
habe, sagte er: „Er steigt noch höher als zum Himmel."
Es sind solche ganz alltäglichen Möglichkeiten, die mehr Leben, „österliches“ Leben
unter uns Menschen erreichbar machen und mitten im Alltag so etwas schaffen wie
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„Himmelsmomente“, die sozusagen „Flügel verleihen“ und das Leben lebenswert
machen.
Davon singt auch der Schlusschoral von Johann Sebastian Bach in seiner Kantate
zum Fest der Himmelfahrt Christi „Gott fähret auf mit Jauchzen“:
„Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ,
der du bist aufgenommen
gen Himmel, da dein Vater ist,
und die Gemein der Frommen:
Zieh uns nach dir, so laufen wir,
gib uns des Glaubens Flügel.“
Musik 5: Johann Sebastian Bach, Choral „Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ“,
Kantate „Gott fähret auf mit Jauchzen” (BWV 43), CD „Bach: Cantatas.Ascension /
Himmelfahrt“ John Eliot Gardiner / The Monteverdi Choir / The English Baroque
Solists, Label Archiv-Produktion Deutsche Grammophon GmbH (463 583-2), Track
11, 01:59
Von neuem den „Blick zum Himmel“ zu wagen, der „Flügel verleiht“. Dazu lädt das
Fest Christi Himmelfahrt ein. Aus den Bildern zurückübersetzt heißt das: Ich soll
gerade nicht in die Wolken starren, sondern immer achtsamer die Welt und die
Menschen um mich herum in den Blick nehmen – und da sein, wo ich gebraucht
werde.
Ein modernes geistliches Lied, in den 70er Jahren geschrieben von Pfarrer Wilhelm
Wilms fragt: „Weißt du, wo der Himmel ist?“ Und es antwortet: „Nicht so hoch da
oben! Sag doch ja zu dir und mir, du bist aufgehoben!“
Wo immer es gelingt, auf den Spuren Jesu zu einander und zum Leben Ja zu sagen,
da tut sich Tag für Tag der Himmel auf.
Musik 6: Johann Sebastian Bach: Choralvorspiel „Erstanden ist der heil’ge Christ“,
BWV 628 (Orgelbüchlein), CD 7/11 „Bach – The Organ Works“ von Helmut Walcha,
Label Archiv Produktion Polydor International GmbH (463 719-2), Track 30, 00:43
Zum Nachhören als Podcast
http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=43760
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