H. Engelbrecht: Schule in Österreich - H-Net

Helmut Engelbrecht. Schule in Österreich: Die Entwicklung ihrer Organisation von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Wien: new academic press, 2015. 262 S. (broschiert), ISBN 978-3-7003-1919-1.
Reviewed by Rainer Leitner
Published on H-Soz-u-Kult (May, 2016)
H. Engelbrecht: Schule in Österreich
Helmut Engelbrechts Name ist ein fester Begriff auf
dem Gebiet der Erforschung des österreichischen Schulund Unterrichtswesens, seine fünfbändige Geschichte
”
des österreichischen Bildungswesens” Engelbrecht, Helmut, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, 5.
Bde., Wien 1982–1988. Zusätzlich: Bildband 1999. fungiert als Standardwerk. Engelbrechts wissenschaftliche
Kompetenz wird zudem noch ergänzt durch seine langjährigen Erfahrungen als Gymnasiallehrer und Direktor
eines niederösterreichischen Gymnasiums.
wie Innehalten von der Arbeit, später dann die Beschäftigung während dieser Mußestunden und schließlich bezeichnete es den Ort, wo ein Lehrer Vorträge hielt und
Unterricht erteilte. Unterschiedliche Namen der Schulen
bildeten sich heraus, als im Bereich der Städte die Lehrprogramme der katholischen Kirche und in der Zeit der
Reformation jene der lutherischen Kirche sich stark ausbreiteten und sich von den Schulen der Bürger unterschieden. Betrachtet man das Schulwesen in soziologischer Hinsicht, nimmt dieses neben Familie, Wirtschaft
etc. eine führende Position im Rahmen der wichtigsten
Mit der vorliegenden, postum veröffentlichten Publi- Institutionen ein.
kation gibt der 2014 verstorbene Engelbrecht eine zusammenfassende Schau der Entwicklung des österreiHelmut Engelbrecht beginnt mit der, wie er sie
chischen Schulwesens von seinen Anfängen bis zur Ge- benennt, monastischen Phase der Schule des Mittelalgenwart. Indem Engelbrecht Lessings Diktum, dass Ge- ters und ihren einfachen Strukturen. Diese umfasste die
schichte nicht den Verstand beschweren, sondern ihn Klosterschulen” ( Stiftsschulen”) der männlichen und
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erleuchten soll, folgt, legt er die Entwicklungsschrit- weiblichen Orden, die Domschulen”, die der Ausbildung
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te der Organisation Schule seit deren Anfängen im des weltlichen Klerus dienten sowie die Pfarrschulen”,
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Mittelalter offen und zeigt damit, was alles versucht die ihre Hauptaufgabe in der Ausbildung von Kindern
wurde, um den jeweiligen Anforderungen und Proble- und Jugendlichen zum einfachen Kirchendienst (Minismen einer ständig sich wandelnden Gesellschaft zu ent- tranten, Chorsänger) sahen. Die älteste österreichische
sprechen. Ausdrücklich hebt Helmut Engelbrecht her- Pfarrschule war jene bei St. Stephan in Wien, die mit grovor, auf die Streitfragen des organisatorischen Handelns ßer Sicherheit im 12. Jahrhundert eröffnet worden war.
wie Zentralismus/Autonomie (Dezentralisierung); VerMit dem 13. Jahrhundert lässt Helmut Engelbrecht
einheitlichung/Differenzierung; Homo- oder Heterogedie
urbane Phase beginnen, als sich die uns noch heunität der Schülerpopulation; Fördermaßnahmen oder Sete
bekannten
gesellschaftlichen Schichten herausbildeten
lektion: Unterrichtszeit (Vormittagsunterricht, Ganztagsund
die
Stadt
nun als Hauptträgerin des Bildungswesens
schule, Nachmittagsbetreuung), aber auch auf die Ausbilvorrückte.
Am
Ende des 15. Jahrhunderts schien es, dass
dung der Lehrpersönlichkeiten eingehen zu wollen. Der
der
immer
zielbewusster
agierenden Lateinschule, die zuSchwerpunkt des Ganzen möge jedoch im Überblick liedem
durch
Impulse
des
Humanismus
noch an Profil gegen und auf das breite Arsenal der vorhandenen Mögwonnen
hatte,
die
Zukunft
gehören
sollte.
Verbunden mit
lichkeiten verweisen.
dem Vordringen des Protestantismus fiel aber so manche
Das Wort Schule” hat seine Wurzeln im Griechi- katholische Stiftung aus, zudem bereitete das Gymnasi”
schen; überraschenderweise bedeutete es zuerst so etwas um der Jesuiten weitaus besser auf ein universitäres Mi1
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lieu vor. Als bedeutendste Leistung im Bereich des SchulDie zeitlichen Prämissen erforderten in der nun folwesens sollte sich die schrittweise Einführung eines letzt- genden staatlich-parteipolitischen Phase des Schulwelich dreistufigen Bildungswesens herausstellen.
sens eine Auffächerung der Bildungswege. So ist die Zeit
von den Jahren der Revolution 1848/49 bis in die SechziDie Höherentwicklung des Schulwesens erfolgte gerjahre des 20. Jahrhunderts eine Zeit großer und nachdurch Konkurrenz, der Primat der katholischen Kirche haltiger schulischer Veränderungen. Politisch war das
endete durch die Ausbreitung der Lehre Luthers. Die An- Kaisertum Österreich, zweitgrößter europäischer Staat,
zahl der adeligen Landschaftsschulen und Lateinschu- zur konstitutionellen Monarchie geworden, die Rechte
len der Evangelischen verbreiteten sich bedeutend, zur und Pflichten der Staatsbürger waren nunmehr klarer
vollständigen Auslöschung des protestantischen Schul- umrissen. Industrialisierung und Technisierung zogen eiwesens kam es im Habsburgischen Herrschaftsbereich je- nen Bevölkerungsschub nach sich, die Frauen drängten
doch durch die Gegenreformation.
im Bereich der Schul- und Universitätsausbildung mit VeIn der von Helmut Engelbrecht so benannten kon- hemenz nach Gleichbehandlung. Der Weg zur Gleichstelfessionellen Phase dominierten die Studia inferiora der lung war jedoch lang und mühsam: Als erste öffnete die
Gesellschaft Jesu das österreichische Schulwesen. Das je- Philosophische Fakultät der Wiener Universität im Jahr
suitische Schulsystem war hierarchisch aufgebaut und 1897 den Frauen den Weg zum ordentlichen Studium.
die Aufgaben jeder Funktion waren bis in Einzelhei- Das Gymnasium erhielt seine bekannte Form im Sinn eiten klar umrissen. Die Studia inferiora vermittelten ein ner Umgestaltung zur allgemeinbildenden höheren Schugrammatisch-humanistisch-rhetorisches Gymnasialpro- le, die mit der Maturitätsprüfung abgeschlossen wurde.
gramm und waren auf pietas und sapientia ausgerichtet. Im Jahr 1908 entstand das Realgymnasium vor dem HinIn den Klassen der Oberstufe wurde neben Latein auch tergrund einer Diskussion über die Reduzierung des huGriechisch unterrichtet. Ein Nachteil lag allerdings ge- manistischen Lehrstoffes zugunsten naturwissenschaftlirade in der starren Ausrichtung der Ratio studiorum, da cher Fächer.
sie letztlich den Erfordernissen einer sich ändernden GeDie Schulorganisation der Gegenwart intersellschaft nicht genügen konnte. Immerhin aber wurden pretiert Helmut Engelbrecht als parteipolitischin der Frühen Neuzeit im Schulwesen die Weichen in die
interessensorientierte Phase, die nicht zuletzt auch geModerne gestellt.
prägt ist vom Übergang einer Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Es folgten Anläufe zur inneren und
äußeren Umgestaltung der Schule, diese kam vor dem
Hintergrund parteipolitischer Meinungsverschiedenheiten bis in die Gegenwart nicht mehr zur Ruhe. Nach 1988
folgten zahlreiche Schulversuche, zudem zeigte sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts schon sehr deutlich, dass
Quantität und Qualität im Schulbereich bereits stark auseinanderdrifteten.
Die Zeit der Zentralisierung des Schulwesens bezeichnet Helmut Engelbrecht als staatlich-obrigkeitliche
Phase. In dieser Zeit vielfacher Veränderungen war das
Habsburgerreich ein mächtiger Staat geworden, 1718
zählte man etwa 15 Millionen Einwohner. In dieser
Schlüsselepoche kam es zur Ablöse der Kirche als gestaltende, ordnende Macht im Bereich der Bildung durch den
Staat. Am Beginn der Reformen standen die Universitäten, es folgten die Reformen des Schulwesens. Ausgearbeitet wurde diese Allgemeine Schulordnung” unter der
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Leitung von Johann Ignaz Felbinger, Abt des AugustinerChorherrenstiftes in Sagan in Schlesien. Die sogenannte Unterrichtspflicht” wurde eingeführt, die grundle”
genden Schulen hießen nun Trivial-, Haupt- und Nor”
malschule”, die Berechtigung zu Universitätsstudien war
weiterhin an die Absolvierung des Gymnasiums gebunden. 1805 wurde die Realschule, die der beruflichen Vorbereitung diente, ins Leben gerufen. Insgesamt brachte die Übernahme des Schulwesens durch den absolutistisch regierenden Staat weitreichende Veränderungen
mit sich, die sich vor allem in Vereinheitlichung und Zentralismus niederschlugen. An erster Stelle ist hier die Reform des Primarschulwesens zu erwähnen.
Für Helmut Engelbrecht gleicht der gegenwärtige Zustand der Schule einem bereits fertigen Gebäude, das von
mehreren Architekten geplant wurde, wovon viel aber
nicht umgesetzt worden ist. Ob sich in jüngster Vergangenheit eingeführte Neuerungen wie Zentralmatura
und die einheitliche Ausbildung der Lehrenden bewähren, muss die Zukunft zeigen.
Helmut Engelbrechts klar und nachvollziehbar strukturierte Publikation erfüllt das Versprechen ihres Autors
– sie verschafft bestens einen kompakten Überblick der
Entwicklung des österreichischen Schulwesens von seinen Anfängen bis in die aktuelle Gegenwart und regt
zum Nachdenken an: Das System Schule ist stets vor
den gesellschaftlichen Herausforderung einer betreffen-
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den Epoche zu verstehen. Mehr oder weniger bewältigt Anforderungen weiterhin entsprechen kann, bleibt offen.
die Schule derzeit diese komplexen Aufgaben noch, im Doch was wäre die Alternative – non vitae, sed scholae
Schulsystem spiegeln sich stets auch Zeitgeist wie politi- discimus?
sche Zugriffe. Ob die zukünftige Schule den schwierigen
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Citation: Rainer Leitner. Review of Engelbrecht, Helmut, Schule in Österreich: Die Entwicklung ihrer Organisation von
den Anfängen bis zur Gegenwart. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. May, 2016.
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