Podium Migrationsethik_ Weg von der Angstdebatte

5.5.2016
Podium Migrationsethik: Weg von der Angstdebatte | ref.ch
Podium Migrationsethik: Weg von der
Angstdebatte
ref.ch/Heimito Nollé 4. Mai 2016
(Bild: zVg «Forum Kirche und Wirtschaft»)
Akademischer Einstieg: Migrationsethiker Andreas Cassee bei seinem Referat.
Im Kloster Kappel diskutierte man am Dienstagabend Fragen
der Migrationsethik. Das Podium zeigte verschiedene
Perspektiven auf das Thema. Zur Vertiefung fehlte aber die
Zeit.
«Small World – Big Business», so präsentiert der Kanton Zug den eigenen
Wirtschaftsstandort auf seiner Webseite. Stärker als andere Kantone ist Zug auf
die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte angewiesen. Besonders
spezialisierte Fachkräfte und Hochqualifizierte finden den Weg hierher. Globale
Unternehmen wie Roche in Rotkreuz rekrutieren ihre Talente weltweit und
verfügen über die nötigen Mittel, um ihnen den Aufenthalt in der Schweiz
schmackhaft zu machen. Die Unterstützung reicht von der Kinderkrippe über den
Deutschunterricht bis zur Organisation des Umzugs. Auch die behördlichen
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Abklärungen werden übernommen. Doch nicht alle sind so privilegiert. Wer kein
mächtiges Unternehmen im Rücken hat, muss eine höhere Eigenleistung bei der
Integration erbringen und ist stärker vom Goodwill der Behörden und den
migrationspolitischen Rahmenbedingungen abhängig.
In der 14. Auflage der Podiumsreihe «Wirtschaft und Werte» des Forums «Kirche
und Wirtschaft», einer Fachstelle der Katholischen Kirche im Kanton Zug, ging es
um die ethischen Implikationen der Migrationspolitik. Ist ein Staat berechtigt, die
Zuwanderung nach wirtschaftspolitischen Kriterien der Nützlichkeit zu regeln?
Sind Einwanderungsquoten legitim? Darf von Zugewanderten der Erwerb
bestimmter Qualifikationen, etwa der Landesprache, verlangt werden? Diesen
komplexen Fragen stellten sich vier Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und
Behörden in kurzen Referaten und einer anschliessenden Podiumsdiskussion.
Perspektiven auf die Migration
Der Migrationsethiker Andreas Cassee betonte, dass ein Recht des Staats, die
Zuwanderung zu beschränken, in der aktuellen Debatte stillschweigend
vorausgesetzt werde. Auch nehme man es für selbstverständlich, dass
völkerrechtlich kein Recht auf Einbürgerung bestehe. Die Verleihung der
Staatsbürgerschaft gleiche eher einem Heiratsantrag, bei dem der Anträger eben
auch mit einem Korb rechnen müsse. Dagegen machte Cassee geltend, dass
speziell für langfristig niedergelassene Migranten ein moralisches Recht auf
Einbürgerung bestehe, da sie schliesslich auch den Gesetzen unterworfen seien.
Barbara Büschi vom Staatssekretariat für Migration SEM gab Einblick in die
ethischen Fragestellungen bei staatlichen Asylentscheiden. Dabei würden immer
drei Akteure berücksichtigt: der Migrant selbst, die Bürger der Schweiz und
schliesslich das Entsendeland. Hinter der Asylgesetzrevision stehe etwa die
Überlegung, den Asylsteller nicht zu lange im Ungewissen zu lassen.
Annette Luther, Standortleiterin bei Roche Diagnostics in Rotkreuz, erläuterte in
ihrem Vortrag die Techniken der Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Die
Integration der ausländischen Arbeitnehmer sei natürlich im Interesse des
Unternehmens, verlange aber auch eine Eigenleistung, gerade was das Erlernen
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von Deutsch betreffe. Man könne sich in der Schweiz zwar problemlos mit
Englisch durchschlagen, so Luther, aber für die gesellschaftliche Integration seien
Deutschkenntnisse unverzichtbar.
Esther Dunn, die als Leiterin der Fachstelle Migration FMZ interkulturelle
Schulungen durchführt, knüpfte an die Frage der Integration gut qualifizierter
Zuwanderer an. Diese lösten bei den Einheimischen oft Verdrängungsängste aus.
«Integration ist nach wie vor eine Angstdebatte», meinte Dunn. Umso wichtiger
seien Aufklärung und Information.
Das Potential sehen
Dass die ethischen Probleme der Migrationspolitik in einem Podium kaum
bewältigt werden können, zeigte sich in der anschliessenden Diskussion. Sie
verlief mitunter etwas chaotisch. Ein Schwerpunkt war die Frage, was von den
Migranten verlangt werden dürfe. Nicht mehr als von einem Schweizer Bürger,
war die Antwort von Andreas Cassee. Auch der Spracherwerb sei letztlich zwar
wünschenswert, aber keine Pflicht. Dunn sah das ähnlich: Es sei konstruktiver, das
vorhandene Potential statt die Defizite zu sehen. Zudem kritisierte sie die ethisch
fragwürdige Politik, ausländische Arbeitskräfte nur kurzfristig in die Schweiz zu
bringen. Dadurch verschwinde der Anreiz, sich zu integrieren und die Gefahr von
Parallelgesellschaften wachse. Leicht Gegensteuer gaben Büschi und Luther. Ein
Interesse an Land und Kultur und eine Bemühung um Integration sollten
vorausgesetzt werden dürfen, meinten sie. Das Erlernen der Landessprache sei
dafür unverzichtbar.
Die Diskussion in Kappel zeigte: Die ethischen Aspekte der Migration sind
komplex, müssen aber unbedingt thematisiert werden, um Migration nicht zu
einem rein politischen Problem zu machen. Der offene Austausch ist der einzige
Weg aus der Angstdebatte.
Kommentar(e)
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