Patricks Isle of Skye Trekking

TAG 5: ​BACA RUADH → PORTREE, 28 KM, 1.400 HM
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W 6° 14.050'
N 57° 32.682'
4°C
Holle, die Bergfee
Diesen Morgen wurde ich bereits vor sechs von einer Art Zischen oder einem Schiebegeräusch geweckt.
Ein Blick aufs GPS verriet mir zwar die Uhrzeit, aber es war noch dunkel und ich ziemlich müde. Also
schob ich das Geräusch auf den Wind, einen neugierigen Fuchs oder ein am Zelt grasendes Schaaf, das
mir hoffentlich nicht beim Vorbeilaufen die Heringe an den Abspannleinen aus dem Boden zog. Ich
drehte mich noch einmal um und schlief weiter, bis es halb acht war. Abermals wurde ich geweckt und
zwar von den selben für mich nicht einzuordnenden Geräuschen. Eigentlich war dieser Morgen nicht
anders als der vorherige. Es war etwas kälter, aber auch sehr ruhig und scheinbar windstill. Für baldige
acht Uhr allerdings war es viel zu düster und die Wände des Außenzeltes gaben ein merkwürdiges Bild
ab. Fast als würde Wasser durch die undurchdringliche Plane laufen.
Da mich die Spekulationen aber nicht weit brachten, beschloss ich das Zelt nach einer heißen Tasse
Kaffee einmal von Außen zu begutachten. Just in diesem Moment passierte es: der dunkle, trübe Tag
rutschte direkt vor meinen Augen die Zeltwand hinunter und das durchnässt wirkende Muster an der
Plane verschwand. Etwas ungläubig öffnete ich zunächst das Innenzelt, dann den Reisverschluss der
Panoramaöffnung und traute meinen Augen kaum: Rund um das Zelt, über das Tal hinweg und auf den
umliegenden Anhöhen – Schnee soweit das Auge sehen konnte. Obschon mein Blick, aufgrund des leicht
über dem Boden schwebenden Nebels, zunächst kaum 100 m reichte. In direkter Nähe zum Zelt lagen bis
zu 15 cm Neuschnee. Daran bestand kein Zweifel. Und das inmitten der Berge. Nun lautete mein
Gedankengang aber nicht, „Warum schneit es denn hier plötzlich? Und das einfach so in den Bergen.“,
sondern, „Warum werde ich ausgerechnet dann vom Schnee überrascht, wenn ich kilometerweit in den
Highlands stecke?“. Mein heutiges Tagesziel Portree wollte ich eigentlich über eine der bekanntesten
aber immer noch rund 8 km entfernten Felsformationen auf Skye erreichen – The Old Man of Storr. Das
aber konnte ich mir bei diesen Umweltbedingungen erst einmal abschminken. Ohne Trekkingstöcke,
Grödel oder zumindest leichteres Gepäck sollte mir der Weg zur rund 48 m hohen Felsnadel auf dieser
Tour verwehrt bleiben. Einen Vorteil gab es dennoch. Für meinen Kaffee, das Müsli und später auch das
frische Trinkwasser für den heutigen Weg brauchte ich nur mit der Hand aus dem Zelt zu greifen und
den Schnee abkochen.
Nun gut. Alles Staunen und Jammern half ja nichts. Ich musste mich langsam aufmachen, einen neuen
Weg ins Tal zu finden. So packte ich meine Sachen, verstaute das Zelt und begann den Anstieg zum Baca
Ruadh. Die zu erklimmenden 140 Höhenmeter gestalteten sich zunächst relativ einfach, wurden aber
mit den Metern immer schwieriger zu bewältigen. Das Problem war nicht die Steigung selbst, sondern
die immer noch unterspülten Hänge und rutschigen Felsbrocken unter den Schneefeldern. Fast am
Gipfel angekommen, versuchte ich mich zu orientieren, was bei dem vernebelten Horizont nicht ganz
einfach war. Aber bereits beim Anstieg entdeckte ich gut einen Kilometer zu meiner Rechten ein
tiefschwarzes Tal. Gestern waren die Highlands noch sattgrün gefärbt und so musste die schwarze
Färbung für die Schneefreien Wiesen in Richtung der Lowlands stehen. Dort musste ich also lang. Aber
erst einmal galt es das nächste Tal zu erreichen und von dort aus weiter abzusteigen.
Nach gefühlt endlosen Kilometern über neblige Schneefelder traf ich tatsächlich auf Leben. Ein grau
gefärbter Fuchs streifte in etwa 20 m Entfernung meinen Weg. Anhand seiner Spuren, die ich während
der folgenden paar Hundert Meter mehrfach kreuzte, vermutete ich, dass er auf der Suche nach seinem
Mittagessen war. Gern wäre ich den Spuren gefolgt und hätte auf ein weiteres Treffen gehofft. Aber
nach etwa 2 km Strecke an den kaum erkennbaren Klippen kam bereits der Abstieg und ohne den
Schnee eigentlich auch der weitere Weg in Richtung des Berges Hartaval. Der Abstieg war eine
Katastrophe – ich kann es nicht anders umschreiben. Es waren nur 80 Höhenmeter, die gemeistert
werden wollten. Das schafft man mit links. Aber leider nicht an diesem Tag. Nun begann auch noch ein
recht heftiger Schneesturm die Ruhe zu stören und ich spurte meinen eigenen Serpentinenweg, bis ich
die Hälfte des Abstieges hinter mich gebracht hatte. Von hier an rutschten mein Hintern, der Rucksack
und ich die restlichen Meter sitzend den Hang hinunter. Mal schneller, mal langsamer. Der Fels und die
nassen Flächen unter dem Schnee machten den Berg zwar sehr glatt, aber an den größeren Brocken
wurde ich alle paar Sekunden ein wenig ausgebremst.
Geschafft! Ich fand mich nun im Tal zwischen den beiden Bergen wieder und das GPS Gerät sprach von
rund 7–8 km Luftlinie, entlang des Romesdal River, bis zum gleichnamigen Ort und der A87, die mich
heute nach Portree führen sollte. Das gesamte Gebiet, über das mein rettender Abstieg verlief,
beherbergte zahlreiche Hochlandschafe und ich traf nicht selten auch auf die Skelette ehemaliger
Bewohner. Das Schafe in den Hochebenen an Krankheiten oder Altersschwäche auf natürliche Art und
Weise sterben, ist keine Seltenheit. Dennoch war es für mich ein leicht befremdliches, wenn auch sehr
natürliches Bild.
Man darf sich den Abstieg bis Romesdal nicht wie einen langen Wanderweg vorstellen, der vom Brocken
in Richtung Bad Harzburg verläuft. Glücklicherweise wurde der Schnee bereits nach kurzer Zeit immer
weniger, bis er letzten Endes ganz verschwand. Alle 20 bis 50 m allerdings galt es nun einen Bach zu
queren, der auch schon mal über 5 m breit sein konnte. Es half also nichts und ich musste mitten durchs
Wasser laufen. Und das über die gesamte Strecke. Im Grunde ging es zwar stets bergab, dafür aber
mussten Dutzende kleine Erhebungen von 5–10 m Höhe überwunden oder umgangen werden, was
meinen Weg hinab um gute 3 km verlängerte. Bildlich kann man sich dazu den Abstieg von einem
kleinen mit Gräsern und Moos bewachsenen Hügel vorstellen, der an einem Fluss endet. Einmal über
den Fluss gesprungen oder mitten durch gelaufen, wartete aber schon der nächste Hügel, etwa halb so
hoch, wie der Abstieg des vorherigen gemessen hatte. So ging es in einer erstaunlich präzisen
Kontinuität erst hoch und dann wieder hinunter, um einen Bach zu queren. Immer wieder. Kein Wunder
– dieses Gebiet gehörte nicht mehr zum Skye Trail und ich bezweifelte, dass es vor mir eine wirklich
nennenswerte Zahl von Wanderern gegeben hat, die diese Route für den Abstieg wählten.
Endlich im kleinen Ort Romesdal angekommen und wieder befestigten Boden unter den Füßen, machte
ich mich auf den Weg gen Portree. Es war bereits nach sechs und ich sehr dankbar über einen kleinen
Weg, der die A87 ein ganzes Stück weit begleitete. Auch wenn dieser Weg etwa 10 km vor Portree für
mich endete, war es doch möglich am Rand der Autobahn entlang zu laufen. Noch nicht ganz
angekommen trampte ich die letzten Kilometer, auf denen es mir zu gefährlich schien, weiter auf der
Autobahn zu wandern. Nachdem ich die kleine Stadt erreicht und mich hatte absetzen lassen,
durchquerte ich mit den letzten Sonnenstrahlen den bewohnten und belebten Teil Portrees, um mich in
einer kleinen Bucht niederzulassen. Nur wenige Meter trennten das Meer und mein Zelt, sodass ich
später am Abend gar mit leichter Brandung einschlief.