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INFORMATION
zur Pressekonferenz
mit
Sozial-Landesrat Reinhold Entholzer
Dagmar Andree, Vorsitzende des Frauenhauses Linz
Margarethe Rackl, Geschäftsführerin des Frauenhauses Linz
am
26. April 2016
zum Thema
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung:
Soziale Absicherung für von Gewalt betroffene
Frauen und Kinder
Sozial-Landesrat Reinhold Entholzer
Sozial-Landesrat Entholzer: „Bedarfsorientierte Mindestsicherung
bietet soziale Absicherung in absoluten Notsituationen“
Wenn das traute Heim durch Gewalt zum Alptraum wird, dann bleibt vielen Frauen
und deren Kindern nur der Weg ins Frauenhaus. Frauenhäuser bieten von Gewalt
betroffenen oder akut gewaltgefährdeten Frauen und deren Kinder Schutz und einen
sicheren Raum und schaffen damit ein sicheres Umfeld in dem es möglich ist,
gemeinsam mit den professionellen Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser an neuen
Perspektiven zu arbeiten und den notwendigen Mut zu fassen, um aus der
Gewaltbeziehung auszusteigen.
„Wie im Folgenden auch Frauenhaus-Vorsitzende Dagmar Andree und FrauenhausGeschäftsführerin Margarethe Rackl erläutern werden, besteht die begründete Befürchtung,
dass eine Kürzung der Mindestsicherung vielen von Gewalt betroffenen Frauen die
Perspektive raubt, um aus der Gewaltbeziehung auszusteigen, da dann die dafür
notwendige finanzielle und wirtschaftliche Stabilität fehlt. Die Folge ist, dass Frauen trotz
teilweise enormer körperlicher und psychischer Gewaltausübung zum Misshandler
zurückkehren müssen – und sich damit massivsten Gefahren und Belastungen aussetzen“,
erläutert Sozial-Landesrat Reinhold Entholzer.
Grunddaten zu den oö. Frauenhäusern
Die fünf oberösterreichischen Frauenhäuser in Linz, Steyr, Vöcklabruck, Wels und Ried
bieten bis zu 38 Frauen und 64 Kindern gleichzeitig Schutz. Im Jahr 2015 waren in den fünf
Frauenhäusern in Summe 202 Frauen und 219 Kinder untergebracht. Nähere Informationen
über Kapazitäten und Inanspruchnahme der Frauenhäuser in Oberösterreich können der
untenstehenden Tabelle entnommen werden.
Kapazitäten/betreute Frauen und Kinder
sowie Auslastungsgrad in %
Plätze
Linz
Wels
Steyr
VB
Ried
Summe
14
6
6
6
6
38
3.755
1.601
1.879
1.759
1.896
10.890
Anzahl betreuter Frauen
68
37
34
41
22
202
Anzahl betreuter Kinder
82
32
41
50
14
219
73,48%
73,11%
85,80%
80,32%
86,58%
78,51%
Bewohntage (Frauen)
Auslastungsgrad
*Berechnung Auslastungsgrad am Bsp. Linz: 3.755 tatsächliche Aufenthaltstage = 73,48% von 5.110 möglichen
Aufenthaltstagen (14 Plätze multipliziert mit 365 Tagen)
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Zusätzlich zur stationären Unterbringung von Frauen und deren Kindern bieten alle
Frauenhäuser Oberösterreichs eine ambulante Beratung an. Im Jahr 2015 wurden
insgesamt 1.623 telefonische Beratungen, 506 ambulante Beratungen und 23 Beratungen
über das Internet durchgeführt. Zusätzlich fanden 924 Nachbetreuungskontakte statt. Die
ambulanten Beratungsformen tragen maßgeblich dazu bei, dass von Gewalt betroffene
Frauen die notwendigen Informationen erhalten und ihnen in schwierigen Situationen der
Rücken gestärkt wird.
Finanzielle Situation der Frauen
Rund 20 % der Frauen kehrten im Jahr 2015 nach einem Aufenthalt im Frauenhaus wieder
zum Misshandler zurück. Die Gründe dafür liegen oftmals in der schwierigen finanziellen
Situation in der sich die Frauen befinden und in denen ein Auskommen für sich selbst und
die Versorgung von Kindern eine enorme Herausforderung und schier unüberwindbare
Hürde darstellen.
Eine Abfrage in den oberösterreichischen Frauenhäusern zeigt, dass 25 % der Frauen beim
Einzug über gar kein Einkommen verfügen – weder in Form von Arbeitsentgelten, noch in
Form von Transferzahlungen. 29 % der Frauen geben an, über ein Arbeitseinkommen zu
verfügen,
jedoch
handelt
es
sich
hierbei
meist
um
überaus
prekäre
Beschäftigungsverhältnisse, die kein eigenständiges Auskommen sicherstellen. Die
restlichen Einkommensgruppen verteilen sich auf den Bezug von Kinderbetreuungsgeldern
und den Bezug von Sozialtransferleistungen, die jedoch aufgrund der Haushaltsbetrachtung
des theoretisch verfügbaren Einkommens ebenso gering sind. Auch hier leisten die
Frauenhäuser eine wichtige Unterstützungs- und Beratungsleistung, um von Gewalt
betroffene Frauen zurück in die sozialen Sicherungsnetze zu bringen.
„Gerade auch für solche Situationen, in denen sich die finanzielle und persönliche
Notsituation zu einer ohne fremde Hilfe kaum mehr zu bewältigenden multiplen
Problemlage zuspitzen, wurde die bedarfsorientierte Mindestsicherung geschaffen. Durch
die Unterstützungsleistungen der Mindestsicherung kann einerseits eine Hilfestellung
gegeben
werden,
um
ein
wirtschaftlich
unabhängiges
Leben
außerhalb
der
Gewaltbeziehung zu beginnen und andererseits bieten die Angebote der Qualifizierung und
der Arbeitsmarktintegration ein wertvolles Sprungbrett, um langfristig am regulären
Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können“, fasst Sozial-Landesrat Entholzer zusammen.
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Andree & Rackl: „Ausstieg aus Gewaltspirale darf nicht am Geld
scheitern“
Gewalt gegen Frauen ist ein zielgerichtetes Verhalten und „passiert“ nicht einfach. Es geht
immer um Macht und um die spürbare Durchsetzung dieser. Der Gewalttäter lässt die Frau
spüren, dass sie die Ohn(e)mächtige ist. Demütigungen, Beleidigungen, schwere
Drohungen, Kontrolle, Isolierungen bis hin zu oft schweren körperlichen Verletzungen sind
die Mittel dafür.
Wir sprechen von verschiedenen Formen von Gewalt: die psychische, die körperliche, die
sexuelle, die finanzielle und die strukturelle Gewalt. Alle Formen der Gewalt sind im Linzer
Frauenhaus regelmäßig Thema sowohl bei den jährlich etwa 1.000 ambulanten Beratungen
als auch bei den jährlich rund 80 Bewohnerinnen und deren Kindern.
Strukturelle Gewalt
Wenn Strukturen und Systeme zugelassen werden, die es Frauen erschweren, aus einer
Gewaltbeziehung auszubrechen, spricht man von struktureller Gewalt. Eine Ausprägung
struktureller Gewalt ist, wenn Frauen deutlich weniger verdienen als Männer und es
dadurch schwierig ist, selbständig für sich (und eventuelle Kinder) zu sorgen. In
Oberösterreich ist das, angesichts eines Medianeinkommens von Frauen, das bei 1.547
Euro brutto liegt, der Fall. Denn damit verdienen sie rund 40 Prozent weniger als
Oberösterreichs Männer.
Eine andere Ausprägung struktureller Gewalt liegt dann vor, wenn der Arbeitsmarkt für
Frauen schwerer zugänglich ist, etwa weil Betreuungseinrichtungen fehlen oder
vorhandene Strukturen keine adäquaten Betreuungszeiten bieten. Strukturelle Gewalt zeigt
sich aber auch dann, wenn das Fremdenrecht die Frau an den Mann bindet (Stichwort:
Aufenthaltsstatus), wenn sexuelle Gewalt verniedlicht und als nicht verfolgbar dargestellt
wird (Beispiel: Po-Grapschen) oder wenn Gewalt gegen Frauen mit Aussagen wie „sie
wird’s provoziert haben“ gesellschaftlich anerkannt werden.
Finanzielle Gewalt
Nach wie vor ist die Einkommensverteilung in Haushalten wenig einsehbar. Wie Paare ihre
Geldangelegenheiten organisieren, gilt als Privatsache. Dass die finanzielle Situation von
Frauen, die auf ein eigenes Einkommen verzichten, um sich Kindererziehung und
Familienarbeit zu widmen, oft prekär ist, gilt allerdings als gesichert.
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Nicht selten wird Geld auch zum Grund für innerhäusliche Konflikte und als Machtmittel des
erwerbstätigen Mannes eingesetzt. Ist das der Fall, spricht man von finanzieller Gewalt.
Das kann beispielsweise heißen, dass er ihr viel zu wenig Geld für alltägliche Besorgungen
zur Verfügung stellt oder das Haushaltseinkommen nicht fair aufteilt. Immer wieder können
auch berufstätige Frauen über ihr Einkommen nicht verfügen, beispielsweise bei einem
gemeinsamen Konto, über das er herrscht und wacht. Das bedeutet, dass sowohl Frauen,
die finanziell auf ihren Partner angewiesen sind, als auch Frauen, die finanziell unabhängig
sind, Opfer finanzieller Gewalt werden können.
Finanzielle Gewalt ist eine Form von Gewalt, die unsichtbar und gesellschaftlich weitgehend
akzeptiert ist. Denn Geld gilt vielen als Männerdomäne. Besonders wenn es um´s "große"
Geld geht.
Aber: Finanzielle Autonomie ist das Recht jedes Erwachsenen. Absolute Kontrolle über die
Einkäufe der Frau, Vorwürfe über Verschwendung, obwohl das Geld einfach zu knapp
bemessen ist, bestimmte Ausgaben wir z.B. Friseur oder neue Kleidung nicht zu „erlauben“,
demütigt Frauen und nimmt ihnen das Selbstbewusstsein. Finanziell abhängigen Frauen
fehlt oft der Mut aus Gewaltbeziehungen auszubrechen, weil sie keine Perspektive für sich
(und ihre Kinder) sehen. „Eine finanzielle Absicherung, die den Namen verdient und Frauen
Zukunftsängste nimmt, ist deshalb unbedingt notwendig, wenn uns Gewaltschutz
tatsächlich ein Anliegen ist“, so Frauenhaus-Vorsitzende Dagmar Andree.
Kürzung der Mindestsicherung als finanzielle und strukturelle Gewalt
2015 haben im Jahresdurchschnitt rund 14.000 Personen in Oberösterreich eine Leistung
aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen, Frauen sind – was sich an den
Einkommensdaten leicht nachvollziehen lässt – öfter als Männer auf dieses fundamentalste
Auffangnetz des Sozialwesens angewiesen und bilden rund 54 % der Bezieher/innen.
22 Prozent der Frauenhausbewohnerinnen - das ist jede fünfte Frau – beziehen eine
Leistung aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung, meist handelt es sich dabei um
Aufstockungsbeträge.
Trotzdem haben sie den Mut gefasst und sind aus der Gewaltbeziehung ausgestiegen.
Jeder Mensch, der selbst sein Leben finanziert weiß, dass dabei einiges zusammenkommt.
Angefangen von der Miete oder Hinterlegung einer Kaution, über Lebenserhaltungskosten
etwa für Lebensmittel, bis hin zu Betreuungs- oder Ausbildungskosten für Kinder. Den
meisten Frauen, die im Frauenhaus Linz Schutz suchen, bleibt von dem, was sie
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bekommen, jetzt schon sehr wenig. Verschärft wurde bei vielen die Situation schon durch
die Kürzung der Wohnbeihilfe, die in Oberösterreich vor nicht allzu langer Zeit durchgeführt
wurde. Ohne Spenden für die Kaution oder die erste Miete könnten viele den Weg aus dem
Frauenhaus sicher nicht schaffen.
„Es braucht viel Mut, einen eigenständigen Weg zu gehen. Eine Kürzung der
Mindestsicherung – vor allem und ganz besonders die vom einer Mehrheit des
oberösterreichischen Landtags angeregte Deckelung bei mehreren Kindern – nimmt diese
Perspektive und lässt viele Frauen in ihrer gewaltgeprägten Beziehung verharren oder
zwingt sie zurück zu gehen, weil sie sich ein eigenständiges Leben nicht leisten können.
Eine Kürzung käme damit finanzieller Gewalt, verübt durch den Staat, gleich. Diese betrifft
natürlich nicht nur Frauen, sondern in vielen Fällen auch Kinder“, warnt Andree.
Derzeit gibt es glücklicherweise noch viele Frauen, die es schaffen aus der
Gewaltbeziehung auszusteigen. Für sie ist es wichtig, dass es Einrichtungen wie das Linzer
Frauenhaus gibt. Wer einmal den ersten Schritt getan hat, schafft es meistens auch weiter
zu gehen: „Zwei Drittel konnten wir so viel Mut machen, dass sie nach dem Frauenhaus
entweder in eine eigene Wohnung zogen oder eine andere sichere Übergangslösung
fanden“, sagt Margarethe Rackl, Geschäftsführerin des Frauenhauses Linz. Das Ziel bis
zum Auszug ist, die Frauen so weit zu bringen, dass sie auf eigenen Beinen stehen können
und das bedeutet eben auch, finanziell weitestgehend abgesichert zu sein.
Das Linzer Frauenhaus
Das Frauenhaus Linz war eine der ersten Schutzeinrichtungen dieser Art in Österreich und
wurde am 6. Mai 1982 eröffnet (das allererste österreichische Frauenhaus eröffnete 1978 in
Wien). Nach sechs Jahren und intensiven Geldnöten wurde der bis dahin eigenständige
Verein ein Teil der Volkshilfe Oberösterreich. Durch die im Jahr 2000 erfolgte gesetzliche
Verankerung von Frauenhäusern und die finanzielle Absicherung im Pflichtleistungsbereich
des Landes OÖ wurde das Frauenhaus 2006 wieder ein eigenständiger, autonomer Verein.
Derzeit finden gleichzeitig 14 Frauen und deren Kinder Schutz im Linzer Frauenhaus. Die
durchschnittliche Auslastung der letzten Jahre liegt bei rund 80 Prozent, was für eine
Kriseneinrichtung sehr hoch ist. Ein neues Haus ist bereits in Bau. Es soll größer werden
und vor allem auch behindertengerecht sein. „Es wird den Frauen mehr Platz und Ruhe
bieten und erstmals einen geschützten Außenbereich zum Spielen für die Kinder bieten“,
sagt Geschäftsführerin Rackl. Noch diesen Herbst wird das Frauenhaus deshalb
übersiedeln. Wo sich das Frauenhaus befindet, wird aus Sicherheitsgründen allerdings
nicht öffentlich gemacht.
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Kontakt zum Frauenhaus
Wer Opfer von Gewalt wird, kann sich jederzeit an das Linzer Frauenhaus unter Tel. 0732/
60 67 00 wenden. Auch im Internet unter www.frauenhaus-linz.at finden sich Informationen
über das Frauenhaus. Kontakt kann aber auch über Facebook aufgenommen werden.
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