Dipl.-Theol. Sebastian Pilz, Fulda „Sonntagsgedanken“ in hr1 am 24. April 2016 Hoffnung, die nie vergeht Der Abendbrottisch ist gedeckt. Brot, Wurst und Käse stehen bereit und meine Familie setzt sich zusammen. Nach wenigen Minuten entbrennt zwischen meinen ältesten Kindern ein Streit: Josefine macht sich über den letzten Rest des Streichkäses her. Auf den hatte es auch Matthäus abgesehen. Der Neunjährige beleidigt seine ältere Schwester, weil die sich – scheinbar mit Absicht – die so rare Kost noch mal dick auf ihr Brot aufträgt. Sie kann natürlich eine solche Beleidigung nicht auf sich sitzen lassen und kontert. Untermauert mit Kraftausdrücken macht sie ihrem Bruder klar: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Mir als Vater schwillt der Kamm. Ich will den Streit über so eine Kleinigkeit beenden. Ich halte das im wahrsten Sinn des Wortes für Käse, nicht aber die Worte, die gerade gefallen sind. Ich baue mich gerade innerlich auf, will beide kräftig zurechtweisen, hole Luft und … und auf ein Mal fängt meine Frau an folgenden Text zu singen: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne für diese Erde, auf der wir leben. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude, ein bisschen Wärme, das wünsch' ich mir.“ Alle am Tisch sind platt. Stille tritt ein. In diese Stille hinein singt meine Frau das gesamte Lied einfach weiter, und zwar nicht nur den Refrain, sondern auch die Strophen. Wir lauschen alle ganz verblüfft und ganz neben bei leert sich auch der letzte Rest des begehrten Streichkäses. Als meine Frau fertig ist, gibt es einen kleinen Applaus. Dann erzählt sie uns, dass dieses Lied der Sängerin Nicole früher ihr Lieblingslied war. Im Alter von fünf Jahren hörte sie es immer wieder im Radio und auf Kassette und sang dazu kräftig mit. Das Lied empfand sie einfach und schön zum Mitsingen. Zudem imponierte ihr die junge Sängerin. Die Kindheitserinnerungen meiner Frau waren neu für mich und beeindruckten mich. Besonders die Tatsache, mit welcher Sicherheit sie Jahrzehnte später noch den Text beherrschte. Mit dem Lied „Ein bisschen Frieden“ gewann Nicole im Jahr 1982 den Eurovision Song Contest für Deutschland. So wurde die damals 17-jährige auf einen Schlag berühmt und ihr Titel blieb mehrere Wochen lang auf Platz eins der Charts. Aber warum war das Lied so erfolgreich? Warum votierten die Menschen aus Europa und dem Nahen Osten beim ESC für dieses Lied? ******************************************************************************************************* Ich glaube nicht, dass die Zuschauer und Zuhörer das Lied „Ein bisschen Frieden“ wegen einer besonderen Showeinlage oder seiner Präsentation zum Sieger gekürt haben. Denn da gab es nichts anderes als eine junge Frau mit ihrer Gitarre, die nahezu bewegungslos auf einem Hocker saß. Ich glaube vielmehr, dass die Zuhörer der Text bewegt hat, den Nicole in der Schlussversion auch mehrsprachig sang. Auch mir blieb beim Liedvortrag durch meine Frau sofort eine Zeile im Kopf hängen und zwar folgende: „Ich singe als Antwort im Dunkel mein Lied und hoffe, dass nichts geschieht.“ Die Hoffnung, dass nichts geschieht, hatten gewiss auch die Menschen von damals. Im Frühjahr 1982 begannen die Kämpfe auf den Falklandinseln im südlichen Atlantik. Daraufhin schickte Großbritannien wenige Wochen vor dem ESC seine Streitkräfte in einen Krieg mit Argentinien. Die Sowjetunion war seit drei Jahren im Krieg in Afghanistan – einem Stellvertreterkrieg, weil die islamistischen Gruppen mit von den USA finanzierten Waffen versorgt wurden. In Europa erreichte der so genannte Kalte Krieg mit dem Nato-Doppelbeschluss einen neuen atomaren Höhepunkt: die Aufstellung von Atomraketen im Westen bei gleichzeitigen Verhandlungen zur Begrenzung der Atomwaffen waren die Folge. Ein Jahr nachdem Nicole den ESC-Titel gewann, standen in der BRD atomar bestückte Mittelstreckenraketen. In diese so friedlose Zeit hinein sang Nicole ihr Lied. Sie sprach den Menschen mit ihrer authentischen Präsentation aus dem Herzen. Mit ihrer Friedensbitte traf sie den Nerv der Zeit. Die Menschen fühlten sich angesichts der Ereignisse in der Welt mit Angst und Sorge erfüllt. Sie waren hilflos, was auch Nicole im Lied zum Ausdruck bringt, wenn sie singt: „Ich weiß, meine Lieder ändern nicht viel. Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt.“ Dass Nicole den Eurovision Song Contest gewann – auf den Tag genau ist dies heute 34 Jahre her. Doch ihr Lied bewegt mich auch heute noch. Diese Hoffnung, dass nichts geschieht, dieses Gefühl, irgendwie angesichts der Weltereignisse hilflos zu sein, spricht mir aus dem Herzen. Ich blicke heute, eben 34 Jahre später, in die Weltpolitik und entdecke weiterhin Kriege wie etwa in Syrien, der Ukraine oder zwischen Aserbaidschan und Armenien. Auch hier sind Großmächte wie Russland, USA oder die Türkei mit im Spiel. Politiker verwenden sogar die Rhetorik von damals und sprechen wieder von diesen Konflikten als eine Art Stellvertreterprinzip1. Mit Blick auf Atomwaffen wachsen Verkrustungen wie im Kalten Krieg. Anders kann ich das nicht deuten, wenn ein Atomgipfel Anfang April in Washington stattfindet und unter den 50 anwesenden Staats- und Regierungschefs einer fehlt – nämlich der russische Präsident. Neben den alten und scheinbar wiederbelebten Sorgen um den Frieden kommen aber auch ganz neue Gefahren direkt vor die Haustür. Mit dem IS-Terror und den Anschlägen von Paris und Brüssel treten Bedrohungen auf, die sich keine fünf Auto-Stunden von Hessen entfernt abspielen. Ehrlich gesagt sitze ich heute im Zug schon manchmal mit einem „Grummeln“ im Bauch und hoffe, wie Nicole in ihrem Lied, dass nichts geschieht. ******************************************************************************************************* 1 So Cem Özdemir am 01. April 2016 im Interview mit der „Tagesschau“ zum gewaltsamen Konflikt um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan. In Nicoles Lied steckt noch ein zweiter Satz, den ich mir im Kopf behalten habe: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen und dass die Menschen nicht so oft weinen. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe, dass ich die Hoffnung nie mehr verlier.“ Diese Hoffnung, die ich nie verlieren kann, schöpfe ich persönlich aus dem christlichen Glauben. Im Leben Jesu und in seinen Tod entdecke ich: Gott ist da – und zwar in allen Höhen und Tiefen des Lebens, aber auch im Sterben. Der Tod ist nicht das Ende. Auf Jesu Tod folgt seine Auferstehung. Genau das bekommen die Gläubigen am heutigen Sonntag auch in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen. Da wird aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, zitiert. Johannes beschreibt, wie das neue Jerusalem als heilige Stadt von Gott her aus dem Himmel herab kommt. Und dann heißt es wörtlich: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wir nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“2 Soweit der Bibelvers. In ihm drückt sich für mich die Hoffnung auf den Himmel aus und zugleich entspricht es meiner Beschreibung von Frieden. Es ist der ewige Frieden, den ich von Gott für die vielen Opfer von Krieg, Terror und Flucht erbitte. Es ist jener Wunsch, den wir Verstorbenen zusprechen: Ruhe in Frieden. Aber in dieser Perspektive steckt für mich zugleich ein unverlierbarer Trost: Alle Kreuze unserer Zeit, ob Terror oder Leid, sind nicht das letzte, was bleibt. Denn auch das Kreuz Jesu war nicht der Schlusspunkt, sondern der Ostermorgen mit Licht, Leben und Auferstehung. Gott bleibt da und schenkt Leben. Weder Hass noch Tod siegen, sondern die Liebe. Die hat Jesus allen Menschen geschenkt und ich darf sie weitergeben. Das ist mein Fundament für eine Hoffnung, die nie vergeht. Und diese Hoffnung ist keine Vertröstung, sondern eine Kraft, die mich heute handeln lässt. Ich will mich angesichts der 2 Offenbarung 21,3f. düsteren Weltereignisse nicht entmutigen lassen, sondern stattdessen mit Mut und christlichem Glauben an das Gute durch das Leben gehen. Das Faszinierende ist, dass auch Nicole in ihrem Lied nicht nur auf eine unvergängliche Hoffnung baut, sondern auch auf einen Wandel. Zwar singt sie davon, dass ihre Lieder nicht viel verändern. Aber am Schluss des Stückes lädt sie alle Menschen ein mitzusingen, auf dass Frieden wird. Ich will gern einstimmen in diese Osterbotschaft und in diese Hoffnung auf Frieden und in meinem Alltag alles tun für einen liebenswürdigen Umgang miteinander. Ach übrigens: Seitdem meine Frau das Lied „Ein bisschen Frieden“ beim Abendbrot gesungen hat, singen wir mehr in unserer Familie. Streit gibt es zwar immer noch gelegentlich, aber der gemeinsame Frohsinn rückt beim Singen in den Blick und das finden wir schön. Deshalb singen wir auch ganz bewusst nach dem Abendbrot immer ein Lied. Und irgendwie funktioniert das mit dem Singen und dem Frieden, auch wenn mal der Streichkäse weggegessen ist.
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