impuls - Hans-Böckler

Böckler
impuls
7/2016 28. April
2Verteilung Wer viel verdient, erbt am meisten
3Abgeltungssteuer Rabatt ohne Rechtfertigung
4Betriebsräte Mann vertritt Frau
5Verteilung Organisiert gegen Ungleichheit
5Rente Nicht noch mehr Geld für Riester
6Arbeitszeit Länger gearbeitet, weniger geschafft
6Arbeitsmarkt Gezeichnet fürs Arbeitsleben
7Beschäftigung Teilzeit auf dem Vormarsch
Wachstum
Zuwanderung stützt die Konjunktur
Dank der robusten Inlandsnachfrage bleibt die deutsche Wirtschaft auch in
unsicherem Umfeld auf Wachstumskurs. Die Zuwanderung von Flüchtlingen
wirkt wie ein Konjunkturprogramm.
Das Bruttoinlandsprodukt wird hierzulande 2016 und 2017
um jeweils 1,5 Prozent wachsen. Davon geht das IMK in sei­
ner aktuellen Prognose aus. Getragen werde der Aufschwung
in erster Linie von der Binnenwirtschaft. Die Wechselwirkung
zwischen höheren Löhnen, mehr Konsum und steigender Be­
schäftigung sei in der Lage, die verminderte Exportdynamik
auszugleichen. Ungünstig wirken sich unter anderem das Ab­
flachen des chinesischen Booms, die Sanktionen gegen Russ­
land und die sinkende Nachfrage der erdölexportierenden Län­
der aus. Die Flüchtlinge beeinflussen dem IMK zufolge das
Wirtschaftswachstum positiv.
Die Ökonomen schätzen, dass die Bruttolöhne 2016 um
4,2 Prozent steigen werden. Da außerdem deutliche Renten­
erhöhungen anstehen, werden die verfügbaren Einkommen
preisbereinigt um 2,2 Prozent zulegen. Die Folge: Bei leicht
steigender Sparquote verbleibt ein Plus von 2,0 Prozent bei
den Konsumausgaben. Damit bleibe der private Verbrauch die
wichtigste Säule des Wirtschaftswachstums, so das IMK. Bei
der Beschäftigung, die sich 2015 entgegen den Vorhersagen
von Mindestlohn-Kritikern ausgesprochen dynamisch entwi­
ckelt hat, dürfte sich der Aufwärtstrend fortsetzen. Das IMK
rechnet 2016 mit einem Zuwachs um 470.000 auf 43,5 Milli­
onen Erwerbstätige, 2017 sollen noch einmal knapp 400.000
hinzukommen. Gleichzeitig wird es aufgrund der Zuwanderung
aber auch etwa 160.000 Arbeitslose mehr geben.
Die Forscher erwarten, dass die Migration „spürbare“ po­
sitive Auswirkungen auf die Konjunktur haben wird. In einer
Modellsimulation haben sie berechnet, wie sich die Wirtschaft
mit und ohne Zuzug von Flüchtlingen entwickeln würde. Die
Annahmen: 2016 werden insgesamt 400.000 Menschen Zu­
flucht in Deutschland suchen, im Folgejahr 200.000. 70 Prozent
von ihnen dürfen bleiben, rund drei Viertel befinden sich im er­
werbsfähigen Alter, die Erwerbsbeteiligung steigt allmählich
von zunächst 45 Prozent, die anfängliche Arbeitslosenquote
beträgt 80 Prozent, die Ausgaben für die Integration entspre­
chen einem Aufschlag von zehn Prozent auf die unmittelba­
ren Unterbringungs- und Versorgungskosten. Jedem zweiten
Flüchtling folgt im Rahmen des Familiennachzugs eine weite­
re Person nach Deutschland. Unter diesen Voraussetzungen
entstehen dem Staat in den Jahren 2016 und 2017 Mehrausga­
ben in Höhe von insgesamt 27,4 Milliarden Euro. Im Vergleich
zum Szenario ohne Zuwanderung ist die Wirtschaftsleistung
0,6 Prozent höher. Die Mehrausgaben finanzieren sich zu ei­
nem erheblichen Teil selbst: Den Berechnungen zufolge steigt
der Anteil der Kosten, die durch Mehreinnahmen gedeckt wer­
den, bis 2017 auf nahezu 50 Prozent.<
Quelle: Gustav Horn u.a.: Deutsche Konjunktur robust in rauem Klima.
Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2016/2017 Download: bit.do/impuls0343
Höhere Löhne, viel Konsum, robustes Wachstum
So entwickeln sich im Vergleich zum Vorjahr ...
reales Bruttoinlandsprodukt
Prognose
1,7 %
2015
2016
2017
1,5 %
1,5 %
privater Konsum
1,9 %
2,0 %
1,8 %
Bruttolöhne
4,0 %
4,2 %
4,1 %
Zahl der Erwerbstätigen
0,8 %
1,1 %
0,9 %
Quelle: IMK 2016 Grafik: bit.do/impuls0344 Daten: bit.do/impuls0345
VErteilung
Wer viel verdient, erbt am meisten
Menschen mit hohem Einkommen erhalten besonders oft und besonders viel Geld aus
Schenkungen und Erbschaften. So konzentriert sich Reichtum über die Generationen.
Steuern auf Vermögen könnten dem entgegenwirken – werden aber kaum erhoben.
Erbschaften und Schenkungen verstärken bestehende Un­
gleichheit. Das zeigt eine Studie der DIW-Forscher Christian
Westermeier und Markus Grabka sowie Anita Tiefensee von
der Hertie School of Governance. Der Staat trägt das Seine
dazu bei: Nach zwei Jahrzehnten, die in Deutschland vor al­
lem durch Entlastungen für Wohlhabende geprägt waren, wir­
ke die Steuerpolitik „der Kluft zwischen Arm und Reich“ kaum
noch entgegen, schreiben die Wissenschaftler.
Wer hat, dem wird gegeben – dieses Muster beobachten
die Forscher mit kleinen Unterschieden in allen acht Eurolän­
dern, für die aussagekräftige Daten aus der repräsentativen
Household Finance and Consumption Survey der europäischen
häufig geerbt oder Schenkungen empfangen wie Haushalte
aus dem untersten Fünftel. Eine deutsche Besonderheit: Hier
erhalten bereits Menschen in der Altersklasse von 35 bis 44
hohe Transfers. Das ist früher als in den meisten anderen Län­
dern und deutet nach Ansicht der Forscher auf eine besonde­
re Bedeutung von Schenkungen hin.
Hohes Einkommen, höhere Transfers
Westdeutsche Haushalte, die bereits geerbt haben oder be­
schenkt wurden, erhielten im Durchschnitt 193.000 Euro, zei­
gen die Berechnungen der Forscher. Mit diesem Wert liegen die
Deutschen auf Platz drei – nach Zyprern und Österreichern. In
allen untersuchten Län­
dern ist der Durchschnitt
weitaus höher als der Me­
dian. Dies weist den For­
Besserverdiener erben mehr
oberstes Fünftel
schern zufolge „auf die
Von allen Haushalten, die geerbt haben, erhalten je nach Einkommensklasse im Schnitt ...
304.000 Euro hohe­Ungleichheit der
empfangenen Transfers“
hin. In Westdeutschland
unterstes
2.
3.
4.
heißt das konkret, dass
Fünftel
erbende oder beschenk­
te Haushalte, die zum
194.000 Euro
bestverdienenden Fünf­
158.000 Euro
tel zählen, im Schnitt
130.000 Euro
304.000 Euro bekom­
97.000 Euro
men haben. Im mittleren
Fünftel waren es durch­
schnittlich 158.000 Euro.
Die – relativ wenigen –
Empfänger von Erbschaf­
ten oder Schenkungen im
Erbschaften und Schenkungen in Westdeutschland bis 2010 von außerhalb des Haushalts
untersten Fünftel erhiel­
Quelle: Westermeier u. a. 2016 Grafik zum Download: bit.do/impuls0346
ten im Schnitt lediglich
97.000 Euro.
Zentralbanken vorliegen. Neben Deutschland sind dies Belgi­
In fast allen untersuchten Ländern setzt die Steuerpolitik
en, Frankreich, Griechenland, Österreich, Portugal, Spanien der Vermögenspolarisierung beim Übergang auf die nächste
und Zypern. Bis zum Untersuchungsjahr 2010 hatten je nach Generation wenig bis fast nichts entgegen. So schafften Ös­
Land zwischen 27 und 40 Prozent der Haushalte mindestens terreich, Zypern und Portugal die Erbschaftsteuer weitgehend
einmal geerbt oder eine Schenkung erhalten. In die Analyse ab. In Deutschland könnten „durch hohe Freibeträge, die sich
flossen nur Geldtransfers zwischen Haushalten ein. Übertra­ nach zehn Jahren erneuern“ auch Privatvermögen „fast steu­
gungen unter Eheleuten oder an Kinder, die noch bei ihren El­ erfrei an die nächste Generation übertragen werden“, so die
tern leben, blieben also außen vor. Daher dürfte das Transfer­ Forscher. Das komme vor allem Wohlhabenden zugute, eben­
volumen unterschätzt sein, vor allem in Südeuropa, wo mehr so wie die Aussetzung der Vermögenssteuer und Absenkun­
Menschen unter einem Dach leben. Trotzdem ist der Wert aller gen bei der Besteuerung von Unternehmen, Kapitalerträgen
erfassten Erbschaften und Schenkungen sehr groß. In West­ und hohen Einkommen. Dabei, betonen die Wissenschaftler,
deutschland – die neuen Länder konnten in die Studie nicht ließen sich „mit zusätzlichen Mitteln aus vermögensbezoge­
einbezogen werden, weil die Bewertung von Erbschaften aus nen Steuern auch Instrumente finanzieren, die die Chancen­
DDR-Zeiten schwierig ist – entspricht er fast einem Drittel der gleichheit erhöhen“ – beispielsweise ein besseres, durchläs­
aktuellen Haushaltsnettovermögen. Dabei zeigt sich eine hohe sigeres Bildungssystem.<
soziale Ungleichheit.
In Deutschland und Österreich haben Haushalte, die beim Quelle: Christian Westermeier, Anita Tiefensee, Markus Grabka: Erbschaften in Europa: Wer viel
Einkommen zu den obersten 20 Prozent zählen, doppelt so verdient, bekommt am meisten. DIW-Wochenbericht 17/2016 Download: bit.do/impuls0347
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 2
Abgeltungssteuer
Rabatt ohne Rechtfertigung
Seit 2009 müssen Steuerpflichtige in Deutschland nie mehr als 26,4 Prozent ihrer
Kapitaleinkünfte an den Fiskus abgeben. Was seinerzeit als Notwehrmaßnahme
gegen Steuerflucht eingeführt wurde, ist heute nicht mehr zeitgemäß.
Das Kapital ist ein scheues Reh, stets auf dem Sprung ins
nächste Steuerparadies. Dieser Auffassung war die Einfüh­
rung der Abgeltungssteuer geschuldet. Kernargument des da­
maligen Finanzministers Peer Steinbrück: Wenn der geltende
Spitzensteuersatz von den Beziehern hoher Dividenden oder
Zinseinkünfte ohnehin nicht gezahlt würde, weil deren Depots
außerhalb der Reichweite der deutschen Steuerverwaltung lä­
gen, müsse der Staat ihnen ein günstigeres Angebot machen,
um überhaupt Steuern auf Kapitalerträge einzunehmen. So
werden heute auch für Millionäre nicht mehr als 25 Prozent
plus Solidaritätszuschlag – zusammen 26,4 Prozent – fällig.
Schon 2009 war die Einführung der Abgeltungssteuer nicht
unumstritten. Aus zwei Gründen erscheint sie heute aber noch
mögen sowie von hohen Einkommen in den meisten EU-Län­
dern festzustellen“. Allein zwischen 1998 und 2008 sei in der
EU der durchschnittliche Spitzensatz der Einkommenssteuer
von 46 auf 38 Prozent gesunken. Bis 2014 stieg er wieder auf
40 Prozent. Deutlicher ist der Abwärtstrend bei der Körper­
schaftssteuer. Kapitalgesellschaften zahlen aktuell im europäi­
schen Schnitt nur 25 Prozent. 1998 waren es noch 34 Prozent.
Hinzu komme eine strukturelle Veränderung vieler Steu­
ersysteme, analysiert die Ökonomin. Der Trend ging zur so­
genannten Dualisierung der Einkommensbesteuerung. Das
heißt: Arbeitseinkommen werden progressiv besteuert wie
bisher, für Kapitaleinkommen gelten hingegen relativ niedri­
ge Pauschalsätze – gleichgültig, ob es sich bei den Beziehern
von Zinsen, Dividenden oder Spekulationsgewinnen
um Kleinsparer oder Einkommensmillionäre handelt.
Dahinter standen Schratzenstaller zufolge einerseits
Konsum und Arbeit am stärksten besteuert
die Überlegungen von Finanzwissenschaftlern der
So viel erhielt der Staat 2015 durch Steuern auf ...
1970er- und 1980er-Jahre, die Steuern auf Kapital­
einkommen am liebsten ganz abgeschafft hätten.
Kapital
Andererseits setzte ein verschärfter internationa­
Steuern auf Gewinn- und Vermögenseinkommen
ler Steuerwettbewerb die Staaten unter Druck. Im
Arbeit
94 Milliarden Euro
EU-Durchschnitt fallen heute 22 Prozent Steuern auf
Lohnsteuer
Kapitaleinkünfte an, wobei besonders in Osteuropa
179 Milliarden Euro
niedrige Steuersätze dominieren.
darunter
Abgeltungssteuer
Die Zeit ist reif für Umverteilung
In einer Zeit, in der die wachsende Ungleichheit im­
mer mehr zum ökonomischen und gesellschaftli­
chen Problem wird, sollte sich die Steuerpolitik nach
Auffassung Schratzenstallers wieder der progres­
siven Umverteilung von Einkommen annehmen.
Sonstiges
Für Deutschland heißt das: Statt pauschaler Abgel­
Konsum
Von Bier- bis
tungssteuer würde für Bezieher hoher Kapitalein­
Umsatzsteuer
Versicherungssteuer
künfte wieder der an der persönlichen finanziellen
137 Milliarden Euro
210 Milliarden Euro
Leistungsfähigkeit orientierte Einkommensteuersatz
zur Geltung kommen. Bei steigenden Einnahmen
könnten im Gegenzug die Mehrwert- und Lohnsteu­
Quelle: BMF 2016 Grafik zum Download: bit.do/impuls0348
ern sinken, die vor allem von Normal- und Gering­
verdienern gezahlt werden. Grundsätzlich würde
eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften die­
fragwürdiger als damals, stellt Margit Schratzenstaller vom Ös­ selben Ziele erfüllen wie eine Wiedereinführung der Vermö­
terreichischen Institut für Wirtschaftsforschung fest. Erstens genssteuer.
hat sich die internationale K
­ ooperation beim Kampf gegen
Ein weiteres Argument für die Abschaffung der Abgeltungs­
Steuerhinterziehung in jüngster Zeit substanziell verbessert, steuer nennt der Wirtschaftsprofessor Manfred Gärtner von
etwa durch von der OECD erarbeitete globale Standards zum der Universität St. Gallen: Wenn die Einführung der Pauschal­
automatischen Informationsaustausch. Auch wenn – Stich­ steuer eine Notwehrmaßnahme in einer bestimmten histori­
wort Panama Papers – längst nicht alle Lücken geschlossen schen Situation war, gebiete es „der politische Anstand“, die
sind. Zweitens setzt sich in der Wissenschaft die Erkenntnis Steuer zurückzunehmen, sobald die Notsituation nicht mehr
durch, dass die weltweit zunehmende Ungleichheit der wirt­ besteht – weil es heute wesentlich schwieriger ist, Steuern auf
schaftlichen Entwicklung mehr schadet als nützt, wie neuer­ Kapitaleinkünfte zu hinterziehen, als es 2009 der Fall war.<
dings auch in Publikationen von OECD oder IWF zu lesen ist.
Quellen: Margit Schratzenstaller: Gute Gründe für eine substanzielle Kapitalbesteuerung;
Die Steuerexpertin konstatiert, seit Anfang der 1980er-Jahre Manfred Gärtner: Abgeltungssteuer adieu: Eine Frage des Anstands und gut für alle,
sei „ein genereller Trend zur steuerlichen Entlastung von Ver­ in: Wirtschaftsdienst 2/2016
8 Milliarden Euro
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 3
Betriebsräte
Mann vertritt Frau
Frauen dürfen bei Betriebsratswahlen nicht benachteiligt werden. Doch da wo viele
Frauen arbeiten, gibt es zu wenige weibliche Betriebsräte. Eine Gesetzesänderung
könnte die „Vertretungslücke“ schließen.
Der Frauenanteil in Betriebsräten ist in den vergangenen Jah­
ren deutlich gestiegen. Allerdings sind Frauen ausgerechnet
in Betrieben, in denen sie die Mehrheit der Belegschaft stellen,
nach wie vor unterrepräsentiert, wie Helge Baumann, Wolfram
Brehmer, Dietmar Hobler, Christina Klenner und Svenja Pfahl
vom WSI und SowiTra herausgefunden haben. Für ihre Ana­
lyse haben die Forscher die WSI-Betriebsrätebefragung 2015
ausgewertet. Diese beruht auf einer Umfrage unter mehr als
4.000 Betriebsräten aus verschiedenen Branchen – sie ist die
aussagekräftigste Quelle zur Zusammensetzung von Betriebs­
räten in Deutschland.
Nach den WSI-Daten liegt der Frauenanteil in mitbestimm­
ten Betrieben im Schnitt bei rund 42 Prozent. In den Betriebs­
ratsgremien dieser Firmen sind knapp 39 Prozent aller Man­
datsträger weiblich. Verglichen mit vorherigen Amtsperioden
sei „eine erheblich bessere Repräsentanz“ erreicht worden,
schreiben die Autoren. Auch im Vergleich zur Situation in Auf­
sichtsräten oder gar Vorständen ist die Gleichstellung in Be­
triebsräten deutlich weiter. Zu verdanken ist das einer Novellie­
rung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001. Seitdem
heißt es dort: „Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der
Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zah­
lenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn die­
ser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.“
Je höher der Frauenanteil, desto größer die Lücke
den Aufgaben im Betriebsrat in der ohnehin kürzeren Arbeits­
zeit gerecht zu werden. Teilzeitbeschäftigte mit privaten Ver­
pflichtungen werden sich daher genau überlegen, ob sie ein
Mandat und erst recht den Vorsitz im Betriebsrat übernehmen
können. Hier könnten beispielsweise bessere Regelungen zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder flexible Arbeitszeit­
modelle helfen.
Änderung der Wahlordnung ist nötig
„Die im Betriebsverfassungsgesetz verankerte Mindestrege­
lung für das Minderheitengeschlecht war ein großer Schritt in
die richtige Richtung, ist aber noch nicht ausreichend“, schrei­
ben die Wissenschaftler. Sie empfehlen, dass Frauen und Män­
ner genau so im Betriebsrat vertreten sein sollten, wie es ihren
Anteilen an der Belegschaft entspricht. „Eine anteilige Re­
präsentanz beider Geschlechter stellt keine Bevorteilung dar,
sondern würde beide Geschlechter – unabhängig davon, ob
sie die Mehrheit oder Minderheit in der Belegschaft darstel­
len –, vor Benachteiligung schützen.“ Dazu wäre neben einer
Neufassung der Quotenregelung eine Änderung der Wahlord­
nung nötig: Das bisherige Verfahren zur Sitzverteilung nach
d’Hondt könne in bestimmten Situationen für verzerrte Ergeb­
nisse sorgen, so die Experten. Es sollte ersetzt werden durch
eines der beiden anerkannten Verfahren von Hare/Niemeyer
oder Sainte-Laguë/Schepers.<
Quelle: Helge Baumann, Wolfram Brehmer, Dietmar Hobler, Christina Klenner, Svenja Pfahl:
Wo es nur wenige weibliche Beschäftigte gibt, sind Frauen im Frauen in Betriebsräten – zur Umsetzung des Minderheitenschutzes bei Betriebsratswahlen,
Betriebsrat laut WSI sogar leicht überrepräsentiert. Bei Betrie­ WSI-Report, im Erscheinen
ben, in denen zwischen 30 und 50 Prozent der Be­
schäftigten weiblich sind, entsprechen die Frau­
enanteile im Betriebsrat weitgehend denen in der
Im Betrieb in der Mehrheit, im Betriebsrat unterrepräsentiert
Belegschaft – so wie es das Gesetz vorsieht. Bei Be­
trieben, in denen Frauen die Mehrheit der Beschäf­ In Betrieben mit einem Frauenanteil von ...
tigten stellen – wo also der „Minderheitenschutz“
nicht mehr greift – haben sie jedoch häufig ver­
unter 30 Prozent ... sind im
... der Betriebsräte weiblich
21 %
gleichsweise wenige Sitze. „Frauen sind im Be­
Durchschnitt
...
der Mitarbeiter weiblich
15
%
triebsrat eher entsprechend ihres Belegschaftsan­
teils repräsentiert, wenn sie die Minderheit in der
Belegschaft stellen. Anders sieht es aber aus, wenn
die Belegschaft weiblich dominiert ist, denn dann 30 bis 49 Prozent
36 %
sind Frauen im Betriebsrat im Allgemeinen unterre­
37 %
präsentiert“, erklären die Wissenschaftler. Tenden­
ziell gelte dabei: Je höher der Frauenanteil, desto
größer die „Vertretungslücke“.
50 bis 69 Prozent
47 %
Auffällig ist auch: Nur in jedem vierten Gremium
57 %
steht eine Frau an der Spitze. Selbst weiblich do­
minierte Betriebsräte haben überwiegend männli­
che Vorsitzende. Außerdem hätten Frauen mit zu­
nehmender Betriebsgröße seltener den Vorsitz inne, über 70 Prozent
63 %
so die Forscher.
78 %
Eine mögliche Erklärung: Frauen arbeiten häufi­
ger als Männer in Teilzeit. Unabhängig davon, ob die­
se freiwillig gewählt wird oder nicht, fällt es schwer, Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2015 Grafik zum Download: bit.do/impuls0349
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 4
Verteilung
Organisiert gegen
Ungleichheit
Starke Gewerkschaften verhindern, dass
die Einkommen auseinanderdriften.
Gewerkschaften sorgen dafür, dass auch die Beschäftigten am
unteren Rand der Firmenhierarchie anständig bezahlt werden.
Dadurch verringern sich die Einkommensunterschiede in der
Gesellschaft. Das sehen allerdings nicht alle Ökonomen so. An­
hänger vollkommen unregulierter und flexibler Märkte argu­
mentieren: Gewerkschaften heben das Lohnniveau ihrer Mit­
glieder über den Marktpreis, was zu weniger Beschäftigung
führt. Das Ergebnis ist nach dieser Theorie mehr Arbeitslosig­
keit – und damit mehr Ungleichheit. Der Wirtschaftswissen­
schaftler Dierk Herzer, Professor an der Helmut-Schmidt-Uni­
versität in Hamburg, hat empirisch untersucht, wer recht hat.
Sein Ergebnis: „Länder mit geringerem Organisationsgrad ten­
dieren zu höherer Ungleichheit“.
Seine Untersuchung basiert auf Zahlen aus der Datenbank
des Amsterdam Institute for Advanced Labour Studies, die
Angaben zur Mitgliederstärke der Gewerkschaften enthält,
und der Standardized World Income Inequality Database, die
von der Universität Iowa gepflegt wird. Für den Zeitraum von
1986 bis 2010 konnte Herzer mithilfe dieser Quellen den ge­
werkschaftlichen Organisationsgrad der Beschäftigten sowie
die Ungleichheit der Nettoeinkommen in 20 Ländern rekonst­
ruieren. Darunter sind die meisten westeuropäischen Staaten
wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, aber auch
die Türkei, Südkorea oder Kanada. Die größten Einkommens­
unterschiede weist Chile auf, die geringsten Schweden. Dort
Mehr Gewerkschafter, weniger Ungleichheit
0,5
Ungleichheit
(Gini-Koeffizient)
Chile
0,4
0,3
Deutschland
0,2
0
20
40
Schweden
60
80
100
Organisationsgrad (in Prozent der Beschäftigten)
Quelle: Herzer 2016 Grafik: bit.do/impuls0350 Daten: bit.do/impuls0351
sind mit fast 80 Prozent gleichzeitig die meisten Arbeitneh­
mer in einer Gewerkschaft. Im Durchschnitt aller Länder zei­
gen sich während des 25-jährigen Untersuchungszeitraums
eine klare Zunahme der Ungleichheit und ein Rückgang des
gewerkschaftlichen Organisationsgrades.
Detaillierte statistische Auswertungen machen deutlich,
dass zwischen beiden Variablen ein klarer Zusammenhang be­
steht. In den meisten Ländern gehen rückläufige Mitglieder­
zahlen der Arbeitnehmerorganisationen und die Zunahme der
Ungleichheit Hand in Hand. Dabei ist die Wirkungsrichtung
nach der Analyse des Forschers nicht eindeutig: Sind die Ge­
werkschaften einmal geschwächt, wachsen die Einkommens­
unterschiede, gleichzeitig gilt aber: Höhere Ungleichheit führt
zu einem geringeren Organisationsgrad.
Nicht beobachten ließ sich der geschilderte Zusammen­
hang in Ländern mit relativ wenig organisierten Beschäftigten
wie in Chile, der Türkei, aber auch Frankreich.<
Quelle: Dierk Herzer: Unions and Income Inequality: A Hetereogenous Panel Co-integration and
Causality Analysis, in: LABOUR, März 2016 (online)
rente
Nicht noch mehr Geld für Riester
In der gegenwärtigen Form kann die Riesterrente die Lücke in der Altersvorsorge
nicht schließen. Die Politik sollte den Schwerpunkt auf die gesetzliche Rente legen.
Rund elf Millionen Personen in Deutschland „riestern“. Die
Summe der staatlichen Förderung wird auf rund 3,5 Milliar­
den Euro pro Jahr geschätzt. Trotz dieses stattlichen Betrags
zieht sich der Staat nach und nach aus der Förderung zurück,
zeigt eine Studie des WSI-Forschers Florian Blank. Der Wis­
senschaftler hält das aber für keinen Nachteil, weil die Ries­
terrente nie gehalten habe, was sie versprach. Vielmehr sieht
Blank die Möglichkeit, die geförderte private Alterssicherung
„auszuschleichen“.
Weil die verschiedenen Zulagen nicht automatisch an die
Preisentwicklung angepasst werden, gehen die Förderbeträge
real zurück. So sank der preisbereinigte Wert der Grundzula­
ge zwischen 2008 und 2015 von 154 auf 142 Euro, die Kinder­
zulage von 300 Euro war real zuletzt nur noch 277 Euro wert.
Für Neusparer sei damit der Anreiz gesunken, Riesterver­
träge abzuschließen, so Blank. Wer bereits riestert, bekommt
real betrachtet jedes Jahr weniger vom Staat dazu. Gleichzei­
tig müssen Sparer, die Wert auf die volle öffentliche Förderung
legen, ihren Eigenbeitrag regelmäßig erhöhen.
Im Ergebnis verliert die Riesterrente gerade für Bezieher
niedriger Einkommen an Reiz. Es entstehen weitere Vorsor­
gelücken. Anstatt nun aber mit höheren Zulagen gegenzu­
steuern, sollte die Chance zu einem Ausstieg genutzt werden,
argumentiert Blank. Es sei zu fragen, „ob das Geld nicht sozi­
alpolitisch sinnvoller eingesetzt werden“ kann. Konkret hält er
die Rückkehr zu einer starken, gesetzlichen Rentenversiche­
rung für das beste Modell. Nicht zuletzt das Beispiel Österreich
zeige die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente als zentra­
le Säule der Alterssicherung.<
Quelle: Florian Blank: Einstieg in den Ausstieg? – Die Entwicklung der Förderung der
„Riester-Rente“, in: Sozialer Fortschritt 4/2016
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 5
Arbeitszeit
Länger gearbeitet, weniger geschafft
Zu lange Arbeitstage schaden nicht nur der Gesundheit,
sondern auch der Produktivität.
Wer lange an der Werkbank steht oder im Büro sitzt, schafft
auch viel. Diese Einstellung ist weit verbreitet. Dennoch ist
fraglich, ob Beschäftigte, die sehr viele Arbeitsstunden leisten,
wirklich mehr produzieren. Schließlich nimmt mit zunehmen­
der Erschöpfung das Arbeitstempo ab, die Fehler häufen sich
und letztlich fordert die Gesundheit ihren Tribut: Die Zahl der
Krankheitstage steigt. Allerdings ist es schwierig, solche Ef­
fekte in der Realität nachzuweisen. Die Untersuchungsgruppe
müsste nämlich zwei Eigenschaften aufweisen. Erstens sollte
es sich um Beschäftigte handeln, deren Arbeitszeiten in einer
großen Bandbreite schwanken. Zweitens muss sich der Out­
put je Arbeitnehmer relativ präzise bestimmen lassen.
Auf einen alten, aber gut geeigneten Datensatz ist der Wirt­
schaftsprofessor John Pencavel von der amerikanischen Uni­
versität Stanford gestoßen. Er hat Aufzeichnungen aus briti­
schen Munitionsfabriken im Ersten Weltkrieg neu ausgewertet.
Je nach militärischem Bedarf unterlagen die Arbeitszeiten sei­
nerzeit extremen Schwankungen. In Spitzenzeiten stiegen sie
auf 60, in Einzelfällen auf 100 Wochenstunden. Phasenweise
bekamen die Beschäftigten – mehrheitlich Frauen – nicht ein­
Arbeitsmarkt
Gezeichnet fürs
Arbeitsleben
Sich unter die Nadel zu legen, verringert
die Chancen, einen Job zu finden.
Tätowierungen sind in den vergangenen Jahren zum Main­
stream-Phänomen geworden, schreiben Rik Dillingh, Peter
Kooreman und Jan Potters. Das heißt aber nicht, dass sie ih­
ren Trägern keine Probleme machen können. Die Ökonomen
von der Universität Tilburg haben untersucht, ob sich Tattoos
messbar auf den Erfolg am Arbeitsmarkt auswirken. Sie kön­
nen zum Teil negative Effekte nachweisen.
Die Studie der Wirtschaftswissenschaftler basiert auf Be­
fragungsdaten von mehr als 5.200 Niederländern, die über
eine Zufallsstichprobe des Melderegisters ausgewählt wur­
den. Gut zehn Prozent der Teilnehmer gaben im Mai 2013 an,
tätowiert zu sein. 40 Prozent von ihnen haben sich Tattoos am
Oberarm stechen lassen, ein Drittel am Rücken oder Bauch.
Für gut sichtbare Stellen wie Gesicht, Kopf, Nacken oder Hän­
de haben sich zwölf Prozent entschieden. Als Motive domi­
nieren Texte, Tiere, Herzen, Sterne, Kreuze und keltische oder
Stammessymbole. Immerhin sechs Prozent sind der Meinung,
dass ihr Hautschmuck auf andere anstößig wirken könnte.
Der Auswertung zufolge nimmt der Anteil der Tätowierten
über die Generationen hinweg stetig zu. Im Vergleich zum Rest
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 6
mal sonntags frei. Weil in der Regel Akkordlohn gezahlt wur­
de, liegen auch präzise Angaben über den Output vor.
Es zeigt sich: Übersteigt die Wochenarbeitszeit bestimmte
Werte, nimmt die Produktionsmenge kaum noch oder gar nicht
mehr zu. Beispielsweise stellte eine Gruppe von 100 Arbeiterin­
nen, die Sicherungen montieren mussten, in Wochen mit 60
oder 70 Arbeitsstunden nicht mehr her als in Wochen mit 48
Stunden. Die Sonntagsarbeit war nicht nur überflüssig, son­
dern am Ende sogar kontraproduktiv. In Wochen ohne freien
Tag lag die Produktivität etwa zehn Prozent niedriger als sonst.
Die Grenzwerte, ab denen zusätzliche Arbeit den wirtschaft­
lichen Ertrag nicht mehr erhöht, dürften von Job zu Job vari­
ieren, so Pencavel. Dies sei jedoch kein Grund, das Thema zu
ignorieren, wie es heute in der Ökonomie häufig geschehe.
Gesetzliche oder tarifliche Arbeitszeitgrenzen sollten nicht als
hinderliche Beschränkungen unternehmerischer Gestaltungs­
spielräume verstanden werden, sondern als „aufgeklärter“ Me­
chanismus zur Steigerung von Effizienz und Wohlstand.<
Quelle: John Pencavel: The Productivity of Working Hours,
in: The Economic Journal, Dezember 2015
Bunter Bizeps
Tätowierte haben Tattoos im Bereich ...
Bauch und
Rücken
32,6 %
Kopf und Gesicht 7,4 %
Nacken 2,3 %
Oberarm 39,6 %
Unterarm 23,2 %
Hände 4,5 %
Oberschenkel 2,0 %
Wade und Schienbein 14,8 %
Sonstige 15,2 %
Füße 6,6 %
Werte addieren sich zu mehr als 100 Prozent – eine Person kann mehrere
Tattoos haben Quelle: Dillingh u. a. 2016 Grafik: bit.do/impuls0352
der Bevölkerung sind unter ihnen überdurchschnittlich viele
Arbeiter, Singles, Kinderlose, Raucher, Übergewichtige, Städ­
ter, Geringqualifizierte und Konfessionslose sowie mehr Men­
schen mit seelischen oder körperlichen Gesundheitsproblemen.
Wenn man diesen Besonderheiten statistisch Rechnung trägt,
um den Effekt von Tattoos auf die Arbeitsmarktaussichten zu
isolieren, zeigt sich: Das Einkommen beeinflussen Tätowierun­
gen nicht. Auf die Wahrscheinlichkeit, überhaupt erwerbstä­
tig zu sein, wirken sie sich dagegen signifikant negativ aus.<
Quelle: Rik Dillingh, Peter Kooreman, Jan Potters: Tattoos, Life Style and the Labor Market,
IZA Discussion Paper Nr. 9675, Januar 2016 Download: bit.do/impuls0353
Beschäftigung
Teilzeit auf dem Vormarsch
Die atypische Beschäftigung nimmt zu. Das liegt an mehr Teilzeitjobs
und Leiharbeit. Die Zahl der Minijobs geht hingegen zurück.
Rund 39 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland
waren 2015 in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs tätig. Zwar stieg
auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
in Vollzeit, noch stärker hat allerdings die atypische Beschäf­
tigung zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr nahm der An­
teil der atypischen Jobs um 0,4 Prozentpunkte zu – er befindet
sich auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren, wie die WSI-Da­
tenbank „Atypische Beschäftigung“ zeigt. „Insbesondere die
Zahl der Teilzeit- und Leiharbeiter hat zugenommen“, sagt To­
ralf Pusch, Arbeitsmarktexperte des WSI.
Mehr Teilzeit, Minijobs und Leiharbeit im Westen
Der Anteil der atypischen Beschäftigung beträgt ...
unter 35 %
35 bis 37,9 %
38 bis 40,9 %
41 bis 43,9 %
44 bis 46,9 %
47 bis 49,9 %
Kiel
Rostock
über 50 %
Hamburg
Bremen
Hannover
Magdeburg
Essen
Erfurt
Köln
Frankfurt
Das WSI wertet für seine Datenbank Statistiken der Bundes­
agentur für Arbeit (BA) aus, die als einzige Quelle alle abhängig
Beschäftigten regional differenziert registriert. Der vom WSI
berechnete Anteil fällt höher aus als die vom Statistischen Bun­
desamt berichtete Quote. Dies liege an einer umfangreicheren
Erfassung von Teilzeitarbeit durch die BA, erklärt Pusch. Au­
ßerdem seien Schüler, Studenten und Rentner bei den Zahlen
des Statistischen Bundesamtes ausgeklammert.
Am stärksten verbreitet ist atypische Beschäftigung in den
westdeutschen Flächenländern: Schleswig-Holstein kommt
mit 43,1 Prozent auf den höchsten Wert, gefolgt von Rhein­
land-Pfalz mit 42,2 und Niedersachsen mit 41,7 Prozent. Auf
Stadt- und Kreisebene weist Delmenhorst mit 54,1 Prozent die
höchste Quote atypischer Jobs auf. Auch in den Kreisen Os­
terholz, Neustadt an der Weinstraße, Kusel, Rhein-Pfalz-Kreis
und Landshut liegt die Quote über 50 Prozent. Im Osten
Deutschlands sind die Werte meist deutlich niedriger.
Pusch führt dies auf andere Erwerbsmuster bei Frau­
en zurück. Dass Frauen im Westen deutlich häufi­
ger atypisch beschäftigt sind, liege unter anderem
an traditionellen Rollenbildern sowie an unzurei­
chenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung.
Am niedrigsten ist der Anteil atypischer Beschäf­
tigung auf Länderebene in Thüringen mit 36 Pro­
zent. Auf den mit Abstand niedrigsten Wert un­
ter den Städten und Kreisen kommt Wolfsburg
Berlin
mit 23,1 Prozent.
Den WSI-Daten zufolge arbeiten etwa
22,4 Prozent aller abhängig Beschäftigten in
Teilzeitjobs. Diese Gruppe macht den größten
Anteil der atypischen Beschäftigung aus.
Längst nicht jede Teilzeitbeschäftigung sei
Dresden
prekär, betont Pusch. Doch häufig ent­
spreche Teilzeit nicht den eigentlichen
Wünschen der Beschäftigten. Der Anteil
der besonders schlecht bezahlten und ab­
gesicherten Minijobber im Haupterwerb ging erst­
mals seit längerem merklich zurück – er sank um 0,7 Pro­
zentpunkte auf 14,4 Prozent an der Gesamtbeschäftigung.<
Quelle: WSI-Datenbank „Atypische Beschäftigung“ Download: bit.do/impuls0354
Was ist Teilzeitarbeit?
Saarbrücken
Stuttgart
München
Nach der gesetzlichen Definition liegt Teilzeitbe­
schäftigung vor, wenn die regelmäßige Wochenar­
beitszeit eines Arbeitnehmers kürzer ist als die einer
vergleichbaren Vollzeitkraft im selben Betrieb. Nach
dieser Definition richten sich die Bundesagentur für
Arbeit und auch das WSI. Das Statistische Bundes­
amt spricht hingegen von Teilzeit, wenn die wöchent­
liche Arbeitszeit weniger als 21 Stunden beträgt.
Quelle: WSI 2016 Grafik zum Download: bit.do/impuls0355 Daten: bit.do/impuls0356
Böckler Impuls · 7/2016 · Seite 7
impressum
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Einkommen
Bildung
Vier Millionen profitieren vom Mindestlohn
Gebildete Flüchtlinge
Kurz vor Einführung des Mindestlohns gab es in Deutschland
5,5 Millionen Jobs, deren Bezahlung unter 8,50 pro Stunde
lag. Davon kamen vier Millionen unter den Schutz des Min­
destlohngesetzes – für die restlichen gelten Ausnahmen.
Junge Flüchtlinge mit guten Aussichten auf Asyl haben
häufig eine gute Schulbildung. Laut einer aktuellen Ana­
lyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) könnte gut die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen ein
Gymnasium oder eine Hochschule besuchen. Sie müssten
dabei mit Studienkollegs und vorbereitenden Kursen unter­
stützt werden.
So viele Jobs mit einem niedrigeren Stundenlohn als 8,50 Euro
gab es im April 2014 …
Von den 18- bis 24-jährigen Flüchtlingen mit Aussicht
auf Asyl haben besucht …
Gymnasium oder
Hochschule
5,5 Millionen
46 %
3 % Sonstige
1,5 Millionen
davon fallen
nicht unter den
Mindestlohn
(u.a. Praktikanten
und Azubis)
4,0 Millionen
profitieren vom Mindestlohn
26 %
Davon sind …
Frauen
62 %
Männer
25 %
Fach- oder
Mittelschule
keine Schule
oder Grundschule
38 %
Quelle: IAB, März 2016 bit.do/impuls0358
Arbeitsmarkt
Jugendarbeitslosigkeit geht leicht zurück
Quelle: Destatis, April 2016 bit.do/impuls0357
konjunktur
Höhere Löhne entlasten den Staatshaushalt
Aktuell beruht das deutsche Wirtschaftswachstum vor allem
auf mehr Konsum dank höherer Löhne. Das führt laut Simu­
lationsrechnungen des IMK dazu, dass sich die Einnahmen
von Staat und Sozialkassen deutlich positiver entwickeln, als
das bei einer vom Außenhandel getriebenen Konjunktur der
Fall wäre. Zwischen 2011 und 2015 hatte der Staat dadurch
41 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. „Das ist sehr posi­
tiv, weil die starke Zuwanderung und die daraus folgende
Integrationsaufgabe die öffentliche Hand ebenso fordert wie
die Notwendigkeit, deutlich mehr zu investieren“, so IMK-­
Direktor Gustav Horn. Ein weiterer Vorteil: Der deutsche
Leistungsbilanzüberschuss, der wesentlich zur Krise im Eu­
roraum beigetragen hat, fällt geringer aus.
Quelle: IMK, April 2016 bit.do/impuls0343
Der nächste Böckler Impuls erscheint am 12. Mai
Von allen Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren waren
erwerbslos gemeldet in …
19,0 %
21,0 %
Spanien
14,7 %
16,5 %
Griechenland
11,9 %
13,3 %
Portugal
12,7 %
12,8 %
Schweden
9,8 %
12,1 %
Großbritannien
9,3 %
9,8 %
EU
Deutschland
3,9 %
4,0 %
2014
2013
Quelle: IAB, März 2016 bit.do/impuls0359
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