1 Predigt von Pfarrer Joachim Zirkler (Studienleiter beim Zentrum des Lutherischen Weltbundes in Wittenberg) im Gottesdienst am Sonntag Kantate, 24. 04. 2016, 10.00 Uhr Schifferkirche Maria am Wasser und 18.00 Uhr Frauenkirche Dresden Thema „Kantate“ Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus, der da sagt: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt...und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Markus 12, 30) Text: Kolosser 3, 12 – 17 (Epistel) 12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; 13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. 15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in "einem" Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar Predigttext: 16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Liebe Gemeinde, Kantate- Singt! – so heißt dieser Sonntag. Eine Aufforderung, die nicht nur einmal im Jahr Bedeutung haben sollte. Der berühmte Geiger Yehudi Menuhin, dessen 100. Geburtstag vorgestern begangen wurde, hat einmal gesagt: „Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen.“ Wir wachsen mit Geräuschen auf: Ein Baby hört Straßenlärm, Staubsauger, tierische Laute von Hunden und Katzen und die Stimmen der Eltern. Alles eine Art Musik. Es antwortet auf diese Musik mit Singen – einem Singsang der ersten Laute: Lalala. Bevor wir sprechen, singen wir und wenn wir dann sprechen können, müssen wir das Singen wieder lernen. Es ist in jedem von uns angelegt und deshalb sollte niemand sagen, er könne nicht singen. Alle können singen. Manche gut, andere weniger gut – doch alle können es. Wir tun einem Kind Gutes, wenn wir in seiner Gegenwart singen. Z. B. abends beim Zubettgehen: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“, „Guten Abend, gut Nacht“ , „Der Mond ist aufgegangen“– solche Lieder sind ein Schatz für das Kind. Wenn viele Jahre später irgendwo eine dieser bekannten Melodien ertönt, klingt etwas an in ihm. Etwas, das trägt, das hilft, zu leben. „Mit einer Kindheit voll Singen kann man ein halbes Leben die Kälte der Welt aushalten.“ So hat es Jean Paul ausgedrückt. Lieder transportieren Botschaften und werden auch entsprechend eingesetzt: In meinem Kindergarten wurde „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ gesungen. Die Botschaft war: Eine gute sozialistische Mutter geht auf Arbeit und ein gutes sozialistisches Kind hilft ihr beizeiten. 2 In der Schule lernten wir Kampf- und Arbeiterlieder. Da wurde dem Karl Liebknecht geschworen, der Rosa Luxemburg die Hand gereicht und die Partisanen marschierten am Amur. Die Nationalhymne der DDR „Auferstanden aus Ruinen“ wurde plötzlich nur noch intoniert und nicht mehr gesungen, weil die Botschaft des Refrains „Deutschland, einig Vaterland“ nicht mehr in s ideologische Konzept passte. So gibt es Lieder, die ihre Zeit hatten – in der Biografie eines Menschen oder eines Landes und es gibt zeitlose Lieder. Was wäre Weihnachten ohne „Stille Nacht“ oder „O du fröhliche“? Was wäre Ostern ohne „Christ ist erstanden“? Auch diese Lieder transportieren eine Botschaft. Eine zeitlose Botschaft: Gott wird Mensch und er siegt über den Tod! Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Kurz vor Weihnachten hat der Kreuzchor im Dynamostadion gesungen. Wo sonst die Fußball-Fans Gesänge ihrer Art anstimmen, hat der Chor neue Fans erhalten – mit dem Singen der zeitlosen Weihnachtslieder, die allen Menschen zu Herzen gehen. Und es wurde zaghaft mitgesungen – „Lobgesänge und geistliche Lieder“. Ich habe es erlebt und war angerührt. Wer weiß, wie lange manche der Besucher solche Lieder nicht oder noch nie gesungen hatten! Und wie gut, dass sie es hier probieren oder wieder üben konnten. Man kann den Raum eines Stadions mit neuem Klang und neuer Botschaft füllen. Aber man kann nicht montags 18.00 Uhr „Merkel muss weg“ oder „Volksverräter“ brüllen und 19.00 Uhr „Stille Nacht“ singen. So geschah es letztes Jahr beim Pegida-Aufmarsch vor Weihnachten. Der 1966 verstorbene polnische Schriftsteller Stanislaw Jercy Lec hat es wie folgt formuliert: „Man kann das Lied der Freiheit nicht auf dem Instrument der Gewalt spielen.“ Wir könnten ergänzen: „Man kann die Botschaft der Liebe nicht mit der Stimme des Hasses singen.“ Welche Lieder mit welcher Botschaft tun den Menschen gut? Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Psalmen, Lobgesänge, geistliche Lieder, die Gott loben, tun uns als Christinnen und Christen gut. Sie tun auch Menschen ohne kirchlichen Hintergrund gut. Deshalb hören ja so viele den Kreuzchor mit seinen Psalmen, Lobgesängen und geistlich - christlichen Liedern. Weil dadurch etwas in ihnen anklingt, was ganz tief in ihnen verborgen liegt: Das kindliche Vertrauen. Als Kind zwar allein nicht leben zu können ohne Eltern, Großeltern und Verwandte und gleichzeitig ein unbegrenztes Vertrauen in das Leben und alles, was es bringt, zu haben. Weil ich getragen und gehalten bin von menschlichen Händen und menschlicher Liebe und gleichzeitig mich ganz selbstverständlich in Gottes großer Hand geborgen und von seiner Liebe getragen weiß. 3 Wo immer Erinnerung an dieses Urvertrauen geweckt wird, ist es gut für uns. Nach und nach entdecken wir so die Melodie unseres Lebens und lernen – in den verschiedenen Lebenslagen -unser Lebenslied Ich bin heute noch Fräulein Vogel dankbar. So hieß unsere Katechetin. Sie unterrichtete die Christenlehre und leitete die Kurrende. Bei ihr lernte ich zwei Lieder, die mich sofort ansprachen und die ich bis heute liebe: „Wie lieblich ist der Maien“ und „Geh aus, mein Herz und suche Freud“. Immer wenn ich sie singe, bin ich wieder ein bisschen Kind wie damals mit dem großen Vertrauen in das Leben und seinen Schöpfer und mir wird warm ums Herz. „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“ Joseph von Eichendorff hat es wunderbar formuliert. Die blühende Pracht des Mai – mit dem Zauberwort „Wie lieblich ist der Maien“ beginnt die ganze Schöpfung förmlich zu singen! Die schwirrende Luft des Sommers – sie ist auf der Haut zu spüren mit dem Zauberwort „Geh aus, mein Herz“. Letztes Jahr habe ich mit einer 96 Jahre alten Frau dieses Lied gesungen. Manchmal konnte sie nur noch summen weil die Stimme nicht mehr viel Kraft hatte. Es war für uns beide wunderbar. Sie blieb beglückt in ihrem Heim, ich ging beglückt nach Hause. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. In unserem ganzen Leben wohnt zeitloser Zauber. Mit dem Wort Christi – dankbar gesungen mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern beginnt auch unser Leben wieder neu zu singen und zu schwingen. Lieder haben Kraft und können Menschen bewegen. Die zeitlosen Lob- und Bittlieder haben diese Kraft und sie bewegen Menschen in gute Richtung. Es war Ende der 70er Jahre. Wir Studenten waren in Leipzig in Auerbachs Keller gewesen. Mitternacht wurde geschlossen und als wir heraus kamen, standen wir in der Mädlerpassage, stellten uns in einen Kreis und sangen „Dona nobis pacem“. Es ergab sich einfach so. Für die Polizei wäre das „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“ gewesen. Gott sei Dank war kein Polizist da. Die Botschaft erreichte die Menschen. Etliche blieben stehen, manche applaudierten. Einer sagte: „Ihr seid bestimmt Theologen?“ Wir sagten „Ja, aber nicht nur, da sind auch Mediziner und Dolmetscher dabei.“ Man kam ins Gespräch. Bis heute unvergessen. „Dona nobis pacem“ war auch das Lied, das während der Tage im Herbst 1989 vielen Menschen eine große Kraft und die richtige Richtung gegeben hat. Kürzlich erzählte mir ein Kruzianer vom Konzert, das der Kreuzchor dieses Jahr zu den Osterfestspielen in Salzburg gegeben hat. Es war wenige Tage nach den Anschlägen in Brüssel. Der Kreuzkantor sagte am Ende des Konzertes, dass der Chor als Zugabe und im Gedenken an die Opfer der Anschläge „Dona nobis pacem“ singt. Nach dem Lied war erst einmal zwei, drei Minuten absolute Stille. Dann erhoben sich 4 die Menschen und spendeten einen überwältigenden Applaus. Der 16- jährige Kruzianer sagte: Wir waren mit einem Mal alle verbunden. Das war etwas ganz besonderes! Lieder haben Kraft. Geistliche Lieder haben Kraft, uns in eine gute Richtung zu lenken: Gott zu loben und dem Nächsten zu dienen. Sie werden Ihre eigenen Erfahrungen gesammelt haben mit Liedern, die für Sie wichtig sind, die bei Ihnen in der Tiefe etwas anklingen lassen. Freuen Sie sich an diesem Schatz, den Sie haben und der stets vergrößert werden kann. Und trauen Sie sich, mal wieder zu singen: Leise vor dem Einschlafen, laut in der Badewanne, bei Familienfesten, beim Wandern in der Gruppe und natürlich in der Gemeinde. Kantate – Singt! Luther drückte es so aus: „Die Musik ist die beste Gottesgabe - und dem Satan sehr verhasst.“ Er war der Meinung, dass man ein Kirchenvolk an seinen Lieder erkennen soll. Er selbst sang gern und gut und er sagte: „Gemeinde soll singen und Kinder müssen singen und die Musica mit der ganzen Mathematica lernen.“ Lieder würden regelrecht „in die Seele hinein fahren.“ „Singen ist unsere Muttersprache“, wie Menuhin sagt. Lieder begleiten uns durch das Leben. Von der Kindheit bis ins Alter. Durch das Jahr und die Jahreszeiten, durch das Kirchenjahr zwischen Advent und Ewigkeitssonntag. Vom Anfang bis zum Ende. Und es ist eine weise Ordnung, dass jeder Gottesdienst mit einem Dona nobis pacem, mit der gesungenen Bitte um Gottes Frieden endet: „Gehet hin im Frieden des Herrn“. Und dass darauf die Gemeinde mit Dankbarkeit antwortet: „Gott sei ewiglich Dank“ – und dass wir mit dem Segen Gottes entlassen werden. So ist jeder Gottesdienst ein Abbild unseres ganzen Lebens. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Kantate – Singt euer Lebenslied! Euch selbst zur Freude, dem Nächsten zur Hilfe und Gott zur Ehre! Amen. 5 Fürbittengebet Gnädiger Gott, wir danken dir für die wunderbare Gabe der Musik und des Singens. Danke für alle Lieder, die uns begleiten. Danke für den Schatz, der sich ständig erweitert. Wir bitten dich für alle Menschen, die lange nicht singen konnten. Hilf ihnen, diesen Schatz bei sich zu entdecken. Gemeinsam rufen wir zu dir: Menschenfreundlicher Gott, wir danken dir für die Lieder, die uns in Bewegung zu dir setzen, die uns Kraft verleihen. Wir denken an die Menschen, die vor Leid verstummt sind. Durch Krankheit, durch schwere Probleme, durch Verlust der Heimat, durch traumatische Erlebnisse. Hilf ihnen, ihre Lebensmelodie wieder zu finden und ihr Lied anzustimmen. Gemeinsam rufen wir zu dir: Gütiger Gott, wir danken dir für die Gemeinschaft. Dass wir mit anderen Menschen singen können und Leben teilen. Dass wir bei Anderen auch die Klangfarben unseres Lebens entdecken. Wir bitten dich: Stärke unsere Gemeinschaft, in der Familie, in der Gemeinde, unter Freunden. Hilf uns, allen Menschen, die uns fremd sind, mit Liedern der Hoffnung zu begegnen. Gemeinsam rufen wir zu dir: Barmherziger Gott, du hast das Lied eines jeden Lebens komponiert. Dafür danken wir dir. Wir bitten dich: Hilf uns, das eigene Lied zu finden, damit wir es singen – uns selbst zur Freude, unserem Nächsten zur Hilfe und dir zur Ehre! Gemeinsam rufen wir zu dir:
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