Ästhetische In(ter)ventionen im öffentlichen Raum

Dr. Frauke Surmann
Ästhetische In(ter)ventionen im öffentlichen Raum.
Grundzüge einer politischen Ästhetik.
Ästhetische In(ter)ventionen kann man nicht suchen, man kann sie nur finden.
Genaugenommen sind sie es, die uns finden, indem sie uns plötzlich und unvorbereitet
widerfahren. Und so war es auch die unmittelbare Konfrontation mit dieser mir damals noch
unvertrauten Kunstpraxis, die den ursprünglichen Impuls zur vorliegenden Arbeit gab, einer
Kunstpraxis, deren humorvolle und zuweilen verstörende Eingriffe in den öffentlichen Raum
mich ebenso faszinierten wie meinen Forschergeist weckten.
Ein Blick auf die aktuelle Forschungslage verriet schnell, dass über bloße Materialsammlungen und aktivistische Handbücher hinaus bislang kaum wissenschaftlich fundierte
Auseinandersetzungen mit dieser spezifischen Kunstform existierten. Allein im englischsprachigen Raum kursierten zu Beginn meiner Nachforschungen mehr als 50 gleichwertig
nebeneinanderstehender Begriffe zur Beschreibung interventionistischer Kunstpraktiken im
öffentlichen Raum. Das Ziel meiner Arbeit ist es, diese Forschungslücke zu schließen. Zu
diesem Zweck habe ich, ausgehend von exemplarisch ausgewählten Fallbeispielen aus dem
europäischen und US-amerikanischen Raum, eine wissenschaftliche Terminologie und damit
zugleich ein analytisches Instrumentarium zur Beschreibung ästhetischer In(ter)ventionen im
öffentlichen Raum in ihren materiellen und medialen Erscheinungsbedingungen, Funktionsweisen sowie politischen Implikationen entwickelt und gleichsam theoretisch fundiert.
Die Innovation meine Ansatzes besteht darin, ästhetische In(ter)ventionen erstmals als
Aufführungen zu begreifen. Das durch die Wahl jenes aufführungstheoretischen Ansatzes
theaterwissenschaftlich begründete Untersuchungsfeld verschränkt sich dabei zugleich mit der
Verhandlung städtebaulicher und raumpolitischer, soziologischer, politikwissenschaftlicher
und gesellschaftsphilosophischer Fragen. In der Charakterisierung der ästhetischen In(ter)vention als Aufführung sowie der damit unmittelbar verbundenen interdisziplinären Ausrichtung
der Forschungsperspektive erweist sich meine Methode gegenüber bisherigen von mir in der
Arbeit dargelegten Theoretisierungsansätzen aus der Medientheorie, der Kunsttheorie und der
Kulturwissenschaft in dieser Form als einzigartig.
Was die ästhetische In(ter)vention nun auch und insbesondere in Hinblick auf ihr
gesellschaftspolitisches Potential für mich so spannend macht, ist ihre radikale Selbstreferentialität. Die von mir untersuchten ästhetischen In(ter)ventionen lassen weder eine
Ursache noch einen Zweck erkennen, der über sie selbst hinauswiese. Stattdessen erschöpfen
sie sich in der transitorischen Ereignishaftigkeit ihres performativen Vollzugs und offenbaren
sich derart in einer mal mehr mal weniger rätselhaften Selbstzweckhaftigkeit.
Meine argumentationsleitende Absicht war es, diese ästhetischen In(ter)ventionen wesentlich
inhärente Selbstreferentialität, wie sie keineswegs als Rückzug auf eine autonome, selbstgenügsame Position der Kunst missverstanden werden darf, ernst zu nehmen und die durch
sie evozierte ästhetische Erfahrung im Zuge dessen als einen Ursprungsort des Politischen zu
begreifen. Damit richtet sich meine Arbeit dezidiert gegen die sich aktuell insbesondere im
angloamerikanischen Diskurs als soziale Wende abzeichnende Tendenz, das Politische der
Kunst in ihrer Anwendbarkeit und ihrem soziopolitischen Nutzen zu verorten. Entscheidender
als Inhalt, Ziel und Zweck einzelner In(ter)ventionen erweist sich für die Frage nach ihrem
politischen Potential demnach die Analyse der ihnen eigentümlichen Materialität, Medialität
und relationalen Praxis.
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Das essentielle Ergebnis dieser Analyse spiegelt sich in der von mir gewählten Schreibweise
der In(ter)vention wider: Indem ich die Silbe –ter– in Klammern gesetzt habe, verschränkt
sich der Begriff der Intervention immer schon mit einem Akt der Invention. Mit dieser
begrifflichen Neuschöpfung wird einer Ambivalenz Rechnung getragen, wie sie sich für
ästhetische In(ter)ventionen als wesentlich konstitutiv erweist. So bringen ästhetische
In(ter)ventionen einen performativen Widerspruch zur Aufführung, wie er sich in der ebenso
untrennbaren wie antagonistischen Gleichzeitigkeit von negierendem Bruch auf der einen und
produktiver Setzung auf der anderen Seite realisiert. In einem Akt der Intervention brechen
ästhetische In(ter)ventionen in das normative Dispositiv ihres Erscheinungsraums ein.
Zugleich öffnet sich mit jedem Bruch aber auch ein Möglichkeitshorizont der Invention im
Sinne wirklichkeitskonstituierender Begegnungen, denen die Intervention überhaupt erst statt
gibt. Dem Bruch als Aufbruch eignet folglich immer schon eine Dimension der Gestaltung.
Die dieser für ästhetische In(ter)ventionen maßgeblichen Ambivalenz inhärente, produktive
Spannung erweist sich als das Resultat eines räumlichen, körperlichen und damit immer auch
schon intersubjektiven Grenzgangs. Entsprechend habe ich die Bedingungen und Auswirkungen ästhetischer In(ter)ventionen im Rahmen meiner Arbeit insbesondere in Bezug auf
Prozesse der Verräumlichung, der Verkörperung und der Vergemeinschaftung hin analysiert.
Zu Beginn einer jeden In(ter)vention, so der Ausgangspunkt meines Arguments, steht die
Sondierung und Erschließung eines geeigneten Aufführungsorts. Dabei handelt es sich in der
Regel um einen öffentlichen Raum, der als ortsspezifische Wahrnehmungs- und Verhaltenstopographie im Sinne eines sinnlich-sinnhaften Dispositivs einzelne Bewegungsströme
ebenso wie intersubjektive Begegnungen ermöglicht und lenkt während er andere vereitelt.
Diese normative Ordnung brechen ästhetische In(ter)ventionen auf und bringen im Zuge
dieses Bruchs vorübergehend eine alternative Form materieller und symbolischer Räumlichkeit zur Aufführung, die der sozialen Wirklichkeit ihres Erscheinungsraums sowohl angehört
als auch von ihr abgehoben ist. In diesem Sinne lässt sich die ästhetische In(ter)vention als
Inszenierungsverfahren einer ambivalenten Topologie charakterisieren, wie sie sich im
aufführenden Vollzug eines öffentlichen, das heißt von Körpern bevölkerte Räume entgrenzenden, Akts der Überschreitung realisiert.
Diese öffentliche Grenzüberschreitung aber evoziert in den ihr Ausgelieferten, und das ist der
zweite entscheidende Punkt meines Arguments, eine fundamentale, sinnlich-sinnhafte Wahrnehmungskrise. Durch den Entzug identitäts- und orientierungsstiftender Referenzpunkte
versetzt die durch die ästhetische In(ter)vention in den öffentlichen Raum eingezogene,
transitorische Räumlichkeit der Aufführung ihre Teilnehmer in einen liminalen Schwellenzustand, in dem vertraute Rezeptionsstrategien nicht mehr greifen, während alternative
Strategien erst noch entwickelt werden müssen. Fundamental in Frage gestellt werden
dadurch nicht nur die den öffentlichen Raum herkömmlicherweise bestimmenden sozialen
Konventionen, sondern auch die je individuelle, subjektrelative Position sowie die Konfiguration des intersubjektiven Miteinanders innerhalb jenes Raums. Zugleich steigert und
intensiviert die erfahrene Wahrnehmungskrise die Aufmerksamkeit und lädt die gerahmte
raumzeitliche Situation mit einer Vielzahl an Bedeutungs- und Handlungspotentialen auf.
Der derart durch die ästhetische In(ter)vention erzeugte Schwellenzustand evoziert in ihren
Teilnehmern eine ästhetische Differenzerfahrung. Der einzelne Teilnehmer erfährt sich in
eine raumzeitliche Situation jenseits seines gewohnten Wahrnehmungs- und Verhaltensdispositivs und damit gleichsam in eine Distanz zu sich selbst und seiner Umwelt versetzt.
Diese Distanz aber ermöglicht gerade in ihrer entfremdenden Kraft neuartige, ungewohnte
Begegnungen mit vermeintlich Vertrautem. In der durch die ästhetische In(ter)vention
evozierten Differenzerfahrung öffnet sich somit ein Möglichkeitshorizont, um einander
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ebenso wie sich selbst im Hier und Jetzt ihrer ambivalenten Topologie gleichsam wie zum
ersten Mal zu begegnen. Als Aufführungssituation, die einerseits Aufmerksamkeit bündelt
und intensiviert, während sie sich andererseits erst im einmaligen Zusammenspiel relationaler
Verkörperungsprozesse konstituiert, erweist sich die ästhetische In(ter)vention als eine Bühne
des Begegnens. Jede Begegnung ereignet sich dabei als ein einzigartiger, unvorhersehbarer
Akt der reziproken Verkörperung, der die Bühne der ästhetischen In(ter)vention sowohl
besetzt und einnimmt als auch neu vermisst und mitgestaltet. In diesem Sinne offenbart sich
die Bühne der ästhetischen In(ter)vention als Herausforderung an jeden Einzelnen, die
Distanz zwischen sich selbst und dem, was er hier verkörpert, immer wieder neu zu erproben
und auszumessen. Dabei findet er sich zugleich in einen theatralen Wahrnehmungsmodus
versetzt, wie er sich in der Simultanität eines wechselseitigen Affizierens und AffiziertWerdens manifestiert.
Die Herausforderung zur Begegnung mit dem Fremden, und das ist entscheidend, wird dabei
nicht als Bedrohung, sondern als lustvoll erfahren. Indem es die Wahrnehmungskrise
erforderlich macht, mit sich selbst als organisierendem Zentrum der eigenen Wahrnehmung
und damit mit sich selbst als sinngebender Instanz zu beginnen, die den in der ästhetischen
In(ter)vention vorübergehend aufscheinenden Freiraum auf die ihm immanenten
Handlungspotentiale hin erprobt, erfährt sich jeder Teilnehmer zugleich als gleichberechtigter
Miterzeuger einer geteilten Realitätserfahrung. Die sinnlich-sinnhafte Erschließung einer
ästhetischen In(ter)vention impliziert folglich neben ihrer aneignenden Vermessung immer
auch schon einen Akt der hervorbringenden Verkörperung und spielerisch-modifizierenden
Gestaltung. In dieser Doppelstruktur der ästhetischen Differenzerfahrung zwischen Raum
nehmender Erfahrung auf der einen und Raum generierender Erfahrung auf der anderen Seite,
realisiert sich eine schöpferische Subjektivierungspraxis, die auf der Freiheit beruht, eine
eigene Haltung zu und innerhalb der veränderten Wahrnehmungs- und Verhaltenstopographie
einzunehmen und auf ihre Praktikabilität zu prüfen. In diesem Sinne gibt die
Schwellenerfahrung der ästhetischen In(ter)vention einem ebenso kurzweiligen wie lustvoll
erfahrenen Abenteuer der Neuorientierung und Erprobung alternativer Gestaltungs- und
Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums sowie damit unmittelbar zusammenhängender Formationen von Subjektivität und Intersubjektivität statt.
Die durch die ästhetische In(ter)vention evozierte Differenzerfahrung richtet sich dabei nicht
zuletzt auch auf die anderen zur selben Zeit am selben Ort anwesenden Körper. In der
geteilten Erfahrung des absoluten Ausgesetztseins an die liminale Sinn- und Grundlosigkeit
der ästhetischen In(ter)vention in ihrer radikalen Selbstreferentialität, erfährt sich der Einzelne
immer schon als ebenso rezeptiver wie produktiver Teil einer temporären, theatralen
Gemeinschaftsformation. Diese Gemeinschaftsformation aber zeichnet sich, wie an den
unterschiedlichen Fallbeispielen ersichtlich, durch die unvereinbare Heterogenität ihrer
einzelnen Mitglieder aus, die nichts miteinander verbindet als die Erfahrung ihrer radikalen
Exposition. In Ermangelung eines finalen, allgemeingültigen Grundes wie der Umsetzung
eines konkreten Ziels, der Durchführung eines Projekts oder der Zugehörigkeit zu einer
bereits existenten oder noch zu konstituierenden Gruppe, zwingt die ästhetische In(ter)vention
als Schwellenraum ihre Teilnehmer dazu, sich ausschließlich aneinander zu orientieren und
sich die Situation im Zuge dessen gleichsam einander mitteilend zu erschließen.
Als Konsequenz dessen offenbaren sich intersubjektive Beziehungen somit nicht als Resultat,
sondern als Projekt einer wesentlich körperbasierten Tätigkeit, das als solches immer wieder
neu begründet, ausgehandelt und gestaltet werden muss. Die theatrale Gemeinschaft realisiert
sich folglich im immer provisorischen Erkunden, Erforschen und Praktizieren des eigenen
Mitseins und also im ebenso unabschließbaren wie prozessualen Austausch darüber, was es
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bedeutet, eine Gemeinschaft zu verkörpern. In einem Spiel, das weder eindeutige Regeln noch
Lösungen kennt, und ob seiner konstitutiven Offenheit an keine teleologische Handlungsdirektive geknüpft ist, offenbart sich die theatrale Gemeinschaft der ästhetischen In(ter)vention als provisorische Vollzugswirklichkeit, die immer wieder kritisch hinterfragt werden
muss und als solche permanenten Modifikationen und Verwandlungen unterworfen ist. So
setzt die ästhetische In(ter)vention nicht nur die hegemoniale Ordnung ihres Erscheinungsraums auf Spiel, sondern realisiert sich im selbstreferentiellen Vollzug ihrer kollektiven
Verkörperung zugleich als transitorischer Entwurf einer alternativen Öffentlichkeitsformation.
Damit sind ästhetische In(ter)ventionen als Entwürfe einer kollektiven Utopie des öffentlichen
Raums zu verstehen, die nicht nur imaginiert, sondern im Vollzug ihrer Aufführung von allen
Anwesenden zugleich mitgestaltet und immer wieder neu erfunden wird. Diese Utopie
realisiert sich im körperlichen Antizipieren, Verhandeln und Erproben alternativer
Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums ebenso wie ungewohnter zwischenmenschlicher Begegnungen im Hier und Jetzt ihres ereignishaften Erscheinens und verfügt in
ihrer Prozessualität über keine eindeutig zu bestimmende und/oder prädeterminierende
Gestalt. In diesem Sinne lässt sich eine ästhetische In(ter)vention folglich auch nur retroaktiv
als solche bestimmen.
Statt der Einlösung eines prädeterminierten utopischen Gesellschaftsideals affirmiert die
theatrale Gemeinschaft der ästhetischen In(ter)vention im selbstreferentiellen Vollzug ihrer
interdependenten (Mit)Teilung vielmehr ihre eigene Grundlosigkeit und begibt sich gerade
dadurch – so die Kernthese meiner Arbeit – auf das Terrain des Politischen. Dieser Erkenntnis
liegt ein postfundamentalistischer Begriff des Politischen zugrunde, wie er sich als
ontologisches Moment einer kollektiven Differenzerfahrung sowie eines damit unmittelbar
einhergehenden Stiftungsakts erweist. Das politische Potential ästhetischer In(ter)ventionen
besteht also nachgerade darin, die symbolische Ordnung des öffentlichen Raums auf das
performative Moment ihrer kollektiven sozialen Genese zurückzuführen und somit in ihrer
Kontingenz offenzulegen, ohne zugleich auf eine gezielte und/oder nachhaltige Umstrukturierung dieser Ordnung zu drängen.
Weniger also als in der zielgerichteten Konstitution einer spezifischen Form von
Öffentlichkeit im Sinne der Herbeiführung einer realen gesellschaftspolitischen Veränderung
besteht die politische Wirkkraft ästhetischer In(ter)ventionen also vielmehr darin, die dem
öffentlichen Raum inhärente Wahrnehmungsökonomie in ihrer singulären Exklusivität ebenso
wie die ihr impliziten Dispositive auf das Moment ihrer kollektiven Instituierung und somit
auf ihre potentielle Veränderbarkeit zurückzuführen.
Wie ich anhand mehrerer Fallbeispiele zeigen konnte, realisiert sich diese politische
Wirkkraft der ästhetischen In(ter)vention im Prozess ihrer medialen und narrativen Überlieferung auch über das Hier und Jetzt ihrer Aufführung hinaus immer wieder neu und wird
als solche kontinuierlich fort- und umgeschrieben. Was sich dabei überliefert, ist das
schöpferische Vermögen, in Realitätskonstitutionen zu intervenieren und diese in einem Akt
der kollektiven Verkörperung gleichsam von innen heraus umzugestalten.
Zusammenfassend ist es mir mit meiner Arbeit also gelungen, die ästhetische In(ter)vention
als kollektive Aufführung einer ambivalenten Topologie im öffentlichen Raum zu charakterisieren. Diese topologische Ambivalenz, wie sie sich in einer postfundamentalen Wahrnehmungskrise manifestiert, korrespondiert mit einer ästhetischen Differenzerfahrung. Während
die ästhetische In(ter)vention einerseits die vermeintliche Selbstverständlichkeit gegebener
Formationen des Öffentlichen fundamental in Frage stellt, ruft sie andererseits wirklichkeits4
konstituierende Begegnungen in Form der reziproken Verkörperung räumlicher, körperlicher
und intersubjektiver Grenzgänge hervor. In ihrer performativen Selbstreferentialität als
Aufführung macht sie so die schöpferische Formation des Öffentlichen zur gemeinsamen
Verantwortung und Aufgabe. Hierin aber besteht ihr wahrnehmungs- und damit zugleich ihr
gesellschaftspolitisches Potential.
Nun ist dieses der ästhetischen In(ter)vention in ihrer eigentümlichen Ambivalenz inhärente
Potential, soziale Realitäten in Frage zu stellen und auf ihre Veränderung hin zu öffnen
keineswegs allein der Kunst vorbehalten. Stattdessen intervenieren, wie ich in meiner
Doktorarbeit anhand einiger einschlägiger Beispiele zeigen konnte, neben der Kunst auch die
Politik und die Ökonomie in die symbolische Ordnung des öffentlichen Raums. Zu diesem
Zweck bedienen sich politisch und ökonomisch motivierte Werbe- und Marketingkampagnen
gleichermaßen interessanterweise des Vokabulars und der Strategien einer interventionistischen Ästhetik, wie sie sich ursprünglich im Bereich der Kunst etabliert hat. Die im Zuge der
ästhetischen In(ter)vention kollektiv zur Aufführung gebrachte soziale Utopie dient dabei in
der Regel als lukrativer Imageträger und/oder als politisches Agitations- respektive Kontrollinstrument. Ein Ziel meiner Arbeit ist es zu zeigen, dass und inwiefern interventionistisch
operierende Artikulationen der Kunst, Politik und Ökonomie um die symbolische Autorität
über Zeichenregime und mediale Codes, über Fiktionen, Affekte und Geschichten und damit
um nicht weniger als um die Macht der Formation des Öffentlichen miteinander konkurrieren.
Während allerdings politische und ökonomische In(ter)ventionen in ihrer zielgerichteten
Zweckmäßigkeit auf die Wiederherstellung eines verbindlichen Referenzrahmens drängen,
überantwortet die ästhetische In(ter)vention das unabschließbare Projekt einer kollektiven
Öffentlichkeitsformation als performativ hervorzubringenden Vollzugswirklichkeit gänzlich
den mitunter zufällig an ihr Teilhabenden und erschöpft sich somit als einzige im transitorischen Ereignis ihrer situativen Verkörperung.
Das bedeutet aber auch, dass sich die von mir entwickelte Konzeptualisierung der ästhetischen In(ter)vention als Medium einer pluralen, sich kontinuierlich aktualisierenden und also
nicht eindeutig bestimmbaren Praxis offenbart, die sich erst im Vollzug ihrer konkreten
Realisation mit Bedeutung auflädt. Ihr Begriff impliziert somit einen raumzeitlich
übertragbaren Handlungsmodus, wie er sich in einer Vielzahl möglicher – vergangener,
gegenwärtiger und zukünftiger – Erscheinungsformen zu implementieren vermag. Die
ästhetische In(ter)vention offenbart sich demnach als ein wesentlich offenes, permanente
Fort- und Umschreibungen unterlaufendes Konzept, das ein interventionistisches Verhältnis
auch zu seiner eigenen begrifflichen Fixierung unterhält. Um ihren Fortbestand als
interventionistische Kunstpraxis nicht zuletzt auch in Abgrenzung von den Vereinnahmungsversuchen durch Politik und Ökonomie zu sichern, ist die ästhetische In(ter)vention auf die
beständige Wiedereinführung neuer Selbstwidersprüche angewiesen.
So führt die ästhetische In(ter)vention immer wieder an den Ort des Politischen als
schöpferischem Ungrund jeder politischen Aktualität zurück. Von diesem Ort aus stellt sich
die Frage nach den Grenzverläufen einer gesellschaftlichen Ordnung und somit auch die
Frage nach Formationen des Ein- und Ausschlusses immer wieder neu. Dabei steht nicht nur
die kollektive Genese von Räumen, Körpern und Gemeinschaften, sondern auch derjenigen
diskursiven Grenzverläufe und Konzepte auf dem Spiel, die diese Ordnungen wesentlich
determinieren. Hierzu zählt nicht zuletzt auch die Grenzziehung zwischen Kunst und Politik
selbst. Statt diese als unverrückbar gegeben anzuerkennen, macht die ästhetische
In(ter)vention sie vielmehr zur Verhandlungs- und Gestaltungssache, die mit jeder konkreten
Manifestation gleichsam neu zu sondieren und auszuhandeln ist. Als politisch erweist sich die
ästhetische In(ter)vention folglich nicht deshalb, weil sie sich auf einen Bereich der
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politischen Aktivität entgrenzte, sondern vielmehr deshalb, weil sie das Verhältnis von Kunst
und Politik nachhaltig in Frage stellt und zur kollektiven Verhandlungssache macht.
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