Großalmerode-Exkursion am 11./12. 5. 2007 Entwicklung des Wirtschaftsraumes Großalmerode von Töpferei und Waldglasherstellung zur Produktion feuerfester Waren Leitung: Günter Bauer (Hessisch Lichtenau) Bericht: Dr. R. Klawik und G. Bauer Großalmerode Im nordöstlichen Zipfel Hessens, östlich von Kassel im Kaufunger Wald zwischen Bilstein im Nordwesten und dem Hirschberg im Südwesten, liegt die Kleinstadt Großalmerode (7394 Einwohner, Stand 2006). Südöstlich von Großalmerode ragt der höchste Berg im nordöstlichen Hessen, der Hohe Meißner (753,6 m), empor. Großalmerode gliedert sich in die Teilgemeinden Weißenbach, Trubenhausen, Uengsterode, Rommerode, Laudenbach und Epterode. Bransrode, Gut Giesenhagen und Faulbach gehören offiziell der Kernstadt Großalmerode an. Zu den Nachbargemeinden zählen Witzenhausen, Hessisch Lichtenau, Helsa und Bad SoodenAllendorf. Großalmerode wird 1386 erstmals in den Quellen als „Almerode“ genannt.1775 erhält der Ort die Stadtrechte. Bereits im Spätmittelalter war Großalmerode für seine Massenproduktion von Schmelztiegeln und für seine Glasherstellung bekannt. 1572 nannte sich der Ort deshalb auch „GlasGroßalmerode“. Für die Befeuerung der Schmelzöfen lieferte der Kaufunger Wald die reichen Holzbestände. Dies war ein Grund für die Ansiedlung von Glashütten. 1446 wird die erste Hütte im Kaufunger Wald betrieben. 1466 arbeiteten bereits acht Hütten rund um Großalmerode. Aus der nahen Saline Sooden kam das benötigte Soda und um die „Schmelzhäfen“ (= Töpfe, südd. Haferl) anzufertigen, gewann man den vor Ort anstehenden Ton. Über die Weser bis nach Norddeutschland und über andere sich in der Nähe befindlichen schiffbaren Wassertrassen konnten die Produkte transportiert werden. Sogar bis Amerika wurden Großalmeröder Tonprodukte geliefert. Großalmerode war durch seine Glas- und vor allem Tonerzeugnisse seinerzeit so bekannt, dass sogar die benachbarte Landgrafenstadt Kassel als „Kassel bei Großalmerode“ bezeichnet worden sein soll. Zu den berühmten geschichtlichen Persönlichkeiten Großalmerodes zählen Wilhelm Grimm, einer der Gebrüder Grimm, der am 13. April 1800 in Großalmerode konfirmiert wurde, und der Maler Heinrich Pforr (geb. am 26. 10. 1880 in Laudenbach), dessen Bilder im Glas- und Keramikmuseum in Großalmerode zu sehen sind. Seine Bilder dokumentieren hauptsächlich Szenen aus dem häuslichen Alltag und der Arbeitswelt in und um Großalmerode. Das Wappen Großalmerodes (s. links) zeigt in der Mitte drei Schmelztiegel, so genannte „Dondüppchen“, die aus Almeröder Ton bestehen. Auf beiden Seiten liegen Tonkugeln, die man mit Murmeln vergleichen kann. Sie sind nur viel größer und werden Üller genannt. Heute ist Großalmerode das europäische Zentrum der Feuerfestkeramik. Schmelztiegel 1 Der erste Programmpunkt der Exkursion führte uns in das Glas- und Keramikmuseum am Kleinen Kirchrain 3 in Großalmerode. Mit viel Mühe und Sachverstand haben engagierte Großalmeröder Bürger dieses Museum eingerichtet und didaktisch geschickt gestaltet, dass es für jeden Besucher, ob jung oder alt, zu einem Erlebnis wird. Besonders für Schulklassen bietet das Museum neben vielen Exponaten aus der heimischen Handwerks- und Industriewelt auch Einblicke per Bild und Film in das Gewerbe der Glasherstellung und Tonverarbeitung. Vor Ort kann sogar mit Ton gearbeitet werden und macht so die Geschichte der Region um Großalmerode im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar. In drei Stockwerken des Fachwerkhauses erhält der Besucher einen lebendigen Eindruck über den Abbau des Tons, seine Verarbeitung zu verschiedenen Produkten und über die Glas- und Keramikherstellung. In nachgestellten Werkstatträumen und mit Hilfe einer Fotoinstallation eines Brennofens kann die Herstellung von Industriekeramik wie z. B. feuerfester Schmelztiegel, die z. T. eine Metallschmelze von über 1800° C aushalten müssen, und Schamottsteinen gezeigt werden. Jeder Raum widmet sich einem anderen Thema, wie z. B. der Herstellung von Waldglas im 16. Jahrhundert oder dem Handel mit Tonprodukten in verschiedene Kontinente. Zu sehen sind verzierte Tonpfeifen, Haushaltskeramik, glasierte Wasserrohre u. v. m.. Interessant sind auch Räume mit sozialgeschichtlichen Themen: Wie lebte früher eine Arbeiterfamilie? Wie gestalteten die Menschen damals ihren Feierabend? Mit welcher für die damalige Zeit hochmodernen Technik wurden Möbel, hier Küchenmöbel, ausgestattet? Unter anderem werden Einblicke in die Tätigkeit eines Bergmanns unter Tage geboten. Da das Museum auch die Glasfabrikation in Großalmerode präsentiert, werden neben Trinkgläsern, Apothekenflaschen, Violen auch seltene Glättsteine und Scherben verschiedener Glasgefäße gezeigt. Interessant war die Erklärung für die natürliche grünliche Glasverfärbung, die aufgrund des Eisengehalts des Sandes entsteht. Um ein klares, weißes Glas zu erhalten, muss das Eisen in den Quarzkörnern chemisch ausgewaschen werden. Im Dachgeschoss sind Bilder des Heimatmalers Heinrich Pforr ausgestellt. Sie zeigen Szenen aus dem Alltagsleben der Menschen und Landschaften in und um Großalmerode. Unsere beiden Museumsführer mussten viele Fragen beantworten, an vielen Exponaten und in manchem Themenraum länger ausharren, um interessante Erklärungen zu liefern, sodass die Führung über drei Stunden dauerte. Es hatte sich gelohnt! Betriebsbesichtung im Familienunternehmen Conrad Liphard und Söhne Durch die Kombination von traditionellen Werten und innovativem Handel besteht das Familienunternehmen Conrad Liphard & Söhne GmbH seit über 450 Jahren. Vom Stein für Kachelöfen über Schmelztiegel bis hin zu technischer Keramik in Hochleistungsturbinen, nitridgebundenes SIC für Müllverbrennungsanlagen und andere Anwendungsbereiche gehören zum Lieferprogramm des Betriebes. Neben bewährten und ausgereiften Technologien in der Gießformgebung werden die Produkte hydraulisch und isostatisch gepresst. Die Vielzahl der vorgehaltenen Sinteröfen ermöglicht es, kleine wie auch große Stückzahlen bis zu einer Sintertemperatur von 1.780 °C wirtschaftlich sinnvoll zu fertigen. Individuellen Kundenwünschen zu entsprechen, Leistungsstärke und Zuverlässigkeit zu garantieren, zählt zu der Firmenphilosophie der Firma Conrad Liphard & Söhne GmbH. Der Betrieb beschäftigt heute mit der Herstellung von technischer und feuerfester Keramik unterschiedlichster Qualitäten 55 Mitarbeiter. Aufgrund der überschaubaren Größe des zertifizierten Betriebes kann ausgesprochen flexibel gehandelt werden, was sich nicht nur durch schnelle Lieferzeiten auszeichnet. Durch Entwicklungsleistung für den Eigenbedarf ist ein Produkt entstanden, das außerhalb der eigentlichen Produktlinie liegt. Es handelt sich hierbei um eine Flachdachbegrünungsplatte aus Blähton, welcher aus dem Bereich der Hydrokulturpflanzen bekannt ist. Bisher werden Flachdächer überwiegend mit Dachpappen bzw. Bitumen- und Klebschichten versehen, auf die eine Schüttung aus Sand oder Kies aufgebracht wird. Diese Schichten heizen sich beson2 ders durch Sonneneinstrahlung stark auf und können dadurch die darunter liegenden Klebschichten zumindest lokal schmelzen, mit der Folge, dass diese Löcher erhalten und undicht werden. Auch die Abdeckung von Schüttgütern, wie Erde oder Blähtonkugeln, die zum Bepflanzen geeignet sind, hat unter dem Einfluss von Wind und Regen Nachteile, wie z. B. das Verstopfen von Dachrinnen und Abwasserkanälen. Die von der Conrad Liphard & Söhne GmbH entwickelte Rasenplatte hat den Vorteil, dass sie mechanisch stabil ist, eine dauerhaft gute Isolierung und Abdeckung bewirkt und dennoch ein geringes Gewicht besitzt. Außerdem hat die Platte eine wesentlich bessere Wasseraufnahme als eine Kiesschüttung und versorgt die zur Begrünung des Daches vorgesehenen Pflanzen besser mit Wasser. Ständig steigende Öl- und Gaspreise gaben dem Unternehmen Conrad Liphard & Söhne GmbH den Anstoß zu einer Entwicklung, die den Verbrauch dieser Energien drastisch senken sollte. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist der Wärmespeicherstein HT 2000, der die Wohnung schneller aufheizt, die Wärme länger hält und dadurch Brennstoff spart. Heißgaszüge in Kachelöfen werden heute oft mit minderwertigen Rohstoffen ausgekleidet, die in unmittelbarer Nähe der produzierenden Fabriken vorhanden sind. Dies führt dazu, dass die erforderliche Leit- und Speicherfähigkeit den heutigen Anforderungen wie Energieeinsparung, Emissionssenkung und Feinstaubminderung nicht mehr gerecht wird. Durch Einsatz höherwertiger Rohstoffe können die beschriebenen Merkmale wesentlich verbessert werden. Der HT 2000 nimmt die Wärme aufgrund einer um das 3,3-fache verbesserten Wärmeleitfähigkeit zum einen besser auf bzw. gibt sie auch wieder besser ab und kann zum anderen um bis zu 30 % mehr an Wärme aufnehmen, d. h. speichern. Diese Eigenschaften erhält der von Conrad Liphard & Söhne GmbH entwickelte HT 2000 durch eine besondere Mischung ausgewählter Mineralien. Mit dem Wärmespeicherstein HT 2000 wird nicht nur eine 30prozentige Energieeinsparung erzielt, sondern gleichzeitig entstehen rund 30 % weniger umweltbelastende Emissionen und Feinstaub. Glas- und Keramikmuseum in Großalmerode 3 Film- und Vortragsraum im Museum Ein Lehmstecher Werkstattraum in der Tonfabrik 4 Schmelztiegel für flüssiges Metall Interessierte Zuhörer Foto-Installation eines Brennofens Maschine zum Lehmtiegels 5 Ausfräsen eines Pfeifenköpfe aus Ton mit Motiven ehemaliger amerikanischer Präsidenten Keramikproduktion geht nach Übersee Herr Bauer bedankt sich für die interessante Führung. Im Hintergrund: Relikte des alten Kinos in Großalmerode 6 Familienunternehmen Conrad Liphard & Söhne GmbH Juniorchef, Herr Bauer, Seniorchef (v. l. nach r.) Gutes Betriebsklima in der Firma: Die Belegschaft schmückt eine Produktionshalle. Der Seniorchef feiert seinen 75. Geburtstag. 7 Im Hintergrund liegen hitzebeständige Formen, in denen Zündkerzen gegossen werden. Herr Bauer bedankt sich bei den Firmenchefs für die interessante Führung. Bericht: R. Klawik Der zweite Teil des Vormittags führte zur Schneiderkreidefabrik Ernst Goebel in Epterode. In diesem kleinen Familienbetrieb wird in Großalmeröder Tradtion Schneiderkreide aus heimischen und zugekauften Tonen hergestellt. Die Herstellung geschieht in einfachen, von Hand betätigten Druckpressen, die das Rohmaterial verfestigen. Die Qualität der Schneiderkreiden aus Großalmerode bringt ihre Weltgeltung. Herr Goebel konnte mit seinen Ausführungen einen nachhaltigen Eindruck dieser Sparte der Tonverarbeitung bieten. 8 Nächste Station war der Bahnhof von Epterode in unmittelbarer Nachbarschaft zum Besichtigungsbetrieb Colisit. Günter Bauer zeigte an diesem Standort die unmittelbare Nachbarschaft von Tonverarbeitung und Kohlegewinnung. Auf der einen Seite der Straße befinden sich zwei weitere Keramikbetriebe, die vornehmlich Schmelztiegel herstellen. Die Exkursionsgruppe befand sich direkt neben den Gleisen des ehemaligen Bahnhofs Epterode, von wo der überwiegende Teil der geförderten Braunkohle abtransportiert wurde. Von den Gebäuden der ehemaligen Zeche Hirschberg stehen noch mehrere Verwaltungsgebäude und eine Betriebshalle, die frühere Schlosserei, die heute durch einen kleinen Industriebetrieb genutzt wird. Der Förderturm wurde leider nicht als Industriedenkmal anerkannt und vor wenigen Jahren abgebrochen. Der Exkursionsleiter machte mit Hilfe von Karten und Schaubildern mit dem Bergbaurevier bekannt und konnte dabei sehr eingehend auf Rekultivierungsmaßnahmen hinweisen. Die meisten Restlöcher ehemaliger Tagebauten sind zugeschüttet und neu bewaldet. Der zuletzt betriebene Tagebau Ringenkuhl wartet noch immer auf Aushub der auf Eis gelegten Autobahn A 44 zwischen Kassel und Eisenach. Hinter den Keramikbetrieben liegen die ehemaligen Tagebaubetriebe Exberg I und II, die gewässert wurden und heute ein wichtiger Freizeitbereich für die Umgebung sind. Intensiv und an Schaubildern deutlich wurden die Lagerstätte am Hirschberg erläutert. Aus der Lagerstättenkunde konnten auch die Methoden des Abbaus der Kohle abgeleitet werden. Am Hirschberg stehen vier abbauwürdige Braunkohlenflöze an, die eine unterschiedliche Mächtigkeit haben. Flöz III erreicht eine Braunkohlenschicht von 20m. Über dem Flöz IV liegt auch der berühmte Ton, der die Rohstoffbasis für die Herstellung vielfältiger Produkte ist. Der überwiegende Teil der Kohle wurde im Tiefbau gewonnen. Die technische Entwicklung des Stollenbergbaus wurde mit Schaubildern verdeutlicht. Bauer zeigte sowohl die ersten einfachen Stollen, die in den Berg getrieben wurden als Abbauverfahren. Der technische Fortschritt durch die Elektroenergie machte auch die Arbeit untertage etwas leichter. Der modernste Stollenabbau, der am Hirschberg betrieben wurde, war die Technik, dass zwei Stollen in den Berg führten. Einer der Förderstollen diente der Kohleförderung. In ihm war ein Förderband verlegt, auf dem die Kohle über Tage gebracht wurde. Durch den zweiten Stollen (Materialstollen) wurden Geräte und Baumaterial in den Tiefbau gebracht. Beide Stollen waren bis zu 3m hoch und mit schweren Stahlstützen ausgebaut. Sie konnten mit Bergwerksfahrzeugen befahren werden. Maschinen und Fahrzeuge hatten die Arbeit der Bergleute erleichtert. Die Kohle wurde vor Ort durch Sprengung oder durch Fräsmaschinen aus dem Flöz gelöst und auf Förderbändern weggebracht. Ununterbrochen wurde durch den Materialstollen Frischluft eingeblasen, die durch den Förderstollen wieder abgesaugt wurde. Nach der eingehenden Betrachtung des ehemaligen Braunkohlenbergbaus am Hirschberg, der 2001 wegen Absatzschwierigkeiten eingestellt wurde, griff Günter Bauer am letzten Standort in der Tonarbeitersiedlung „An der Bahn“ in Rommerode nochmals ein Thema aus der Sozialgeschichte auf. Im Museum in Großalmerode war sehr eindrucksvoll auf die Lebensumstände der Tonarbeiter hingewiesen worden. Mit Hilfe von Karten und Bildern wurde die Siedlungsstruktur vorgestellt. Vor Ort konnten die Exkursionsteilnehmer, die bereits im Museum erworbenen Kenntnisse nachvollziehen und vertiefen. Als Zugabe verschaffte der Exkursionsleiter vom Meißner (Sender) der Gruppe einen Überblick über den Bereich vom Spangenberger Bergland über Söhre und Riedforst der Lichtenauer Hochfläche bis hin zum Hirschberg. Bericht: G. Bauer 9
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