Artikel als PDF - Kindergarten heute

„Wichtig ist, dass Sie zugänglich
sind und sich offen und abwartend
verhalten.“
V on Sonja Alberti
D
ie primäre und wichtigste Beziehung für
Kinder ist die zu ihren Eltern beziehungsweise
den Menschen, die sich in der ersten Lebenszeit
um sie kümmern. Weil diese Beziehungen sehr intensiv sind, spricht man hier auch von Bindungsbeziehungen. In den ersten Lebensjahren erweitern die Kinder ihren Radius mehr und mehr
und sind dann in der Lage, zu weiteren Personen Beziehungen aufzubauen − wozu auch Sie als
Fachkraft zählen sollten, um den Bildungs- und
Erziehungsauftrag möglichst gut umzusetzen.
Damit Ihnen dies bei den Kindern Ihrer Gruppe
gelingt, habe ich ein paar Punkte zusammengestellt, die Sie sozusagen als Strategien im Hinterkopf behalten können – auch und gerade im Berufseinstieg, wenn Sie die ersten professionellen
Beziehungen aufbauen.
FOTOS: Sonja Alberti, Koblenz
Den Beziehungsaufbau anregen
Was den Aufbau einer Beziehung zu Kindern betrifft, so sind zuallererst Sie gefragt: Sie müssen
aktiv sein, Sie setzen die Impulse und treiben ihn
dadurch voran. Regina Remsperger, Professorin
für „Pädagogik der Kindheit“, hat sich eingehend
damit beschäftigt, wie das Verhalten einer Fachkraft sein sollte, damit sich eine Beziehung zu
Kindern entwickeln kann. Ihr Konzept der „Sensitiven Responsivität“ umfasst vor allem diese beiden Punkte:
Sie müssen die Signale der Kinder bemerken: Was sich zunächst vielleicht einfach anhört,
kann im Alltag leicht verloren gehen. Sie müssen
für die Kinder zugänglich sein, also ausreichend
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kindergarten heute / 4_2016
Zeit haben und Ruhe ausstrahlen, sich offen und
abwartend verhalten, ihnen die Initiative überlassen und ihnen Raum geben. Und Sie müssen aufmerksam sein, also ruhig zuhören können, das jeweilige Kind nicht unterbrechen und den Äußerungen, Interessen und dem Verhalten der Kinder
aufmerksam folgen.
Sie müssen sich auf die Signale der Kinder hin angemessen verhalten: Wenn Sie nun
die Signale eines Kindes bemerkt haben, dann
ist es wichtig, auf diese zügig und angemessen zu
reagieren. Ihre Haltung den Kindern gegenüber
sollte wertschätzend und interessiert sein und Respekt vor ihrer Autonomie ausdrücken. Sie sollten ehrlich sein, sich interessiert an den Aktivitäten beteiligen, die Kinder akzeptieren und sich
um eine gute Atmosphäre kümmern. Darüber
hinaus sollten Sie individuelle Entwicklungsanregungen anbieten.
Wenn Sie diese Punkte beherzigen, stehen
die Chancen gut, dass Sie eine Beziehung zu Kindern aufbauen.
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Tragfähige Beziehungen
Beziehungen sind für Kinder dann tragfähig, also
belastbar, wenn sie zuverlässig sind. Kinder müssen sich, um sich wohlzufühlen, darauf verlassen
können, dass eine Beziehungsperson erreichbar
ist. Damit Sie zu einer zuverlässigen Beziehungsperson für die Kinder werden beziehungsweise dies bleiben, können Sie bestimmte Aspekte der elterlichen Fürsorge in Ihre Handlungen
einbauen. Die Kindheitspädagogin
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meine perspektive.
qualifizierung
1. Zuwendung
Das emotionale Klima, in dem sich Kinder und
Fachkraft begegnen, sollte von Freude am Umgang miteinander und einer positiven Haltung
geprägt sein. Reflexionsfragen:
Bin ich räumlich für das Kind verfügbar?
Gehe ich respektvoll mit ihm/ihr um?
N
ehme ich ihn/sie nur auf den Schoß, wenn
er/sie dies möchte, und lasse ich ihn/sie weiterziehen, wenn er/sie dies möchte?
Gibt es Kinder, die ich weniger be(ob)achte?
W
eiß ich, womit das Kind am liebsten spielt
oder mit wem es am liebsten zusammen ist?
H
abe ich Freude an der Interaktion mit dem
Kind?
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Sonja Alberti
ist Dipl.-Sozialpädagogin
und seit über 20 Jahren im
Feld Kindertageseinrichtung wissenschaftlich und
in der Praxis tätig. Sie ist
Fortbildnerin und Coach
in der Frühpädagogik und
betreibt die Online-Lernplattform
www.kita-campus.de
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5. Assistenz
2. Sicherheit
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Um den Kindern Sicherheit zu vermitteln, müssen sie als Fachkraft erreichbar sein, ihnen bei
Ängsten zur Seite stehen und Wege aufzeigen,
wie sie damit umgehen und wie sie sie auch überwinden können. Nur durch diese Erfahrung der
Sicherheit können Kinder Selbstvertrauen aufbauen. Reflexionsfragen:
Bin ich dort, wo das Kind sich aufhält?
B
in ich für das Kind da, wenn er/sie traurig
ist oder Angst hat?
B
in ich im Blickfeld? Oder ist ein/e Kollege/
in erreichbar, wenn er/sie Hilfe braucht?
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3. Stressreduktion
Kleinstkinder unter zwei Jahren und teilweise
auch noch ältere Kinder können ihre Emotionen
noch nicht alleine regulieren. Dazu benötigen sie
die Unterstützung von Erwachsenen. Die Fachkraft reagiert also auf Stressreaktionen der Kinder ruhig und einfühlsam und hilft ihnen, in eine
positive Stimmungslage zurückzufinden. Reflexionsfragen:
H
elfe ich dem Kind Rückzugsmöglichkeiten zu finden, wenn der Alltag in der Gruppe hektisch und überfordernd ist?
W
eiß ich, was er/sie braucht, wenn es ihm/
ihr nicht gut geht?
N
utze ich die Momente in Pflegesituationen,
um mir Zeit für einzelne Kinder zu nehmen?
H
abe ich mit den Eltern besprochen, was
dem Kind zu Hause hilft, wenn er/sie müde,
traurig oder überfordert ist?
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4. Unterstützung
bei der Exploration
Kinder, die sich sicher und geborgen fühlen, ex-
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plorieren. Sie erkunden ihre Umwelt, nehmen
Kontakte auf und möchten alles ausprobieren.
Um diese wichtigen Entwicklungsschritte tun zu
können, brauchen Kinder die Gewissheit, dass Sie
als Fachkraft anwesend und ansprechbar sind und
sie in ihrem Tun ermutigen. Reflexionsfragen:
E
rkenne ich, wenn das Kind bereit ist, auf
Kinder oder Dinge zuzugehen?
E
rmutige ich ihn/sie, zu den Dingen und
Kindern zu gehen, die ihn/sie interessieren?
B
in ich beim Essen und Wickeln geduldig
genug, um ihn/sie alles schon alleine tun zu
lassen, was er/sie bereits kann?
L
asse ich ihn/sie auch Dinge ausprobieren,
die für meinen eigenen Plan gerade nicht gut
passen?
Die Fachkraft unterstützt die Kinder in ihrem
Tun durch gezielte Beobachtungen, zusätzliche
Informationen oder Materialien, konkrete Hilfestellungen bei Bedarf und wenn sie nicht mehr
weiterkommen. Reflexionsfragen:
W
eiß ich, was das Kind bereits alleine tun
kann?
Lasse ich ihn/sie ausreichend ausprobieren?
Ü
berprüfe ich, bevor ich eingreife, ob dies
überhaupt nötig ist?
Weiß ich, was er/sie lernen möchte?
Weiß ich, wie ich dabei unterstützen kann?
W
ie stelle ich sicher, dass ich das Kind weder
unter- noch überfordere?
Beziehungen verändern sich
Kinder entwickeln und verändern sich. Wenn eine gute Beziehung aufgebaut wurde, ist es auch
Ihre Aufgabe, die Beziehung immer wieder anzupassen, um ausreichend Raum für Selbstständigkeit, Autonomie und auch weitere Beziehungen
zu anderen zu lassen.
Ohne die Eltern geht es nicht
Ihre Beziehung zu den Eltern des Kindes beeinflusst immer auch die Beziehung zum Kind. Das
bedeutet also, je offener, freundlicher, wertschätzender und respektierender Ihre Beziehung zu
den Eltern sich entwickelt und gestaltet, umso
einfacher werden Sie auch mit dem Kind in eine
Beziehung treten können.
Falls Sie jetzt denken, dass Sie es nicht
schaffen werden, sich immer über alle Punkte
und Faktoren bewusst zu sein und diese umzusetzen, dann möchte ich Ihnen noch etwas mitgeben: Seien Sie geduldig mit sich, überfordern
Sie sich nicht, bleiben Sie entspannt, wenn Sie
nicht alle Ihre Erwartungen an sich selbst umsetzen können – und vor allem: Folgen Sie Ihrem Bauchgefühl, das ist in den meisten Fällen
der richtige Weg. Schließlich sind Sie ja auch ein
Mensch mit all diesen Bedürfnissen.
kindergarten heute / 4_2016
FOTO: Sonja Alberti, Koblenz
Kerstin Hörmann hat die fünf wichtigsten Aspekte herausgestellt sowie dazugehörige Reflexionsfragen entwickelt. Mein Tipp: Nutzen Sie die
Fragen, um Ihr Verhalten hin und wieder zu reflektieren. So werden Sie nachhaltig gute, tragfähige Beziehungen aufbauen.