hier

Umgang mit Krankheit und
gesundheitlichen Einschränkungen im
Arbeitsverhältnis
Hamburg – 20. Mai 2015
I.
Mitteilungs- und Nachweispflichten
II. Fragen der Entgeltfortzahlung
III. Handlungsoptionen während der
Arbeitsunfähigkeit
IV. Betriebliches Eingliederungsmanagement
und Präventionspflichten
V. Krankheitsbedingte Kündigung
I. Mitteilungs- und Nachweispflichten
Anzeige über AU und voraussichtliches Bestehen

unverzüglich (§ 5 Abs. 1 EfzG)

ohne schuldhaftes Zögern

bei Verstoß: Abmahnungsmöglichkeit
Form: nicht vorgegeben (telefonisch, Email, Kollegen)
Übermittlungsrisiko: Arbeitnehmer
Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung:
wenn AU länger als 3 Kalendertage:

Vorlage am Folgetag des 3. Tages
(§ 3 Abs. 1 EfzG)
Frist durch abweichende Vereinbarung verkürzbar

ggf. bis Ende Erkrankungstag
(Arzt erreichbar?)

Regelung denkbar durch AV, BV, TV
Prognoserisiko

Arbeitgeber
falls AU-Bescheinigung abgelaufen und nicht genesen

neue AU möglich

Frist: keine gesetzliche
h.M.: wieder 3 Kalendertage nach Ende
der Vor-AU
aber: unverzügliche Mitteilung der Fortdauer
rückwirkende AU-Bescheinigung
•
grundsätzlich möglich
•
grundsätzlich kein Anhalt für missbräuchliche
Gestaltung/Gefälligkeit
•
nur ausnahmsweise Indiz für Missbrauch
•
selten ausreichende Grundlage für
Abmahnung/Kündigung
Zugangsrisiko für AU

Arbeitnehmer
wenn Hilfsperson/Übermittlungsmedium versagt

Pflichtenverstoß

Abmahnungsmöglichkeit
Falls im Wiederholungsfall Kündigung nach
Abmahnung(en):
Abwägungsentscheidung
Überlegungspunkte:
•
Intensität der durch Unzuverlässigkeit
verursachten Ablaufstörungen
•
u.U. Rückschluss auf generelle Unzuverlässigkeit
•
Dauer des Arbeitsverhältnisses, Sozialdaten
Arbeitsunfähigkeit im Ausland (§ 5 Abs. 2 EfzG):

erhöht wieder den Urlaubsanspruch
(falls dort im Urlaub)

sichert Entgeltfortzahlung

Verfahren abhängig von Aufenthaltsort
Arbeitsunfähigkeit im EWR-Ausland und bei
Sozialabkommen:

AN informiert den örtlichen
Sozialversicherungsträger

Träger informiert heimische Krankenkasse

Krankenkasse informiert Arbeitgeber
Arbeitsunfähigkeit im übrigen Ausland:

wie Inland

deutsche KK ist an ärztliche Feststellungen
gebunden, sofern nicht eigener
Vertrauensarzt im Ausland untersucht hat

identischer Beweiswert wie Inlands-AU
Zweifel am Bestehen der AU:

Einschaltung des MDK über KK

keine Angabe von Gründen erforderlich

KK/MDK zur Gutachtenerstattung
verpflichtet
Zweifel an AU insbesondere bei:

häufiger Kurzzeit-AU, insbesondere
montags und freitags

AU durch bekannte
„Krankschreibungsärzte“
Untersuchung durch MDK:

„unverzügliche“ Untersuchung

in der Praxis selten unter 2 Wochen
Wartezeit

bei Nichterscheinen Indizwirkung der AU
erschüttert

Ergebnismitteilung an KK  AG

Zweitgutachten möglich
Falls MDK-Ergebnis AU nicht stützt:

Rückforderung der Efz nach § 812 ff. BGB

u.U. Schadensersatz ggü. Arbeitnehmer

u.U. Schadensersatz ggü. Arzt

ggf. Abmahnung/Kündigung
Sonderprobleme:
•
„Gesundschreibung“
•
Meldung nach 6 Wochen AU?
•
Teil-AU durch Attestvorlage?
Anspruch auf Nicht-Einteilung zu Nachtschichten –
BAG Urt. v. 09.04.2014 – 10 AZR 637/13
• kann eine Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen
Gründen keine Nachtschichten mehr leisten, liegt keine
Arbeitsunfähigkeit vor
• AN hat Anspruch auf korrekte Ermessensausübung bei
Arbeitseinteilung (§ 106 GewO)
• hat Anspruch auf Beschäftigung ohne Nachtschichten
• Arbeitsangebot mit Leistungseinschränkung ist
(verzugsbegründendes) ordnungsgemäßes
Leistungsangebot
Denkbare Einschränkungsvarianten:
•
Einschränkungen in der Lage der Arbeitszeit
•
Einschränkungen in den Tätigkeitsinhalten
•
Einschränkungen in der Mobilität (Außendienst,
andere Betriebsstätte)
•
Einschränkungen hinsichtlich der Benutzung von
Arbeitsmitteln
•
Einschränkungen im Umgang mit bestimmten
Substanzen/Produkten/Erzeugnissen
Konsequenzen aus der Nachtschicht-Entscheidung:
•
AN werden vermehrt Atteste über
Leistungseinschränkungen vorlegen
•
absehbare Missbrauchsdiskussionen
•
kein Recht auf „Zuschnitt des Wunscharbeitsplatzes“
Indizien für ein Gefälligkeitsattest:
•
gesundheitliches Beeinträchtigungsbild passt nicht
zur testierten Umsetzungsempfehlung
•
Umsetzungsempfehlung schließt mehrere nicht
miteinander in Zusammenhang stehende TeilTätigkeiten aus
•
nicht mit dem Attest in Einklang zu bringendes
Freizeitverhalten ( Facebook pp.)
Keine Indizien für ein Gefälligkeitsattest:
•
Testat einer Beeinträchtigung, die bereits zuvor
(möglicherweise bereits langjährig) mitgeteilt
worden war
•
allgemeine betriebliche Unbeliebtheit der negativ
attestierten Tätigkeiten
Rechtscharakter des ärztlichen Attests (nicht: AU):
•
reine Handlungsempfehlung ohne bindenden
Charakter
•
u.U. klagbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf
entsprechende Umgestaltung, aber sehr
wahrscheinlich mit Sachverständigengutachten
•
Risikosituation für den AG hinsichtlich
Fehlbeurteilungen des Attests wegen
BAG 10 AZR 637/13
Auseinandersetzungsvarianten bei Leistungseinschränkungen:
•
Arbeitgeber verändert Arbeitsplatz auf Attestvorlage
(=berechtigt) nicht oder versetzt nicht:

Arbeitgeber ist im Annahmeverzugsrisiko

Arbeitgeber droht Klage auf Anpassung des
Arbeitsplatzes/Versetzung

Arbeitgeber droht Haftungsperspektive bei
Schäden des Arbeitnehmers
II. Fragen der Entgeltfortzahlung
Entgeltfortzahlungspflicht:
Dauer

6 Wochen nach Erkrankung
danach

Krankengeldanspruch
Ausnahme:
erste vier Wochen des Arbeitsverhältnisses
(§ 3 Abs. 3 EfzG)
Entgeltfortzahlungspflicht bei Folgeerkrankung:
wenn zusammenhangslos mit Ersterkrankung
 neue 6 Wochen Efz-Pflicht
Beweislast:
Arbeitnehmer
wenn im Zusammenhang mit Ersterkrankung
 keine Efz-Pflicht
Berechnung des Entgelts:
•
regelmäßige Vergütung ohne Überstunden
•
bei ergebnisorientierter Arbeit
Vergütung nach regelmäßigem Durchschnitt
Entgeltfortzahlung und Verschulden bei langjähriger
Alkoholabhängigkeit –
BAG Urt. v. 18.03.2015 – 10 AZR 99/14
• AN nach Therapieversagen mit 4,9 %0 in Suchtklinik
• AG leistet keine Entgeltfortzahlung wegen gesehenem
Verschulden
• Krankenkasse leistet Krankengeld und klagt gegen AG
aus übergegangenem Recht auf Efz
• BAG: kein Verschulden wegen Sucht  AG muss zahlen
III. Handlungsoptionen während/nach der AU
•
eigene Nachforschungen
•
Kontaktaufnahme
•
Krankenrückkehrgespräche
•
zulässige Fragen
•
Aufdecken von Simulation
IV. Betriebliches Eingliederungsmanagement
•
Rechtsgrundlage § 84 Abs. 2 SGB IX
•
in Kraft seit 01.05.2004
•
standardisiertes Verfahren zur Überwindung der
Arbeitsunfähigkeit
•
ohne AN-Zustimmung nicht möglich
•
Rechtsprechung hierzu mittlerweile gefestigt
länger als 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig
Verpflichtung zur Durchführung des BEM
AU länger als 6 Wochen
falls AN nicht
einverstanden
im Einvernehmen mit
AN BEM durchführen
Ablehnung dokumentieren

kein BEM !!!
AN einverstanden
Abstimmung von
Maßnahmen mit BR
und SBV
•
keine Festlegung auf Maßnahmen durch Gesetz
•
„freie Hand“ für Akteure
•
ergebnisoffener Suchprozess
•
Effektivitätskontrolle
•
Umsetzungsverpflichtung bei positivem Ergebnis
•
kein Ausschluss vernünftiger Optionen
•
Aufforderungsverpflichtung
•
Initiativpflicht
Mögliche Maßnahmen:
•
Beeinträchtigungsanalyse
•
Perspektivgespräch / Einsatzwünsche
•
medizinische Begleitung / Vertrauensarzt
•
Arbeitsplatzumgestaltung
•
technische Analysen
•
arbeitstechnische Hilfsmittel
•
Mitarbeiterschulung („Rückenschule“)
•
u.v.a.m.
Auswirkung unzureichenden/unterlassenen BEMs:
1.
negative gesundheitliche Prognose
2.
erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen
3.
Interessenabwägung
Taktische Erwägungen:
•
Erstellen einer BEM-Richtlinie (ggf. mit BR)
•
nominale Bestellung eines Betriebsarztes
•
Mitarbeiterinformation
Sonderproblematik:
AN verweigert BEM
•
keine Teilnahmepflicht
•
keine Pflicht zur Offenbarung von Krankheiten
•
aber: auch Berücksichtigung in der
Interessenabwägung
Arbeitnehmer
Arbeitgeber
• soziale Gesichtspunkte
• Wille zum BEM
• (Mit-)Verursachung
• Verweigerung AN zur
Teilnahme am BEM
• Betriebsgröße
• finanzielle Belastbarkeit AG
V. Krankheitsbedingte Kündigung
Krankheitsbedingte Kündigung:
Drei Hauptfälle
Dauererkrankung
häufige Kurzerkrankung
Leistungsminderung
Grundprüfungsschema immer gleich:
1.
negative gesundheitliche Prognose
2.
erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen
3.
Interessenabwägung
Dauererkrankung:
•
ursächlich i.d.R. eine einzige Erkrankung
•
Entscheidung häufig durch ein ärztliches
Gutachten
•
Problem bei der Prüfung der Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen:
Entfall der Entgeltfortzahlungspflicht
nach 6 Wochen

geminderte Kostenbelastung
Häufige Kurzerkrankungen:
•
häufigste Variante der krankheitsbedingten
Kündigung
•
viele Detailprobleme
•
dadurch oft ungewisser Verfahrensausgang
Prüfungsschema erweitert:
1.
negative gesundheitliche Prognose
(1)
indizielle Prognose
(2)
Widerlegung möglich
(3)
ggf. Gegenbeweis
2.
erhebliche Beeinträchtigung
betrieblicher Interessen
3.
Interessenabwägung
Indizielle Prognose:
•
offiziell keine typisierte Festlegung
•
Praxis:
mehr als 30 Tage Arbeitsunfähigkeit
(durchgehend oder in der Summe)
in den vergangenen 3 Jahren
•
aber: Einzelfallbetrachtung
Widerlegung der Negativprognose:
•
AN legt Erkrankungen dar (Krankenkassenauszug)
•
AN erklärt (laienhaft), warum deshalb keine
Erkrankung mehr zu erwarten
(„ausgeheilt“)
•
sofern Laiensachverstand hierzu nicht ausreicht,
Verweis auf behandelnde Ärzte
Gegenbeweis:
Arbeitgeber
durch:
arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten
Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen:
•
(meist) finanzieller oder
•
tatsächlicher Art
Finanzielle Beeinträchtigungen:
•
Entgeltfortzahlungskosten
•
Kosten von Arbeitsersatz
(Subunternehmer, Leiharbeitnehmer)
•
Schäden (Konventionalstrafen)
•
Maschinenstillstand
•
Mehrarbeitsbelastung
Häufigste Variante:
•
hohe Entgeltfortzahlungskosten
•
Faustformel: 20 % den Entgeltgesamtkosten
Nach Vorstellung des BAG soll an dieser Stelle
berücksichtigt werden, ob der AG auf einem
leidensgerechten Arbeitsplatz beschäftigen kann.
•
milderes Mittel gegenüber Beendigungskündigung
•
keine Verpflichtung zum Freikündigen
•
ggf. aber Verpflichtung zum Schaffen eines
leidensgerechten Arbeitsplatzes
•
BEM
Interessenabwägung:
Arbeitnehmer
Arbeitgeber
Arbeitnehmer
• soziale Gesichtspunkte
• (Mit-)Verursachung
• Betriebsgröße
• finanzielle Belastbarkeit AG
Arbeitgeber
?
Krankheitsbedingte Kündigung vor den Arbeitsgerichten:
•
eher (wieder) geringe Verfahrenszahl
•
Bewegung durch EuGH-Rechtsprechung zur
Urlaubsabgeltung bei Dauererkrankung
•
hohe Vergleichsquote
•
schon erstinstanzlich geringe Erfolgsquote
aus AG-Sicht
•
Tendenz auch abhängig von Betriebsgröße
•