OUTDOOR g e b i e t Beat Kammer lander und das PRINZIP HOFfNUNg B E A T K A M M E R L A N D E R P R I N Z I P H O F F N U N G Zu seinem 50. Geburtstag hat sich der Vorarlberger Sportkletterpionier ein besonderes Geschenk gemacht: eine Route im oberen X. Schwierigkeitsgrad, die ausschließlich mit Klemmkeilen und Friends abgesichert ist. Was der Schwierigkeitsgrad E9 bedeutet, welche psychischen Schwierigkeiten bei der Erstbegehung zu überwinden waren und wie die Zukunft des extremen Felskletterns aussehen könnte – darüber sprachen wir mit Beat Kammerlander. Mit Fotos von Peter Mathis Einfach gigantisch! Die feine Rissspur von »Prinzip Hoffnung« durchzieht die senkrechte Bürser Platte CLIMB! 3|09 23 OUTDOOR g e b i e t ren Kampf. Ich bin bereit für den inne Vielleicht ist das der Zustand, der mich beim Klettern glücklich macht. keit, das Gefühl in der Magengegend – grausig! Das erste Sicherungsplacement, der kleinste RP mit seinem Ein-Millimeter-Kabel, ändert daran auch nichts. Es hilft nichts, Zähne zusammenbeissen und durch. Es folgt eine Passage mit akzeptabler Sicherung. Ich fühle mich wohler. Nach dem ersten Runout – es wundert mich, dass die Finger noch warm sind, sogar die Zehen in meinem 36er-Kathana spüre ich noch. Kaum zu glauben, es steigt so etwas wie Motivation in mir auf. Der Schalter ist umgelegt, ich klettere hoch bis zur Nerven wie Drahtseile! Neben den klettertechnischen Schwierigkeiten ist in »Prinzip Hoffnung« vor allem das Anbringen der Sicherungen extrem diffizil Über den Dächern von Bürs! Beat im oberen Teil von »Prinzip Hoffnung« CLIMB: Was hat Dich veranlasst, Deine eigene Route an der Bürser Platte noch einmal, diesmal im »Trad Style«, erstzubegehen? Beat: Die Idee, diese Route einmal clean zu klettern, exi- stiert schon lange. Es waren die Erfahrungen der letzten sechs bis sieben Jahre, in denen mich die Risskletterei immer mehr faszinierte, insbesondere durch meine Erlebnisse in Utah und Yosemite. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ich die einst abstrakte Idee in die Realität umsetzen konnte. CLIMB: Was waren die Hauptprobleme vor dem erfolgreichen Durchstieg? Beat: Die begrenzte Sicherungsmöglichkeiten. »Preprotec- ted« könnte man das Ganze relativ sicher gestalten, aber »clean« existieren nur etwa die Hälfte der Sicherungspunkte. Das Legen der Keile ist nur in bestimmten Kletterpositionen möglich. Dazu kam die Schlüsselpassage, eine Wandkletterei auf Mikrotritten und Mikrogriffen, die ich auch mit »Adrenalin Bonus« nie zu hundert Prozent sicher 24 CLIMB! 3|09 klettern kann. Dazu eine Sicherung vor der Schlüsselstelle, auf die du dich im »Fall eines Falles« nur ungern verlassen möchtest – ein Camalot der kleinsten Größe, verbunden mit einem Microstopper. Die Wahrscheinlichkeit, auf den Boden zu stürzen, war mir zu hoch, mit dieser Vorstellung konnte ich nicht leben. Da kam mir die Idee, mit zwei Sicherungspartnern und zwei Seilen zu arbeiten. Das eine Seil als Hauptseil, das zweite Seil wurde sechs Meter unter der Schlüsselstelle nur in zwei Placements geklippt. Dieses Seil wurde am Wandfuß an einer Sicherung direkt in ein »Tube« eingehängt. Bei einem Sturz hat der Sicherungspartner die Aufgabe, soviel Seil wie möglich einzuholen, indem er mit dem Seil in der Hand von der Wand wegsprintet. Damit konnte ich die Sturzhöhe wenigstens auf fünfzehn Meter begrenzen. Dennoch, die psychische Grenze der Angstüberwindung war hoch. CLIMB: Kannst Du ein paar Details von den vorbereitenden Versuchen erzählen? Beat: Als Beispiel? Nehmen wir jenen Tag Ende November: 40 Zentimeter Neuschnee, auf dem Thermometer 4 Grad unter Null. Ein freiheitsliebender und dazu selbstbestimmender Mensch wie ich hat so seine Schwierigkeiten, wenn er auf Knopfdruck funktionieren soll. Anders dagegen die zwei Filmteams die mit vier Kameramännern auf Action warteten. Mir war klar, heute wird es sich nicht spielen. Mehrere 100Meter-Sprints bringen mich auf Temperatur, ich fühle mich wie ein gejagtes Tier, das um sein Leben läuft. Alles muss schnell gehen, Klamotten anziehen und sofort einsteigen, solange die Finger noch warm sind. Die ersten acht Meter sind ohne Sicherungsmöglich- Schlüsselstelle, dort das letzte Placement zu setzen, ist ein Kriterium. Eine offene Tür auf minimalsten Tritten – ich spüre, wie der Gummi langsam abrollt, während ich mit der freien Hand zwei Keile im Ausgleich reinfummle. Karabiner klippen, und schon tauche ich mit dem Seil in der Hand ab. Ein Wutausbruch nimmt die Spannung aus der Luft. Kameras und Zuseher rund um mich. Sie sehen CLIMB! 3|09 25 OUTDOOR g e b i e t Die Wahrscheinlichkeit, auf den Boden zu stürzen, war mir zu hoch, onnte ich k g n u ll e t s r o mit dieser V nicht leben. Leben an den Fingerspitzen! Kleingriffige, heikle Kletterei verlangt vom Einstieg bis zur Umlenkung vollste Konzentration alles, doch das stört mich nicht. Viel wichtiger, ich spüre, dass sich der Knoten gelöst hat. Ich bin bereit für den inneren Kampf. Vielleicht ist das der Zustand, der mich beim Klettern glücklich macht. CLIMB: Du hast die Route mit E9 bis E10 bewertet; was bedeuten diese Ziffern? Beat: Es bedeutet, dass du dir verdammt weh tun kannst. CLIMB: Wie wichtig ist für Dich die potentielle Gefahr beim Klettern? Beat: Mehr oder weniger gehört Gefahr für mich zum Klettern dazu. Das heißt nicht, dass ich es oft auch mag, vollkommen ohne Gefahr unterwegs zu sein. CLIMB: Wie gehst Du mit der Angst um? Beat: Das haben mich schon viele gefragt. Man- che haben sogar Bücher darüber geschrieben. CLIMB: Du hast schon eine ganze Reihe von Solo-Begehungen gemacht, im Eis und auch im Fels, unter anderem die Route »Mordillo« (8a+) am Voralpsee; wie bereitet sich Beat Kammerlander auf solche, vor allem psychische, Grenzgänge vor? Beat: Grundsätzlich lassen sich solche Grenzgänge nicht erzwingen. Natürlich arbeite ich auch daran, indem ich mir die Gefahrenquellen bewusst mache. Auch die Frage der Motivation spielt dabei eine große Rolle. Und es geht natürlich darum, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Wenn sich das alles zusammenfügt, hast du Chancen, dass der »flow« kommt. Wenn nicht, bleibt dir nichts anderes übrig, als weiter darauf zu warten. CLIMB: Du hast Dir das »Prinzip Hoffnung« zum Fünfzigsten geschenkt; wie ist es um die Kletterform des »alten Mannes« bestellt? Zwickt’s schon irgendwo? Beat: (lacht): An allen Ecken und Enden! Natürlich ich Deine größte Schwäche? Leichtsinn Geduld Deine größte Stärke? Worüber kannst Du Dich besonders aufregen? Falschheit Welche Eigenschaft an einem Menschen ist für Dich die wichtigste? ehrlichkeit Mit wem möchtest Du einmal zu Abend essen? Dalai lama zu viele Was Dein Lieblingsbuch? moskau petruski Was ist Dein Lieblingsessen? thai Mit wem gehst Du am liebsten zum Klettern? freunde Was ist Deine Lieblingsband? Dein größter Wunsch für die Zukunft? gesundheit (* 1959 Bludenz/Vorarlberg) zählt zu den erfolgreichsten Sportkletterern der Welt und hat maßgeblich zur Entwicklung des Klettersports beigetragen, insbesondere im alpinen Gelände. Seine Route »Silbergeier« (X+, 1994) zählte viele Jahre zu den drei schwierigsten Klettereien in den Alpen. Seine schwierigsten SportkletterErstbegehungen sind »Speed« (XI–/XI) und »Missing Link« (XI) am Voralpsee in der Schweiz; schon 1985 kletterte er mit »Take it easy« den X. Schwierigkeitsgrad. Auch machte er immer wieder durch kühne Alleinbegehungen von sich reden, wie »Mittelpfeiler« (VII+, Heiligkreuzkofel, 1982), »Mordillo« (X–) oder diverse gefrorene er ist verheiratet und lebt in Feldkirch/Vorarlberg. CLIMB! 3|09 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Beat Kammerlander Wasserfälle. Beat ist Bergführer und zudem erfolgreicher Fotograf; 26 Fragen 10Antworten Oben: Kurz unter der Schlüsselstelle in Wandmitte… Links: 1989 eröffnete Beat im Rätikon die Route »New Age« (8a+) OUTDOOR g e b i e t 1983: Beat Kammerlander und Peter Mathis gelingt die erste Winterbegehung des Mittelpfeilers (VII+) am Heiligkreuzkofel bin dankbar dafür, dass es mir immer noch so gut geht und ich fast mein früheres Level halten kann. Beat: Zum Beispiel Chris Sharma, Bernd Zangerl, Didier Berthod, die Andermatten-Brüder oder, wie du sagst, Adam Ondra – ich liebe diese Jungs! Ich weiss was es bedeutet, »Wogü« zu punkten! Pietro dal Pra, CLIMB: »Prinzip Hoffnung« – warum hast Du ausgerechnet diesen Namen gewählt? Beat: Weil es für mich passend war. CLIMB: Wie beurteilst Du das, was derzeit im Sportklettern passiert – die »Ver-plaisierung« des Kletterns einerseits und andererseits die fast schon paranoide Jagd nach dem 12. Schwierigkeitsgrad, die darin gipfelt, dass neue High-End-Routen meist abgewertet werden, die alten dagegen häufig eine Aufwertung erfahren? Beat: Ich sehe keine paranoide Jagd nach Das Gras wächst nicht schneller. wenn man daran zieht… einem neuen Grad. Es war immer so, dass sich das mit einem neuen Schwierigkeitsgrad erst nach einer Zeit relativiert. Ich sehe geniale Kletterer, die wahnsinnige Projekte finden und dabei ihre eigenen Grenzen verschieben. Klettern ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, sicher gibt es Profilierungsneurotiker. 1986: Beat in seiner Route »Take it easy« (8b) am Lorünser Wändle CLIMB: In Deinem BLOG schreibst Du ganz aktuell, dass im »Silbergeier« irgendwelche Kletterer herum»geiern«, einen zusätzlichen Bolt geschlagen und »run outs« mit Fixseilen entMitte der 80-er Jahre: Beat mit seinem legendären Camschärft haben; dergleichen ist dem Alexander pingbus samt Trainingsboard in Südfrankreich Huber mit »Bellavista« vor zwei Jahren passiert (Fixseile, manipulierte Griffe). Ist es ein Zeichen 1994: Beat in unserer Zeit, dass man stets den einfachsten Weg seiner Route »Silbergeier« zum Erfolg sucht, anstatt den ehrlichen? (8b) an der Beat: Zugegeben, die Sache mit dem Bolt ärgert 4. Kirchlispitze/ mich ordentlich. Der Junge sollte sich endlich mal melden. Die Diskussionen über Kletterethik und Moral sind ja nichts Neues. Manche Entwicklungen der letzten Jahre finde ich dagegen eher seltsam. Da werden Meilensteine der Klettergeschichte einfach konsumiert, indem man neue Regeln aufstellt: Routen, die von unten erstbegangen wurden, werden mit Fixseilen von oben eingerichtet. Dann werden die Moves einstudiert. Dass das nicht dasselbe ist wie es der Erstbegeher gemacht hat, sollte wohl jedem klar sein. Rätikon CLIMB: Was glaubst Du, welche Möglichkeiten die Kletter-Scene hat, um solche Auswüchse des Über-Ehrgeizes zukünftig zu verhindern? Beat: Ich sehe das ganze eher als einen falschen Ehrgeiz. Lei1986: Beat in der Schlüsselstelle von »Ecografie« (damals noch mit 8b bewertet, heute 8a+, Verdon) einer meiner besten Freunde, war dabei und erzählte mir noch am gleichen Abend bei einem kleinen Umtrunk ein paar Details stungszwang und der Wettbewerb haben sich verschärft. Um dieser Leistung – Hochachtung für das den Sponsoren gerecht zu werden, wird da ordentlich geLöwenherz von Adam! trickst. Mehr Ehrlichkeit würde der ganzen Szene gut tun. CLIMB: Letzte Frage: Was möchtest Du CLIMB: Was sind für Dich Hoffnungsträger für die Zukunft des Kletterns? Was hälst Du z. B. vom jungen Adam Ondra, der ja im vergangenen Jahr ein altes Projekt von Dir, »Wogü«, punkten konnte? der Kletterszene ins Poesiealbum schreiben? Beat: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. ■
© Copyright 2024 ExpyDoc