12 Wie der Herr Graf den Tag strecken wollte Der Herr Graf begab sich eines Tages auf die Felder, um nachzusehen, wie seine Leute arbeiteten. Sie waren fleissig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Doch dem Grafen genügte das nicht. Er rief daher seine Leute zusammen und sagte ihnen: „Ihr leistet während eines Tages zu wenig. Wir werden den Tag strecken müssen. Wem das gelingt, der bekommt ein Goldstück.“ Ein Jüngling meldete sich und erklärte, er wolle eine Maschine bauen, mit der man den Tag strecken könne. Der Graf freute sich, und der Jüngling ging ans Werk. Er nahm ein riesengrosses Wagenrad, setzte sich auf eine Achse, befestigte eine Kurbel daran, und die Maschine war fertig. Der Graf schüttelte den Kopf und sagte: „Aber das ist doch nur ein Rad mit einer Kurbel.“ „Stimmt“, meinte der Jüngling, „doch ist es eine gute Maschine. Ihr müsst aber selber an der Kurbel drehen, sonst wird der Tag nicht gestreckt. Und ihr müsst vom Morgengrauen bis zum Abend drehen!“ „Nun gut“, sagte der Graf, „ich werde es ausprobieren.“ Als am Morgen die Leute zur Arbeit gingen, packte der Herr Graf die Kurbel und drehte sie ohne Unterlass. Das Rad war gross und ging schwer. Der Herr Graf begann ordentlich zu schwitzen. Das Kreuz schmerzte ihn, er spürte die Hände nicht mehr und konnte kaum den Abend erwarten. Als die Sonne endlich unterging, kam der Jüngling vorbei und fragte: „Nun, Herr Graf, war der heutige Tag nicht länger?“ „Und ob er länger war! Er war so lang wie eine Woche. Ich dachte schon, er würde überhaupt nicht enden. Es ist wirklich eine gute Maschine. Aber könnte sie nicht jemand anders drehen?“ „Das wäre sicher möglich, aber dann würde der Tag nicht gestreckt.“ Der Graf dachte nach und sagte: „Schade. In diesem Fall ist es aber besser, der Tag bleibe so kurz, wie er gewesen ist.“ Und das Goldstück? Das musste er natürlich bezahlen.
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