Grenchen SO: Überbewerteter Franken bricht der Traditionsfirma Michel das Genick. „Du kannst aufhören zu arbeiten!“ Einen Monat vor Weihnachten stellt der Autozulieferer Michel alle 82 Angestellten auf die Strasse. Von der einen Minute auf die nächste. Da stimmt etwas nicht, denkt sich Dusan Kadrian. Der Chauffeur ist gerade daran, eine neue Lieferung Ventile für den Transport bereitzumachen. Plötzlich sieht der 55jährige, wie seine Arbeitskollegen persönliche Gegenstände aus der Firma tragen. Arbeitskleider. Schuhe. private Laptops. Einer kommt zu ihm und sagt: „Dusan, arbeitest du immer noch? Du kannst aufhören, die Firma ist konkurs.“ Kadrian ist geschockt und weiss nicht weiter. Schliesslich geht er in die Fabrik. Am Anschlagbrett hängt ein Zettel: Mitarbeiterinformation um 14 Uhr. Dort wird der Direktor die Hiobsbotschaft verkünden. Danach steht auch Kadrian auf der Strasse. Nach 117 Jahren Präzisionsarbeit ist Michel pleite. Alle 82 Angestellten verlieren ihren Job. Sofort. Sie können nach Hause gehen. Jetzt gleich. Für einen Sozialplan ist kein Geld mehr da. Wut und Verzweiflung machen sich breit. Die mitfühlenden Worte des Grenchner Stadtpräsidenten gehen in Buhrufen unter. Es ist einen Monat vor Weihnachten. Ständig Chefwechsel Die meisten bei Michel arbeiten seit Jahrzehnten für die Firma, viele sind älter als 50. Zum Beispiel Toni Burkhard. 21 Jahre war er angestellt: „Länger als der Direktor“, sagt er. In der Tat: In den letzten zwei Jahren gab es bei Michel zweimal einen neuen Chef. Burkhard arbeitete im Recycling der Firma: Er sammelte bei den Drehmaschinen die Metallspäne ein und reinigte sie von Öl und Schmutz. Jetzt weiss er nicht, wie es weitergehen soll. Arbeitslos mit 53: „Ich habe noch nicht einmal ein Arbeitszeugnis“, sagt er. „So kann ich mich nirgends bewerben.“ Das jähe Ende hat keiner von ihnen kommen sehen. Bis zum Schluss legten sie sich für die Firma ins Zeug. So wie Ursula Zaugg. Elf Jahre lang war sie bei Michel in Grenchen verantwortlich für die Produktionsplanung und den Einkauf. „Wir mussten chrampfen wie die Hornochsen“, erzählt die 55jährige. Und zählt auf, was die Belegschaft in den letzten Monaten alles leisten musste: „Überstunden. Nachtschichten. Samstags- und Sonntagsarbeit, Verzicht auf Ferien.“ Auslagerungsabenteuer Da hat es einen eher schalen Beigeschmack, wenn Michel-Verwaltungsratspräsident Konrad Beck gegenüber Work schreibt, er sei den Mitarbeitern „sehr dankbar für ihren Sondereffort“. Die Schuld am Konkurs gibt der Berner Anwalt in erster Linie dem „mörderischen“ Preiskampf in der Autozuliefererbranche: „Jahr für Jahr haben unsere Kunden gefordert, dass wir mit den Preisen fünf Prozent runtergehen.“ Und dann kam noch die Aufhebung des EuroMindestkurses durch die Nationalbank Das habe der Firma den Todesstoss gegeben. Beck: „Bei diesem Wechselkurs waren wir schlicht nicht mehr konkurrenzfähig.“ Die Angestellten der Firma sehen allerdings noch andere Gründe. So hatte Michel im letzten Jahr einen Teil der Produktion nach Tschechien ausgelagert. Ohne auch die nötigen Fachleute mitzuschicken, um den Start der Produktion zu überwachen. Die Folge: hohe Fehlerquoten. VR-Präsident Beck rechtfertigt sich: „Hätten wir Fachleute aus dem Mutterhaus in Tschechien eingesetzt, hätten sie in Grenchen gefehlt.“ Das Abenteuer kostete die Firma mehr als 20 Millionen Franken. Kein Sozialplan Einen Sozialplan gibt es nicht. Zwar springt die Arbeitslosenkasse für die ausstehenden Novemberlöhne ein, aber erst mit Verzögerung. Zum Überbrücken erhalten alle Angestellten von der Firma gerade mal 2500 Franken. Ungenügend, findet der zuständige Unia-Mann Jesus Fernandez. Er fordert, dass die Michel-Besitzerin, die Ferton Holding, jetzt Verantwortung übernehme: „Sie hat die Firma übernommen und in den Konkurs gewirtschaftet. Jetzt muss sie für einen fairen Sozialplan sorgen.“ Doch Fehlanzeige: VR-Präsident Beck sagt, dafür habe man kein Geld zur Seite legen können: „Das wäre alles in die Konkursmasse geflossen.“ Doch er ist „überzeugt, dass die Angestellten auch jenen Teil des Lohnes am Schluss des Konkursverfahrens bekommen werden, den die Arbeitslosenkasse nicht übernimmt“. Allerdings räumt Konrad Beck ein: Bis dahin dauere es „wohl noch mindestens ein Jahr“. Ferton Holding: Aktionär mit Jacht Mehrheitsaktionär der Ferton Holding, zu der die Michel Präzisionstechnik gehört, ist der Deutsche Bernd Bühner. Gegenüber Work sagt er: „Es war ein grosser Fehler, die Firma zu übernehmen.“ Dem 70jährigen, der im Verwaltungsrat von elf Schweizer Firmen sitzt, gehört auch eine Medizintechnikfirma im Kanton Waadt - und eine Segeljacht auf dem Mittelmeer. Sein Schiff habe er jeweils auch Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt, „zur Teambildung und als Anerkennung“. Da können die Michel-Angestellten, die jetzt auf der Strasse stehen, nur lachen: Sie hätten lieber einen Sozialplan. Christian Egg. Work, 4.12.2015. Personen > Egg Christian. Ferton Holding. Konkurs. Work, 4.12.2015
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