Minden - das Wort klingt für deutsche und ungarische Ohren gleicherweise sinnvoll. In Ungarn heißt es ,,alles". Häufig habe ich die (wort-)spielerische Frage von meiner Familie und Freunden gehört, als ich in Ungarn war: Ist ,,Minden" in Ordnung? Ja, Minden ist in Ordnung. Es ist nahezu ein Jahr her, dass ich zum ersten Mal die St. Marienkirche betreten habe. Es war ein regnerischer, verfrorener Tag am vierten Adventssonntag des letzten Jahres. Quempassingen. Ich wusste nicht, wo ich die Kirche finde, aber ich habe den Turm gesehen und die Glocken gehört. Dann habe ich die beleuchtete Kirche erblickt: Wunderschön! Mit dem Weinberg hat sie einen Imposanten Anblick geboten. Die Kirche war brechend voll. Später habe ich auch erfahren, warum. Alle in der Gemeinde waren beteiligt von den Kleinsten bis zu den Größten: Singschule, Jugendkantorei, Kantorei, Kammerchor, Orgel, Gemeinde. Und am Ende des Konzerts der ,,Quempas" durch die dunkle Kirche mit Kerzen in der Hand - die Stimmung war innerlich und erhebend. Von der schweren Situation der Kirchengemeinde konnte man nichts spüren. Kurz davor hat mich der Rektor der Hochschule für Kirchenmusik in Herford ins Rektorenzimmer gebeten. Er hat mich gefragt, ob ich Lust und Zeit hätte, an der St. Mariengemeinde in Minden die Vakanz Stelle für ein Jahr zu übernehmen. Ich konnte es kaum glauben, dass ich als Studentin eine so große Stelle erfüllen darf. Mit Angst und Freude habe ich ja gesagt. Die Herausforderung war groß: die Chöre zusammenzuhalten, ins Leben der Gemeinde ein bisschen Ruhe zu bringen, und am Ende des Jahres so große Werke zu dirigieren, wie das Requiem und die g-Moll Symphonie von Mozart. Tiefes Wasser für eine Studentin. Die Größe der Aufgabe habe ich gleich vor der ersten Chorprobe mit der Kantorei gespürt: Ich musste fünfzig Stühle aufstellen. Mit zitternden Knien aber großen Hoffnungen stand ich danach vor dem Chor und musste feststellen, dass es hier gar keinen Grund gibt, Angst zu haben. Die Menschen waren alle so nett und haben sogar schön gesungen. Das gleiche in der Jugendkantorei. Hier musste ich zwar nur fünfzehn Stühle aufstellen, aber das Singen mit ihnen hat mir nicht weniger Spaß gemacht. Eine besondere Freude war für mich, dass sie trotz ihrer kleinen Zahl bereit waren, Teile aus dem ,,Jesus Christ Superstar" von Webber aufzuführen, welches ein prägendes Stück meiner Schülerzeit war. Als ich mich in Minden schon ein bisschen zu Hause gefühlt habe, kam das Osterfest. Ich erinnere mich noch, wie schwer es war, mich morgens um halb fünf aus dem Bett zu kriegen, aber die erste Osterfeier in der Marienkirche hat mich dafür ganz entschädigt. Als Kirchenmusikstudentin in Ungarn habe ich viel über das Oster Lob gelernt, aber den uralten Gesang des Christentums in der schönen Kirchenakustik zu singen, war etwas Unbeschreibliches. Als ob ich im Mittelalter in der Kirche des ehemaligen Frauenstiftes gestanden hätte. Es war schön zu erleben, wie wir Teil einer uralten Tradition sein können, die nie aufhören wird. Nicht viel später haben die Proben für das Requiem begonnen. Woche für Woche kamen neue Chorsänger dazu, so dass ich die Frage meiner Kommilitonen an der Hochschule ,,Wie groß ist dein Chor eigentlich?" nur so beantworten konnte: ,,Ich weiß es nicht mehr." Die Proben haben wir, ich glaube, das kann ich auch im Namen des Chores sagen, alle genossen. Das letzte, unvollendete große Werk von Mozart kam Stück für Stück näher, so dass wir uns wirklich auf ein schönes Konzert freuen können, welches unsere lange Zusammenarbeit abschließt. Ich bin dankbar für all das Gute, das ich an der St. Mariengemeinde erlebt habe. Das wird mir immer in guter Erinnerung bleiben. Ich freue mich, noch einige Zeit hier verbringen zu dürfen, und bin mir sicher, dass ich nächstes Mal, wenn ich nach Hause fahre sagen kann: ,,Minden ist höchst in Ordnung“
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