Schuste rju SELBST & STÄNDIG. Von Harald Schume eine Lehre als Schriftsetzer. Nachdem er die Grafische Lehranstalt für Reproduktions- und Drucktechnik in Wien abgeschlossen hatte, produzierte Wrodnig zweieinhalb Jahre lang in München Bücher. Zurück in Österreich, durchlief er ein paar Druckereien, machte nebenbei an der WU einen Lehrgang für Werbung und Verkauf und … … mutierte zum Schusterjungen. „Ich stehe auf bedrucktes Papier“, sagt Jo Wrodnig, „da macht mir keiner ein X für ein U vor.“ Um aus Papier bedrucktes Papier zu machen, bedarf es freilich Maschinen. Gesucht, gefunden, die zwei Tiegeldruck-Pressen stammen aus dem Hause Heidelberg und laufen trotz ihres erheblichen Alters wie geschmiert. Eine davon ließ der Jungunternehmer um 3000 Euro auf Heißfolienprägung umbauen, insgesamt musste er mehr als 10.000 Euro investieren, ehe er loslegen konnte. „Man braucht Vertrauen in diese monströsen Das „Wiener Journal“ begibt sich regelmäßig auf Arbeitssuche und hört sich bei außergewöhnlichen Menschen um, die den Sprung in die Selbständigkeit gewagt haben. Heute: Ein gelernter Schriftsetzer, der als Schusterjunge exquisite Visitenkarten und Einladungen druckt. Wo das Klischee seinen Ursprung hat tekten zur Schmuckdesignerin – in einer Art Bürogemeinschaft ein Haus teilen. Wrodnig hat das Gassenlokal angemietet, seine kleine Werkstatt ist von außen gut einsehbar und lädt zum Vorbeischauen ein. „Letztens war ein Besucher herinnen, der jahrzehntelang in New York mit solchen Maschinen, wie ich sie verwende, gearbeitet hat. Er hat mir einiges Tricks verraten, die ich seither gerne anwende.“ Wrodnigs Vater war Buchdrucker in St. Veit an der Glan, der Bub schmiss mit 17 das Gymnasium und absolvierte „Schusterjunge“ Jo Wrodnig mit seinen altehrwürdigen Druckmaschinen. J Fotos: T. Sternisa o Wrodnig hebt das Telefon ab und meldet sich mit „Schusterjunge“. Genau so gut könnte sich der 43-Jährige auch „Hurenkind“ nennen, aber das käme wohl nicht so gut, wenn man als lauterer Geschäftsmann sein selbständiges Glück versuchen will. Beide Begriffe stammen aus der Zeit, als die Drucker noch mit Bleisatz arbeiteten, und bezeichnen Satzfehler. Nur kurz: Absatz + eine einzige Zeile am Ende der Spalte = Schusterjunge; ein, zwei Wörter am Beginn einer Spalte + Absatz = Hurenkind. Die Drucker waren angehalten, diese typografischen Fehler zu vermeiden, und bedienten sich dabei eines Merkspruchs: „Ein Schusterjunge muss unten im Keller arbeiten, ein Hurenkind steht oben verloren auf der Straße.“ Jo Wrodnig arbeitet oben auf der Straße, nicht verloren, auf der Lilienbrunngasse, Wien II, schräg gegenüber der Synagoge. Der Exilkärntner, wie er sagt, hat Anfang des Jahres in der Schraubenfabrik Unterschlupf gefunden, wo sich etwa 50 Kreative – vom Werbetexter über den Archi- 22 WIENER JOURNAL 3. 7. 2015 Jo Wrod nge nig Lilienbru nn 3. 7. 2015 gasse 1 8 1 offizin@s 020 Wien chusterj unge.wie n Dinger, Erfahrung, Kraft und Konzentration. Die Arbeit ist nicht ungefährlich, sie passiert ganz ohne Elektronik.“ Auf die Idee, auf selbständiger Drucker umzusatteln, kam er nach ein paar Vorstellungsgesprächen, als ihm die maßgeblichen Herren Visitenkarten in die Hand drückten. „Die waren alle, na ja, sagen wir verbesserungswürdig. Und ich dachte mir, das muss man ja besser hinkriegen können – mit Hauptaugenmerk auf schöneres Papier, passende Farbe, gefällige Typografie.“ Zuletzt hatte er auf der Grafischen mit Druckmaschinen zu tun. „Das ist fast 17 Jahre her, deshalb habe ich mir alles neu aneignen müssen“, sagt Wrodnig, der kiloweise teures Papier bedruckte und dem Mistkübel zuführte. Er experimentierte mit Neonfarbe; stanzte mit der Gewalt von 40 Tonnen Buchstaben auf 1 Millimeter starkes Papier aus 100 Prozent Baumwolle und begutachtete den Präge-Effekt, der für ein haptisches Erleb- nis sorgt; arbeitete akribisch an den sogenannten Klischees, den Druckformen aus Magnesium, die etwa 30 Euro kosten und archiviert werden. „Wie bei einem Schuster, der hebt seine Leisten auch für jeden Kunden auf.“ Obwohl er auch Einladungen sowie Tisch- und spezielle Postkarten herstellt, sind Visitenkarten die Spezialität des Schusterjungen. „Qualitativ hochwertige Stücke wirft man weniger leicht weg als die billigen, die im Digitaldruck hergestellt worden sind“, sagt Wrodnig. „Mit einer Visitenkarte wird der erste Eindruck vermittelt. Da sind die Leute bereit, mehr Geld für alte Handarbeit auszugeben.“ Grob gerechnet kosten 100 feine Stück 200 Euro. Online sucht man den Schusterjungen vergeblich. Noch. „Ich wollte warten, bis ich die Sicherheit habe, erstklassige Ware herstellen zu können, bevor ich an die Öffentlichkeit gehe. Jetzt bin ich so weit.“ Coming soon – an der Homepage wird bereits gebastelt. WIENER JOURNAL 23
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