Kultur Der Landbote Samstag, 11. Juli 2015 Der Nabel der Welt, der sich da Boschbar nennt Kulturorte Montag ist Partytag. In Zürich hält sich die Boschbar mit moderaten Preisen für Kultur und Konsumation seit zwanzig Jahren über Wasser. Spät nach Sonnenuntergang ge hen am Sihlquai im Zürcher In dustriequartier die farbigen Lich ter an. Wir sind mitten im Zen trum der Stadt Zürich – und doch an einem ungewohnt lauschigen Ort. Es ist Montagabend, das Wo chenende ist vorbei, das nächste noch lange nicht in Sicht. Montagabend: Dieses Nie mandsland im Veranstaltungs kalender der Zürcherinnen und Zürcher nutzt der Verein Bosch bar ganz gezielt. Die Boschbar gibt es seit 1996, und in diesen zwanzig Jahren hat man – von we nigen Samstagen und Sonderfe ten abgesehen – praktisch immer «Dann kommt man sich vor wie auf einem anderen Planeten.» Samuel Iseli über das typische Boschbar-Gefühl am Tag danach nur montags Konzerte und Partys veranstaltet. Das ergibt rund tau send Anlässe, zu einem grossen Teil Livekonzerte mit Bands. Die ersten zehn Jahre war der Kulturbetrieb beim Bahnhof Hardbrücke zu Hause gewesen, in den Lokalen des Kurierdienstes Veloblitz, aus dessen Umfeld her aus die Bar entstanden ist. 2005 musste die Bar schliessen, nach dem die Polizei in vielen Clubs im Kreis 5 Razzien durchgeführt und einigen die Bewilligung entzogen hatte. Dabei traf es auch die Boschbar, die als «illegale Bar», wie es sie im Zürich der Neunzi gerjahre zuhauf gegeben hatte, die unzähligen Vorschriften von Gewerbe und Feuerpolizei nicht erfüllen konnte. Von der Hardbrücke an den Sihlquai Nach einer kurzen Episode als «Boschbar im Exil» mit Gastan lässen bei befreundeten Veran staltern fand das Team 2006 Unterschlupf am Sihlquai 240, in den Räumen des Provitreffs. Die ser ist ein nicht gewinnorientier ter Verein, der von der Stadt güns tig ein altes Fabrikgebäude mietet und den Überschuss aus den An lässen in gemeinnützige Projekte steckt. Der Provitreff verdankt seinen Namen dem Umstand, dass er von 1981 bis 1984 als Ersatzstandort fürs Jugendhaus Drahtschmidli (heute Dynamo) diente. Weil sie das Jugendhaus umbauen muss te, überliess die Stadt die Räume am Sihlquai vorübergehend den Jugendlichen. Nach dem Umbau blieb der provisorische Treff er halten – aus ihm wurde der Provi treff. An einem «normalen» Kon zertlokal mit Aircondition, Tür steher und regulären Öffnungs zeiten sei man nie interessiert ge wesen, sagt Samuel Iseli, einer der Mitbegründer der Boschbar. Seit «eh und je» sei die Bar nicht nur dem Montag verpflichtet, son Immer an einem Montag: Samuel Iseli (l.) und Thomas Tobler in der Boschbar. dern auch den tiefen Eintritts und Getränkepreisen. «Man be zahlt immer höchstens fünf Fran ken Eintritt für die Konzerte», sagt Iseli. Für eine kleine Flasche Bier habe die Bar früher drei Franken verlangt, heute seien es vier Franken. Alles, was an Eintritten in die Kasse kommt, geht an die auftre tenden Musiker; eine fixe Gage erhalten diese nicht. Dafür wird in der Bar ein Nachtessen für die Band und den Anhang gekocht, und wer nach dem Auftritt nicht mehr nach Hause kommt, findet bei einer guten Seele aus dem Or ganisationsteam immer ein Bett für die Nacht. Iseli, ein ehemaliger Veloku rier, der nicht mehr aktiv im BoschbarTeam mitwirkt, seit er zwei Kinder plus eine eigene Fir ma hat, hält der Bar als Gast die Treue. Obschon er hinter dem Hügel in Höngg wohnt, fährt er mit dem Velo so oft er kann an die Montagsanlässe. Von Anfang an funktioniert alles im Kollektiv Am Anfang stand der Fussball. Es war der Sommer 1996, die Fuss ballwelt schaute nach England, wo die Europameisterschaft aus getragen wurde. Die Schweiz war auch dabei, schied aber in der Vorrunde gegen die überlegenen Engländer und Holländer aus. In Zürich war Public Viewing angesagt; jede Bar, die etwas auf sich hielt, stellte einen TV in den Garten oder spannte eine Gross leinwand auf. Auch Iseli gestalte te mit Freunden eine EMBar, wofür man die Kantine des Velo blitzes leer räumte und mit viel Fantasie umbaute. Als dann Ende Juni die Deutschen gegen die Tschechen den Pokal geholt hat ten, blieb die Bar stehen – und Iseli fragte sich: «Könnte man hier nicht Konzerte und anderes machen?» Techno, Metal, Gangsta, Armdrück-Contest Die Boschbar war geboren, und sie funktionierte von Anfang an im Kollektiv, wie es auch heute noch der Fall ist: «Es gibt vier Grüppchen, die sich beim Organi sieren abwechseln. So kommt je der und jede nur etwa einmal im Monat zu einem Einsatz, was man gut verkraften kann.» Im Verlauf ihres zwanzigjähri gen Bestehens habe die Boschbar schon mehrere Generationen wechsel erlebt und sich aus eige ner Kraft immer erneuern kön nen. Das habe mit der Offenheit zu tun, die man pflege: Jede Grup pe bevorzuge zwar ihren be stimmten Musikgeschmack, lasse aber die Vorlieben der anderen auch gelten. So läuft in der Boschbar einmal Techno, einmal Metal; ein Gangs taAbend mit DJs wechselt sich ab mit einem Vollgaskonzert von Punks. Es gibt das volkstümliche UnpluggedGitarrengrüppchen aus Lateinamerika genauso zu hö ren wie den schrägen TomWaits Interpreten aus Japan. Christian Beutler/key Darüber hinaus nehmen die BoschbarLeute auch spezielle Sachen ins Programm wie etwa das «Lampenfieber» (eine schrä ge JekamiCastingshow), das «PowerpointKaraoke» (wo man aus dem Stegreif einen Vortrag hält zu einem zufällig aus dem Internet gefischten Satz Folien) oder den «ArmdrückContest» (inklusive Beteiligung eines währschaften Armdrückvereins aus dem Muotatal). Für die ehrenamtlichen Helfe rinnen und Helfer bedeuten die Konzerte und Anlässe grosses Engagement. Die Shows fangen kaum je vor 23 Uhr an, manchmal ertönt der erste Song erst um Mit ternacht. Ist der Auftritt durch, legen DJs Platten auf, bis es draussen wieder hell wird. Die «Die Bands spielen am Samstag vielleicht in Paris und am Mittwoch in München, so kommt ihnen der Montag in Zürich gerade recht.» Thomas Tobler 23 Shakespeare in music ein Hit Veranstalter räumen auf und tre ten etwa dann den Heimweg ins Bett an, wenn der grosse Strom der Pendler schon wieder den neuen Arbeitstag in Angriff nimmt. «Dann kommt man sich vor wie auf einem anderen Planeten», sagt SamuelIseli. Es sei dies «das typische BoschbarGefühl», wenn man nach der langen Nacht mit der guten Musik, dem Bier, den Zigaretten und dem vielen Small Talk plötzlich im grellen Diens tagmorgen lande. «Am Montagabend Kultur zu veranstalten, hat etwas Elitäres – aber im positiven Sinne. Es kom men nur jene Leute, die sich das leisten können. Nicht wegen des Geldes, im Gegenteil, wir sind ja konkurrenzlos günstig. Aber we gen des Lebensentwurfs: Nur wer ein bisschen Freiheit im Umgang mit seiner Zeit besitzt, kann mon tags um Mitternacht an Partys ge hen», sagt Iseli. Diese Fixierung auf den Mon tag sieht auch Thomas Tobler als das Geheimrezept an, das der Bar das Überleben garantiert habe. Tobler macht seit vielen Jahren BoschbarAnlässe und nimmt dann jeweils am folgenden Diens tagmorgen frei. Ein Konzertlokal zu betreiben, das nicht nur montags offen sei, würde bedeuten, teure Infra strukturen zu erstellen und die günstigen Preise der Boschbar über Bord zu werfen. Das käme nicht infrage, sagt Tobler, weil die Bar bewusst als nicht kommer zieller Ort funktioniere. «Wir zahlen keine Löhne, wollen einfach gute Kultur zu sozialen Preisen machen und damit Spass haben.» In diesem Konzept habe der Montag nur Vorteile. Viele illega le Bars, die Mitte der Neunziger jahre entstanden seien, hätten ge boomt. Der Andrang des Publi kums sei enorm gewesen, die frei willigen Helferinnen und Helfer hätten sich regelrecht «verheizt». Das sei bei der Boschbar anders, da setzte man aufgrund des un günstigen Wochentages per se eine hohe Eintrittshürde. Die Bands wollen von sich aus kommen Umgekehrt senke man diese Hür de mit den tiefen Preisen wieder, sodass man unter dem Strich ein besonderes Publikum anspreche und eine Art Geheimtipp bleibe. Samuel Iseli: «Wir haben viele Stammgäste, darunter viele Stu denten, aber auch viele Leute aus dem Gastgewerbe, die nach ihrem späten Feierabend gerne noch et was trinken gehen. Unser Publi kum ist altersmässig sehr ge mischt und reicht von zwanzig bis sechzig. Dabei hat die Boschbar mit Absicht nie Werbung ge macht; unsere Anlässe sprechen sich von selbst herum.» Auch bei den Musikern und den Bookern, die Bands vermitteln, habe sich die Boschbar herumge sprochen, sagt Thomas Tobler. Die Bands wollten von sich aus kommen, weil sie die Stimmung in der Boschbar schätzen; anderer seits sei es für Gruppen aus dem Ausland oft sehr geschickt, an einem Montag in Zürich aufzutre ten. «Sie spielen am Samstag viel leicht in Paris und am Mittwoch in München, so kommt ihnen der Montagabend in Zürich gerade recht.» Beat Grossrieder, sda Boschbar: immer montags am Sihlquai 240 in Zürich. Das nächste Konzert: 13. Juli, Warsong, 23 Uhr, Afterparty mit DJ Old Monk & Friends. Festspiele Die Zürcher SingAkademie hat am Donnerstag im Rahmen der Festspiele ein originelles «Shakespeare»Programm präsentiert. Tim Brown, der Leiter der Sing Akademie, kennt die britische Vo kalmusik wie seine Hosentasche. So auch die vielfältigen Shake speareVertonungen in den unterschiedlichsten Stilen. Nun hat Brown für die Zürcher Fest wochen ein Chor und Liedpro gramm zusammengestellt, das spannende Einblicke ermöglich te: Wie zum Beispiel zwei Kompo nisten (Britten/Poulenc) densel ben ShakespeareText ganz an ders vertonten, oder wie Jazz komponisten mit Shakespeare umgingen. Den Auftakt machten die «Three Shakespeare Songs» von Tim Browns Bruder Christopher Brown – drei klanglich delikate Lieder, sehr «chorisch» gedacht. Nicky Spence. Raphaelle Photography Sie sind gar nicht so weit entfernt von Frank Martins «Songs of Ariel» (The Tempest), die in ihrer schillernden Farbigkeit vom A cappellaChor eine unheimliche Intonationssicherheit und Aus drucksintensität verlangen. Die sechzehn Sängerinnen und Sän ger standen im Halbrund neben einander und intonierten diese schwierigen Harmonien mit phä nomenaler Selbstverständlich keit. Horch, horch, die Lerch Auf originelle Art unterhaltsam war der Wechsel von Acappella Chor und Sololiedern. Der briti sche Tenor Nicky Spence ist sich als gefragter Opernsänger das Theatralische gewohnt. Zwar wirkte sein Einstieg mit Schu berts «Horch, horch, die Lerch» (Cymbeline) noch etwas ver krampft, doch allein schon der Wechsel zur englischen Sprache bei den Liedern von Roger Quilter (1877–1953) löste die Anfangsner vosität. Zusammen mit seinem eindrücklich mitgestaltenden Klavierpartner Joseph Middleton traf Spence auch bei extremen sti listischen Wechseln immer den richtigen Ton, sei das bei Haydn («She never tod her love»), Pur cell/arr. Tippet («An Epithala mium») oder Geoffrey Bush («It was a lover and his lass»). Mit Humor und Herz Und dann der Wechsel ins Jazzi ge. John Dankworth (1927–2010), Mervyn Horder (1910–1998) und Peter Dickinson (1934) haben ShakespeareTexte musicalartig umgesetzt. Hier war der Tenor Nicky Spence ganz in seinem Ele ment, zur swingenden Klavierbe gleitung von Joseph Middleton kam der jazzige Kontrabass von Ivo Schmid. Das Publikum schätz te Spences humorvolle Sprüche, mit denen er die Lieder ankündig te, und liess sich herzhaft begeis tern. Schön, dass zum Schluss auch die SingAkademie den jaz zigen Touch übernahm, mit den «Songs and Sonnets» von George Shearing (1919–2011) aus New York. So wurde «Shakespeare in music» zu einem echten Hit. Sibylle Ehrismann
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