Porträt «Das war vielleicht nicht immer karrierefördernd» Der gebürtige Walenstadter Thomas Lendi ist seit fünf Jahren Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe Liechtenstein. Aktuell betreut er mit seinem Team die Asylsuchenden der zweiten grösseren Flüchtlingswelle seiner Amtszeit. Dabei kommt er aus einer ganz anderen Branche. Man merkt Thomas Lendi an, dass er müde ist. Die aktuelle Situation macht ihn zu einem gefragten Mann im Land: Als Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe Liechtenstein übernimmt er die Betreuungsverantwortung für die zirka 120 Personen, die derzeit auf ihren Entscheid in ihrem Asylverfahren warten oder als vorläufig Aufgenommene nicht abgeschoben werden können. «Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die Schutz suchen, menschenwürdig untergebracht sind. Ausserdem beteiligen wir uns an der Schaffung einer tragfähigen Asylpolitik», erklärt Thomas Lendi. Bezüglich der Rahmenbedingungen arbeitet der Verein Flüchtlingshilfe Liechtenstein auf der Basis einer Leistungsvereinbarung mit der Regierung. Die Betreuung der syrischen Familien des Resettlement-Programms ist separat geregelt. «Derzeit sind wir am Rande unserer Kapazitäten – sowohl ressourcen- als auch energietechnisch. Wir kommen menschlich an Grenzen des Zumutbaren. Dass wir seit zwei Monaten eine Volontärin haben, die das Freiwillige Soziale Jahr absolviert, ist für uns ein Glücksfall», so der Geschäftsführer, der sich aufgrund seiner Arbeit von Amtes wegen stets in einem Spannungsfeld befindet: Man muss rund um die Uhr verfügbar sein für die Anliegen der Bewohner der Unterkunft oder der befassten Stellen des Landes. Das zehre an den Nerven, doch an der Sinnhaftigkeit dieser Arbeit zweifelte Thomas Lendi noch nie. Zwischen den Stühlen In letzter Zeit habe sein Privatleben schon unter der Situation gelitten. Gerade das Lesen guter Bücher und seine Liebe zur klassischen Musik, die er während der Gymnasialzeit entdeckt hat, kommen in den letzten Monaten zu kurz. Doch damit muss man rechnen, wenn man so eine Aufgabe wahrnimmt, die einen – gerade in Situationen wie der aktuellen – derartig ausfüllt und auch in vielen Punkten erfüllt. Dabei muss er stets in verschiedene Rollen schlüpfen, um Kompromisse zu erzielen. Zum einen ist es nämlich ein erklärtes Ziel der Regierung, die Asylsuchenden gemäss der Genfer Konvention zu behandeln. Andererseits schaut man darauf, dass die Anstrengungen möglichst kostengünstig abgewickelt werden, damit Liechtenstein als Zielland nicht zu attraktiv für Asylsuchende wird. «Ich sehe es auch als meine Arbeit, den Ausgleich zwischen den Grundbedürfnissen der Asylsuchenden und den Bedürfnissen der Regierung abzuwägen. Darum sitzt man oft zwischen zwei Stühlen.» Es wird in der Diskussion und in den Medien oft ein falscher Eindruck von Flüchtlingshelfern vermittelt: So liest man des Öfteren, dass sie den Betroffenen Luxus ermöglichen und somit die Staatskasse belasten wollen. So funktioniere es aber nicht. «Von den einen wird mir oft vorgeworfen, dass ich zu wenig human bin und für die anderen bin ich zu sehr Gutmensch. Man kann es nicht allen recht machen.» Verfahren dauern zu lange Der Verein verfügt über 270 Stellenprozente. Seit Anfang November wurden ihm 80 Prozent zusätzlich genehmigt, die auf sechs Monate befristet sind. «Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die uns tagtäglich helfen, könnten wir das Ganze gar nicht stemmen», erklärt Lendi. Neben dieser Dauerbelastung lebe man in seinem Job auch mit stetiger Ungewissheit. So habe er gehört, dass Liechtenstein weitere 40 bis 50 Asylsuchende zugewiesen werden sollen. «Ich könnte mir bei bestem Willen nicht vorstellen, wie wir das mit unseren personellen und räumlichen Ressourcen bewerkstelligen können», gibt Lendi zu. «Wir sind echt am Limit.» Unbestreitbar sei auch, dass ein grosser Teil der Asylsuchenden in Liechtenstein aus als «sicher» deklarierten Ländern stammen und mit ziemlicher Sicherheit mit ihrer Abschiebung rechnen müssen. «Auch wir wären froh, wenn die Verfahren schneller – aber rechtlich einwandfrei – abgewickelt werden, denn das würde uns entlasten.» Er spreche sich beispielsweise dafür aus, dass für diese Verfahren ein separater Senat eingesetzt werden sollte, der effizient die Fälle abarbeite. Auch beim Ausländer- und Passamt werde gespart. Daher könne man diesem nicht einmal vorwerfen, dass schlecht gearbeitet werde. «Aber es geht definitiv zu lange, wenn Einzelne seit mehr als einem Jahr auf einen Erstentscheid warten. Abgesehen von Kosten: Die Leute brauchen vor allem Klarheit für eine Perspektive», erklärt Lendi. Humanismus vs. Geldfragen Im Spannungsfeld zwischen finanziellen Mitteln und dem humanistischen Anspruch operiert Thomas Lendi bereits seit vielen Jahren. Auch bei früheren Arbeitgebern war das stets ein Thema, wobei Lendi realistische Einschätzungen abwägt, welche Investitionen sich lohnen und welche nicht. «Es sind überall dieselben Themen: Im Treuhandunternehmen, an der Schule oder in der Asylunterkunft.» Er müsse sich einfach sicher sein, dass er seine Arbeit mit seinem Gewissen vereinbaren könne, um sie gut zu machen. «Wenn ich nicht mehr in den Spiegel schauen kann, weil ich mir selbst untreu werde, muss ich meine Sachen packen und mir eine andere Arbeit suchen», ist er überzeugt. Was ihn in seinem Leben – ob privat oder beruflich – seit jeher antreibt, ist seine hohe Motivation, Wissen zu erwerben. «Ich bin immer offen und will immer neue Sichtweisen und Erkenntnisse sammeln. Nur so komme ich persönlich weiter auf der Suche, woher wir kommen und wohin wir gehen.» Seine Eltern haben ihn für dieses Denken sensibilisiert, die Benediktiner im Gymnasium in Disentis haben es eingeübt und vertieft. Die Patres hätten ihn überzeugt, obwohl er schon damals kaum praktizierender Katholik war. Aber auch heute spielt Spiritualität für ihn eine ganz besonders wichtige Rolle. «Als Junge hatte ich immer das Gefühl, dass die alles wissen. Eine solch breite Allgemeinbildung, wie ich bei den Patres dort erfahren habe, treffe ich heute kaum noch an. Sie waren für mich wie Übermenschen.» Dass er nach der Matura 1982 nach Fribourg ging, um Naturwissenschaften auf Lehramt zu studieren, untermauerte diesen Anspruch, nie stehen zu bleiben und immer Neues dazuzulernen. «Ich habe dann sogar Mathe- und Physikstunden auf Französisch gehalten – das war ein Abenteuer», schmunzelt er über die Erinnerungen. Nach einigen Praktika an Ingenieurschulen in der halben Schweiz durfte er 1989 in Zug – ebenfalls an einem Kloster – unterrichten. «Das Kloster Maria Opferung war das älteste und traditionsreichste Bildungsinstitut für Mädchen. Dabei durfte ich ab 1994 die Entwicklung von einer Klosterschule zu einer Institution mit weltlicher Lehrerschaft in führender Position begleiten», erinnert sich Thomas Lendi zurück. An Geldfragen gescheitert Die dort erarbeiteten Konzepte seien stark gewesen – sie werden heute kopiert – und die Mitarbeitenden standen hinter ihm. «Wir waren ein gutes Team und wir glaubten an ‹unsere Idee›.» Die Schwestern des Klosters konnten dem modernen Finanzierungsmodell nicht mehr zustimmen, daran scheiterte es. «Das hat mir einen schweren Schlag verpasst, weil wir mit Herzblut und Engagement Gas gegeben haben», erklärt er wehmütig den «strategischen Fehlentscheid» des Klosters, wie er sagt. Er war gezwungen, sich einen neuen Job zu suchen. Auch bei der Liechtensteiner Treuhandfirma, bei der er am Ende für die Weiterbildungen, die Personalabteilung und die Services zuständig war, tankte er viel Wissen und Erfahrungen. «Hier verstand sich am Ende nach einer Umstrukturierung meine Philosophie nicht mehr mit jener meines Arbeitgebers, worauf ich logischerweise meine Sachen packte», denkt er an eine bewegte, aber lehrreiche Zeit zurück. Er versuche, offen und klar seine Meinung zu vertreten, auch wenn das nicht immer gerne gehört wird. «Das ist nicht immer karrierefördernd gewesen, doch ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich immer etwas nach vorne bewegen wollte. Das ist mir mehr wert.» Liechtenstein und Asyl Den Weg nach Liechtenstein fand er damals nach seinem Engagement in Zug. Bereits vor Jahren hatte er eine Schaanerin kennengelernt und durch den Jobverlust in Zug war für ihn der Schritt nach Liechtenstein ein logischer. Als gebürtiger Walenstadter, der die Schweiz gut kennt, ist ihm auch Liechtenstein sehr vertraut geworden. Als er zwischenzeitlich in Wartau in Teilzeit die Oberstufe leitete, kam er durch die Schwester seiner Partnerin auf die Arbeit mit Asylsuchenden. Wieder ein neuer Aspekt, wieder viel zu lernen für Thomas Lendi. Diese Herausforderung reizte ihn. «Als damals viele Eritreer und Somalier ins Land kamen und im Luftschutzkeller beim Gymnasium in Vaduz untergebracht wurden, war ich als Helfer im Einsatz und habe schnell gemerkt, worum es geht.» Empathie und Distanz Seine humanistische Ausbildung habe ihm den offenen Horizont geboten, den es dafür braucht. Auch die Bedenken der Bevölkerung gegenüber den Asylsuchenden nimmt Lendi sehr ernst. Denn alle Beteiligten seien am Ende «nur» Menschen mit Ängsten und Befürchtungen. Und es liesse sich auch nicht wegdiskutieren, dass nicht alle Asylsuchenden «Engel» seien. «Dabei wäre es spannend zu diskutieren, wo letztlich mehr destruktive Energie vorhanden ist – bei den Flüchtlingen oder denen, die sie zu Flüchtlingen machen? Wer verursacht eigentlich welche Probleme?», sinniert Lendi. «Spass beiseite: Wir haben momentan keine aggressive Stimmung innerhalb und ausserhalb des Aufnahmezentrums. Daher braucht man sich vor unseren Bewohnern auch nicht zu fürchten», erklärt er gegenüber skeptischen Mitbürgern. Gerade auch «Sozialisierungskurse» von Ehrenamtlichen, welche den Neuankömmlingen erklären, wie man sich hier verhält, tragen dazu bei, Missverständnisse zu verhindern, sodass die Asylsuchenden mit den Einwohnern und umgekehrt gut klarkommen. Zwischenfälle gibt es überall dort, wo Menschen leben. Dafür gibt es aber Regeln in einem funktionierenden Staat, die für alle gleich gelten. Derweil ist die Wahrscheinlichkeit für Zwischenfälle aufgrund der unterschiedlichen Kulturen und Sprachen in den beengten Räumlichkeiten eher gegeben. Diese tangieren die Bevölkerung nicht. Lendi und sein Team agieren dann als Schlichter und Konfliktberater. Hier ist er dann wieder in einem Spannungsfeld, denn er muss sich sowohl empathisch in die Konfliktparteien hineinfühlen als auch die nötige Distanz wahren, um als neutraler Vermittler agieren zu können. (mw) 14. Nov 2015 / 20:37 Artikel: http://www.liewo.li/liewo-aktuell/portraet/Das-war-vielleicht-nichtimmer-karrierefoerdernd;art668,167805 Copyright © 2014 by Vaduzer Medienhaus Wiederverwertung nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung.
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