Laudatio für Professor Dietrich von Engelhardt

Laudatio für
Professor Dietrich von Engelhardt
Lieber Herr Professor von Engelhardt,
Sie sind ein Pionier der Medizinethik. Das wird deutlich
aus einer Festschrift zu Ihrem 70. Geburtstag, nämlich
«Macht und Ohnmacht des Wortes – ethische Grundfragen einer personalen Medizin» im Wallstein-Verlag 2012.
Und obwohl Sie der Autor von ungefähr 80 Mono­
graphien und gegen 1000 Aufsätze sind, ist Ihnen der
professorale Gestus stets ferngelegen. Zu dieser sympathischen Eigenschaft hat wohl auch Ihre Leidenschaft
für Literatur, Musik und bildende Kunst beigetragen, die
Sie ihr Leben lang begleitet hat. Ihr Elternhaus hat Ihnen
dafür das nötige Bildungsrüstzeug mitgegeben: Sie
stammen nämlich aus einer alten baltischen Adelsfamilie, und Ihre Eltern sprachen noch Russisch (was im Baltikum heutzutage durchaus sinnvoll ist).
Sie haben sich stets dafür eingesetzt, dass die medizinische Heilkunde zwischen Arzt und Patient eine personale, ja sogar existentielle Beziehung stiften muss. Dass
davon durch die Fehlentwicklungen der modernen Medizin, die ökonomischen Leitbildern verfallen ist und einer
naturwissenschaftlichen Vereinseitigung huldigt, nicht
mehr viel übriggeblieben ist, ist eine traurige Tatsache.
Sie wagten demgegenüber stets den Versuch, das Ganze
zu sehen, Disziplingrenzen zu überwinden und trag­
fähige Brücken zwischen Naturwissenschaft, Philo­
sophie, Literatur, Kunst und Geschichte zu schlagen. Sie
haben sich einmal als «Realidealist» bezeichnet. Das ist
für mich ein Mensch, der auf dem Boden der Tatsachen
steht und dennoch das Reich der Ideen nicht aus den
Augen verliert – die Tatsachen quasi durch die Ideen glänzen lässt.
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Lassen Sie uns einen kursorischen Blick auf Ihre Vita
­werfen:
Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte in
Tübingen, München und Heidelberg promovierten Sie 1969
in Heidelberg in Philosophie und habilitierten sich 1976 in
der Fakultät für Naturwissenschaftliche Medizin auch in
Heidelberg. Dazwischen waren Sie in der Kriminologie und
Kriminaltherapie tätig und haben, wie Sie sagen, in den
Gefängnissen viel über die Beziehung ­zwischen Patient
und Arzt gelernt. 1983 bis 2007 waren Sie Ordinarius für
Geschichte der Medizin und Allgemeine Wissenschafts­
geschichte und wurden Direktor des entsprechenden Institutes an der Universität zu Lübeck. Die Lübecker werden
­wissen, was sie an Ihnen gehabt haben, zeugt doch noch
der Forschungsbericht 2007 bis 2013 von Ihren vielfältigen
interdisziplinären Interessen und Projekten. Dazu später
noch etwas. In zahlreichen Akademien für Ethik und Wissenschaftsgeschichte waren Sie Mitglied und auch Präsident, ebenso wie in vielen Ethikkommissionen, so natürlich
in Lübeck, aber auch in ­Südtirol, in Argentinien, in Greifswald, in München, in Hamburg und in Erfurt. Verzeihen Sie
mir diese prosaische Aufzählung, die der Arbeit, die Sie in
diesen Gremien geleistet haben, nachgerade fahrlässig
ungerecht wird. Ihre Forschungsschwerpunkte waren und
sind: Anthropologische Medizin und Psychiatrie des
20. Jahrhunderts; Geschichte und Gegenwart der Medizinischen Ethik; Selbstverständnis der Medizin in der ­Neuzeit;
europäische Wissenschaftsbeziehungen in der Neuzeit;
Biographien von Naturwissenschaftlern und Medizinern;
Medizin in der Literatur der Neuzeit.
Letzteres ist mein Stichwort für die Würdigung eines
begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Projektes, worüber ich etwas ausführlicher erzählen möchte:
Der Guido-Pressler-Verlag in Hürtgenwald in der Eifel ist
ein Verlag, dessen Verleger, eben Guido Pressler, längst
auch den Egnér-Preis verdient hätte. Er erfüllt nämlich mit
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seinem Buchprogramm exakt die Ziele unserer Stiftung,
die Förderung der anthropologischen Medizin, Psychologie und insbesondere Psychiatrie. Da der Herr Pressler
auch ein Feingeist und kunstsinniger Mann ist, stellt er
übrigens nur hochwertige Bücher her, die den soignierten Rahmen für die profunden Inhalte abgeben. Seine
Bücher zu lesen und umzublättern, macht Spass in unserer geistlosen Schmalspurgesellschaft.
Im Pressler-Verlag nun also kommt eine Reihe heraus mit
dem Titel «Schriften zu Psychopathologie, Kunst und
Literatur», bei der Sie selbst einer der vier Herausgeber
sind. Der zweite Band in dieser Reihe besteht aus fünf
Teilbänden, von denen zwei erschienen sind und drei –
hoffentlich – noch erscheinen werden. Das Gesamtwerk
dieser 5 Bände nennt sich «Medizin in der Literatur der
Neuzeit», und der Autor ist unser Egnér-Preisträger Professor von Engelhardt.
Band 1 «Darstellung und Deutung» gilt der Wiedergabe
der Medizin in der erzählenden Dichtung der Neuzeit.
Literatur wird darin zum Spiegel der Medizin, in dem
diese sich zum besseren Verständnis selbst erblickt. Sie
finden in diesem Band nahezu die ganze Weltliteratur
versammelt – als Ergänzung dazu könnte m. E. sehr gut
das grossartige zweibändige Werk von Rolf Vollmann
«Die wunderbaren Falschmünzer – ein Roman-Verführer», Eichborn-Verlag, Frankfurt 2000, dienen.
Band 2 der Reihe ist: «Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur 1800 – 1995» und enthält die erste übergreifende internationale Bibliographie der wissenschaftlichen Literatur zur Medizin in der literarischen Darstellung in Prosatexten. Es sind Krankheitsarten aller medizinischen Disziplinen berücksichtigt.
Band 3 wird literarische Texte enthalten, die sich auf
medizinische Themen beziehen, Passagen aus Romanen
und Erzählungen über Patienten, Aerzte, Hospitäler und
die soziale Umwelt.
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Band 4 legt wissenschaftliche Studien für die Wiedergabe der Medizin in der Literatur vor, ist also der eigentliche Forschungsband.
Band 5 schliesslich besteht aus einem thematisch geordneten Titelverzeichnis von Erzählungen und Romanen der
Neuzeit.
So, damit Sie, liebe Zürcher, sich dieses 5-bändige Werk
erwerben können, müssten Sie vielleicht auf die vorgesehene Küchenrenovation verzichten. Und damit Sie, lieber
Herr Professor von Engelhardt, Ihr grosses Werk auch
vollenden können, kriegen Sie den Egnér-Preis. Wer hier
im Saal der Meinung ist, unser Preisträger habe ihn nicht
verdient, trete bitte vor.
Bitte sehr, Herr Professor Engelhardt.
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