Artikelkommentar OR 2020 58 Dokumenttitel Art. 58 Autoren Walter Fellmann, Christoph Müller, Franz Werro Titel Schweizer Obligationenrecht 2020 Entwurf für einen neuen allgemeinen Teil / Code des obligations suisse 2020 - Projet relatif à une nouvelle partie générale Jahr 2013 Herausgeber Claire Huguenin, Reto M. Hilty Autoren des Kommentars Verlag Schulthess Juristische Medien AG ISBN 978-3-7255-6787-4 182 Art. 58 C. Organisationshaftung I. Im Allgemeinen Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht beweist, dass er die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. C. Responsabilité de l’employeur I. En général L’employeur est responsable du dommage causé par ses travailleurs ou ses autres auxiliaires dans l’accomplissement de leur travail, s’il ne prouve qu’il a pris tous les soins commandés par les circonstances pour détourner un dommage de ce genre ou que sa diligence n’eût pas empêché le dommage de se produire. C. Responsabilità del titolare di I. In genere Il titolare di un’azienda è responsabile del danno cagionato dai suoi lavoratori o da altre persone ausiliarie nell’esercizio delle loro incombenze di servizio o d’affari, ove non provi di avere usato tutta la diligenza richiesta dalle circostanze per impedire un danno di questa natura o che il danno si sarebbe verificato anche usando tale diligenza. Ausdruckseite 2 von 3 C. Liability of the principal I. In general A principal is liable for the damage caused by his employees or ancillary staff in the performance of their work unless he proves that he took all necessary care to avoid a damage of this type or that the damage would have occurred even if all necessary care had been taken. Art. 55 OR. 1. Entsprechung zu Art. 55 OR 1 Art. 58 OR 2020 entspricht Art. 55 Abs. 1 OR. Nicht übernommen wird Abs. 2 von Art. 55 OR, wonach der Geschäftsherr auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen kann, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist (s. dazu nachfolgend N 6). 2 Wie Art. 55 OR begründet auch Art. 58 OR 2020 eine Haftpflicht für fremdes Verhalten. Wie es das Bundesgericht ausdrückt, liegt dieser Regelung die Überlegung zugrunde, dass derjenige, der «eine Besorgung zu seinem Nutzen durch einen Andern verrichten lässt, […] auch das Risiko für den Schaden tragen soll, der Dritten aus der Verrichtung durch die Hilfsperson erwächst» (BGE 50 II 469 E. 2; vgl. auch BK OR-Brehm, N 4 zu Art. 55 OR; CHK-Müller, N 3 zu Art. 55 OR; Werro, Franz, La responsabilité civile, 2. Aufl., Bern 2011, N 454). 2. Sorgfaltsbeweis 3 Nach Art. 55 Abs. 1 OR haftet der Geschäftsherr nicht, wenn er beweist, dass er «alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten». Man spricht in diesem Zusammenhang 183 vom «Sorgfalts- oder Befreiungsbeweis» (vgl. Fellmann, Walter/Kottmann, Andrea, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, N 781; CHK-Müller, N 18 zu Art. 55 OR). Diese Regelung wird in Art. 58 OR 2020 übernommen. 4 Der Geschäftsherr kann sich nicht nur durch den Nachweis befreien, er habe die erforderliche Sorgfalt aufgewendet. Nach Art. 55 Abs. 1 OR wird er auch befreit, wenn er beweist, dass der Schaden auch bei Anwendung der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre. Dieser Beweis hat die fehlende Kausalität zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des Geschäftsherrn und dem Schaden im Auge. Auch dieser Ansatz wird in Art. 58 OR 2020 übernommen. Die ausdrückliche Erwähnung dieses Entlastungsbeweises wäre nicht unbedingt erforderlich. Es versteht sich nämlich von selbst, dass der Geschäftsherr nicht haftet, wenn es am Kausalzusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schaden fehlt (vgl. BK OR-Brehm, N 91 f. zu Art. 55 OR; Fellmann, Walter/Kottmann, Andrea, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, N 786 und N 809; CHK-Müller, N 24 zu Art. 55 OR; Werro, Franz, La responsabilité civile, 2. Aufl., Bern 2011, N 500). 5 Nach der traditionellen Lehre bezieht sich der Sorgfaltsbeweis v.a. auf drei Aspekte: Die Sorgfalt bei der Auswahl der Hilfspersonen (cura in eligendo), die Sorgfalt bei der Instruktion (cura in instruendo) und die Sorgfalt bei der Überwachung der Hilfsperson (cura in custodiendo) (vgl. etwa Fellmann, Walter/Kottmann, Andrea, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, N 785; CHK-Müller, N 19 ff. zu Art. 55 OR; Rey, Heinz, Ausdruckseite 3 von 3 Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008, N 927 ff.; Werro, Franz, La responsabilité civile, 2. Aufl., Bern 2011, N 481 ff.). Die neuere Lehre leitet aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts weitere spezifische Sorgfaltspflichten ab: Die Sorgfalt bei der Ausrüstung der Hilfspersonen mit tauglichem Werkzeug und Material sowie die Sorgfalt des Geschäftsherrn bei der Organisation der Arbeit und seines Unternehmens überhaupt (vgl. etwa BK OR-Brehm, N 77 ff. zu Art. 55 OR; Fellmann, Walter/Kottmann, Andrea, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, N 78; CHK-Müller, N 19 und N 23 zu Art. 55 OR; Rey, Heinz, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 184 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008, N 936 ff.; Werro, Franz, La responsabilité civile, 2. Aufl., Bern 2011, N 492 ff.). Dieser Sichtweise entspricht auch Art. 58 OR 2020. Die Haftung für Organisationsfehler wird in Art. 59 OR 2020 jedoch insofern zusätzlich verschärft, als ein kaufmännisches Unternehmen für den Schaden haftet, der im Rahmen der Tätigkeit des Unternehmens verursacht wird, wenn es nicht beweist, dass die Organisation des Betriebs geeignet war, den Schaden zu verhindern. 3. Verzicht auf die Übernahme von Art. 55 Abs. 2 OR 6 Nach Art. 55 Abs. 2 OR kann der Geschäftsherr «auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.» Die Lehre ist überwiegend der Auffassung, diese Regelung sei überflüssig, da sie gegenüber den allgemeinen Regressbestimmungen keine Sondervorschriften schaffe (vgl. etwa BK OR-Brehm, N 105 ff. zu Art. 55 OR; Fellmann, Walter/Kottmann, Andrea, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, N 815; CHK-Müller, N 25 zu Art. 55 OR). Dieser Meinung schliesst sich der Entwurf an und verzichtet auf die Aufnahme einer entsprechenden Regelung.
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