Damals & Heute - Generalanzeiger

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Vorwort: „Damals war’s“ in Magdeburg
Wie die Generationen der Elbestädter den Begriff „damals“ immer wieder neu erfinden
Von Karl-Heinz Kaiser
M
it dem Begriff „Damals“ gehen
die Generationen unterschiedlich um. Willi Schwabes „Rumpelkammer“, ein TV-Straßenfeger der
1960er-Jahre,
beleuchtete Ereignisse
und Kino-Filme der Dreißiger- und Vierzigerjahre. Die Eltern der heute 65-Jährigen vergossen Tränen der Rührung.
Wer nun die seit 1995 im MDR ausgestrahlte TV-Sendung „Damals war’s“
verfolgt, bemerkt es schnell: Moderator
Hartmut Schulze Gerlach, in den 70ern
als „Muck“ am Schlagerhimmel präsent,
macht in seiner Zeitreise in die Vergangenheit immer häuÿ ger in den 60ern
und 70ern Station. Er gelangt damit ins
„Damals“ der Schwabe-Zeit-Kinder, die
zur Zeit des kauzigen Mimen die Begeisterung der Eltern nicht so recht teilten.
Mit der Magdeburger Heimatgeschichte
verhält es sich in dem Punkt etwa genau
so. Das „Damals“ ist heute für viele anders.
Zwar gehören der Vorkriegsgeneration die
Erinnerungen und Fotos von der untergegangenen Metropole Mitteldeutschlands
zum Lebenselixier. Schon mit größerem
Abstand, mitunter mit schmerzlichem
Bedauern und mahnendem Gedenken,
blickt die nächste Generation der Elbestädter darauf zurück. Sie hat ihr eigenes von
Kindheit und persönlicher Entwicklung
geprägtes „Damals“. Erinnerungen selbst an
den Alltag, heute teils exotisch anzumuten,
werden wach: Auch das Baden in der Elbe
und die Wollhandkrabben gehören dazu,
aber auch Persönlichkeiten wie Täve Schur,
die Fefÿ s von Fahlberg-List, die Begeisterung für die Neubauwohnung, die Spaziergänge in den Stadtpark über die alte Hubbrücke. Zum Beispiel zum Pressefest. Oder
zur Messe in den Hallen an der Hyparschale. Zu Anfang sagte der Magdeburger statt
Hyparschale noch Hyperschale, im Sinne
von Hyper-/Supermodern. Was es auch war.
Und wer heute einen Abstecher in die
Umgebung der Breitscheidstraße macht
und den Herrenkrug-Villenkomplex noch
„mitnimmt“, dem wird wieder bewusst,
dass es sich hier zu DDR-Zeiten um eine
Sperrzone handelte. Fest in der Hand
der Sowjetischen Militärs, die bis 1992 in
Deutschland stationiert waren. Sieger, Befreier, Besatzer. Letztere hinterließen geschundene Kulturbauten und Natur.
Alles im Wandel: Das damalige Gesellschaftshaus im Klosterbergarten wurde
Haus der Pioniere im „Pionierpark“ und
ist wieder Gesellschaftshaus. Was es zu
seiner Eröffnung war. Nur heute auch
wieder anders. Die Volkbäder zum Beispiel, wo man seit der Jahrhundertwende
auch zu DDR-Zeiten mangels eigenem
Bad für fünfzig Pfennig zum Duschen
oder ins Wannenbad ging. An manchen
dieser Bauten existiert nur noch die bewusst erhaltene Inschrift an der Fassade.
Diese 2. Beilage des General-Anzeigers
unter dem Titel „Damals und Heute“ stellt
eine Mischung von all dem dar. Schwerpunkt ist jedoch die Zeit von 1945 bis 1989
und das Heute, der Status quo im Jahr 2015.
Was Rückblicke in noch frühere Zeiten einschließt.
Flussbadeanstalten und der Mordfall „Katerbow“
Die letzte Badeanstalt am Fluss schloss bald nach dem gewaltsamen Tod seines Besitzers
N
ostalgiker schwärmen: Vor 1945 hatte
es an der Elbe insgesamt elf private
beziehungsweise öffentliche Badeanstalten gegeben. Flussbaden war angesagt,
das Wasser war so sauber, dass sich sogar
Lachs und Stör wohlfühlten. Sechs dieser
Bäder befanden sich im Strom. Das in Fermersleben gehörte Fährmann Paul Michaelis, der den Raddampfer „Gustav Zeuner
„gekauft und zur Umkleide umfunktioniert
hatte. Die „Nordtsche Badeanstalt“ lag an
der Fähre in Buckau, ganz in der Nähe die
Suhrsche Badeanstalt (wechselte häuÿ g
ihren Standort). Unweit davon hatte das Militär seine „Badeanstalt der Magdeburger Pioniere“ etabliert. Das Städtische Strandbad
befand sich am Herrenkrug, und in Höhe
der Neustadt schließlich die „Winzerlingsche
Badeanstalt“.
In der Alten Elbe ging es für Badelustige
munter weiter: Südlich der Seestraße lud
die „Magdeburger Riviera“ ein, außerdem
gab es das „Strandbad am Wasserfall“, weiter
nördlich „Ostende“. Unterhalb der heutigen
Anna-Ebert-Brücke lag mit „Katerbow“ eine
der bekanntesten Elb-Badeanstalten Magdeburgs.
Elbbaden lag voll im Trend. Selbst die
sandigen Flussbereiche an den Buhnen
zwischen Westerhüsen und Hohenwarte
lockten an den Wochenenden unzählige
Sonnenanbeter und Badefreunde. Doch
auch schon in den 20er- und 30er-Jahren
begann der Niedergang der Flussbadeanstalten, weil das Wasser infolge der bedenkenlosen industriellen Einleitung immer
stärker belastet war. Viele Magdeburger
zogen die Konsequenzen, wählten als Alternative die Ehle. Im Zweiten Weltkrieg
wurden viele der Badeanstalten zerstört. In
der Nachkriegszeit kam es jedoch kurzzeitig
zur Verbesserung der Wasserqualität, und
einige Badeanstalten hatten wieder Hochkonjunktur. Eine davon ragte dabei heraus:
Katerbow.
gust Wilhelm Francke in Zusammenarbeit
mit Generalmajor Ernst von Pfuel für 1.484
Taler und 14 Silbergroschen entstanden
und am 12. Juni 1826 eröffnet worden. Die
Badeanstalt ging als eine der ersten städtischen Flussbadeanstalten in Deutschland
in die Geschichte ein. Erst 1852 erwarben
die als Bademeister tätigen Brüder Karl
und Gustav Adolf Katerbow die Badeanstalt,
benannten sie in „Katerbowsche Badeanstalt“ um und modernisierten sie, schufen
geschlossene Umkleidekabinen, boten Restaurantbetrieb.
Zurück zur Nachkriegszeit: Am 21. Juni
1951 feierte das Bad sein 125-jähriges Bestehen. Aber das Aus kam schon drei Jahre
später. Schuld daran war nicht nur die erneut einsetzende Verschmutzung der Elbe.
Der damalige Besitzer ÿ el einem Verbrechen zum Opfer. Der eingeheiratete Mann
namens Wernicke wurde ermordet. Diese
Tragödie gab schließlich den Ausschlag, die
Einrichtung zu schließen. Das Grundstück
soll verkauft worden, die Witwe nach Berlin
gezogen sein. Das wird im Forum allgemeine Geschichte der Stadt berichtet.
Das endgültige Aus
für das Flussbaden
kam im Jahr 1954
Katerbow war die letzte verbliebene
Flussbadeanstalt in Magdeburg. Die Ära des
legalen Elbbadens war für immer zu Ende, so
jedenfalls hatte es lange Zeit den Anschein.
Genährt wurde die Auffassung durch die extreme Verschmutzung des Flusses bis 1989
vor allem durch Einleitungen im Oberlauf. Das Elbbaden war auch in der Suhrschen StrombadeDie Skeptiker hatten sich getäuscht.
anstalt möglich.
Ein Generalmajor
setzte sich für das
Baden im Fluss ein
Sie war zwar bei einem Luftangriff auf
die Lange Brücke (heutige Anna-Ebert-Brücke) schwer beschädigt worden, es konnte
aber ein notdürftiger Badebetrieb fortgesetzt werden. Diese Badeanstalt hatte eine
bemerkenswerte Geschichte, war sie doch Magdeburger waren auch zu DDR-Zeiten ein badelustiges Völkchen, an der Elbe, an Badeauf Initiative von Oberbürgermeister Au- seen oder in den Freibädern.
IMPRESSUM
Damals & Heute
Magdeburg im Wandel der Zeiten
Trägerauflage: 122.324
(zuletzt gemeldet)
Die Sonderbeilage
„Damals & Heute - Magdeburg im
Wandel der Zeiten“
erscheint am 01.07.2015
kostenlos für alle erreichbaren
Haushalte im Verbreitungsgebiet.
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Magdeburger
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gültig ab 1. Januar 2015
Quellenangabe: Titelgestaltung: Daniel
Jagieniak; historische Fotos: Privatarchive von Dr. Heiko Schmietendorf und
Karl-Heinz Kaiser, Wieland Schulze, Fredy
Fröschki, Sammlung Hannelore und Dr.
Kurt Schmidt; weitere Fotos: Karl-Heinz
Kaiser, „aktion musik“, Dirk Krull, MWG;
Texte: Karl-Heinz Kaiser
Vom Verlag gestaltete Anzeigen/Texte
dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung
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müssen nicht immer mit der Redaktion
übereinstimmen.
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Am 12. Juli wird wieder in der Elbe gebadet
Flussbadeanstalten sind Geschichte, das Baden im Fluss dank „Pro Elbe“ aber nicht
A
m 12. Juli 2015 ist in
Magdeburg
wieder
Elbbadetag.
Veranstalter „Pro Elbe“ steckt mitten in den Vorbereitungen.
Man habe zum Glück eine
Agentur gewinnen können,
die
Unterstützung
gebe,
sagte Dr. Angela Stephan,
Sprecherin der Bürgerinitiative. Seit 2001, als die seit
Jahrzehnten
eingeleiteten
Chemikalien wieder aus dem
Fluss herausgespült worden
waren und Lachs und Stör
sich angesiedelt hatten, organisiert „Pro Elbe“ den Badetag.
Das offizielle Elbbaden
steht mit dem Niedergang
der letzten Flussbadeanstalt
„Katerbow“ in den 1950er
Jahren nicht mehr auf der
städtischen Agenda. Es ist
somit auch verboten – zu
groß sind die Gefahren für
ein wildes Baden im Fluss.
Einzig die Bürgerinitiative
hat den erlaubten Sprung in
die Elbe wieder aufs Tapet
gebracht.
Zwischen 11 und 17 Uhr
werden am 12. Juli am Flussarm unter der Pylonbrücke
am Wasserfall die Gäste erwartet. Organisiert, bewacht
und bezahlt aus Spenden
und von Sponsoren sind es
2015 wieder Firmen wie SWM
oder Sparkasse, die das bunte Programm rundherum auf
der Wiese am Flussufer ermöglichen. Dazu gehört ein
Planschbecken für Kinder,
die nicht im Fluss baden wollen. Zahlreiche Infos-Stände
und spezieller Imbiss laden auch die zuschauenden
„Nichtschwimmer“ ein.
hement ihre Interessen.
„Dieses Thema steht neben
dem Baden im Mittelpunkt
an unseren Informationsständen und -tafeln beim
diesjährigen Elbebadetag“,
erklärt die Organisatorin.
Ab 14 Uhr ist an dem
zweiten Sonntag im Juli der
Sprung in den Fluss erlaubt.
Hochrangige Gäste aus der
Stadtverwaltung haben sich
angesagt,
gleichfalls
die
Magdeburger Jungfrau. Ob
sie gar nicht zimperlich in
Hinblick auf die sich wieder
im Fluss ausbreitenden Wollhandkrabben ist, wird sich
erweisen. Angela Stephan
aber sieht an diesen Stellen
Dr. Angela Stephan ist seit überhaupt keine Probleme
der ersten Stunde die Orga- für den Badespaß.
nisatorin des Elbe- Badetags.
Man hoffe jedoch auf mehr
öffentliche Unterstützung für
Mit dem Badetag am 50 das populäre Fest, sagt der
Meter breiten alten Elbarm Veranstalter „Pro Elbe“. Er
habe man ein „kleines, feines sichert alles vorschriftsmäBadefest mit ökologischem ßig und sorgfältig ab. 2013
Hintergrund“
etablieren hat „Pro Elbe“ zum eigenen
können, freut sich Dr. Angela Bedauern erstmals seit 2001
Stephan. Die Bürgerinitiative einen Badetag gestrichen.
will die Liebe zum Fluss wei- Das Hochwasser hatte inter ausprägen sowie seinen direkt einen Strich durch
naturnahen Zustand und die die Rechnung gemacht. Es
Wasserqualität erhalten. Sie gab zum geplanten Termin
lehnt einen weiteren Ausbau noch keine Informationen Der Elbe-Badetag ist ein Magnet für zahlreiche Badenixen
des großen Stroms ab.
zur Schadstoffbelastung der und Zuschauer.
Angela Stephan sitzt ge- Elbe. Zudem seien die Promeinsam mit Ines Brunar bleme der Betroffenen des
und Jutta Röseler im öffent- Hochwassers noch zu groß
lichen Gremium, das beim gewesen, um an ein fröhBundesverkehrsminister
liches Baden zu denken, beEinfluss in ihrem Sinne auf gründete Angela Stephan
das entstehende Gesamt- damals auch in der Presse
konzept Elbe nehmen will. und versprach, die Tradition
Ein demokratischer Akt. Ver- 2014 fortzuführen.
fechter des Elbausbaus und
Sie und ihre ehrenamtder
Wirtschaftsschifffahrt lichen Mitstreiter haben
vertreten dort gleichfalls ve- Wort gehalten.
Im Flussarm macht das Baden sichtlich Spaß.
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Badekultur für minderbemittelte Schichten
Magdeburg stand in der Volksbadbewegung mit an der Spitze / Nutzung noch in den 1960er Jahren
V
olksbäder waren in den Nachkriegsjahren noch gefragte Einrichtungen.
Nach den Kriegszerstörungen zählen
nicht nur die unteren Schichten, für die
die Bäder im 19. beziehungsweise Anfang
des 20. Jahrhunderts eingerichtet worden
waren, sondern auch andere Kreise zu den
Besuchern.
Das erste Volksbad eröffnete in Magdeburg 1888 in der Großen Schulstraße.
Der Magistrat hatte beschlossen, in allen
Stadtteilen solche Bäder einzurichten.
Das galt zu der Zeit als eine herausragende
kommunale Leistung. Bequem ausgestattet und preiswert sollen sie minderbemittelten Schichten Zugang zur Badekultur
ermöglichen. Das war eine zeitgemäße
und überfällige Aufgabe, um hygienische
Lebensbedingungen im von Wohnungsnot
geprägten Industriezentrum Magdeburg
zu gewährleisten.
In dem 1895 eröffneten Volksbad Buckau, in der Karl-Schmidt-Straße, standen in der Männerabteilung 16 Brausen
und sechs Wannen bereit. Das Frauenbad
hatte nur fünf Brausen und sechs Wan-
nen. Es war stark frequentiert, auch in
den 1960er Jahren. War der Andrang allzu
groß, öffnete der Bademeister „seine“ acht
Reserve-Duschzellen im Keller, schildern
Zeitzeugen. Das Gröninger Bad wurde am
13. Oktober 1927 eröffnet. Es wurde vom
Architekten des Neuen Bauens, Johannes
Göderitz, entworfen. In späterer DDR-Zeit
befand sich hier die Bäder- und Physiotherapieabteilung der Poliklinik Südost.
Das Volksbad Südost diente dann auch
als Vorbild für das später entstandene
Volksbad Sudenburg und die Stadthalle
Magdeburg. Im März 1940 war der Bau von
einem Hochwasser betroffen. Städtische
Bäder gab es zum Beispiel auch in der Rötgerstraße, im Lemsdorfer Weg und in der
Feldstraße.
Als in den 1970er und 1980er Jahren in
immer mehr Wohnungen Duschwannen
standen, verloren Volksbäder zunehmend ihre Funktion. Jedoch waren längst
nicht alle Haushalte mit Badewanne oder
Dusche ausgestattet. Selbst als das Wohnungsbauprogramm zum Tragen kam,
gab es noch viele Deÿ zite. Waren 1971 von
1.000 Wohnungen nur 671 mit Innentoilette und 469 mit Bad/Dusche ausgestattet,
beliefen sich die Zahlen 1981 schon auf 818
und 723. 1984 waren je 1.000 Wohnungen
845 mit Innentoilette und 763 mit Bad/
Dusche ausgerüstet. Es bestand weiterhin
Nachholbedarf, der Wunsch der Bevölkerung nach modernen Wohnungen wurde
immer stärker. Die Volksbäder waren dagegen längst aus der Mode gekommen. Das
Volksbad Buckau wurde bis in die spätere
DDR-Zeit genutzt, dann jedoch wie die anderen Häusern ebenfalls geschlossen.
Im Gröninger Bad spielte „Tokio Hotel“
Volksbäder in Buckau und Salbke werden heute kulturell belebt
N
och ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit:
Zu
den
damals acht (Elb-) Badeanstalten in Magdeburg kam
im Mai 1888 Zuwachs der
besonderen Art - das erste
Städtische Volksbad wurde
in der Schulstraße eröffnet.
Am 15. November 1895 folgte
in Buckau das Volksbad in
der damaligen Feldstraße
(heute Karl-Schmidt-Straße). Nach römischen Vorbild wurde eine Bibliothek
für Badegäste eingerichtet. Beide Aufschriften sind
noch heute am Gebäude zu
lesen. Bis in die 1960er Jahre wurde dort geduscht und
gebadet. Das Haus wurde
dann leergezogen, weil bald
niemand mehr gekommen
war. Es wurde, wie die anderen Volksbäder als solche
geschlossen beziehungswei-
se umgenutzt.
In Buckau gab BaubeCon
als Sanierungsträger die
Erneuerung der Fassade in
Auftrag, das Innere wurde
modernisiert, ein Fahrstuhl
eingebaut. 1996 zog die
Stadtteilbibliothek in das
Kulturdenkmal ein, verblieb
dort bis 2003. Das ehemalige
Volksbad wurde am 28. Februar 1997 Soziokulturelles
Zentrum und am 3. Januar
2006 von der Fraueninitiative Magdeburg e.V. in freier
Trägerschaft übernommen.
Geboten wird stadtteilbezogene sowie gesamtstädtische Bildungs-, Beratungsund Kulturarbeit.
Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in anderen
ehemaligen
Volksbädern.
Im Lemsdorfer Weg 2325 wurde das Kinder- und
Jungendzentrum „Magnet“
etabliert.
Neben
einem
„Offenen-Tür-Bereich“ gibt
es hier im ehemaligen Sudenburger Volksbad einen
Computer- und einen Kreativbereich.
guter Griff gewesen sein.
1994 wurde das Haus umgebaut. Seitdem finden Musikkonzerte unterschiedlicher
Stilrichtungen statt. „Jährlich kommen zu uns um die
6.000 Besucher zu den vielVom Kulturverein fältigsten Veranstaltungen“,
Vereinsgeschäfts„aktion musik“ bis erzählt
führer
Gregor
Schienezur Physiotherapie mann. Überwiegend sind
es Jugendliche und Kinder,
Beispielhaft
steht
in die hier ihre Freizeit gestalSalbke das Gröninger Bad. ten können. Ausgeprägt im
Es wird seit seinem Umbau Haus ist die musikalische
als Veranstaltungszentrum Nachwuchsförderung. Hier
vor allem für Konzerte ge- wurden auch Stars „gebonutzt. In der Zeit der DDR ren“. Bekannteste frühere
befand sich im Gröninger Nutzerin des Zentrums war
Bad die Bäder- und Physio- die Band „Tokio Hotel“. 2003
therapieabteilung der Po- trat sie hier noch unter dem
liklinik Südost. Nach der Namen „Devilish“ auf. Heute
Wende übergab die Stadt gibt es hier drei Veranstal1992 das Gebäude am Salb- tungsräume - der „Liveclub“
ker Platz an den Verein mit 200 Plätzen, der Saal mit
„aktion musik“. Es sollte ein 80 Plätzen und das Café mit
60 Plätze. Außerdem steht
eine Theaterbühne für freie
Theatergruppen zur Verfügung.
Großen Erfolg hatte von
Beginn an das 1913 eröffnete Augusta-Bad als zweigeschossige
„Dampfbad
Anstalt“ im Hinterhaus der
Halberstädter Straße 122.
Es war behaglich eingerichtet, mehrere Wannen waren
voneinander abgetrennt in
den Räumlichkeiten platziert. Der Schriftzug Augusta-Bad ziert noch heute
die Gebäudefassade. Ein
dort ansässiges Gesundheitszentrum hat den in
Sudenburg traditionsbehafteten Namen übernommen.
Den Hintergrund für die
Bezeichnung an der Fassade kennen immer weniger
Bewohner, selbst die in der
Halberstädter Straße.
Während im Gröninger Bad heutzutage viel Musik erklingt, hier ein Schnappschuss vom Kinderprojekt „Musik und Film“, ist ins Augusta-Bad eine
Physiotherapie eingezogen. Nur noch der Schriftzug erinnert an das populäre Dampfbad.
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Kein Dach über dem Kopf: Elbestädter in Not...
Wohnungsbau hatte Vorrang / Nur die wertvollsten alten Gebäude wurden gerettet
D
ie Schreckensbilanz am Ende des
verheerenden Zweiten Weltkrieges
war einmalig in der Geschichte
Magdeburgs: Von den 106.733 Wohnungen der einst als Metropole Mitteldeutschlands gerühmten Stadt waren
40.674 vollständig vernichtet, 34.000 teils
erheblich beschädigt. Fast 70 Prozent
des gesamten Wohnraumes sind somit
nicht mehr bewohnbar. 60.000 evakuierte Magdeburger in der Umgebung der
Stadt konnten erst einmal nicht in ihre
Heimatstadt zurückkehren. 190.000 sollen zeitweise obdachlos gewesen sein.
Die reguläre Einwohnerzahl ging auf
90.000 zurück – von einst 336.000.
Nach Kriegsende am 8. Mai 1945 stand zunächst die groߘ ächige Enttrümmerung
an der Tagesordnung.
Von Stein-auf-Stein
bis zur
Plattenbauweise
Parallel dazu musste unverzüglich
begonnen werden, Ersatz für den zerstörten Wohnraum zu schaffen. Schon
1946 wurde ein städtisches Neubauamt
gebildet. Mit den ersten neuen Ziegelbauten begann es ofÿ ziell 1951 am „Bärbogen“, und Anfang der 70er Jahre war die
Innenstadt im Wesentlichen so aufgebaut
worden, wie sie sich bis 1990 präsentierte.
1954 wurden die ersten Wohnungen in
den sogenannten „Stalinbauten“ (Architektur des so genannten Sozialistischen
Klassizismus) am Zentralen Platz bezogen. Der 12. September 1953 galt schon
vorher gleichfalls als ein Meilenstein:
Richtfest für den Neubaukomplex Neue
Neustadt. In der Schmidtstraße, Morgenstraße, Hamburger Straße und in der
Nachtweide entstanden die ersten Neubauten. Beim Wiederaufbau spiegelte sich
die gesamte Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus nach dem Krieg wider.
Begonnen wurde nach der althergebrachten Stein-auf-Stein-Methode, erste
Ziegelbauten entstanden, dann gab es
in der Neustadt oder an der Nordfront
die Großblock-Bauweise und schließlich
die Plattenbauweise mit geschosshohen
Wandplatten, die in den Neubaugebieten
am Stadtrand ihren Höhepunkt fanden.
Schon frühzeitig bedeutsam war der Genossenschaftliche Wohnungsbau, der in
Magdeburg bereits seit der Jahrhundertwende zur Blüte kam. Am 18. Juni 1954
gründete sich mit der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) „Karl Liebknecht“ die erste Wohnungsbaugenossenschaft nach dem Krieg. Es folgen die „AWG
Georgij Dimitroff“ und „ Karl-Marx“.
Genossenschaften
bauten viele
Wohnungen
1957 gab es in Magdeburg 14 Genossenschaften. Sie vollzogen unter den
herrschenden sozialistischen Bedingungen eine nicht immer gewollte Zentralisierung, später in den 1970er Jahren
begann die Phase der Gemeinnützigen
Wohnungsgenossenschaften (GWG). Bis
1989 waren in der Stadt nach Zusammenschlüssen von kleineren die GWG
„Frieden“ (Hauptsitz Klewitzstraße 14),
„Gartenstadt Kolonie Reform“ (Asternweg
1), „Heimstätten“ (F. Naumann-Straße 5),
„Südost“ (Alt Fermersleben 91) und „Süd“
(Paul-Schreiber-Straße 14) vertreten.
Außerdem gab es die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) „Ernst Thälmann“ (Schilfbreite 37), „Post-EnergieStarkstrom“ (Karl-Marx-Straße 6), „Otto
von Guericke“ (Stendaler Straße 8a) sowie
„7. Oktober“ (Peter-Paul-Straße 33).
Der Anteil genossenschaftlicher
Wohnungsneubauten erreichte über 50
Prozent im Vergleich zu den volkseigenen Wohnungsneubauten. Die „ArbeiterWohnungsbau-Genossenschaft“
des
Karl-Liebknecht-Werkes baute zwischen
1955 und 1956 südlich der Planetensiedlung die „Karl-Liebknecht-Siedlung“, eine
zweigeschossige Reihensiedlung mit etwa
360 Wohnungen. 1960 errichteten allein
die GWG Frieden, Aufbau und Heimstätten in der Jakobstraße insgesamt 500
Wohnungen, 1961 den Komplex Faßlochsberg. Die Genossenschaften legten trotz
komplizierter wirtschaftlicher Lage und
ruinösem Mietzins insbesondere vor 1970,
aber auch danach vielfältige Aktivitäten
zur Linderung der Wohnungsnot an den
Tag. Bis 1973 baute der volkseigene Wohnungsbau seinen Anteil auf 85 Prozent
aus. Die neuen großen Wohngebiete entstanden. Der genossenschaftliche Wohnungsbau spielte jedoch bis 1989 zwar
eine geringere, aber zuverlässige Rolle.
Wenn es sich zeitlich richtig gefügte,
dann lag bei manchen Familien die Zuweisung für die langersehnte Neubauwohnung auf dem Gabentisch unterm
Weihnachtsbaum. Dieses Papier hätte
sogar eine Trabi-Auslieferung getoppt.
Vor allem, wenn man in einer Bruchbude mit Toilette auf dem Flur oder gar
dem Plumpsklo auf dem Hof wohnte.
An Badewanne oder Dusche war da gar
nicht zu denken. Ab den 1970 Jahren
war Entspannung in Sicht – das Wohnungsbauprogramm als Zentrum der
Damals war eine groߘ ächige Enttrümmerung notwendig, da der Krieg die Innenstadt
nahezu ausgelöscht hatte.
Sozialpolitischen Maßnahmen von Partei und Regierung der DDR beschlossen.
Auch in Magdeburg ging es zügig voran.
Die Entwicklung der Neubaugebiete wur-
de von den Magdeburgern mit Spannung, und überall, in der Straßenbahn und am
wie ein Krimi der gerade aufgelegten Biertisch und natürlich in der Zeitung im
TV-Serie „Polizeiruf 110“, verfolgt. Insbe- Gespräch...
Weiter auf Seite 8.
sondere die „sechs Großen“ waren immer
8
... bis einige ihr Traumhaus selber bauten
Warum das Abenteuer Hausbau in den 70er Jahren gefährlicher als ein Testflug mit einer MIG gewesen sein soll
Weiter von Seite 7.
In der Schilfbreite hatte es schon früh
den stadtweiten Startschuss gegeben.
Schon um 1953 mit ersten Ziegelbauten
und 1966 bis 1977 hatten hier die Bauleute
das Sagen. Das Wohngebiet war auf 3.200
Wohnungen bemessen, bis 1989 hatten hier
um die 7.000 Menschen ein neues Zuhause
gefunden. Einbezogen wurde die Leipziger
Chaussee mit Straßenbahntrasse und den
sogenannten Zwischenbauten. Sie enthielten Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen, angefangen vom „Café Odett“
über Arztpraxen bis zur Buchhandlung
Rawolle. Es dominierten Fünf- und ZehnGeschosser sowie drei Hochhäuser mit 16
Etagen, Kindergärten, Jugendklub und
Schule. Das Wohngebiet, auf Gartenland
erbaut, galt als gut erschlossen, die Ziehharmonika-Kaufhalle gehört bis Mitte der
1970er-Jahre zum Alltag.
Elbstädter setzten
Hoffnung in sechs
Neubaugebiete
Reform war das zweite große Wohngebiet im Süden. Noch bis 1971 wurde hier
auf 60 Hektar der „Hundertmorgenbreite“
Landwirtschaft betrieben. 1972 wurde das
Wohngebiet Neu-Reform gestartet. Schon
1974 war es mit 5.000 Wohnungen in fünfbis zehngeschossigen Plattenbauten im
Wesentlichen fertiggestellt, der Komplex
bestach auch später durch sein Zentrum
Bauarbeiter auf den lagernden Platten für die Wohnbauten
an der Leipziger Straße im Wohngebiet Schilfbreite.
mit großer Gaststätte („Kosmos“) und vielen
konzentrierten Dienstleistern.
Am 15. Februar 1973 wurde der Grundstein für das Neubaugebiet MagdeburgNord am Westufer des Neustädter Sees
gelegt. Es soll mit rund 11.000 Wohnungen
der bis dahin größte Komplex werden.
Schon wenige Jahre später wurde der Kom-
plex, der vom Magdeburger Ring sowohl
erschlossen als auch durchschnitten wurde, in zwei Gebiete geteilt. Das östlich des
Rings gelegene Gebiet wurde Neustädter
See, das westlich der Tangente Kannenstieg
genannt. Bis 1983 wurden hier insgesamt
11.100 Wohnungen gebaut.
1977 begann der Bau des Neubaugebiets
Neustädter Feld. Bis 1983 entstanden hier
5.000 Wohnungen. Die bereits bestehende
kleine Einfamilienhaussiedlung In den
Meerwellen wurde vom Neubaugebiet umschlossen. Annähernd 20.000 Menschen
wohnten im Stadtteil.
Am 13. Februar 1981 schließlich war die
ofÿ zielle Grundsteinlegung für den Neubaukomplex Olvenstedt, dem bis heute
größten in Magdeburg. 14.000 Wohnungen
lautete damals die Zielstellung. Der letzte
und dritte Bauabschnitt wurde während
der Wendezeit fertiggestellt, so das Stadtteilzentrum Olven 1. Mit dem Bau Neu
Olvenstedts sollte auch die direkte Anbindung des eingemeindeten Dorfes Olvenstedt an die Bezirkshauptstadt erfolgen.
Allerdings hatten die alten Bewohner und
die neuen Anwohner bis Mitte der 1980er
Jahre mit fehlender Infrastruktur und
unausgebauten Straßen zu kämpfen. Ende
der achtziger Jahre jedoch hatte sich das
neue Stadtgebiet zu einem der modernsten
in der DDR gemausert. 1989 lebten etwa
30.000 Menschen in Neu Olvenstedt.
Nur wenige
wagten den Bau
eines Eigenheims
In Magdeburg wurden zwischen 1976
und 1980 genau 14.965 Neubauwohnungen
gebaut. In dieser Zahl versteckten sich
auch 488 Eigenheime. Keine berauschende
Größe, doch der Eingeweihte weiß: Der
Eigenheimbau zu DDR-Zeiten war ein
viel spannenderes Abenteuer als heute.
Ein gewisser Ralf Keul beschrieb das so: Ein
Hausbau sei für ungeübte Bauherren viel
gefährlicher als ein Test° ug mit einer MIG.
Denn der Testpilot weiß, was er da macht.
Dieser Ralf Keul übrigens ist der „Baulöwe“ aus dem DEFA-Film von 1980. Der hat
mit Magdeburg eine Menge zu tun. Denn
erstens wurde Keul vom berühmten Elbestädter Rolf Herricht verkörpert, der im
Film zahllose Schwierigkeiten als Bauherr
eines Eigenheims zu überwinden hatte.
Und zweitens lauerte auch in Magdeburg
Gefährdungspotenzial à la Ralf Keul.
Es erwischte jene, denen es wie Herricht/Keul an Erfahrung und handwerklichem Geschick und vor allem an Vitamin
B, also Beziehungen fehlte. Außerdem
an Westmark. Ohne all das war ein Haus
etwa so schwer hochzuziehen wie ein
Achttausender zu besteigen. Vor allem wegen des Mangels an Baustoffen aller Art.
Baumaterial war kontingentiert und musste somit aus allen nur möglichen Quellen
gezogen werden. Sehr oft heimlich aus den
volkseigenen Betrieben. Hin und wieder
half die Brigade. Manchmal nur für einen
Kasten Bier. Als Ende der 1970er Jahre der
Eigenheimbau für Kinderreiche forciert
wurde, wurde es den Betrieben zur Au° age
gemacht, mit Material zu helfen. Jetzt ganz
legal.
Da ergatterte der Kollege einen seit
Jahren lagernden nutzlosen Eisenträger,
den er gut für seinen Bau gebrauchen
konnte. Der Verband der gegenseitigen
Bauernhilfe (VdgB) war, warum auch immer, eine Quelle für Zement. Nicht nur
für die Gartenlaube. Ein Trabi mit Hänger,
schlicht „Klauÿ x“ genannt, war die „halbe Miete“ fürs Eigenheim. Damit konnte
man von den Dörfern, also von weit her,
Zement erstehen. Tauschware war dabei
gefragt: Spargel gegen Zement, Räucheraal
gegen Mauersteine. Man bot Fliesen und
suchte einen Türsturz. In den Zeitungen
blühte im Annoncenteil der Tauschmarkt.
Eigenheimbauer schlossen sich zu Zweckgemeinschaften zusammen: Da besorgte
einer eine Baumaschinen, damit man das
Fundament für die Garage ausheben konnte. Ein Bewohner aus dem Nahrstedter Weg,
an dem in den 1970er Jahren Flächen für
den Eigenheimbau freigegeben wurden,
gab zu Protokoll: „Das begann hier mit zwei
Meter hoch gewachsener Melde und anderem Bewuchs. Gemeinsam mit den Mitstreitern beim Bau der Häuserzeile haben
wir erst mal aus Colbitz einen Häcksler geholt und das Unkraut beseitigt. Irgendwer
hatte dorthin Beziehungen. Von solchen
Kontakten hing ja damals viel ab, ob es beim
Bau voranging oder nicht...“
Richtig fein raus war der, der über
Westgeld verfügte. Die harte Währung
öffnete überall Tür und Tor und der
Handwerker kam oft auch viel schneller als gewöhnlich. Herricht/Keul hatte
es nicht, obwohl er bekannter Künstler war. Zumindest im Film war dies so.
Man sollte unbedingt klarstellen: Natürlich überwog der Geschosswohnungsbau
zahlenmäßig haushoch auch in Magdeburg. Doch Eigenheimbau war nicht völlig
gestrichen. Gebaut wurde im Vergleich zu
den 1990er Jahren jedoch in bescheidenem
und leicht „steigendem Maße“: 1971 bis 1975
entstanden 342 Einfamilienhäuser, 1981 bis
1985 genau 377 Eigenheime. In Summe wurden zwischen 1971 und 1985 insgesamt 1.209
Häuschen errichtet – von unerfahrenen
„Baulöwen“ und von Vitamin-B-Trägern.
9
Der Stadtumbau ist in vollem Gange
Wohnungsbaugenossenschaften in der Innenstadt aktiv / verstärkter Rückbau
E
ine
Wohnungsbaugenossenschaft (WG) mit
eigener
„Sparkasse“
auf dem Alten Markt, auf der
heute von 3.000 Sparern 60
Millionen Einlagen liegen –
das sucht weithin in SachsenAnhalt seinesgleichen. Die
MWG-Wohnungsgenossenschaft Magdeburg hat damit
vor gut vier Jahren ein nicht
alltägliches Betätigungsfeld
eröffnet. Vor allem aber hat
sich diese Genossenschaft
mit ihrem alltäglichen Geschäft in Magdeburg Ansehen erworben. Von 1990 bis
heute hat sie rund 430 Millionen Euro in die Komplettsanierung des damaligen Bestands von 10.972 Wohnungen
investiert. Gegenwärtig stehen für sie an der Seite von
Hauptinvestor Wobau millionenschwere Bauaktivitäten
am südlichen Breiten Weg
zwischen Danzstraße, Keplerstraße und Leibnizstraße
auf der Tagesordnung.
Der Abriss der verschlissenen DDR-Bauten ist inzwischen praktisch abgeschlossen, ein modernes
Wohn- und GeschäftshausQuartier soll errichtet werden. Die MWG baut die Häuser Breiter Weg 261 und 262.
Außer Wohnungen sind auch
Gewerbeeinheiten im Untergeschoss entlang des Breiten
Weges vorgesehen. Auch ein
grüner Innenhof zur Leibnizstraße mit Pflanzwällen
ist angedacht. Der Komplex
soll den Breiten Weg weiter
beleben und die Leibnizstraße mit solider Bebauung als
„Tor zum Dom“ ausprägen.
Bemerkenswert ist auch die
Tatsache, dass hier mit der
WG „Otto von Guericke“
noch eine weitere Genossenschaft am Ball ist. „Wir werden auf den Grundstücken
Nummer 263 und 264 analog
zu Wobau und MWG bauen“,
sagte Vorstand Karin Grasse. Sie schätzt, dass zu Jah-
resende Baurecht bestehen
wird, 2016 könne es losgehen.
In Magdeburg ist der genossenschaftliche
Neubau
offensichtlich weiter im Aufwind. Allein die MWG hat in
der Vergangenheit rund 36,5
Millionen Euro in den Neubau von fast 300 Wohnungen
investiert. Die prosperierende GWG Reform errichtete
Häuser in der Regierungsstraße und hat dort unlängst einen großen Wohnund Geschäftskomplex mit
Parkgarage neu eröffnet.
In der Innenstadt war auch
die WG „Otto von Guericke“
schon vor Jahren mit dem
Neubau am Fürstenwall 18
aktiv.
Insgesamt gibt es zur Zeit
in der Landeshauptstadt acht
Wohnungsgenossenschaften
mit einen Gesamtbestand
von 35.000 Wohnungen und
rund 44.000 Mitgliedern. Vor
zwölf Jahren haben diese
einen
außergewöhnlichen
Schritt vollzogen: Sie bildeten
eine
Arbeitsgemeinschaft,
die den Genossenschaftsgedanken weiter vertiefen und
dem Wohnungsmarkt Alternativen mit sozialem Vorzeichen bieten will. Man trete
aber laut Karin Grasse auch
geschlossen bei Verhandlungen, wie derzeit mit den
SWM zur Wärmelieferung,
auf, um gute Konditionen für
die Mitglieder zu erzielen.
Theoretisch zwar Konkurrenten, arbeitet man zunehmend zusammen.
Auch der Rückbau
ist in Magdeburg
ein großes Thema
Vor wenigen Jahren wäre
überhaupt nicht daran zu
denken gewesen, dass unter
Umständen Neu-Olvenstedt
irgendwann den Rekordstatus von Ottersleben als
Eigenheimbaugebiet gefähr-
den könnte. Aber in Magdeburgs gewaltigster Neubausiedlung der 1980er Jahre
werden auch gegenwärtig an
allen Ecken und Kanten neue
Einfamilien-, Reihen- und
Doppelhäuser hochgezogen.
Auf Abrissflächen. Der Stadtumbau Ost greift vehement.
Zwischen Gersten- und
Weizengrund standen etwa
seit 1984 zahlreiche Plattenbauten. Bis vor wenigen Jahren zu viel Beton, erzählte
eine Spaziergängerin. Sie
bewohnt eine der Geschosswohnungen, profitiert von
dem Abriss. Hier sei jetzt viel
mehr Grün, und übrigens sei
es ruhiger als in manchem
Eigenheimgebiet, sagt sie
zufrieden. Wenige hundert
Meter entfernt wachsen auf
Abrissflächen mehrere Dutzend Eigenheime heran.
Meist sind die Grundstücke
noch in der individuellen Gestaltung.
An der St.-Josef-Straße
ist die räumliche Situation
etwas anders. An der einen
Seite der Straße stehen die
alten Mehrgeschosser, auf
der anderen, wo sich die
1986/1991 errichtete Katholische Pfarrei-Kirche befindet, wurden Eigenheime errichtet. An anderen Stellen
sind obere Geschosse von
Häusern abgetragen, der Bestand in Reihenhäuser umfunktioniert worden.
Die Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg (Wobau)
realisierte schon vor Jahren im Neustädter Feld in
der
Resewitzstraße
1-12
und der Othrichstraße 3544 den teilweisen Rückbau
von fünfgeschossigen Plattenbauten. Drei Etagen der
Plattenbauten vom Typ P2
wurden abgetragen, so dass
aus ehemals 220 Wohnungen
44 großzügig geschnittene
Wohnungen in Reihenhäusern entstanden sind. Die
durchschnittliche Wohnflä-
Der südliche Breite Weg konnte bis zur Danzstraße zunehmend belebt werden. Jetzt soll
schrittweise der Anschluss bis zum Hasselbachplatz durch neue Wohn- und Geschäftshäuser geschaffen werden. Die MWG hat dafür ganz genaue Vorstellungen.
che der neu entstandenen und 2013 wurden 67,2 MillioWohnungen beträgt 121 Qua- nen Euro als Fördermittel von
dratmeter.
Bund und Land bewilligt. Förderschwerpunkt ist mit 57,7
12.000 Wohnungen Prozent der Rückbau. WichErfolg der Strategie:
sind in letzten Jahren tiger
Die wirtschaftlich geradezu
abgerissen worden tödliche Leerstandsquote
sank bis 2013 um 8,3 Prozent.
In Magdeburg wird der 74.000 Wohnungen sind laut
Stadtumbau schon seit 2001 Angaben des Bauministerikonzeptionell betrieben. In ums in Sachsen-Anhalt mit
einem Programm sind seit- Hilfe des Förderprogramms
dem als Fördergebiete die „Stadtumbau Ost“ in den verAltstadt, Leipziger Straße, gangenen zwölf Jahren abgeNeu Olvenstedt, Neustadt, rissen worden. Die StadtverNeustädter Feld, Nord, Re- waltung Magdeburg verweist
form, Rothensee, Stadtfeld, auf insgesamt rund 12.000
Sudenburg, Südost sowie Wohnungen, die vor allem
mit Plattenbauten am StadtWerder/Cracau/Brückfeld
ausgewiesen. Zwischen 2002 rand abgetragen wurden.
10
Westtagente verhinderte Verkehrskollaps
Bau des Magdeburger Rings als größtes Straßenprojekt in der Geschichte Magdeburgs startete 1970
V
ermerkt ist es zwar nirgendwo so,
aber der Bau des Magdeburger Rings
dürfte das größte, in sich geschlossene innerstädtische Straßenbau-Projekt
in der Geschichte Magdeburgs gewesen
sein. Und das nicht nur der Ausdehnung
wegen – die je Richtung zweispurige
Umgehungsstraße ist über 14 Kilometer
lang – sondern auch wegen der zukunftsweisenden Strategie. Denn sicher ist: Die
Stadt würde ohne den Ring – auch Tangente, Westtangente, manchmal Stadtautobahn genannt – heute in der Auto˜ ut
ersticken. Verkehrskollaps hieß dafür das
Modewort zur Wendezeit und in den gesamten 1990er-Jahren.
Innenstadt sollte
durch vier Tangenten
entlastet werden
Das gigantische Projekt wurde zu DDRZeiten begonnen und im Wesentlichen
vollendet, in der Nachwendezeit jedoch
erheblich komplettiert. Schon Ende der
1960er Jahre hatte es in Magdeburg Überlegungen zur Neuordnung der akuten und
vor allem der zu erwartenden Autoströme gegeben. Es entstand ein Verkehrskonzept, das den Durchgangsverkehr an
vier Tangenten um die Innenstadt herum
führen sollte. Die Idee dafür wurde nach
der Deutschen Einheit wieder aufgelegt
und die Verwirklichung als City-Ring
forciert. Der Verkehr sollte auf vier Tangenten (unter anderem Schleinufer) um
die Innenstadt umgelenkt werden. Das
Gesamtvorhaben wurde und wird trotz
der viereckigen Form als „City-Ring“ bezeichnet.
Am stärksten ausgebaut von dem damals angedachten Tangenten-Projekt ist
die westliche Tangente, der Magdeburger Ring. Gestartet wurde sein Bau 1970.
Es handelte sich dabei um eine Aufgabe
aus der Direktive zum Fünf-Jahrplan
der DDR. Magdeburg bekam wie Schwerin (Obotritenring) ein gutes Stück vom
großen Kuchen ab. Leider nicht genug.
Gebaut wurde in mehreren Abschnitten, das erste Teilstück vom Norden der
Stadt aus bis in die Halberstädter Straße
wurde 1974 freigegeben. Komplett fertiggestellt mitsamt Autobahnanschluss
wurde die Tangente 1975. Zahlreiche
Gebäude und auch Gärten mussten
weichen. Die Sache hatte bei aller Freude einen Haken: Nach Bauende war die
Stadtautobahn noch nicht vollständig
kreuzungsfrei. Auch an der Mittagstraße und Lorenzweg/Münchenhofstraße
gab es noch Ampelkreuzungen, im Grunde undenkbar für eine Schnellstraße.
Es fehlten die Brückenbauwerke und
weitere Rampen, ganz einfach aus ÿ nanziellen Gründen, erinnerte sich Werner
Kaleschky, der damalige Chef der Stadtdirektion Straßenwesen, als Zeitzeuge in
einem Buch über den Magdeburger DDRAlltag. Der Straßenbauexperte hatte seine
größte beru˜ iche Herausforderung bis
zur politischen Wende mit der Wahrnehmung der städtischen Auftraggeberfunk-
tion beim Bau des Magdeburger Rings absolviert. Später wurde er Magdeburgs bis
dato erfolgreichster Baudezernent.
Übrigens wird in unterschiedlichen
Quellen zur Bezeichnung Magdeburger
Ring re˜ ektiert. Meist ist die Bezeichnung
„Ring“ von historischen Gegebenheiten
abgeleitet. Bereits im 19. Jahrhundert
nämlich existierte eine Ringstraße, quasi als frühe Ortsumgehung westlich der
Festungsanlagen. Die seit den 1970er
Jahren teils durch den Magdeburger
Ring (und Eisenbahnlinien) durchschnittenen alten Trassen tragen im Namen
noch immer die Endung ...ring, so der
Sachsenring, Adelheidring, Editharing,
Kaiser-Otto-ring und Hohenstaufenring.
Dass der Bau des Magdeburger Rings zu
DDR-Zeiten eher eine Zukunftsaufgabe
war, zeigt auch eine Statistik aus dem Jahr
1985. Nach dieser belief sich der Kfz-Bestand
im Magdeburg auf damals 53.000 Stück.
Heute passieren allein den Magdeburger
Ring täglich mindestens 70.000 Fahrzeuge.
Die Brücke an der Albert-Vater-Straße entsteht.
So sah der Bau des Magdeburger Rings in den 1970er Jahren im Norden aus. Als einer
der wichtigsten Protagonisten des Ringbaus dieser Zeit gilt Werner Kaleschky, damaliger
Chef der Stadtrektion Straßenwesen.
11
Mehr Sicherheit auf der Stadtautobahn
Bedeutendste innerstädtische Verkehrsader verfügt über 28 Auf- und 30 Abfahrten
D
ie um ein halbes Jahr
verspätete Eröffnung
der neuen Auffahrt
am Lemsdorfer Weg hatten
die Magdeburger wegen der
Vorteile bald verziehen. Seit
April dieses Jahres können
aus Richtung Norden kommende Autofahrer vom Ring
aus auf den Lemsdorfer Weg
abfahren, den direkten Weg
zu den Uniklinikums-Parkplätzen nehmen oder in die
Schilfbreite
weiterfahren.
Gleichfalls kann in Richtung
Süden aufgefahren werden.
1,7 Millionen Euro wurden
für das Projekt ausgegeben.
Herkömmliche
Stahlkonstruktionen
werden ersetzt
cherweise auch BrummiMautflüchter von den Autobahnen. Rund 70.000 Autos
rollen täglich über diese
Trasse vorbei an der Innenstadt.
An den nunmehr 16 Anschlüssen an den Innenstadtverkehr stehen genau
28 Auf- und 30 Abfahrten
zur Verfügung. Außerdem
gibt es im Ringverlauf zwölf
Brücken, davon sind fünf
Fußgänger- und Fahrradbrücken.
Mit dem Lemsdorfer Weg
wurde die vorerst letzte
Ringauffahrt gebaut. Für
eine jedoch gebe es technische Pläne. Sie soll an der
B1, etwa in Höhe des Baudezernats, entstehen. Dort
sollen Autos aus Olvenstedt
als Rechtsabbieger auf die
Schnellstraße in Richtung
Nord auffahren können.
Derzeit muss vor der Eisenbahnbrücke an der Ampel
noch links abgebogen werden, was den Verkehrsfluss
auf der B1 behindert. Ein
Bau dieserAuffahrt aber stehe in sehr weiter Ferne, betonte Gebhardt.
Im Verkehrskonzept führt
die „Westtangente“ kein Eigenleben. Sie ist vielmehr
leistungsfähigster Bestandteil des kompletten CityRings als wichtigstes Element der innerstädtischen
Infrastruktur. Die weiteren
Tangenten sind City-Ring Der Ring im Norden mit Beton-Mittelstreifen. Für den
Nord
(Walther-Rathenau- Ausbau und Erhalt der Schnellstraße ist Tiefbauamtschef
Straße B1), City-Ring Ost Thorsten Gebhardt mit seinen Mitarbeitern zuständig.
(Schleinufer,
Steubenallee) und City-Ring Süd (Am
Fuchsberg).
Viele Jahre hat es gedauert, bis das erforderliche
(Förder-)Geld für den nunmehr
16.
Ringanschluss
zur Verfügung stand. Tiefbauamtsleiter
Thorsten
Gebhardt erklärte, dass an
markanten Stellen weiter
saniert oder modernisiert
werde. Das betrifft den Bereich auf der Damaschkeplatzbrücke im nächsten
Jahr. Die laufende Instandhaltung nehme gleichfalls
einen wichtigen Platz ein.
Ab 2019, nach Abschluss
großer Projekte wie CityTunnel und Strombrückenverlängerung, ist die Fahrbahnerneuerung ab Damaschkeplatz bis zur Wiener
Straße vorgesehen.
In jüngster Zeit wurde
vor allem im Norden neuer
Schutz aus Beton auf den
Mittelstreifen installiert. Der
Betonaufbau ersetzt die fili- Mit der Westtangente eng verknüpft ist das Schleinufer. Es
graneren Stahlplanken, er ist Bestandteil des City-Rings.
ist für Ästheten gelinde gesagt „gewöhnungsbedürftig“.
Laut Gebhardt aber sei das
so auf Schnellstraßen vorgeschrieben, wenn der Mittelstreifen eine bestimmte
Breite unterschreitet. Das
ist beim Ring der Fall. Die
neuen Vorrichtungen sollen
wirksamer sein, mehr Sicherheit bringen. Gebhardt
kündigte
weiteren
Austausch der Stahlplanken an.
Allerdings nur dann, wenn
Strecken grundhaft ausgebaut werden, ansonsten
haben die alten Bestandsschutz.
In weiter Zukunft
ist eine weitere
Auffahrt geplant
Der 1975 fertiggestellte
Magdeburger Ring nimmt
bei durchgehendem Tempo
80 neben dem innerstädtischen auch den überörtlichen Durchgangsverkehr
auf, darunter bedauerli-
12
Blick auf das damalige Schlachthofgelände vor dem Zweiten Weltkrieg.
Dank Preußen-Erlass zum zentralen Schlachthof
Warum das Jahrhundert-Bauensemble an der heutigen Liebknechtstraße entstand
D
ass er hier einen Jahrhundertbau
erweitert, das hatte der angesehene
Stadtbaurat Johannes Göderitz wohl
in kühnsten Träumen nicht vermutet, als
er 1926 die bereits bestehende Betriebsstätte vergrößern ließ. Erweitert allerdings
wurde aus guten Grund: Die im Jahr 1893
eröffnete Anlage im Bereich der heutigen
Liebknechtstraße 35 konnte nicht den Bedarf der zahlenmäßig weiter gewachsenen
Bevölkerung Magdeburgs erfüllen. Immerhin: 1925 lebten laut ofÿ zieller Statistik
schon 293.959 Männer und Frauen in der
Stadt.
Der bereits vor der Jahrhundertwende
eingerichtete Zentrale Schlachthof war,
was heute weniger bekannt ist, hygienischen Umständen geschuldet. Bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts nämlich wurde
in Magdeburg intensiv die Hausschlach-
tung betrieben. Wegen der problematischen hygienischen Verhältnisse hatte
die Verwaltung bereits 1863 die Errichtung
eines städtischen Schlachthofes ins Auge
gefasst. Der verminderte Raum in der
durch den Festungsgürtel eingeschnürten
Altstadt erschwerte die Suche nach einem
geeigneten Standort. Die preußischen
Schlachthausgesetze und die Erlasse von
1868 und 1881 forcierten das auf Eis gelegte Vorhaben. Schlachthauszwang war
nun per Gesetz angesagt. Da auch noch die
Rayonsbestimmungen der Festung, die nur
leichte Bauten zuließen, gelockert wurden,
wurde für den Bau des Schlachthofes ein elf
Hektar großes städtisches Grundstück vor
den Festungsanlagen ausgewählt.
Baubeginn war 1889, die Pläne hatten
Stadtbaurat Otto Peters und Stadtbauinspektor Reinhard Beer vorgelegt. Eröff-
net wurde am 29. Mai 1893. Dieser Zentrale
Schlachthof bestand, teils zwar unter
einem anderen Namen, bis in die 1990er
Jahre, also rund 100 Jahre.
Schweineÿ lets gab
es nur unter dem
Ladentisch
Zu DDR-Zeiten war der Schlachthof in
der Liebknechtstraße 35 einer der wichtigsten Faktoren für die Versorgung der
Bevölkerung mit Fleisch- und Wurstwaren.
Es war längst volkseigen geworden, ÿ rmierte als VEB, später Fleischkombinat mit
Stammbetrieb in der Liebknechtstraße. Die
Exportabteilung Lebendvieh befand sich
am Torplatz 2. Das Kombinat versorgte
teils auch Produktionsgenossenschaften
des Fleischerhandwerks mit Rohmaterial.
Einen Industrieladen in Magdeburg unterhielt der „Schlachthof“ am Alten Markt 2.
Die Fleischversorgung war zwischen 1949
und 1989 durch Engpässe immer wieder
gestört. Besonderheiten wie Schweineÿ lets
gab es nur unterm Ladentisch. Trotzdem
wurde Fleisch auch aus Magdeburg in die
Bundesrepublik zwecks Devisenbeschaffung geliefert.
Das großzügige Bauensemble wurde
aufgrund fehlender Baukapazitätenmit
mit der Zeit zusehends marode. In der
Gründungsphase hatte es im Wesentlichen aus soliden gelben Ziegelbauten
mit Stahldachkonstruktionen und dezent
historisierenden Fassaden bestanden. Göderitz schuf dann ab 1926 Gebäude, die dem
modernen und für Magdeburg typischen
Neuen Bauen mit den entsprechenden Formen und Materialien entsprachen. Dazu
gehörte auch Stahlbeton. Es entstanden
diverse Anbauten, ein Kohlebunker und
Beamtenwohnhäuser in der Schlachthofstraße sowie ein Kühlhaus. Von den
soliden Bauten zehrten alle Nachfolger,
auch der damalige VEB. Nach Einstellung
des Schlachtbetriebs nach der politischen
Wende, als die Konkurrenz der alten Länder den Schlachthofbetrieb uneffektiv
machte, wurden Gebäude zunächst an
neue Nutzer vermietet. Später wurde das
Gesamtensemble überplant, ein moderner
Einkaufs- und Gewerbekomplex entstand.
Mastvieh-Ausstellung auf dem Schlachthof: Von diesem Ereignis schickte man auch mal
eine Postkarte.
13
Alte Gebäude werden „schick hergerichtet“
Kita und Wohnungen: Wie ein 100-jähriger Komplex weiter belebt werden soll
B
ei der weiteren Bebauung des Schlachthofareals
zwischen
Liebknechtstraße und „Kaufland“ ist offenbar Einigung
erzielt worden. Wie Jürgen
Canehl von der Bürgerinitiative Stadtfeld erklärte, habe
man bisherige Bedenken ad
acta gelegt, weil Investor Saller Gewerbebau aus Weimar
statt großflächigem Handel
nun lediglich reduziert Gewerbe ansiedeln wird. Absoluter Schwerpunkt auf der
rund 40.000 Quadratmeter
großen Fläche sei der Wohnungsbau, bestätigte SallerProjektleiter Andreas Barth
auf Nachfrage. Er gab zudem
Details der neuen Planung
bekannt. Insgesamt soll eine
zweistellige Millionensumme
investiert werden.
In 17 ansprechend gestalteten neu zu bauenden Häusern sollen 130 Wohnungen
entstehen. Außerdem sind in
einem weiteren Komplex bis
zu 150 sogenannte ServiceWohnungen vorgesehen, in
denen „betreutes Wohnen“
möglich ist. Dem Projektleiter zufolge sollen auch
die
„denkmalgeschützten
Objekte saniert und schick
hergerichtet“ werden. In der
Derzeit wird in der Schlachthofstraße auch Der Kau˜ and-Bereich stellte eine Initialwieder ˜ eißig gebaut.
zündung für die Belebung des Geländes dar.
ehemaligen Viehbörse ist
eine Kita, im Rinder-Etagenstall ist Gewerbe geplant.
Hintergrund: 2011 und 2013
hatte es Streit um den alten
Schlachthof gegeben, weil
neben Wohnungen großflächig auch Handel und Dienstleistungen etabliert werden
sollten. Die Bürgerinitiative
hatte
Existenzschwierigkeiten für die traditionellen
Einkaufsstätten an der Großen Diesdorfer gesehen. Die
Bedenken sind jetzt ausgeräumt, hieß es von beiden
Seiten.
Bei der Neuentwicklung
des 1990 stillgelegten 100
Jahre alten
Schlachthofkomplex hatte es zeitweilig
Stillstand gegeben. Einige
Gebäude wurden nach der
Wende an neue Nutzer vermietet. Andere Komplexe
verfielen. „Der seit 1999
rechtsverbindliche
Bebauungsplan setzt fünf- bis sechsgeschossigen Wohnungsbau
sowie gewerbliche Nutzung
fest“, erklärt Rathaus-Pressesprecher Michael Reif.
Nach einem Gesamtkonzept
einer Münchener Projektie-
rungsgesellschaft zusammen
mit der Stadt wurden Ende
der 1990er Jahre auch das
alte Labor und das Verwaltungsgebäude zu modernen
Büros, die Schweineställe zu
Werkstätten umgestaltet. Die
nachfolgende
Ansiedlung
von „Kaufland“ (2004) in der
einstigen
Schweinemarkthalle, ermöglicht durch eine
B-Planänderung, belebte das
Gebiet stark.
An der Straßenfront Liebknechtstraße
waren
zunächst Wohnraumausstatter
etabliert. Sie gaben wegen zu
geringem Absatz auf. Danach
zog ein Bio-Lebensmittel-Anbieter ein.
Jetzt ist Bewegung in
die
Neuentwicklung
des
Schlachthofes
gekommen.
Ein weiterer Investor, die
Magdeburger
ImmoCap
Fonds GmbH, lässt ein erstes
von insgesamt fünf Appartementhäusern an den Glacisanlagen an der Schlachthofstraße errichten. Hier
standen einst die Kühlhäuser. Sie brannten 1998 ab.
Die Rauchentwicklung war
damals so groß, dass sich angrenzende Gebiete verdunkelten.
Die Weimarer GmbH indes hat für sein Eingangs beschriebenes Großprojekt positive Signale von der Stadt
erhalten. Sie will starten,
sobald es grünes Licht gibt.
Außerdem wird laut Michael Reif derzeit noch für eine
Fläche östlich der WilhelmKobelt-Straße der B-Plan geändert, um Baurecht für Wohnungen sowie für Gewerbe
entlang der Liebknechtstraße zu schaffen. Außerdem
liegen für weitere Flächen
Anträge zur Einleitung von
B-Planverfahren vor, hieß es
aus dem Rathaus.
14
Von Dürkop-Ungeheuer und Fisch im Maul
Die Eingemeindung des größten Dorfes Deutschlands brachte bessere Verkehrsanbindung und Wasserversorgung
N
icht nur der Fisch im Maul des Otters
im Gemeindewappen macht schon
immer die Besonderheit des Ortes
aus. Ende des 19. Jahrhundert schmückte
sich Ottersleben mit dem Attribut „größtes
Dorf Deutschlands“. Zu Magdeburg hatte es
immer eine besondere Afÿ nität. 937 nämlich
schenkte Kaiser Otto I. dem Magdeburger
Mauritiuskloster unter anderem die Dörfer
Liemuntesdorf (Lemsdorf) und Otteresleba
samt 100 höriger Familien. Diese seit Urzeiten bestehende Zusammengehörigkeit
wurde sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Eingemeindung der Großgemeinde nach Magdeburg zementiert.
Schon lange war dieser Schritt mit der
dynamischen Industrialisierung Magdeburgs herangereift. 1910 fuhren oder
gingen zirka 2.000 Industriearbeiter von
Ottersleben zur Arbeit nach Magdeburg.
Die drei Dörfer Groß-Ottersleben, KleinOttersleben und Benneckenbeck, die seit
1921 eine Gemeinde bildeten, zählten zu
dieser Zeit insgesamt zirka 10.000 Einwohner, heißt es in der Ottersleber Chronik.
Am 25. Juli 1952 schließlich wurde GroßOttersleben mit damals 15.683 Einwohnern in die Stadt Magdeburg als neuer
Stadtteil Südwest eingegliedert. Ob das
damals mit wehenden Fahnen geschah, ist
in den amtlichen Unterlagen nicht extra
vermerkt. Fakt aber ist, dass halb Otters-
Früher hatte Ottersleben eine eigene Zeitung.
leben auf den Beinen war, als am 25. Oktober 1953 die modernste O-Bus-Linie der
DDR eingeweiht wurde. Der Eichplatz als
Haltepunkt war mit Fahnen geschmückt.
Waren die Ottersleber in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts meist noch zu Fuß oder
per Rad nach Magdeburg gepilgert, hatten
das Pferd gesattelt, den Pferdeomnibus
genommen und vor dem 1. Weltkrieg auch
schon malden Dürkop-Autobus bestiegen,
so stand ihnen nunmehr wieder eine zeitgemäße Verkehrsverbindung zur Verfügung.
Im O-Bus, der stadtweit bis 1970 sein
verkehrliches Zwischenspiel auch zur
Zufriedenheit der Ottersleber führte
und Magdeburg und Ottersleben wei-
ter zusammenwachsen ließ, sollen die
alten Ottersleber noch über den Dürkop-Autobus gescherzt haben. Das eisenbereifte Gefährt war lärmend unter
anderem durch Frankefelde über das Kopfsteinp° aster gedonnert und ließ manches
Haus in seinen Grundfesten erschüttern.
Zu den weiteren Vorteilen der Eingemeindung gehörte der Anschluss an die Magdeburger Wasserversorgung.
Das Hünengrab Ottersleben zählte zu
den Naturdenkmalen, wofür sich auch die
Alt-Magdeburger interessierten. Das Großsteingrab war schon in vergangenen Jahrhunderten weitestgehend zerstört worden,
für den Bordsteinbau im Dorf. Einzig ein
Steinbeil blieb erhalten und beÿ ndet sich
jetzt im Museum. Das Hünengrab war stets
Schafweide (Anger), wurde aber im 20. Jahrhundert im Westteil ackerbaulich genutzt.
Im Zweiten Weltkrieg war auf dem Hügel
eine Flakbatterie stationiert. Dabei fanden
viele Jugendliche den Tod, die zum Kriegsende die vorrückenden Amerikaner noch
aufhalten sollten. Nach dem Krieg wurde
das Hünengrab zu einer „wilden Müllkippe“.
1971 entrümpelten Mitglieder der Jagdgesellschaft Magdeburg-Südwest, einige
Naturschutzhelfer und Imker das Gelände
und gestalteten es in den folgenden Jahren
zu einem Feldgehölz um, so dass der Hügel
heute kaum noch zu erkennen ist.
Ab 1953 fuhr der O-Bus als Stromabnehmer.
15
(Liebes-)Lied über den Stadtteil Ottersleben
Südwest präsentiert sich heute sehr selbstbewusst mit solider Infrastruktur
K
aum ein Stadtteil Magdeburgs hat bis heute
so viel Zuwachs an Bewohnern erzielt wie Ottersleben, zu DDR-Zeiten Stadtteil Südwest. Die Statistik
weist das mit nüchternen
Zahlen so aus: „Heute leben
hier auf einer Fläche von
16,5292 Quadratkilometern
10.542 Menschen. Das ist der
Stand vom 31. Dezember
2014 und stellte eine wesentliche Erhöhung zu früheren
Zeiten (DDR-Zeit, Beginn
der 1990er Jahre) dar.“
Als wichtigste Ursache
werden von amtlicher Seite die entstandenen neuen
Eigenheimsiedlungen
genannt. Dazu zählen Sonnenanger, Frankefelde, Auf den
Höhen, der Bereich nahe
St. Maria Hilf, Birnengarten
sowie Neubaustandorte als
Lückenschluss im Inneren.
Die Stadtplanung hatte hier
gezielt eingewirkt, um vergleichsweise preisgünstige
Siedlungsplätzen für bauwillige Magdeburger zu schaffen und so dem enormen
Abwanderungstrend in der
Zeit nach der Wende entgegenzuwirken.
Wer glaubt, dass hier der
Bauboom vorbei ist, der hat
sich offenbar getäuscht. An
der Königstraße Richtung
Börde Park beispielsweise wächst jetzt ein weiteres
neues Eigenheimgebiet heran. 18 moderne Häuser im
Baustil der 2010 Jahre sind
im Entstehen. Das Baugebiet, das noch weiter erschlossen wird, ist eine einstige Pferdekoppel der LPG.
Der Run auf den Stadtteil
hat nicht nur mit seiner Lage
und seinem teils erhaltenen
dörflichen Charakters zu
tun, sondern auch mit seiner infrastrukturellen Entwicklung. Die Straßen sind
heute in teils sehr gutem
Zustand, mit Abstrichen im
Inneren. Der Magdeburger
Ring und die A14 befinden
sich in der Nähe, die Handels- und Gewerbeeinrichtungen im Siemensring,
kleinere Firmen im Inneren
bis hin zum Computerladen
an der Ecke Schäferstraße
bieten Service. Leider hat
der aus Altersgründen geschlossene
Blumenladen
am Eichplatz noch keinen
Nachfolger gefunden. In und
um Ottersleben haben sich
Arztpraxen niedergelassen,
vom
Allgemeinmediziner
über Internisten und HNOArzt. Zwei Apotheken gibt es
an der Halberstädter Straße,
eine Sparkasse, Lebensmitteldiscounter; und an der
fließenden Stadtteilgrenze
zu Sudenburg hat sich mit
Kaufland ein großer Supermarkt etabliert, neuerdings
auch die Filiale einer Drogeriekette. Nicht weit ist es
zudem zum Börde Park mit
den zahlreichen Geschäften. Zum fünf Kilometer ent-
In Ottersleben sind zahlreiche neue Wohnsiedlung entstanden, beispielsweise Birnengarten (oben) und Auf den Höhen.
fernten Stadtzentrum und
in die belebte Halberstädter
Straße fahren Straßenbahn
und Bus.
Ottersleben hat außerdem eine solide und funktionierende gesellschaftliche
Infrastruktur. Der Heimatverein erinnert an die Traditionen und organisiert
Heimatfeste. Der Verein
„Bürger für Ottersleben“
mischt sich erfolgreich ein in
die öffentlichen Belange. Auf
sein Konto kommen unter
anderem die Ortsumgehung
zur Deponie Hängelsberge,
die Umgestaltung des Eichplatzes sowie die Errichtung
eines
heimatkundlichen
Rundwegs.
Übrigens hat Ottersleben
sogar ein eigenes Stadtteillied. Schöpferin Alma Weimann drückt allein in den
nachfolgenden zwei von
insgesamt sechs Strophen
liebenswürdig aus, was immer mehr Ottersleber über
ihren Stadtteil denken.
Kindergarten 1, 2, 3; Kinderkrippe gleich dabei.
Kinder könn’ zur Schule
gehen - hier bei uns in
Ottersleben.
Fleischerei und Bäckerladen; Lebensmittel leicht zu
haben. Handwerk, Autos,
Landwirtschaft - hier wird
wirklich was geschafft.
16
Sogar Hollands Gärtner kamen in die Glashäuser
VEG Gewächshausanlagen Nord war bis 1989 hochmoderner Betrieb und wurde trotzdem abgewickelt
F
olgende Nachricht aus Magdeburg
war dem „Neuen Deutschland“ vom
5. Januar 1985 sogar ein Platz auf
Seite 1 wert: Mit dem Ausbringen junger
Salatp˜ anzen begannen in dieser Woche
die Gärtnerinnen im VEG Gewächshausanlagen Magdeburg-Nord. Vier Glashäuser
von insgesamt 46 am Rande der Elbestadt
sollen in den kommenden Tagen mit rund
200.000 P˜ anzen bestellt werden. Erntebeginn für das Gemüse ist Mitte März.
Im Jahr 1985 war der VEG Gewächshausanlagen an der Lerchenwuhne in seine
wirtschaftliche Blütezeit gelangt. Um die
46 beheizten Glashäuser kümmerten sich
professionell insgesamt über 300 Mitarbeiter – von der Aussaat beziehungsweise
Bep˜ anzung bis zur Ernte. Fast 100 davon
waren Lehrlinge, sagt der Elbestädter
Norbert Zalewski (67). Er gehört zu jenen
Mitarbeitern, die nach der Wende bis zum Damals vor der Wende: Arbeiten in den Gewächshäusern
bitteren Ende im großen Gartenbaubetrieb in Nord.
verblieben waren.
dernen Ausstattung“, versichert Garten- wurden“, berichtet der Gartenbauexperte.
bauingenieur Zaleweski, und glaubt sicher: Die für damalige Begriffe gewaltige Anlage
Tomaten und
„Dem Konkurrenzdruck wären wir gewach- war Ende der 1970 beziehungsweise Anfang
Gurken und die
sen gewesen. Zwar nicht mehr mit 300, der 1980 konzipiert, gebaut und kompletneue Konkurrenz aber mit 50 bis 60 Mitarbeitern allemal.“ tiert worden die größte im gesamten BeEs war in den 1980er-Jahren kennzeich- zirk Magdeburg. Sie nahm komplett jene
Dass die Häuser dicht gemacht wurden, nend und geradezu sensationell, dass Fläche ein, auf der heute gleichfalls ein mit
war für Zalewski und viele seiner Kollegen die im Gewächshausanbau gewieften Superlativen versehenes Gebäude steht: der
damals Folge eine verfehlte Treuhandpo- Holländer nach Magdeburg kamen und Einkaufskomplex Flora-Park, größter in
litik. Zwar habe die Konkurrenz aus den sich über die Anbaumethoden in den Sachsen-Anhalt, einer der ausgedehntesten
alten Bundesländern und den Nachbar- Glashäusern informiert hatten. „Wir in ganz Deutschland.
ländern wie Holland oder Spanien schon hatten damals Tomaten und Gurken auf Die 46 Glashäuser in Nord, damals
in den Startlöchern gestanden, „aber wir speziellen Substratmatten herangezo- einmalig zwischen Arendsee und Zerbst,
hatten eine Anlage mit einer hochmo- gen, womit bedeutende Erfolge erzielt galten als zuverlässiger Garant für die Ver-
Norbert Zalewski, bis nach der Wende Mitarbeiter in den
Gewächshäusern, hat das Gelände skizziert.
sorgung. Wenngleich das Angebot in Magdeburger Geschäften zu wünschen übrig
ließen. Angebaut wurde hauptsächlich
Gemüse, vor allem Gurken, Tomaten und
Paprika, vieles davon ging nach Berlin. Des
Weiteren zog die Belegschaft Schnittblumen wie Nelken und Chrysanthemen heran. Fast eine Million Gemüsejungp˜ anzen
wurden außerdem pro Saison kultiviert,
für den Eigenanbau und für andere Einrichtungen bis hin nach Berlin.
Zaleweski bedauert die Entwicklung.
Der Gemüseanbau nach „Magdeburger Art“
wurde sogar patentiert. Im öffentlichen
Patentregister vom 14. August 1991 sein ein
Verfahren und eine Anlage zur Aufbereitung von Mineralwollematten angegeben.
Als Inhaber wird das VEG Gewächshausanlage Magdeburg Nord, 39124 Magdeburg,
genannt, als Erÿ nder Berthold Danker. Zu
dem Zeitpunkt hatte sich Norbert Zalewski
bereits selbstständig gemacht und betrieb
eine Friedhofsgärtnerei. Heute ist er im Ruhestand, ist unter anderem ehrenamtlicher
Vorsitzender im Berufsverband. In den
Flora-Park geht er gern einkaufen. Trotzdem befällt ihn dabei immer ein bisschen
Wehmut.
Kauf- statt Gewächshaus
Einkaufszentrum Flora-Park wird modernisiert
W
o noch bis in die frühen 1990er Jahre
die 46 großzügigen
Anlagen des VEG Gewächshausanlagen
MagdeburgNord standen und unter
Glas begehrtes und zu DDRZeiten äußerst rares Frühgemüse herangezogen wurde,
erinnert nichts mehr an diesen Zweck. Nur Eingeweihte
wissen noch, dass der Spargelhof in der Nähe, das Gebäude mit der AutoscheibenReparaturwerkstatt
sowie
weitere, teils marode Häuser und Grundstücke an der
Straße einst als Wirtschaftsgebäude zum Gewächshausbetrieb gehörten.
Auf dem Gelände eben
dieses nach der Wende abgewickelten VEG Gewächshausanlagen-Nord befindet
sich der Flora-Park Magdeburg. Unübersehbar. Mit
rund 79.000 Quadratmeter ist er das flächengrößte
überdachte Shoppingcenter
Sachsen-Anhalts.
Jährlich
besuchen rund fünf Millionen Besucher den Einkaufspark. Trotz Umbaus im
laufenden Betrieb haben 60
Fachgeschäfte, Bistros, Cafés
und Dienstleister weiterhin
geöffnet. Nach dem Umbau
sollen es wieder über 90 Geschäfte aus unterschiedlichsten Branchen sein.
Laut einem VolksstimmeBericht vom 16. März 2015
werden 25 Millionen Euro
investiert. Der Bauausschuss
des Stadtrats hat das Vorhaben bestätigt. Demnach
werden
dem
Flora-Park
insgesamt 24.000 Quadratmeter „Zentren relevanter
Einzelhandel“ zugestanden,
jedoch nicht mehr, um dem
Innenstadthandel nicht zu
schaden. Genehmigt wurde,
innerhalb dieser Begrenzung
die Warengruppe „Schuhe,
Bekleidung und Zubehör“
um 1.486 Quadratmeter zu
erweitern.
Centermanager Toni Pérez
Morell zu den Umbaumaßnahmen: Inzwischen sei der
Abriss und Umbau einer Teilfläche des ehemaligen Baumarktes am nördlichen Eingang in vollem Gange. Toom
hatte sich von diesem Standort zurückgezogen. Auf der
Fläche des ehemaligen Wintergartens für Zimmerpflanzen werde Aldi etabliert,
erklärte er. Bis Herbst soll
der Bau in diesem Bereich
abgeschlossen sein. Während
der gegenwärtigen Bauphase ist der Zugang auch von
diesem Eingangsbereich aus
möglich. „Die 3.000 kostenlosen Parkplatzflächen sind
von den gegenwärtigen Umbauten im Inneren des Centers nicht betroffen“, betonte
der Centermanager.
In der Mall selbst in Richtung Medimax und Spielwarenanbieter Toys“R“Us wird
hinter Staubschutzwänden
ebenfalls fleißig gearbeitet.
„Hier werden im Bereich
des ehemaligen Baumarktes
kleinere Ladenflächen für
die neuen Mieter entstehen“,
sagt Pérez Morell. Außerdem solle ein für Magdeburg
neues
Einzelhandelskonzept für Top-Marken und
Designermode
umgesetzt
werden. Geplant sei zudem,
Accessoires und Schuhe sowie Wohn-Accessoires mit
bis zu 60 Prozent Rabatt anzubieten.
Insgesamt wird es beim
„bunten Mix“ an Warenangeboten bleiben, dies versprechen aushängende Informationen des Hauses. Der erste
Bauabschnitt soll bis Jahresende abgeschlossen werden.
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Nur die Pioniereisenbahn fehlte zum Glück
Aus dem Gesellschaftshaus im Klosterbergegarten wurde 1950 das erste Haus der Pioniere in Sachsen-Anhalt
D
as Gesellschaftshaus im Klosterbergegarten, dem ersten Volkspark
Deutschlands, hat auch eine wechselvolle jüngere Geschichte. Nach 1945
wurde es zunächst als Ofÿ zierskasino der
sowjetischen Armee genutzt. 1949 übernahm das Ministerium für Volksbildung
der DDR das Gebäude. Warum dies, rätselten seinerzeit Verantwortliche. Das „Neue
Deutschland“, Zentralorgan des ZK der SED,
„enthüllte“ am 3. Dezember 1949: Als Haus
der Jungen Pioniere wird jetzt das weitläuÿ ge Gebäude des Klosterbergegartens in
Magdeburg ausgebaut. Die Stadtverordneten bewilligten einen Betrag von 180.000
DM für die Umbauten und die Ausstattung
dieses Hauses, das in Sachsen-Anhalt das
erste Pionierhaus sein wird“. DM übrigens
hieß die damalige Währung in der gerade
gegründeten DDR (7.Oktober 1949).
Die Zentrale in Berlin hatte seine besonderen Pläne nach dem Motto „Paläste
den Kindern“ gestrickt und damit zugleich
einen wirksamen propagandistischen
Schachzug getätigt. In anderen Städten
waren enteignete Gebäude gleichfalls in
Pionierhäuser umfunktioniert worden.
In Haldensleben, so erinnert sich ein
Magdeburger, der dort auf Stippvisite bei
Verwandten war, hatte eine große Villa als
Domizil der Pionierorganisation gedient.
Dorthin ging es, mit dem blauen Halstuch
geschmückt, voller Erwartungen. Man
wurde kaum einmal enttäuscht. Dort
hatten viele ihre erste Begegnung mit
Meister Nadelöhr im Fernseher, der einen
Bildschirm in Postkartengröße besaß.
Im Magdeburger Haus und im Park gab
es das auch, es konnte getobt werden. Jedoch hatte es noch sechs Monate von der
Ankündigung in der Zeitung im Jahr 1949
bis zur Eröffnung des Pionierhauses in
Magdeburg gedauert: Am 1. Juni 1950 wurde das Schinkelsche Gesellschaftshaus neu
eingeweiht.
Kinder im Sinne
der sozialistischen
Ideologie erziehen
Zum Verständnis: Die Pionierorganisation wurde am 13. Dezember 1948 als sozialistische Massenorganisation für Kinder
der Klassenstufen 1 bis 7 gegründet. Seit
1952 trug sie den Namen „Ernst Thälmann“.
Das Ziel bestand darin, die Kinder im Sinne
der sozialistischen Ideologie zu erziehen.
Die „Gebote der Jungponiere“ waren auf
kollektive Treue zum Arbeiterstaat gerich-
tet, enthielten auch allgemeine humanistische Grundsätze: die Eltern zu lieben,
° eißig und ordentlich zu lernen, einander
zu helfen. Übrigens auch, den Körper sauber zu halten. Eltern, die in Konfrontation
zum Staat standen, sahen das natürlich
von einer anderen Warte.
Das Magdeburger Pionierhaus war
dennoch bei vielen Kindern durchaus beliebt. Sie besuchten dort die zahlreichen
Arbeitsgemeinschaften. Vielen Dingen
konnte in den AG nachgegangen werden,
wovon man in der Straße, in der man
wohnte, nicht mal träumen konnte. Lediglich die strikte Disziplin, die von den
Elbröwern hier manchmal abverlangt
wurde, schmälerte die Freude mitunter
erheblich. Bald stand der gesamte Park
im Zeichen der Kinderorganisation: Dieser wurde in Pionierpark umbenannt,
ein großes Transparent hing am Eingang.
Im Jahr 1966 wurde sogar ein Verkehrsgarten angelegt. Seit 1971 trug das Pionierhaus
den Namen „Hermann Matern“. Die Pioniereisenbahn jedoch, die allem noch die
Krone aufgesetzt hätte, fuhr in den Park
mit dem Pionierhaus nicht. Man hatte
wohl daran gedacht, sie hier zu etablieren.
Aber dafür reichte der Platz nicht aus. Die Der Name Hermann Matern wurde dem Pionierhaus 1971
Bahn zuckelte durch den Rotehornpark. verliehen.
Hier liegt heute viel mehr „Musike drin“
Domizil für Telemann-Zentrum und Räume für Konzerte und Familienfeiern
A
ls 2005 nach abgeschlossener
Sanierung des Gartensaals
als letzter Bauabschnitt das
Gesellschaftshaus im Klosterbergegarten
komplett
wiedereröffnet war, schrieb
eine Magdeburger Zeitung
bildhaft: „Nicht nur der hohen Kosten wegen steckt im
alten Gesellschaftshaus am
Klosterbergegarten Musike
drin. Denn seit 2003 werden
wieder Konzerte im bereits
damals restaurierten prächtigen Schinkelsaal gegeben.
Und seit einigen Wochen erfüllen nun auch den bislang
eingerüsteten zweiten Gebäudeabschnitt Klänge klassischer Ohrwürmer – u. a. bei
Veranstaltungen im Rahmen
der Konzertanrechte.“
Rund 9,6 Millionen Euro
hatte damals die Stadt in
das historische Gebäude investiert, an dem der große
Schinkel mitgewirkt hatte.
Wegen der gewaltigen Summe mussten die Arbeiten auf
sechs Jahre verteilt werden.
Schritt für Schritt sollte aber
nun beste Magdeburger Musikkultur vom restaurierten
Gebäudekomplex an der
Schönebecker Straße Besitz
ergreifen.
Die Stadt habe Wort gehalten, sagte Carsten Gerth,
Projektleiter für Sonderveranstaltungen im Gesellschaftshaus. Im Haus steckt
sogar, um im obigen Bild zu
bleiben, noch viel mehr Musike drin als damals.
Das
Telemann-Zentrum
hat sich etabliert, seine wissenschaftliche Bibliothek und
das Archiv mit den Spezialsammlungen sind Anlaufpunkt für Wissenschaftler
aus aller Welt. Der Landesverband für Musikschulen
hat Büros belegt und nutzt
auch Säle und Kabinette für
Konzerte oder Wettbewerbe.
Seit über zehn Jahren finden die Telemann-Festtage
im Haus statt. Auch das Sinfonieorchester Magdeburger
Musikfreunde hat hier sein
Domizil. Im Haus proben zudem die Mitglieder des Cantamus-Chores
Magdeburg.
Genauso aber bestimmen
öffentliche Konzerte für die
Magdeburger das Profil des
Hauses.
Das war von Anbeginn an
so vorgesehen, als die Sanierungspläne für den aus
Pionierhaus-Zeiten (1950 bis
1989) baulich stark vernachlässigten Gebäudekomplex
diskutiert wurden. Neben
dem Schinkelsaal, dem Gartensaal und dem Kleinen
Saal stehen heute drei weitere Salons für vielfältige Veranstaltungen einschließlich
Vorträge, Lesungen und Ausstellungen zur Verfügung.
Das Gesellschaftshaus sei
eben ein Haus für die Gesellschaft, versichert Carsten
Gerth. Seinen Auskünften
zufolge fanden allein im Vorjahr 93 Konzertveranstaltungen im Gesellschaftshaus
Das Gesellschaftshaus ist heute Konzertort und TelemannZentrum. Carsten Gerth ist als Projektleiter für Sonderveranstaltungen verantwortlich.
und in der zugehörigen Konzerthalle im Kloster statt.
Zusätzlich wurden von 73
zahlenden Interessenten an
158 Tagen Räume des Ge-
sellschaftshauses
genutzt
– für Kongresse, Kolloquien,
Hochzeits- und andere Familienfeiern, die hier gleichfalls
möglich sind.
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„Paul und Paula“ und andere Kino-Straßenfeger
Magdeburg und der Kintopp – von 17 nach 1945 wiedereröffnete Häusern blieben sieben bis zur Wende
I
m Zweiten Weltkrieg waren viele der
bis dahin auf die stattliche Zahl von 33
angewachsenen Lichtspieltheater zerstört oder erheblich beschädigt worden.
Nach 1945 konnten nur 17 Häuser wieder
instand gesetzt und eröffnet werden.
Filme wie „Alarm im Zirkus“, „Affäre Bluhm“ und „Karola Lamberti“ eroberten die Herzen der älteren Magdeburger, der „Stille Don“ und „Die Kraniche
ziehen“ wurden ebenfalls akzeptiert.
Die jüngsten Elbestädter waren dagegen begeistert von den russischen Märchenÿ lmen,
vom „Zauberkorn“ oder dem „Unsterblichen
Koschtschei“, sahen aber eine zeitlang noch
Filme wie die „Reise nach Bamberg“.
Experimente mit
einer Kinobar am
Alten Markt
In den 60er-Jahren nahm die Zahl der
Lichtspieltheater weiter ab, die TV-Konkurrenz als das neue „Pantoffelkino“ war eine
der Ursachen. Laut Kinowiki existierten 1977
mit der Eröffnung des Studiokinos am Moritzplatz insgesamt nur noch sieben Filmtheater, die bis zur Wende weiter in Betrieb
waren.
Das Kinointeresse glich zahlenmäßig
einer Berg- und Talfahrt und war natürlich
auch zu der Zeit abhängig vom Angebot.
DEFA-Filme wie die „Legende von Paul und
Paula“ oder „Anton der Zauberer“ waren Zuschauermagnete. Auch wurde experimentiert und modernisiert, um die Besuchergunst zu gewinnen. Im Theater des Friedens
auf dem Alten Markt entstand eine erste
Kino-Bar. Dort wurde auch während der Vorstellung serviert. Als in den 1980er Jahren
wieder einige westliche Straßenfeger wie
„Dirty Dancing“ und sogar ein Star-Trek-Film
mit Spock und Kirk gezeigt wurden, waren
die Häuser voll.
Die wesentlichen ab 1945 bespielten,
jedoch teils wenige Jahre später wieder geschlossenen Kinos in Magdeburg waren: die
Apollo-Lichtspiele (Olympia-Theater) in der
Wittenberger Straße (eröffnet 1910, geschlossen 1960); die Elbe-Lichtspiele, Karl-SchmidtStraße 7 (1911 bis 1960er Jahre); Hansa-Lichtspiele Ottersleben, Alt-Ottersleben 26 (bis in
die 1950er Jahre); die Kammer-Lichtspiele
Ottersleben, Richard-Debny-Straße (1925
bis 1960er Jahre); Linden-Lichtspiele Diesdorf, Alt-Diesdorf 7, (1936-1960er Jahre). Die
Oli-Lichtspiele (Lichtspiele Stadtfeld), Olvenstedter Straße 25, gab es seit 1936, das Theater
der Freundschaft, Brauschweiger Straße, ab
1926, das Palast-Theater (U.T.-Palast) Buckau,
Schönebecker Straße 94b seit 1926 und im
Roxy-Filmtheater, Bandwirker Straße 1
° immerte es bis 1961 über die Leinwand. 1950
hatte das RAW (Reichsbahn-Ausbesserungswerk) sogar ein Werkkino mit 500 Plätzen
eröffnet. In Rothensee gab es die gleichnamigen Lichtspiele in der Krugstraße 2a von
1950 bis in die 1970er-Jahre, die Süd-Lichtspiele, Leipziger Straße 23, existierten von
1937 bis in die 1960er-Jahre. In Alt-Westerhüsen 15 waren die Süd-Ost Lichtspiele bis in die
1970er-Jahre etabliert und Am Moritzplatz
1a seit 1926 das Filmkunsttheater „Marktschlößchen“, dann Studio-Kino.
Zu den größten und bekanntesten Kinos
zählte das Theater des Friedens (gegründet
1926 als Deulig-Palast), Alter Markt 8. Bis
1950 gab es in der Braunschweiger Straße
auch die Thalia-Lichtspiele, die Turmpark-
Lichtspiele, Fermersleben/Alt Salbke, luden
von 1948 bis in die 1970er Jahre ein, die Volkslichtspiele, Halberstädter Str. 59, von 1945 bis
1950. Und schließlich ° immerten noch im
Wibo-Theater Buckau, Porsestraße 19, von
1945 bis 1950 unzählige Streifen – von alten
Ufa-Schinken bis hin zu Russenÿ lmen. 1991
wurden die noch bestehenden sieben Kinos
von der Treuhandgesellschaft an die Ufa
Theater AG verkauft.
So sah es um 1930 vor dem heutigen CinemaxX aus.
Das Theater des Friedens am Alten Markt war zu DDR-Zeiten eines der bekanntesten
Kinos der Stadt.
19
Großes Hoffen auf „007“ und Luke Skywalker
Auch Magdeburger Kinos erwarten 2015 wieder steigende Zuschauerzahlen
G
ute und schlechte
Nachrichten von der
Filmförderungsanstalt (FFA): Laut ihren Angaben konnten die deutschen
Kinos im Jahr 2013 Bruttoeinnahmen in Höhe von
mehr als einer Milliarde
Euro erzielen. Die Anzahl
der Besucher lag bei rund
129,7 Millionen. 2014 war mit
121,7 Millionen Besuchern
ein spürbarer Rückgang zu
verzeichnen.
Allerdings
schaut
die
Branche schon wieder hoffnungsvoll auf 2015, prognostiziert ein bis zu 15-prozentiges Besucherplus.
Grund: Keine FußballWM, „Star Wars“-Protagonist
Luke Skywalker und „007“
kehren auf die Leinwand zu-
rück. „Fuck ju Göhte 2“ sowie
die Verfilmung des SkandalBestsellers „Fifty Shades of
Grey“ sind ebenfalls vertreten.
Wird sich das auch in Magdeburg durchschlagen? Die
Kinobetreiber hoffen es. Tatsache ist, dass Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt eine
Reihe guter Möglichkeiten
zur Rezeption von Filmkunst vieler Art bietet – angefangen in den hollywoodlastigen Multiplex-Kinos bis
hin zu Nischen- beziehungsweise Studiokinos. Und bislang auch in Freilichtkinos,
so beim SWM-Kinosommer.
Das größte Magdeburger
Kino mit neun Sälen und
2.694 Plätzen wurde am 25.
Oktober 1996 eröffnet. Es ist
die Niederlassung der CinemaxX-Kinokette im City
Carré. Sie ist ausgestattet
mit moderner 3D-Technik.
Zwischen 171 und 620 Plätze bieten die einzelnen Kinosäle auf zwei Ebenen. In
Tiefgeschossen werden für
Kinobesucher
kostenfreie
Parkplätze angeboten.
und 369 Sitzplätze. Mit insgesamt 2.219 Plätzen rangiert
es in der Landeshauptstadt
als zweitgrößtes Kino. Kostenfreie Parkplätze gibt es
direkt vor dem Kino.
Als so etwas wie ein Geheimtipp für bewusste Hollywood-Abstinenzler gilt das
Studiokino am Moritzplatz in
der Neuen Neustadt mit 160
Plätzen. Auch das benachVielfalt durch
barte Kino im Moritzhof ist
Multiplexe und
Anlaufpunkt für Kinofreunde
Programmkinos
abseits des Mainstreams.
Eine Sonderstellung nehmen
Ein zweites Multiplex- in dieser Sparte die ehemaKino wurde im Gewerbege- ligen Scala-Lichtspiele in der
biet Pfahlberg als „CineStar Halberstädter Straße ein.
- Der Filmpalast“ errichtet, Das Filmtheater wird von der
gleichfalls auf 3-D-Filme Kirche betrieben.
zugeschnitten. Die neun KiJahrelang in positiven
nosäle fassen zwischen 142 Schlagzeilen war der Erhalt
der Oli-Lichtspiele in der
Olvenstedter Straße durch
Professor Wolfgang Heckmann. Der unternehmenslustige Hochschulprofessor
und Kinofan hat aus dem populären Kino, das für immer
geschlossene werden sollte,
bis heute eine kulturelle
Hochburg in Stadtfeld gemacht. Der Kinosaal fasst 200
Plätze. Hier werden Filmklassiker auch aus DDR-Zeit
Die heutigen Oli-Lichtspiele sind das Kult-Kino an der Olvenstedter Straße. Daneben beÿ ndet sich der ebenfalls traditionelle Dehnes Hof.
Das City Carré am Hauptbahnhof beherbergt das Kino der Kette CinemaxX. Foto: Klimek
gezeigt, es gehen genauso
Musikevents, Lesungen und
Talks über die Bühne.
Als Kinos verschwunden
sind nach der Wende unter anderem das Theater
des Friedens, hier meldete
die IHK Besitzansprüche
an. In das Palast-Theater in
Buckau ist ein Discounter
eingezogen, die ehemaligen
Kinos in der Braunschweiger
und Pettenkoferstraße sind
Tierfutter-Paradiese geworden.
Eine im wahrsten Sinne
des Wortes filmreife Vorstellung lieferten übrigens vor
einigen Jahren Sicherheitskräfte von Warner Bros. In
mehreren Kinos Deutschlands, darunter in einem
der modernen Magdeburger
Häuser, überwachten Sicherheitskräfte die Zuschauer
mit Nachtsichtgeräten. Sie
wollten damit das illegale
Mitfilmen für spätere Raubkopien von einem neuen
„Harry Potter“-Film verhindern. Durch Raubkopien
gehen der Kinoindustrie
pro Jahr bis zu 300 Millionen Euro verloren, hieß es
damals. Erwischt wurde in
Magdeburg aber niemand.
20
Über die Hubbrücke zum Schwof im Stadtpark
Der Umbau der einstigen Drehbrücke und der Bedeutungswandel in der Nachkriegszeit
D
eÿ niert wird die Hubbrücke Magdeburg als eine eingleisige Eisenbahnbrücke und als eine der ältesten und längsten Hubbrücken Europas.
Die 220 Meter lange Überführung, auch
Buckauer-Eisenbahnbrücke
genannt,
überspannt 200 Meter oberhalb des Domfelsens in einem Winkel von 62 Grad die
Stromelbe. Das technische Meisterwerk
und heutige Denkmal wurde beim Bau
der Eisenbahnstrecke Potsdam–Magdeburg von der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft in den
Jahren 1846/47 errichtet – damals noch
als Drehbrücke. Nach der Inbetriebnahme
des Magdeburger Hauptbahnhofs 1873
wurde sie Teil der Bahnstrecke Biederitz–
Magdeburg-Buckau.
Für Magdeburg und deren Einwohner war und ist das Bauwerk jedoch viel
mehr als ein technisches Meisterwerk.
Schon und vor allem zu DDR-Zeiten. Das
hatte einen ganz praktischen Grund:
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die
in „letzter Sekunde“ erfolgte Sprengung
der Sternbrücke am 16. April 1945 eine
enorme Lücke gerissen. Der Übergang in
den Stadtpark war nicht mehr möglich,
Fähren schafften wenig. Bald besaß die
reparierte Hubbrücke als südlichste Magdeburger Elbbrücke außer für den Bahnverkehr potenziell auch große Bedeutung
als Fußgängerzugang zum Rotehornpark.
Auf die Rotehorninsel zog es bald wieder
zahlreiche Elbestädter, die Erholung im
Park suchten oder die, als die kriegszerstörte Stadthalle wiedereröffnet war,
dort Tanz- und andere Veranstaltungen
aufsuchten. Im Jahr 1957, so Zeitzeuge,
Ingenieur und Magdeburg-Kenner Dieter
H. Michel, wurde die Brücke entsprechend
hergerichtet und auch für den Fußgängerverkehr freigegeben. Zeitweilig wurde
gar ein extra Personenwagen hinter einer
kleinen Lok über die Flussüberführung
geschickt.
Die Brücke ist mehr
als ein technisches
Meisterwerk
Die Brücke mauserte sich zu einem
der wichtigsten Zugänge auf die Werderinsel. Den weiten Umweg über die
alte provisorische und seit 1965 neue
Strombrücke und über den Stadtmarsch
konnte man sich ersparen. Parallel dazu
wurde sie bis in die Wendezeit auch
noch als Eisenbahnbrücke genutzt.
Bei Hochwasser gab es, wie schon früher,
Probleme. Hintergrund: Die Drehbrücke
war schon lange ein Hindernis für den
Schiffsverkehr. 1876 wurden die ersten
Umbauten vorgenommen, mehrere Pfeiler entfernt. 1893 begann dann der Umbau
zur reinen Hubbrücke, 1933/34 wurde sie
abermals, in ihre jetzige Form, umgebaut.
Dabei wurde das anhebbare Mitteljoch
auf 90 Meter verbreitert, die Hubhöhe
stieg auf 2,87 Meter. Nun konnten auch die
inzwischen größeren Schiffe bei Hochwasser weiterfahren. Aber das war auch
nur bei hochgezogenen Hubteil möglich.
Blick über den Elbbahnhof auf die Hubbrücke um 1960. Im Hintergrund ist zudem die
Vorlandbrücke der gesprengten Sternbrücke erkennbar.
Für Fußgänger, Radler und Zugverkehr
war die Brücke gesperrt. In der Zeitung
wurde das bekannt gegeben, damit sich
Aus° ügler darauf einrichten konnten.
Der Güterverkehr und Fußgänger sowie
Radler teilten sich den Elbübergang.
Eine Zugfahrt wurde rotblinkend signa-
lisiert, das Betreten war dann verboten.
Doch manchmal passierte das, was ein
anderer Zeitzeuge berichtete: „Die Lok
zuckelte gellend pfeifend hinter einem
Fahrradfahrer her, der sich von den
Haltsignalen für den Fußgänger- und
Fahrradverkehr nicht vom Befahren
der Brücke hatte abhalten lassen.“ Kam
der ABV, dann gab‘s gewaltigen Ärger.
Nach einem Defekt am Hubteil fuhr die
Bahn selbiges 1998 für immer hoch. Erst
2002 wurde ein Kompromiss für die Wiedereinrichtung als Fußgängerübergang
gefunden.
21
Nach Bohlenidee folgt Farbbüchsen-Aktion
Historisches Wahrzeichnen wird immer mehr künstlerisch gestaltet
A
uch von den dieser
Tage wieder mal entdeckten Farbschmierereien lässt sich der „Verein
zur Rettung der Hubbrücke“
nicht wirklich aus der Spur
bringen. Er hofft, wie viele
Magdeburger, dass die Vandalen, die selbst vor der Plastik „Zeitzähler“ nicht halt
machten, irgendwann von
der Polizei gefasst werden.
Vielmehr steht aktuell im
Verein die Vorbereitung des
nächsten beliebten „White
Dinner“ (5. Juli) auf der Brücke im Mittelpunkt. Die Telefone laufen manchmal heiß,
das Interesse an dem Event
über dem Fluss mit Teilnehmern in weißen Kleidern
und mitgebrachtem Menü
sei groß, sagt Architekt und
Vereinssprecher Rolf Onnen. Längerfristig jedoch
beschäftigt Onnen und seine
Mistreiter noch die „Phase
2“ der Brückenrettung. Nach
Erneuerung der Bohlen nämlich ist nun in Perspektive der
Anstrich der Brücke geplant.
Zur Erinnerung: In „Phase 1“ hatte die Elbchaussee
GmbH, die die Bebauung des
Elbbahnhofs entwickelt hatte,
im Paket mit den Grundstücken auch die Hubbrücke von
der Bahn erwerben müssen.
Gesellschafter Onnens populäre Idee schlug alle bisherigen Vorstellungen zur Rettung der Brücke. Sein Verein
nämlich ermöglichte, die
Erneuerung des morschen
Belags der 2005 endgültig
gesperrten Hubbrücke mit
Bürgerbeteiligung zu vollziehen. Interessierte konnte
dazu eine fünf Meter lange
Eichenbohle mit eingebrannten Sprüchen eigener Wahl
für eine Spende von 50 Euro
erwerben. Mit den so präparierten Bohlen wurde dann
die Brücke ausgelegt. Am
Ende stand eine Gesamteinnahme von rund 250.000 Euro.
Seit 1. September 2013 ist der
gesamte Überbau komplett
mit dem neuen Bohlenbelag
versehen. Mit Kind und Kegel waren die Magdeburger
an die Elbe gepilgert, um die
Brücke einzuweihen.
Nun stünden der teure
Korrosionsschutz und die
Farbgebung an der Tagesordnung, sagte Rolf Onnen
und setzt erneut auf die Magdeburger. Diesmal können
besonders präparierte und
von einem Künster äußerlich
gestaltete Farbbüchsen mit
historischem Material über
Magdeburg statt Farbe im Inneren erworben werden. Die
Büchsen sollen ab Herbst dieses Jahres für je 50 Euro verkauft werden, sagte der Vereinsvorsitzende. Außerdem
sei man mit Firmen wegen
Sponsorings im Gespräch.
Die Hubbrücke hat auch
wegen der vielen Veranstaltungen im letzten Jahrzehnt
die Herzen der Magdeburger erobert, so mit Theatervorstellungen, zeitweiligem
Gaststätten- und Barbetrieb.
Auch das Nannucci-Lichtkunstwerk zieht viele in den
Bann.
An der westlichen Brückenrampe war der Ausbau
eines Cafés im Gespräch.
Dazu sollte unter anderem
der verschnörkelte Turm
mit Spitzhelm genutzt werden, über deren einstigen Der „Zeitzähler“ genießt den Blick auf die Hubbrücke. Für deren Erhalt und Aufwertung
Zweck viele Spaziergänger zeichnet sich Architekt Rolf Onnen verantwortlich.
rätseln. Laut Technikexperten handelt es sich um einen
Akkumulatorenturm, der in
den 1890er Jahren in gotisierendem Stil entstand. Das
Bauwerk gehörte zum hydraulischen Antrieb für das
Anheben und Senken des
Mittelfeldes, damit größere
Schiffe die Hubbrücke passieren konnten. Das dafür
erforderliche Hydraulikwasser wurde in diesem Druckwasserakkumulator mit etwa
50 bis 70 at bereitgehalten. Er
steht heute wie die gesamte
Elbe-Hubbrücke längst unter
Denkmalschutz.
Übrigens: Insgesamt gibt
es bundesweit 24 Eisenbahnhubbrücken. Magdeburg ist
neben Hamburg die einzige
Stadt, in der es zwei solcher
technischen
Meisterwerke
gibt. Die zweite steht im Handelshafen.
Die Hubbrücke ist ein Technisches Denkmal. Für die alte
Dame ist Korrosionsschutz erforderlich.
22
Chemieriese brachte Pfe˜ s auf den Markt
Produktionspalette reichte von Süßstoff, Schwefelsäure und Rattengift bis zu Medikamenten gegen Syphilis
E
s gehörte zu DDR-Zeiten zu den ausgesprochen wirtschaftlichen Riesen
in Magdeburg, und die Unternehmensgründung im Jahr 1886 soll auf dem
berühmten Zufall basieren: 1878 entdeckte
der Chemiker Dr. Constantin Fahlberg bei
Zuckeranalysen ganz nebenbei eine süße
Substanz, die 500 Mal stärker süßt als
herkömmlicher Zucker – Saccharin, künstlicher Süßstoff.
Acht Jahre später, am 24. April 1886,
gründeten Fahlberg und sein Cousin Adolf
Moritz List aus Leipzig die Commanditgesellschaft Fahlberg-List Co. in Salbke, was
damals noch nicht nach Magdeburg eingemeindet war. Damit begann der Weg eines
Unternehmens, das bis 1995 existierte, und
im Laufe seiner Entwicklung ein Produktionsprogramm von außergewöhnlicher
Vielseitigkeit vorlegte – von Schwefelsäure,
über P˜ anzenschutzmittel, Rattengift, Tabletten und Ampullen für die Human- und
für die Tiermedizin unter dem Markennamen Falima bis hin zu Wirkstoffen gegen
Syphilis und Parkinson.
Am populärsten in der Bevölkerung der
Nachkriegszeit war Saccharin aus Magdeburg. In Berlin stiegen dafür die Schwarzmarktpreise auf 25 bis 35 Reichsmark
pro 100 Tabletten, ofÿ ziell kostete diese
Menge nur 0,25 Reichsmark. Später wurde „Fahlberg“ auch mit dem zusätzlichen
Konsumgüterprodukt „Pfefÿ “ bekannt. Die
Pfefferminzbonbons waren als Gegenstück
zu dem in Westdeutschland erhältlichen
Vivil entwickelt worden und erfreuten sich
bei Jung und Alt großer Beliebtheit. Kühlschränke und Dünger für den Kleingärtnerbedarf gehörten gleichfalls zur verordneten Konsumgüterproduktion. Auf einem
Feld bei Fermersleben betrieb man ab 1980
sogar eine Versuchsanstalt, in der vor allem
P˜ anzenschutzmittel getestet wurden.
Anfang der 1960er Jahre wurden FalimaProdukte in 46 Staaten exportiert, neben
Saccharin auch Schädlingsbekämpfungsmittel sowie Pharmazeutika. Die neue
Schwefelsäureanlage von 1972 erzeugte mit
jährlich 110.000 Tonnen ein Drittel der DDRProduktion.
Der Magdeburger Stammsitz war zudem
bedeutendster Hersteller für Arzneimittel.
Die Warenproduktion mit 130 Produkten
hatte 1986 einen Umfang von mehr als 500
Millionen Mark. Zum Werk gehörten 237
Wohnungen, ein Klubhaus und viele soziale
Einrichtungen.
Für Magdeburg war das Werk, das seit 17.
April 1948 ein volkseigener Betrieb war, immer ein großer Arbeitgeber. Ende 1991 hatte
Fahlberg-List nur noch etwa 700 Beschäftigte. Zum 1. Januar 1992 erwarb die Salutas
Pharma GmbH die Pharmasparte. Die Chemiesparte mit 370 Mitarbeitern wurde bis
1995 abgewickelt.
lauf der Bestehens, auch zu DDR-Zeiten. Die
schwerste Katastrophe ereignete sich am
28. April 1931, als es in der Abfüllanlage für
Hora-Rattengift zu einer Explosion kam.
Zehn Menschen starben.
Am 2. Oktober 1961 entwichen zwei Tonnen Chlor bei Reparaturarbeiten. Bilanz:
ein Toter, fünf Schwer- und 100 Leichtverletzte.
1963 kam es zu einem Großfeuer in der
Lindanproduktion, das von der Betriebsfeuerwehr und den Feuerwehren aus Magdeburg-Mitte und Buckau bekämpft wurde.
Ein Tank mit Flüssigschwefel lief am 14.
Juli 1982 aus. Eine Selbstentzündung der
1.400 Tonnen Schwefel konnte jedoch ver- Die Katastrophe am 29. April 1931 bei Fahlberg-List
machte Schlagzeilen in der Magdeburgischen Zeitung.
hindert werden.
Störfälle und ein
verhängnisvoller
Alliierten-Irrtum
Fahlberg-List galt während des Zweiten
Weltkrieges wegen seiner Produkte als
Wehrmachtsbetrieb. Verhängnisvoll für
Pechau: Am 20. Januar 1944 beabsichtigten
die Alliierten einen Luftangriff auf Fahlberg-List. Versehentlich wurde das weiter
östlich gelegene Pechau angegriffen. 20
Einwohner kamen ums Leben.
Der Chemiker Constantin Fahlberg entdeckte das Saccharin und legte den Grundstein
Es kam zu mehreren Störfällen im Ver- für Fahlberg-List. Hier ein Bild der Anlage zu DDR-Zeiten um 1955.
2013 tauchten wieder die Abrissbagger auf
Getreide in den alten Türmen / Altgelände derzeit ohne Bebauungsplan
E
s ist in den Wirren der
1990er Jahre in Vergessenheit
geraten.
Tatsache aber ist, dass das
seit 1886 in Salbke/Westerhüsen verwurzelte Chemiewerk Fahlberg-List auf einen
Standort südlich von Reform
umsiedeln wollte. Die Pläne
wurden jedoch nicht umgesetzt. Fahlberg-List hatte
nach der Privatisierung 1990
als Chemische und Pharmazeutische Fabriken FahlbergList GmbH die Produktion
weitergeführt. Hunderte Mitarbeiter wurden entlassen.
Die Pharmaproduktion ging
in die Salutas Pharma GmbH
von Hexal über. Als neuer
Standort wurde schließlich
eine Fläche an der A2 in Barleben gewählt. Ab 1995 stellten dort in einem modernen
Produktions- und Logistikzentrum 1.300 Mitarbeiter
rund 300 pharmazeutische
Wirkstoffe und über 10.000
verschiedene
Substanzen
her.
Auf dem Alt-Gelände von
Fahlberg-List traten bald
die Abrissbagger in Aktion.
1995 wurde auch das Tablettenhaus entfernt. Zwischenzeitlich hatten Lindan-Ablagerungen auf einem unweit
entfernten
Kleingartengelände das Ex-DDR-Werk in
die Schlagzeilen gebracht.
Zuletzt wurde 2012/13 wieder Abriss betrieben. In der
Folge verschwand der nördlichste Flügel entlang der
Oschersleber Straße.
Einige Fabrikgebäude stehen noch. Seit Anfang der
1990er Jahre betreibt die
heutige Schirm GmbH eine
Produktionsanlage,
stellt
Pflanzenschutzmittel
her.
Die
einstigen
PhosphatHochbehälter werden von
der Getreide AG als Silos genutzt. Hier steht eine Lagerhalle der Elbe-Börde-Terminal GmbH, die 34.000 Tonnen
Getreide fasst.
Erhalten geblieben sind
die
straßenseitigen
Verwaltungsbauten und das
Kulturhaus. Letzteres war
zwischen 1880 und 1890 als
dreigeschossiges Wohnhaus
mit Schmuckelementen er-
Das Fahlberg-List-Gelände ist weitgehend abgerissen.
baut worden. Gegenüber
dem Gebäude an der Straße
Alt Salbke befand sich das
Werkstor des Chemiewerks.
Das Kulturhaus ist heute
wieder Wohnhaus und steht
unter Denkmalschutz. Hier
gibt es eine Einwohnerbibliothek und einen Servicepunkt
der Stadtsparkasse. Der
Geldautomat war unlängst
von Sparkassenräubern gesprengt worden. Monatelang
mussten Bewohner der Umgebung auf Ersatz warten.
Zur weiteren Entwicklung
der „Fahlberg“-Nachfolgerin
in Barleben: 2005 wurde Hexal/Salutas Pharma GmbH
durch Novartis übernommen
und in die Generikagruppe
eingegliedert.
Dagegen ist die zukünftige
Nutzung des mit Altlasten behafteten Fahlberg-List-Areals unklar. In einem B-Planverfahren wurde zwar die
Ortslage Salbke einschließlich Fahlberg-List-Gelände
überplant, ließ RathausPressesprecher Michael Reif
wissen. Das Verfahren kam
jedoch nicht zum Abschluss,
fiel 2006 auf den Stand „Aufstellungsbeschluss“ von 1997
zurück. Zuletzt wurde der
Geltungsbereich
auf
die
Ortslage Salbke reduziert.
Derzeit gebe es also keine
planerischen Aktivitäten zu
Fahlberg-List, jedoch würden mit dem Eigentümer Gespräche über Nutzungsmöglichkeiten geführt, sagte Reif.
Inzwischen hat sich auf
dem Areal auch eine Sanitärfirma niedergelassen, ebenfalls ein Autoteilehandel. Ein
generelles Ansiedlungsverbot in der Nachbarschaft besteht wegen der Produktion
von
Pflanzenschutzmitteln
nicht. Auch sei eine ernste
Gefahr für die Umgebung
nicht zu erwarten, ließ das
zuständige Landesministerium auf Anfrage aus der
Landtagsfraktion Die Linke
am 10. Februar 2014 wissen.
Die Magdeburger Bündnisgrünen streben an, den
westelbischen Radweg in
Verlängerung des Nachtigallenstiegs bis zur Thüringer
Straße über das FahlbergList-Gelände zu führen.
23
24
Hyparschale, Teepott und Müther-Mythos
1967 entstand auf der Rotehorninsel eine Betonlegende, um die Magdeburg bewundert wurde
D
as Magdeburger Original hat mit
dem Warnemünder „Teepott“ einen
berühmten Bruder. Auch Gaststätten wie „Ostseeperle“ in Glowe, das 1972 gebaute „Panorama“-Haus in Schwerin oder
das Sporthaus in Dresden Baselitz künden
nicht nur von einer hypermodernen Bauweise, sondern von einem Stück Bewahrens
werter Architektur aus den 1960er und
1970er Jahren. Gemeint ist für Magdeburger
die Hyparschale auf der Rotehorninsel. Sie
wurde nach den Plänen des Bauingenieurs
Ulrich Müther errichtet und 1969 als eine
der ersten in dieser Bauweise eröffnet.
Im Vergleich zur heutigen Zeit würde
ihre Wirkung auf die Betrachter vielleicht
mit der Grünen Zitadelle, im Volksmund
als Hundertwasserhaus bekannt, Stand
halten. Die „Schale mit der kühnen Dachkonstruktion“ galt damals zu Recht als das
Modernste, was die Elbestadt zu bieten
hatte. Konzipiert wurde die Hyparschale als
eine Mehrzweckhalle, speziell als Veranstal-
tungs- und Messehalle mit einer Nutz˜ äche
von 2.333 Quadratmetern. Ihre Lage direkt
im Stadtpark sorgte schnell für große
Popularität in der Bezirkshauptstadt und
der Umgebung. Hier fanden zu DDR-Zeiten
unter anderem Messen in den die „Schale“
umgebenen Hallen statt, des Weiteren Ausstellungen, Tanzveranstaltungen, Shows
und Fernsehaufzeichnungen.
Am 25. Dezember 1980 hatte der Verein
für Zucht und Erhaltung einheimischer
und fremdländischer Vögel unter der Ägide
des bekannten Magdeburger Zoohändlers
Rudolf Lehmkuhl seine erste Exposition
eröffnet. Die Halle wurde von den Besuchern regelrecht gestürmt. „Nebenbei“
wurde auch bei solchen Veranstaltungen
immer wieder die Architektur bestaunt.
Sie hatte es in der Tat in sich, und ein Fachtext beschrieb es so: „Die Stahlbetondecke
der Hyparschale ist selbsttragend, besteht
aus vier hyperbolischen Paraboloiden und
überspannt eine quadratische Fläche von
Die Hyparschale im Bau 1969.
48×48 Meter. Auf der Dach˜ äche der Stahlträger wurde Spritzbeton aufgetragen. Die
Lasten der vier Dachschalen werden als
Schrägstützen zum Erdboden hin geführt,
daher ist die Außen˜ äche stützenfrei und
nahezu vollständig aus Glas“.
Ihr Schöpfer stammte aus dem Norden
der ehemaligen DDR. Ulrich Müther stieg
vom gelernten Zimmermann zum Bauingenieur auf, diplomierte 1963 an der TU
Dresden mit einer mathematisch komplizierten Arbeit zur Berechnung der hyper-
bolischen Paraboloide. Sein Lebenswerk
ist schon damals von Fachkollegen auf der
ganzen Welt gerühmt worden, er gilt als
einer der weltweit fünf Pioniere des Schalenbetonbaus. Im Nachwende-Deutschland
war er eher verkannt. Eine Reihe seiner Konstruktionen wurde nach 1989 abgerissen, so
das legendäre „Ahornblatt“ in Berlin-Mitte.
Der Hyparschale als eines der markantesten Gebäude am Magdeburger Elbufer
drohte zeitweilig ein ähnliches Schicksal.
Seit 15 Jahren ist das Baudenkmal bau-
polizeilich gesperrt. Nach Schiffshebewerk und Salbker Wasserturm will
die Stadt nach mehreren vergeblichen
Anläufen nun ernsthaft auch dieses
Wahrzeichen für die Nachwelt retten.
Übrigens: Auf dem Gelände der Hyparschale befand sich bis zu ihrem Bau der
damalige Fallschirmsprungturm der GST.
Er war Magnet für Mutige. Und wissen Sie
eigentlich noch? In dem Bereich war auch
Endstation für den zeitweilig eingesetzten
Elbeexpress über die Hubbrücke.
Foto: Bundesarchiv Auch nahe der Hyparschale wurde gefeiert, wie beim Volksfest am 1. Mai 1992.
Hyparschalen-Investoren sind willkommen
Fast 2 Millionen Euro für Dachreparatur / Messehallen abgerissen
E
islaufhalle,
Spieleparadies, Diskothek, ja
sogar Kirche, Kreativzentrum für kulturelles Gewerbe – Ideen für eine Wiederbelebung der yparschale
auf dem Werder gab es schon
viele. Investoren kamen und
gingen, doch nichts rührte
sich. Nach dem Niedergang
in den 1990er Jahren (seit
1997 gesperrt) ist jetzt ein
neuer Anlauf zum Erhalt
des Baudenkmals gestartet.
Seit Juli 2013 nämlich will
die Stadt nun doch selbst
knapp 1,8 Millionen Euro für
die Sanierung des Dachs und
der Betonstützen in der Hyparschale übernehmen und
damit den drohenden Verfall
des Baudenkmals der Sonderklasse stoppen.
So sieht es ein Ratsbeschluss vor, der sich seit 2014
in der praktischen Umsetzung befindet. Konkret betrifft das zunächst den Abriss
der benachbarten alten Messehallen, einst ein Mekka
für Aussteller von Nah und
Fern, später auch in Ausstattung und Unterhalt nicht
mehr zeitgemäß. Allerdings
gab es nach dem Start einen
Rückschlag: Bei den Entkernungsarbeiten in den alten
Messehallen wurde Asbest
entdeckt. Der Schadstoff verkomplizierte den Abriss und
verzögerte die Bauarbeiten.
Im Zusammenhang mit der
Umsetzung des Rahmenplans „Rotehorn“ seien in den
vergangenen Monaten die
benachbarten Messehallen
von Spezialfirmen entkernt
und, bis auf Restarbeiten,
abgerissen worden, erklärte
Rathaus-Pressesprecher Michael Reif auf Anfrage.
Die Hyparschale ist seit
vielen Jahren Sorgenkind
der Stadt. Kein Geld zum
Erhalt, Widerstand gegen
den Abriss. Investoren ka-
men nicht, da halfen auch
zahlreiche
studentische
kreative Vorschläge nicht.
Verwunderlich, denn sowohl
Gebäudekonstrukt als auch
Standort werden als geeignet für vielfältigste Projekte
angesehen. Schon 2001 hatte
die Stadt Ernst gemacht bei
der Suche nach Investoren.
Damals wurde festgelegt, ein
Erbbaurecht am Grundstück
„Hyparschale“ zu vergeben,
sofern der Investor eine garantierte Finanzierungszusage der Bank vorlegt.
Monaten auf
seine Kosten
sanieren und
als Eissportund
Freizeithalle in
Betrieb nehmen
müssen. Für die
Beton- und
Dachsanierung
hatte Pressespredie Landes- cher M. Reif.
Foto: Archiv
hauptstadt
schon
damals die Übernahme von
einmaligen Kosten in Höhe
Hyparschale ist seit von umgerechnet maximal
eine Million Euro (damals 2
vielen Jahren das
Millionen D-Mark) angeboSorgenkind der Stadt ten. Daraus wurde nichts.
Nun legt die Stadt noch fast
Der Käufer sollte die Hy- eine Million Euro drauf. 2012
parschale für einen Symbol- haben überdies 14 Magpreis von 1 DM (entspricht deburger den „Verein zur
0,51 Euro) bekommen. Bei Rettung der Hyparschale“
Annahme hätte er die Im- gegründet. Bei den Grusonmobilie innerhalb von 24 Gewächshäusern zumindest
hat es geholfen, was damals
aber auch dem Konjunkturpaket des Bundes geschuldet
war.
Allerdings
haben
die
jüngsten Bemühungen um
einen Investor für die „Schale“ noch zu keinem positiven
Ergebnis geführt. Michael
Reif bestätigte, dass es in
letzter Zeit mehrere Ausschreibungen zur Vergabe
eines Erbbaurechtes für die
Hyparschale beziehungsweise dem 6.500 Quadratmeter
großen Grundstück gegeben
habe. Das letzte Bieterverfahren im März 2015 habe
aber erfolglos eingestellt
werden müssen, erklärte er.
Trotz aller Schwierigkeiten
wird versichert, am Projekt
Wiederbelebung der Spannbetonschale
festzuhalten,
Investoren sind willkommen.
Michael Reif: „Nach wie vor
führen wir mit Interessenten
Gespräche“.
25
Sensationell: Bergretter seilten sich vom Turm ab
Der Aussichtsturm im Stadtpark avancierte zum Liebling der Magdeburger/ bis 1989 100.000 Besucher pro Jahr
D
as Jahr 1927 war für Magdeburg
ein denkwürdiges. In einer höchst
dynamischen Periode der Stadtentwicklung wurde der Stadt die Ehre zuteil,
die Deutsche Theaterausstellung auszurichten. Der einzigartige Rotehornpark
auf der von den Elbarmen umspülten Werderinsel war ein geradezu prädestiniertes
Gelände für die Bauten zur Ausstellung,
wie die Stadthalle oder das Pferdetor. Noch
heute wird der zu dem Anlass errichtete
Aussichtsturm als Krönung des Gesamtensembles bezeichnet.
Die künstlerische Oberleitung für die
Ausstellung, die Magdeburg als kulturelle Hochburg ins Rampenlicht von ganz
Deutschland rückte, hatte Prof. Albin
Müller, Künstlername Albinmüller. Er war
es auch, der den Aussichtsturm entwarf,
dessen schlanker Bau und nachts beleuchtete Spitze zum Wahrzeichen des Parks
avancierte.
Um das Café in der Spitze oder die in 45
Meter Höhe gelegene Aussichtsplattform
zu erreichen, bot der etwas fast 61 Meter
hohe Turm bereits damals einen Aufzug.
Andere Parkbesucher machten es sich
zum Sport, beim Erklimmen die 252 Stufen zu zählen und danach die herrliche
Aussicht weit über die Stadt zu genießen.
Im Jahr 1944/45 kam das vorübergehende
Ende. Nach den Bombentreffern alliierter
Verbände ÿ elen 70 Prozent des Ausstellungsgeländes in Schutt und Asche, die
Stadthalle wurde fast gänzlich zerstört.
Wie durch ein Wunder stehengeblieben
war der Aussichtsturm. Er kam mit verhältnismäßig geringen „Blessuren“ davon:
Es dauerte dennoch bis zum Sommer 1956,
bis das Bauwerk wieder für die Besucher
freigegeben werden konnte, wenn auch
jetzt noch ohne Fahrstuhl. Außerdem gab
es noch eine Menge weiterer Reparaturen
zu erledigen. Dazu gehörte das Neuverglasen der 510 Felder der Turmspitze, heist es
in einer von der MVGM veröffentlichten
Chronik.
Der Besucher hatte jedoch von dem
Zeitpunkt an die Möglichkeit, für 10 Pfennig durch ein installiertes Fernrohr die
Umgebung von Magdeburg zu betrachten.
Und bei Wetterglück, also klarer Sicht,
konnte er sogar den Brocken erkennen. Ob
es eine Entschädigung für den wegen des
fehlenden Fahrstuhls mühseligen Aufstieg
war, ist kaum anzunehmen. Aber gemeckert wurde damals halt noch weniger.
Der Aussichtsturm wurde mehr und
mehr zum Mittelpunkt von Veranstaltungen und vergnüglichen Treffs der Magdeburger. Für 1958 beispielsweise vermerkt
die Chronik eine Vielzahl von Aktivitäten
rundherum. Auf kleinen Bühnen und
Podien fanden Tanzveranstaltungen am
Adolf-Mittag-See und am Aussichtsturm
statt. HO-Gaststätten engagierten sich
dabei stark.
Im selben Jahr gab es einen bedeutsamen Hoffnungsschimmer für den immer noch reparaturbedürftigen Turm.
Bauarbeiter gingen daran, die Kuppel
des Aussichtsturmes abzudichten. Es
begannen sogar die Ausbauarbeiten für
das Turmcafé. Wenige Jahre nach den
Dacharbeiten gab es eine kleine Sensation. Am Turm war in schwindelnder
Höhe der Bergrettungsdienst Wernigerode im Einsatz. Im Zusammenhang mit
einer Schauübung, unter anderem das
Abseilen von der Plattform, wurden die
Außenwände kontrolliert und von gefahrdrohenden Bruchstücken befreit.
Ein Paukenschlag folgte im Jahr 1972. Nach
erforderlichen Arbeiten konnte das Café
in der Glaskuppel wiedereröffnet werden.
Zu DDR-Zeiten übrigens hatte der Turm
samt Café jährlich rund 100.000 Besucher.
Das damalige Ausstellungsgelände im Stadtpark samt Aussichtsturm.
Die Freude darüber währte jedoch nur
einige Jahre: In den 1980er Jahren musste
das Café wegen Baufälligkeit schließen, zu
gering waren die vorbeugenden Arbeiten
ausgefallen. Ab Mitte der 1990er war auch
die Aussichtsplattform nur noch saisonal
geöffnet; es folgte die Sperrung. Sanierungspläne wurden diskutiert.
Park-Wahrzeichen wurde Albinmüller-Turm
Was der Aussichtsturm auf der Elbinsel mit dem schiefen Turm von Pisa gemein hat
D
ie Saison 2015 ist gestartet, der Aufzug
bringt Familie G. aus
Wolfsburg auf die Plattform.
Architekturfreunde, die Albinmüller kennen, wollen
deshalb mit einem seiner
berühmtesten Werke auf
Tuchfühlung zu gehen – dem
Albinmüller-Turm im Stadtpark.
Nur
die
Eingeweihten
wissen: Seinen Fortbestand
hatte angesichts hoher Sanierungskosten manch einer irgendwann heimlich
abgeschrieben, aber die
Rechnung ohne die traditionsbewussten Magdeburger
gemacht. Ihre andauernden
öffentlichen
Forderungen
zeigten auch in der Kommunalpolitik Wirkung.
Hier die Chronologie der
ebenso populären wie mühseligen Wiedergeburt:
• 2001: Der Stadtrat beschloss zwar die Sanierung
des Aussichtsturms. Kosten:
5 Millionen D-Mark (damalige Währung). Am 22. September: Der Turm wurde
wegen der großen Bauwerkschäden geschlossen, der
Sanierungstermin
immer
wieder verschoben.
• 2003: Erneut wurde beschlossen, für 1,98 Millionen
Euro zu sanieren. Ziel: Ende
2004 sollte der Turm samt
Café wiedereröffnen. • 2004: Nach Baubeginn
stand bald fest, dass das
Geld nicht reichte.
• 2005: Baustopp, Streit
zwischen Planern, Baufirmen und Hochbauamt; Kostensteigerung auf 2,9, dann
auf 3,1 Millionen Euro standen in Aussicht.
• 2006: Finanzielle Probleme waren geklärt. Am
27. Juni 2006 wurde der Aussichtsturm wieder eröffnet,
allerdings ohne Café.
• 2012: Am 17. Juni wurde
der Turm offiziell auf den
Namen
Albinmüller-Turm
getauft.
Mit der Turmtaufe wurde
ein Jubiläum gefeiert: 2012
war der Aussichtsturm 85
Jahre alt geworden. In den
1920er Jahren hatte Prof.
Albin Camillo Müller (1871
- 1941), Künstlername Albinmüller, das Ausstellungsgelände für die Deutsche
Theaterausstellung
1927
entworfen. Er war ursprünglich im Kunstgewerbe tätig
und kam 1900 als junger
Lehrer nach Magdeburg,
wo er mehrere Jahre an der
Kunstgewerbeschule
lehrte. Das von ihm entworfene
Ensemble im Rotehornpark,
1927 eröffnet, wurde bald zu
den schönsten Ausstellungsgeländen Deutschlands gerechnet und war bis zum
2. Weltkrieg ein Forum für
hochrangige wirtschaftliche
und künstlerische Veranstaltungen.
Zu den prägenden Bauten
und Kunstwerken zählten
neben
Ausstellungshal-
len auch Pferdetor und die
Stadthalle sowie der 60 Meter hohe schlanke Turm. Die
Namensgebung war und ist
eine Hommage an den Mann,
dem das heutige Wahrzeichen der Rotehorninsel zu
verdanken ist. Es stellt eines
der wichtigsten Werke Albinmüllers dar.
Ein mutiger
Gastronom ist
von Nöten
Nach gängiger Auffassung
ist der Turm mit seiner Eleganz und Funktionalität ein
bedeutendes Beispiel des
Neuen Bauens der 1920er
Jahre. Die Architektur des
Turms lehnt sich zudem an
die Ideen einer Glas- und
Lichtarchitektur von Bruno Taut an. Abends ist auch
heute die gläserne Turmspitze beleuchtet. Der Turm
bildet zur unmittelbar daneben stehenden Stadthalle
einen senkrechten Gegenpol. Fachleute sprechen von
einem Campanile. Das soll
Albinmüller sehr bewusst
gestaltet haben. Als Campanile wird in der Baukunst ein
freistehender Glockenturm
bezeichnet.
Bekanntester
Campanile ist der Schiefe
Turm von Pisa.
Magdeburg
ehrte
den
Schöpfer des Turms. Immer wieder wird bedauert,
dass es nicht gelungen ist,
das Café wiederzueröffnen. Es stellte jedoch schon
immer ein unwirtschaftliches Objekt dar. Ob sich
ein wirtschaftlich wagemutiger Gastronom findet, der
in Magdeburger Höhenluft
Kaffee und Kuchen anbieten wird, ist auch heute ungewiss. Nichtsdestotrotz gilt
der Albinmüller-Turm unter den Magdeburgern als
saniertes Kleinod auf der
Elbinsel.
26
Abgeschottet, abgewrackt – die Russenkasernen
Bis 1989 war alles streng geheim, selbst der Verfall der Villen blieb im Verborgenen
W
enige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs: Nachdem die Rote
Armee Anfang Juli 1945 ihre Besatzungszone eingenommen hatte, bezog ihre
3. Stoßarmee in Magdeburg die fünf großen
Kasernenkomplexe, die bereits in der Kaiserund in der Nazizeit erbaut worden waren.
Das Kommando der Stoßarmee wechselte
1947 von Stendal nach Magdeburg und etablierte sich in der früheren Encke-Kaserne
in der Beimsstraße. Dieser Komplex war
1912/13 für das preußische 4. FußartillerieRegiment gebaut worden. Hier gab es vier
3- bis 4-stöckige Mannschaftshäuser mit
glatten Putzfassaden und Sockeln aus Eisenklinkern, weitere kleine Soldaten- und
Ofÿ ziersunterkünfte. Eine Mauer von bis
zu 2,5 Metern Höhe schirmte die Blicke der
Öffentlichkeit ab.
Nach Kriegsende zogen hier zunächst die
Amerikaner ein. Sie nutzten die Kaserne als
Sammelstelle für osteuropäische Zwangsarbeiter und deren Rückführung. Danach
quartierten hier die Briten, ab 1946 bis 1991
dann die 3. Stoßarmee mit ihrem Armeestab.
In Magdeburg hatte die Rote Armee unter
anderem eine Panzer-und PanzergrenadierDivision, eine Nachrichten und Pioniereinheit in den Kasernen an der Alten Elbe,
an der Herrenkrugstraße, Am Zuckerbusch
und in Prester stationiert. Diese Komplexe
waren – wie schon früher zur Nazi-Zeit –
hermetisch abgeriegelt, die Einzäunung
war in Tarnfarbe, im bekannten Grün der
russischen Militärlaster gehalten. Auf den
Straßen waren diese ständig präsent, sorgen nicht selten noch in den 1980er-Jahren
für Aufsehen. Meist bleiben die Militärlaster
irgendwo defekt liegen.
In der Regel waren Einblicke in das
Innere der Kasernenhöfe seit den 1970er
Jahren eher eine Seltenheit. Auch die gemeinsamen Subbotniks wurden weniger,
selbst ofÿ zielle Ereignisse wie Feiern zum
Tag der Befreiung waren irgendwann ausgeklammert. Gab es zunächst gewollte Kontakte zwischen der Bevölkerung und den
Befreiern, zogen sich Letztere zurück in die
Selbstisolierung. Allerdings war seit November 1953 Eheschließung zwischen Deutschen
und Sowjets erlaubt. Ofÿ ziere und deren Fa-
milien waren auf Parkspaziergängen oder
im Zoo zu sehen, Ofÿ ziersfrauen kauften in
den einschlägigen Geschäften der Stadt ein.
In Cracau war in den 1970er- und 1980
das Russenmagazin frei zugänglich für die
Magdeburger. Die Gebäude im Herrenkrug
dagegen, die einst als Ofÿ ziersunterkünfte
für das preußische Militär erbaut worden
waren, verÿ elen. Die wertvolle Bausubstanz
war bis 1989 dem Verfall preisgegeben, nur
die nötigsten Reparaturen wurden ausgeführt.
Schon das Preußen-Militär hatte den
Cracauer Anger als Truppenübungsplatz
genutzt – kleinere militärische Bauten, ein
Pferdelazarett, ein Schießplatz wurde 1873
fürs Scharfschießen errichtet. Erst ab1935,
im Zuge der Aufrüstung Hitlerdeutschlands,
entstanden die gewaltigen Kasernenkomplexe in der Breitscheidstraße und der Jerichower Straße. Ab 1938 wurde der Anger
ausschließlich für militärische Zwecke Präsentation in der Enckekaserne vor dem Zweiten Weltkrieg. Danach nahm hier der
genutzt. Das setzte die Rote Armee nach Stab der 3. Stoßarmee bis nach 1990 Quartier.
Übernahme der Kasernen und des Angergelände fort bis1992. Sie bezog die ehemalige
Hindenburgkaserne am Jerichower Platz,
nutzte bis 1991/92 die gesamte Fläche des
Cracauer Angers bis zum Herrenkrug als
Kasernengelände und Truppenübungsplatz
– abgeschottet, abgewrackt, bevor das Gelände nach der Deutschen Einheit eine bis
dahin ungeahnte zivile Nutzung erfuhr.
Die Villen Kälberwiese, 1992
von den Sowjets verlassen.
Die Kasernen am Jerichower Platz, vor dem Krieg. Nach 1945 zogen auch hier die Sowjets ein.
27
Auf den Campus der Hochschule Magdeburg-Stendal: Das Hauptgebäude war früher Lazarett. Heute beherbergt es die Fachbereiche Sozial- und
Gesundheitswesen sowie Kommunikation und Medien.
Fotos: Matthias Piekacz/Bastian Ehl
Blühende Landschaften auf Truppenübungsplatz
Wie von den Sowjettruppen genutztes Gelände und Kasernen umgestaltet wurden
N
ach dem Abzug der
GUS-Truppen
aus
Magdeburg konnten
die bis dahin genutzten militärischen
Übungsgelände und die Kasernen in die
Stadtentwicklung einbezogen werden. Die Flächen
auf dem Cracauer Anger
wurden endlich frei. 1994
begann die Beräumung des
Kleinen und des Großen
Cracauer Angers. Bald entstanden zumindest hier die
versprochenen
blühende
Landschaften. Die Umgestaltung blieb aber zunächst
nur ein Wunschtraum. Die
erforderlichen
riesigen
Geldsummen waren nur mit
Bundeshilfe aufzubringen.
Willi Polte hatte
mit der Buga eine
grandiose Idee
Oberbürgermeister Willi Polte hatte die Idee, die
Buga
nach
Magdeburg
zu holen. Ein grandioser
Schachzug, der viele Millionen in die Stadtkasse spülte
und geeignet war, das Ansehen Magdeburgs aufzuwerten. Poltes Rechnung
ging auf. Neben der heute
exzellenten städtischen Infrastruktur mit
Nordbrücken, Tunnel, Straßenbau
(B1) und Deponie-Rekultivierung zählt der von militärischen Altlasten befreite
Cracauer Anger einschließlich der Kasernen zu den
schönsten und interessantesten Gegenden Magdeburgs.
Zuvor musste eine unglaubliche Menge der von
den Sowjets zurückgelas-
senen Altlasten entsorgt,
verseuchter Boden ausgetauscht und scharfe Munition beseitigt werden,
außerdem Trümmerschutt
aus dem Zweiten Weltkrieg.
Aus dem so entstandenen
Buga-Park, 1999 bestaunte
ihn ganz Deutschland, wurde später der etwa 90 Hektar
große
Elbauenpark.
Sommerodelbahn, Schmetterlingshaus,
Seebühne,
Spielfelder für Volleyball,
Kletterturm, Bistros, Gaststätte und 14 Themengärten sowie die Seebühne mit
1.600 Plätzen zählen zu den
Attraktionen. Das Magazin
„Stern“ kürte den Elbauenpark 2013 zur besten Freizeitattraktion in SachsenAnhalt.
Eine zweite besonders
beispielhafte zivile Nutzung
von Kasernen stellt der
Campus der Hochschule
Magdeburg-Stendal an der
Breitscheidtstraße dar. Zunächst von Wehrmacht und
später sowjetischer Armee
als Artillerie-Standort und
Lazarett genutzt, wurde
das Gelände 1992 endgültig
vom Militär verlassen. Die
bestehenden maroden Gebäude wurden saniert, auch
neue errichtet. Zusammengenommen betraf das 18
Immobilien.
Großzügige
räumliche Gestaltung und
weite Begrünung zwischen
den
Hochschulgebäuden
auf rund 200.000 Quadratmetern geben dem Campus
teils den Charakter eines
Parks. „Damals wurden
umgerechnet zirka 80 Millionen Euro Landesmittel investiert“, sagte Pressesprecher Norbert Doktor. Am
Campus Magdeburg studieren heute 4.500 Studenten,
in Stendal 2.000 Lernende.
Seit 2000 findet man alle
Magdeburger Fachbereiche
auf dem neuen Campus.
Von Künstlerateliers
bis hin zu saniertem
Wohnraum
Auch der ab den 1935er
Jahren entstandene gewaltige Komplex der Hindenburgkaserne an der
Jerichower Straße wurde zu mustergültigen öffentlichen Gebäuden, zu
Landesministerien,
zu
staatlichen Dienstleistungseinrichtungen und zu Finanzämtern
umgestaltet.
Die einstigen Panzergaragen sind Künstlerateliers an
der Tessenowstraße.
Die Bauten der einstigen
Encke-Kaserne
an
der
Beimsstraße sind zu einem
soliden Wohnkomplex geworden, der derzeit noch
weiter ausgebaut wird. Hiesige Investoren haben sich
hier und in anderen Gegenden engagiert.
Im Herrenkrug schließlich wurde auf dem ehemaligen Villengelände mit
Offiziershäusern mehrgeschossiger
Wohnungsbau
betrieben, Privatinvestoren
sanierten Villen. Doch auch
hier zeigt sich, dass für die
vollständige
Beseitigung
der Kriegsfolgen die verflossenen 70 Jahre nicht ausreichen. Noch heute schimmern zwischen dem Grün
der Bäume einige im Verfall
begriffene frühere Prachthäuser hindurch.
Norbert Doktor, Pressesprecher der Hochschule,
stand als Gesprächspartner
bereit.
Willi
Polte, ehemaliger
Oberbürgermeister
der
Stadt, holte die Buga nach
Magdeburg.
Die Enckekaserne war zuletzt von den Sowjets belegt.
Mittlerweile wurde hier attraktiver Wohnraum geschaffen.
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