der tod ist schön

Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
DER TOD IST SCHÖN
-Leseprobe-
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
1. Kapitel: Es reicht
Kein Kater, sondern eine ganze Katzenfamilie mit mindestens vier hyperaktiven Neugeborenen tobt
gerade in meinem Schädel, als ich vom Stechen der Sonne aufgeweckt werde. Noch benommen und
mit einem angestrengten Stöhnen raffe ich mich nach einiger Zeit von meinem Sofa auf. Zum Glück
finde ich gleich die zerknickte Schachtel L&M auf dem Schlafplatz meiner gestrigen
Besinnungslosigkeit, drücke verspannt das Kreuz durch und höre es dabei einige Male knacken.
Dann rieche ich idiotischer Weise an meinem T-Shirt und stecke mir sofort die erste Zigarette an.
Dabei hebe ich eine der Rotweinflaschen vom Boden auf, stelle lächelnd fest, dass sie noch zu
einem guten Teil gefüllt ist, und wate über den klebrigen Parkettboden der Wohnung zu meinem
Lieblingsplatz: dem großen Dachfenster mit Blick auf den Stadtpark.
Normalerweise schenkt mir diese Aussicht ins Grüne - in ein Leben voll Farbe und ohne
Zigarettenschwaden - allmorgendlich neue Lebenskraft, doch in den letzten Tagen wurde das
Draußen mit jedem Aufstehen nur greller und das Licht beißender. Dieses Hellgrün der
Ahornbäume im Park sticht durch meine Pupillen direkt in mein Gehirn und ich beginne innerlich
zu verbluten. Deprimiert stelle ich fest, dass weder meine Zigarette noch ein großer Schluck aus der
Flasche heute im Stande sind dem verächtlichen Grün seine erbarmungslose Ehrlichkeit zu nehmen.
Oder diese auch nur auf ein ertragbares Maß zu dämpfen.
Hier steh ich nun, kann nicht anders und weiß, dass das alles scheiße ist. Also nehme ich einen
letzten Zug aus dem glimmenden Strohhalm in meiner Linken und werfe die Zigarette achtlos auf
den Boden. Im selben Moment noch fühle ich mich so schäbig, wie noch nie und trete sogleich die
Kippe mit dem nackten Fuß aus. Heißer Schmerz durchzieht sofort meinen ganzen Körper und
findet innerhalb von Sekundenbruchteilen in meinem Schädel als stumme Explosion seinen
zerreißenden Höhepunkt. Die Katzenfamilie ist jetzt wohl tot, denke ich, während mir eins absolut
bewusst wird: Es reicht.
So zerstört, wie nur ich sein kann, stehe ich noch eine persönliche Ewigkeit vor dem Fenster und
mit jeder Sekunde manifestiert sich der Gedanke in meinem Kopf: Es reicht.
Bald bin ich soweit es endgültig auszusprechen: „Es reicht.“ Und das fühlt sich seit langem einmal
wieder ehrlich an.
Nachdem diese Eingebung beschlossene Sache ist, spüre ich ironischerweise ein ungekannte
Tatkraft in mir erwachen, drehe mich vom Fenster weg, gehe zum Laptop, der ordentlich auf
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
meinem Alibischreibtisch steht und mache Musik an. Ich suche auf YouTube eine Dauerschleife
von ‚Who wants to live forever‘ und werde sofort fündig. Mit dem Erklingen des ersten Takts läuft
auch bei mir alles wie in einer Schleife. Ganz ruhig tut der Körper nun, was getan werden muss:
Meine Beine tragen mich ins Schlafzimmer und meine Hände kramen unter dem Bett nach dem
Strick, den ich vor Jahren einmal gekauft habe, um mit meiner damaligen Freundin etwas Neues
auszuprobieren. Benutzt habe ich ihn noch nie. Doch heute wird er einem anderen Zweck dienen.
Wieder auf dem Sofa versucht mein Kopf sich daran zu erinnern, wie der Knoten funktioniert hat,
den ich in meiner Kindheit bei den Pfadfindern beigebracht bekommen habe. Wenigstens das sollte
ich alleine hinbekommen, denke ich noch. Aber nach mehreren Fehlversuchen und nur schwer
wieder lösbaren Verstrickungen wird mir das zu dumm. Ich gebe mich geschlagen. Zünde mir noch
eine Zigarette an, gehe wieder zum Laptop und nehme eine kleine, weiße Pille Spaß, die noch von
gestern daliegen muss. Dann google ich ‚Henkersknoten‘. Mit der bebilderten Anleitung für
jedermann auf Wikipedia gelange ich nach dem zweiten Versuch an mein Ziel und blicke zufrieden
auf das Ergebnis.
Ich habe mir schon öfters ausgemalt – und ziemlich sicher tut das jeder -, wie ich mich umbringen
würde. Bisher war ich trotz der riesen Sauerei stets der Überzeugung, sich erschießen sei die
Lösung. Doch woher soll man an einem Dienstagvormittag eine Pistole bekommen? Also lege ich
mir die Schlinge der Erleichterung um den Hals und muss gestehen, dass es sich gar nicht schlecht
anfühlt; dass es passt.
Das Gewicht der Schnur holt nun meinen Geist wieder in den dazugehörigen Körper und mir stellt
sich die Frage, wie ich das Seil an der Decke befestigen soll. Nach kurzer Überlegung mache ich
mich auf die Suche nach Hammer und Nagel, von denen ich weiß, dass sie noch irgendwo in der
Wohnung sein müssen. Ich erinnere mich, wie ich zum Tag meines Einzugs hochmotiviert in den
Baumarkt gefahren bin und das alles gekauft habe. Nur um festzustellen, dass man für das
Zusammenbauen von Ikea-Betten nichts von beiden, sondern einen Akkuschrauber, braucht. Aber
jetzt bin ich dankbar dafür. Es scheint fast, als wäre das mein Schicksal und alles lief die letzten
Jahre nur auf diesen einen Morgen vor dem Dachfenster mit dem Blick auf den Stadtpark hinaus.
Meiner Bestimmung folgend, finde ich Hammer und Nägel in der Badschublade, in die ich seit
Jahren alles reinwerfe, was ich höchstwahrscheinlich nie wieder brauchen werde. Dann halte ich
Ausschau nach der schönsten Stelle für meinen Freitod. Da es allerdings nur einen Dachbalken gibt,
gestaltet sich die Aufgabe einfach und ich entscheide mich mit Blick nach draußen zu sterben damit ich auch nicht vergesse, warum ich das alles tue.
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
Ich habe einmal gelesen, dass viele Menschen vor ihrem Suizid noch alles erledigen und dann sogar
aufräumen. Ob ich das meinem Vater, der – genau wie ich – aufräumen nicht ausstehen kann, noch
schuldig bin? Mit einem Lächeln auf dem Gesicht entscheide ich mich dagegen. Meine letzten
Stunden damit zu vergeuden sogenannte Ordnung in mein Leben zu bringen, das halte ich
irgendwie für inkonsequent. Stattdessen zünde ich mir eine letzte Zigarette an und denke, dass ich
meinen Vater anrufen sollte; was ich dann auch etwas widerwillig tue, um ihm noch meine letzten
Gedanken mitzuteilen.
Danach hole ich sogleich den Küchenstuhl, der unter meinem Gewicht bedrohlich zu wackeln
beginnt, nehme die Schlinge von meinem Hals und befestige sie nach kurzem Abschätzen der Höhe
mit zwei Nägeln in dem Holzbalken. Nach einer halben Zigarette reicht es mir jetzt auch damit.
Zum zweiten Mal heute lasse ich eine Kippe einfach auf den Boden fallen und denke mir diesmal
nur, wie praktisch es ist, dass Zigaretten dank EU-Verordnung nun von alleine ausgehen. Denn
Verbrennen ist kein schöner Tod.
Letztendlich lege ich mir ruhig die Schlinge um den Hals, überprüfe, ob der Knoten richtig sitzt und
schaue ein letztes Mal aus dem Fenster. Die Welt ist zu grell. Ich springe.
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
2. Kapitel: Was kannst du eigentlich?
Mir war nicht bewusst, dass der Tod sich so unbequem anfühlen wird. Die Kopfschmerzen haben
sich kaum gebessert, ich bin immer noch unglaublich verspannt - sogar schlimmer als beim
Aufstehen - und irgendetwas stößt ununterbrochen gegen meinen rechten Fuß. Na gut, das wird
alles seinen Grund und seine Richtigkeit haben, überlege ich. Schließlich nehme ich meinen ganzen
Mut zusammen, um mein rechtes Auge zu öffnen. Wie in Zeitlupe stellt meine Pupille die
Umgebung scharf: schwaches Abendlicht taucht die Welt in angenehmes Rosarot und ich erkenne
ein bequem wirkendes Sofa vor mir. Mein Sofa; mit einem Mann in Motorradjacke darauf.
„Sag mal, was kannst du eigentlich?“
So habe ich mir die Begrüßung im Jenseits nun wirklich nicht vorgestellt. Langsam wird mir immer noch völlig durcheinander - klar, dass die Worte von meinem Bruder stammen müssen, der
seelenruhig mit einer Zigarette im Mund dasitzt und mich immer wieder mit dem Fuß anstupst.
Aber das ist unmöglich: Ich habe mich doch umgebracht.
„Und, wie war dein Tag?“, fragt er mich süffisant.
Ohne mein Gehirn mit weiteren Gedanken zu quälen, lasse ich mich auf die Frage ein, ziehe ein
Lächeln auf mein Gesicht und antworte mit krächzender Stimme:
„Fick dich.“
Während mein Bruder leise zu husten oder zu lachen beginnt, das erkenne ich nicht so wirklich,
überwinde ich endlich meine daliegende Trägheit und schleppe mich zum Sofa, wo ich mich direkt
neben ihn fallen lasse. Zuvorkommender Weise hält er mir gleich eine Zigarette vor den Mund und
drückt mir noch ein Feuerzeug in die Hand. Nach den ersten Zügen wird mir allmählich bewusst,
dass mein Plan von heute Vormittag an seiner Umsetzung – oder besser gesagt, an der Belastbarkeit
der Nägel – gescheitert sein muss und ich mich sehr wahrscheinlich immer noch im Diesseits
befinde. In diesem Moment zieht mein Bruder an der Schnur um meinen Hals und schaut mich mit
unverständlicher Miene an.
„Sehr schick, wirklich. Willst du mir vielleicht etwas sagen?“
Eine Menge Rauch auspustend entgegne ich: „Die Zigarette danach ist immer die Beste.“
Schon verrückt, nur ein Selbstmordversuch und auf einmal besitze ich solch eine Schlagfertigkeit.
Das hätte ich mir selbst nie zugetraut. Mein Bruder, Janik heißt er übrigens, findet die Antwort
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
anscheinend weniger amüsant als ich, denn er schnaubt nur hörbar und beginnt mich schweigend
anzustarren.
Soll ich ihm jetzt etwa von meinem ganzen, viel zu anstrengenden Dasein erzählen? Dass ich
keinen Sinn mehr im Weitermachen sehe oder was man immer so hört. Dabei war doch alles
einfach nur zu grell - und zu ehrlich. Aber das würde er sicher nicht verstehen. Würde das
überhaupt irgendwer anders außer mir verstehen? Vielleicht möchte er auch nur hören, dass das
eine Schwachsinnsidee war und es mir schon besser geht. Aber das kann ich ihm auch nicht einfach
so sagen. Also beschließe ich ratlos gar nichts zu sagen, worauf zwischen uns beiden eine Art
Wettbewerb entsteht, wer böser schauend rauchen kann.
Gerade als ich einlenken möchte und mir überlege, wie ich das mit dem ‚zu grell‘ beschreiben soll,
platzt es aus Janik heraus:
„Alter, was denkst du dir denn eigentlich? Hätte ich dich da aufkehren sollen? Und dann noch Papa
anrufen und ihm alles erklären, oder wie?! Du weißt, wie sehr ich aufräumen hasse. Mann!“
Das finde ich jetzt schon heftig. Irgendwie kann ich seine Wut teilweise nachvollziehen, aber muss
man das so hart formulieren? Einerseits spricht er hier gerade mit einem gescheiterten
Selbstmordversuch und andererseits habe ich nicht alles falsch gemacht.
„Komm mal runter. Ich habe Papa nämlich schon angerufen und auf den AB gesprochen.“
Nach einer kurzen Pause wiederholt er fragend:
„Du hast Papa auf den AB gesprochen?“
„Ja“, wiederhole auch ich, „ich habe Papa auf den AB gesprochen.“
Langsam wandelt sich mein anfänglicher Trotz in vorahnungsvolle Unsicherheit. Sekunden
vergehen. Es macht ‚Klirr‘ in meinem Kopf, ein hochstieliges Weinglas fällt, zerberstet an meiner
Schädelinnenseite und ich verstehe, was er meint.
„Verdammt.“
Janik lächelt mitleidig – wahrscheinlich weil ich für das alles gerade so unglaublich lange gebraucht
habe – und schaut mir dann ganz fest in die Augen. Sein Blick taucht mich in ein Meer
heißblubbernder Verzweiflung. Kein Land in Sicht und so höre ich mich einsam rufen:
„Scheiße. Die stecken mich jetzt bestimmt in die Klapse. Papa wird mich in die Klapse stecken.“
„Ja, Mann.“
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
„Ja, Mann, das ist doch keine Antwort. Das ist nie eine gute Antwort und schon sicher nicht jetzt,
auf meine Situation“, mit meiner Wut aufspringend schreie ich Janik weiter an:
„Ja, Mann. Ja, Mann! Ich will da nicht hin! Das ist immer diese krasse Nazigesellschaft. Ein mini
Selbstmordversuch und schon gehört man in die Psychiatrie und sieht nie wieder Tageslicht und
jeden Sonntag müsst ihr mich besuchen kommen und schaut mich dann so an, genau wie du jetzt!,
und sagt, dass ich schon besser aussehe.“
„Jetzt mach mal halblang“,
unterbricht mich Janik mit einem absolut bestimmten und zugleich ruhigen Unterton in der Stimme,
den ich bisher nur von meinem Vater gekannt habe. Diesem elterlichen Timbre gelingt es
tatsächlich meine Gedanken zu beruhigen und nach einigen Malen tief durchatmen, setze ich mich
wieder auf das weiche Sofa. Vielleicht bin ich nicht ganz alleine, denke ich mir, und der Welt um
mich herum gelingt es aufzuhören, wie wild zu pulsieren. Dann reicht mir mein großer Bruder in
aller Ruhe eine weitere meiner Zigaretten und meint:
„Felix, Papa kommt doch frühestens in einer guten Stunde nach Hause. Wir fahren da jetzt einfach
hin, löschen deine Nachricht und sind weg, bevor er heim kommt.“
Und weil er mein Bruder ist, fügt er nach einer gut gesetzten Pause und mit seinem charmantesten
Lächeln auf den Lippen hinzu:
„Außerdem, komme ich sicherlich nicht jeden Sonntag.“
Jetzt muss ich auch grinsen und plötzlich bin ich unglaublich stolz darauf, wie erwachsen Janik
mittlerweile ist. Ob ich auch mal so werden könnte? So reif und bedacht? Bei solchen Gedanken
spüre ich, wie so oft, Tränen hinter meinen Augen aufsteigen und dann ins Freie drängen. Deshalb
drehe ich mich schnell weg, damit Janik mich nicht so sehen muss.
Ein tiefer Zug aus der Zigarette lässt mich zum Glück schnell wieder die Fassung gewinnen.
Worauf ich mit halb gespieltem, halb wirklich vorhandenem Elan von der Couch aufspringe und
rufe:
„Na, dann mal auf!“
Janik beginnt sogleich ungehemmt, aus voller Kehle zu glucksen. Überrascht und wieder
überfordert schaue ich ihn an, lasse meinen Blick fragend durch die Wohnung gleiten und bleibe
dann an mir selbst hängen: Ich stehe immer noch im verknitterten T-Shirt, nur in Boxershorts und
mit herunterhängendem Strick um den Hals auf meinen nackten Füßen. Das ist mir vollkommen
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
entfallen. Manchmal gibt es Momente, die mir sehr drastisch vor Augen führen, wie zerstreut und
lebensunfähig ich doch eigentlich bin. Dieser gehört ab jetzt in meine Top Drei, beschließe ich und
kann nur noch über mich selbst lachen.
Janik prustet kopfschüttelnd:
„Manchmal bist du echt ‘ne Nummer“,
und wirft mir meine Hose, die ich anscheinend gestern neben dem Sofa ausgezogen habe, zu. Ich
schlüpfe etwas umständlich erst ins eine, dann ins andere Hosenbein und gehe ins Bad. Dort wage
ich einen ernüchternden Blick in den Spiegel. Nach einem einminütigen Versuch meine Frisur mit
dem Kamm in Ordnung zu bringen, entscheide ich mich für den, heute zum Glück gesellschaftlich
anerkannten, ‚out-of-bed-style‘ und lege den Henkersknoten ab. Sofort fühle ich mich unsicher. Das
klingt vielleicht komisch, aber der Strick hat mir einen gewissen Halt gegeben. Das war eine
Bestimmung, die ich um den Hals trug. Endlich ein Weg, dem ich folgen konnte. Doch
wahrscheinlich sollte ich jetzt nicht darüber nachdenken. Mir fällt urplötzlich ein Satz ein, den ich
vor vielen Jahren in der Schule gelesen habe: ‚Lieber Henker als gehenkt‘. Von Shakespeare oder
Dürrenmatt. Glaube ich. Wer das jetzt genau geschrieben hat, ist auch gleich. Besonders weil das
vollkommener Quatsch ist. Als Henker musste man bestimmt viel arbeiten, wohingegen niemand
irgendwelche Ansprüche an einen zum Tode Verurteilten stellt. Da ist es völlig in Ordnung den
ganzen Tag faul rumzuhängen, denke ich schmunzelnd, und dabei kommt mir mein Vater in den
Sinn. Manchmal verknüpft mein Gehirn seltsame Sachen.
„Kommst du jetzt endlich? Gibt doch wenig zu philosophieren da im Bad“,
ruft mir Janik aus dem Gang entgegen. Während er meinen Autoschlüssel um seinen Zeigfinger
schwirrend von einem Bein aufs andere wippt, werfe ich den Blick in Spiegel, hole tief Luft, schaue
mir noch tiefer in die blauen Augen und weiß, dass ich das jetzt hinter mich bringen muss. Zum
Abschied streiche ich noch einmal liebevoll - und auch ein wenig stolz - über meinen
selbstgemachten Henkersknoten. Fast hätte es geklappt. Dann setzen sich die Beine in Bewegung
und ich folge meinem Bruder durch die Wohnungstür, die Treppen runter ins Freie.
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
3. Kapitel: Scheiß auf Wolke Sieben
„Ey, man, wo ist dein Auto?“,
fragt mein Bruder mich in der Auffahrt, während er mit dem Verschluss seiner Lederjacke kämpft.
Eigentlich könnte er sie ohne Probleme offen lassen, denn für Mai ist es bereits ungewöhnlich warm
dieses Jahr, doch wahrscheinlich denkt er, es sähe geschlossen cooler aus.
„Schlechte Filmzitate gehen mal gar nicht“,
gebe ich Janik nuschelnd zur Antwort. Das sage ich jetzt einerseits, weil ich wirklich dieser
Meinung bin, anderseits - und gerade hauptsächlich -, um Zeit zu schinden, da ich mich beim besten
Willen nicht daran erinnern kann, wo ich gestern Abend geparkt habe. Demnach suche ich mit
einem Blick die Straße von links nach rechts ab. Immer noch keine Spur. Dann entscheide ich mich
spontan möglichst zielstrebig nach rechts zu gehen.
„Du hast keine Ahnung, oder?“,
fragt mein Bruder und folgt mir etwas widerwillig die Straße entlang. Darauf antworte ich nicht,
sondern beschleunige meine Schritte und glücklicherweise taucht wenige Momente später mein
türkisener C1 - ziemlich schlecht eingeparkt - zwischen zwei großen Autos auf. Ich war wohl nicht
mehr ganz nüchtern beim Heimfahren, denn normalerweise bin ich sehr stolz auf meine
Einparkkünste. Doch jetzt steht der Wagen mindestens einen halben Meter vom Bordstein weg.
Egal, einfach über etwas anderes nachdenken: Eigentlich finde ich das Türkis ziemlich hässlich,
doch heute, in dem rosa Abendlicht, gefällt es mir fast.
Janik wirft mir die Schlüssel zu und ich sperre mein Auto auf. Die vertraute Geruchsmischung von
Duftbäumchen, kaltem Zigarettenrauch und verschüttetem Rotwein schlägt mir entgegen, als ich
mich hinter das Steuer fallen lasse. Sofort fühle ich mich wohl. Mein Bruder nimmt zwei leere
Flaschen vom Beifahrersitz und wirft mir einen kritischen Blick zu.
„Soll ich lieber fahren?“
„Räum sie einfach ins Seitenfach“,
meine ich und mache das Radio an. Seit einem halben Jahr empfängt das Teil nur noch zwei
Sender. Auf dem einem läuft immer bayerische Volksmusik und seit Neuestem auch Helene
Fischer. Den schalte ich nicht mehr ein. Der andere spielt gerade ‚Who wants to live forever‘.
Während ich losfahre und noch überlege, ob das Lied jetzt passt oder komisch ist, dreht mein
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
Bruder die Anlage voll auf und beginnt hingebungsvoll mitzusingen. Die Oktave, die Janik zu
einem Freddy Mercury an Höhe fehlt, gleicht er durch seine unumstößliche Inbrunst aus. Das mag
sehr beneidenswert sein, doch nach zwei Minuten geht es mir gewaltig auf die Nerven.
„Sag mal, du kannst doch sowas heute nicht mitsingen. Auch noch, wenn ich Auto fahre.“
„Einen richtigen Unfall würdest du gar nicht hinbekommen“,
entgegnet mir mein großer Bruder sogleich, doch wird – den Wink mit dem rhetorischen Zaunpfahl
verstehend – leise, macht das Radio aus und holt Drehtabak und Gras aus seiner Tasche. Routiniert
nimmt er den Playboy, den er mir zu meiner Volljährigkeit geschenkt hat und der seitdem hier im
Auto liegt, vom Armaturenbrett als Unterlage. Ich erinnere mich, dass ich mit 18 schwer
überfordert von dieser Zeitschrift war und sie zum Mittel der Wahl gegen lästige Fliegen degradiert
habe; Meine postmoderne Version des tapferen Schneiderleins sozusagen. Mittlerweile benutzt
Janik sie, um während unserer Ausflüge Joints zu drehen. Auch gut.
Die Autofahrten mit meinem großen Bruder sind immer unglaublich entspannt. Das liegt daran,
dass wir beiden einen richtig guten Draht zueinander haben – man könnte sagen, wir sind
mittlerweile so etwas wie beste Freunde geworden - und daran, dass er so ein Mensch ist, neben
dem man sich wohlfühlen muss. Wie er das macht, diese Ausstrahlung, bleibt mir ein Rätsel. Kann
man das lernen? Allerdings mag ich Autofahrten auch an sich gerne. Die Zeit hier spielt sich für
mich wie in einer Zwischenwelt ab: Keine nervigen Mitmenschen, keine Verpflichtungen außer ans
Ziel kommen und wenn man Glück hat, gute Musik. Das finde jetzt sogar ich zu misanthropisch,
aber mir wird die Welt in letzter Zeit oft zu viel. Zu groß. Zu grell.
„Willst du auch?“,
unterbricht Janik meine abschweifenden Gedanken und verteilt mit einem kräftigen Atemstoß den
süßlichen Geruch von Lachen und Leichtigkeit im Auto. Darauf meine ich kichernd:
„Beim Fahren einen durchziehen, das findest du wieder okay? Du bist manchmal auch echt eine
Nummer“,
und nehme ihm umsichtig den Joint aus der Hand. Bei meinem ersten Zug spüre ich, dass das gutes
Zeugs ist, was er da hat. Denn noch vor dem Auspusten werden die Bewegungen meiner Beine und
Arme viel leichter, wie wenn ein Marionettenspieler irgendwo ganz weit oben in den Wolken mir
ein bisschen nachhelfen würde. Beim Ausatmen puste ich nochmals grinsend die Worte:
„Echt eine Nummer“,
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
über das Lenkrad.
„Jetzt tu nicht so. Das war früher ganz normal.“
Manchmal erzählt mein Bruder ziemlichen Stuss.
„Quatsch nicht.“
„Doch. Echt jetzt. Schau dir Lammbock an. Da kiffen die die ganze Zeit. An der Uni, auf dem Klo
und beim Autofahren. Nebenbei ist das auch noch der beste Film der Welt. Bester Film der Welt.“
Lammbock ist großartig, keine Frage, doch ihn als Argumentation fürs Kiffen am Steuer
herzunehmen – nicht, dass ich persönlich damit ein Problem hätte -, finde ich gelinde gesagt
fragwürdig. Außerdem hat der Film leider einen riesigen Nachteil: man kann Moritz Bleibtreu in
keiner anderen Rolle mehr ernst nehmen, obwohl er ein wirklich toller Schauspieler geworden ist.
„Also Janik, erstens ist das nur Film…“
Janik zieht bei diesen Worten laut die Luft ein, doch bevor er mir jetzt einen zweistündigen
Monolog über seinen Lieblingsstreifen hält, übergehe ich das einfach und fahre fort:
„Außerdem, weiß jeder Mensch auf dieser großen, großen Welt, dass ‚Being John Malkovich‘ mit
John Malkovich als John Malkovich der beste Film ist, der je gedreht wurde. Allein meinen letzten
Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Man schmeckt die Wahrheit darin geradezu.
Dieser Film: er spielt in einer ganz anderen Liga als der deutsche Film - überhaupt. Der deutsche
Film ist doch eh tot. Ich meine, du kannst mir nicht einen vergleichbar talentierten, geschweige
denn so erfolgreichen, deutschen Schauspieler nennen, oder? Denk da mal drüber nach.“
Anscheinend denkt Janik wirklich darüber nach, denn er schweigt einen Moment. Daraufhin er
dreht sich zu mir, schaut mir in die Augen und sagt todernst:
„Til Schweiger vielleicht.“
Stille.
Dann: Schallendes Gelächter. Eine Sekunde noch hat es mein Bruder geschafft keine Miene zu
verziehen und ich begann vollends an der Welt zu verzweifeln, doch jetzt biegen wir uns vor
Lachen im Auto. Ich muss wirklich aufpassen, dass ich den C1 nicht sofort um den nächsten Baum
krümme. Aber selbst das wäre noch urkomisch. Ich bin der festen Überzeugung, ich könnte gerade
einen Korb voll Katzenbabys überfahren und würde trotzdem nicht aufhören wollen über beide
Ohren zu grinsen.
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
Wenige Kilometer später, nachdem wir uns beide wieder eingekriegt haben, meint mein Bruder in
die Stille nach dem Lachen:
„Weißt du eigentlich, dass du manchmal echt ein ziemlicher Spießer bist?“
Okay, jetzt frage ich mich ernsthaft, ob mein Bruder zu viele Drogen nimmt. Wer bezeichnet denn
einen hinter dem Steuer kiffenden Selbstmordscheiterer als ‚Spießer‘? Deshalb frage ich mit
ungläubigem Unterton:
„Ich? Ein Spießer?“
Janik nickt und man sieht in seinem Gesicht, dass er sich zurecht legt, was er gleich sagen möchte.
Dann nickt er nochmal:
„Ja, schon. Gerade zum Beispiel, als wir über Filme geredet haben: Nur weil du irgendwann einmal
nachts in einer komischen Intellektuellenlaberrunde von so einem Autisten mit Hipsterbrille gehört
hast, dass der deutsche Film tot ist, glaubst du diesen Müll und sprichst das vollkommen unüberlegt
einfach nach. Das ist total… indoktriniert. Genau! Indoktriniert bist du! Und zwar von deiner
Nazigesellschaft, über die du immer redest. Ich sag dir mal was: Das machen nur alte Spießer. So ist
das nämlich.“
Ping! Voll in Schwarze getroffen. Ich habe diesen Satz wirklich eins zu eins aus irgendeiner
Talkshow. Nachts. Wahrscheinlich von 3Sat oder BR-Alpha. Macht mich das jetzt wirklich zu
einem Spießer? Es stimmt zwar, dass ich so etwas gerne hinnehme, aber ich liebe nächtliche
Talkshows und Reportagen einfach. Besonders Reportagen. Als meine erste Freundin mit mir
Schluss gemacht hat – daran erinnere ich mich noch viel zu gut -, habe ich mich zwei Wochen in
meinem Zimmer eingeschlossen und eine Dokumentation nach der anderen geschaut. Mein Favorit
ist hierbei eindeutig ‚Der letzte Kampf der Bismarck‘. Die großartigste Doku aus den ganzen
Sachen, die es zum Thema Hitlerzeit gibt. Es ist so übertrieben albern, wie dieses letzte deutsche
Schiff über zwei Stunden hinweg und in den unzähligen, schlechten ‚nachgestellten Szenen‘ seinen
absolut unrealistischen Todeskampf ausficht. Heroismus finde ich einfach nur daneben und genau
deswegen liebe ich das.
Egal, jedenfalls bin ich kein Spießer und indoktriniert schon gar nicht. Oder? Statt Janik zu
antworten, denn ich möchte mich dafür nicht rechtfertigen müssen, mache ich erneut das Radio an.
Doch Janik macht es sofort aus – war das schon wieder Freddy Mercury? – und lässt nicht locker:
„Und deswegen ist Lammbock auch der beste Film der Welt.“
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
In erster Sekunde kann ich nicht fassen, dass das jetzt seine Schlussfolgerung ist, doch dann steigt,
von den vorherigen Erinnerungen ausgelöst, etwas Dunkles in mir auf, passiert ungehemmt die
Lippen und platzt aus meinem Mund, bevor ich es irgendwie aufhalten kann:
„Judith hat Schluss gemacht.“
Vor drei Wochen, füge ich in Gedanken hinzu und werde traurig.
„Jetzt lenk hier mal nicht vom… Oh.
Hmm…
Und?“
Ich hasse es über meine Gefühle zu reden und leider beschäftigt mich Judith noch immer viel zu
sehr. Mein Problem ist gar nicht sie persönlich oder das Verlassen werden. Sondern die Tatsache,
dass ich seit dem nichts auf die Beine gestellt bekomme. An schlechten Tagen nicht einmal mehr
mich selbst. Ich gehe mit meinem Leben steil bergab, falle nur noch hin und her. Falle von einer
sinnlosen Party zum nächsten sinnlosen Suff bis ich besinnungslos in ein Bett falle und morgens
wieder von zu heller Sinnlosigkeit geweckt werde. Es reicht mir.
„Egal, ich hätte nichts sagen sollen. Lass gut sein.“
„Du und Judith, ihr wart doch schon länger nicht mehr so verliebt?“
Das stimmt. Aber:
„Scheiß auf Wolke Sieben, lieber Wolke Vier mit ihr, als unten wieder ganz allein.“
„Du bist nicht ganz allein.“
Zum zweiten Mal heute muss ich schwere Tränen runterschlucken, bevor mein Bruder sie sehen
kann. Seit Kindheitstagen verbinde ich Gefühle zeigen mit einer Schwäche, die ich nicht einmal
Janik zeigen möchte und so fühle ich mich doch wieder alleine. Alleine im Auto und auf der Welt.
„Wolltest du dich deswegen, heute früh, du weißt schon“,
fragt mein Bruder umständlich und ich bin irritiert, dass er das nicht aussprechen kann.
„Nein, nicht deswegen. Deshalb wollte ich mich nicht erhängen.“
„Verdammt, Papas Auto ist schon da.“
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
In diesem Moment sehe ich es auch. Gerade als ich in die Goethestraße eingebogen bin, steht dort
bei Nummer drei der große und heute ungemein bedrohliche, schwarze Mercedes von unserem
Vater in der Auffahrt. Panik steigt in meiner Brust auf. Wieso ist er genau heute schon zu Hause?
Und was, wenn er die Nachricht schon abgehört hat? Dann ist es aus mit mir. Ich werde mein
restliches Leben in einer Irrenanstalt vegetieren und das aufgrund unzähliger Pillen nicht einmal
merken. Da komme ich sicher nie wieder raus, wie bei ‚Einer flog über´s Kuckucksnest‘ und ich
hatte nicht mal eine hübsche Minderjährige wie er. Das ist ziemlich unfair.
Während ich geistesabwesend den Wagen am Straßenrand parke, merke ich, wie meine Hände zu
zittern anfangen und mein Gesicht heiß anläuft. Anscheinend fühle ich das nicht nur, sondern Janik
sieht es auch, denn sofort meint er:
„Du weißt, wie oft Papa seinen AB abhört. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er weiß, welchen Knopf
er drücken muss.“
Das beruhigt mich wenig.
„Und wenn doch?“
„Dann, lasse ich mir etwas einfallen.“
Das verschafft mir mehr Erleichterung, denn Janik ist wirklich großartig, sich etwas auszudenken
und sich aus allem rauszureden. Ihm fallen solche Sachen leichter als mir. Als wir beide noch um
einiges jünger und Hauspartys noch cool waren, veranstaltete er eines Abends eine phänomenale
Feier, von der heute noch in den uns bekannten Kneipen geredet wird. Jeder, der etwas auf sich
halten konnte, sowie alle jungen Schönheiten der Stadt waren bei uns zu daheim. Ich konnte den
ganzen Abend sagen, das ist mein Bruder. Er war ein Held und ich stand strahlend neben ihm.
Überall wurde getrunken, gelacht und die Musik erfreute wummernd die ganze Nachbarschaft.
Mehrmals besuchte uns die Polizei, was uns nur antrieb ausgelassener zu feiern, denn Janik erklärte
mehrmals sturzbetrunken den Gästen in grün, dass die Party sogleich rum sein werde und man
hierbei nicht einmal von einer richtigen Party, geschweige denn, von so etwas wie Lärmbelästigung
reden könnte. Zweimal hat er es geschafft, sie zu überzeugen, dann als die Polizei um sechs Uhr
früh endgültig die Menge auflöste, stand bereits fest, dass das die Feier unserer Jugendzeit gewesen
ist. Monatelang gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Ich habe am selben Abend sogar meine
erste Freundin kennen gelernt. Doch wenig überraschend sah das Haus am nächsten Mittag
schlimmer aus als Dresden ’45 und trotz vieler, helfender Trümmerfreunde schafften wir es nicht,
alles in Ordnung zu bringen, bevor Vater kam. Jetzt ist es aus, schoss es mir durch den Kopf. Ich
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
begann sofort mental meinen Rucksack zu packen, um mehreren Wochen Hausarrest zu entfliehen,
doch dann geschah das Unfassbare: Nach einer Stunde Diskussion hatte Janik meinen Vater davon
überzeugt, ich hätte den kompletten Abend brav lesend in meinem Zimmer verbracht. Zwei Stunden
später hatte die unbändige Wortflut meines Bruders die Realität so sehr verbogen, dass er – gerade
noch einem tiefen Kindheitstrauma entronnen – als leidvolles Opfer der gestrigen Geschehnisse
dastand und wir Pizza essen gingen. Jedenfalls, schafft mein Bruder wirklich alles. Sogar sein
Studium.
„Weißt du, auf was ich jetzt gar keine Lust habe?“,
fragt Janik, mich aus meiner nostalgischen Verklärung zurückholend. Ich kann es mir bereits
denken, was er gleich sagen wird und muss innerlich schon lachen.
„Und, wie sieht es aus, wirst du bald mit deinem Studium fertig?“,
imitiert er unseren Vater.
„Ich glaube, es ist wirklich wichtig“ – hier hebe ich pflichtbewusst Finger und Nase – „sich
frühzeitig nach Chancen umzusehen.“
Den letzten Zug genommen und unseren Joint auf dem Armaturenbrett ausdrückend, fügt mein
Bruder prustend hinzu:
„Bei mir war das noch einfacher, aber heute: Muss man Engagement zeigen.“
Bei dem Wort ‚Engagement‘ brechen wir beide in völlig ungehemmtes Lachen aus. Wobei ich
belustigt feststelle, wie bekifft ich schon bin. Normalerweise würde ich mir jetzt unglaublich viele
Gedanken machen und mich weigern, so vor Vater zu treten. Aber gerade kann ich das mit
lächelnder Gleichgültigkeit abtun. Es wird Zeit, die Sache hinter sich zu bringen und so steige ich
aus dem Auto. Draußen trifft mich eine Faust frischer Sauerstoff, die mein Gehirn auf einen Schlag
gänzlich zermatscht. So lässt es sich leben. Meine Definition von Glück: keine Termine und leicht
einen sitzen. Das hat Juhnke einmal gesagt und ich glaube, er hat Recht. Aber Aufstehen muss man
trotzdem noch, ergänzt etwas tief in mir, was ich schnellst möglich beiseiteschiebe. Während wir
beide die Auffahrt neben dem stets gepflegten Vorgarten entlang gehen, merke ich, wie widerwillig
meine Füße die letzten Schritte setzen. Sie kämpfen gegen den Marionettenspieler im Himmel, der
mich an ewig langen, hauchdünnen Hanfseilen durch die Welt lenkt. Bis ich schließlich stehen
bleibe. Ich habe schlicht und ergreifend Angst; ich will da nicht rein. Was passiert, wenn mein
Vater die Nachricht abgehört hat?
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Fabian Bader – Auszug aus: Der Tod ist schön
„Da musst du jetzt durch“,
befiehlt Janik und schubst mich den letzten Schritt zur Türschwelle. Die Stunde der Wahrheit,
denke ich und gleichzeitig wird mir bewusst, wie kitschig und abgedroschen ich das finde. Dann
nehme ich allen meinen Mut zusammen und Janik klingelt.
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