2015-07-05 Predigt zum Erntebittgottesdienst

Predigt zum Erntebittgottesdienst
„Ora et labora – Bete und arbeite“
gehalten im Erntebittgottesdienst an der Schillerlinde,
am 5. Juli 2015
in der Nikolauskirche Deckenpfronn
von Pfarrer Hans-Ulrich Lebherz
„Bete und arbeite“ habe ich das Thema dieses Gottesdienstes überschrieben.
Wissen Sie, woher dieses Motto stammt? —
Sie alle können bestimmt so viel Latein, dass Sie dieses Motto sogar auf lateinisch
kennen: ora et labora.
Das stammt von Benedikt von Nursia, der mit seiner Regel nicht nur das Klosterleben geprägt hat, sondern auch die Spiritualität der Kirche.
Der Wechsel von Gebet und Arbeit gehört zum Wesensmerkmal des Klosterlebens.
Ganz ursprünglich waren es sieben Gebete am Tag. Warum? Weil es in Psalm 119
(V. 164), heißt: „Siebenmal am Tag preise ich dich dafür, dass du deine Rechtsordnungen gegeben hast.“
Zum Teil wurden Stundengebete zusammengefasst, zum Teil gibt es Zeiten des
persönlichen Gebets und der geistlichen Lesung, so dass es heute in den Klöstern in
der Regel noch vier gemeinsame Gebetszeiten gibt.
Ich war ja selbst nach Pfingsten 6 Tage im Benediktinerkloster Niederaltaich an der
Donau bei Passau. Ich habe dort auch an diesen Gebeten der Mönche teilgenommen, die aus gesungenen Psalmen, Wechselgesängen und Gebeten, Lesung und
Stille bestehen. Das hieß:
05:30 Uhr Morgengebet
12:00 Uhr Mittagsgebet
17:30 Uhr das Abendgebet, die Vesper
19:30 Uhr das Nachtgebet, die Komplet, die den Tag abschließt, danach soll Stille
einkehren.
In der Regel Benedikts gibt es zahlreiche Anordnungen bezüglich Gebet und Arbeit. Gebet und Arbeit prägen den ganzen Tag. Dabei wird dem Gebet eindeutige
Vorrangstellung zugebilligt. „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden.“
Wenn die Glocke zum Gottesdienst ertönt, soll man sofort die Arbeit aus der Hand
legen und zum Gottesdienst herbeikommen. Trotzdem fordert Benedikt nicht ein
Höchstmaß an Gebetspensum, sondern er legt ein vernünftiges Mittelmaß fest, ver-
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glichen mit früheren oder auch späteren Übertreibungen. Gebet ist für ihn das
Wichtigste, aber nicht das Einzige.
Auch die Arbeit nimmt im Alltag der Mönche einen breiten Raum ein, rein zeitlich
gesehen sogar einen breiteren Raum als Gebet und Lesung, die anderen Pole des
geistlichen Lebens. Benedikt fordert von allen Mönchen, dass sie arbeiten. Alle sollen arbeiten, ja sogar hart arbeiten, doch niemand soll überfordert werden. Daher ist
Benedikt darauf bedacht, zu große Belastungen für einzelne zu vermeiden und jedem nötige Hilfen zu geben, damit niemand unzufrieden und deprimiert wird.
Benedikt hat in seiner Klosterregel auch ein Kapitel über die Arbeit der Handwerker im Kloster geschrieben. Es endet mit dem Grundsatz: „damit in allem Gott verherrlicht werde“. Wir verherrlichen Gott nicht nur im Gebet und im Gottesdienst,
sondern auch mit unserer Arbeit – durch die Haltung, in der wir sie tun, und mit der
Art und Weise, wie wir bei der Arbeit mit den Menschen umgehen.
ora et labora bedeutet, dass ich im Gebet meine gesamte Wirklichkeit – einschließlich der Arbeit und des alltäglichen Miteinanders – vor Gott hinhalte, um alles von
seinem Geist durchdringen zu lassen.
Es geht darum, in Berührung zu kommen mit der Kraft und der Liebe, die vom
Weinstock in die Reben fließt. Alles andere ist nur „Macherei“, aber es bringt keinen Segen.
Jesus sagt: Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn
getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Johannes 15,5)
Liebe Gemeinde,
es geht darum, eine Kultur der Unterbrechung und des Innehaltens, eine Kultur
des inneren Weges für sich persönlich und in der Vernetzung mit anderen zu entfalten und zu stärken. Es ist sicher kein Zufall, dass wichtige Impulse dabei aus dem
Klosterleben kommen, aus einer Lebensform, in der die Kultur der Stille erhalten
geblieben ist.
Ora et labora – „bete und arbeite“. Die Arbeit wird unterbrochen durch das Gebet. Wenn die Glocke zum gemeinsamen Gebet einlädt, lässt der Mönch seine Arbeit liegen. Nichts ist so wichtig, dass es nicht eine Unterbrechung ertragen könnte.
Der Mönch weiß, dass es für ihn die Arbeit in überblickbaren Portionen gibt. Er
kommt gar nicht erst in die Versuchung, sich in ihr zu verlieren. Und auch umgekehrt: Auch das Gebet ist eine Beschäftigung, in die der Mönch sich verlieren
könnte, deshalb wird auch das Gebet immer wieder unterbrochen, sei es durch Zeiten der Arbeit, sei es durch die Lektüre, das Studium, die Mahlzeiten. Die Mönchs-
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kultur ist, so gesehen, eine Pausenkultur. Und vielleicht wächst uns aus dem
Mönchtum eine Kraft und Inspiration zu, die zu einer neuen Lebenskunst führt.
Sagen Sie jetzt bitte nicht: Das ist doch katholisch – was geht uns das an!
Wir greifen hier auf christliche Traditionen zurück, die weit hinter die Spaltung
in evangelische und römisch-katholische Kirche zurückreichen; es ist unsere gemeinsame geistliche Tradition. Benedikt von Nursia lebte von ca. 480 bis 547, ist
also eine gemeinsame Wurzel unseres Glaubens, die Zeit der Gemeinsamkeit dieser
Tradition ist länger als die der Spaltung.
Und es ist auch nicht ein Sonderleben, das sich hinter Klostermauern abspielt,
aber uns Weltmenschen nichts angeht. Was in den Klöstern entwickelt wurde, waren schon immer allgemeingültige Erkenntnisse des geistlichen Lebens, die sicher
nicht 1:1 für ein Leben außerhalb der Orden übertragen werden können, die aber
Gültiges über das geistliche Leben sagen und deshalb auch den Menschen wichtige
Anregungen geben, die allein oder in einer Familie leben und ihrem Beruf im Büro
oder in der Schule, auf dem Feld oder in der Fabrik nachgehen, eben ein ganz alltägliches Leben führen und so funktionieren müssen, wie das in unserer Zeit und in
unserer Gesellschaft von einem gefordert wird.
Der Benediktinermönch Anselm Grün schreibt: „Die Gäste unseres Klosters
(Münsterschwarzach) sind immer wieder von der klaren Tagesstruktur beeindruckt,
nach der wir Mönche leben. Wenn sie sich auf unseren Rhythmus einlassen, spüren
sie auf einmal, dass er auch ihnen guttut. Sie finden plötzlich ausreichend Zeit für
das Wesentliche: für das Gebet, für die Stille, zum Wandern, zum Lesen, für die
Mahlzeiten, für das Gespräch und für die Arbeit. Alles bekommt seine Zeit. Aber
diese Zeit hat auch ihre Grenzen. Nichts ist grenzenlos, weder das Gespräch noch
die Arbeit.“
Im alten Mönchtum hat die Arbeit drei Bedeutungen:
1. Die Arbeit dient dazu, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Das führt
einerseits zu einem maßvollen Leben, denn ich kann nicht mehr ausgeben, als ich
einnehme. Ich spüre meine Grenzen.
Von der eigenen Hände Arbeit zu leben führt andererseits auch zu einer inneren
Freiheit. Wir erleben das ja in unserem Wirtschaftssystem vielfach: Wer Menschen
diese Möglichkeit nimmt, von der eigenen Hände Arbeit leben zu können, raubt
ihnen die Würde.
2. Die Arbeit dient den Menschen. Die Mönche verdienten durch ihre Arbeit und
ihr sparsames Leben Geld, das sie Hilfsbedürftigen spendeten. Doch die Arbeit
dient den Menschen nicht nur durch das Geld, das einer verdient. Vielmehr ist die
Arbeit in sich schon Dienst. Die Arbeit dient den Menschen, indem sie ihre wich-
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tigsten Bedürfnisse befriedigt. Da ist nicht nur das Bedürfnis nach Konsum, sondern auch nach Beratung, nach Begleitung, nach Information, nach Bildung.
Die Arbeit dient nicht in erster Linie der Selbstverwirklichung, sondern den
Menschen. Damit bekommt meine Arbeit noch einmal einen anderen Stellenwert.
Die eigene Arbeit wird zum Segen für mich selber und für andere, wenn sie auch in
dieser Haltung geschieht, dass sie anderen Menschen dient, dass sie dem Leben
dient.
3. Die Arbeit hat eine spirituelle Aufgabe. Sie ist Hingabe. Im Gebet geht es
letztlich darum, sich Gott hinzugeben, sich in Gott hinein selbst zu vergessen. Auch
bei der Arbeit geht es um Hingabe. Ich muss mich auf die Arbeit, auf die Menschen
einlassen. Es geht also auch um das, was Jesus Selbstverleugnung genannt hat: sein
Ego zurückstellen, um frei zu sein, sich auf andere und auf die Arbeit einzulassen.
Die Mönche halten einen sinnvollen Wechsel und ein ausgewogenes Maß von
Gebet und Arbeit für den gesunden Weg zu Gott. Dieser Weg schützt uns vor Übertreibungen. Beide Pole gehören zum Menschen: die Wendung nach außen in der
Arbeit und die Wendung nach innen im Gebet. Nur wenn beide im richtigen Verhältnis zueinander stehen, bleibt der Mensch gesund.
Für uns, die wir die geistliche Dimension weitgehend verloren haben und in einer Zeit leben, wo der Glaube keine Gestalt mehr hat und kaum noch alltäglich und
selbstverständlich gelebt wird, bedeutet dies zunächst, Orte und Zeiten der Stille,
des Rückzugs, des Innehaltens zu finden, dem Tag eine Tagesstruktur zu geben, die
Zeit und Raum lässt für Unterbrechungen und zum Innehalten: zum Beten und Meditieren, zum Bibellesen oder für eine andere gute Lektüre, zum Stillesein.
Dazu braucht man nicht immer eine halbe Stunde oder mehr wie die Mönche –
obwohl einmal am Tag eine halbe Stunde dafür schon gut wäre. Es können auch
kleine Unterbrechungen wie das Angelusgebet sein (als nur ein Beispiel):
Wenn die Glocken unserer Nikolauskirche läuten – um 6, um 11, um 12, um 15,
um 17 Uhr – oder ich auswärts die einer anderen Kirche höre, dann halte ich, wann
immer es möglich ist, für einen Augenblick inne bei dem, was ich gerade tue, und
spreche dieses Angelusgebet (in einer evangelischen Form), das mir vergegenwärtigt, was und wer ich bin, und mir sagt: Du bist gerufen. Ich spreche innerlich oder
halblaut:
Der Engel Gottes bringt uns Botschaft
und wir empfangen Heiligen Geist.
Gott spricht:
Ich rufe dich bei deinem Namen, du bist mein.
Kostbar und einmalig habe ich dich geschaffen.
Dir geschehe, wie ich verheiße.
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Und das Wort wird Fleisch und wohnt in uns.
Wir sehen die Herrlichkeit Gottes in seiner Schöpfung und dienen ihr.
Ora et labora, das ist nicht bloß eine quanitative Kennzeichnung des Lebens, das
neben den vielfältigsten Arbeiten eben das Gebet einschließt. Es ist vielmehr ein
Weg, Gott mitten in mein Leben hineinzulassen und ihm mitten im Alltag zu begegnen. Die Lebensregel des „bete und arbeite“ ist eine Hilfe, meinen Alltag geistlich zu bewältigen und in meinem Alltag den Ort zu erkennen, an dem mich Gott
am meisten herausfordert und an dem sich entscheidet, ob ich mich und mein Leben für mich behalten oder aber ihm übergeben und zurückschenken möchte. Die
Arbeit, der Alltag ist nicht das Gottfremde, sondern ein geistlicher Ort, an dem wir
Liebe, Geduld, Selbstlosigkeit, Ehrfurcht, Gehorsam und Offenheit Gott und den
Menschen gegenüber einüben können. Gotteserfahrung ist nicht denen vorbehalten,
die sich ganz aus der Welt zurückgezogen haben, sondern sie ist für jeden möglich,
auch mitten im Trubel des Alltags.
Ora et labora ist eine christliche Lebensregel, da sie die Menschwerdung Gottes
ernst nimmt. Gott ist im Fleisch erschienen, und er erscheint uns heute immer wieder im Fleisch, in unserem eigenen Fleisch, im Fleisch unserer Umwelt, unserer
Arbeit, unseres Alltags. Unser Alltag scheint uns Gott oft eher zu verhüllen. Die
Regel des „bete und arbeite“ will uns hellsichtig machen, damit wir Gott im Fleisch
unseres Alltags erkennen und ihn dort berühren, wo er uns Tag für Tag entgegentritt.
Die Devise des ora et labora kann auch für den heutigen Menschen einen Weg
aufzeigen, wie er seine Arbeit geistlich bewältigen kann. Die geistliche Durchdringung der Arbeit ist dabei nicht etwas, das er zur Arbeit auch noch zu leisten hat.
Vielmehr wird sie seiner Arbeit einen anderen Geschmack verleihen. Wenn das
Gebet den Menschen immer wieder an seine innere Quelle anschließt, dann wird er
aus dieser Quelle heraus anders arbeiten, weniger angestrengt, kreativer und phantasievoller. Seine Arbeit wird eine andere Ausstrahlung haben als die des verbissenen Leistungsbesessenen. Seine Arbeit wird Zeichen seiner inneren Lebendigkeit
werden. Sie wird ihm bei aller Anstrengung Freude bereiten. Und sie wird fruchtbar
werden. Und diesen neuen Geschmack und eine neue Fruchtbarkeit brauchen wir
gerade in unserer Zeit, in der soviel gearbeitet wird, aber so wenig Fruchtbarkeit
entsteht.
AMEN.