satirisch justizhörig experimentell wahrheitenliebend frei-volksherrschaftlich Mit Gutschein für Kleinanzeigen Ausgabe Nr. 11 38. Kalenderwoche 1990 offen bissig kritisch unabhängig überparteilich Einzelverkaufspreis 2,20 DM „An dieser Stelle starb Attila, 4 Jahre alt“ … war auf einem Plakat zu lesen, das bei einer Demonstration an der Unfallstelle am Freitag, dem 14. 9.1990 um 17.00 Uhr auf die Straße gelegt worden ist. In den Nachstunden wurde der Text auf den FußgängerÜberweg mit großen Lettern, für Autofahrer unübersehbar, aufgemalt. Sie lesen Fina-Parkhaus soll bleiben Fina-Parkhaus soll bleiben „Ein vierjähriger Junge ist Donnerstagvormittag am Kopernikusplatz tödlich verunglückt. Als er und sein fünf Jahre älterer Cousin die Kranichsteiner Straße auf einem BMX-Rad überqueren wollten, wurden sie von einem abbiegenden Lastwagen erfaßt. Der Cousin erlitt leichte Verletzungen. Die beiden Kinder fuhren gegen 10.50 Uhr in der Heinheimer Straße auf dem rechten Bürgersteig in nördlicher Richtung. Der ältere lenkte, der jüngere saß auf der Längsstange. Als sie am Kopernikusplatz die Straße überqueren wollten, bog ein zuvor parallel fahrender LKW nach rechts ab. Dessen Fahrer hatte die Kinder offenbar übersehen. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatten beide Verkehrsteilnehmer Grün. An der Ampelanlage warnt ein gelbes Blinklicht Rechtsabbieger vor Fußgängern und Radfahrern, die geraSeite 2 deaus wollen“, steht im Polizeibericht an die Presse. Weitere Informationen Seite 2 waren nicht zu bekommen. Fina-Parkhaus soll bleiben Seite 2 Defekte Ampel wird nach Unfall repariert Die Rechtsabbieger-Warnampel, auf der ein Fußgänger vor gelbem Blinklicht den Autofahrern „Vorsicht“ signalisieren soll, war am Freitag sichtbar nicht in Betrieb, abgesehen davon, daß dieses Blinklicht so unglücklich angebracht ist, daß es weder aus dem Sehwinkel der Autofahrer problemlos erfaßt werden kann, noch überhaupt ins Auge fällt. Laut Aussagen von Anliegern soll das Warnlicht schon seit längerer Zeit nicht funktioniert haben. Am Freitagabend um 18.50 Uhr kam eine Firma, reparierte die Ampel und richtete sie erstmals aus. Einem Gerücht treten wir hier entgegen: Die Kinder waren nicht auf dem Heimweg vom Kindergarten der Martinsgemeinde. Die Leiterin erklärte: „der Kleine ist an dem Tag nicht im Hort angekommen“. Drei Anlieger halten Mahnwache Aus seinem Bettgestell hat der zwanzigjährige Thomas Böhm ein Kreuz zusammengenagelt und mit zwei Freunden Mahnwache gehalten. (Foto Holger Haupt) Spontan hatten sich drei junge Männer, die am Kopernikusplatz wohnen, entschlossen, öffentlich um das Kind zu trauern und die Autofahrer auf die gefährliche Stelle aufmerksam zu machen. In der Gaststätte „Havanna“ diskutierten am Abend des Unfalls Besucher und beklagten, daß „immer erst etwas passieren muß, bevor etwas geändert wird“. Drei von ihnen hatten von der Biertischrunde genug und beschlossen aktiv zu werden. Während die anderen noch darüber berieten, was man und wie man es tun könne, lief Thomas Böhm nach Hause, zerlegte kurzerhand sein Bett und zimmerte daraus ein Kreuz. In der Gaststätte fragte er ob sich ihm jemand anschließen wolle; er werde die Nacht über und den nächsten Tag an der Stelle eine Trauerfeier veranstalten. Matthias Bogner und Reinald Geiß, ebenfalls Anwohner des Kopernikusplatzes, schlossen sich ihm an. Ab 23.00 Uhr stellten sie ihr Kreuz, Blumen und Kerzen auf die Straße und sperrten sie für den Verkehr. Es dauerte nicht lange, und eine Polizeistreife kam und forderte sie auf, die Straße zu räumen, zwar mit Nachdruck, aber nicht unfreundlich. Matthias Bogner war damit nicht einver- standen: „Zu lange weiß ich, daß da was passieren wird. Da muß endlich etwas gegen getan werden“. Engagiert stellte er sich, nachdem die Polizeistreife weggefahren ist, auf die Straße und spielte selber Kreuz. Bis ein Autofahrer – wie so oft an dieser Stelle – zu schnell um die Kurve fuhr, obwohl die Fußgängerampel auf Grün stand, und nur kurz vor ihm zum Stehen kam, so daß er – ohne Verletzungen zwar – von dem Auto noch angefahren wurde. „Ich bin nur zu dem Fahrer gegangen und wollte ihm sagen, warum wir hier stehen und was wir machen, aber der ist weitergefahren wie ein Irrer, als ob er noch nicht ganz wach oder betrunken wäre“. Die drei jungen Männer im Alter von 20 Jahren hatten die Nacht weiter durchgewacht, am morgen bei ihrer Firma angerufen, erklärt, worum es geht, sich frei genommen und sind zum Nacharbeiten am Wochenende verpflichtet worden. Während ihrer Nachtwache hatten sich die Drei überlegt, „da muß ein Kranz her“ . Sie beschlossen, Geld zu sammeln. Bis zur Mittagszeit hatten sie 120 DM zusammen, gingen zur Firma Russler und fragten, ob sie für das Geld einen Kranz bekommen könnten. Als die Verkäuferin hörte, für welchen Zweck, schlug sie vor, ein Kreuz mit Blumen zu binden und sicherte ihnen zu, das Geld werde ausreichen. Das Blumenkreuz befestigten Matthias Bogner und seine Freunde an der Ampel auf der Verkehrsinsel in der Straßenmitte. Zu einer spontanen Demonstration fanden sich am vergangenen Freitag rund 200 DarmstädterInnen zusammen in Trauer um das überfahrene Kind. Der Verkehr war zeitweilig blockiert. (Foto as) zeitig Grün zeigt, läßt gerade bei Kindern den Trugschluß zu, daß sie sicher über die Straße gehen können. Die Überlebensregel, die Kindern anerzogen wird: Bei Rot stehen bleiben – bei Grün darfst Du gehen, müßte um den Grundsatz erweitert werden: Auch bei Grün können Autos kommen. Solange der Automobilverkehr Vorrang hat vor den schwächeren Verkehrsteilnehmern, wird so etwas immer wieder passieren – daran ändern auch blinkende Warnlichter nichts, selbst wenn sie funktionieren. Straßenverkehrsordnung und Wirklichkeit sind eben Zweierlei. Die Stadt hat vor mehreren Jahren einen Versuch an der Kreuzung Bismarck-/Grafenstraße gestartet, die Ampeln nur wechselweise grün zu schalten – wenn die Fußgänger Grün haben, müssen Autos warten und umgekehrt. Der Versuch ist gescheitert an den Protesten der Autofahrer, denen die Wartezeiten zu lang waren. Auch hat es wohl an begleitender Aufklärung gefehlt. können auf der Dieburger- oder der Pützerstraße problemlos den gesonderten Radweg benutzen. Hinter der Kreuzung Dieburger-/Heinheimer Straße endet der Radweg auf der zu engen Fahrbahn. Die Radfahrer werden förmlich in die Zange genommen und vor die Wahl gestellt, entweder schnell vor den Autos herzufahren oder den ohnehin zu schmalen Fußgängerweg zu nutzen. Zwischen den Autos gibt es außerdem kaum einmal eine Lücke für Radfahrer. Die Straße ist aber breit genug, um Radwege in beiden Richtungen zu ermöglichen. Auf der einen Straßenseite ist ausreichende Fläche vorhanden, die nur für Abstellplätze für PKW genutzt wird. Tempo 50 ist zuviel Trotz des Engpasses ist die Geschwindigkeit nicht reduziert auf 30 km/h. Auch nicht, obwohl bereits vor einem Jahr ein Stück weiter vor dem Max-Rieger-Heim Ecke Müllerstraße schon mehrmals Fußgänger angefahren wurden. Die beiden Kinder sollen laut PoliWarum werden zeibericht diesen Engpaß gefahren und keine Radwege angelegt? dann von dem an der Kreuzung abbieDemonstration von Die Heinheimer Straße ist auf dem genden LKW-Fahrer übersehen wor200 Darmstädtern Stück zwischen Dieburger Straße und den sein. Die Kinder müssen sich sicher gefühlt haben, denn sie hatten Rund 200 Darmstädterinnen und Lauteschlägerstraße zu eng. Radfahrer Grün. (Redaktion) Darmstädter demonstrierten am Freitag für mehr Sicherheit für ihre Kinder. An der Stelle, an der das Kind totgefahren worden war, saßen junge Leute. Die gesamte Kreuzung war für den SPD im Martinsviertel fordert Temporeduzierung Verkehr Richtung Kranichstein komplett blockiert, für eine Viertelstunde Die folgende SPD-Pressemeldung ist uns nach dem Unfall zugestellt ruhte der Verkehr auch auf der Hein- worden. Wir geben sie geringfügig gekürzt im Original wieder. heimer Straße, während Frauen und „Der Vorsitzende des Ortsvereins seln in der Höhe Washingtonplatz und Männer skandierten: „Sichere Straßen Martinsviertel, Dr. Harry Neß, zeigt im Bereich Rhönring/Taunusstraße. für unsere Kinder“. Die Eltern des kleisich erschüttert darüber, daß erneut Außerdem wolle die SPD die Unfallnen Jungen waren zu der Zeit der DeKinder Opfer eines Verkehrsunfalls im gefährdung von Schulkindern der monstration im Krankenhaus bei dem Martinsviertel geworden sind. Neß Schillerschule dadurch verhindern, zweiten Kind. „Wir fordern sichere kündigt an, daß der SPD-Ortsverein daß die Müllerstraße zwischen PankraSchulwege, Rücksicht auf Kinder, Tempobegrenzung“, war auf einem ei- Martinsviertel die jetzt vorgelegten tius- und Heinheimer Straße in eine Planungen zur Neugestaltung der ge- unechte Einbahnstraße umgewandelt lig bemalten Karton zu lesen. samten „Verkehrsspinne Kopernikus- wird. Zukünftig solle die Ein- und platz” auf ihre Kindersicherheit über- Ausfahrt nur noch von der Heinheimer Uneinsichtige Autofahrer prüfen lassen wolle. Im Vorgriff solle Straße aus möglich sein. In der PankraVon den Autofahrern, die vorbei- gleichfalls geprüft werden, was an Sotiusstraße soll vor und hinter der Einkamen oder auch warten mußten, be- fortmaßnahmen möglich sei. fahrt zum Max-Rieger-Heim eine quemte sich keiner, auszusteigen. Im Im Martinsviertel gebe es leider Fahrbahnverengung zur GeschwindigGegenteil, nachdem die Polizei am noch eine Reihe von Straßen und keitsreduzierung vorgenommen werFreitag gegen 19 Uhr die Unfallstelle Kreuzungsbereichen, die insbesondere den. nicht mehr bewachte, kam es immer für Kinder Gefahrenpunkte darstellen. Ein jetzt vorbereiteter Antrag forwieder zu kritischen Situationen, weil So habe die SPD im Rahmen der Aktidere die Verbesserung der VerkehrsAutofahrer trotz der Demonstranten on „Kinderfreundliches Martinsvierverhältnisse für Kinder am Taunusunbedingt an der Stelle in Richtung tel”, im Stadtparlament Anträge zur platz, der wegen einer neuen ParkpaKranichstein abbiegen wollten. Jeder Verbesserung der Kinderverkehrssilette und seit dem Umbau dritte bis vierte Autofahrer fuhr ein- cherheit eingebracht, die in der Verunübersichtlich geworden ist. Weitefach unter Mißachtung des Gegenver- kehrsdebatte am 27. September entren Schutz der Kinder erwarte man kehrs auf der Gegenfahrbahn an der schieden werden sollen. Dabei gehe es durch die Ausweitung der Tempo-30Stelle vorbei. Der Zorn der Jugendli- um die Verbesserung der Schaltzeiten Zonen auch im Martinsviertel. In der chen wuchs zu bedrohlichen Situatio- für die Fußgängerschutzampeln im Liebfrauenstraße sei es geglückt, die nen, manche sprangen einfach vor die Rhönring; die Schaltung der Lichtsigdort immer wieder vorkommenden Fahrzeuge, andere warfen Gegenstän- nalanlage am Knotenpunkt RhönKinderverkehrsunfälle durch die Temde hinter den Autos her oder schlugen ring/Heinheimer Straße, damit po-30 Zone auf Null zu drücken. Allermit der Faust aufs Blech. Fußgänger vor den Rechtsabbiegern dings sei der Ortsverein inzwischen aus dem Rhönring das Grünsignal er- sehr verärgert darüber, daß dort noch Falsche Überlebensregeln halten und der Knotenpunkt durch eiDie Ampelschaltung, die Fußgän- nen Gelbblinker für die Fußgänger siFortsetzung Seite 2 gern und abbiegenden Autos gleich- cherer wird, sowie weitere Verkehrsin- Für mehr Kinderverkehrssicherheit 38. Kalenderwoche - Seite 2 Ausgabe Nr.11 „Nebulöse Versprechen“ auf ein Zeichen gewartet und es bekommen haben, um geschlossen gegen ihren Oberbürgermeister zu stimmen“. Auf der Zuschauertribüne saß unter anderen Mitgliedern der Bürgerinitiative auch Peter Geppert. Als er tags darauf den Kommentar von Klaus Staat im „Darmstädter Echo“ las: „Das ist doch ein Hohn!“, setzte er Was haben die Heag-Hallen mit dem Finablock zu tun? Ist es sinnvoll, sich hin, schrieb einen Leserbrief an das Fina-Parkhaus abzureißen und durch noch mehr Geschäfte zu erset- das „Darmstädter Echo“ und bekam zen? Was passiert dann mit den Autos, die heute dort parken? Werden die ihn mit der freundlichen Auskunft zuirgendwann in einer neuen Marktplatz-Tiefgarage unterkommen? Eine rück, der sei zu lang (s. Seite 3). Gespräch mit Peter Geppert über die BI „Finablock“ Bürgerinitiative aus Ärzten, Anwohnern und Geschäftsleuten hat sich um Das magische Dreieck den Ludwigsplatz (Bismarckbrunnen) und die entferntere Umgebung geHeaghallen, Fina-Parkhaus, bildet, mit dem Ziel, das Fina-Parkhaus zu erhalten. Die Hintergründe Marktplatz-Tiefgarage und die stiefmütterliche Behandlung der Bürgerinitiative durch den Oberbürgermeister, das Parlament und die Presse wirft ein Schlaglicht Mit dem Bau des Fina-Minizenauf die demokratischen Verhältnisse Darmstadts. trums soll der Umbau der Heag-Hal- Das Finaparkhaus ☛ Fortsetzung Seite 1 Für mehr Kinderverkehrssicherheit immer die häßlichen Betonkübel herumstehen und der seit Jahren versprochene schöne Ausbau mit Baumbepflanzung noch nicht realisiert worden sei. Es sei auch festzustellen, daß die Betonkübel auf die Seite geschoben würden und, wenn die Straße einigermaßen frei sei, Raser Slalom fahren. Dem müsse im Interesse der Kinder, aber auch der alten Leute, ein Riegel vorgeschoben werden. Der Ausbau müsse deshalb bald beginnen.“ Verkehrsunfälle mit Kindern in Zahlen 1989 sind in Darmstadt 62 Kinder angefahren worden. Schwerverletzt wurden zwanzig. Impressum Verleger und Herausgeber: Michael Grimm Unser Team : Uta Schmitt Ellena Huszarik Sanne Borghia Ingulf Radtke Jörn Johansen Michael Schreiber-Bimster Klaus Maat Telefon: 0 61 51 / 71 98 96 Telefax: 0 61 51 / 71 98 97 Anzeigen Tel.:0 61 51 / 71 98 96 Peter Horn Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 2 Postanschrift: Zeitung für Darmstadt Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt Bankverbindungen: Volksbank Darmstadt BLZ 508 900 00, Konto 14 111 301 Spendenkonto: Postscheckamt Frankfurt BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601 Druck: Caro Druck Mainzer Landstr. 147, 6000 Frankfurt 1 Auflage: 5.000 - 60.000 Abonnement: jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt. Personenbezogene Daten werden elektronisch gespeichert, ausschließlich intern für die Verwaltung eingesetzt und nach Ende des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht. Informanten bleiben gemäß gesetzlicher Grundlage auf Wunsch anonym. Diese Zeitung ist vollständig (Text und Bild) mit QuarkXPress auf Apple Macintosh gesetzt. nicht“. Kommt das Fina-Parkhaus weg und findet die Stadt einen Investor, dann gibt es noch mehr Einzelhandel. Bonmot im: Zur Zeit wird das „Modehaus Kissel“ neu gebaut. „Da Herrn Kissel die Ablösungssumme für 45 Parkplätze zu teuer war, baut er 45 Parkplätze ein. Ohne Fina-Parkhaus allerdings gibt es keine Zufahrt zu den Parkplätzen“. Was dann mit denen passiert? Vielleicht braucht Herr Kissel dann mehr Lagerfläche. Die Parkplatzablösesummen – den Geschäftsleute von der Stadt verordnet – stoßen auf Unverständnis: Mal ist was von 30.000 (ph) DM pro Stellplatz die Rede, mal - im Fall des Geschäftes „Langheinz“ von 120.000 DM. Peter Geppert erzählt das eter Geppert, Inhaber eines sehr ruhig, aber die Wut, die dahinter Strumpfgeschäftes, ist einer der drei steht, ist unüberhörbar. Vorstandsmitglieder der BürgerinitiatiWer sind die Leute, die für ein ve „Finablock“, die Mitte Juli gegrünhalbfertiges Parkhaus an die det worden ist. Er, Klaus Nitzsche und Öffentlichkeit treten? Dr. Günther Wickop beschlossen, die Bürgerinitiative zu gründen, nachdem 30 Ärzte nutzen das Parkhaus und ihnen am 9. März ein Brief der Stadt ihre Patienten ebenso. Sie sind in der Darmstadt zwar nicht die offizielle Bürgerinitiative. An dem Parkhaus Kündigung, aber doch die eindeutige liegt ihnen deshalb viel, weil Kranke Ankündigung, daß das Fina-Parkhaus und Behinderte kurze Weg haben. Vor geschlossen werde, zugestellt worden allem für behinderte Patienten ist die war. Das ist das Aus für Parkplätze von gewachsene Situation eines ebenerdiDauermietern im Fina-Parkhaus. Es gen Parkhauses ohne Treppen und trifft Anwohner, Ärzte Gewerbetrei- Fahrstühle geradezu ein Geschenk. bende und Kurzzeitparker gleicherma- Aber auch Behinderte, die einkaufen ßen. möchten, haben längst die Vorzüge erkannt. Von den Ärzten selbst einmal „Vor 25 Jahren“, erzählt Peter Gep- ganz abgesehen, die auf ein Fahrzeug pert, „hat uns die Stadt Darmstadt das in nächster Nähe allein deshalb angeParkhaus quasi aufgezwungen, da sind wiesen sind, weil sie ihre Patienten wir der Stadt entgegengekommen. Da- umso schneller erreichen können. mals war das Parken noch überall gratis und das Parkhaus teuer“. Die GeZu den Benutzern der Parkhäuser schichte dieses Parkhauses ist eng mit zählen aber auch die Geschäftsleute. Menglers Parkplatz-Kalkulation ver- Sie bilden mit 41 Firmen in der Bürknüpft: „Das Fina-Parkhaus ist nie fer- gerinitiative einen verständlich großen tig gebaut worden. Es sollte noch zwei Anteil: Ein Geschäftsmann in der Inoder drei Geschosse mehr haben“, er- nenstadt kann mit einem Dauerparkklärt Geppert, „ die wurden aber nicht platz, der ihm 8 Stunden Standrecht errichtet, weil Mengler befürchtete, garantiert - so will es die Stadt - nichts sein Parkhaus Grafenstraße, das über anfangen. „Ich arbeite doch keine 8 dem Atombunker, nicht voll zu be- Stunden als Selbstständiger, sondern kommen. In der Folgezeit gab es Ge- 12 bis 14 Stunden“, sagt Peter Geppert schäftsleute, die aufstocken wollten, und beschreibt damit die Situation fast aber dann kam Mengler mit den aller Einzelhändler. „Und wenn wir Schloßgaragen und schließlich mit Briefe und Pakete haben, das sind am dem Luisenzentrum“. So ist das Fina- Tag spielend vier große UmzugskarParkhaus nie fertig gebaut worden und tons voll, sollen wir die dreihundert bis behielt eigentlich eher den Charakter fünfhundert Meter durch die Stadt traeines Parkplatzes als den eines Park- gen, um sie zur Post zu bringen?“ Das hauses. Heute finden 130 Autos darin Automobil ist für diese Geschäftsleute Platz, und schenken wir der Bürgerini- dringendes Erfordernis, vor allem auch tiative Glauben, dann kommen außer in der Nähe. „Meine Frau und ich haden Dauermietern noch rund 400.000 ben schon überlegt, ob wir uns zwei bis 450.000 Kurzzeitparker pro Jahr Minis kaufen, um einen Parkplatz eindazu - pro Tag immerhin über 1.000 zusparen“. Fahrzeuge. P Schildbürgerstreich Peter Geppert meint: „In Sachen Auto müssen wir alle lernen, umzudenken. Wir werden noch einige Jahre, vielleicht noch ein Jahrzehnt, mit dem Auto leben müssen“. Er kommt selber aus dem Odenwald und trauert dem „Lieschen“ - so hieß einmal ein Zug auf der Odenwaldbahnstrecke - nach und konstatiert nüchtern, daß es zur Zeit keine Alternative zum Auto gibt. Aber auch darüber ist er sich im klaren: „Je mehr Einzelhandel konzentriert in der Stadt, um so mehr Verkehr. Als wir noch mit der Tasche einkaufen gehen konnten, war das Angebot nicht so groß, aber da gab es die Probleme Und was ist mit den Anwohnern? Auch wenn die City nachts tot ist, gibt es doch immer noch Menschen, die dort wohnen und nicht dort arbeiten, wo sie wohnen. Auch sie sind schon zum Teil in der Bürgerinitiative. „Alles jammert über die tote Innenstadt am Abend. Unser Fina-Parkhaus ist abends voll belegt, fällt es weg, sind noch weniger Menschen im Zentrum“. Das frauenfreundliche Parkhaus In Frankfurt kämpft die Stadtverwaltung mit einem neuen Problem: In den dunklen Parkhäusern werden Frauen überfallen, beraubt und vergewaltigt. Ein ideales Pflaster für Straftäter. „Die Frauen haben Angst vor den dunklen Parkbuchten“, sagt Peter Geppert und erzählt, „viele Kundinnen schätzen deshalb unser Fina-Parkhaus“. Vielleicht ein guter Tip für die Frankfurter, wie so ein Problem in Darmstadt heute gelöst ist, denn dort sucht die Verwaltung dringend „Frauenparkplätze“. Gläserne Aufzüge, von Pförtnern einsehbare Frauenparkplätze und ein Notrufsystem sollen dafür sorgen, daß die andere Hälfte der Menschheit die Parkhäuser nicht aus Angst meidet. Anlieferung aus der Luft? „Handelsvertreter, die kleine Proben bringen, finden heute im FinaParkhaus gerade noch einen Platz. Aber schon bei der Warenanlieferung mit größeren Fahrzeugen wird das problematisch. Die Stadt hat eine gewachsene Struktur, die ohne Gesamtplanung dazu geführt hat, daß schon heute zum Teil Waren über 300 Meter mit der Sackkarre angeliefert oder abgeholt werden müssen. Wäre es nach der Stadt gegangen, dann hätten die großen Lastzüge noch nicht einmal mehr auf dem Ludwigsplatz halten können, in der Mitte sollte ein Blumengeschäft auch noch diese Anfahrmöglichkeit zubauen. Ein Geschäft muß mit Waren versorgt werden -das ist bald nur noch aus der Luft möglich.“ Normalerweise sorgen in den Stadtzentren kleine Straßen rund um die Fußgängerzonen für die Anlieferung - nicht so in Darmstadt - hier sind überall in der City auch in kleinen Straßen Geschäfte. Die Gleichgültigkeit und die Arroganz, mit der seitens der Verwaltung Anlieferwünsche und Parkprobleme von Geschäftsleuten behandelt werden, hat einen Teil von ihnen dazu veranlaßt, Strafzettel als feste Größe in die Kalkulation mit einzubeziehen weil es nicht anders geht. Ihre Ohnmacht gegenüber solcher Ignoranz, die ihre Probleme einfach unter den Tisch kehrt, steht in seltsamem Widerspruch zu der ansonsten wirtschaftsfördernden Haltung der Stadt. SPD Taktik gegen AnliegerWünsche – OB überstimmt? Auf der Stadtverordentenversammlung am 5. Juli 1990 brachte der CDU Abgeordnete Klaus Anspach das Problem Fina-Parkhaus zur Sprache und Oberbürgermeister Metzger (SPD) sicherte zu, daß selbstverständlich für die Anlieger Parkplätze eingerichtet würden. Dr. Wolfgang Rösch von der CDU sprang auch nochmal in die Bresche: „Hier besteht die Chance, eine der letzten städtebauplanerischen Entwicklungen zu setzen - aber doch bitte kein Mini-Luisenzentrum. Der Bebauungsplan gehört eingemottet“. Dr. Hermann Kleinstück (FPD) meinte, den Benutzern des Fina-Parkhauses könne zugemutet werden, 300 Meter zu Fuß zur Marktplatz-Tiefgarage zu gehen. Bei der Abstimmung votierte die SPD-Fraktion geschlossen gegen die Zusage ihres Oberbürgermeisters. Peter Geppert dazu: „Das war doch Taktik, eine so straff und gut geführte Partei wie die SPD, in der kein Mitglied für den OB stimmt, mußte len - geht es nach den Wünschen der Stadt - finanziert werden. „Ausgelöst durch die Unfähigkeit, die Heag-Hallen zu sanieren, das ist seit acht Jahren eine tote Anlage - soll auf dem FinaGelände eine feine Einkaufspassage errichtet werden“. Die Einkaufspassage erfordert wieder mindestens 65 Parkplätze nach der Stellplatzverordnung (ohne Modehaus Kissel), die 130 bestehenden des Fina-Parkhauses fallen weg, also muß die MarktplatzTiefgarage kommen. „Die Marktplatz-Tiefgarage ist nichts Greifbares, alle Versprechen sind nebulös“. „Der OB hat versprochen, unter dem Einkaufszentrum Fina eine Tiefgarage mit Zufahrt vom Luisenzentrum her zu ermöglichen. Das ist nicht nur technisch nebulös, Karstadt stellt sich stur, weil die Stadt an anderer Stelle Karstadts Wünschen nicht entsprochen hat“. Und „der Ersatz Marktplatz-Tiefgarage, den der OB in Aussicht gestellt hat, ist genau so nebulös. Die Zusagen dies OB sind nichtig, denn die eigene Fraktion hat ihn überstimmt“. Für die Marktplatz-Tiefgarage sind die bautechnischen Probleme ungelöst. „Es ist einfach in die Debatte gekommen, weil da ein Platz ist. Wir bezweifeln, daß es dort überhaupt möglich ist, in den Grund einzudringen.“ Erst der Abriß und dann… Was Peter Geppert besonders konsterniert und die Bürgerinitiative auch unbedingt geklärt wissen will: „Ist das Fina-Parkhaus erst abgerissen, was machen wir dann, bis die MarktplatzTiefgarage gebaut ist, in der Zwischenzeit?“ Erst einmal muß die Stadt einen Investor finden, der beim FinaParkhaus bauen will. Da gehen zwei bis drei Jahre noch einmal vorüber. Dann aber wird es eng für die Bürgerinitiative. Bis dahin brauchen sie die klare Zusage, wie was geplant und letztlich so verwirklicht werden wird, daß ihre Interessen berücksichtigt sind. Unsere Meinung Läßt sich der Bau der MarktplatzTiefgarage technisch doch realisieren, dann ist damit zu rechnen, daß die Stadt keine Probleme hat, einen Investor zu finden: Steigende Parkplatzgebühren und ein stetig anwachsender Verkehr - noch dazu unterstützt durch das kommende Parkleitsystem kann einen Investor auf Gewinn hoffen lassen. Hat vielleicht gar schon die CityGaragen (Mengler) eine Zusage in der Tasche? „Die erdtechnischen Voruntersuchungen werden im August abgeschlossen sein“, teilte Stadtrat Heino Swyter der CDU im Mai mit. Die Öffentlichkeit ist von dem Ergebnis noch nicht unterrichtet. Die HeagHallen und auch eine Fina-Parkhaus Bebauung werden aufgrund der schlechten Kassenlage der Stadt Darmstadt voraussichtlich kommerzielle Objekte, denn der städtische Haushalt läßt keinen Spielraum mehr. Mehr Kommerz in der Innenstadt, mehr Parkplatze in der Innenstadt heißen letztlich auch wieder mehr Verkehr. M. Grimm 38 . Kalenderwoche - Seite 3 „Heilige Einfalt“ Wundersame Geldvermehrung durch Fina-Block Dieser Leserbrief war Reaktion eines Kommentars von Klaus Staat , Ressortchef des Lokalen im Darmstädter Echo. Mit der Begründung, er sei zu lang, lehnte das DE die Veröffentlichung ab. Da wir der Ansicht sind, der Kommentar muß nicht gelesen sein, und da der Leserbrief an Aktualität nichts eingebüßt hat, seine wichtige Aktualität überhaupt erst noch mit dem Abriß des FinaParkhauses erhält, empfehlen wir unseren Lesern diesen anderen Blickwinkel. „In seinem Kommentar (DE vom 7.7.1990) zu den städtischen Plänen (Bebauungsplan M 20) um die Neugestaltung des Heag-Hallenkomplexes und den sogenannten Fina-Block (ein Parkdeck, Tankstelle und Garagen im Bereich Ludwigsplatz/Luisenstraße), wie sie sich in der Diskussion der Stadtverordneten am 5.7.1990 niederschlug, verhehlt Klaus Staat seine klammheimliche Schadenfreude nicht. Die Innenstadtkaufleute sollten es der „Eigendynamik des Marktes“ überlassen, „wie tragfähig die Sache“ sei. Womit er meinte, die Schaffung neuer Einzelhandelsgeschäfte im Bereich des derzeitigen Fina-Blocks werde den städtischen Säckel so füllen, daß dadurch die Heag-Hallenpläne schuldenfrei realisiert werden könnten. Als Einzelhändler, der am dort angrenzenden Ludwigsplatz sein Geschäft betreibt und auch dort wohnt, scheint mir diese Sicht der „Sache“ arg verengt, will man sie nicht gleich als heilige Einfalt erkennen. Das Zahlenspiel ist unrealistisch, es sei denn, die Stadt liefert sich wieder einmal einem (Groß-) Investor aus. Denn in den Fina-Block sollen 28.000.000 DM investiert werden, damit für die Heag-Hallen 30.000.000 DM herausspringen“: Eine wahrlich wundersame Geldvermehrung. Doch selbst wenn dies gelingen könnte, bleibt die weitere Frage zu klären: Wie soll die bestehende und durch weitere Geschäfte im FinaBlock anwachsende KraftfahrzeugParkraumnot in der Innenstadt behoben werden? Das Fina-Parkdeck ist in den 50er Jahren doch nicht gebaut worden, weil die Stadt damals zu viel Geld gehabt hätte, sondern weil eben kein ausreichender Parkraum vorhanden war. Und dieser Zustand hat sich durch die Vermehrung des Individualverkehrs wie durch die Zunahme der Zahl der Geschäfte keineswegs gebessert. Das Fina-Parkdeck erfreut sich eines Zuspruchs von ca. 450.000 (!) Kurzparkern jährlich - von Anliegern als Dauerparkern, seien es Gewerbetreibende, Ärzte oder schlichte Stadtbürger, die dort noch wohnen, wie ich, gar nicht zu reden. Kann man diese „Abstimmung mit den Füßen“ denn einfach ignorieren? Ich meine: Nein! Wer in der Innenstadt einkauft, möchte das Kraftfahrzeug in erreichbarer Nähe haben um die Ware abzutransportieren. Dem nützt dieser Parkplatz in auffälliger Weise. Die Stadt hat die Anwohner, die den Wiederaufbau nach dem Krieg betrieben haben, stets zur Zahlung von Ablösebeträgen für von der Stadt zu schaffenden Parkraum herangezogen. Wozu das, wenn nun Parkraum so großzügig vernichtet werden soll? Gibt es den Ersatz? Ich kann dies nicht feststellen, zumal letzte „Oasen“ - wie etwa die (Park-) „Wildbahn“ des Marienplatzes - sicherlich bald wegsaniert werden. Aus der Sicht stadtplanerischer Überlegungen kann man doch nicht Rosinenpickerei betreiben nach dem Muster: das Fina-Parkdeck ist ein „Pfahl im Fleische“, der ansonsten völlig verkehrsberuhigten Innenstadt. Die Verhältnisse sind doch nun einmal nicht so. Auf alle Zeiten wird man den Anlieferverkehr für den Handel und Wandel dulden müssen. Warum denn auch nicht, gehört doch dies zur selbstverständlichen urbanen Infrastruktur, zumal wenn man - wie Wachstumsfetischist Klaus Staat, von dem man indessen zu anderen Jahreszeiten auch Abfälligeres über Kommerz und Feste vernimmt - „weitere Käuferströme nach Darmstadt ziehen“ möchte. Anlieferverkehr läßt sich doch auch nicht durch einen „praktischen unterirdischen Ladehof“ unterm Marktplatz (für Adac, Standesamt und Landesbibliothek im Schloß - oder wen?) vermeiden, wie Klaus Staat in der Gischt seiner Ideen irrig wähnt. Stadtplanung - und darum geht es hier doch - sollte nicht Flickschusterei sein, wie sie vielleicht nach dem Krieg manchmal unvermeidbar war. Schlüssig können innenstadtberuhige Verkehrskonzepte doch nur sein, wenn das Auto mitberücksichtigt ist. Insoweit wird Darmstadt Frankfurt nie das Wasser reichen können, weshalb auch der von Klaus Staat erfundene „Wettlauf mit Frankfurt“ fiktiver bleiben muß, als weiland der Wettlauf zwischen Hase und Igel, denn Frankfurt hat mit seiner U-Bahn eine andere Dimension erreicht. Die Lösung kann deswegen auf längere Sicht nur darin liegen, attraktiven Parkraum an der Stadtperipherie zu interessanten Preisen zu schaffen. Abgesehen von zaghaften Ansätzen, kann ich nicht erkennen, daß ein solcher Standard auch nur annähernd erreicht wäre. Dann aber gilt für die „Übergangszeit“ - will man von seiten der Behörden nicht mutwillig zahlreiche von außerhalb anreisende Patienten bzw. Kunden Darmstädter InnenstadtArztpraxen bzw. Geschäfte auf Dauer vertreiben: „Gebt dem Fina-Parkdeck seine Chance!“, vielleicht verschönt und saniert, damit es nicht nur funktionell ist, sondern auch gefällig wirkt. Dies jedenfalls hat sich eine von mir mitgetragene Bürgerinitiative zum Ziele gesetzt, auf daß noch mach' anregender „Adrenalinstoß“ (Originalton „pep/KS“ im Echo am 7.7.1990) die Überlegungen zuständiger Stellen zur Innenstadtgestaltung befeuere. Peter Geppert, Ludwigsplatz 2, 6100 Darmstadt Mordfall Heike Hennemann: Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen Sensationslüsterne Journalisten ruinieren Existenz einer Familie Wie aus dem Mittelalter und seiner unmenschlichen Bestrafungsformen erscheint der Leidensweg eines Ehepaares und seiner beiden Töchter. Unter dem Verdacht des Mordes wird der Ehemann in Untersuchungshaft genommen - die Presse veröffentlicht Name, Anschrift und Beruf und zerstört vor einer Verurteilung die Existenz der Familie. Die Staatsanwaltschaft sucht nach dem Mörder der zwölfjährigen Heike Hennemann. Im Zuge der Ermittlungen werden - da keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen - polizeibekannte Sexualtäter überprüft. Das ist der normale Gang und sicher eine Möglichkeit, Spuren zu finden. Die Staatsanwaltschaft findet Indizien, die den Verdacht begründen, es könne sich um den Mörder handeln. Daraufhin gibt sie eine Pressemeldung frei, die korrekt die Ermittlungsergebnisse weiterreicht. Noch geben die Indizien - Fasern von Kleidungsstücken nicht viel an Verdachtsmomenten her, alles weitere müssen Verhöre und zusätzliche Untersuchungen ergeben. Dennoch wird Haftbefehl erlassen zum Schutz der Öffentlichkeit. Frauen statuieren Exempel an dem Vergewaltiger Bei dem Angeschuldigten (nur Verdächtigen) handelt es sich um einen Mann, der wegen vielfacher Sexualdelikte gegen Mädchen (fünf Vergewaltigungen, zwei versuchte Vergewaltigungen und fünf Nötigungen) schon rechtskräftig verurteilt worden ist und seine Strafe von 11 Jahren verbüßt hat, wie heute zumeist verkürzt auf zwei Drittel. In Darmstadt wurde der frühere Prozeß gegen ihn zum Politikum, weil Frauenorganisationen das juristische Vorgehen „Flohmarkt zieht nur einen Platz weiter“ Magistrat setzt sich über Parlament hinweg Jahrelang war die Diskussion, wo in Darmstadt der Flohmarkt stattfinden soll, Gegenstand parteipolitischer Stellungnahmen. Stadtrat Heino Swyter (FDP) widersprach sich gar in der Öffentlichkeit: Mal sollte der Flohmarkt aus der City raus, im Sommer sollte er wieder rein. Jetzt meldet die Stadt Darmstadt, daß der nächste Flohmarkt am 6. Oktober 1990 auf dem „begrünten Terrain des Meßplatzes genügend Raum findet“. „Durch das abgeteilte Grün könne eine Atmosphäre entstehen, die auf dem Meßplatz vermißt worden sei“. Zur Begründung führt der Magistrat an, „daß wegen der erheblichen Probleme bezüglich der Sicherheit der Besucher bei einer Flohmarktveranstaltung in der Innenstadt noch keine Entscheidung zur Rückverlegung des Flohmarktes getroffen“ worden ist. Mißachtung der Stadtverordneten Die Darmstädter CDU protestiert dagegen. Fraktionsvorsitzender Dr. Rüdiger Moog bezeichnet das „als Mißachtung der Stadtverordnetenversammlung“, da diese am 17. Mai 1990 beschlossen hatte, daß künftig die Innenstadt als Standort für den Flohmarkt vorzusehen sei. „Die CDU hält es für unerträglich, daß der Magistrat sich über die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung hinwegsetzt“. Metzger und Swyter müßten zur Kenntnis nehmen, daß die politischen Entscheidungen von den gewählten Vertretern der Bürgerschaft, der Stadtverordnetenversammlung, zu treffen seien und nicht von dem von ihnen gewählten Magistrat. „Hier gehts ums Wollen…“ „Der Parlamentsbeschluß werde nun just von den der SPD und FDP angehörenden Magistratsverantwortlichen ausgehebelt“, bezieht die Grüne Stadtverordnete Beatrix Gaertner Stellung. „Es bleibt dabei: Wenn die Stadt nicht in der Lage ist, an zwei Samstagen im Jahr geeignete Voraussetzungen für einen innerstädtischen Flohmarkt zu schaffen, braucht ihr auch sonst politisch nichts mehr zugetraut zu werden. Hier geht es in Wahrheit einzig und allein um's Wollen und nicht um's Können“, erklärt Frau Gaertner. gegen Vergewaltiger an die Öffentlichkeit brachten und gerade in seinem Fall ein Exempel statuiert hatten wegen wiederholter Tat. Wer hat den Namen freigegeben ? Nach seiner Haftentlassung arbeitete er als Selbständiger und war auch keiner Wiederholungstat verdächtigt, bis die Staatsanwaltschaft die Pressemitteilung herausgab. Irgendwo -das ist nicht zu erfahren- gab es eine Lücke, durch die bekannt wurde, um wen es sich bei dem Beschuldigten handelt. Die Presse langte dankbar zu. Immerhin eine Sensation: Die BildZeitung veröffentlichte am 21.8. den Namen in gekürzter Form, Alter, Beruf, Geschäftstätigkeit, Wohnort und Automarke des Verdächtigten. Das Darmstädter Echo zog am am 23.8. unter dem Kürzel (wh) eine Meldung nach, in der über zertrümmerte Schaufensterscheiben des Geschäftsmannes berichtet wurde und er selbst - als nur Beschuldigter - mit vollem Namen, Beruf und Alter genannt wurde. Die Bildzeitung hatte den Namen zuerst veröffentlicht - kaum jedoch Grund für das „Echo“, sofort nachzuziehen. Der Presserat prüft derzeit eine öffentliche Rüge gegen die Blätter, wegen Verstoßes gegen den Pressekodex (über das Ergebnis werden wir berichten). Staatsanwalt Nauth, Pressesprecher, erklärt auf die Frage, wo der Name durchgesickert sein könnte, darüber wisse er auch nichts. Angesprochen auf die Nennung des vollen Namens im Darmstädter Echo meinte er, „das ist doch eine seriöse Zeitung, und die Bildzeitung hatte es ja schon veröffentlicht“ - allerdings stand der volle Name erstmals im Echo - wohl doch nicht so seriös. Polizeisprecher Werner Rühl gibt seiner Verwunderung ebenfalls Ausdruck:„Das hat mich doch sehr gewundert - das Echo hat sich früher zurückgehalten und die Berichterstattung in der Landkreisredaktion war doch wohl sehr vorsichtig“. Von seinem Schreibtisch ist der Name mit Sicherheit nicht an „Bild“ oder das DE gegangen. Da es keinen Paragraphen gibt , der eine derartige vorverurteilende Berichterstattung unter Strafe stellt, können Informanten und BoulevardBlätter getrost so weiter machen. Was passiert denn schon? - Allerhöchstens eine Rüge des Presserates muß publiziert werden. Belohnung Die Staatsanwaltschaft hat weitere Indizien gefunden. An der Leiche des zwölfjährigen Mädchens haben die Ermittler Fasern entdeckt, die auch in dem Innenraum des Fahrzeu- ges des Beschuldigten verarbeitet worden sind. „Von dem Auto gibt es in Hessen nur 129 Fahrzeuge gleichen Typs und gleicher Ausstattung“. Für ihre weiteren Ermittlungen bittet die Staatsanwaltschaft um Hinweise. "Wer hat in der Umgebung des Wasserwerkes Gernsheim einen Mann mittleren Alters mit zwei auffallend großen Hunden gesehen, die wahrscheinlich frei umherliefen?“ Hinweise nimmt die „Sonderkommission Hennemann“ unter Telefon 06142/6090 entgegen. „Eine Belohnung in Höhe von 10.000DM für sachdienliche Hinweise hat weiterhin Bestand.“ Der Verdacht gegen den Angeschuldigten habe sich weiter erhärtet erklärt Nauth, über die Einzelheiten wollte er jedoch keine Angaben machen - nur unserer Zeitung gegenüber? Der Volkszorn ist entfacht: „Sippenhaft“ für die Familie“ Die Frau des Verdächtigten und ihre beiden Töchter sind - obwohl es sich nur um eine Anschuldigung handelt - aufgrund der unsittlichen Berichterstattung in Sippenhaft genommen, für etwas, das noch nicht einmal bewiesen ist. Die Existenz des Geschäftsmannes ist ruiniert. Die Ladenlokale sollen veräußert sein, und die private Villa ist immer billiger zu haben, da die Familie offensichtlich so schnell als möglich die Flucht vor dem entfachten Volkszorn ergreift. Sie schottet sich derart gründlich ab, daß es unmöglich ist, einen Termin für ein Interview zu vereinbaren. Ihr Anwalt - angeblich der SPD-Landtagsabgeordnete Weidmann - war über 14 Tage für uns nicht erreichbar. Trotz mehrfacher Zusagen, rückzurufen, blieb die Zusage unerfüllt. Auch Briefe an den Anwalt und die Frau des Angeschuldigten blieben ohne Reaktion. Gleiches gilt für einen Brief an die Chefredaktion des DE - auch sie hüllt sich in Schweigen - gibt es denn hier niemanden, der noch Rückrat und Ethos kennt? Folgenlose Gossen-Journaille Derart hemmungslosen Schmierfinken von Journalisten gehört das Handwerk gelegt. Wenn ihre Phantasie schon so eingeschränkt ist, daß sie die wichtigen Tagesereignisse nicht mehr interessant und anschaulich zu vermitteln vermögen und um jeden Preis der vermeintlichen Sensation huldigen, sollten wenigstens die Verantwortlichen die Konsequenz ziehen und dem Mittelmaß journalistischer Gossenkehrer den rechten Ausweg weisen. Haushalt Der Stadtsäckel hat ein riesiges Loch Gespräch mit Kämmerer Otto Blöcker über Darmstadts Finanzen Weniger Gewerbesteuereinnahmen und höhere Ausgaben zwingen den Kassenhalter der Stadt Darmstadt, Stadtkämmerer Otto Blöcker (SPD), dazu, dringende Sparsamkeitsappelle an die Politik zu richten. Das hatte er auch 1989 getan, als die Rücklagen der Stadt Darmstadt erstmals angegriffen werden mußten - dieses Jahr werden die Rücklagen zur Hälfte aufgebraucht. Ob die Stadt eine höhere Besicherung für den Haushalt hätte einplanen müssen? Ein Loch von mehr als 45 Millionen ist in dem Haushaltsentwurf für das Jahr 1990 enthalten, das den Sicherheitsreserven entnommen werden muß, die sich dadurch von 90 Millionen (+ 9 Millionen Pflichtrücklagen) auf die Hälfte reduzieren. Der Magistrat hat den Nachtragshaushalt und den Haushaltsentwurf für 1991 gebilligt- allerdings nicht einstimmig. Das Parlament muß dem Entwurf noch zustimmen, Beratungs-Termin ist der 25. Oktober 1990. Die Stadt Darmstadt hat im Laufe der Jahre 500 Millionen an Darlehen aufgenommen, für die Zinsen gezahlt werden müssen. Damit die Kasse der Stadt nicht leer, das heißt die Stadt zahlungsunfähig wird, schlägt der Kämmerer vor, weitere Darlehen in Höhe von 13,5 Millionen in diesem Jahr und 27,7 Millionen im kommenden aufzunehmen. Darmstadt zählt damit zu dem Drittel der deutschen Städte, die am höchsten verschuldet sind. „Unser Vorentwurf muß noch vom Regierungspräsidenten genehmigt werden, da auch die Pflichtreserven mit verplant sind“, erklärt Stadtkämmerer Blöcker. Nicht immer bürgt Größe für (monetären) Glanz Der Stadtkämmerer hatte bereits im letzten Jahr dringend an die Stadt appelliert, sparsam zu wirtschaften, war allerdings von dem Haushaltsergebnis auch selber überrascht, der aus einem drastischen Rückgang der Steuereinnahmen der Stadt Darmstadt herrührt. Das war zwar schon vor mehreren Monaten bekannt, nicht aber in den vollen Auswirkungen: Statt der vorausberechneten 138 Millionen waren es 16 Millionen weniger, 122 Millionen. Die Stadt Darmstadt erhält ihre Gewerbesteuereinnahmen primär von Großunternehmen, 40% der Einnahmen zahlen allein 20 Firmen. Für die Öffentlichkeit wird erklärt, daß die Unternehmen auf Grund der guten Wirtschaftslage investieren mit der Folge, daß sich der zu versteuernde Ertrag verkürzt und die Stadt weniger Steuern kassiert. Das kann aber nur ein Teil der Ursache sein. Auf die Frage danach, woher die Steuern kommen sollen , wenn sie schon bei guter Wirtschaftslage ausbleiben , wenn die Konjunktur bergab geht und die Unternehmen geringere oder keine Erträge erzielen, antwortet Stadtkämmerer Blöcker: „Wenn ich schon in der Hochzeit keine höheren Steuereinnahmen erziele, kann ich in der Rezession auch keine erwarten, mit Ausnahme der Nachzahlungen, die bislang nicht erfaßt sind, die kommen selbstverständlich noch“. Städtische Investitionen heute begründen Arbeitslosigkeit morgen - so wollen´s die Theoretiker Der Wirtschaftstheoretiker und geistige Vater des „Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“, John Maynard Keynes, auf dessen Theorie die gesetzlichen Bestimmungen basieren, verordnet den öffentlichen Haushalten für die Zeiten wirtschaftlichen Booms eine sparsame Politik, also auch unserer Stadt. In diesem Sinne sind die Forderungen des Stadtkämmerers auch theoretisch nicht nur als Appell zu nehmen, sondern als Leitline für Sicherheit und Stabilität einer sozialen Marktwirtschaft. Der theoretische Hintergedanke dieser Politik ist,daß die öffentlichen Haushalte in die Auftragslücken einspringen, wenn die Unternehmen nicht mehr genügend Erträge erzielen - im Falle einer Rezession. Wenn die Stadt Darmstadt aber bereits in den Zeiten des Booms auf ihre Rücklagen zurückgreifen muß, ist sie nicht mehr in der Lage, eine expansive Investitionspolitik zu betreiben, wenn dies in Zeiten wirtschaftlichen Rückganges erforderlich wird. Spekulation auf weitere wirtschaftliche Expansion: Gehaborn als Garant für den Stadtsäckel. Wie wird die Stadt mit ihrem schrumpfenden Budget in der Planung fertig? Der Stadtkämmerer hofft auf den Verkauf städtischer Grundstücke: Schlachthofgelände, Hofgut Gehaborn, Marienplatz, um nur die größten zu nennen. Der Verkauf von stadteigenen Wirtschaftsunternehmen, beispielsweise des Bauvereins, zum Schließen etwaiger Finanzierungslücken, steht nicht zur Disposition. Allerdings werden von dem Kämmerer neue Überlegungen eingebracht, etwa die Einrichtung neuer städtischer Unternehmen. Die Vorschläge will der Kämmerer für die Etatberatungen präsentieren. An Personalkosten kann der Stadtkämmerer nicht sparen: Sie werden um 13 Millionen auf insgesamt 195 Millionen steigen. Die Formulierung des Stadtkämmerers, es handele sich bei dem Haushalt um einen „Gratgang“, wird erst dann klar, wenn man sich die Folgen vor Augen führt: Steigende Darlehen bedeuten mehr Zinsen, die die Stadt bezahlen muß; sinkende Rücklagen bedeuten weniger Zinseinnahmen und das Ganze bei sowieso steigenden allgemeinen Kosten. Diese Spirale setzt klare Zeichen für die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Expansion. Die Weichen dafür sind von der Stadt bereits gestellt (Siehe Ausgabe 10: „Die Stadt … muß verkauft werden“). Mehr Arbeitsplätze in der Stadt oder mehr Wohnraum? An der Zielvorgabe, auf welche Art der Stadtsäckel am besten gefüllt werden kann, müssen Zweifel laut werden. Die Gewerbesteuereinnahmen sind zwar heute die größte Einnahmequelle, „auf sie können wir nicht verzichten“ erklärt Blöcker. Auf die Frage nach der Sicherheit dieser Einnahmequellen aber ergibt sich ein anderes Bild:„Ein verdienender Bürger bringt der Stadt mehr Steuern als die Einrichtung eines Arbeitsplatzes, es ist deshalb wichtig, einkommenträchtige Verdiener in der Stadt zu halten“. Die Voraussetzung dafür sieht der Kämmerer „in der Förderung des Eigentumwohnungsbaues. Denn es geht nicht an, daß die besser Verdienenden ins Umland ziehen und die Sozialhilfe-Empfänger unseren Haushalt belasten. Selbstverständlich helfen wir denen gern, aber für den Haushalt ist das mindestens ebenso wichtig wie die Gewerbeförderung“. Ideal des Kämmerers: „Wir brauchen beides, Arbeitsplätze und Wohnungen.“ Ob das nicht doch ein Zielkonflikt ist? Was gibt´s Neues 1991 ? Mit dem Haushalt werden gleichzeitig die Schwerpunkte der städtischen Investitionspolitik festgesetzt. Der Magistrat hat für das Kanalnetz 19 Millionen, den Wohnungsbau 12 Millionen und für den Nahverkehr 3 Millionen als Priorität verordnet. Zur Besicherung der Haushaltslücke sind weitere 7 Millionen eingestellt. Die Planung sieht - wird sie so alle Beratungs- und Genehmigungspositionen passieren - seriös und an den Dringlichkeiten orientiert aus. An Neubaugroßprojekten seitens der Stadt ist lediglich die Erweiterung der Stadtbibliothek für 1991 in Aussicht. Ein “Bürgerzentrum Martinsviertel” als Neubauprojekt dürfte damit der Vergangenheit angehören - oder einer ferneren Zukunft. 38 . Kalenderwoche - Seite 4 Galerie der großen (Darmstädter ) Geister Diesen Monat stellen wir den Finanzverwalter des Darmstädter Fortschritts vor: $$ $$ $$ $$ $$ $$$$ $$$ Auch die DDR wird den Stadtsäckel erleichtern Die Zukunft aber ist ungewiß. Trotz guter Wirtschaftslage stehen schmale Zeiten bevor: Der Stadtkämmerer meint zwar:„Ich glaube nicht , daß sich die Gewerbesteuer zurückentwickeln wird“, bestätigt aber, daß die Plan-Einnahmen der Stadt zusätzliche Belastung erfahren werden durch die Beteiligungen der Kommunen an den Finanzhilfen für die DDR, und dabei gibt es eine ganze Reihe unwägbarer Größen. In forderster Linie nennt der Kämmerer die heute schon feststehenden 700000 DM Beteiligung, dann kommt die bange Frage nach der Kürzung der Schlüsselzuweisungen aus dem Landeshaushalt und letztlich nimmt er den Faden der Gewerbesteuereinnahmen wieder auf. Wenn unsere Unternehmen in der DDR vielleicht noch steuerbegünstigt investieren, dann „werden die Steuereinnahmen doch sinken“. Der Stadtkämmerer formuliert das noch klarer:„Ich kritisiere, daß die Bevölkerung eingelullt wird, als ob die Wiedervereinigung ohne Opfer denkbar wäre. Steuererhöhungen halte ich für unumgehbar“. Für unwägbar hält Blöcker auch die Entwicklungen in Nahost und in der Sowjet-Union. Die Zahlen für Interessierte Verwaltungshaushalt 1990 ohne Nachtrag 536,6 Millionen Verwaltungshaushalt 1990 mit Nachtrag 526,8 Millionen Verwaltungshaushalt 1991 566,5 Millionen Vermögenshaushalt 1990 155,6 Millionen Vermögenshaushalt 1991 172,5 Millionen Gewerbesteuereinnahmen 1990 122 Millionen Gewerbesteuereinnahmen 1991 130 Millionen Gewerbesteuereinnahmen 1992 145 Millionen Gewerbesteuereinnahmen 1993 152 Millionen Nettoneuverschuldung 1990 13,5 Millionen Nettoneuverschuldung 1991 27,7 Millionen Nettoneuverschuldung 1992 40 Millionen Nettoneuverschuldung 1993 30 Millionen Otto Blöcker Merck soll Steuern zahlen Stellung der Grünen zur Haushaltspolitik Die Stadtverordnetenfraktion der Grünen sieht im vorliegenden Haushaltsplanentwurf für 1991 „ein Musterbeispiel dafür, wie eine Kommune an den Folgekosten ihrer politischen Fehlentscheidungen zu ersticken droht”. Die Politik der vergangenen Jahre, die nicht nur von SPD und FDP, sondern auch von der CDU zu verantworten ist, hat nach den Worten des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Günther Mayer, „den finanziellen Bewegungsraum der Stadt entgegen aller gegenteiligen Propaganda gegen Null schrumpfen lassen”. Die Ursachen der Haushalts-Misere fassen die Grünen aus ihrer Sicht in vier Punkte zusammen: - die extensive öffentliche und öffentlich subventionierte Bautätigkeit der zurückliegenden Zeit ziehe „teilweise abenteuerliche” Folgekosten nach sich. Als Beispiel nennt Mayer die Eissporthalle, die 1987 mit 2,9 Millionen Mark aus dem städtischen Haushalt mitfinanziert worden sei, in den kommenden vier Jahren aber mit weiteren 4,5 Millionen Mark zu Buche schlagen werde, „weil sich die Stadt mit einer nachgerade stümperhaften Vertrags-Politik darauf hat festlegen lassen”. Als „wahres kommunalpolitisches ‚Folgekosten-Ehrenmal‘” bezeichnen die Grünen auch das Kongreßzentrum, „das weit von jeglicher Wirtschaftlichkeit entfernt ist und stattdessen Jahr für Jahr enorme Folgekosten verursacht”; - das von OB Metzger und seinem obersten Wirtschaftsförderer Vauth veranstaltete „Riesen-Tamtam” um die angeblich für die Stadt lukrative zusätzliche Gewerbe-Ansiedlung im großen Maßstab kann nach grüner Auffassung nicht darüber wegtäuschen, daß die Stadt sich den vorhandenen ortsansässigen Unternehmen gegenüber vielfach zu Lasten der kommunalen Interessen inkonsequent verhält: während der Magistrat beispielsweise seit Jahr und Tag „wie ein Naturereignis” hinnehme, daß die Firma Merck keine Gewerbesteuern entrichtet, übe der Oberbürgermeister gegenüber der gleichen Firma „vorauseilenden Gehorsam”, indem er sich ohne jegliche Gegenleistung bemühe, bei der Aufsichtsbehörde gehegte Bedenken gegen die geplante Merck-Erweiterung zu zerstreuen; und es sei auch „alles andere als eine Selbstverständlichkeit”, daß Merck sämtliche Bau- und Erweiterungsmaßnahmen ohne Bebauungsplan durchziehen könne. „Die Stadt muß sich nicht nur in diesem konkreten Fall endlich ihrer Druckmittel besinnen und bei den Unternehmen auf eine verantwortlichere Haltung gegenüber der Kommune drängen”; - die Weichenstellung für massive Gewerbe-Ausweitung zuungunsten eines bedarfsgerechten Wohnungsbaus erweise sich gerade im Hinblick auf die Haushalts-Entwicklung als „kapitaler Fehler”: während die Hoffnungen auf ein sattes GewerbesteuerAufkommen ein ums andere Mal enttäuscht würden, bringe sich die Kommune damit selbst um einen sicheren und keinen Schwankungen unterworfenen Einkommenssteuer-Fluß; -schließlich habe Oberbürgermeister Metzger im „mittlerweile alles dominierenden und überlagernden” Bereich der Wirtschaftsförderung eine beispiellose, kostenintensive Personal-Aufstockung betrieben, während vom Wirken der vor langen Jahren mit viel Vorschußlorbeeren ins Leben gerufenen Kommission zur Neu-Organisierenden Verwaltung nichts mehr zu sehen und zu hören sei. Gehaborn Die Planer von Wei-Tech 2000 wollen in der Öffentlichkeit um Sympathie und Unterstützung für ihre ehrgeizigen Pläne werben. Die erste Veranstaltung dieser Art in Weiterstadt-Riedbahn war ein glatter Durch-Fall: Die Politiker glaubten, der Presse Unkenntnis unterstellen und sich über die BürgerInnen hinwegsetzen zu können. Nur geglaubt hat ihnen das wohl keiner so recht. „Ich stelle Ihnen frei, zu gehen!“ Diskussion um High-Tech-Park Gehaborn findet breite Öffentlichkeit I n äußerst gereizter Atmosphäre vollzog sich eine Veranstaltung in der Riedbahn (29.8.), zu der - als „Bürgerinformation“ - der dortige SPD-Ortsbezirk in das „Haus Gutenberg“ eingeladen hatte. Der Erste Beigeordnete Ekke Feldmann referierte an Hand ausgestellter Planungsunterlagen, daß für den Bau einer Lärmschutzanlage im Ortsteil Riedbahn entlang der Autobahn Zuschüsse von der Bundesstraßenverwaltung angekündigt seien, wohl aber nicht in diesem und auch nicht im nächsten Haushalt. Von der Baumaßnahme, wenn sie kommt, die um die fünf Millionen kosten wird, soll die Bevölkerung nur im Rahmen des Erträglichen belastet werden. Einen ungefähren Bautermin konnte Feldmann nicht nennen, die Kalkulation der Schutzanlage sei aber so durchgeführt, daß sich die Kosten nicht an der obersten Grenze bewegten und dennoch ästhetische Gesichtspunkte nicht außer acht blieben. Das Bauleitplanverfahren ist eingeleitet, eine Veränderungssperre, die sicherstellen soll, daß hinsichtlich der bezeichneten Flächen auf dem Bebauungsplan keine Veränderungen vorgenommen werden können, ist eingebaut. Die Aufschüttung soll mit „ein bißchen HCH-verseuchtem Schutt“ vorgenommen werden. SPD: „Man soll sagen Gewerbepark“ Unter Tagesordnungspunkt „andere Maßnahmen in der Riedbahn“ waren die auf dem Gelände des Hofgutes Gehaborn vorgesehenen Veränderungen gemeint. „Gewisse Unruhe in der Bürgerschaft über Maßnahmen mit ganz bestimmter Planungsreife“ gebe es, meinte der SPD-Riedbahn-Vorsitzende Gerd Körner, und „Reizworte, die immer wieder fallen, sind Techno-Park, High-Tech-Park, Gewerbepark“, und er entschied sich so: „Man soll eher sagen: Gewerbepark und nicht unbedingt Technologiepark“. Damit war ohne sprachliche Schönung klar, worum es gehen soll: Nämlich dort Gewerbe anzusiedeln, denn „wir leben nicht im tiefen Odenwald oder in Osthessen, wir leben mitten im Rhein-Main-Gebiet und haben ganz andere Probleme!’’ Körner klagte über bestimmte Presse, die die Planungsprobleme „teilweise unsachlich aufgenommen hat, wohl weil z.T. keine Sachkenntnis vorhanden war“. So sei manche Mißinformation an die Öffentlichkeit gelangt und habe zu unnötiger Emotionalisierung der Diskussion beigetragen. Und so unternahm Körner den untauglichen Versuch zur Deeskalation, indem er die Probleme eines Kindergartenbusses und der Containerentsorgung für wichtiger erachtete, als die Anlage eines Gewerbeparks, zumal die Riedbahn in infrastruktureller Hinsicht gegenüber dem übrigen Weiterstadt generell gewisse Handicaps aufzuweisen habe. Weiterstadt international Bürgermeister Günther Hahn machte ebenfalls deutlich, daß die Entwicklungen im Rhein-Main-Gebiet und die Erwartung des Europäischen Binnenmarktes heute längst auch schon die Gemeinde Weiterstadt tangierten. Mit dem Vorhaben eines Gewerbeparks habe man nicht vor, „mutwillig Landschaft zu zerstören“, weshalb ein Umweltverträglichkeitsgutachten in Auftrag gegeben werde. Zunächst sollten die Gutachten der Fachleute abgewartet werden, bevor man sich hier weiterhin in emotionaler und unsachlicher Diskussion verstricke. So seien auch im unmittelbaren Umfeld Probleme zu lösen: Da der Darmstädter Hauptbahnhof künftig eine besondere Rolle spielen werde, müsse das gesamte zukünftige Verkehrskonzept Darmstadts auch mit Weiterstadt abgestimmt werden. Denn die Verkehrsprobleme seien der Knotenpunkt, dem dann freilich das Wohnungsbauproblem unmittelbar nachfolge. Für einen kleinen Teil der zu erwartenden Beschäftigten müsse man auch in Weiterstadt Wohnungen bauen, der 38 . Kalenderwoche - Seite 5 Planungsvorstellungen (etwa neue Verkehrstrassen) gebe, die ein genaues Bild, was nun wirklich beabsichtigt wird, schwer zuliassen. Immer wieder könnten sich Darmstadt-Weiterstädter Politiker mit einem „So wollen wir es ja gar nicht!“ herausreden, wenn sie in der Öffentlichkeit mit ihren eigenen (alten? veralteten?) Plänen konfrontiert werden. den sowohl der Landrat, als auch die Untere Naturschutzbehörde aus fachlichen Gründen eine negative Bewertung des Planungsvorhabens abgeben. Dieselbe Bewertung könne man auch vom Kreistagsausschuß erwarten, ohne daß er jetzt das politische Kräfteverhältnis im Kreistag mit letzter Sicherheit hochrechnen wolle. Bürgersprechstunde Tief enttäuscht zeigten sich einige GesprächsteilnehmerInnen gerade von der Haltung der SPD, der man hier nicht mehr über den Weg traue. Ob denn der Landrat nicht einmal mit seinen GenossInnen reden könne? Irgendwann müßten doch auch in die Darmstädter Politik mal wieder Moral und “Verantwortungsbereitschaft für unsere Kinder” hineingeraten. In der vergangenen Woche stellte sich Landrat Hans-Joachim Klein (SPD) Bürgerfragen am Gehaborner Hof in einer Sprechstunde . Nach seinen Erfahrungen hält er es für ausgeschlossen, daß das von der Gemeinde Weiterstadt in Auftrag gegebene Umweltverträglichkeitsgutachten bei Schemel in München vor Ende dieses Jahres zu erwarten ist. Aus heutiger Sicht und nach gegenwärtigem Informationsstand wer- „Es steht Ihnen frei, zu gehen!“ Der Riedbahner SPD-Vorsitzende Gerd Körner bei einer typischen Handbewegung. Bürgermeister Günther Hahn (SPD) behält Contenance. (Foto U. Muhn) größere Teil werde von außerhalb kommen, so daß man sich auf neue Pendlerströme verkehrsmäßig einzurichten habe. Für die Einrichtung von Gewerbeparks gebe es europäische und außereuropäische Beispiele (England, Frankreich, Italien, USA) und hier wegen des „verseuchten“ und „einseitig monokulturell“ genutzten Bodens die besten Voraussetzungen. Nun gehe man daran, durch eine zu gründende Entwicklungsgesellschaft alle Probleme zu lösen. Hösel motzt Planer Dieter Hösel argumentierte weniger für die zwingende Notwendigkeit einer Gewerbeansiedlung und eines Golfplatzes, sondern erklärte unentwegt, daß es Beispiele gebe, wie „man es machen kann“. Äußerst polemisch geißelte auch er die „sehr polemische, sehr unqualifizierte Sache“ in der Presse. Denn immerhin hätten acht Ingenieurbüros alle möglichen Gutachten angefertigt, die nicht in Gänze von allen hätten studiert werden können, weshalb es im Außenbereich lediglich ein „Teilwissen“ gebe. Heute sei alles sehr schwierig geworden, denn egal, wohin man Bauvorhaben lege, ob nach Kranichstein oder in den Osten Arheilgens, überall werde immer nur „gemotzt“. Hier befände sich nun der „optimale Standort“, und „Darmstadt muß ausbauen, um den Vergleich mit anderen Zentren - Hamburg, Berlin, Frankfurt aushalten zu können“. „Weltsportart Nr. 1“ „Golf“, so Hösel, müsse man einmal „emotionslos als Sportart betrachten“, und dann habe man dies festzustellen: Es gebe in der BRD nur zwei offene (also für jedermann und jedefrau zugängliche) Golfanlagen, hier soll nun die dritte entstehen, für deren Benutzung allein die Platzreife, also gewissermaßen ein „Golf-Führerschein“ vorausgesetzt werde. Und es gebe auch wissenschaftliche Untersuchungen, „die unter Beweis stellen, daß es ökologische Golfplätze geben kann“. Und sehr positiv an diesem Gelände sei der Umstand zu bewerten, daß „durch jahrelange Nitratzuführungen die Golfflächen jahrelang nicht gedüngt werden müssen“. Für dieses „ausgeräumte Gebiet“, zu dem noch laufende Gutachten beweisen würden, wie verseucht es ist, sei eine Golfanlage nur wünschenswert, zumal auch „ein neuer Radweg geschaffen“ werden soll. Bürgermeister Hahn, der den Golfsport als „Weltsportart Nr.l“ bezeichnete, gab zu bedenken, daß neben der „ökologischen Verträglichkeit“ auch die „soziale Verträglichkeit“ geprüft werde. Der ursprünglich ebenfalls vorgesehene 9-Loch-Golfplatz sei gestrichen worden, weil die 18Loch-Anlage „sozialverträglich genug“ ist - und nicht deshalb, um die Fläche für Gewerbeansiedlung zu vergrößern. Und für Gerd Körner ist der Golfplatz „eine angenehme Randerscheinung“. „…was die Bürger wollen“, muß auch finanziert werden Die Firmen, die sich im Gewerbegebiet ansiedeln sollen, müssen - so Hahn - verpflichtet werden, „auch in den Wohnungsmarkt zu investieren, weil die Gemeinden Darmstadt und Weiterstadt allein nicht für den Bau von Wohnungen mit einigermaßen sozialen Mieten in der Lage sind“. Und das Planungsamt der Hessischen Landesregierung habe erklärt, „daß es nicht genehmigen wird, wenn nicht der Nachweis erbracht wird, daß der Individualverkehr geregelt werden kann“. Bürgermeister und Planer gehen von „maximal 6000 Beschäftigten aus“, eine „attraktive öffentliche Nahverkehrsstraße“ sei problemlos zu schaffen. Grundsätzlich seien - so Hahn - alle Pläne deshalb erwogen worden, um das „was die Bürger wollen“ (etwa Ausbau des ÖPNV, Kindergarten), auch finanzieren zu können, denn „sonst müßte die Steuerschraube angezogen werden“. Nur mit einem Gewerbepark seien die gegenwärtigen Einrichtungen auf dem Niveau zu halten und auszubauen. Wenn sich aber „eine Problematik herausstellen sollte, die sich nicht lösen läßt, dann lassen wir es“. Es müsse aber ganz deutlich werden, daß sich Infrastrukturmaßnahmen nicht „mit links“ machen ließen. Da Weiterstadt jetzt „schon mehr mache als manche Großstadt“, müsse der „Schwerpunkt auf der Erlangung von Steuermitteln“ liegen: „Die Kommune wird (nach Einführung des Binnenmarktes) einen Ersatz bekommen, der der Gewerbesteuer entspricht!“ „Jetzt gibt’s endlich mal Gelegenheit, Nägel mit Köpfen zu machen, um die soziale Infrastruktur zu verbessern. Erstmal müssen wir für unsere Leute sorgen, deshalb holen wir das Gewerbe hierher!“ Publikumsfragen Einige Fragen aus dem Publikum wurden wie folgt beantwortet: Ein Raumordnungverfahren sei nicht notwendig, ein Abweichungsverfahren erfülle den gleichen Zweck (Günther Hahn). Über die Hochtanner Brücke werde kein weiterer Verkehr in die Riedbahn geführt: „Das ist so. Das wollen wir!“ (Gerd Körner). Die in ersten Entwürfen eingezeichnete Trasse werde nicht benötigt, die Brücke werde nicht ausgebaut. Doch Bürgermeister Hahn: Es sei denn, weitere Untersuchungen sollten ergeben, daß die Brücke verbreitert werden müsse „im Moment“ sei es aber eine „politische Absichtserklärung“, daß alles so bleibt, wie es ist. „Platzbesichtigung“ Am 8.9. fand auf dem Gehaborner Hof eine „Platzbesichtigung“ statt, an der sich ca. 300 Menschen beteiligten und zu der die „Bürgergemeinschaft gegen Gewerbezone Gehaborn“ und die „Bürgerinitiative zum Erhalt des Westwaldes“ eingeladen hatte. Der Stadtverordnete Michael Siebert (Die Grünen) gab einen Überblick über die Situation, wie sie sich im Augenblick darstellt. Er kritisierte, daß es immer wieder neue Ingulf Radtke Politiker - Qualifikationslauf „Ich hab ja schon viel erlebt“, sagte ein älterer Herr nach der Veranstaltung in der Riedbahn, „aber so eine Verarschung ist mir noch nicht untergekommen!“ Anderen mag es ähnlich ergangen sein. Die Stimmung war von Beginn an aufgeladen und gereizt, bei allen vieren (Hahn, Körner, Hösel, Feldmann) lagen offensichtlich die Nerven blank. Und Hausherr Körner gerierte sich wie Napoleon auf einer Dynamitstange. Gleich zu Beginn herrschte er die fotografierende Ursula Muhn an: „Für wen fotografieren Sie? Muß man ja wissen!“ Ein um Informationen ringender zwischenrufender Waldkolonist stand am Rande des Platzverweises: „Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann stelle ich Ihnen frei, zu gehen!“ Diskussion ließ er zu Beginn der Veranstaltung nicht zu, „damit des net aus'm Gleis läuft“ und „mer lasse Se unsere Informatione net ausenanner nehme!“ immerhin befand man sich in einem „Anhörungsverfahren“! Und als Teile des Publikums immer vehementer ums Wort baten, beschied Körner: „Um zehn Uhr wird uffgehört!“„Was“, rief ein Herr dazwischen, „wir kriegen hier zwei Stunden lang was vorgebabbelt, und dann soll Schluß sein!?“ Darauf Körner: „Wie mer's machen, bestimm ich!“ Ein Herr wagte den Kommentar, daß ihm Logik und Rentabilität der Planungen nicht ganz aufgegangen seien, was ihm die Antwort beibrachte: „Dann hätt'ste besser zuhörn müsse!“ Auch ein junger Mann aus Darmstadt fragte, warum man sich denn in Weiterstadt überhaupt für einen Golfplatz einsetze. Die Antwort: „Des könnense sowieso net wisse, weil se aus Damstadt sind!“ Eine Anfrage gegen Veranstaltungsende, ob man denn nicht einmal ein Meinungsbild zusammenstellen sollte, beantwortete Körner so: „Sowas brauche mer net!“ Zwar brachte es Körner in seinem Schlußwort über sich, für seine „diktatorische“ Verhandlungsführung um Nachsicht zu bitten aber dafür war es zu jenem Zeitpunkt längst zu spät. Wer so penetrant zwei Stunden lang aus der Rolle fällt und den Rand zur Publikumsbeschimpfung einige Male überschritten hat, darf mit Pardon nicht rechnen, zumal er der Informationsabsicht einen Bärendienst erwiesen hat. Nichts hat mehr als diese Veranstaltung bewiesen, daß der Lockruf des Geldes - das vor allem in der Darmstädter Kasse fehlt - jede ernstzunehmende Argumentation übertönt. Auch wenn das Ausmaß des Widerstandes gegen „Wei-Tech“ unterschätzt worden sein sollte - und diese Annahme kann als sicher gelten - darf man nicht so aus jeglicher Fasson geraten! Daß die bisherigen Argumente nicht gezogen haben, bringt beide Gemeinden offenbar unter Informations-Zugzwang: Uns ist mitgeteilt worden, daß es den Entwurf eines Papiers gibt, in dem die Bürgerinnen und Bürger beider Gemeinden über die Vorteile einer Gewerbeansiedlung informiert werden sollen. Das noch unter Verschluß gehaltene Papier soll aber in Weiterstadt an einzelne Personen verteilt worden sein. Wirtschaftsplaner Vauth soll deshalb weil er als Verteiler in Verdacht gestanden haben soll - von seinem Chef gerüffelt worden sein. Der Bürgermeister Hahn soll es aber selber gewesen sein, der das Papier vorab verteilt habe. Mit Überraschung habe man auch den nicht üblichen Umstand zur Kenntnis genommen, daß am Tage nach der SPD-Veranstaltung der Darmstädter OB an einem interfraktionellen Gespräch im Weiterstädter Gemeindeparlament teilgenommen habe. Man beachte schließlich auch dies: Wenn in der Veranstaltung deutlich gemacht wurde, daß man sich in einem Stadium des „Vorwissens“ befinde und sich Sachkenntnis in allen Planungsfragen erst nach dem Urteil der Fachleute einstellen könne, bleibt zu fragen: Was hat man den Weiterstädter GemeindeparlamentarierInnen zugemutet, als man sie ein dickes Planungspaket (der mittlerweile berühmte „rote Weiterstädter Aktenordner“, den Darmstädter Stadtverordnete überwiegend gar nicht kennen - wir haben ihn aufmerksam studiert und danach erst berichtet) abstimmen ließ, das sie acht Tage vor der Abstimmung erst erhalten hatten? So läuft nämlich hier die Politik: Ahnungslose Uninformierte sagen mehrheitlich Ja und geben grünes Licht für die Einleitung eines Abweichungsverfahrens zum Regionalen Raumordnungsplan, dessen Tragweite sie nicht annähernd überschauen konnten. Wenn Politiker solche Fakten schaffen, dann gehören sie in die Wüste geschickt! Und Gerd Körner soll als Nachfolger von Ekke Feldmann Erster Beigeordneter - und damit Stellvertreter des Bürgermeisters - in Weiterstadt werden. Was qualifiziert ihn für dieses Amt? Ingulf Radtke Verkehr I 38. Kalenderwoche - Seite 6 Was geht´s mich an ? Verkehrskonzepte sollen den kommunalen Herbst in Darmstadt beherrschen. Der Oberbürgermeister ist in der Öffentlichkeit vorgeprescht, die CDU überschüttet die Zeitungen mit Pressemeldungen, und die Grünen haben ihr Konzept auch bereits auf dem Schreibtisch liegen. Wir unternehmen den Versuch, die verfehlte Planungspolitik vergangener Jahrzehnte mit den heutigen Verhältnissen in Zusammenhang zu bringen und Lösungswege als Denkansatz zu vermitteln. Allen Verkehrskonzepten ist eines gemein: Der Versuch, den Automobilverkehr einzudämmen zugunsten da gibt’s Unterschiede - von Bahn, Bus, Fahrrad und Fußgänger. Doch gleich welches Konzept die vielen Autos (allein fast 100.000 Einpendler pro Tag) reduzieren helfen soll, keines wird den Verkehrsinfarkt aufhalten können. Eine Verlagerung der Autofahrer auf Bus und Bahn ist längst nicht mehr möglich - die öffentlichen Verkehrsmittel wären sofort völlig überlastet und keiner käme mehr rechtzeitig dort an, wo er hin will. Zu sehr sind die Verkehrsströme angewachsen. Die kurze Denkpause Ende der siebziger Anfang der achtziger Jahre hat zwar den Blick für die Zerstörung der Bewohnbarkeit unserer Stadt geschärft, aber keineswegs zur Umkehr geführt: Die Autos werden immer mehr - von Zuwachsquoten um 25% bis zum Jahr 2000 geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung aus und darin ist noch nicht der DDR-Verkehr enthalten. Die Wohnungen sind zu weit von den Arbeitsplätzen entfernt - frühe Folgen eines geeinten Europa ? Jeder Versuch, die Verkehrsströme umzuleiten, muß fehlschlagen. Das Problem liegt weitaus tiefer begraben, als daß es durch Umsteigen auf andere Beförderungsmittel noch lösbar wäre. Die StudentInnen, Angestellten und ArbeiterInnen sind in den vergangenen Jahrzehnten durch die Konzentration der Arbeitplätze in Stadtgebieten einerseits und Wohnungsmangel in der Stadt andererseits gezwungen worden, immer weiter vom Arbeitsplatz entfernt zu wohnen. Dieser Trend hält ungebrochen an: Die heutige Planung unserer Politiker will immer mehr Gewerbe in Stadt und Stadtnähe ansiedeln - Handel, Handwerk und Industrie haben eindeutig Vorrang vor Wohnungsbaugebieten (siehe Ausgabe 10). Auch wenn heute argumentiert wird, das sei eine Notwendigkeit, um die Wirtschaftskraft von Stadt und Region für ein geeintes Europa zu stärken, kommt doch die Verkehrsplanung erst wieder als Re-Aktion im Nachhinein. Für die neuen Arbeitsplätze werden nicht annähernd genug Wohnungen gebaut. Aktuelles Beispiel: 200 Wohnungen werden 1990 entstehen - 200 neue Arbeitsplätze richtet allein Eumetsat ein. Das „Maritimtor“ als Symbol für die wirtschaftliche Expansion Darmstadts und das drohende Verkehrschaos Unsere städtischen Wirtschaftsförderer planen den Anschluß Darmstadts an die neue Hochgeschwindigkeitsbahn, das ICE-Netz. Dadurch soll die Stadt aufgewertet werden und unweigerlich mehr Gewerbe und Industrie anziehen. Dafür wird auch die gesamte Bahnhofsumgebung neu geplant. Mindestens 1000 Arbeitsplätze sollen im Baugebiet W 30 (Toomund AV-Markt) entstehen. Auch die gehen nicht ohne mehr Verkehr in Betrieb. Ein neuer Hotelturm entsteht bereits (nicht, wie behauptet, auf einem „Luftgrundstück“, sondern) neben den Bahngleisen. Wenn die Kreuzung Rheinstraße/Berliner Allee, die schon heute kilometerlange Staus vor dem „Maritimtor“ erzeugt, bis in die Autobahn hineinwächst, wird spätestens eine Unterführung der Kreuzung unumgehbar. Dann haben wir unweigerlich noch mehr stehende Autos in der Stadt. Auf der Rheinstraße gibt´s heute noch ein paar Lücken, für Stauverkehr im Schrittempo. Der Lärm- und Abgasteppich der stehenden und stinkenden Blechlawinen wird den letzten Rest von Bewohnbarkeit der Stadt ersticken. Der Verkehr rollt über uns hinweg in sein eigenes und unser Chaos. Ökonomische Rationalität erfährt ihre eigene Begrenzung in ihrer Selbstüberhöhung, immerhin gibt es noch andere Formen des Denkens als nur die: Kann ich mir jetzt endlich mein eigenes Auto leisten? Parkleitsystem und mehr Parkplatz-Tiefgaragen führen zu noch mehr Verkehr im Zentrum - bis gar nichts mehr geht Unsere Politiker versuchen durch Organisation des Molochs Verkehr Herr zu werden, indem zum Beispiel ein Parkleitsystem die Such-Fahrten verringern soll - ein folgenschwerer Irrtum: Finden die Autos problemloser Platz im Herzen der Stadt, folgen umgehend noch mehr. Da im Zentrum die Wurzel allen städtischen Steuerglückes gesehen wird - in den Einkaufs-Paradiesen - ,sollen gar die ohnehin schon zahlreichen Parkplätze (6.500) nochmals erhöht werden. Marktplatz-Tiefgarage und FinaParkhaus-Umbau stehen oben an im Programm, ganz abgesehen von dem fast fertigen TH-Parkhaus im Martinsviertel. Wieviel Verkehr verkraftet die Stadt noch? Soll die Nagelprobe gemacht werden - solange bis wirklich eben gar nichts mehr geht? Wer in der Stadt nicht wohnt… Auch die Nordost-Umgehung bringt nicht etwa weniger Verkehr: Jede neue Straße heißt in der Konsequenz mehr Autos in der Stadt, heißt mehr Lärm und weniger Luft. Mag auch der Neubau einer Umgehungsstrasse kurzfristig Entlastung des Zentrums bringen und damit für die Anlieger wünschenswert erscheinen, mittelfristig aber bringt er mehr Blechkarossen und langfristig unerträglich viele. In Darmstadt sind 77000 Autos zugelassen und noch mal so viele kommen täglich nach Darmstadt hinein - abgesehen vom Durchgangsverkehr. Wollen wir denn die vielen Autos in unserer Stadt haben? Sollten wir nicht eindeutig fordern, wer hier nicht wohnt, hat mit seinem Auto nichts in der Stadt zu suchen? Die Herren Möchtegernegroß in ihren Blech-Dinosauriern sind zu spät auf die Welt gekommen Jeder, der ein Auto hat, sieht die ständig wachsenden Probleme - die tagtägliche Stau-Erfahrung. Jeder denkt, na, ein Auto mehr oder weniger - und fährt weiter in die Blechlawinen hinein. Nicht genug damit: Das neue Auto muß größer, prestigeträchtiger, schneller, toller… sein. Da gibt es gar noch Automobilisten, die glauben, wer Besonderer zu sein, wenn sie in ihrem Blech-Dinosaurier mit vor- Eine Tiefgarage unter dem Marktplatz soll noch mehr Autos im Stadtzentrum unterbringen. Da eine Garage auch eine Zufahrt benötigt, haben wir versucht, die Größenverhältnisse in einer Fotomontage darzustellen. (Fotos und Montage Hannelore Anthes) zeitlichem Spritverbrauch (und Luftverpestung) Wagenlänge um Wagenlänge stinkend durch die Innenstadt promenieren. Davon gibt´s noch immer mehr. Doch glaube auch der Kleinwagenbesitzer nicht, er sei moralisch gefeit vor seiner Mitverantwortung in Sachen Infarkt: Jede Blechkarosse ist bereits zuviel, wenn ihrer Nutzung nicht die unabdingbare Notwendigkeit zugrunde liegt. Auf ein Umdenken der Autofahrer ist heute wohl kaum zu hoffen - noch nicht einmal in Form einer „Rote-PunktAktion“, wie sie in Zeiten der Ölkrise schon einmal aufkam: Die Karossen werden meist nur von ihrem Fahrer bewegt, statt andere mitzunehmen – Freiheit der Automobil-Individualisten und Ausdruck für die heutige Entwicklung, den Rückzug in die Privat-Sphäre. Was ist schon gesellschaftlich verantwortliches Handeln? Was gehts mich an? Klar, daß die Beweglichkeit durch das Auto nicht nur Bequemlichkeit bedeutet und automobilistische Liebhaberei, sondern auch Notwendigkeit beinhaltet, um an die Arbeitsstelle zu kommen und darüber hinaus auch kulturell viele Möglichkeiten eröffnet hat, die nur durch das Auto erfahrbar sind. Aber ist der Preis, den wir dafür zahlen, nicht viel zu hoch? Wie stellen wir es an, daß unsere Stadt wieder atmen kann, wieder bewohnbar wird, daß durch das Öffnen von Fenstern wieder frische Luft herein kommt? Erst eine Dezentralisierung der Großbetriebe in kleinere Einheiten, in die Nähe der Wohngebiete kann der gigantischen Verkehrsflut langfristig einen wirkungsvollen Damm entgegensetzen. Verkehrspolitik muß deshalb heute heißen: Entflechtung von Industriezentren ohnehin und die Auslagerung geplanter Neuansiedlungen (so sie für notwendig erachtet werden) in die Regionen, wo die Wohnungen entstehen werden (müssen). Gerade das Paradepferd unserer Politiker, die Hightech-Firmen sind dazu prädestiniert: Von HardwareProduktion abgesehen, fügen sie sich geräuschlos und emissionsarm in Wohnsiedlungen ein. Die Konzentration in den Städten aber führt unweigerlich in die Verkehrs- und Umweltkatastrophe des „Es-geht-nichtmehr“. Die Stadt muß wieder atmen können - nicht nur zwischen den Inversionswetterlagen (z. B.: Nebel), bei schönem Wetter. Einkaufsmärkte gehören nicht mehr ins Zentrum auch nicht als gigantische Alles-Anbieter an die Peripherie. Eine Reorganisation, die die Nähe der Wohngebiete für Alltägliches wie Essen, Kleidung und häusliche Dienstleistung herbeiführt, kann allein langfristig eine Lösung der Verkehrsprobleme garantieren. Unsere schnellebige Zeit macht Mobilität und damit das Automobil zur gesellschaftlichen Notwendigkeit und schwelgt noch im Traum von der räumlichen Unbegrenztheit: Mit dem Auto und dem Flugzeug wird´s möglich, jederzeit überall zu sein - das Erwachen aber wird ein Alptraum. Erste Prämisse heutiger Verkehrskonzepte kann deshalb nicht mehr sein: Wohin verlagern wir die Verkehrsströme? Auf Schiene oder Fahrrad? Sondern wie vermeiden oder schärfer, wie verhindern wir sie. Die Grenzen des Wachstums offenbaren entgleistes Fortschrittsdenken Jeder hat beobachten können, wie die Luft kontinuierlich schlechter geworden ist und wird. Erste SmogAlarme hatten nur ein kurzes Erschrecken zur Folge, ebenso wie die Energiekrisen problemlos durch ein paar Mark mehr für Sprit zu meistern waren. Die Grenzen des Wachstums treten durch die Automobil-Überlastung unübersehbar zutage. Der Verkehrsinfarkt wird gleichermaßen die Bankrotterklärung unserer Planer und Wirtschaftler sein - als deutlich sichtbare Folge entgleisten Fortschrittsdenkens. Wieviel Industrie, wieviele Menschen überhaupt und wieviel Verkehr verträgt unsere Region noch? Hoffen wir alle, daß wir die Erfahrung nicht durch den Verlust der Gesundheit werden zahlen müssen. Michael Grimm Verkehr II „3 Millionen sind zu wenig“ Dr. Moog (CDU) zu dem Verkehrskonzept seiner Partei. Vorbeigegangen an der Öffentlichkeit sind eine Vielzahl von Pressemeldungen, die von der CDU kontinuierlich an die Zeitungen geschickt werden. Vor allem die Lösung der Verkehrsprobleme ist Anliegen der CDU. Um einen Überblick zu geben, haben wir mit dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Rüdiger Moog das folgende Gespräch geführt. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Es mag richtig sein, daß wir von Herbst 1990 bis Herbst 1991 nicht mehr als 3 Millionen im Haushalt verwirklichen können, aber das ist zu wenig. Als eine Hypothek der Untätigkeit in der Vergangenheit sieht der Fraktionsvorsitzende der CDU den heutigen Zustand des öffentlichen Nahverkehrs. „Seit März 1989 liegt ein Bericht der städtischen Arbeitsgruppe ÖPNV vor, der alle notwendigen Maßnahmen formuliert. Danach wurde noch das Hamburg Consult-Gutachten im Auftrag der Heag erstellt und jetzt soll noch ein weiteres Gutachten vom Regionalen Nahverkehrsverband (RNV) eingeholt werden. Ich verstehe nicht, wozu das noch gut sein soll. Schon 1990 hätte angefangen werden können. Ich weiß doch auch so schon, daß es den Bedarf gibt, da brauch ich keine Gutachten mehr“. Als Beispiel führt Dr. Moog eine Buslinie an, die das Mühltal und Ober-Ramstadt mit Darmstadt verbindet. Desgleichen eine Buss-Schnellinie von Pfungstadt nach Darmstadt. „Wobei dem Bus eindeutig Vorrang vor dem Automobil einzuräumen ist“. Aber, und das lastet er dem Oberbürgermeister an, „es ist Sache des OB’s, da wir Stadtverordnete kein Verhandlungsmandat haben“. Gemeint ist, die Stadtverordneten können mit den Bürgermeistern der Umland-Gemeinden nicht in den erforderlichen Dialog treten. In dem Ausbau der Nahverkehrseinbindungen des Umlandes sieht Dr. Moog die Hauptaufgaben, das Verkehrsproblem zu lösen. Auf die Frage danach, ob der ÖPNV zu einer wesentlichen Entlastung des Darmstädter Verkehrsaufkommens beitragen kann, erklärt er: „Die Pendlerströme sind sicherlich aufzunehmen. Da ist beispielsweise Griesheim, das über eine sehr gute Anbindung verfügt und mit 40 Prozent Annahme von Straßenbahnen und Bus ein typisches Beispiel dafür gibt, daß es funktioniert. Pfungstadt hingegen hat nur 20 Prozent Anteil“. Dennoch gibt sich Dr. Moog mit dem derzeitigen Zustand der öffentlichen Nahverkehrsmittel nicht zufrieden: „Sie müssen schnell, sicher, bequem und benutzerfreundlich sein. „Der Verkehr ist ein Mosaikstein für die Lebensqualität einer Stadt“. „Wie mache ich eine Stadt so attraktiv, daß jemand, der die Wahl hat, sich zu entscheiden, sagt: Ich möchte in Darmstadt leben“. Dr. Moog sieht die Notwendigkeit, kommunalpolitische Prioritäten zu setzen: „Wie sieht das Stadtbild aus, ist die Stadt lebendig, eine Frage des kulturellen Angebotes, Theater, Rock für die Jugend u.s.w., Sport beispielsweise einen Sportberater…“. Auf die Frage danach, wie das zu finanzieren sei, erklärt er: „Die Stadtverwaltung kann durch Umstrukturierung, vor allem der Büroorganisation, viele Kapazitäten frei bekommen“. „Ich sehe nicht den Gegensatz: Autofreie Stadt oder autogerechte Stadt“. In drei Gruppen unterteilt Dr. Moog die Verkehrsbeziehungen und die Ströme: „Die Frage ist: Wie kann ich welche Verkehrswege mit welchen Verkehrsmitteln am besten bedienen. Und das ist abhängig von den Gründen, warum jemand in die Stadt kommt“. „Da haben wir zum einen die Gruppe, die in der Stadt wohnt und die selbstverständlich einen Anspruch darauf hat, das Auto in erreichbarer Nähe zur Wohnung parken zu können - das muß durch Anwohnerparken gelöst werden“. „Die zweite Gruppe sind Besucher, die in die Stadt kommen wollen, um Einkäufe und Erledigungen tätigen zu können, dazu gehört beispielsweise der Handelsvertreter, der drei oder mehr Kunden erreichen können muß. Dafür brauchen wir Kurzzeitparkplätze mit progressiven Parkgebühren, das heißt zum Beispiel, die erste Stunde Parken 1.- DM, die zweite 3.- DM und die dritte Stunde 5.DM.“ Auf die Frage, ob er denn die Marktplatztiefgarage für sinnvoll hält, da sie noch mehr Verkehr in die Stadt zieht, antwortet Dr. Moog: „Das Problem schaffen nicht die Leute, die einkaufen, sondern die Pendler. Und durch das Parkleitsystem schaffen wir erheblich weniger Suchverkehr“. Zum Beweis für seine These führt Dr. Moog an: „Der Verkehr kollabiert morgens zwischen 8.00 und 9.00 Uhr und nachmittags zwischen 16.00 und 17.00 Uhr, das deutet darauf hin, daß die Pendler Ursache für die Staus sind“. Die dritte Gruppe: Der Bereich, der die Stadt kaputt macht. Die Pendler müssen vom Auto weg, soweit es nicht notwendig ist. Das soll nach Vorstellungen von Dr. Moog gelöst werden durch: „Park-and-ride-Plätze, aber nicht am Böllenfalltor, sondern weit draußen vor der Stadt. Dazu bedarf es der Vereinbarung der Stadt mit den Umlandgemeinden“. Damit das auch akzeptiert wird, sind Vorrangschaltungen der Ampeln für Busse und Sonderspuren einzurichten. Ich wünsche mir außerdem mehr Attraktivität für die öffentlichen Verkehrsmittel, beispielsweise Kaffee und Zeitung am morgen“. Einen weiteren Schwerpunkt sieht Dr. Moog in dem Hauptbahnhof, der als Umsteigezentrum für den öffentlichen Nahverkehr entwickelt werden muß. Das könnte so aussehen: „Die Straßenbahn müßte man über die Gleise legen und für die Attraktivität vom Zug direkt an die Straßenbahn kommen“. „Die Verkehrsströme sind heutzutage so stark angewachsen, daß es zweifelhaft ist, ob der öffentliche Nahverkehr überhaupt noch in der Lage dazu ist, die vielen Pendler rechtzeitig zu ihrem Arbeitsplatz zu bringen. Die Stadt plant weitere Ansiedlung von Gewerbe. Halten Sie es nicht für erforderlich, Arbeitsplätze und Wohnungen zusammenzubringen?“ Dr. Moog antwortet:“Es ist so einfach zu sagen: keine neuen Gewerbeflächen. Wir brauchen mehr Gewerbe, und die Ansprüche sind gestiegen: Vor zwanzig Jahren gab es weniger Quadratmeter pro Mitarbeiter als heute. Darmstadt hat Mittelpunkt-Funktionen und soll sie auch behalten. Es ist eine Illusion, Arbeitsplätze und Wohnungen zusammenzubringen“. Gewerbe will Dr. Moog dort angesiedelt sehen, „wo die verkehrstechnisch besten Anbindungen bestehen, im Westen Darmstadts, beispielsweise in Gehaborn. Aber, Weiterstadt ist ein weiteres dringliches Problem, um durch öffentliche Nahverkehrsmittel weitere Pendler- 38 . Kalenderwoche - Seite 7 ströme aufzunehmen“. „Die Unfälle mit Radfahrern häufen sich erschreckend. Wie stellt sich die CDU vor, mehr Sicherheit für Radfahrer zu schaffen?“ Dr. Moog: „Da ist einmal die Forderung an den Gesetzgeber, die Straßenverkehrsordnung zu ändern, denn noch ist den Radfahrern die Benutzung von Radwegen vorgeschrieben. Wir haben aber zwei Sorten von Radfahrern: Die Profi-Radfahrer, die mit 30 bis 35 km/Stunde fahren, brauchen die Straße, da sie sich zum einen sicherer fühlen und Fußgänger nicht gefährden. Das Hauptunfallrisiko besteht für diese Radfahrer zwischen dem Tempo der Autos und ihnen. Also müssen wir entweder die Radfahrer schneller machen oder das Tempo der Autos reduzieren. Tempo 30 muß eingeführt werden. Für Kinder und langsame Radfahrer brauchen wir ein extra Wegenetz, das sicherer ist und auch mehr Komfort bietet, das ist ja eine Holperei, die es abzustellen gilt“. Was - Sie wissen nicht was das ist ? „Sinnvolle Verbindung aller Verkehrssysteme“ Interview mit dem Busunternehmer Wolfgang Schneider Über Verkehrs-Probleme in unserer Region unterhielten wir uns mit Wolfgang Schneider. Er kennt diese Probleme aus zweifacher Sicht: aus dem Blick der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens (Wehnert-Reisen, Griesheim), das auch für die „Verkehrsgesellschaft Untermain“ - also Deutsche Bundesbahn - und eigene Linien (Schulbusverkehr) fährt; und er ist in seinem Unternehmen selber als Fahrer ständig unterwegs. Mit ihm sprach Ingulf Radtke. ZD: Wolfgang, Du bist ja ein echter Insider. Wie beurteilst Du die Verkehrsdiskussionen, die gegenwärtig hinsichtlich künftiger Planungen geführt werden? WS: Ich beginne mal mit der konkreten Utopie, also einer optimalen Lösung. Die müßte dann so aussehen, daß alle Verkehrssysteme sinnvoll miteinander verbunden werden. Also keine Präferenz für nur ein System. ZD: Du denkst da wohl besonders an die DB und den Slogan „Alle Güter auf die Schiene“? WS: Zum Teil, ich muß da ein wenig ausholen und erinnere an den „Leber-Pfennig“. Das war und ist noch die Abgabe von einem Pfennig pro Tonne und pro Kilometer, die der Güterfernverkehr entrichten muß, wenn er seine Güter nicht auf die Schiene bringt. Daneben wurde damals auch das „Wechselpritschen“- bzw. Container-System (Huckepackverfahren) propagiert und umgesetzt, das eine optimale Verlagerung der Güter von der Straße auf die Schiene gewährleisten sollte. Nur: dann fing Schorsch Leber plötzlich damit an, LKW's für die DB zu kaufen, mit Kühne&Nagel z.B. ein ganzes Unternehmen, das dann - von der Öffentlichkeit wegen des Namens gar nicht so bemerkt den Spediteuren Konkurrenz machte. ZD: Ging das weiter? WS: Klar ging das weiter! „Deutsche Touring“, „Auto Kraft“ im norddeutschen Raum, „Wahl“ in Heidenheim an der Prenz, das 600 Busse europaweit fahren läßt - alles Töchter der Bundesbahn. Und durch die Konzessionshoheit, die die DB im Schienenparallelverkehr hat - also praktisch ein Monopol -, wurden die Privaten von der Straße gedrückt. Das war alles nicht sehr sinnvoll, wie manches andere Mißmanagement auch, das Gohlke, Warnke und Zimmermann bei der DB angerichtet haben. ZD: Kommen wir zu Problemen in unserer Region und dem Öffentlichen Personenverkehr. Welche sind Deine Erfahrungen? WS: Erstmal die, daß es kein konsequentes System im ÖPNV gibt, der radikal zuungunsten des privaten Autoverkehrs ausgebaut werden muß. Die Frage ist: Auf welche Weise kommt der Fahrgast am schnellsten und bequemsten zu seinem Zielort? Und danach muß sich das Konzept richten. Beteiligt werden müssen dabei Bus, Straßenbahn, Eisenbahn und Taxen. Die sind die Träger des Personenverkehrs, und die müssen aufein- ander abgestimmt werden. ZD: Die Idee ist logisch, warum aber wird der ÖPNV nicht angenommen? WS: Erstens weil die Konzepte aus wahltaktischen Gründen nur halbherzig in Angriff genommen werden und deshalb Stückwerk bleiben, zweitens, weil das Gros der Au- Wolfgang Schneider (rai) tofahrerInnen ein falsches Bewußtsein hat. Es ist doch so: Der deutsche Autofahrer denkt: Es ist billiger, wenn ich mit der eigenen Kiste unterwegs bin, weil er nur darauf schaut, was er aus seinem Portemonnaie holt, wenn er unterwegs ist - also Geld für Sprit. Weder denkt er daran, was er für die Anschaffung seines Autos hingeblättert hat, noch an die jährlichen Versicherungsprämien, noch an Reparaturen, den jährlichen Kraftstoffverbrauch. Reparaturen - da hofft er, daß dieser Kelch an ihm vorbeigehe. Und schon gar nicht denkt er an die Umweltschäden, die er mitverursacht - denn die zahlt im Augenblick noch die Allgemeinheit. ZD: Also ÖPNV ist billiger? WS: Selbstverständlich! Guck's Dir doch an: Eine Jahreskarte für den gesamten FVV -Bereich kostet 1.480 DM. Damit kannst Du von Nord nach Süd, von 0st nach West, also von Mainz nach Hanau, von Friedberg bis Darmstadt abfahren, was Du willst. ZD: Aber immer wieder kommt das Argument, der ÖPNV dauere zu lange. Mit dem PKW bin ich schneller! WS: Wir kommen wieder dahin zurück, wo sich die Katze in den Schwanz beißt. Beispiele: Es gibt die Faustregel, daß alle PKW-Insassen, die in einem Stau von 1,5 Km Länge stehen, in einen einzigen Bus hineinpassen. Oder: Ich habe kürzlich am frühen Morgen eine kleine private Verkehrszählung gemacht bei Roßdorf, Beobachtung des Verkehrs nach Darmstadt. Zwischen 7.40 und 7.50 Uhr waren 165 Fahrzeuge unterwegs, in denen 175 Personen saßen - LKW und Firmenwagen noch ausgenommen. Was getan werden muß, ist dies: Bus und Straßenbahn erhalten absoluten Vorrang vor dem privaten Autoverkehr, neue Bustrassen werden geschaffen. Die müssen nicht aus Beton oder Asphalt bestehen, das kann genauso gut auch Verbundpflaster sein, daß das Wasser durchläßt. Wenn die Busse Grün haben und die anderen im Stau stehen - da ändert sich schnell etwas im Bewußtsein. Und über die Mineralölsteuer müßte der Liter Benzin auf mindestens 1,50 DM angehoben werden, damit es die Leute auch am Geldbeutel merken, und demgegenüber muß man den ÖPNV von der Mineralölsteuer befreien.Im Grunde haben die Grünen recht, wenn sie fünf Mark für den Liter verlangen - nur hätte das Auswirkungen auf die Autoindustrie und Arbeitsplätze, was man sicherlich nicht vergessen darf. In unserer Region müssen die Leute aus Reinheim, Reichelsheim, Roßdorf, Groß-Zimmern oder Gundernhausen mit dem ÖPNV genauso schnell nach Darmstadt kommen, wie die aus Groß-Umstadt. Die haben nämlich den Schnellbus, der die HEAG-Spur benutzen darf. Warum gilt das nicht für die anderen Linien? Die müssen ebenso den Luisenplatz ansteuern können. Und der Schnellbus auf der Groß-Umstädter Linie ist übrigens ein Erfolg: Das Fahrgastaufkommen ist erheblich größer geworden, und die Staus auf der B 26 haben nachgelassen. Merkwürdigerweise gibt es im DB-Bereich Aversionen gegen neue Busspuren da dürften dann ja auch die Taxen herauf! Aber das ist genau richtig! Denn die Taxen sind der individuelle Faktor im Personennahverkehr. Wenn man die Geschwindigkeit, mit der der Fahrgast an sein Ziel kommt, erhöhen will, dann muß man die Taxen einbeziehen. Ich würde sogar sagen: Ein Taxen-Linienverkehr muß geschaffen und gegebenenfalls auch subventioniert werden. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Durch mehr Attraktivität erreicht man mehr Fahrgäste und selbstverständlich auch mehr Geld, das in weiteren Fortschritt im ÖPNV investiert werden kann. Zwar bin ich der Meinung, daß der ÖPNV gegenwärtig ohne Subventionen nicht auskommen kann, denke aber, daß er irgenwann in der Lage sein wird, kostendeckend zu fahren. Fortsetzung nächste Seite (schon wieder )Verkehr R echtzeitig noch zur Verkehrsdebatte im Herbst haben die Darmstädter Grünen ihr 35-Seiten starkes Konzept für eine Neuordnung des Verkehrs vorgelegt. Ingenieur Ullrich Ranly hat das Konzept in einem Gespräch vorgestellt. „Kein anderes Verkehrsmittel prägt unsere Umgebung … so nachhaltig wie das Kraftfahrzeug“, steht in der Einlei- Fortsetzung Seite 7 „Sinnvolle Verbindung … ZD: In Darmstadt ist man gegenwärtig pausenlos unterwegs, um sich andernorts Verkehrskonzepte abzugucken: Verkehrsleitsystem in Köln, und kürzlich war Eike Ebert in Zürich und in Brescia. WS: Also das Parkleitsystem, das man hier einrichten will, ist hirnrissig! Dieses Geld sollte die Stadt besser der HEAG geben, die letztes Jahr 12 Millionen Verlust gemacht hat, damit sie ihren ÖPNV ausbauen kann. Für diesen kleinen innerstädtischen Bereich Darmstadt braucht man kein Parkleitsystem, das im übrigen allenfalls in den vier verkaufsoffenen Samstagen vor Weihnachten zum Zuge kommen könnte. Die Ortskundigen finden hier eh ihre Parkmöglichkeiten, und die Ortsunkundigen werden auch trotz Leitsystem Probleme haben. In Darmstadt müßte das genaue Gegenteil gemacht werden: Nämlich eine radikale Einschränkung des Parkplatzangebotes, damit die Autos vor der Stadt bleiben. Und wer falsch parkt, muß sofort und konsequent abgeschleppt werden. Und in Zürich, da war der Eike genau an der richtigen Adresse! Dort - wie jetzt übrigens auch in Offenbach - haben die Busse und Straßenbahnen absolute Vorrangschaltungen. Und die haben dort 30 Prozent Zuwachs im ÖPNV. Da fahren jetzt sogar Generaldirektoren von Banken (ZD: Wie schön das paßt!) mit dem Bus, weil es schneller geht, als mit dem Auto. So etwas brauchen wir auch hier. Man kann dabei auch ans Ruhrgebiet denken: Dort kann man mit einem Fahrschein überall hinfahren. Wichtig ist auch, daß die Fahrgäste das Fahrzeug nicht so oft wechseln müssen, keine langen Wartezeiten entstehen - also höhere Taktfrequenzen und das geht am besten mit Bussen. Und ein Problem schiebe ich noch nach, weil ich da pro domo sprechen kann: Im Busgewerbe explodieren die Kosten, sowohl die Betriebs- wie auch die Personalkosten. Im öffentlichen Bereich ist der Stundenlohn jetzt auf 18,70 DM angestiegen und da müssen die Privaten nachziehen, wenn sie überhaupt noch Fahrer kriegen wollen. Und im ÖPNV rechnet man 2 bis 3 Fahrer pro Bus. Auch dies sind Probleme, die im Zusammenhang mit einem umfassenden ÖPNV-Konzept gelöst werden müssen. Und letztlich: Auch die Attraktivität des Berufes „Busfahrer“ muß erhöht werden. Die sind nämlich im Prinzip „Hilfsarbeiter mit Führerschein“ - und allen Launen ausgesetzt, logisch, daß auch sie dann gelegentlich übellaunig reagieren. Deshalb muß man auch in Hessen, wo es noch keine Richtlinien gibt, hin zur Berufskraftfahrerausbildung. Es kann zukünftig auch nicht angehen, daß ein Busfahrer täglich mehr als 6 bis 7 Stunden unterwegs ist. Also: Es ist genug zu tun - besonders auch hier in unserer Region. Nur: es packt keiner richtig an. ZD: Wolfgang, schönen Dank für das Gespräch! (der muß doch immer das letzte Wort haben) „40 Prozent weniger Autos !“ ? Das Verkehrskonzept der Grünen tung. Die Bevorzugung des Autos gegenüber anderen Verkehrsmitteln, hätte sich ohne eine „Trennung unserer Orte in verschiedene Lebensbereiche, wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholen“, nicht so entwickeln können. Der „massenhafte Autoverkehr, verbunden mit Belastungen und negativen Folgen für Naturhaushalt, Landschaft, Umwelt und Lebensqualität“ und der vielen „Menschenopfer“ macht es aus Sicht der Grünen unbegreiflich, daß „die Menschen heute durch den Autoverkehr belästigt werden dürfen und trotzdem die Freiheit aufrecht erhalten wird, so viel und überall, das Auto zu benutzen“. Laut Verkehrskonzept sind seit Kriegsende mehr als eine halbe Million Menschen getötet und eine weitere Million durch Unfälle verletzt worden. Verkehrsvermeidung fordern deshalb die Grünen: „Verkehr muß auf wirklich notwendige Wegstrecken reduziert werden“. Das Zusammenlegen von Wohnen und Arbeit, von Versorgung, Bildung, Kultur und Erholung muß planerisch berücksichtigt werden, denn dann sind Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen“. Daraus leiten die Grünen eine grundsätzliche Forderung ab: „Alle noch bebaubaren Flächen für das Wohnen statt - wie geplant - für zusätzliche Gewerbeansiedlung vorzusehen“. Weniger Autofahren Öffentlicher Personennahverkehr, Zu-Fuß-Gehen und Rad-Fahren soll Vorrang erhalten vor dem Autoverkehr, der „zu steuern und einzuschränken“ ist. Der Güterverkehr gehört auf die Schiene. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Beförderungsmittel „miteinander verzahnt werden und sich gegenseitig ergänzen können“. Das ist aus Sicht der Grünen nur möglich, wenn Verkehrsentscheidungen „wesentlicher Bestandteil des demokratischen Entscheidungsprozesses sind“. „Die BürgerInnen sind … in den Planungs-Phasen einzubeziehen und nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen.“ Oberste Priorität soll das Zu-FußGehen haben. Zu Lasten des Autoverkehrs fordern sie breitere Bürgersteige und eine „gleichzeitige Beruhigung und Verringerung des Autoverkehrs“. Die Planer sollen übergeordnete Netze entwerfen, wie sie bereits für Autos selbstverständlich sind: Das Fußwegkonzept. „Ein sternförmiges auf das Zentrum hin ausgerichtetes Netz, das zusammenhängende Wege enthält“. Umfangreiche Kontrollen sollen Kreuzungen und Bürgersteige freihalten, eine Temporeduzierung auf 30 km/h - auch auf Hauptstraßen - den Fußgängern mehr Sicherheit gewähren. Mehr Fahrräder als Autos soll es laut den Grünen in Darmstadt geben. Deshalb unter anderem fordern sie, daß der 1978 bereits entworfene Radwegeplan endlich umgesetzt wird. Ein wichtiger Punkt dabei ist ein Radwegenetz, das sowohl unsicheren RadfahrerInnen als auch Schnellen und Zielstrebigen „bedürfnisgerechte Radverbindungen“ schafft. Auch hier wird wieder ein Rückbau von Straßen gefordert, um mehr und breitere Radwege auch aus Gründen der Sicherheit der FahrerInnen zu bieten. Freie Sicht an Kreuzungen gehört ebenso dazu, wie die Änderung der Straßenverkehrsordnung zum Schutz von FußgängerInnen (vor RadlerInnen) und mehr Kontrollen, um Falschparker von Radwegen zu entfernen. Gefährliche Kreuzungen sollen entschärft werden. Einen wesentlichen Punkt sehen die Grünen auch in der Möglichkeit für RadfahrerInnen, darin, die Räder in öffentlichen Verkehrsmitteln mitnehmen zu können. Bordsteinkanten sollen abgesenkt und alles in al- lem ein „für das Radfahren freundlicheres Klima in Darmstadt erreicht werden“. Drei neue Bahnhöfe Die Busse aus dem Umland bewerten die Grünen sehr negativ: „Mit ihnen können weder Arbeitsplätze in Gewerbegebieten noch eine ausreichende Verbindung mit den Heag-Linien aufgenommen werden. Die Busse verkehren zu selten und unregelmäßig“. Vor allem die Bundesbahn hat die Erhaltung wenig gepflegt, geschweige denn den Ausbau ihrer Beförderungswege: „Der Verkehr ist weitgehend auf den Hauptbahnhof orientiert, die anderen Bahnhöfe veröden immer mehr“. Dem wollen die Grünen entgegentreten mit einem Verkehrs- und Tarifverbund, mit einheitlichen Fahrpreisen und Fahrkarten und gemeinsamen Haltestellen. Im einzelnen listen sie die Strecken auf, die Darmstadt enger mit dem Umland verknüpfen sollen. Wesentlich dabei ist, daß sie nicht nur die bestehenden Bahnhöfe wieder aufwerten, sondern darüber hinaus drei neue Bahnhöfe an der Pallaswiesenstraße, in Kranichstein und an der Lichtwiese fordern. Neben dem Haupt- wollen sie den Nordbahnhof als zweiten Knotenpunkt ausgebaut wissen, denn „der ist stadtnah”, erklärt Ullrich Ranly, „und könnte gleichzeitig eine Entlastung des Verkehrs durch die vielen Arbeiter bei Merck bringen“. Pfungstadt soll endlich auch in das Eisenbahnnetz einbezogen werden. Die Forderung der Straßenbahnlinien nach Kranichstein und Weiterstadt stehen wie schon so lange vergebens gefordert, auch diesmal wieder in Konzept. Ranly wendet sich dagegen, daß „ein Gutachten nach dem anderen angefordert wird, ohne daß etwas passiert“. Seiner Meinung nach sind die Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten längst ausreichend bekannt: „ Dazu braucht man kein Gutachten mehr, um zu wissen, daß die Linien fehlen“. Und was ist mit den Autos? Die eine Hälfte der DarmstädterInnen fährt die 77.000 zugelassenen Autos, die andere Hälfte „ist aus altersoder körperlichen Gründen nicht dazu in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Da Darmstadt „seit 1988 die höchsten Unfallzahlen aller bundesdeutschen Großstädte hat, … die Wohngebiete stark beeinträchtigt sind (gefährlich, abgasbelastet und laut geworden), und ohne massives Gegensteuern diese Situation sich in den nächsten Jahren erheblich verschlechtern wird“, fordern sie, „muß der motorisierte Individualverkehr generell zurückgedrängt werden“. Restriktionen für das Auto sind erforderlich, „da eine Politik, die nur anbietet, nichts erreicht“, erklärt Ranly und setzt die Zielvorstellung an: „Der Autoverkehr muß um 25 Prozent reduziert werden“. Dazu gehört vor allem und als Sofortmaßnahme die Parkraumbewirtschaftung. Das „Überangebot an Parkraum“ hat nach der Analyse der Grünen die vielen Autos erst in die Stadt gezogen. Deshalb fordern sie eine gezielte Parkraumbewirtschaftung. Vorrang soll vor allem das Anwohnerparken haben. In der zweiten Präferenz kommen Kurzzeitparkplätze, denn „Pendler können auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen“. Kostenpflichtige Parkplätze, die den Autopendlern das Fahren erheblich verteuern, ist die dritte direkte Maßnahme, die sie vorschlagen. Und anstelle innerstädtischer Parkplätze fordern sie, daß Park-andRide-Plätze über die Ablösesummen, aus der Stellplatzverordnung eingenommen, finanziert werden“. Als Empfehlung möchten sie verstanden wissen, daß Firmen nur erforderliche Parkplätze einrichten und „wer keinen Parkplatz bekommt, denn Parkplätze kosten Geld, 38 . Kalenderwoche - Seite 8 soll statt dessen Zuschüsse zu öffentlichen Verkehrsmitteln erhalten“. Auch der Umweltschutz steht dringend im Programm: Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in der ganzen Stadt wird nicht nur aus Gründen der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erwogen, sondern auch weil sich der Autoverkehr dadurch um ca. 15 Prozent reduzieren läßt. Die Grünen berufen sich auf eine noch nicht veröffentlichte Untersuchung des Umweltbundesamtes, das noch weit darüber hinaus geht, wenn gleichermaßen Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und öffentlicher Nahverkehr gefördert werden, dann prophezeien die Gutachter sogar 40 Prozent Rückgang des Autoverkehrs. Die Tempobegrenzung vermindert den Lärm auf ein Drittel, gleichzeitig auch den Benzinverbrauch. Speziell für LKWs fordern sie Nachfahrverbote, wie sie heute bereits in anderen europäischen Ländern Selbstverständlichkeit sind. Anstelle weiterer Umgehungsstraßen - NordOst-Umgehung und West-Tangente fordern sie sogenannte Pförtnerampeln, an denen Autos so lange warten müssen, bis die innerstädtischen Straßen frei von Staus sind. Ranly meint dazu:„Wenn einer mal 20 Minuten gewartet hat oder noch länger und der Bus fährt an ihm vorbei, dann überlegt er sich das nächste Mal zweimal, ob er wieder mit dem Auto fährt“. Der Umgehung Arheilgens stimmen die Grünen unter Bedingungen zu, weil der Ortsplan zu sehr belastet ist. Das Konzept ist sehr gründlich ausgearbeitet und wir haben lediglich Ausschnitte und Schwerpunkte darstellen können. InteressentInnen geben die Grünen sicher gerne weitere Auskünfte. Giftgas-Transporte: Fragen bleiben offen Zu den Giftgas-Transporten hat die Fraktion der Grünen folgende Presseerklärung abgegeben: Die Stadtverordnetenfraktion der Grünen sieht sich durch die Rahmenbedingungen der ersten durch Darmstädter Stadtgebiet geführten Giftgas-Transporte „in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt“: trotz eines martialisch wirkenden Aufgebots an militärischem und polizeilichem Begleitpersonal seien entgegen vorheriger Ankündigung „elementarste Sicherheits-Erfordernisse außer acht gelassen“ worden. So habe es weder für den militärischen noch den zivilen Teil des Rhein-Main-Flughafens für die Zeit des Transports durch Südhessen ein Flugverbot gegeben. Ebensowenig habe - obwohl zuvor zugesichert - der gesamte sonstige Zugverkehr auch in Gegenrichtung für die Zeit der Durchfahrt geruht: „Laut Presse- und Augenzeugen-Berichten ist es zumindest in Darmstadt zu Begegnungen mit einem Passagier- und einem Güterzug gekommen.“ Statt nächstliegende Gefahrenquellen auszuschließen, beschränkten sich die amerikanischen und bundesdeutschen Behörden auf eine „spektakuläre Sicherheits-Show entlang der Wegstrecke“, die aus sich heraus mehr Gefährdungen produziere als sie ausräume: so stellten beispielsweise die den Zug ständig umschwirrenden Hubschrauber eher ein zusätzliches Sicherheitsrisiko dar. Die Darmstädter grüne Stadtverordnetenfraktion fordert die Landesregierung auf, für die Durchfahrts-Dauer der noch ausstehenden Transporte unverzüglich ein Flugverbot für den Rhein-Main-Flughafen und die Air-Base durchzusetzen. Sie appelliert zugleich an die „dem gesamten Vorgang unverändert gleichgültig bis fatalistisch gegenüberstehende Stadt Darmstadt“, sich ebenfalls in diesem Sinne zu verwenden. Soweit die Presseerklärung der Grünen. Der der Stadt Darmstadt zugeschriebene Fatalismus geht freilich weit über sie hinaus, hat sich doch für die Dauer der Gifttransporte ähnliches gezeigt, wie es sich auch beim nervenkitzelnden Besuch von Geisterbahnen oder „Fantasia“-Ländern beobachten läßt: Entlang der Eisenbahnstrecken und besonders an Bahnübergängen versammeln sich ganze Menschentrauben, die dann später das stolze Gefühl des Dabeigewesenseins weitervermitteln können. Und Bahnübergänge sichernde Polizisten weisen derweil junge und jüngste MitbürgerInnen ein in die Geheimnisse des Polizeifunks und des Blaulichts, statt die staunende Meute schnurstracks wieder heimzuschicken. Und einem Skandal kommt es gleich, wenn sich Politiker in bagatellisierender Absicht nicht entblöden, auf diesen Giftzügen unter gläsernen Kuppeln mitzufahren (medizinisches Notgepäck selbstverständlich in der Westentasche!), als wären sie bei „Wetten daß“. Man muß dies deutlich als Degenerationserscheinungen qualifizieren, denn wer auf solch fahrlässige Weise zusätzliche Heldenpunkte bei Wahlen erzielen möchte, ist nachgerade amoralisch kontaminiert. Weitere Fragen müssen gestellt werden. Wie ist das Zeug überhaupt dorthin gekommen, von wo es nun wieder abgeholt und durch deutsche Lande transportiert wird? Via USA oder gar hier bei uns produziert? Wenn irgendwo in der Welt giftige Gase auf Menschen losgelassen werden - „Made in Germany“, unser gutes Qualitätskennzeichen, ist stets dabei. Und: Ist das nun wirklich alles, was von Deutschland aus seinen Weg zur Endlagerung im Pazifik nimmt? Oder liegt andernorts doch noch weiteres Tötungsmaterial herum? Im Fischbachtal vielleicht? Davon jedenfalls hört man. Soll man frohlocken, daß sich jetzt wenigstens der Abtransport dieser Giftgase vor den Augen der Öffentlichkeit vollzieht? (rai) Jörns Seite - dürfen Sie aber auch lesen 38 . Kalenderwoche - Seite 9 „…daß sie halt ihre Ruhe hat.“ Juristen verurteilen Kindesmißbrauch: Vier Jahre Haft Was am 3.9. und 6.9. vor der Jugendschutzkammer des Darmstädter Landgerichts verhandelt wurde, „sprengt den Rahmen“ dessen, was diese Kammer in vielen ähnlich gelagerten Fällen verfolgt hat - das ist die Meinung von Staatsanwalt Walter Müller. Allerdings dürfte das weniger an dem Vergehen liegen, als vielmehr an dem Umstand, daß solche Fälle bei 15-facher Dunkelziffer überhaupt nur selten vor Gericht kommen (siehe Bericht auf dieser Seite): Es geht um den sexuellen Mißbrauch von Kindern.Die Juristen haben den Stifevater und die Mutter verurteilt. Auf der Anklagebank sitzen der Stiefvater und die leibliche Mutter: Beide sind des sexuellen Mißbrauchs angeklagt. Eine Kette von Straftatbeständen füllt die Anklageschrift, darin enthalten sind: sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen, Beischlaf zwischen Verwandten und Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger. Was die Juristen unter trockene Paragrahen fassen, in juristischen Strafrahmen mit unterschiedlichen Straftatsbeständen einordnen, ist für die beiden Kinder des Elternpaares ein Leidensweg gewesen, der -im Falle der Tochter- mindestens vier Jahre gedauert hat. Vermutlich eher länger ist dem Prozeßverlauf zu entnehmen. Die beiden in der DDR geborenen Kinder werden 1980 von dem Angeklagten nach seiner Heirat mit deren Mutter in die Bundesrepublik geholt. Der selbst aus der DDR stammende Stiefvater hat sich hier eine gesicherte Existenz als Programmierer aufgebaut. Im Laufe des Prozesses wird klar, unter welchen Bedingungen die Familie von ihm beherrscht wurde. Vor seinen unberechenbaren Launen, die nicht selten in Schläge ausarteten, die sowohl Kinder als auch Mutter trafen, herrschte solche Furcht, daß alles getan wurde, um ihn zu beruhigen. Das führte schließlich so weit, daß der Tochter - wahrscheinlich noch vor ihrem 14. Lebensjahr - aufgetragen wurde, zu ihm zu gehen, wann er es wollte, gar von ihrer Mutter geschickt, mit ihm zu schlafen. Über Jahre hinweg -das Gericht bringt es auf über 90 konkrete Fällemußte die heute 20-jährige auf diese Weise den Haussegen wieder geraderücken. Dafür zeigte er sich auch erkenntlich, bevorzugte sie, machte ihr Geschenke. Wie der psychiatrische Gutachter, der Psychologe HansJürgen Michalowitz erklärt, hatte das Mädchen die Rolle der Liebhaberin zu führen. Ein Punkt, den der Verteidiger des Angeklagten auch prompt herausgreift und darauf eine „Verteidigung unter der Gürtellinie“ aufbaut, wie sich Staatsanwalt Müller empört. Der theatralische Vortrag von Rechtsanwalt Konrad Becker, der damit proargumentiert, der Angeklagte sei „voll heißen Verlangens“ gewesen und hätte „von der Stieftochter nicht lassen“ können, war für die Opfer entwürdigend. Eine Zuschauerin verließ während des Plädoyers aufgebracht den Saal- während die Stieftochter auf der Zuschauerbank saß und zuhörte. Der heute 18-jährige Sohn wurde in der Nacht nach seinem 15. Geburtstag in die sexuellen Handlungen mit einbezogen. Nach einer längeren Feier außer Hauses brachte ihn der angetrunkene Stiefvater, der sich nach eigenen Aussagen auch unter Alkohol noch im Griff habe, dazu, mit der Wieder einmal in der Diskussion: Das Herrngarten-Cafe - so sah es vor dem Krieg aus - manche wollen es wieder so haben (z.B.:Dr. Sissy Geiger, CDU, Kunsthistorikerin) (as) Mutter zu schlafen, wovon der Vater Fotos schoß. In der gleichen Nacht mußte der Junge den Akt noch ein zweites Mal ertragen. Am darauffolgenden Tag, als ein Freund ihn abholen wollte, blockten die Eltern den Besuch ab mit der Begründung, er habe noch etwas wichtiges vor. Ein weiteres Mal mußte der Junge mit seiner Mutter schlafen. Dem Richter, der die Rolle der Mutter bei diesen Geschehnissen ergründen will, erklärt der Junge: „Sie hatte nur ihren Körper zur Verfügung gestellt.“ Es ist nur noch Verachtung, die er für seine Mutter übrig hat. Daß sie seine Schwester mehrmals zum Stiefvater geschickt habe, sei nicht aus dem Grund geschehen, „daß das Familienklima wieder gut ist, sondern, daß sie halt ihre Ruhe hat.“ Weder ihm noch seiner Schwester konnte eine Zeugenaussage vor Gericht erspart werden, da die Aussagen der Eltern zu ungenügend waren, als daß sich das Gericht darauf hätte stützen können. Während seiner Befragung wirkte er sachlich und cool, wie ihm der Vorsitzende Richter Michael Baumgart bescheinigte. Doch die Hülle brach zusammen, als er vom Über Inzest wird nur ungern diskutiert Das Hilfsangebot des Kinderschutzbundes (joh.) Kindesmißbrauch - ohnehin noch immer ein Tabuthema, das in der Öffentlichkeit allenfalls entrüstet diskutiert wird, wenn ein akuter Fall publik wurde ist leider weiter verbreitet als vielfach angenommen. Nur in seltenen Fällen kommt es zu einer Anzeige, und die Schätzungen, wie viele Kinder tatsächlich sexuell mißbraucht werden, schwanken erheblich. Eine Broschüre des Deutschen Kinderschutzbundes, die sich speziell mit diesem Thema befaßt, nennt für das Jahr 1984 über 10.000 Anzeigen aufgrund des §176 des Strafgesetzbuches (Sexueller Mißbrauch von Kindern). Die Dunkelziffer aber wird bis zu 15 mal höher eingeschätzt. Entscheidend für die große Zahl von Fällen, die nie oder erst sehr viel später bekannt werden, sind nicht nur Angst und Scham, sondern ist auch der Tatort. Die verbreitete Vorstellung des fremden Mannes, der das Kind mit einer Tüte Bonbons vom Spielplatz weglockt, sind allenfalls die Ausnahme. Tatsache ist, daß sexuelle Mißhandlung von Kindern in der Regel dort stattfindet, wo diese sich am sichersten wähnen: in der eigenen Familie oder deren engstem Umfeld. Seien es der Freund der Familie, der Onkel oder der Großvater, die regelmäßig zu Besuch kommen und nicht nur bei den Kindern Vertrauen genießen, sondern auch bei deren Eltern - oder gar die Eltern selbst, der Vater, der Stiefvater oder der ältere Bruder (30-50% der Täter sind die leiblichen Väter). Die Opfer, nach einer Studie des Bundeskriminalamtes meist Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren, sind nicht in der Lage, sich gegen die Täter zu wehren. Hinzu kommt noch der Druck des Redeverbotes unter Drohung, das dem Kind vom Täter auferlegt wird und es unerträglich belastet. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern beschränkt sich meist auch nicht auf eine einmalige Handlung. In der Regel werden die Kinder über Wochen, Monate oder Jahre hinweg benutzt, um den Täter zu befriedigen. Sie werden mit dieser gräßlichen Erfahrung älter und erleben sie als Gewohnheit. Auch für die Mütter, die irgendwann vielleicht davon erfahren, ist die Situation von eigener Problematik. Gerade bei der Ausnutzung von Kindern durch den Vater, Stiefvater oder den Freund der Mutter, steht sie zunächst vor dem Konflikt, daß der Partner, den sie sich ausgesucht hat, zu so etwas fähig ist. Nicht selten ist die Reaktion dann Angst, den Partner zu verlieren. Um so mehr, als sie in existentieller Abhängigkeit zu ihm steht. Das kann zur Unfähigkeit der Mutter führen, einzugreifen. Nach einer Studie des Deutschen Kinderschutzbundes haben die meisten Familien, in denen sexueller Mißbrauch vorkommt, eine Art „Festungsstruktur“, in der interner Druck schon soweit vorherrscht, daß eine Öffnung nach außen gar nicht möglich ist. Nicht nur Mädchen sind betroffen: etwa ein Viertel der Inzest-Opfer sind Jungen. Die psychischen Spätfolgen, die Kinder davontragen, sind meist drastisch und können sich in vielfacher Weise äußern. Schwierigkeiten in Partnerbeziehungen, sexuelle Probleme, Ablehnung des eigenen Körpers, zerstörtes Selbstbewußtsein, Unfähigkeit zu vertrauen, traumatische Zustände, aber auch Schuldkomplexe, Angst vor Männern oder Haß auf diese zeigen sich. Inzest ist ein hochkomplexes Thema. Das liegt nicht nur an der Beziehung zwischen Täter und Opfer, sondern auch an der Nicht-Bereitschaft der Öffentlichkeit, das Thema in das Bewußtsein zu heben. „Während Alkoholiker (Täter und Opfer zugleich) im Vergleich heutzutage kaum noch Schwierigkeiten haben“ aus der Sicht des Kinderschutzbundes, „Anlaufstellen für ihr Problem zu finden“, ist es nicht nur für sexuell mißbrauchte Kinder, Mädchen, Jungen und Frauen schwer, Hilfen zu finden, sondern auch für die Täter, die sich über ihre Handlungen bewußt werden wollen und einen Ausweg suchen. Hinsichtlich der Problemlösung aller Umstände des sexuellen Mißbrauchs von Kindern führt ein Dazulernen seit einigen Jahren zur Entwicklung neuer Konzeptio- nen. Gerda Eggerts-Herrlich vom Kinderschutzbund Darmstadt: „Das Verhalten, Kinder zu mißbrauchen wird von Experten neuerdings als Suchtverhalten angesehen und erfordert spezifische Therapieansätze, die erst in den Anfängen stecken“. Dazu gehören auch Therapiemöglichkeiten für die Täter. Das heißt nicht, daß das Täter-Opfer-Verhältnis zugunsten der Täter verschoben werden soll. Doch ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen durch Ausstoßen und Bestrafen der Täter. Gesellschaftliche Verurteilung ohne gleichzeitiges Hilfsangebot führt vielmehr zu einer noch stärkeren Abschottung vor der Öffentlichkeit und mindert gleichzeitig Hilfen für die Opfer. Der Kinderschutzbund versucht, für Kinder, Mütter oder andere, die von einem Fall erfahren haben, Lösungswege zu finden. Vor allen Dingen mit den Kindern selbst sollen Schritte geplant werden, wie sie aus der Situation herauskommen können, ohne Nachteile zu erfahren. Ihnen kann nur geholfen werden, wenn nicht gegen ihre Interessen gehandelt wird. Deswegen hält der Kinderschutzbund auch eine Anzeige nicht in jedem Fall für sinnvoll, wenn der Täter aus dem engen Familienkreis kommt. Vielfach haben Kinder Angst vor den Konsequenzen, die eine gerichtliche Verfolgung nach sich zieht. Allein die Aussagen vor Gericht sind eine hohe Belastung. Aber auch die soziale Stigmatisierung und die Verschlechterung des Lebensstandards bei einer Haftstrafe fallen auf das Opfer und seine Familie zurück. Deshalb muß genau abgewogen werden, wie dem Kind zu helfen ist. „Vorrangig bei allen Hilfen muß der Schutz der betroffenen Kinder sein“, betont Maria Peiffer, ebenfalls Mitarbeiterin beim Kinderschutzbund Darmstadt. „Erst dann kann mit der Familie und eventuell mit dem Täter gearbeitet werden. Dieser Ansatz wird jedoch erschwert durch das Fehlen von speziellen Unterkünften, wie zum Beispiel betreuten Wohngruppen, in denen die betroffenen Kinder kurzfristig untergebracht werden können. Eine Bera- tung mit der ganzen Familie kann nicht erfolgen, wenn Täter und Opfer unter einem Dach leben.“ Verstärkt setzt sich seit ein paar Jahren auch die Justiz mit dem Thema auseinander. In den USA und in England wird Kindern der qualvolle Auftritt vor Gericht erspart, indem das ohnehin schon vorausgehende polizeiliche Protokoll auf Video aufgezeichnet und vor Gericht verwandt wird. Aber auch im Umgang mit den Tätern ist das Ausland wesentlich weiter. In den USA zum Beispiel haben Täter, die juristisch belangt wurden, die Wahl zwischen Knast und Therapie, wobei die Haftstrafe erst nach erfolgreicher Therapie erlassen wird, quasi einer Aussetzung auf Bewährung gleich kommt. Ist die Situation eines Kindes einmal erkannt und wird versucht, ihm zu helfen, kann das leicht ins Gegenteil umschlagen. Die erste verständliche Reaktion ist meist Entsetzen, Wut und Verurteilung des Täters. Doch gerade bei kleineren Kindern kann dies zu verwirrenden Konflikten führen. Wichtig in einer solchen Situation ist vor allen Dingen die Bereitschaft zum Zuhören, aber auch die Absicht, das Kind nicht zu Aussagen drängen zu wollen. Für Eltern oder andere Personen, die erfahren haben, daß das Kind sexuell mißbraucht wird, ist in den Räumen des Kinderschutzbundes ein Informationsheft erhältlich, das einfühlsam Möglichkeiten der Hilfestellung aufführt. Die verständliche Wut und eigene Hilflosigkeit kann die Situation des Kindes leicht noch verschlimmern. Für Frauen, die als Kind nicht die Möglichkeit hatten, Hilfe zu bekommen und jahrelang unter der psychischen Belastung leiden, bietet sich auch die Beratungsstelle Wildwasser an, die ursprünglich von selbst betroffenen Frauen gegründet wurde und durch Gespräche und Selbsthilfegruppen Probleme bewältigen helfen will. Der entscheidende Unterschied allerdings zum Hilfskonzept des Deutschen Kinderschutzbund ist verständlich: Täter kommen zu ihnen nicht ins Haus. Verteidiger der Angeklagten, Helmuth Gölzenleuchter, scharf angegangen wurde. Durch den Versuch, die Glaubwürdigkeit des Jungen grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, bemühte sich der Anwalt, den Jungen zu verunsichern. Vor der Tür, nachdem das Verhör beendet war, erlitt der Junge einen Nervenzusammenbruch und wurde ärztlich versorgt. Die kühle Art, mit der der Junge, der heute bei Pflegeeltern lebt, vor Gericht aussagt, ist Selbstschutz. „Ich fress halt viel in mich rein“, erzählt er. Tagsüber, wenn er abgelenkt sei, kommen ihm die Gedanken an das, was er erlebt hat, nicht, aber „wenn man Abends im Bett liegt und kann nicht einschlafen, dann denkt man halt schon daran.“ Seine Schwester hat vom äußeren Eindruck her stärker damit zu kämpfen. Sie lebt heute mit ihrem Mann, der sich sehr um sie bemüht. Sie, die, im Gegensatz zu ihren Bruder den Prozeß gegen ihre Eltern an beiden Verhandlungstagen verfolgte, obwohl sie nur am ersten hätte anwesend sein müssen, leidet sichtlich. Trotzdem steht sie bis zum Urteil durch, und es entsteht Eindruck, daß sie dadurch ein Kapitel abschließen möchte. Vielleicht hat sie jetzt die Möglichkeit, die Geschehnisse besser zu bewältigen. Das Urteil setzt vier Jahre Haft für den Stiefvater, die Mutter erhält eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auferlegt. Für den Stiefvater spräche, so Richter Michael Baumgart, daß er überwiegend geständig war und sich bereits einer Therapie unterzogen habe. Doch „der seelische Schaden, den er bei der Tochter verursacht hat, ist unübersehbar.“ Die Bewährungsstrafe der Mutter wurde unter dem Gesichtspunkt ausgesprochen, daß sie noch eine elf Monate alte Tochter zu versorgen habe. Eine weitere 11-jährige Tochter, die die Angeklagten zusammen haben, mußte auf Weisung des Jugendamtes schon nach Ermittlungsbeginn in ein Internat und darf die Eltern nur am Wochenende besuchen. Den Angeklagten wirft Baumgart darüber hinaus vor, den Kindern nicht erspart zu haben, vor Gericht aussagen zu müssen. Jörn Johansen Adressen, die Hilfe anbieten: • Deutscher Kinderschutzbund Darmstadt, Grafenstraße 25, Tel.: 21066, 21067 • Wildwasser Darmstadt, Ernst-Ludwig-Straße 9, Tel.: 28871 • Pro Familia Darmstadt, LandgrafGeorg-Straße 120, Tel.: 43264 Umwelt 38. Kalenderwoche - Seite 10 „Soll ich etwa auf den Luisenplatz machen?“ Forever young Für Berufsschullehrer-Studenten an der Technischen Hochschule hat die Wella eine Dozentur und eine Stelle für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter für die Dauer von sechs Jahren gestiftet. In „Mode, Kunstund Stilgeschichte/Ästhetik“ sollen die Studenten Bildungsmöglichkeiten über die Chemie als Grundlage des Studiums hinaus ab Wintersemester 1991 erhalten. Die Dozentur wurde vor geladenem Publikum in einer kleinen Feier unterzeichnet. „Körperpflege gibt es, seit es Menschen gibt“, erklärt Karl-Heinz Krutzki, Vorstandsvorsitzender der Wella AG. „Schon die Ägypterinnen kannten Makeup und Lidschatten, um ihre Schönheit zu vergrößern. Und der römische Dichter Ovid soll gesagt haben: „Der Pflege bedarf auch die Schönste“. Nach dem geschichtlichen Abriß kommt Krutzki auf das Heute zu sprechen:„Nur sieben Prozent der Bevölkerung stehen der Körperpflege heute reserviert gegenüber“. Körperpflege wird von ihm offensichtlich gleichgesetzt mit dem, was pro Kopf für Kosmetika ausgegeben wird. In der Bundesrepublik, erklärt Krutzki, „werden 186.- DM für Pflegemittel ausgegeben“, noch nicht ganz das, was sich die Wella wünscht, denn es gibt Länder, in denen dieser Betrag auf 240 DM angelangt ist.Da „die Haut das größte Organ ist und die Umwelt mit dem Körper in ein harmonisches Verhältnis bringt“, besitzt die Körperpflege in den Augen Krutzkis einen außerordentlich hohen Rang:„Man steht dem Leben positiv gegenüber. Das Jung-Sein ist Bedürfnis, und ohne Zweifel trägt die Körperpflege dazu bei, sich länger wie ein noch Jüngerer zu fühlen und –jung zu sein.“ Darmstädter Bürgerin wird kurzfristig Arbeitgeber einer Weiterentwicklung exakt umreißt. Die Industrie soll die Produktion von FCKW´s freiwillig eingestellt haben Die Frage der gesundheitlichen Unbedenklichkeit hat auch Dr. Jochen Spengler, Leiter der biologischen Kontrolle der Wella AG, zum Thema gewählt. „Die Natur ist gesund und die Chemie ist schädlich“, erklärt er,„das kann ich hier ja sagen, dies ist für einen gestandenen Naturwissenschaftler barer Unsinn“. Dennoch die Frage der Umweltverträglichkeit schneidet auch er an: „Die Produkte müssen umweltverträglich sein. Alle Ebenen der Gesellschaft müssen nach dem Kenntnisstand für den Schutz der Umwelt eintreten, für die Zukunft“. Er lobt die freiwillige Bereitschaft der Industrie, auf umweltschädliche Produkte zu verzichten:„Die Kenntnis der Ozonwirkung von FCKW's hat dazu geführt, daß die Industrie die Produktion eingestellt hat“. (Siehe auch Bericht auf dieser Seite: Greenpeace). Bundesminister Klaus Töpfer weigert sich immer noch, die Produktion von FCKW zu verbieten Freiwillig soll die Industrie nach Vorstellung von Bundesumweltminister Töpfer auf die Herstellung des Ozonkillers FCKW verzichten. Greenpeace prangert an, daß es nicht funktioniert und bringt die verantwortlichen Herren vor die Augen der Öffentlichkeit. Zur Zeit befassen sich die Juristen mit dem Thema. Über dem Kopf des Hoechster Vorstandvorsitzenden mußte Greenpeace einen ZensurAufkleber anbringen. (red.) Greenpeace streitet mit ChemieIndustriellen und der Presse Im Juni und Juli zierte obiges Plakat der Umweltschutzorganisation Greenpeace die Öffentlichkeit. Der schlecht lesbare Text lautet: „Absolute Spitze bei Ozonzerstörung und Treibhauseffekt: Verantwortlich für die deutsche Produktion des Ozon- und KlimaDurch Kosmetika weg vom grauen killers FCKW“, schrieb die UmweltAlltag des Sozialismus? „Um die Umweltverträglichkeit, die schutzorganisation unter die im Kumulation von Chemikalien in den Großformat abgebildeten Konterfeis Organismen nachzuweisen, macht uns der Industriellen. „Der Wunsch, originell und individuder Gesetzgeber die Auflage, über ell zu sein “ Tierversuche die Unschädlichkeit nachAber nicht nur das Jung-Sein, auch die szuweisen“. Spengler sieht „die Leistungsbereitschaft und Leistungs- Erwartung des Verbrauchers, weit über willigkeit stehen laut Krutzki in einem die Wirkung der Kosmetika hinausgeeindeutigen Zusammenhang: „Wer sich hen. Kosmetika unterstützen den Drang pflegt, leistet mehr“. Außerdem: „Man nach Individualität aus der grauen kann sich freier entfalten, selbst verwirk- Alltäglichkeit der zur Zeit aktuellen lichen - es scheint was dran zu sein an Situation in der DDR, des Sozialisdieser Körperpflege.“ musses“. Die Notwendigkeit der Forschung Berufschullehrer-Studenten: Wir sieht er so: „Wenn man auf Werbeplakate sind „Allround-Dilettanten“ in Kaufhäusern schaut, dann gibt es ja schon alles. Wozu brauchen wir dann Der Ausbildungsschwerpunkt der weitere Forschung? Die Wella muß sich Berufschullehrer-Studenten liegt auf der den Anforderungen aus dem Chemie. Daran üben die Studenten Verbraucherkreis stellen: Dem Wunsch, Kritik, denn „es wandern viele Studenten originell und individuell zu sein“. Und wegen dieser Anforderungen ab, und uns die Sicherheit spielt eine Rolle: „Ist das fehlt die Ausbildung in Kunst- und noch der neueste Erkenntnisstand? Denn Modebegriff“, beschreibt der angehende Umweltaspekte spielen heute eine ent- Berufsschullehrer für Friseure, Dirk scheidende Rolle“. Krutzki schließt Ruber. seine Rede mit der programmatischen Da sie keinen eigenen Fachbereich Erklärung: „In Zukunft wollen wir haben, sind sie den ErziehungsHochschullehrer noch fähiger machen, Wissenschaften zwar zugeordnet, ihre als sie ohnehin schon sind.“ Lehrinhalte bestimmt jedoch weitgehen Sein Vorredner, Professor Dr. Helmut de der zweite Fachbereich Chemie. DesBöhme der Präsident der TH Darmstadt, halb sehen sie sich sprach der Wella AG seinen Dank aus s c h l e c h t dafür, daß die Zusammenarbeit zum betreut, einen ein „wir „gelunsitzen gleichsam z w i schen d e n Stühlen“, und bezeichnen sich selbst als „Allround-Dilettanten“. g e n e s Ihre Kritik - im Dezember 1988 in einem Beispiel der Kooperation zwischen Brief an TH Präsidenten Böhme und an Hochschule und Industrie darstellt“, vor den Kultusminister geäußert -, forderte allem vor dem Hintergrund, daß die TH die Inhalte der Studienordnung ein,„daß „von ministerieller Seite aus stiefmütter- die Kenntnisse der Farbenlehre, Mode, Ästethik und Gestaltungslehre… gestallich behandelt wird. terisch umzusetzen sind“. Bislang war „Hautrötungen, Pickel und Pusteln“ für diesen Part der Ausbildung ein von Kosmetika Lehrauftrag vergeben worden, den ein Der Schweizer Gastredner, Dr. Rudolf Mitarbeiter der Wella mit Inhalt füllen Röthlisberger, tätig in der biochemi- sollte. Die Referentin für Lehr- und schen Forschung, befasst sich mit Studienangelegenheiten, Frau Elisabeth Zelltheorie und zeigt, weshalb die Sundermann, kommentiert das EngageNotwendigkeit einer Forschung aus heu- ment:„Die Wella hilft mit der tigen Lücken besteht. Die Stiftungsdozentur einen wesentlichen Unverträglichkeit der Haut mit den Bereich abdecken“. Kosmetika, die offensichtlich immer An vier Universitäten werden wieder auftritt, führt er darauf zurück, daß von den fünf verschiedenen Berufschullehrer heute in der BundesZellarten, aus denen die Haut aufgebaut republik ausgebildet gerade in Essen und ist, lediglich drei bisher erforscht sind. Hamburg mit noch mehr SchwerDie Wirksamkeit der Cremes und ihre punktlage in Sachen Chemie. In dem Unverträglichkeit, die sich in Studiengang Körperpflege, Kosmetik„Hautrötungen, Pickeln und Pusteln nie- chemie lernen zur Zeit 50 Berufschulderschlägt“, ist Gegenstand der lehrer-Studenten. Michael Grimm Forschung, womit er die Notwendigkeit Greenpeace: Verantwortlich ist Töpfer - Wo bleibt das FCKW Produktionsverbot? Letztlich verantwortlich laut Greenpeace: „Bundesumweltminister Klaus Töpfer weigert sich noch immer, die Produktion von FCKW zu verbieten“. Am 15.8.1990 hatte Töpfer bekannt gegeben, die zunehmende Ozonbelastung dadurch bekämpfen zu wollen, daß er die Verursachung durch Mal erlauben die Juristen die Eindämmung (Verordnung zur Begrenzung von halogenierten KohVeröffentlichung lenwasserstoffen) reduzieren wolle. mal verbieten sie es - die endgültige Von einem Produktionsverbot war aus Entscheidung steht noch aus. Selbstdem Bonner Ministerium bislang verständlich war den Industriellen, die nichts zu hören. Publikation Ihrer Fotos nicht genehm und sie suchten Schutz bei den Recht auf das eigene Bild oder Juristen. Während die ersten Personen der Zeitgeschichte ? Instanzen, sowohl in Hannover als Die Nennung von Namen und die auch in Frankfurt zugunsten von Greenpeace entschieden, meint die Ablichtung von Personen wird von der zweite Instanz, die dritte Zivilkammer Justiz dann von dem „Recht auf das eides Landgerichtes Frankfurt, das Bild gene Bild“ aufgehoben, wenn es sich von dem Höchster Vorstands- um Personen der Zeitgeschichte oder vorsitzenden darf nicht veröffentlicht Träger öffentlicher Ämter handelt. Die werden. Greenpeace überklebte dar- Frage, ob Industrielle Personen der aufhin die Plakate und schrieb über Zeitgeschichte sind, dürfte letztlich den Kopf von Hilger: „Zensiert: Bild von grundlegender Entscheidung für und Name des Vorstandsvorsitzenden nicht nur diesen Prozeß sein. Auf die dürfen nicht gezeigt werden“. Das Vergangenheit bezogen, ist es proFrankfurter Gericht entschied zu gun- blemlos möglich, bestimmte Großsten eines Antrages auf Einstweilige industrielle als Personen der Anordnung von Hoechst Vorstands- Zeitgeschichte zu bezeichnen. Wo vorsitzendem Hilger, mit der heute die Grenze zwischen öffentliAufforderung, binnen vier Wochen chem Interesse an der Person und dem eine Klagebegründung nachzureichen Schutz des Privatlebens verläuft, - das ist mittlerweile geschehen, und müßte von den Juristen erst einmal deam 24. Januar 1991 wird die erste finiert werden. Für die Presse - und damit auch für Verhandlung sein. solche Plakataktionen- gilt der Journalistischer Schmierfink: Grundsatz, „wenn die diesen Personen zur Last gelegte Tat im Widerspruch zu „Greenpeace von der RAF dem Bild steht, das die Öffentlichkeit unterwandert“ von ihnen hat, dann dürfen der Name Greenpeace selbst berichtet in der und das Bild genannt und gezeigt werAusgabe Nr.3 des verbandseigenen den“ (Pressekodex Richtlinie 13.3). Blattes über die weiteren rechtlichen Gemäß diesem Grundsatz dürfte die Folgen. Der Umweltschutzverein hat Plakataktion von Greenpeace im von der Zeitung „Frankfurter Neue Einklang mit der vorherrschenden Presse“ eine Gegendarstellung ver- Rechtsprechung stehen. Die Plakatlangt, weil das Blatt in einem aktion von Greenpeace stellt eine erste Kommentar geschrieben hatte, „man kämpferische Provokation in der könnte fast meinen, daß Greenpeace Öffentlichkeit dar, die bei einer positiinzwischen von der RAF unterwandert ven Entscheidung für Greenpeace ist, von diesen allerschrecklichsten künftig eine nachhaltigere öffentliche Vereinfachern“. Kontrolle über die Industrie und ihre Ganz sicher ist es ein Gebot der Zeit, Tätigkeiten nach sich ziehen wird. die Zerstörung des Ozongürtels in der Stratosphäre aufzuhalten. Und wie Wird in der Bundesrepublik Hessens Minister für Umwelt und noch FCKW hergestellt? Reaktorsicherheit, Karl-Heinz Weimar FCKW-Stopp, eine Initiative gegen (CDU), verbreiten läßt, notwendig und sinnvoll, daß die Industrie„freiwillig die industrielle Produktion und verfür umweltschonendere Produktions- wendung von FCKW´s hat ermittelt: möglichkeiten sorgt“. Er betont die Die Firma Kali Chemie produziert in Dringlichkeit: „Es muß schnellstens Bad Wimpfen und die Firma Hoechst auf internationaler Ebene gehandelt in Frankfurt. Beide zusammen 112.000 werden“. Was Greenpeace den Unter- Tonnen pro Jahr, das sollen laut nehmern ankreidet, ist daß sie nicht Enquete Kommission der Bundesfreiwillig auf die Produktion verzich- regierung 10% der weltweit produzierten, dafür sollte die Plakataktion den ten Menge sein . 59.000 Tonnen wererforderlichen moralischen Druck er- den davon in der Bundesrepublik verbraucht. (red.) zeugen. (rai.) Es findet das „Internationale Begegnungsfest“ der Stadt Darmstadt statt. Frau Hofmann, der wir diese Geschichte verdanken, verspürt gegen 16.20 Uhr das Bedürfnis, im Keller des Luisencenters die Toilette aufzusuchen. Dort angekommen, bescheidet ihr der Klo-Boss: „Ich mach zu!“ Frau Hofmann: „Ei, das geht doch nicht! Soll ich etwa auf den Luisenplatz machen?“ Der Klo-Herr: „Ich kann nur sagen: Um vier ist hier Schluß, und jetzt ist es schon nach vier. Erkundigen Sie sich bitte bei denen, die da was zu sagen haben.“ Zwei Damen kommen die Treppe herunter, die, wie der Klo-Bedienstete erkennt, etwas mit der Organisation des Begegnungsfestes zu tun haben. Frau Hofmann spricht diese an. „Ach“, wird geantwortet, „ist sowieso kaum noch jemand da.“ Wie dem auch immer sei: Frau Hofmann muß jetzt einfach mal, fragt den Klo-Chef: „Sagen Sie mal, was kostet der ganze Spaß, wenn Sie das Klo einfach bis 18.00 Uhr geöffnet lassen?“ Antwort: „30 Mark!“ „Gut“, sagt Frau Hofmann, „die geb ich Ihnen, wenn Sie mir dafür eine Quittung ausstellen.“ Eine Quittung wird ausgestellt; auf ihr sind alle Einzelheiten des Deals vermerkt; die 30 Mark wechseln den Besitzer. „Das Geld hol' ich mir Montag von der Stadt zurück“, prophezeit Frau Hofmann. Der KloVerwalter macht seinen Dienst weiter. Frau Hofmann ruft beim Ausländerbeauftragten der Stadt an, spricht mit Dr. Lemmelsen, trägt ihm ihren Fall vor. Der ist dankbar für ihre Information, verspricht, die 30 Mark binnen einer Woche an Frau Hofmann zu überweisen. „Wissen Sie“, erzählt mir Frau Hofmann, „die haben bei der Stadt einfach geschlafen. Die hatten nämlich noch nicht bemerkt, daß wegen des 'langen Donnerstags' der verkaufsoffene Samstag nur bis 16 Uhr geht. Ein Fest an einem solchen Tage kann aber mal ein bißchen länger dauern. Und daß dann die Leut vielleicht auch nach vier mal pinkeln müssen das kommt denen nicht in den Sinn!“ Randnotiz Vor der Information steht die Frage und vor dem Bericht die Antwort. Nur im Falle von Dummheit oder Unkenntnis erhält der Fragende keine Antwort. Zumindest der Fragende weiß, was seine Neugier spornt. Hat der Schweigende gerade eine (nicht selbst aufgesetzte) wohlgefeilte Rede vor auserwähltem Volk unter Beifall zu seiner schon makellos großen Ehre hinzugefügt, wie könnte er wohl seinem Ruf mehr Ehre antun, indem er die Frage des Pressemannes beantworten wolle? Nichts wohl, denn ist der Krug voll, könnte er ja wohl nur noch überlaufende Ferkelei bereiten. Klüger scheint deshalb dem Ehrenmanne das Schweigen. Schweigender: Präsident der THD, Pressemann: Der Herausgeber Tierversuche 38 . Kalenderwoche - Seite 11 Sind Sie für Tierversuche ? Unser Mitarbeiter Timo Rieg hat nach seinem Interview mit dem Tierschutzbeauftragten Ilja Weiss (Ausgabe 10) umfangreiche Recherchen aufgenommen und sich und uns mit einem Artikel überrascht, der sich intensiv mit dem Problem der Tierversuche auseinandersetzt. Sein Plädoyer für eine Ethik - vor allem als rationale Entscheidungsgrundlage ob „für oder gegen“ Tierversuche ist spannend wie ein Krimi.Wir wollen ihn unseren LeserInnen nicht vorenthalten und werden ihn wegen seiner Länge als Fortsetzungsbericht bringen. Hier und heute der erste Teil Für Kosmetik?: Nein. Aber medizinisch sind sie doch unumgänglich. Auch wenn Sie ein kräftiges „Auch da nicht“ äußern würden - spätestens in der immer zitierten Situation, Sie seien krebskrank, würden Sie eine Ausnahme machen und Ihre ganze Hoffnung in medizinische Tierexperimente legen. außen beschrieben; das ist eigentlich noch Verharmlosung genug. Denn genau darin liegt der Fehler in jeder sachlichen Diskussion um den Sinn und die Rechtfertigung von Tierversuchen: Experimente an lebenden, schmerzempfindenden Geschöpfen können nicht sachlich, nüchtern und möglichst neutral gesehen werden. Es geht doch nicht um ein Auto, das zu Schrott gefahren wird, es geht um Lebewesen, die zu Tode experimentiert werden. Wer sich in diese Diskussion einschalten will - und dazu ist jeder Mensch aufgerufen - der muß wenigstens den Versuch unternehmen, zu fassen, was eigentlich vorgeht. Die wissenschaftliche Fragestellung ist ja nur der Auslöser für das Leiden. Bevor man aber an die Begründung der Ursache als „notwendig“, „hilfreich“ oder nur „vertretbar“ geht (das Tierschutzgesetz verlangt nur, „wissenschaftlich begründet darzulegen“) muß man sich bewußt werden, was gerechtfertigt wird. Denn es geht nicht um den Versuch (niemand hat etwas gegen den Physikversuch mit dem Modellwagen in der schiefen Ebene), sondern um das Leid des Tieres, darum, daß für „Erkenntnis“ durch Tierversuche Lebewesen leiden müssen, meist sehr schmerzhaft, oft über Wochen, Monate und Jahre hinweg. Wenigstens nichts hören… Uneinige Wissenschaft Darüber läßt sich theoretisch leicht reden. Schalten wir uns doch mal ein - Direktübertragung aus der Versuchsanstalt. Während Sie diesen Artikel lesen (und zur Fortsetzung kann ich Sie nur ermuntern), schreien Abertausende von Tieren unter der Hand von weißgekittelten Wissenschaftlern, festgeschnürt in aufwendigste Apparaturen, um sich nicht zu bewegen. Viele Tausende schreien aber nicht, obwohl sie vor Schmerzen zergehen, die Augen aus ihren Höhlen hervortreten, das Blut aus Einstichen oder Einschüssen läuft, Katheter, Spritzen, feste und flüssige Testsubstanzen in ihre Körper eindringen, Messer, Scheren und Klammern den zuckenden Körper öffnen, wißbegierige Studenten dem wissenden Professor zusehen oder ihre eigene Fingerfertigkeit trainieren. Sie können nicht schreiben, brüllen, jaulen, bellen, miauen oder sich sonstwie artikulieren, weil man ihnen kurzerhand die Stimmbänder durchgetrennt hat. Wenn schon „nichts sehen“ im Tierversuch menschliche Gefühle nicht ausschalten kann, dann kann man sich zumindest mit „nichts hören“ ein wenig besser auf die wissenschaftliche Untersuchung konzentrieren. Hier werden Kaninchen die Augen mit ätzenden Substanzen zugeträufelt, dort Hunde stranguliert, im nächsten Institut Beagle-Welpen Rotlauf-Bakterien injiziert, woanders Tieren Tusche ins Gehirn gespritzt, an der Uni Frösche geköpft und die Gehirne mit Streichhölzern zerstört oder Primaten (Affen) mit Nervengiften traktiert, Rhesusaffen in irgendeinem Pharmakonzern auf heiße Herdplatten gesetzt oder Elektroden am Gehirn angelegt…. Die Wissenschaftler sind sich nicht ganz einig, welches Tier wieviel Schmerz empfinden kann, wenn es um niedere Lebewesen oder um Insekten geht. Doch kein Wissenschaftler bestreitet, daß die „gängigen“ Versuchstiere allesamt ein voll ausgeprägtes Schmerzempfinden haben, das mit unserem vergleichbar ist. Gerade diese Schmerzempfindlichkeit wird ja in vielen Versuchen genutzt. Versucht man, mit jemanden über den eingangs erwähnten Dialog hinaus über Tierversuche (verharmlosend „TV“ gekürzelt) zu reden, wird als Argument gebracht, „ich habe mich damit noch nicht so genau beschäftigt“ oder „ich bin kein Wissenschaftler, der das entscheiden könnte“. Falsch. Es gibt wohl mehrere Ansatzpunkte, über die Zulässigkeit von Tierversuchen zu streiten (und alle führen zum gleichen Ergebnis), doch der entscheidende ist die ethische Fragestellung, für die man kein Fachwissen braucht. ie fahren Auto. Fahren damit zum Sonnenbaden in den Süden. Trinken gelegentlich ein Gläschen Wein oder einen „Magenaufräumer“; Sie lassen sich, wenn Sie krank sind, ein Medikament verschreiben und beglücken Ihre oder andere Kinder mit Spielsachen; Männer wie Frauen waschen und dekorieren sich, benutzen Hygieneartikel. Nichts Besonderes - sollte man meinen: Doch Millionen Tiere kostet das jährlich qualvoll ihr Leben. Wir wollen eine gute medizinische Versorgung, für uns, unsere FreundInnen auch den anhänglichen Vierbeiner. AutofahrerInnen legen Wert auf Sicherheit im Straßenverkehr, über Gefahren des Alltags sind wir immer bestens informiert. S Sind Sie für Tierversuche? Immer noch Verharmlosung Ein Teil der Leserschaft hat sich inzwischen ausgeschaltet und liest auf der nächsten Seite weiter. Ein anderer Teil erregt sich über die plumpe Methode, mit Gefühlsduselei Stimmung gegen Wissenschaft und Forschung schaffen zu wollen. - Stimmt. Dabei kann niemand das unsagbare Leid der Tiere in Worte fassen. Ich habe nur als Beispiele Vorgänge von Es gibt kein Naturrecht Stellen wir zunächst fest: es gibt kein Naturrecht, es gibt überhaupt kein Recht. Zunächst einmal lebt alles gleichberechtigt auf dieser Erde, ohne zu wissen, warum. Alles weitere sind selbsternannte Rechte, die sich Lebewesen schaffen, und die man gemeinhin soweit akzeptiert, als sie der eigenen, unmittelbaren Lebenserhaltung dienen („fressen und gefressen werden“). Niemand wird in ethischem Pazifismus dem fleischfressenden Tier seine Beute absprechen. Die einzige Möglichkeit, die heutige Praxis der Tierversuche zu rechtfertigen, besteht dann darin, zu beweisen, daß der Mensch ohne Tierversuche als Art nicht überleben kann. Das aber wäre falsch, denn das professionelle Tierexperiment gibt es erst seit etwa 150 Jahren. „Der Mensch ist mehr wert“ Jede weitere Begründung muß davon ausgehen, daß der Mensch ethisch mehr wert ist als andere Lebewesen. Schließlich werden mehr Tierversuche durchgeführt, als mit deren Ergebnissen (sollten sie überhaupt verwertbar sein - doch dazu später) Menschen das Leben erleichtert werden könnte, zumal dies eine Forschung ohne Ende sein wird, folglich also immer mehr Tierversuche im Verhältnis zu immer weniger Anwendungsmöglichkeiten stehen werden. Das ewige Leben im Diesseits werden wir auch mit weiteren Milliarden Tierversuchen nicht erreichen. Zu dieser Erkenntnis brauchte man keine Tierversuche, das Ergebnis stammt aus Beobachtungen an einzelnen Zellen. Können wir dann Tierversuche als notwendig rechtfertigen? Machen wir mal einen Schritt aufeinander zu, um weiterzukommen: Dürfen wir Tiere quälen, um uns mit Cremes und Parfums einzureiben? (siehe auch „Forever young“) Haben wir ein Recht auf Haarshampoos, die „garantiert nicht in den Augen brennen“, weil sie zuvor unzählige Kaninchen blindgebrannt haben? Das ethische Postulat muß heißen: Nein. An den Grenzen naturwissenschaftlicher Vernunft Müssen wir vom Bundesgesundheitsamt gesagt bekommen, daß es gesundheitsschädlich ist, Spielzeug zu verschlucken, oder kann das unsere Hirnmasse noch selbst zusammenreimen? Die in Berlin können das nämlich nicht errechnen, sie lassen Hunde das Spielzeug verschlucken, beobachten die (teilweise tödlich verlaufenden) Reaktionen und zerschneiden nach einigen Monaten die bis dahin überlebenden, um Langzeitschäden zu bescheinigen. Die Versuchsanstalt wurde vor einigen Jahren für 60 Millionen DM erweitert. An dieser Stelle wird klar, wohin eine (Natur-)Wissenschaft führt, die außerhalb ihrer Erkenntnis-Ziele keine Rationalität kennt und ihre Schwerpunkte mehr auf quantitative Erfassung als auf inhaltliche Aussage legt. Das folgende ethische Postulat erfährt dadurch wissenschaftstheoretische rationalistische Begründung und wird versachlicht Dürfen wir verlangen, daß Hunde bis an ihr Lebensende eine Zigarette nach der anderen rauchen müssen, nur weil die Tabakindustrie beweisen will, daß Rauchen nicht unbedingt schädlich ist, während Kliniken das Gegenteil beweisen wollen - Nein! Mediziner-Argumente im Widerstreit Daß zumindest ein Teil der praktizierten Tierversuche überflüssig ist, denken die meisten Bürger. Doch an ein notwendiges Minimum glauben fast alle. Dabei zeigt sich immer wieder, daß die Aussagekraft von Tierversuchen berechtigt in Frage gestellt werden muß. Eine Contergan-Katastrophe wäre heute genauso wenig mit Tierversuchen zu verhindern, wie sich damals Contergan im Tierlabor als harmlos gezeigt hat. Mensch und Tier sind zwar biologisch vergleichbar (physiologisch besehen ist der Mensch auch nur eine bestimmte Tierart), auf Stoffe reagieren sie jedoch ganz anders als wir. Das leuchtet jedem Kind ein, wenn man sich überlegt, wie verschieden die Tiere sind, die in Versuchen eingesetzt werden. Sie reagieren untereinander schon völlig verschieden. Professor Dr. Klaus Gärtner von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Alle an Tieren experimentell gewonnenen Ergebnisse haben nur für die jeweilige Art Aussagekraft, und in exakter Auslegung sogar nur für das Individuum, an dem experimentiert wurde.“ Der Chemiker Alfred Schrempf sagt dazu: „Allgemein gilt, daß alle aus Tierversuchen ermittelten Werte nur Vergleichscharakter haben und nicht auf den Menschen umgerechnet werden können. Sehr oft liegen die tödlichen Dosen von Chemikalien auf den Menschen weit niedriger als bei Tieren. Umgekehrt ist die negative Reaktion im Tierversuch auch kein Beweis für die Ungefährlichkeit auf den Menschen, wie das Beispiel Arsen zeigt: obwohl Tierversuche keine Reaktion ergaben, weiß man um seine kanzerogene (krebserregende) Wirkung beim Menschen.“ Der Tierschutzbeauftragte Hessens, Ilja Weiss, hält es für äußerst fragwürdig, Tiere mit dem einzigen Tierversuche in Darmstadt Der Magistrat der Stadt Darmstadt gab in diesem Jahr auf eine Anfrage der Grünen wegen des Tier- und Artenschutzes folgende erwünschte Antworten. Frage: „In welchen Betrieben werden genehmigungspflichtige Tierversuche bzw. anzeigepflichtige Tierexperimente durchgeführt?” Antwort : R-Biopharm, Rösslerstraße 94; Firma E. Merck, Frankfurter Straße 250; Firma Steigerwald, Havelstraße 5 und Technische Hochschule Darmstadt, Schnittspahnstraße 3. Frage:„Ist daran gedacht, bei der städtischen Beschaffung von Produkten darauf zu achten, daß bei der Herstellung keine Tierexperimente vonnöten sind?” Antwort: Ja, in mündlichen bzw. fernmündlichen Anfragen bei entsprechenden Herstellern und Lieferfirmen über vorangegangene Tierexperimente bei der Herstellung von in Frage kommenden Produkten wurde dieser Tatbestand verneint. Eine schriftliche Bestätigung wurde zugesagt. Sollten sich aus den eingehenden Erklärungen andere Sachverhalte ergeben, wird die Beschaffung von Alternativprodukten angestrebt. Frage: „Sieht der Magistrat die Möglichkeit, eine/n ehrenamtlich arbeitende/n Tierschutzbeauftragte/n zu berufen? (Analog dem Landestierschutzbeauftragte/n?)” Antwort:Diese Aufgabe wird bereits vom Staatlichen Veterinäramt wahrgenommen; die Berufung einer/eines ehrenamtlich arbeitenden Tierschutzbeauftragten ist daher entbehrlich. Der Magistrat konnte nur Auskunft über die Institutionen und Firmen erteilen, die selbst noch Tierversuche durchführen. Viele Unternehmen (Beispiele: Röhm-Pharma und Wella) lassen die Versuche von Firmen ausführen, die sich genau darauf spezialisiert haben. Diese Verlagerung ergibt ein falsches Bild, denn gleich ob der Auftraggeber die Versuche in eigener Regie ausführt oder als Auftrag vergibt - letztlich bleibt es dasselbe: Der Tierversuch (nur außerhalb Darmstadts). (red.) Ziel zu züchten, sie in Tierexperimenten umkommen zu lassen. Wissenschaftler kritisieren von einer anderen Seite: Die Tiere werden durch die Zuchtbedingungen, durch Angst, Enge und artwidrige Umgebung bereits so stark beeinflußt, daß Ergebnisse oft nicht einmal mehr auf die eigene Tierart in freier Natur übertragbar sind. Künstliche Krankheiten sind nicht mit natürlich entstehenden zu vergleichen. Im Tierexperiment läßt sich ob der kurzen Lebensdauer keine Langzeitwirkung ermessen, die aber für den Menschen gerade wichtig wäre. Ebenso fehlt die Wechselwirkung zu Umwelteinflüssen aller Art, denen der Mensch täglich ausgesetzt ist. Falsche Rückschlüsse aus Versuchen Die falschen Ergebnissen fordern nicht nur sinnlos Tiertode, sie können sogar medizinische Entwicklungen hemmen. Toxikologe Prof. Dr. Ueberberg aus Biberach: „Es besteht die Möglichkeit, daß durch Tierexperimente aussichtsreiche und dringend benötigte Arzneimittel wegen übermäßiger Nebenwirkungen am Tier gar nicht erst am Menschen geprüft werden, obwohl sie sich dabei in richtiger Dosierung als harmlos, hilfreich oder gar lebensnotwendig erweisen konnten.“ Tierversuche bringen in keiner Weise die Ergebnisse, die von der Bevölkerung zumeist vermutet werden und aufgrund derer sie Experimente an Tieren für notwendig halten. Tatsächlich aber könnte mit alternativen Methoden weit mehr und (fast) ohne den Einsatz von Tieren erreicht werden. Doch die Forschung auf diesem Gebiet bewegt sich kaum, weil sich niemand dafür interessiert, allen voran staatliche Organe, der mit entsprechenden Finanzmitteln hier schnell für Fortschritte sorgen könnte. Die Wissenschaft wird schon wissen, was sie tut. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Experimente an Tieren gemacht werden, die nichts bringen. Wir können doch nicht unsere ganze fortschrittliche Wissenschaft für dumm verkaufen, oder? Warum teure Tierversuche? Ganz so einfach können wir es uns nicht machen, Angesichts des Faktums, daß jährlich weltweit etwa 300.000.000 Tiere zu Tode experimentiert werden - das entspricht den Einwohnerzahlen der USA und Ganz-Deutschlands zusammen. Für mich hat sich, auch wenn ich bis zur eventuellen Mitgliedschaft in einem Ältestenrat noch ein paar Jahre vor mir habe, eine Faustregel herausgestellt: Gibt es irgendeinen Vorgang, der auf den ersten Blick etwas unüberlegt zu sein scheint, sollte man den finanziellen Gesichtspunkt prüfen. Fast immer kommen wir dann zu des Rätsels Lösung. Ist es nicht Geld direkt, was als Ursache in Betracht kommt, dann sicherlich Macht (die sich wiederum gewinnbringend einsetzen läßt). So fragen wir uns also: Warum teure Tierversuche und keine Alternativen? Fortsetzung in Ausgabe 12 38 . Kalenderwoche - Seite 12 Selbstmord oder Fememord ? Vater: „Daß es als erstes den Gerald erwischt hat …“ Im April stand der 22 Jahre alte Gerald Hess in Darmstadt wegen eines NS-Grußes vor Gericht und wurde freigesprochen (s. Ausgabe 5). Am 26.7. entdeckte sein Vater Wolfgang Hess - ebenfalls aktiver Neo-Nazi - die Leiche des Sohnes in der Langener Wohnung. Ein Bauchschuß aus einer abgesägten Schrotflinte hatte ihn umgebracht. Die Darmstädter Staatsanwaltschaft und die Offenbacher Kripo erklärten, es handle sich eindeutig um Selbstmord. Drei Wochen zuvor sollen Abschiedsbriefe des Jungen gefunden worden sein. Der Vater behauptet, der Sohn sei ermordet worden: Rivalisierende NS-Gruppen hat er ebenso in Verdacht wie den Staatsschutz. Wir haben ihn in der Wohnung des Jungen aufgesucht, um seine Gründe zu hören. Das Interview gibt einen interessanten Einblick in die politische Denkweise eines engagierten Neo-Nazis. Wir hatten darüber hinaus den Eindruck, daß der Vater um seinen Sohn nicht trauerte. Die Untersuchungen seien sehr steckt mit Sicherheit drin. Scheißker- fen hatte Gerald Hess zu Genüge: Beoberflächlich gewesen, findet Wolf- le, Strolche, Verbrecher, die unter reits als Sechsjähriger bekam er, gegang Hess, der Vater des Toten. So- dem Deckmantel von Recht und Ge- nauso wie sein Bruder Paul, von dem wohl die Kripo Offenbach, als auch setz Verbrechen begehen.“ Was dabei Vater die erste Flinte in die Hand gedie eingeschaltete Darmstädter Spekulation und in der Folge politi- drückt:„Angefangen mit einem modiStaatsanwaltschaft sehen den Tod sche Agitation ist, bleibt jedem fizierten Kleinkalibergewehr, einzweifelsfrei als Selbstmord an. Für selbst überlassen. schüssig, was sich dann Mal zu Mal Wolfgang Hess ist das durchaus ersteigerte“. Zuerst wurde auf dem Viele Verdächtige klärlich, „weil das höchstwahrscheinSchießplatz rumgeballert, später lich von anderer Stelle so erscheinen Der Kreis der Verdächtigen ist ging´s dann „mit auf die Jagd…, weil sollte oder mußte oder gar nicht an- groß für Wolfgang Hess. Als er mit ich die Neigung erkannt habe, sie ders durfte“. Gemeint ist der Staats- seinem zweiten Sohn Paul in der möchten mit Leib und Seele Jäger schutz, der die rechtsextremistische Nacht zu Geralds Wohnung eilte, kam sein. Ich habe in ihnen das VerständSzene beobachtet. Hess: „Man tut al- in dem Moment jemand aus der Haus- nis erweckt, wie wichtig das ist, auf les, um diesen Fall der Öffentlichkeit tür. „Das war ein Ausländer - das der einen Seite Wild, auf der anderen gegenüber zu verbergen“. könnte rein theoretisch der Mörder der Mensch, der gezwungenermaßen Gerald Hess gehörte, genauso wie gewesen sein“. An der Wand der Eta- - es liegt in seiner Natur - jagen geht, sein Vater, der „Bewegung“ an, der ge, in der die Hess-Wohnung liegt, sofern er kann.“ Bezeichnung extremistischer Neo- steht - wie sollte es anders sein Vorbereitet Nazis, der unter anderem die „Natio- „Ausländer raus“. „Was natürlich ein nale Sammlung“ (NS gegründet von bißchen irreführend ist,“ schwächt „Wegen der Jagdkenntnisse und Michael Kühnen) bis zu ihrem Verbot Wolfgang Hess ab, „denn da gibt´s ja dem Wissen um die Anatomie des am 9.2.89 zugehörig war. Politisches nun gewisse Kriterien. Das soll natür- Tieres und des Menschen“, ist für und organisatorisches Zentrum der lich nicht heißen, daß auf einen Hess auch die Form, in der sein Sohn Bewegung ist in Langen, das bei den Schlag sämtliche Ausländer raus sol- den Selbstmord durchgeführt haben letzten Kommunalwahlen „erste aus- len. Das hat es selbst im 3. Reich nicht soll, undenkbar. Wenn auch die Konländerfreie Stadt“ werden sollte, so gegeben“. Sein Zorn richtet sich erst sequenz eines letzten Ausweges mit die rechtsextremistische Zielsetzung. einmal gegen die „Schein- und Wirt- seinen beiden Söhnen schon lange abIn der Wohnung des Sohnes, unter schaftsasylanten“, mit denen jedoch gesprochen ist: „Wir waren uns darüder rotweißen Hakenkreuz-Flagge alle Asylanten gemeint sind, denn po- ber klar -sollte es einmal aus irgend und dem Führerbildnis, stellt Wolf- litisch Verfolgte gibt es für ihn nicht. einem Grund notwendig sein, dann gang Hess in einem knapp dreistündikäme für uns nur eine Art von SelbstWem gehört die Waffe ? gen Gespräch seine Ansicht über den mord in Frage: Schußwaffe - ganz Tod seines Sohnes dar. Auf dem BoStrafanzeige gegen Unbekannt klar - das Ding in den Mund, abden liegen noch immer die Pla- wegen Mordverdachts hat er inzwi- drücken, Feierabend“. Sie sind darauf stikhandschuhe und blutigen Binden schen gestellt, denn für ihn steht fest: vorbereitet, daß ihre „politische Arder Sanitäter, die einen Monat zuvor „Hundert Prozent – Gerald ist ein- beit“ sie einmal so in die Ecke dränden Tod festgestellt hatten. wandfrei ermordet worden“. Wo das gen kann, daß ihnen kein anderer Gewehr herkommt, „eine doppelläu- Ausweg bleibt. „Wir sind sehr reaBedroht fige Schrotflinte, Kaliber 12-70“, mit litätsbewußte Menschen.“ „Unsere ganze Familie, und in der der geschossen wurde, kann er sich unmittelbaren Folge gewisse Leute nicht erklären. Daß die „offensichtGerald Hess ist durch einen von unserer politischen Bewegung, lich etwas leicht verkürzte Flinte“– Bauchschuß ums Leben gekommen. wurden seit längerer Zeit mehr oder gut einen Meter lang – seinem Sohn Ein „Schrotsteckschuß“, wie Hess erweniger bedroht“ . Seit dem Verbot gehört hatte, will er nicht ausschlies- klärt (“Ich bin selbst Schußwaffender „Nationalen Sammlung haben sen. Schutzbehauptung: „Doch ei- sachverständiger”), der ihm den linsich aus gewissen Richtungen, so- gentlich könne es ja nicht möglich ken Lungenflügel durchhauen hat, wohl aus der linken Szene her, sowie sein, “aufgrund unserer Organisati- was nicht sofort zum Tod geführt hataus gewissen anderen Ecken, immer onsbefehle, die besagen, daß man kei- te.Daß er schließlich nach zwei Stunmehr regelrechte Drohungen aufge- ne Waffen, Munition oder Sprengstoff den verblutet ist, sei nicht zuletzt die baut, so daß wir mehr oder weniger hortet - also nicht öffentlich zur Ge- Schuld der Sanitäter, die erst eine halmit solchen Sachen gerechnet haben. walt auffordert.“ be Stunde nach dem Notruf eingetrofDaß es als ersten den Gerald erwischt fen seien. hat, davon konnte niemand ausgehen. Es ist Hess´ Überlegung, daß GeObwohl - man muß dazusagen: Jeder rald sich mit solch einer Waffe wirGegen die Langener Stadtverwalkann morgen dran sein.“ kungsvoll gegen seinen Mörder hätte tung, die die Überführung des Leichzur Wehr setzen können. Gegen die nams zur zweiten Obduktion nach Die „gewissen anderen Ecken“ Tatsache spräche, daß die Waffe München zu verhindern versucht hat, sind vor allen Dingen auch die eige- schon vor seinem Tod im Haus war: will Wolfgang Hess noch gerichtlich nen. Interne Kämpfe gibt es zuhauf in „Wenn alle Stricke gerissen wären, vorgehen: „Wir wollen bis hin zum der Bewegung. Hess: „Wir haben jede hätte er den ersten Lauf abgefeuert, Bürgermeister Straftaten im Amt Menge Todesfälle durch äußere Ge- und wenn dann noch keine Ruhe ge- nachweisen“. Und es hört sich an wie walteinwirkung, sei es durch Absicht wesen wäre, spätestens mit dem zwei- eine Drohung, wenn er sagt: „Um zu oder in Form von Totschlag oder eben ten wäre Ruhe gewesen - und wenn da verhindern, daß jetzt hier hunderttauauch Unfall. Gerald wurde verstärkt zehn Leute vor der Tür gestanden hät- send Neo-Nazis in Langen einmarin letzter Zeit bedroht. Es erschienen ten.“ schieren und die Stadt in allen vier hier sogar Rollkomandos. Anführer Ecken einreißen, hätte die Stadt von Waffenkammer ist ein Mann, der von uns wegen partsich aus alles tun müssen, um die Saeischädigenden Verhaltens ausgeMit der leichten Bewaffnung, die che aufzudecken.“ stoßen wurde.“ „Die Polizei kenne Gerald im Flur angesammelt hatte, Mit Hess verwandt? ihn“, weiß Hess, „und der steht auch könne man nach Ansicht von Hess im Kreis der Verdächtigen an allerer- nicht viel ausrichten. „Weder der GasDer Staatsschutz hat, will Hess ster Stelle“. Tatsächlich ist bereits vor revolver, der auf der Kommode liegt, Glauben machen, schon ein weiteres Jahren ein ehemaliges Mitglied der noch die Tränengas-Sprayflasche entferntes - Mitglied seiner Familie NS-Vorgänger-Partei “Aktionsfront würden besonders abschreckend wir- auf dem Gewissen. Der HitlervertrauNationaler Sozialisten/ Nationale Ak- ken. Ganz zu schweigen von dem te und „Friedensflieger“ Rudolf Hess, tivisten” (ANS/NA) durch regelrech- Knüppelchen hier oder dieses lächer- das ist für Neo-Nazis „eindeutig bete Strafexpeditionen aufgefallen, mit liche Küchenbeilchen“ -ein Schlag- wiesen“, habe auch keinen Selbstdenen er Kameraden terrorisierte. stock und eine unterarmlange Axt, die mord begangen, sondern sei „vom beide in einem, an der Wand aufge- britischen Geheimdienst ermordet Doch auf Fememord will sich hängten vollen Patronengurt stecken. worden“. Hess (Wolfgang): „Man Wolfgang Hess nicht festlegen lassen. sagt, daß wir mit ihm etwas weitläufig Er kennt sich aus:„Das war die Arbeit Das „Knüppelchen“ nimmt Hess verwand seien“. Für eine genaue Beeines Profis“. Für ihn ist die Verant- auch gleich von der Wand und de- stimmung gibt aber wohl auch sein wortung für den Tod seines Sohnes monstriert damit, wie man sich eine Ariernachweis nicht genug her. ganz woanders zu suchen: „Wenn es Schrotflinte an den Bauch zu halten In Dachau - nach Auschwitz eine eine Verantwortung gibt, dann ist die habe, wenn man sich damit umbrin- der Hauptstationen nationalsozialistiohne Zweifel bei denjenigen Leuten gen will. Der weitere Gesprächsver- schen Völkermordes - sind nach dem zu suchen, die uns seit Jahren konse- lauf wird von ihm mit dem „Knüppel- Geschichtsbild des Wolfgang Hess quent verfolgen.“ Für Hess außer chen“ wild fuchtelnd unterstrichen. „keine Juden vergast worden“. Zweifel: „Der Verfassungsschutz Jörn Johansen Kenntnisse im Umgang mit Waf- Da liegt es nun, das Ökosäckchen , in flauschiger Umgebung (Kunstfoto Klaus Maat) Wohin mit dem Ökosäckchen? Vorschläge zur individuellen Weiterverwendung Gelegentlich tut es not, sich auch um die prosaischen Dinge des Alltags zu kümmern - also Waschtag bei Maat. Genauer: Es wird heute über eine ganze Reihe von Waschvorgängen und deren Auswertung zu berichten sein, denn ich habe ein neues Waschmittel einem erbarmungslosen Test unterzogen. Es handelt sich um "Dash 3 Ultra", einem Waschmittel , das über "Ultra-Waschkraft + Natürlicher Weichpfleger" verfügen soll, also Lenor und all die anderen Sachen sind nicht mehr nötig. Chemische Analyse Beginnen wir mit den eher trockenen Daten: Unter meinem alten Schülermikroskop waren die "Tenside" deutlich zu erkennen, vor allem die "anionischen", während die "Zeolithe" ein wenig blaß blieben. Doch diese mögen sich erst während des Waschvorgangs entfalten. Das "Bleichmittel auf Sauerstoffbasis" zeigte deutliche Wirkung: Beim Einatmen und nachfolgender Spiegel-Probe zeigte sich einwandfrei, daß das Halszäpfchen nicht mehr so gerötet, also ausgebleicht war. Die "Polykarboxylate" schwärzten auf Löschpapier geringfügig aus, während die "Phosphonate" im Lackmus-Test eine heftig leuchtende Reaktion zeitigten. Die "Enzyme" vertrug mein Hamster gut, sie hatten sogar eine appetitanregende Wirkung. Die "Schichtsilikate" lagen nicht besonders ordentlich aufeinander, was daran gelegen haben mag, daß die "Bentonit-Materialien" ein wenig durcheinandergeraten waren, da mir die Packung vor der Analyse auf den Boden gefallen war. Die "optischen Aufheller" bemerkte ich sogar ohne meine Lesebrille, die "Parfümöle" zeigten in Achselnähe eine frische, beinahe herb-männliche Duftnote, das "Soda" verstärkte den Sprudelvorgang in einem Glase Apollinaris erheblich, und auch der "Bleichaktivator" tat seine Pflicht: Ich war aschfahl, und zwar nur Minuten später, nachdem ich mein Gesicht damit eingerieben hatte. Die "Schmutzträger" hatten am Redaktionsstaub kräftig zu tragen, taten dies aber mit Bravour. Letztlich sollen auch die "Schaumregulatoren" nicht unerwähnt bleiben: Es gelang mir unzählige Male, daß das Bierglas nicht überschäumte. Die auf der Packung angegebenen Inhaltsstoffe waren allesamt vorhanden, das Fehlen von Sulfat und Phosphat fiel nicht ins Gewicht. Das Ergebnis der chemischen Analyse ist deshalb so bemerkenswert, weil es sich durch recht steinzeitliche Untersuchungsmethoden erzielen ließ. Waschvorgang Alle Programme liefen gut durch, bisweilen störte ein leichtes Klappern der Wäsche. Blau und Rot vertrugen sich gut, die Wäsche hatte nach dem Waschvorgang einen aparten einheitlichen Ton - eine Farbe übrigens, nach der ich immer schon gesucht hatte. Die Struktur der Wäsche nach dem Waschen bewegte sich irgendwo in der Mitte zwischen flauschig und beißfest, und über die feine Komposition der Düfte und Aromen, im im Waschmittel enthaltenen Weichspüler elegant austariert, könnte Patrick Süskind einen weiteren Roman schreiben Das Ökosäckchen Clou dieses Waschmittels ist zweifellos das "patentierte Ökosäckchen". In seiner postmodernen, jugendlich-dynamischen, auf Turbo gestylten Form entbehrt es auch nicht eines optischen Genusses. Das Säckchen selber besteht aus einer grobporösen Stoffkreation, eingehängt in einen runden Hartplastikrahmen, der wiederum im Innern durch einen turbinenartigen Flügel verstärkt ist. Das gibt dem Säckchen Gelegenheit, wie ein Irrwisch durch die Trommel der Waschmaschine zu flitzen und jedes Tensid, jedes Enzym und auch jedes Bentonit-Mineral an die Stelle zu bringen, an der diese Inhaltsstoffe ans Werk zu gehen haben. Entsorgungsprobleme Wo Licht ist, ist auch Schatten - leider auch hier. Der Dash-Werbefeldzug hatte zur Folge, daß drei Probierpackungen vor meiner Türe lagen, etliche erhielt ich von Nachbarinnen zum Geschenk - und nun sitze ich auf 27 Ökosäckchen. Zum Wegwerfen sind sie mir zu schade, dafür sehen sie gar zu putzig aus - also was tun? Hier einige Vorschläge zu privaten Weiternutzung - sofern man die Säckchen nicht im Müllcontainer entsorgen will. Ökosäckchen-Folgenutzung Teebeutel: Nach dem Waschvorgang sind selbstverständlich auch die Säckchen wunderbar sauber und duftend. Leicht läßt sich nun um die Plastikeinfassung herum ein stabiler Draht, der als Halter dienen soll, befestigen, so daß man ohne übergroße Umstände ein Teesieb hergestellt hat. Mein Earl-Grey-Tea erhielt bei den beiden ersten Malen einen aparten Beigeschmack - und: Das harte Darmstädter Wasser verwandelte sich in eine solche luftige Weichlichkeit, daß es eine Pracht war. Keimlinge: In einem Hobby-Markt ließ ich ein Brettchen (90x30) mit 10 Löchern (Durchmesser 7,5 cm) und vier je 6-cm-langen Füßchen versehen. Die Ökosäckchen füllte ich mit Watte auf, danach bestreut mit Erbsen, Linsen etc. und hängte sie in die Löcher. Täglich kurz begießen, und im Nu ziehen Sie köstliche Keimlinge für Ihre makrobiotische Kost. Sonstiges: Wenn man den Turbinenflügel vorsichtig entfernt (der später bei Bedarf in einen defekten Staubsauger eingearbeitet werden kann), lassen sich schöne Zipfelmützen für Vorgartenzwerge oder Teddybären unserer Kleinen anfertigen. Statt des Teesiebes läßt sich - durch die gleiche Herstellungsweise - das Säckchen auch als Klingelbeutel benutzen (vor allem für Kirchen, die Dritte Welt und unsere DDR). Versuche, das Säckchen nach Vulkanisierung der Stoffbestandteile zum Kondom umzuarbeiten, erscheinen freilich nach heutigem Stand wenig erfolgversprechend. Alles in allem: Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, und man muß dem Hersteller wirklich dankbar sein, daß er mit diesem Säckchen auch die kreativen Potentiale seiner BenutzerInnen freizulegen vermag. Viel Spaß beim Waschen und der Säckchennutzung wünscht Klaus Maat Drogen Arzt wegen Hilfe für Süchtige vor Gericht Streit um Ersatzdrogen-Therapie Um die beste Hilfe für Drogenabhängige streiten die Ärzte. Juristen erfüllen ihren gesetzlichen Auftrag, indem sie Ärzte verfolgen, die Fixern „Ersatzdrogen“ in der sogenannten „Substitutionsbehandlung“ verschreiben. Die Darmstädter Justiz hat einen bekannten Darmstädter Vertreter dieser Behandlungsmethode vor Gericht gestellt. Der Arzt möchte nicht namentlich genannt werden - er fürchtet um seinen Ruf . Der Gesetzgeber beschwört die Situation herauf: Die BRD und Norwegen sind die letzten zwei Länder, in denen diese Behandlungsmethode noch unter Strafe steht. Vor dem Darmstädter Schöffengericht ist zur Zeit ein Strafverfahren gegen einen Darmstädter Arzt anhängig, der Heroinabhängigen geholfen hat, von ihrer Sucht wegzukommen. Dem Mediziner wird von der Staatsanwaltschaft Darmstadt vorgeworfen, die Drogenabhängigen gesundheitlich geschädigt zu haben. Die Geschichte begann im Sommer 1985. Damals waren bei einer Heroinabhängigen, die zweimal in eine Polizeikontrolle geraten war, ein von dem Arzt ausgestelltes Privatrezept und Medikamente gefunden worden, die zur Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger dienen. Eine Substitutionsbehandlung besteht darin, daß ein Opiatsüchtiger Ersatzdrogen (beispielsweise Methadon) erhält, die keine euphorisierende oder bewußtseinsbeeinträchtigende Wirkung haben, dafür aber die Entzugsschmerzen des Süchtigen neutralisieren sollen. Der Süchtige ist nicht mehr darauf angewiesen, Heroin zu beschaffen, und kann gleichzeitig, weil er schmerzfrei ist, einer geregelten Arbeit nachgehen. Die „Ersatzdroge“ unter ärztlicher Aufsicht wird nach und nach abgesetzt. Einem Substitutionierten sieht man seine Sucht nicht an, er kann sich so ein neues soziales Umfeld aufbauen. Er ist von einem Nichtsüchtigen nicht zu unterscheiden und kann ein normales Leben führen. Eine Methode, die inzwischen international mit hoher Erfolgsquote zur Heilung Drogensüchtiger angewandt und unter anderem auch von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt wird. Führungsakademie, in Fernseh- und Rundfunkdiskussionen sowie bei ärztlichen Weiterbildungsseminaren über Drogenthemen referierte, unter anderem auch über die Substitutionstherapie. Rückfallquote statt Entzug Eintausend Drogentote sagt die Statistik für dieses Jahr voraus. Ob dieses Problem nicht eher durch die neue Entzugspraxis gelöst werden kann als durch staatliche Verfolgung? Die Strafverfolgungsbehörden und der Gesetzgeber gehen davon aus, daß ein Süchtiger nur dann wirklich entzieht, wenn er keinerlei Drogen, also auch keine Ersatzstoffe mehr zu sich nimmt. Diese Art der seit Jahrzehnten praktizierten Suchtbekämpfung führt allerdings nur bei einer verschwindend geringen Zahl von Drogenabhängigen zum Erfolg. Die meisten brechen eine solche Entwöhnung nach kurzer Zeit ab und werden rückfällig. sätzliche Ladung von Sachverständigen, weil „der wissenschaftliche Streit um die Ersatzdrogentherapie Heroinsüchtiger weithin einem Glaubenskrieg gleicht, und von Sachverständigen über das in bisherigen Anhörungen hinaus Gesagte nichts neues mehr zu erwarten war.“ Peter Hetzler Beschaffungskriminalität Praxis durchsucht - und das Berufsgeheimnis? Weil also die Substitutionsbehandlung in der BRD, von einigen Pilotprojekten abgesehen, keine gesetzlich erlaubte Therapieform darstellt, wurden die Praxisräume des Arztes in Darmstadt von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Einige hundert Krankenakten sichtete die Staatsanwaltschaft und verletzte so das Recht auf den Schutz durch ärztliche Schweigepflicht. Dabei stießen die Ermittler auf weitere zehn Patienten, denen der Arzt von 1983 bis 1986 Ersatzdrogen verschrieben hatte. Diese Personen, die sich vertraulich an den Arzt gewandt hatten,um von ihrer Sucht wegzukommen, wurden verhört und sind jetzt als Drogensüchtige registriert. Dem Arzt wird in der Anklageschrift vorgeworfen, zehn Drogenabhängige gesundheitlich geschädigt zu haben, weil er ihnen, angeblich ohne ausreichende medizinische Untersuchung, Drogen verschrieben habe, die zur Abhängigkeit führen. Damit habe der Arzt, so die Staatsanwaltschaft, die Sucht der Abhängigen gefördert, verlagert und eine Mehrfachabhängigkeit erzeugt. Bei dem Arzt handelt es sich um einen gefragten Spezialisten, der u.a. bereits vor der EnqueteKommission des deutschen Bundestags, dem Berliner Senat, der Polizei- betroffen, auch Heroinabhängige, die von ihm behandelt werden. Ob er verurteilt wird, ist offen. Im Juli dieses Jahres lief es ein ähnliches Verfahren vor dem Berufsgericht für Heilberufe in Schleswig. Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hatte einen Mediziner verfolgt, der ebenfalls mit der Substitutionstherapie gearbeitet hatte. In dem vorangehenden Strafverfahren war der Mediziner freigesprochen worden. Auch das Berufsgericht entlastete den Arzt. Es verwies auf die international anerkannt guten Erfahrungen mit dieser Therapieform und verzichtete auf zu- Süchtige sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Stoff aufzutreiben. Sie müssen pro Tag 200 bis 300 DM für die Droge beschaffen, im Monat also ca. 6.000 bis 10.000 DM auftreiben, je nach Grad der Abhängigkeit. Da sie keine Zeit haben, sich dieses Geld zu erarbeiten, finanzieren sie ihre Sucht entweder durch Prostitution (und geraten dabei zwangsläufig in den AIDS-Kreislauf) oder durch Diebstahl und Einbrüche, bei denen die Beschaffungsschäden oft wesentlich höher liegen als der eigentliche Ertrag. Ein Beispiel: Auto aufgebrochen, Fenster eingeschlagen, das bringt bei einem Schaden von mehreren hundert Mark gerade mal einen Fünfziger auf dem Schwarzmarkt für das erbeutete Radio. Dann beginnt der Kreislauf von Verhaftung, Strafverfahren, Gefängnis- und Psychiatrieaufenthalt. Ungefähr die Hälfte aller Gefängnisinsassen der BRD, sitzen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz oder wegen damit verbundener Beschaffungskriminalität. Bei einer Substitutions-Behandlung fällt die Beschaffungskriminalität weg, weil der Arzt die Ersatzdrogen verschreibt. Wie werden Darmstadts Juristen urteilen? Die Hauptverhandlung gegen den Darmstädter Arzt ist noch nicht terminiert, wird aber aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr stattfinden. Kommt es zu einer Verurteilung, kann ein weiteres standesrechtliches Verfahren von der Landesärztekammer Hessen eingeleitet werden. Für den Arzt könnte das schlimmstenfalls bedeuten, daß er nicht mehr praktizieren darf.Davon wäre nicht nur der Arzt In der nächsten Ausgabe: Interview mit einem ehemals Abhängigen, der es durch Substitution geschafft hat, von Drogen loszukommen. 38. Kalenderwoche - Seite 13 Drogenpolitik im Vergleich Die kleine Statistik - siehe unten zeigt den tödlichen Unterschied zwischen der deutschen und der niederländischen Drogenpolitik. Während sich in der einstigen Fixerhochburg Amsterdam das Drogenproblem stabilisiert hat (kaum Neueinsteiger bei Heroinfixern), steigt die Abhängigkeitsrate in Frankfurt-Main und im Rest der BRD stetig an. Trotz der holländischen Erfolge mit der Substitution Abhängiger ist die hessische Ärztekammer gegen eine Ausweitung der Methadonvergabe. Methadon als Ersatzdroge wird in Frankfurt nur an Süchtige abgegeben, die bereits HIV-infiziert sind. Ausgerechnet Ärzte, die mit dem Verschreiben von Medikamenten bekanntlich großzügig umgehen, weisen auf den vermeintlich ungenügenden wissenschaftlichen Kenntnisstand bei der Methadonvergabe hin. An Hand einschlägiger Untersuchungen, die bereits vorliegen, könnten sich Mediziner und interessierte Laien problemlos weiterbilden: Das Plädoyer für die Substitution bei entsprechendem Kenntnisstand fiele im Sinne eines ethischen Pathos des hippokratischen Eides aus. Holland mit seiner liberalen Drogenpolitik erzielt nachweisbar größere Erfolge, als die BRD mit ihrer repressiven Verfahrensweise. Allein die Zahlen der Drogentoten (in Frankfurt mehr als doppelt so viele als in Amsterdam) mögen dies belegen. Sicher steht vor der generellen (Fotos Petra Fleißner) Einführung einer Substitution mehr als nur der Vergleich von Erfolgsdaten, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung könnte es sein. Das Motiv der Hilfe für Drogenabhängige hebt die Diskussion aus dem christlich ethischen Bereich heraus in den einer gesellschaftlich notwendigen rationalen Neufassung moralischer Bewertung. Wenn schon der Staat nicht in der Lage ist, unsere Kinder vor dem Erwerb und damit der Verführung zu Drogen wirksam zu schützen, dann ist ein Schuld-Sühne-Denken (in Praxi die strafrechtliche Verfolgung) Beweis für die Unfähigkeit, mit dem Problem umgehen zu können. A. Schwarz Frankfurt und Amsterdam sind von der Einwohnerzahl her ähnlich groß. Die folgenden Zahlen aus dem Jahr 1989 geben einen Einblick in die Drogenproblematik der beiden Städte: Frankfurt 610.000 Einwohner ca. 5.000 Fixer 89 Drogentote 1989 7 Millionen DM für Drogenpolitik 25 AIDS-positive Fixer bekommen Methadon. Amsterdam 675.000 Einwohner ca. 5.400 Fixer 42 Drogentote 1989 (davon 25% Deutsche) 24 Millionen DM für Drogenpolitik Jeder Abhängige kann Methadon bekommen. Buchbesprechung Drogenkonsum Ersatz für Spießerwelt „Weiße Nigger“ - Ein Roman aus Norwegen über das„Ende der Welt“ Ingvar Ambjornsen ist Norweger, lebt aber seit Jahren in Hamburg. Er gehört zu der kleinen Gruppe junger Autoren, die eine Menge zu sagen haben, und darüber hinaus auch schreiben können. Sein preisgekrönter Roman „Weiße Nigger“, ein autobiographischer Bericht aus der norwegischen Drogenszene, ist ein Beispiel dafür. Die drei Hauptpersonen, Rita, Charly und Erling, wachsen in einem kleinen norwegischen Kaff am Ende der Welt auf und wissen nur eins: Das kann nicht alles sein. Ihre Eltern sind die Biederkeit in Person, der Schulleiter ein verkappter Faschist, und die Jobs, die sie schließlich ergreifen, weil ihnen nicht besseres einfällt, werden schneller abgebrochen als angefangen. Charly und Erling wollen Schriftsteller werden, Rita malt, aber bis zum „großen Duchbruch“ muß man das Leben noch ein bißchen angenehm gestalten. In dem kleinen Kaff gibt es im Prinzip nur eine Gruppe, der man sich anschließen kann, wenn man mit der Spießerwelt fertig ist: die Gruppe der Kiffer. Das alles läßt sich auch ganz gut an. Sommercamps am Stand, Drogenkonsum in lauen Nächten, ab und zu unterbrochen von den Schlägertrupps der städtischen Saubermänner. Das sorgt für Abwechslung und läßt die Ideen der großen Künstlerkarriere immer wieder im Nebel besten Nepals versinken. Aber weil es eben so geht, wenn man durch stetigen Drogenkonsum langsam den Überblick verliert: Eins kommt zum anderen - wer keinen Job hat, hat kein Geld, wer kein Geld hat, keine Wohnung, und so endet die ganze Geschichte schließlich in einem abbruchreifen Haus in Oslo, wo Drogenfreaks aller Couleur mit Prostituierten, Transvestiten, Alkoholikern und einer Horde Punks zusammen leben, gerade noch einen Schritt von der Gosse entfernt. Den Verlust von Freunden und Bekannten in Psychiatri- en, Gefängnissen und Friedhöfen realisieren die Haupterpersonen fast nur noch nebenbei im rasant ansteigenden Strudel des eigenen Überlebenskampfs. Ambjornsen bringt diese Geschichte allerdings nicht als Jammerstory. Bei allem Frust hat es schließlich auch Spaß gemacht, und so schreibt er sich lustvoll und lebendig die Ereignisse vom Leib. Es macht einfach Spaß dieses Buch zu lesen, weil die ungebremste Lebensfreude des Erzählers aus jeder Seite quillt. Peter Hetzler Ingvar Ambjornsen, „Weiße Nigger“, Nautilus/Nemo Press, 370 Seiten, gebunden, 36.- DM 38. Kalenderwoche - Seite 14 „Merckst Du was?“ Eine Polemik zu dem Tag der „geschlossenen Tür“ bei Röhm und Merck Röhm will sich nicht in die Giftküche schauen lassen, Merck ist da schon cleverer. Der Tag der „Offenen Tür“ der bundesdeutschen Chemieindustrie in Großanzeigen - in Darmstadt von Merck und Röhm - angekündigt, hätte glatt von den Werbemanagern in Sachen „Persil“ stammen können („Dash wäscht so weiß, weißer gehts nicht“). Vorbeugend schalten die Firmen auch nur dort ihre Anzeigen, wo sie sicher gehen können, daß ihnen ja nicht zu viele KritikerInnen auf die Einladung folgen: PR- für erlesenes Publikum Für Röhm ohnehin kein Problem, ihre Darmstädter Tore waren verschlossen. Wie hätten sie den BesucherInnen verständlich machen sollen, daß ihre Vorkriegsanlagen modernster und sicherster Stand der Technik seien? Das schaffen nicht einmal mehr clevere PR-Leute: Aus einem Käfer Baujahr paar´n dreißig wird auch im hellsten Rampenlicht kein Golf Baujahr 90. Für die Darmstädter „RöhmWorms“ (dorthin sollten wir fahren): Vielleicht stehen da ein paar Gölfe. Bei Merck ist das anders. Der Weltkonzern hat seine Renommeeobjekte, die er vorzeigen und damit das Bild von der sauberen Fabrik und sein Image als umweltbewußtes pflegen kann. Was den BesucherInnen nicht gezeigt worden ist: Tierversuch. Das macht keinen guten Eindruck. Was aus den Schornsteinen herauskommt und nicht riecht, braucht man den BesucherInnen ebenfalls nicht vorzustellen, und wo in der Vergangenheit die Abfälle geblieben sind, bekommt auch keiner zu hören. Aber heute ist ja alles hygienisch - besonders bei der Chip-Produktion, da darf kein einziges Staubkorn verunreinigen. Das macht Eindruck, poliert Image auf und lenkt ab. Aber die Presse schluckt brav die PR-Pillen (hoffentlich nicht auch die BesucherInnen) und macht auch nochmal PR- immerhin, die Anzeigen sind ja auch bezahlt worden. So wäscht eine Hand die andere. Was soll's denn dann? Wer von den freundlichen WerbeLeuten sein Vitamin C und seinen Essen-und-Trinken-Gutschein erhalten hat und deshalb glaubt, es mit Ehrenmännern zu tun zu haben und einer sauberen Fabrik in einer sauberen Umwelt, ist schlicht und einfach der Werbung auf den Leim gegangen. Werbesprüche - a la Tag der „Offenen Tür“ - nehmen es bekanntlich mit der Wahrheit nicht so genau. Oder glauben sie an:„Pack den Tiger in den Tank“ - „Denk´ bei Röhm nicht an Gestank“ - „Merckst Du was?“ Sanne Borghia „Ich habe eine unheimliche Wut im Bauch“ Zu einer Podiumsdiskussion hatten das Frauenselbsthilfezentrum, Wildwasser, Frauen für Frieden, die Frauenbeauftragten der Stadt und des Landkreises vier Politikerinnen eingeladen, um die Stellung der Parteien zu Frauenfragen präziser als aus Programmen oder anderen politischen Veranstaltungen zu erhalten. Tips für Frauen, welche Partei sie wählen können? Viel gebracht hat´s nicht, die Zeit war zu knapp bemessen, um auch nur annähernd die komplexen Themen anreißen zu können. Dennoch lassen die Antworten - allerdings nicht nur auf die Partei - Rückschlüsse zu. Das Mollerhaus war zu klein, um alle Interessentinnen (mehr als 200) teilhaben lassen zu können - es waren fast nur Frauen anwesend und der einzige Mann, der sich zu Wort meldete, trat gar als Patriarch nach wilhelminischer Oberschullehrer-Manier auf - mit dem warnenden Zeigefinger und dem Plädoyer für den § 218. Deutlicher hätte er die Notwendigkeit dieser und weiterer politischer Diskussionen gar nicht vor Augen führen können. „Das Patriarchat gehört zum Zeugen dazu“ meinte er die Herrlichkeit verteidigen zu müssen Analphabetentum war es nicht - immerhin ein Frauenarzt. Der Einladung gefolgt waren von der SPD Heidemarie Wieczorek-Zeul, von der FDP Anne Linke-Diefenbach, von den Grünen Daniela Wagner-Pätzhold und von der CDU Otti Geschka. Die Moderation oblag Ulrike Holler vom Hessischen Rundfunk. Die Politikerinnen antworteten auf Themenkomplexe. Wir bringen Schwerpunkte der Antworten (soweit sie verständlich waren) für unsere Leserinnen, die nicht teilnehmen konnten. Der Schreiber (ein Mann) enthält sich jeden Kommentars. Das erste der Themen: Frauenförderung: Frau Wieczorek-Zeul: „In der SPD selbst haben wir eine erfolgreiche Frauenpolitik verwirklichen können, heute sind vierzig Prozent der Stellen mit Frauen besetzt. Darüber hinaus haben wir ein Gleichstellungsgesetz entwickelt, das gesetzliche Regelungen für Bund und Länder schaffen soll. Auch in Betriebsräten der privaten Industrie sollen Frauen nach unseren Vorstellungen vertreten sein.“ Damit so etwas auch von der Industrie befolgt wird, bringt Frau Wieczorek-Zeul als Beispiel die USA, wo für Betriebe, die keine Gleichstellung verwirklichen, finanzielle Fördermittel gestrichen werden, das empfiehlt sie, auch bei uns einzuführen. Frau Wagner-Pätzhold: „Der Frauenförderplan hat in den letzten drei Jahren nicht funktioniert. Wir haben ein Gleichstellungsgesetz vorgelegt und haben in der Partei ohnehin eine paritä- tische Besetzung von fünfzig Prozent“. Sie weist ausdrücklich darauf hin, daß Frauenförderpläne - auch wenn sie in gesetzlichen Status erhoben sind- nicht gleich etwas mit Machtverteilung zu tun haben. Frau Geschka: „Der Teufel steckt im Detail“. Sie schließt sich der Meinung von Frau Wagner-Pätzhold an: „Es hat wenig gebracht bisher. Frauen sollen - so steht’s im Gesetz - bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Was ist gleiche Voraussetzung? Da steht dann später in der Beurteilung drin, man hatte doch den Eindruck, daß der Mann besser geeignet sei für den Posten.“ Auf die Frage aus dem Publikum nach einer klaren Regelung über formale Kriterien für die Qualifikation, „denn Gefühlsentscheidungen kann man nicht brauchen“; antwortet Frau Linke-Diefenbach: „Wir lehnen die Quoten ab. An den Schaltstellen sitzen noch nicht genügend Frauen, die sagen: Jetzt protegieren wir mal.“ Frau Wieczorek-Zeul: „Das AntiDiskriminierungsgesetz, eine Forderung der Grünen, enthält einen wesentlichen Punkt: Die Beweispflicht für das Nicht-Erfüllen von Quoten soll bei dem Arbeitgeber liegen und muß, um durchgesetzt zu werden, mit außerordentlich scharfen Strafen bis zu 100.000 DM belegt werden.“ Frau Geschka: „Ich kümmere mich, seit ich die Bevollmächtigte der Hessischen Landesregierung für Frauenfragen bin, auch um einzelne Bewerbungen. Ich kontrolliere die Bewerbungen um Professuren und passe da sehr genau auf.“ Frau Wagner-Pätzhold: „Gegen die Seilschaften der Männer machen wir Frauen der Landtagsfraktion jeden Mittwoch Stammtisch, um die Männer mit eigenen Waffen zu schlagen. Fraktionsübergreifend ist das nicht gelaufen, die Frauen von FDP und CDU sind eben noch Frauen.“ Das zweite Thema: Familie - Beruf Frau Linke-Diefenbach: „ Wir for- Ich arbeite bei Röhm… Gespräch mit einem Freund auf der Straße. Samstag vormittag, Einkaufzeit, zufälliges Treffen mit einem alten Freund. Wie immer ist nur wenig Zeit, jeder hat sein Programm, wird erwartet -dennoch redet man sich fest, erzählt vieles, was sonst der Öffentlichkeit vorenthalten bliebe. Hier einige Auszüge: Freund: „Ich bin ja loyal, und eigentlich dürfte ich Dir darüber nichts erzählen - aber vielleicht sollte ich es doch, denn Du hast mit den Berichten über Röhm in ein Wespennest gestochen. Als die Zeitung erschien, ging sie bei Röhm von einer Hand in die andere, alle wollten lesen. Normal kommt so was eh nicht an die Öffentlichkeit. Wenn die Besucher durchführen, zeigen sie denen nie die alten Anlagen, sondern immer nur das, was sauber und hygienisch aussieht. Wenn die Leute wüßten, was die da fertig bringen. Die Anlagen sind aus der Vorkriegszeit und - eigentlich dürfte ich's nicht sagen - aber wenn da mal was hochgeht, hebt es das Dach von der Halle. Da kann einem angst und bange werden. Die stellen Leute ein, die wissen nichts. Die stellt man grad mal an die Maschine. Womit die hantieren, wissen die doch nicht. Seit das Werk an Hüls gegangen ist, der Axel Röhm hat ja verkauft, herrschen da andere Sitten. Jetzt müssen die Kontrolleure den Kopf hinhalten mit Strichlisten, auf denen genau kontrolliert wird, wer wie oft und wann kontrolliert worden ist. Nur was soll's bei den Uralt-Anlagen? Leid tut mir ja vor allem der Kleine, der 1987 an der Maschine stand, als der Unfall war - das war nicht fair, den rauszuschmeißen. Die haben doch sowie so zu wenig Leute, und was für Leute. Seit Hüls haben die auch mit Unterrichtung angefangen - trotzdem wissen die meisten nicht, womit sie's eigentlich zu tun haben.“ ZD: „Meinst Du nicht, daß es für den Chemiehandwerker damals eher Glück war, daß er gefeuert worden ist?“ (Die Frage wird sofort richtig aufgefaßt, die Verbindung zu gesundheiltlicher Gefahr hergestellt!) Freund: „Das mit dem Krebs ja, das müßte einer mal klar schreiben und an die Öffentlichkeit bringen.“ ZD:„ Wie denn, das kommt doch meist nicht raus, weil Zusammenhänge nicht beweisbar sind? Beispielsweise die Frage danach, wieviele alte und kranke Menschen vorzeitig gestorben sind nach dem damaligen Unfall wird immer un beantwortet bleiben.“ Freund: „Da hast Du recht, aber damit muß man wohl leben. Aber trotzdem…“ dern mehr Hortplätze und die betreuende Grundschule.“ Frau Geschka: „Schule als Angebot - als Ganztagsschule, ergänzt um Horte für die Ferien halten wir für sinnvoll. Und seit wir an der Regierung sind, gibt es erstmals fünfzig Ganztagesschulen. Es werden immer mehr werden, Schritt für Schritt. Bis wir an der Regierung waren, haben ja alle in der Richtung nichts getan.“ Frau Wagner-Pätzhold: „Ich habe bei diesem Thema immer eine unheimliche Wut im Bauch. Das Kultusministerium schafft es immer wieder, die Leute auf Grund laufen zu lassen. Da muß man auch mal Nägel mit Köpfen machen, zum Beispiel beim Straßenbau abspecken.“ Die Frauenbeauftrage des Landkreises Darmstadt-Dieburg, Dagmar Morgan fordert: „Wo sind eigentlich die Männer, die Väter, die tragen doch auch Verantwortung. Die sollen mit einbezogen werden.“ Frau Wieczorek-Zeul: „Der Grund für wenig Kinderbetreuung ist, wir haben wenig getan. Es gibt da eine große Lücke zwischen öffentlichen Bekundungen und der Wirklichkeit. Kinder brauchen eben auch Platz, mehr Platz in unserem Leben. Und wir müssen uns überlegen, wie wir unsere Männer fördern können. Es muß eine Motivation für Männer geben, auch Elternurlaub zu nehmen - durch mehr Urlaub.“ Frau Geschka: „Da muß ein Bewußtseinswandel stattfinden.“ Das dritte Thema: Sexuelle Gewalt „Wie werden Sie dafür eintreten, daß Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Lesben verhindert wird? Meistens geschieht sexuelle Gewalt in der Familie. Was kann praktisch getan werden?“ Frau Wieczorek-Zeul: „Öffentliche Diskussion, Unterstützung der Frauenselbsthilfe-Gruppe durch finanzielle Mittel für mehr Frauenhäuser und mehr Personal“. Frau Wagner-Pätzhold: „ Härtere Strafen sind die eine Seite - Knäste abschaffen die andere - wir sind für humanen Strafvollzug, aber auch für den Schutz der Frauen und Kinder, das ist ein Widerspruch, der bleibt bestehen.“ Frau Linke-Diefenbach: „Hilfe statt Strafe geht nur, wenn sie früh genug einsetzt. Es gibt Männer, die sich selbst melden - das ist die absolute Ausnahme. Reichlich wenig passiert da“. Das vierte Thema: Abrüstung Alle erklären sich als Befürworterinnen der Abrüstung - mit Ausnahme von Frau Geschka:„Ich bin keine Verteidigungspolitikerin“. Das fünfte Thema: Abschaffung §218 Frau Geschka: „ Die Verfassung schreibt ausdrücklich den Schutz des ungeborenen Lebens vor, allerdings müßen die die Rechtsansprüche auf Hilfe und Beratungshilfen erweitert werden. Ich bin gegen die Fristenregelung und für die Indikationslösung , wie wir sie haben. Das Recht des werdenden Lebens steht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Frau Wagner-Pätzhold: „ Es wäre ja schön, wenn sich die Lebensschützer des Ungeborenen auch mal für das existierende Leben einsetzen würden. Ich bin für ersatzloses Streichen des §218 und gegen eine Kriminalisierung der Frauen“. Frau Wieczorek-Zeul: „Wir müssen über politische Verhältnisse eine Mehrheit im Bundestag erreichen, die den § 218 abschafft, dafür sorgt, daß er aus dem Strafrecht gestellt wird. Praktische Hilfe aber heißt der schwangeren Auszubildenden auch den Platz zu sichern und der Studentin längeres BAföG“. (red) CDUWaldkolonie oder: Wo ist Reinhard Sander? (rai.) „Die CDU stellt mit Reinhard Sander als einzige Fraktion in der Waldkolonie einen Stadtverordneten. Er ist für alle Bürger da, und er wird deren Belange vertreten. Unterstützen Sie ihn in dieser schwierigen Aufgabe.“ So hieß es vor längerer Zeit auf einem Flugblatt der CDU. Sieht man einmal davon ab, daß dieser Stadtverordnete die Bürgerinnen offensichtlich nicht vertritt, dann stimmt nach Meinung vieler WaldkolonistInnen nur der erste Satz. Denn wann und wo immer in diesem Stadtteil, in den gesamtdarmstädter Probleme ständig hineinverlagert werden, diskutiert wird - nie hat man bei solchen Gesprächen den Stadtverordneten Sander gesichtet. Die seinerzeit vorgesehene Ansiedlung von Eumetsat neben der Esoc hatte Sander aus „Gewissensgründen“ befürwortet und den Waldverlust, der entstanden wäre, in Kauf genommen. Andererseits ist ihm der Westwald ein ständiges Anliegen: Zu einer Waldsäuberungsaktion hatte er zu einem Zeitpunkt aufgerufen, zu dem der Wald aus Naturschutzgründen (Brutzeit der Vögel) entlang der Wege forstamtlich gesperrt war. Nie nahm Reinhard Sander an einer Veranstaltung der Bürgerinitiative teil - offensichtlich erscheint ihm diese als zu grün. Auch Bürgerversammlungen, zu denen früher die SPD eingeladen hatte, mied er, weil ein Schwarzer nun einmal nicht zu den Roten geht - auch wenn dies der Sache dienlich gewesen wäre. Deshalb ist die Enttäuschung (auch unter CDU-Mitgliedern und deren Sympathisanten) seit gut zwei Jahren groß denn bis dahin hatte man sich noch an den damaligen SPD-Stadtveroprdneten Friedel Gnad wenden können. Kürzlich hat Reinhard Sander auch den Platz seiner Fraktion im Umweltausschuß geräumt. Zwar sieht man das unter WaldkolonistInnen als nicht so tragisch an, weil sich Sanders Aktivitäten dort stets in Grenzen gehalten hatten, aber angesichts der auch diesen Stadtteil betreffenden Veränderungen am Hofgut Gehaborn wäre ein Stadtverordneter in diesem Ausschuß wichtig. Nachdem der SPD-Ortsverein in der Waldkolonie das Feld kampflos geräumt hat und auch CDU-Aktivitäten unter Fehlanzeige laufen (die Grünen unterhalten dort keine Ortsgruppe, was manche AnwohnerInnen sehr bedauern), muß dieser Stadtteil gegenwärtig als parteipolitisch tot gelten. Ursula Muhn von der Bürgerinitiative: „Was hier früher die Parteien gemacht haben, das muß ich jetzt alles machen“. Darmstädterisches Mißstände gib'ts gar viele und im Zeitalter des ungetrübten Glaubens an Naturwissenschaft und Technik wird alles für machbar gehalten, vorausgesetzt, daß Geld dafür ist da. Auf echt Darmstädterisch hört sich das so an: "Do hot doch so aan Beamder vom Finanzministerium mal gesacht - mer habe ihn gefracht , warum er sich die Schäde net e mol vor Ort ogucke dut - ja do hot der doch gesacht: "Nein, denn dann muß ich Ihnen ja Geld geben". Nachrichten Bundesbahnausverkauf ? Designer gesucht AfA-Darmstadt diskutiert mit Ernst Haar Amerikaner rücken ab Am 12.9. hatte die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (SPD) Ernst Haar in die HEAG-Kantine am Dornheimer Weg eingeladen, um mit ihm und – vor allem – Bundesbahnangestellten verkehrskonzeptionelle Probleme, hauptsächlich im Bereich der Bundesbahn, zu diskutieren. Zugegen waren auch der Landtagsabgeordnete Karl Hermann Ritter (SPD) und der Direktkandidat für den Landtagswahlkreis 51 (DarmstadtDieburg 1), Harald Polster. Ernst Haar, Schwabe, Sozialdemokrat alter Prägung, ist Mitglied des Deutschen Bundestages, war fast zehn Jahre lang Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GED), ist bahnpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, war Staatssekretär im Verkehrsund Postministerium in der Ära Schmidt und ist auch Mitglied des Regierungsausschusses Verkehr. Haar ist 65 und er scheidet mit Ablauf der jetzigen Legislaturperiode aus dem Hohen Hause aus, nicht weil er es altersmäßig oder gesundheitlich nicht mehr könnte, sondern weil er sich einreihen möchte in die Schar all der anderen, die eben auch mit 65 in Pension gehen. Ein älterer Herr dieses Schlages, immer im Zentrum oder in Riechweite irgendwelcher Macht, hat an der Wendemarke zum Altenteil manches zu erzählen: Vor allem Politisch-Anekdotisches: - das macht ihn menschlich - allzumenschlich. Gelegentlich kam er auch auf sein eigentliches Thema: Bundesbahnausverkauf. Heftig war seine Kritik am letzten DB-Manager Gohlke, und die Frage aus dem Publikum, welche Hauffsche Menschenkenntnis (damals war Hauff, der Frankfurter OB, Verkehrsminister) Gohlke berufen ließ, beant- Keine illegale Deponie Vieth gewinnt Prozeß wegen Betreibens einer illegalen Deponie Die Mieter, die das Haus Alicenstrasse 2 mal bewohnten, sind zum Teil mit unsauberen und kriminellen Methoden entmietet worden – das war vor mehr als einem halben Jahrzehnt. Seitdem steht das Haus Alicenstraße 2 leer und gammelt still vor sich hin. Theodor Vieth, dem der Schuppen gehört – Wohnhaus kann man dazu nicht mehr sagen –, will es seinem ursprünglichen Verwendungszweck nicht wieder zu führen. Statt dessen lagert ein Haufen Müll auf dem Grundstück und im Keller - so die Staatsanwaltschaft. Sie hatte Vieth gerichtlich dazu veranlassen wollen, seine private Kippe zu beseitigen, wegen „Betreibens einer nicht genehmigten Abfallbeseitigungsanlage“. Allerdings gerieten die Juristen in Beweisnot: Wo die Grenze zwischen beispielsweise Alt-Eisen und Schrott verläuft ist nicht nachweisbar, solange der Eigentümer eine geplante Wiederverwendung zumindest behaupten kann. Am 20. August wurde das Verfahren vom Darmstädter Amtsgericht eingestellt. Vor Ort konnte Vieth das Gericht davon überzeugen,daß er für den ganzen Sperrmüll noch Verwendung habe und Nichtverwertbares ordnungsgemäß beseitige. Also kein unerlaubtes Betreiben. Jedem steht es frei, aus seinem Grundstück eine Mülldeponie zu machen, solange sie nicht gegen das Abfallbeseitigungsgesetz verstößt. Daß dieses Grundstück zu einem Wohnhaus gehört, das selbst zu einem Müllhaufen geworden ist, erregt zwar öffentliches Ärgernis und kann, in Anbetracht der katastrophalen Wohnungsnot, gelinde formuliert als Asozialität bezeichnet werden, zu juristischen Schritten hat es aber nicht geführt. Vieth schwebt städtebauliche Größe vor: Ein Parkhaus mit modernem Gebäudekomplex soll auf dem Grundstück errichtet werden. Die Pläne für sein Monument lägen noch immer beim Bauamt und warteten auf ihre Bearbeitung. Dort liegen sie gut, denn von der Stadt sind sie längst abschlägig beschieden. wortete Haar so: „Hauff war damals wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IBM, Gohlke auch“. Haar sieht die Bahn „offensichtlich in einer Krise“, aber in einer solchen stecke der Verkehr generell. 900 000 Stunden Stau gebe es in der BRD pro Jahr, was volkswirtschaftlich und umweltpolitisch ein absolutes Unding sei. 30 Millionen PKW-Fahrer bewegten sich jährlich über unsere Straßen - da müssen neue Konzepte her: "Eine umweltbedenkende Verkehrspolitik, die nicht unbedingt eine nur schienenfreundliche sein muß, muß sich begründen!" Publikumsfragen bezogen sich auf das schlechte Image der DB (das sie sich redlich verdient habe), den Kundendienst, die Fahrplangestaltung, den öffentlichen Personennahverkehr. Ernst Haar dazu: Für den Bereich "Personen- und Geschäftsverkehr" habe die DB ihr Image verbessert, vor allem in der Sparte "1. Klasse". Hier müsse auch für die "2.Klasse" noch Erhebliches an Serviceleistungen draufgesattelt werden. Auch das Lohngruppenverhältnis sei gründlich zu überdenken: So gehe es nicht an, daß ein Lokführer (mittlerer Dienst), der ungeheure Verantwortung für seinen Zug und dessen Insassen trage, so mäßig entlohnt werde. Erhebliche Probleme werde es auch zunächst durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten geben. Bereits vor der Veranstaltung hatte sich Ernst Haar mit den besonderen Problemen der Eisenbahner vor Ort bekannt gemacht. Wie in Kassel, so wäre auch im Ausbesserungswerk Darmstadt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen durch Privatisierungspläne der DB gefährdet gewesen. Dieses Damoklesschwert hängt immer noch über diesen Beschäftigten,aber angesichts der bevorstehenden Wahlen sind diese Privatisierungsmaßnahmen zunächst zurückgestellt worden. Später - Ernst Haar war bereits wieder auf dem Weg nach Bonn - versicherten Harald Polster, Karl Hermann Ritter und Ulrich Wißmann (Darmstädter AfA-Vorsitzender) die „Bundesbähnler“ ihrer umfassenden Solidarität, vor allem jene vom Ausbesserungswerk, die nach den Wahlen von der Reduzierung betroffen sein werden. Weitere Veranstaltungen zu dieser Problematik sollen folgen, an denen sich auch die HEAG beteiligen will. Ingulf Radtke Mahnwachen für Kinder Die Erwartungen an den UNOWeltgipfel für Kinder am 29. und 30. September in New York, sind hoch: Das Wohl der Kinder soll in jedem Land politische, wirtschaftliche und soziale Priorität erhalten. Weltweit sterben täglich 40 000 Kinder im Alter bis zu fünf Jahren an Hunger oder Krieg, Unfällen oder Krankheiten. Ein Bewußtsein dafür zu fördern und auf den politischen Willen einzuwirken, ist das Ziel einer weltweiten Aktion, die dem UNO-Gipfel vorausgeht. In über 70 Ländern rund um den Erdball werden am Sonntag, dem 23. September, Mahnwachen beginnen. Daran beteiligt sich auch Darmstadt. Unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Günther Metzger nehmen 14 Darmstädter Organisationen und Verbände daran teil. Die Aktion auf dem Marktplatz beginnt um 18 Uhr. Neben der Kindergruppe Children´s International Summer Villages (CISV), die „Kinderrechte” spielen und dem Kinderchor der Kindermusikschule Hoppla-Di-Hopp werden Eike Ebert (SPD), Dr. Dierk Molter (FDP), Michael Will (Die Grünen) und Gerhard O. Pfeffermann (CDU) Stellung beziehen, außerdem die Kinderbuchautorin Ursula Fuchs. (red.) (rai.) Zwischen 1991 und 1998 wird die Ernst-Ludwig-Kaserne an der Eschollbrücker Straße frei. Umzüge bei solchen Entfernungen dauern halt lange. Unsere amerikanischen Freunde richten sich bereits jetzt auf ihre neue englischsprachige Umgebung „back in the States“ ein und versuchen in einem sog. „codeswitching-program“ die sprachliche Re-Integration in ihre alte Heimat. Im Amt für Propaganda und Technologiegewerbeentwicklung bei der Stadt Darmstadt ist eine „Untere Abschiedsbehörde“ installiert worden, die sich ausschließlich um die Produktion von Schnupf- und Winktüchern kümmern soll. Ein Stab von Designern ist dieser Unterbehörde zugeornet: Er soll bis Weihnachten Stars-and-Stripes-Motive, die sich angenehm mit dem Darmstädter Stadtwappen verbinden, ersinnen. Wie wir kurz vor Redaktionsschluß von unserem Korrespondenten im Pentagon erfahren haben, soll von 1999 an und dann weiter durchs dritte Jahrtausend der Umzug gehen. Nach ersten Hochrechnungen könnte der völlige Abzug unserer amerikanischen Freunde bis zum Jahre 2432 grundsätzlich abgeschlossen sein. Auszüge aus einem Dossier von General Gerald H. Putman mit vertraulichem Kartenmaterial an OB Metzger veröffentlichte das DE - danach soll ein weiterer Part des Umzuges - mit 650 Soldaten - aus den Kelley-Barracks ab 1.Mai 1991 vonstatten gehen. Im Interesse unseres OB, der eine Chance sieht, die Heimstättensiedlung zu erweitern - bitten wir Wohnungssuchende und Spekulanten, noch nicht an die Stadt heranzutreten - sie will das Gelände erst als Geschenk vom Bund erwerben. (mig) Architekten treten an die Öffentlichkeit (mig.) Für mehr Öffentlichkeit der geplanten Bauvorhaben in der Stadt will der Bund Deutscher Architekten (BDA) sorgen und hat deshalb erst einmal Vorgespräche mit der Presse geführt. Ab Frühjahr 1991 soll ein „Forum Stadtentwicklung“ den Darmstädtern mehr Einsicht in die Planung und eine detailliertere Vorstellung von Bauvorhaben ermöglichen. Über Diskussionen, Stadtrundgänge und Ausstellungen möchten die Architekten mehr Einblick in Stadtentwicklung geben. Das Ideal Schweizer Verhältnisse, wo Bauherren verpflichtet sind, die Gebäude erst einmal als Vormodell zu errichten, damit ein Eindruck von dem gewonnen werden kann, was später im Stadtbild prägend ist, gibt einen Eindruck von den Vorstellungen der Architekten. Auch wenn bei uns wegen fehlender gesetzlicher Bestimmungen die Planungsvorhaben nicht so nahe gebracht werden können. Die Kritik beispielsweise an der „Investorenplanung“ - so bezeichnen die Architekten Bauvorhaben, die ohne Öffentlichkeit nach ausschließlich ökonomischen Gesichtspunkten errichtet werden - bildet dabei den Hintergrund. Beispiele dafür gibt es in Darmstadt genug. „Stadtkultur und Lebensqualität in Darmstadt“ ist der Titel einer ersten Veranstaltung im Februar kommenden Jahres und „Perspektiven der Stadtentwicklung“ der zweiten, in einer dritten Veranstaltung sollen die Ergebnisse diskutiert werden. Schmalfuss on the road Der Pianist Peter Schmalfuss, Darmstadt, war im Augut in Südamerika auf Tournée und gab 12 Konzerte und einen Meisterkurs in Brasilien.. (Konzerte mit Orchester, Solo- und Kammerkonzerte), u.u. in Sao Paulo, Curitiba, Brasilia und Porto Alegre. 38 . Kalenderwoche - Seite 15 In eigener Sache Wo kann Frau/Mann die Zeitung für Darmstadt kaufen ? Zeitung machen ist eine Sache - die andere ist, sie auch an Frau/Mann zu bringen. Damit die Zeitung für Darmstadt immer und überall erhältlich ist, haben wir einen Vertrieb beauftragt, der sie an 278 Kioske , Lebensmittelläden kurz an alle Zeitschriftenverkaufsstellen in und um Darmstadt verteilt. Aber an den wichtigsten Stellen gibt es sie nicht: Luisenplatz, Hauptbahnhof und Buchhandlungen. Wir haben alle Buchhändler angeschrieben und sie gebeten, unsere Zeitung mit in ihr Verkaufsprogramm aufzunehmen und hoffen, daß damit dieser Mißstand zum Teil zumindest beendet sein wird. Abstellen aber lassen sich die Vertriebsprobleme nicht, denn zum Teil schicken die Verkaufsstellen die angelieferte Zeitung einfach wieder zurück. Sie wird nicht ausgelegt und zum Teil auch gar nicht zum Verkauf angeboten: Wen wundert´s, wenn die „Nationalzeitung“ an der Stelle liegt, wo eigentlich die ZD angeboten werden müßte. Der Verkauf der ZD bringt nichts, sondern kostet Aber selbst wenn, dann hilft das unseren Lesern nur, leichter an die Zeitung zu kommen - die ZD legt bei dem Verkauf an Kiosken noch drauf: Die Vertriebsgesellschaft kassiert die Hälfte des Verkaufpreises - übrig bleibt für uns nichts mehr. Deshalb bitten wir alle interessierten Leser, die Zeitung zu abonnieren. Das hat nicht nur vertriebliche Gründe, auch inhaltliche: Wir berichten kontinuierlich weiter über das, was wir einmal im Blatt hatten. Wer dann nur mal sporadisch eine Zeitung liest, verliert den Überblick. „Die Zeitung für Darmstadt ist ja viel zu teuer“ Zum Preis: Wir hatten mehrere Anfragen wegen des Abonnement-Preises, der jetzt über dem Einzelverkaufspreis liegt. Das ist im Moment richtig - ändert sich aber wieder, wenn wir ökonomisch Land in Sicht haben. Statt zwei Ausgaben im Monat zu erstellen, versuchen wir Abonnements und Anzeigen zu werben, damit eine Existenz auf längere Sicht Chancen bekommt. Vom Inhalt her sind die nächsten Ausgaben deshalb umfangreicher und nur, wenn etwas wirklich Sensationelles passiert, werden wir - nur an unsere Abonnenten - Sonderausgaben liefern. Warum das Gerede von der Kokurrenz Unsinn ist. Die Zeitung für Darmstadt, das muß einmal klar und präzise gesagt werden, ist keine Konkurrenz für das Darmstädter Echo. Erstens wollen wir das gar nicht, denn die ZD ist keine Heimat-Zeitung, die über alles und jedes nur deshalb berichtet, damit die Darmstädter sich selbst mal irgendwann im Blatt lesen oder gar sehen können. Zweitens können wir das gar nicht, da eine (hoffentlich mal) Wochenzeitung im Überblick berichtet und nicht jede (ausgewählte) Presseverlautbarung mal mehr oder weniger offen im Wortlaut abdruckt. Drittens erweitern wir den Blick für die Wirklichkeit in Darmstadt, und das kann nur eine zweite Zeitung leisten. Für ein Darmstädter Echo stellen wir ebenfalls keine Konkurrenz dar: die spielt sich nicht in der Berichterstattung ab, sondern im Anzeigengeschäft. Und da meinen wir: Für ein Blatt das überwiegend aus Anzeigen besteht, sind wir nicht ernst zu nehmen als ökonomische Konkurrenten. „Man hat Sie eingeordnet“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Rüdiger Moog. Gegenfrage: „Wie eingeordnet?“. Antwort: „Zu den Grünen natürlich“. Was er und die meisten nicht sehen: Zeitung lebt auch und vor allem von den Informationen, die sie bekommt. Die meisten Informationen bekommt die „Zeitung für Darmstadt“ von den Grünen, die sich sehr bemühen, nicht nur Pressemitteilungen, sondern auch Veranstaltungstermine durchzugeben. Danach kommt die CDU, die bislang nur die Pressemitteilungen schickt, aber keine Termine. Die FDP reagiert entweder gar nicht oder nur sporadisch mit Teilmeldungen. Und die SPD gibt gar keine Termine durch und selektiert die Nachrichten: Alles Wichtige kriegt das„Echo“, und ab und zu – wenn es nicht so wichtig ist – kriegt auch die ZD etwas. Alle denken: „Die müssen doch irgendwo stehen“ – parteipolitisch gemeint. Daß es auch einen Journalismus gibt, der sich nicht in die Schubladen eines bestimmten orientierten Denkens stecken läßt, sondern unabhängig und nur der Sache verpflichtet ist, müssen wohl noch viele Leute lernen. Nochmal: Wir werden von keiner Partei bezahlt, unterstützt oder sonst was – wir sind eben unabhängig. Die Probleme der Geschäftswelt: Vier Irrtümer Was läuft wohl eher weg, die Kunden oder die Lebensqualität ? Bei dem Versuch unseres Anzeigenberaters, Anzeigen zu werben, hört er außer Standard-Ausreden - immer häufiger, „wenn wir darin annoncieren, laufen uns unsere Kunden wohl möglich weg“, oder „das liest ja doch keiner“. Erster Irrtum: Die Möglichkeit für preiswerte Anzeigen und eine im Sinne der Marktwirtschaft gesunde Konkurrenz läuft den Geschäftsleuten davon, nicht ihre Kunden. Richtig: Wer sein Geschäft auf lange Sicht plant und nicht nur im Heute lebt, müßte schon jetzt anfangen an die Zukunft (des preiswerten Werbens) zu denken. Zweiter Irrtum: Je weniger Anzeigen in einer Zeitung stehen, desto eher werden sie gelesen und je eher Anzeigen gelesen werden, desto wirksamer sind sie - von wegen die Kunden laufen weg - eher hin. Dritter Irrtum: Die Zeitung für Darmstadt wird gelesen. Die Hochschulbibliothek hat noch keine Zeitung archiviert, die so oft nachgefragt und gelesen wird. Der Inhalt der jeweiligen Zeitungsausgabe ist den meisten bekannt, auch über Darmstadt hinaus. Vierter und letzter Fehlschluß: Auch Geschäftsleute leben in Darmstadt und müßten an einer Erhaltung der Wohnqualität Ihrer Stadt und Umwelt mindestens genauso interessiert sein, wie an dem Fortbestand Ihrer Geschäftstätigkeit. Die Ökonomie – oder die Mark in der Tasche – ist eben nur ein Teil des Lebens. Der Herausgeber Kulturelles 38 . Kalenderwoche - Seite16 Vom Glück des Kunstsammlers Expressionistische Kunst in Frankfurt Hubert Bischof singt den Fallstaff im Darmstädter Staatstheater. (Foto Aumüller) Kunstsammlungen können Geschichte erzählen, ihre Veränderungen sind oft durch den „Zeitgeist“ einer Epoche geprägt. Private Sammlungen sind meist nur ihren Eigentümern bekannt, ihre Veröffentlichung läßt sie dann um so sensationeller erscheinen. Beide Aspekte lassen die Sammlung des Frankfurter Ehepaares Ludwig und Rosy Fischer zu einem interessanten Kapitel Kulturgeschichte werden, das derzeit in einer Ausstellung des Frankfurter Jüdischen Museums erarbeitet wird. Die Umstände der Entstehung erscheinen dabei ebenso zeittypisch, wie mit dem persönlichen Schicksal der Sammler verbunden. Beide stammten aus dem bürgerlich jüdischen Milieu, kannten dessen Wechsel von Traditionalismus und Weltaufgeschlossenheit, erlebten aber auch ihre Isolation als Randgruppe. Kurz nach der Jahrhundertwende fanden sie in der Kunst des Expressionismus eine Richtung, die ihrem Lebensgefühl entsprach. Ihre Gemälde kauften sie größtenteils bei dem jüdischen Frankfurter Kunsthändler Schames, dessen Engagement für avantgardistische Kunst vergleichbar ist. Nach dem Tod ihres Mannes richtete Rosy Fischer selbst eine Galerie in ihrer Wohnung ein, um trotz der Wirtschaftskrise weiter sammeln zu können - zu einer Zeit, als Galeristin noch ein seltener Beruf war. Einen Block von 24 Werken der über 500 Exponate zählenden Sammlung konnte sie an das Museum in Halle verkaufen, wodurch der Name Fischer erste Bekanntheit erlangte, zwei Jahre später starb sie. Für das Provinzmuseum war der Kauf spektakulär, die Expressionisten waren erst teilweise anerkannt. Bald schon 1937, bei der „kulturellen Säuberung“ Deutschlands durch die Nazis, wurden die Bilder aus Halle beschlagnahmt und in der Schau „Entartete Kunst“ gezeigt als abschreckendes Beispiel der durch Juden „verdorbenen“ Kunst. Einige der Werke sind heute verschollen, andere wurden zu Spottpreisen ins Ausland verkauft. Von dem Erbe der Sammlung verkaufte einen Teil der Sohn Max, dessen Bruder Ernst nahm den Rest 1934 bei seiner Emigration mit in die USA. Dieser Block blieb dort auch nach seinem Tod erhalten und bildet den Kern der Ausstellung, die Gemälde und Graphik allerersten Ranges vereint. Das Werk von E.L.Kirchner stellt dabei einen Schwerpunkt dar. Heckel, Pechstein, Mueller und Nolde schließen den Kreis der Expressionisten der Künstlergruppe „Die Brücke“, der durch Werke von Marc, Macke, Beckmann, Klee und anderen ergänzt wird. Die Ausstellung schreibt somit Kunst-Geschichte, regt an zum Nachdenken über das wechselhafte Schicksal von Privatpersonen, von Frankfurt, von Deutschland und hebt sich wohltuend von bloßer Kunstpräsentation ab. Der Besuch verbindet so das angenehme Lernen mit dem nützlichen Kunstbetrachten und darf sehr empfohlen werden. Die Ausstellung „Expressionismus und Exil“ ist bis zum 28.10.1990 zu sehen im Jüdischen Museum Frankfurt, Untermainkai 14/15, Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Der Katalog stellt die Geschichte der Sammlung aufschlußreich und fundiert dar und kostet im Museum 48 DM. Gerhard Kölsch Pflasterstrand zu Tode gestylt Das Ende einer Stadtillustrierten (rai.) Bald 15 Jahre ist es her, daß Daniel Cohn-Bendit und einige andere damals junge Leute mit ihrer Idee von einer „Gegenöffentlichkeit“ so lange schwanger gingen, bis sie den „Pflasterstrand“ gebaren, der sich im Laufe der Jahre zu einem ansehnlichen, lesenswerten und kritischen Magazin mauserte. Temperamentvoll - zu seiner Hoch-Zeit - und mit einem sattelfest gewordenen Journalismus bot es dem uniformen, uninspirierten Tagespressen-Medienzirkus Paroli, und vielen LeserInnen war das Blatt zur Herzensangelegenheit geworden. Damit ist nun Schluß. Den Pflasterstrand wird es so nicht mehr geben - warum? Als Grund für seine Einstellung nannte Cohn-Bendit die Höhe der monatlichen Investitionen für den Verleger Matthias Kierzek, der auch Eigner der Fuldaer Verlagsanstalt und Teilhaber am Eichborn-Verlag ist. Er habe zum Schluß bald dreistellige Tausenderbeträge zubuttern müssen, obwohl - laut Cohn-Bendit die Auflage um die Hälfte und der Anzeigenerlös um das Dreifache habe gesteigert werden können. Aber dies hatten die Produktionskosten des optisch opulent aufgemachten Postmoderne-Blattes, das den kritischen Biß so gut wie aufgegeben hatte, mit jeder neuen Ausgabe bereits wieder verschlungen. Nach dem Stil des „New York Magazine“ hatte Chefredakteur Matthias vor wenigen Monaten das Magazin aufmotzen wollen - und es damit gesprengt. Die Großverlage Burda und Bauer winkten ab, als sie um Patenschaft gebeten wurden - sie wittern das große Billiggeschäft in der (Noch-)DDR. Nun hat sich ehemalige Vor-Ort-Konkurrenz, die Macher von „Auftritt“ nämlich - des gestrandeten Hochglanz-Blattes angenommen und sich grundsätzlich auf eine Kooperation ab November 1990 geeinigt. Es ist bis heute nicht deutlich, ob die „Presseverlagsgesellschaft für Zeitungen und neue Medien“, die den „Auftritt“ herausgibt, in der Lage ist, das nötige Kapital für den Kauf des „Pflasterstrandes“ aufzubringen - so jedenfalls deren Verleger Eichhorn und Krauß:“das ist genau das Problem.“ Vom Politkartoon zu gähnender Langeweile Gerhard Seyfried wurde 1948 in München geboren und lebt seit 1977 in Berlin-Kreuzberg. Bekannt wurde er durch seine unvergleichlichen Polit-Cartoons, die anfangs in der Münchner Stadtzeitung "Blatt" erschienen, jedoch auch von anderen Stadtzeitungen rasch als Raubdruck übernommen wurden. In seinen Cartoons, die politische Ereignisse der damaligen Zeit, wie Hausbesetzungen, Anti-AKWProteste und Knüppeleinsätze der Polizei karikierten, wimmelt es nur so von dumpfköpfigen Ordnungshütern, die verzweifelt versuchen, im Chaos der linken und alternativen Scene Ruhe und Ordnung herzustellen. Mit seiner grenzenlosen Respektlosigkeit führte er nicht nur hirnloses Obrigkeitsdenken durch gelungenen Sprachwitz ad absurdum - sein Spott machte auch vor der linken Scene nicht halt, die sich in ihren endlosen Theoriedebatten nie über einen gemeinsamen Weg einigen konnte. Seyfrieds frühere Arbeiten, die in den beiden, vom Rotbuchverlag herausgegebenen Bänden , „Wo soll das alles enden? - Kleiner Leitfaden durch die Geschichte der APO“ und „Invasion aus dem Alltag“, zusammengefaßt sind, gehören zu seinen besten Comics. Sein 1986 erschienenes Album „Das schwarze Imperium“ war dagegen inhaltlich und zeichnerisch gähnend langweilig. Seyfried hatte einfach nichts mehr zu sagen. In diesem Jahr versuchte er sein Comeback mit dem Band "Flucht aus Berlin". Dieses Album kann man als Mischung aus seinen früheren Arbeiten und dem "Schwarzen Imperium" bezeichnen. Auf etwa 20 Seiten arbeitet Seyfried wieder mit gelungenen Wortspielen und witzigen Figuren, die den Wiedervereinigungstaumel in Berlin ätzend karikieren. Die restlichen 40 Seiten sind ähnlich hirnlos und langweilig wie die Traumsequenzen im "Schwarzen Imperium". Das ist um so bedauernswerter, als er mit den 20 guten Seiten wieder einmal bewiesen hat, daß er immernoch einer der stärksten Millieuzeichner der Bundesrepuplik ist. Gerhard Seyfried wurde auf dem diesjährigen internationalen Comicsalon in Erlangen mit dem deutschen Comic-Oskar, dem Max-und-Moritz-Preis, als bester deutscher Zeichner für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Während der Buchmesse wird er am 6. Oktober einen Abstecher nach Darmstadt machen, wo er in der Darmstädter Comic-Buchhandlung Gebicke (am Gericht) seine Alben signiert. Peter Hetzler
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