An dieser Stelle starb Attila, 4 Jahre alt

satirisch
justizhörig
experimentell
wahrheitenliebend
frei-volksherrschaftlich
Mit Gutschein für Kleinanzeigen
Ausgabe Nr. 11
38. Kalenderwoche 1990
offen
bissig
kritisch
unabhängig
überparteilich
Einzelverkaufspreis 2,20 DM
„An dieser Stelle
starb Attila, 4 Jahre alt“
… war auf einem Plakat zu lesen, das bei einer Demonstration an der
Unfallstelle am Freitag, dem 14. 9.1990 um 17.00 Uhr auf die Straße gelegt worden ist. In den Nachstunden wurde der Text auf den FußgängerÜberweg mit großen Lettern, für Autofahrer unübersehbar, aufgemalt.
Sie lesen
Fina-Parkhaus soll bleiben
Fina-Parkhaus soll bleiben
„Ein vierjähriger Junge ist Donnerstagvormittag am Kopernikusplatz
tödlich verunglückt. Als er und sein
fünf Jahre älterer Cousin die Kranichsteiner Straße auf einem BMX-Rad
überqueren wollten, wurden sie von einem abbiegenden Lastwagen erfaßt.
Der Cousin erlitt leichte Verletzungen.
Die beiden Kinder fuhren gegen 10.50
Uhr in der Heinheimer Straße auf dem
rechten Bürgersteig in nördlicher
Richtung. Der ältere lenkte, der jüngere saß auf der Längsstange. Als sie am
Kopernikusplatz die Straße überqueren wollten, bog ein zuvor parallel fahrender LKW nach rechts ab. Dessen
Fahrer hatte die Kinder offenbar übersehen. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatten beide Verkehrsteilnehmer Grün.
An der Ampelanlage warnt ein gelbes
Blinklicht
Rechtsabbieger
vor
Fußgängern und Radfahrern, die geraSeite 2 deaus wollen“, steht im Polizeibericht
an die Presse. Weitere Informationen
Seite 2 waren nicht zu bekommen.
Fina-Parkhaus soll bleiben
Seite 2
Defekte Ampel wird nach
Unfall repariert
Die Rechtsabbieger-Warnampel,
auf der ein Fußgänger vor gelbem
Blinklicht den Autofahrern „Vorsicht“
signalisieren soll, war am Freitag
sichtbar nicht in Betrieb, abgesehen
davon, daß dieses Blinklicht so unglücklich angebracht ist, daß es weder
aus dem Sehwinkel der Autofahrer
problemlos erfaßt werden kann, noch
überhaupt ins Auge fällt. Laut Aussagen von Anliegern soll das Warnlicht
schon seit längerer Zeit nicht funktioniert haben. Am Freitagabend um
18.50 Uhr kam eine Firma, reparierte
die Ampel und richtete sie erstmals
aus.
Einem Gerücht treten wir hier entgegen: Die Kinder waren nicht auf
dem Heimweg vom Kindergarten der
Martinsgemeinde. Die Leiterin erklärte: „der Kleine ist an dem Tag nicht im
Hort angekommen“.
Drei Anlieger
halten Mahnwache
Aus seinem Bettgestell hat der
zwanzigjährige Thomas Böhm ein
Kreuz zusammengenagelt und mit
zwei Freunden Mahnwache gehalten.
(Foto Holger Haupt)
Spontan hatten sich drei junge
Männer, die am Kopernikusplatz wohnen, entschlossen, öffentlich um das
Kind zu trauern und die Autofahrer auf
die gefährliche Stelle aufmerksam zu
machen.
In der Gaststätte „Havanna“ diskutierten am Abend des Unfalls Besucher
und beklagten, daß „immer erst etwas
passieren muß, bevor etwas geändert
wird“. Drei von ihnen hatten von der
Biertischrunde genug und beschlossen
aktiv zu werden. Während die anderen
noch darüber berieten, was man und
wie man es tun könne, lief Thomas
Böhm nach Hause, zerlegte kurzerhand sein Bett und zimmerte daraus
ein Kreuz. In der Gaststätte fragte er ob
sich ihm jemand anschließen wolle; er
werde die Nacht über und den nächsten
Tag an der Stelle eine Trauerfeier veranstalten. Matthias Bogner und
Reinald Geiß, ebenfalls Anwohner des
Kopernikusplatzes, schlossen sich ihm
an. Ab 23.00 Uhr stellten sie ihr Kreuz,
Blumen und Kerzen auf die Straße und
sperrten sie für den Verkehr.
Es dauerte nicht lange, und eine
Polizeistreife kam und forderte sie auf,
die Straße zu räumen, zwar mit Nachdruck, aber nicht unfreundlich. Matthias Bogner war damit nicht einver-
standen: „Zu lange weiß ich, daß da
was passieren wird. Da muß endlich
etwas gegen getan werden“. Engagiert
stellte er sich, nachdem die Polizeistreife weggefahren ist, auf die Straße
und spielte selber Kreuz. Bis ein Autofahrer – wie so oft an dieser Stelle – zu
schnell um die Kurve fuhr, obwohl die
Fußgängerampel auf Grün stand, und
nur kurz vor ihm zum Stehen kam, so
daß er – ohne Verletzungen zwar – von
dem Auto noch angefahren wurde.
„Ich bin nur zu dem Fahrer gegangen
und wollte ihm sagen, warum wir hier
stehen und was wir machen, aber der
ist weitergefahren wie ein Irrer, als ob
er noch nicht ganz wach oder betrunken wäre“.
Die drei jungen Männer im Alter
von 20 Jahren hatten die Nacht weiter
durchgewacht, am morgen bei ihrer
Firma angerufen, erklärt, worum es
geht, sich frei genommen und sind
zum Nacharbeiten am Wochenende
verpflichtet worden. Während ihrer
Nachtwache hatten sich die Drei überlegt, „da muß ein Kranz her“ . Sie beschlossen, Geld zu sammeln. Bis zur
Mittagszeit hatten sie 120 DM zusammen, gingen zur Firma Russler und
fragten, ob sie für das Geld einen
Kranz bekommen könnten. Als die
Verkäuferin hörte, für welchen Zweck,
schlug sie vor, ein Kreuz mit Blumen
zu binden und sicherte ihnen zu, das
Geld werde ausreichen. Das Blumenkreuz befestigten Matthias Bogner und
seine Freunde an der Ampel auf der
Verkehrsinsel in der Straßenmitte.
Zu einer spontanen Demonstration fanden sich am vergangenen Freitag rund
200 DarmstädterInnen zusammen in Trauer um das überfahrene Kind. Der Verkehr war zeitweilig blockiert.
(Foto as)
zeitig Grün zeigt, läßt gerade bei Kindern den Trugschluß zu, daß sie sicher
über die Straße gehen können. Die
Überlebensregel, die Kindern anerzogen wird: Bei Rot stehen bleiben – bei
Grün darfst Du gehen, müßte um den
Grundsatz erweitert werden: Auch bei
Grün können Autos kommen. Solange
der Automobilverkehr Vorrang hat vor
den schwächeren Verkehrsteilnehmern, wird so etwas immer wieder
passieren – daran ändern auch blinkende Warnlichter nichts, selbst wenn sie
funktionieren. Straßenverkehrsordnung und Wirklichkeit sind eben Zweierlei.
Die Stadt hat vor mehreren Jahren
einen Versuch an der Kreuzung Bismarck-/Grafenstraße gestartet, die
Ampeln nur wechselweise grün zu
schalten – wenn die Fußgänger Grün
haben, müssen Autos warten und umgekehrt. Der Versuch ist gescheitert an
den Protesten der Autofahrer, denen
die Wartezeiten zu lang waren. Auch
hat es wohl an begleitender Aufklärung gefehlt.
können auf der Dieburger- oder der
Pützerstraße problemlos den gesonderten Radweg benutzen. Hinter der
Kreuzung
Dieburger-/Heinheimer
Straße endet der Radweg auf der zu engen Fahrbahn. Die Radfahrer werden
förmlich in die Zange genommen und
vor die Wahl gestellt, entweder schnell
vor den Autos herzufahren oder den
ohnehin zu schmalen Fußgängerweg
zu nutzen. Zwischen den Autos gibt es
außerdem kaum einmal eine Lücke für
Radfahrer. Die Straße ist aber breit genug, um Radwege in beiden Richtungen zu ermöglichen. Auf der einen
Straßenseite ist ausreichende Fläche
vorhanden, die nur für Abstellplätze
für PKW genutzt wird.
Tempo 50 ist zuviel
Trotz des Engpasses ist die Geschwindigkeit nicht reduziert auf 30
km/h. Auch nicht, obwohl bereits vor
einem Jahr ein Stück weiter vor dem
Max-Rieger-Heim Ecke Müllerstraße
schon mehrmals Fußgänger angefahren wurden.
Die beiden Kinder sollen laut PoliWarum werden
zeibericht diesen Engpaß gefahren und
keine Radwege angelegt?
dann von dem an der Kreuzung abbieDemonstration von
Die Heinheimer Straße ist auf dem genden LKW-Fahrer übersehen wor200 Darmstädtern
Stück zwischen Dieburger Straße und den sein. Die Kinder müssen sich sicher gefühlt haben, denn sie hatten
Rund 200 Darmstädterinnen und Lauteschlägerstraße zu eng. Radfahrer Grün.
(Redaktion)
Darmstädter demonstrierten am Freitag für mehr Sicherheit für ihre Kinder.
An der Stelle, an der das Kind totgefahren worden war, saßen junge Leute.
Die gesamte Kreuzung war für den
SPD im Martinsviertel fordert Temporeduzierung
Verkehr Richtung Kranichstein komplett blockiert, für eine Viertelstunde Die folgende SPD-Pressemeldung ist uns nach dem Unfall zugestellt
ruhte der Verkehr auch auf der Hein- worden. Wir geben sie geringfügig gekürzt im Original wieder.
heimer Straße, während Frauen und
„Der Vorsitzende des Ortsvereins seln in der Höhe Washingtonplatz und
Männer skandierten: „Sichere Straßen
Martinsviertel,
Dr. Harry Neß, zeigt im Bereich Rhönring/Taunusstraße.
für unsere Kinder“. Die Eltern des kleisich
erschüttert
darüber, daß erneut Außerdem wolle die SPD die Unfallnen Jungen waren zu der Zeit der DeKinder
Opfer
eines
Verkehrsunfalls im gefährdung von Schulkindern der
monstration im Krankenhaus bei dem
Martinsviertel
geworden
sind. Neß Schillerschule dadurch verhindern,
zweiten Kind. „Wir fordern sichere
kündigt
an,
daß
der
SPD-Ortsverein
daß die Müllerstraße zwischen PankraSchulwege, Rücksicht auf Kinder,
Tempobegrenzung“, war auf einem ei- Martinsviertel die jetzt vorgelegten tius- und Heinheimer Straße in eine
Planungen zur Neugestaltung der ge- unechte Einbahnstraße umgewandelt
lig bemalten Karton zu lesen.
samten „Verkehrsspinne Kopernikus- wird. Zukünftig solle die Ein- und
platz” auf ihre Kindersicherheit über- Ausfahrt nur noch von der Heinheimer
Uneinsichtige Autofahrer
prüfen lassen wolle. Im Vorgriff solle Straße aus möglich sein. In der PankraVon den Autofahrern, die vorbei- gleichfalls geprüft werden, was an Sotiusstraße soll vor und hinter der Einkamen oder auch warten mußten, be- fortmaßnahmen möglich sei.
fahrt zum Max-Rieger-Heim eine
quemte sich keiner, auszusteigen. Im
Im Martinsviertel gebe es leider Fahrbahnverengung zur GeschwindigGegenteil, nachdem die Polizei am noch eine Reihe von Straßen und
keitsreduzierung vorgenommen werFreitag gegen 19 Uhr die Unfallstelle Kreuzungsbereichen, die insbesondere
den.
nicht mehr bewachte, kam es immer für Kinder Gefahrenpunkte darstellen.
Ein jetzt vorbereiteter Antrag forwieder zu kritischen Situationen, weil So habe die SPD im Rahmen der Aktidere die Verbesserung der VerkehrsAutofahrer trotz der Demonstranten on „Kinderfreundliches Martinsvierverhältnisse für Kinder am Taunusunbedingt an der Stelle in Richtung tel”, im Stadtparlament Anträge zur
platz, der wegen einer neuen ParkpaKranichstein abbiegen wollten. Jeder Verbesserung der Kinderverkehrssilette und seit dem Umbau
dritte bis vierte Autofahrer fuhr ein- cherheit eingebracht, die in der Verunübersichtlich geworden ist. Weitefach unter Mißachtung des Gegenver- kehrsdebatte am 27. September entren Schutz der Kinder erwarte man
kehrs auf der Gegenfahrbahn an der schieden werden sollen. Dabei gehe es
durch die Ausweitung der Tempo-30Stelle vorbei. Der Zorn der Jugendli- um die Verbesserung der Schaltzeiten
Zonen auch im Martinsviertel. In der
chen wuchs zu bedrohlichen Situatio- für die Fußgängerschutzampeln im
Liebfrauenstraße sei es geglückt, die
nen, manche sprangen einfach vor die Rhönring; die Schaltung der Lichtsigdort immer wieder vorkommenden
Fahrzeuge, andere warfen Gegenstän- nalanlage am Knotenpunkt RhönKinderverkehrsunfälle durch die Temde hinter den Autos her oder schlugen ring/Heinheimer
Straße,
damit po-30 Zone auf Null zu drücken. Allermit der Faust aufs Blech.
Fußgänger vor den Rechtsabbiegern dings sei der Ortsverein inzwischen
aus dem Rhönring das Grünsignal er- sehr verärgert darüber, daß dort noch
Falsche Überlebensregeln
halten und der Knotenpunkt durch eiDie Ampelschaltung, die Fußgän- nen Gelbblinker für die Fußgänger siFortsetzung Seite 2
gern und abbiegenden Autos gleich- cherer wird, sowie weitere Verkehrsin-
Für mehr Kinderverkehrssicherheit
38. Kalenderwoche - Seite 2
Ausgabe Nr.11
„Nebulöse Versprechen“
auf ein Zeichen gewartet und es bekommen haben, um geschlossen gegen ihren Oberbürgermeister zu stimmen“. Auf der Zuschauertribüne saß
unter anderen Mitgliedern der Bürgerinitiative auch Peter Geppert. Als er
tags darauf den Kommentar von
Klaus Staat im „Darmstädter Echo“
las: „Das ist doch ein Hohn!“, setzte er
Was haben die Heag-Hallen mit dem Finablock zu tun? Ist es sinnvoll, sich hin, schrieb einen Leserbrief an
das Fina-Parkhaus abzureißen und durch noch mehr Geschäfte zu erset- das „Darmstädter Echo“ und bekam
zen? Was passiert dann mit den Autos, die heute dort parken? Werden die ihn mit der freundlichen Auskunft zuirgendwann in einer neuen Marktplatz-Tiefgarage unterkommen? Eine rück, der sei zu lang (s. Seite 3).
Gespräch mit Peter Geppert über die
BI „Finablock“
Bürgerinitiative aus Ärzten, Anwohnern und Geschäftsleuten hat sich um
Das magische Dreieck
den Ludwigsplatz (Bismarckbrunnen) und die entferntere Umgebung geHeaghallen,
Fina-Parkhaus,
bildet, mit dem Ziel, das Fina-Parkhaus zu erhalten. Die Hintergründe
Marktplatz-Tiefgarage
und die stiefmütterliche Behandlung der Bürgerinitiative durch den
Oberbürgermeister, das Parlament und die Presse wirft ein Schlaglicht
Mit dem Bau des Fina-Minizenauf die demokratischen Verhältnisse Darmstadts.
trums soll der Umbau der Heag-Hal-
Das Finaparkhaus
☛
Fortsetzung Seite 1
Für mehr
Kinderverkehrssicherheit
immer die häßlichen Betonkübel herumstehen und der seit Jahren versprochene schöne Ausbau mit Baumbepflanzung noch nicht realisiert worden
sei. Es sei auch festzustellen, daß die
Betonkübel auf die Seite geschoben
würden und, wenn die Straße einigermaßen frei sei, Raser Slalom fahren.
Dem müsse im Interesse der Kinder,
aber auch der alten Leute, ein Riegel
vorgeschoben werden. Der Ausbau
müsse deshalb bald beginnen.“
Verkehrsunfälle mit Kindern in
Zahlen
1989 sind in Darmstadt 62 Kinder
angefahren worden. Schwerverletzt
wurden zwanzig.
Impressum
Verleger und Herausgeber:
Michael Grimm
Unser Team :
Uta Schmitt
Ellena Huszarik
Sanne Borghia
Ingulf Radtke
Jörn Johansen
Michael Schreiber-Bimster
Klaus Maat
Telefon: 0 61 51 / 71 98 96
Telefax: 0 61 51 / 71 98 97
Anzeigen Tel.:0 61 51 / 71 98 96
Peter Horn
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nicht“. Kommt das Fina-Parkhaus weg
und findet die Stadt einen Investor,
dann gibt es noch mehr Einzelhandel.
Bonmot im: Zur Zeit wird das „Modehaus Kissel“ neu gebaut. „Da Herrn
Kissel die Ablösungssumme für 45
Parkplätze zu teuer war, baut er 45
Parkplätze ein. Ohne Fina-Parkhaus
allerdings gibt es keine Zufahrt zu den
Parkplätzen“. Was dann mit denen passiert? Vielleicht braucht Herr Kissel
dann mehr Lagerfläche. Die Parkplatzablösesummen – den Geschäftsleute
von der Stadt verordnet – stoßen auf
Unverständnis: Mal ist was von 30.000
(ph) DM pro Stellplatz die Rede, mal - im
Fall des Geschäftes „Langheinz“ von
120.000 DM. Peter Geppert erzählt das
eter Geppert, Inhaber eines sehr ruhig, aber die Wut, die dahinter
Strumpfgeschäftes, ist einer der drei steht, ist unüberhörbar.
Vorstandsmitglieder der BürgerinitiatiWer sind die Leute, die für ein
ve „Finablock“, die Mitte Juli gegrünhalbfertiges Parkhaus an die
det worden ist. Er, Klaus Nitzsche und
Öffentlichkeit treten?
Dr. Günther Wickop beschlossen, die
Bürgerinitiative zu gründen, nachdem
30 Ärzte nutzen das Parkhaus und
ihnen am 9. März ein Brief der Stadt ihre Patienten ebenso. Sie sind in der
Darmstadt zwar nicht die offizielle Bürgerinitiative. An dem Parkhaus
Kündigung, aber doch die eindeutige liegt ihnen deshalb viel, weil Kranke
Ankündigung, daß das Fina-Parkhaus und Behinderte kurze Weg haben. Vor
geschlossen werde, zugestellt worden allem für behinderte Patienten ist die
war. Das ist das Aus für Parkplätze von gewachsene Situation eines ebenerdiDauermietern im Fina-Parkhaus. Es gen Parkhauses ohne Treppen und
trifft Anwohner, Ärzte Gewerbetrei- Fahrstühle geradezu ein Geschenk.
bende und Kurzzeitparker gleicherma- Aber auch Behinderte, die einkaufen
ßen.
möchten, haben längst die Vorzüge erkannt. Von den Ärzten selbst einmal
„Vor 25 Jahren“, erzählt Peter Gep- ganz abgesehen, die auf ein Fahrzeug
pert, „hat uns die Stadt Darmstadt das in nächster Nähe allein deshalb angeParkhaus quasi aufgezwungen, da sind wiesen sind, weil sie ihre Patienten
wir der Stadt entgegengekommen. Da- umso schneller erreichen können.
mals war das Parken noch überall gratis und das Parkhaus teuer“. Die GeZu den Benutzern der Parkhäuser
schichte dieses Parkhauses ist eng mit zählen aber auch die Geschäftsleute.
Menglers Parkplatz-Kalkulation ver- Sie bilden mit 41 Firmen in der Bürknüpft: „Das Fina-Parkhaus ist nie fer- gerinitiative einen verständlich großen
tig gebaut worden. Es sollte noch zwei Anteil: Ein Geschäftsmann in der Inoder drei Geschosse mehr haben“, er- nenstadt kann mit einem Dauerparkklärt Geppert, „ die wurden aber nicht platz, der ihm 8 Stunden Standrecht
errichtet, weil Mengler befürchtete, garantiert - so will es die Stadt - nichts
sein Parkhaus Grafenstraße, das über anfangen. „Ich arbeite doch keine 8
dem Atombunker, nicht voll zu be- Stunden als Selbstständiger, sondern
kommen. In der Folgezeit gab es Ge- 12 bis 14 Stunden“, sagt Peter Geppert
schäftsleute, die aufstocken wollten, und beschreibt damit die Situation fast
aber dann kam Mengler mit den aller Einzelhändler. „Und wenn wir
Schloßgaragen und schließlich mit Briefe und Pakete haben, das sind am
dem Luisenzentrum“. So ist das Fina- Tag spielend vier große UmzugskarParkhaus nie fertig gebaut worden und tons voll, sollen wir die dreihundert bis
behielt eigentlich eher den Charakter fünfhundert Meter durch die Stadt traeines Parkplatzes als den eines Park- gen, um sie zur Post zu bringen?“ Das
hauses. Heute finden 130 Autos darin Automobil ist für diese Geschäftsleute
Platz, und schenken wir der Bürgerini- dringendes Erfordernis, vor allem auch
tiative Glauben, dann kommen außer in der Nähe. „Meine Frau und ich haden Dauermietern noch rund 400.000 ben schon überlegt, ob wir uns zwei
bis 450.000 Kurzzeitparker pro Jahr Minis kaufen, um einen Parkplatz eindazu - pro Tag immerhin über 1.000 zusparen“.
Fahrzeuge.
P
Schildbürgerstreich
Peter Geppert meint: „In Sachen
Auto müssen wir alle lernen, umzudenken. Wir werden noch einige Jahre,
vielleicht noch ein Jahrzehnt, mit dem
Auto leben müssen“. Er kommt selber
aus dem Odenwald und trauert dem
„Lieschen“ - so hieß einmal ein Zug
auf der Odenwaldbahnstrecke - nach
und konstatiert nüchtern, daß es zur
Zeit keine Alternative zum Auto gibt.
Aber auch darüber ist er sich im klaren:
„Je mehr Einzelhandel konzentriert in
der Stadt, um so mehr Verkehr. Als wir
noch mit der Tasche einkaufen gehen
konnten, war das Angebot nicht so
groß, aber da gab es die Probleme
Und was ist
mit den Anwohnern?
Auch wenn die City nachts tot ist,
gibt es doch immer noch Menschen,
die dort wohnen und nicht dort arbeiten, wo sie wohnen. Auch sie sind
schon zum Teil in der Bürgerinitiative.
„Alles jammert über die tote Innenstadt am Abend. Unser Fina-Parkhaus
ist abends voll belegt, fällt es weg, sind
noch weniger Menschen im Zentrum“.
Das frauenfreundliche
Parkhaus
In Frankfurt kämpft die Stadtverwaltung mit einem neuen Problem: In
den dunklen Parkhäusern werden
Frauen überfallen, beraubt und vergewaltigt. Ein ideales Pflaster für Straftäter. „Die Frauen haben Angst vor
den dunklen Parkbuchten“, sagt Peter
Geppert und erzählt, „viele Kundinnen schätzen deshalb unser Fina-Parkhaus“. Vielleicht ein guter Tip für die
Frankfurter, wie so ein Problem in
Darmstadt heute gelöst ist, denn dort
sucht die Verwaltung dringend „Frauenparkplätze“. Gläserne Aufzüge, von
Pförtnern einsehbare Frauenparkplätze und ein Notrufsystem sollen dafür
sorgen, daß die andere Hälfte der
Menschheit die Parkhäuser nicht aus
Angst meidet.
Anlieferung aus der Luft?
„Handelsvertreter, die kleine Proben bringen, finden heute im FinaParkhaus gerade noch einen Platz.
Aber schon bei der Warenanlieferung
mit größeren Fahrzeugen wird das
problematisch. Die Stadt hat eine gewachsene Struktur, die ohne Gesamtplanung dazu geführt hat, daß schon
heute zum Teil Waren über 300 Meter
mit der Sackkarre angeliefert oder abgeholt werden müssen. Wäre es nach
der Stadt gegangen, dann hätten die
großen Lastzüge noch nicht einmal
mehr auf dem Ludwigsplatz halten
können, in der Mitte sollte ein Blumengeschäft auch noch diese Anfahrmöglichkeit zubauen. Ein Geschäft
muß mit Waren versorgt werden -das
ist bald nur noch aus der Luft möglich.“ Normalerweise sorgen in den
Stadtzentren kleine Straßen rund um
die Fußgängerzonen für die Anlieferung - nicht so in Darmstadt - hier sind
überall in der City auch in kleinen
Straßen Geschäfte.
Die Gleichgültigkeit und die Arroganz, mit der seitens der Verwaltung
Anlieferwünsche und Parkprobleme
von Geschäftsleuten behandelt werden, hat einen Teil von ihnen dazu veranlaßt, Strafzettel als feste Größe in
die Kalkulation mit einzubeziehen weil es nicht anders geht. Ihre Ohnmacht gegenüber solcher Ignoranz,
die ihre Probleme einfach unter den
Tisch kehrt, steht in seltsamem Widerspruch zu der ansonsten wirtschaftsfördernden Haltung der Stadt.
SPD Taktik gegen AnliegerWünsche – OB überstimmt?
Auf der Stadtverordentenversammlung am 5. Juli 1990 brachte der
CDU Abgeordnete Klaus Anspach
das Problem Fina-Parkhaus zur Sprache und Oberbürgermeister Metzger
(SPD) sicherte zu, daß selbstverständlich für die Anlieger Parkplätze eingerichtet würden. Dr. Wolfgang Rösch
von der CDU sprang auch nochmal in
die Bresche: „Hier besteht die Chance,
eine der letzten städtebauplanerischen
Entwicklungen zu setzen - aber doch
bitte kein Mini-Luisenzentrum. Der
Bebauungsplan gehört eingemottet“.
Dr. Hermann Kleinstück (FPD) meinte, den Benutzern des Fina-Parkhauses könne zugemutet werden, 300 Meter zu Fuß zur Marktplatz-Tiefgarage
zu gehen. Bei der Abstimmung votierte die SPD-Fraktion geschlossen gegen die Zusage ihres Oberbürgermeisters. Peter Geppert dazu: „Das war
doch Taktik, eine so straff und gut geführte Partei wie die SPD, in der kein
Mitglied für den OB stimmt, mußte
len - geht es nach den Wünschen der
Stadt - finanziert werden. „Ausgelöst
durch die Unfähigkeit, die Heag-Hallen zu sanieren, das ist seit acht Jahren
eine tote Anlage - soll auf dem FinaGelände eine feine Einkaufspassage
errichtet werden“. Die Einkaufspassage erfordert wieder mindestens 65
Parkplätze nach der Stellplatzverordnung (ohne Modehaus Kissel), die
130 bestehenden des Fina-Parkhauses
fallen weg, also muß die MarktplatzTiefgarage kommen.
„Die Marktplatz-Tiefgarage
ist nichts Greifbares, alle
Versprechen sind nebulös“.
„Der OB hat versprochen, unter
dem Einkaufszentrum Fina eine Tiefgarage mit Zufahrt vom Luisenzentrum her zu ermöglichen. Das ist nicht
nur technisch nebulös, Karstadt stellt
sich stur, weil die Stadt an anderer
Stelle Karstadts Wünschen nicht entsprochen hat“. Und „der Ersatz
Marktplatz-Tiefgarage, den der OB in
Aussicht gestellt hat, ist genau so nebulös. Die Zusagen dies OB sind nichtig, denn die eigene Fraktion hat ihn
überstimmt“. Für die Marktplatz-Tiefgarage sind die bautechnischen Probleme ungelöst. „Es ist einfach in die
Debatte gekommen, weil da ein Platz
ist. Wir bezweifeln, daß es dort überhaupt möglich ist, in den Grund einzudringen.“
Erst der Abriß und dann…
Was Peter Geppert besonders konsterniert und die Bürgerinitiative auch
unbedingt geklärt wissen will: „Ist das
Fina-Parkhaus erst abgerissen, was
machen wir dann, bis die MarktplatzTiefgarage gebaut ist, in der Zwischenzeit?“ Erst einmal muß die Stadt
einen Investor finden, der beim FinaParkhaus bauen will. Da gehen zwei
bis drei Jahre noch einmal vorüber.
Dann aber wird es eng für die Bürgerinitiative. Bis dahin brauchen sie die
klare Zusage, wie was geplant und
letztlich so verwirklicht werden wird,
daß ihre Interessen berücksichtigt
sind.
Unsere Meinung
Läßt sich der Bau der MarktplatzTiefgarage technisch doch realisieren,
dann ist damit zu rechnen, daß die
Stadt keine Probleme hat, einen Investor zu finden: Steigende Parkplatzgebühren und ein stetig anwachsender
Verkehr - noch dazu unterstützt durch
das kommende Parkleitsystem kann
einen Investor auf Gewinn hoffen lassen. Hat vielleicht gar schon die CityGaragen (Mengler) eine Zusage in der
Tasche? „Die erdtechnischen Voruntersuchungen werden im August abgeschlossen sein“, teilte Stadtrat Heino Swyter der CDU im Mai mit. Die
Öffentlichkeit ist von dem Ergebnis
noch nicht unterrichtet. Die HeagHallen und auch eine Fina-Parkhaus
Bebauung werden aufgrund der
schlechten Kassenlage der Stadt
Darmstadt voraussichtlich kommerzielle Objekte, denn der städtische
Haushalt läßt keinen Spielraum mehr.
Mehr Kommerz in der Innenstadt,
mehr Parkplatze in der Innenstadt heißen letztlich auch wieder mehr Verkehr.
M. Grimm
38 . Kalenderwoche - Seite 3
„Heilige Einfalt“
Wundersame Geldvermehrung durch Fina-Block
Dieser Leserbrief war Reaktion eines Kommentars von Klaus Staat , Ressortchef des Lokalen im Darmstädter Echo. Mit der Begründung, er sei zu lang,
lehnte das DE die Veröffentlichung ab. Da wir der Ansicht sind, der Kommentar
muß nicht gelesen sein, und da der Leserbrief an Aktualität nichts eingebüßt
hat, seine wichtige Aktualität überhaupt erst noch mit dem Abriß des FinaParkhauses erhält, empfehlen wir unseren Lesern diesen anderen Blickwinkel.
„In seinem Kommentar (DE vom
7.7.1990) zu den städtischen Plänen
(Bebauungsplan M 20) um die Neugestaltung des Heag-Hallenkomplexes und den sogenannten Fina-Block
(ein Parkdeck, Tankstelle und Garagen im Bereich Ludwigsplatz/Luisenstraße), wie sie sich in der Diskussion
der Stadtverordneten am 5.7.1990
niederschlug, verhehlt Klaus Staat
seine klammheimliche Schadenfreude nicht. Die Innenstadtkaufleute
sollten es der „Eigendynamik des
Marktes“ überlassen, „wie tragfähig
die Sache“ sei. Womit er meinte, die
Schaffung neuer Einzelhandelsgeschäfte im Bereich des derzeitigen Fina-Blocks werde den städtischen
Säckel so füllen, daß dadurch die
Heag-Hallenpläne schuldenfrei realisiert werden könnten.
Als Einzelhändler, der am dort angrenzenden Ludwigsplatz sein Geschäft betreibt und auch dort wohnt,
scheint mir diese Sicht der „Sache“
arg verengt, will man sie nicht gleich
als heilige Einfalt erkennen.
Das Zahlenspiel ist unrealistisch,
es sei denn, die Stadt liefert sich wieder einmal einem (Groß-) Investor
aus. Denn in den Fina-Block sollen
28.000.000 DM investiert werden,
damit
für
die
Heag-Hallen
30.000.000 DM herausspringen“: Eine wahrlich wundersame Geldvermehrung.
Doch selbst wenn dies gelingen
könnte, bleibt die weitere Frage zu
klären: Wie soll die bestehende und
durch weitere Geschäfte im FinaBlock anwachsende KraftfahrzeugParkraumnot in der Innenstadt behoben werden?
Das Fina-Parkdeck ist in den 50er
Jahren doch nicht gebaut worden,
weil die Stadt damals zu viel Geld gehabt hätte, sondern weil eben kein
ausreichender Parkraum vorhanden
war. Und dieser Zustand hat sich
durch die Vermehrung des Individualverkehrs wie durch die Zunahme der
Zahl der Geschäfte keineswegs gebessert. Das Fina-Parkdeck erfreut
sich eines Zuspruchs von ca. 450.000
(!) Kurzparkern jährlich - von Anliegern als Dauerparkern, seien es Gewerbetreibende, Ärzte oder schlichte
Stadtbürger, die dort noch wohnen,
wie ich, gar nicht zu reden. Kann man
diese „Abstimmung mit den Füßen“
denn einfach ignorieren? Ich meine:
Nein! Wer in der Innenstadt einkauft,
möchte das Kraftfahrzeug in erreichbarer Nähe haben um die Ware abzutransportieren. Dem nützt dieser
Parkplatz in auffälliger Weise.
Die Stadt hat die Anwohner, die
den Wiederaufbau nach dem Krieg
betrieben haben, stets zur Zahlung
von Ablösebeträgen für von der Stadt
zu schaffenden Parkraum herangezogen. Wozu das, wenn nun Parkraum
so großzügig vernichtet werden soll?
Gibt es den Ersatz? Ich kann dies
nicht feststellen, zumal letzte „Oasen“ - wie etwa die (Park-) „Wildbahn“ des Marienplatzes - sicherlich
bald wegsaniert werden.
Aus der Sicht stadtplanerischer
Überlegungen kann man doch nicht
Rosinenpickerei betreiben nach dem
Muster: das Fina-Parkdeck ist ein
„Pfahl im Fleische“, der ansonsten
völlig verkehrsberuhigten Innenstadt.
Die Verhältnisse sind doch nun einmal nicht so. Auf alle Zeiten wird
man den Anlieferverkehr für den
Handel und Wandel dulden müssen.
Warum denn auch nicht, gehört doch
dies zur selbstverständlichen urbanen
Infrastruktur, zumal wenn man - wie
Wachstumsfetischist Klaus Staat, von
dem man indessen zu anderen Jahreszeiten auch Abfälligeres über Kommerz und Feste vernimmt - „weitere
Käuferströme nach Darmstadt ziehen“ möchte. Anlieferverkehr läßt
sich doch auch nicht durch einen
„praktischen unterirdischen Ladehof“
unterm Marktplatz (für Adac, Standesamt und Landesbibliothek im
Schloß - oder wen?) vermeiden, wie
Klaus Staat in der Gischt seiner Ideen
irrig wähnt.
Stadtplanung - und darum geht es
hier doch - sollte nicht Flickschusterei
sein, wie sie vielleicht nach dem
Krieg manchmal unvermeidbar war.
Schlüssig können innenstadtberuhige
Verkehrskonzepte doch nur sein,
wenn das Auto mitberücksichtigt ist.
Insoweit wird Darmstadt Frankfurt
nie das Wasser reichen können, weshalb auch der von Klaus Staat erfundene „Wettlauf mit Frankfurt“ fiktiver
bleiben muß, als weiland der Wettlauf
zwischen Hase und Igel, denn Frankfurt hat mit seiner U-Bahn eine andere
Dimension erreicht. Die Lösung kann
deswegen auf längere Sicht nur darin
liegen, attraktiven Parkraum an der
Stadtperipherie zu interessanten Preisen zu schaffen. Abgesehen von zaghaften Ansätzen, kann ich nicht erkennen, daß ein solcher Standard
auch nur annähernd erreicht wäre.
Dann aber gilt für die „Übergangszeit“ - will man von seiten der Behörden nicht mutwillig zahlreiche von
außerhalb anreisende Patienten bzw.
Kunden Darmstädter InnenstadtArztpraxen bzw. Geschäfte auf Dauer
vertreiben: „Gebt dem Fina-Parkdeck
seine Chance!“, vielleicht verschönt
und saniert, damit es nicht nur funktionell ist, sondern auch gefällig
wirkt.
Dies jedenfalls hat sich eine von
mir mitgetragene Bürgerinitiative
zum Ziele gesetzt, auf daß noch mach'
anregender „Adrenalinstoß“ (Originalton „pep/KS“ im Echo am 7.7.1990)
die Überlegungen zuständiger Stellen
zur Innenstadtgestaltung befeuere.
Peter Geppert, Ludwigsplatz 2,
6100 Darmstadt
Mordfall Heike Hennemann:
Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen
Sensationslüsterne Journalisten ruinieren Existenz einer Familie
Wie aus dem Mittelalter und seiner unmenschlichen Bestrafungsformen erscheint der Leidensweg eines Ehepaares und
seiner beiden Töchter. Unter dem Verdacht des Mordes wird der Ehemann in Untersuchungshaft genommen - die Presse
veröffentlicht Name, Anschrift und Beruf und zerstört vor einer Verurteilung die Existenz der Familie.
Die Staatsanwaltschaft sucht nach
dem Mörder der zwölfjährigen Heike
Hennemann. Im Zuge der Ermittlungen werden - da keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen - polizeibekannte Sexualtäter überprüft. Das ist
der normale Gang und sicher eine
Möglichkeit, Spuren zu finden. Die
Staatsanwaltschaft findet Indizien,
die den Verdacht begründen, es könne
sich um den Mörder handeln. Daraufhin gibt sie eine Pressemeldung frei,
die korrekt die Ermittlungsergebnisse
weiterreicht. Noch geben die Indizien
- Fasern von Kleidungsstücken nicht viel an Verdachtsmomenten her,
alles weitere müssen Verhöre und zusätzliche Untersuchungen ergeben.
Dennoch wird Haftbefehl erlassen
zum Schutz der Öffentlichkeit.
Frauen statuieren Exempel
an dem Vergewaltiger
Bei dem Angeschuldigten (nur
Verdächtigen) handelt es sich um einen Mann, der wegen vielfacher Sexualdelikte gegen Mädchen (fünf
Vergewaltigungen, zwei versuchte
Vergewaltigungen und fünf Nötigungen) schon rechtskräftig verurteilt
worden ist und seine Strafe von 11
Jahren verbüßt hat, wie heute zumeist
verkürzt auf zwei Drittel. In Darmstadt wurde der frühere Prozeß gegen
ihn zum Politikum, weil Frauenorganisationen das juristische Vorgehen
„Flohmarkt zieht nur einen Platz weiter“
Magistrat setzt sich über Parlament hinweg
Jahrelang war die Diskussion, wo
in Darmstadt der Flohmarkt stattfinden soll, Gegenstand parteipolitischer
Stellungnahmen. Stadtrat Heino
Swyter (FDP) widersprach sich gar in
der Öffentlichkeit: Mal sollte der
Flohmarkt aus der City raus, im Sommer sollte er wieder rein. Jetzt meldet
die Stadt Darmstadt, daß der nächste
Flohmarkt am 6. Oktober 1990 auf
dem „begrünten Terrain des Meßplatzes genügend Raum findet“. „Durch
das abgeteilte Grün könne eine Atmosphäre entstehen, die auf dem
Meßplatz vermißt worden sei“. Zur
Begründung führt der Magistrat an,
„daß wegen der erheblichen Probleme bezüglich der Sicherheit der Besucher bei einer Flohmarktveranstaltung in der Innenstadt noch keine Entscheidung zur Rückverlegung des
Flohmarktes getroffen“ worden ist.
Mißachtung der Stadtverordneten
Die Darmstädter CDU protestiert
dagegen. Fraktionsvorsitzender Dr.
Rüdiger Moog bezeichnet das „als
Mißachtung der Stadtverordnetenversammlung“, da diese am 17. Mai
1990 beschlossen hatte, daß künftig
die Innenstadt als Standort für den
Flohmarkt vorzusehen sei. „Die CDU
hält es für unerträglich, daß der Magistrat sich über die Beschlüsse der
Stadtverordnetenversammlung hinwegsetzt“. Metzger und Swyter müßten zur Kenntnis nehmen, daß die politischen Entscheidungen von den gewählten Vertretern der Bürgerschaft,
der Stadtverordnetenversammlung,
zu treffen seien und nicht von dem
von ihnen gewählten Magistrat.
„Hier gehts ums Wollen…“
„Der Parlamentsbeschluß werde
nun just von den der SPD und FDP
angehörenden Magistratsverantwortlichen ausgehebelt“, bezieht die Grüne Stadtverordnete Beatrix Gaertner
Stellung. „Es bleibt dabei: Wenn die
Stadt nicht in der Lage ist, an zwei
Samstagen im Jahr geeignete Voraussetzungen für einen innerstädtischen
Flohmarkt zu schaffen, braucht ihr
auch sonst politisch nichts mehr zugetraut zu werden. Hier geht es in Wahrheit einzig und allein um's Wollen und nicht um's Können“, erklärt Frau
Gaertner.
gegen Vergewaltiger an die Öffentlichkeit brachten und gerade in seinem Fall ein Exempel statuiert hatten
wegen wiederholter Tat.
Wer hat den Namen
freigegeben ?
Nach seiner Haftentlassung arbeitete er als Selbständiger und war auch
keiner Wiederholungstat verdächtigt,
bis die Staatsanwaltschaft die Pressemitteilung herausgab. Irgendwo -das
ist nicht zu erfahren- gab es eine
Lücke, durch die bekannt wurde, um
wen es sich bei dem Beschuldigten
handelt. Die Presse langte dankbar zu.
Immerhin eine Sensation: Die BildZeitung veröffentlichte am 21.8. den
Namen in gekürzter Form, Alter, Beruf, Geschäftstätigkeit, Wohnort und
Automarke des Verdächtigten. Das
Darmstädter Echo zog am am 23.8.
unter dem Kürzel (wh) eine Meldung
nach, in der über zertrümmerte
Schaufensterscheiben des Geschäftsmannes berichtet wurde und er selbst
- als nur Beschuldigter - mit vollem
Namen, Beruf und Alter genannt wurde.
Die Bildzeitung hatte den Namen
zuerst veröffentlicht - kaum jedoch
Grund für das „Echo“, sofort nachzuziehen. Der Presserat prüft derzeit eine öffentliche Rüge gegen die Blätter,
wegen Verstoßes gegen den Pressekodex (über das Ergebnis werden wir
berichten).
Staatsanwalt Nauth, Pressesprecher, erklärt auf die Frage, wo der Name durchgesickert sein könnte, darüber wisse er auch nichts. Angesprochen auf die Nennung des vollen
Namens im Darmstädter Echo meinte
er, „das ist doch eine seriöse Zeitung,
und die Bildzeitung hatte es ja schon
veröffentlicht“ - allerdings stand der
volle Name erstmals im Echo - wohl
doch nicht so seriös. Polizeisprecher
Werner Rühl gibt seiner Verwunderung ebenfalls Ausdruck:„Das hat
mich doch sehr gewundert - das Echo
hat sich früher zurückgehalten und
die Berichterstattung in der Landkreisredaktion war doch wohl sehr
vorsichtig“. Von seinem Schreibtisch
ist der Name mit Sicherheit nicht an
„Bild“ oder das DE gegangen.
Da es keinen Paragraphen gibt ,
der eine derartige vorverurteilende
Berichterstattung unter Strafe stellt,
können Informanten und BoulevardBlätter getrost so weiter machen. Was
passiert denn schon? - Allerhöchstens
eine Rüge des Presserates muß publiziert werden.
Belohnung
Die Staatsanwaltschaft hat weitere Indizien gefunden. An der Leiche
des zwölfjährigen Mädchens haben
die Ermittler Fasern entdeckt, die
auch in dem Innenraum des Fahrzeu-
ges des Beschuldigten verarbeitet
worden sind. „Von dem Auto gibt es
in Hessen nur 129 Fahrzeuge gleichen
Typs und gleicher Ausstattung“.
Für ihre weiteren Ermittlungen
bittet die Staatsanwaltschaft um Hinweise. "Wer hat in der Umgebung des
Wasserwerkes Gernsheim einen
Mann mittleren Alters mit zwei auffallend großen Hunden gesehen, die
wahrscheinlich frei umherliefen?“
Hinweise nimmt die „Sonderkommission Hennemann“ unter Telefon
06142/6090 entgegen. „Eine Belohnung in Höhe von 10.000DM für
sachdienliche Hinweise hat weiterhin
Bestand.“
Der Verdacht gegen den Angeschuldigten habe sich weiter erhärtet
erklärt Nauth, über die Einzelheiten
wollte er jedoch keine Angaben machen - nur unserer Zeitung gegenüber?
Der Volkszorn ist entfacht:
„Sippenhaft“ für die Familie“
Die Frau des Verdächtigten und
ihre beiden Töchter sind - obwohl es
sich nur um eine Anschuldigung handelt - aufgrund der unsittlichen Berichterstattung in Sippenhaft genommen, für etwas, das noch nicht einmal
bewiesen ist. Die Existenz des Geschäftsmannes ist ruiniert. Die Ladenlokale sollen veräußert sein, und die
private Villa ist immer billiger zu haben, da die Familie offensichtlich so
schnell als möglich die Flucht vor
dem entfachten Volkszorn ergreift.
Sie schottet sich derart gründlich ab,
daß es unmöglich ist, einen Termin
für ein Interview zu vereinbaren. Ihr
Anwalt - angeblich der SPD-Landtagsabgeordnete Weidmann - war
über 14 Tage für uns nicht erreichbar.
Trotz mehrfacher Zusagen, rückzurufen, blieb die Zusage unerfüllt. Auch
Briefe an den Anwalt und die Frau
des Angeschuldigten blieben ohne
Reaktion.
Gleiches gilt für einen Brief an die
Chefredaktion des DE - auch sie hüllt
sich in Schweigen - gibt es denn hier
niemanden, der noch Rückrat und
Ethos kennt?
Folgenlose Gossen-Journaille
Derart hemmungslosen Schmierfinken von Journalisten gehört das
Handwerk gelegt. Wenn ihre Phantasie schon so eingeschränkt ist, daß sie
die wichtigen Tagesereignisse nicht
mehr interessant und anschaulich zu
vermitteln vermögen und um jeden
Preis der vermeintlichen Sensation
huldigen, sollten wenigstens die Verantwortlichen die Konsequenz ziehen
und dem Mittelmaß journalistischer
Gossenkehrer den rechten Ausweg
weisen.
Haushalt
Der Stadtsäckel hat ein riesiges Loch
Gespräch mit Kämmerer Otto Blöcker über Darmstadts Finanzen
Weniger Gewerbesteuereinnahmen und höhere Ausgaben zwingen den Kassenhalter der Stadt Darmstadt, Stadtkämmerer Otto Blöcker (SPD), dazu, dringende Sparsamkeitsappelle an die Politik zu richten. Das hatte er auch 1989 getan, als die Rücklagen der Stadt Darmstadt erstmals angegriffen werden mußten - dieses Jahr werden die Rücklagen
zur Hälfte aufgebraucht. Ob die Stadt eine höhere Besicherung für den Haushalt hätte einplanen müssen?
Ein Loch von mehr als 45 Millionen ist in dem Haushaltsentwurf für
das Jahr 1990 enthalten, das den Sicherheitsreserven entnommen werden muß, die sich dadurch von 90
Millionen (+ 9 Millionen Pflichtrücklagen) auf die Hälfte reduzieren. Der
Magistrat hat den Nachtragshaushalt
und den Haushaltsentwurf für 1991
gebilligt- allerdings nicht einstimmig.
Das Parlament muß dem Entwurf
noch zustimmen, Beratungs-Termin
ist der 25. Oktober 1990.
Die Stadt Darmstadt hat im Laufe
der Jahre 500 Millionen an Darlehen
aufgenommen, für die Zinsen gezahlt
werden müssen. Damit die Kasse der
Stadt nicht leer, das heißt die Stadt
zahlungsunfähig wird, schlägt der
Kämmerer vor, weitere Darlehen in
Höhe von 13,5 Millionen in diesem
Jahr und 27,7 Millionen im kommenden aufzunehmen. Darmstadt zählt
damit zu dem Drittel der deutschen
Städte, die am höchsten verschuldet
sind. „Unser Vorentwurf muß noch
vom Regierungspräsidenten genehmigt werden, da auch die Pflichtreserven mit verplant sind“, erklärt Stadtkämmerer Blöcker.
Nicht immer bürgt Größe für
(monetären) Glanz
Der Stadtkämmerer hatte bereits
im letzten Jahr dringend an die Stadt
appelliert, sparsam zu wirtschaften,
war allerdings von dem Haushaltsergebnis auch selber überrascht, der aus
einem drastischen Rückgang der
Steuereinnahmen der Stadt Darmstadt herrührt. Das war zwar schon
vor mehreren Monaten bekannt, nicht
aber in den vollen Auswirkungen:
Statt der vorausberechneten 138 Millionen waren es 16 Millionen weniger, 122 Millionen. Die Stadt Darmstadt erhält ihre Gewerbesteuereinnahmen
primär
von
Großunternehmen, 40% der Einnahmen zahlen allein 20 Firmen. Für die
Öffentlichkeit wird erklärt, daß die
Unternehmen auf Grund der guten
Wirtschaftslage investieren mit der
Folge, daß sich der zu versteuernde
Ertrag verkürzt und die Stadt weniger
Steuern kassiert. Das kann aber nur
ein Teil der Ursache sein.
Auf die Frage danach, woher die
Steuern kommen sollen , wenn sie
schon bei guter Wirtschaftslage ausbleiben , wenn die Konjunktur bergab
geht und die Unternehmen geringere
oder keine Erträge erzielen, antwortet
Stadtkämmerer Blöcker: „Wenn ich
schon in der Hochzeit keine höheren
Steuereinnahmen erziele, kann ich in
der Rezession auch keine erwarten,
mit Ausnahme der Nachzahlungen,
die bislang nicht erfaßt sind, die kommen selbstverständlich noch“.
Städtische Investitionen heute
begründen Arbeitslosigkeit
morgen - so wollen´s die
Theoretiker
Der Wirtschaftstheoretiker und
geistige Vater des „Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“, John Maynard
Keynes, auf dessen Theorie die gesetzlichen Bestimmungen basieren,
verordnet den öffentlichen Haushalten für die Zeiten wirtschaftlichen
Booms eine sparsame Politik, also
auch unserer Stadt. In diesem Sinne
sind die Forderungen des Stadtkämmerers auch theoretisch nicht nur als
Appell zu nehmen, sondern als Leitline für Sicherheit und Stabilität einer
sozialen Marktwirtschaft. Der theoretische Hintergedanke dieser Politik
ist,daß die öffentlichen Haushalte in
die Auftragslücken einspringen,
wenn die Unternehmen nicht mehr
genügend Erträge erzielen - im Falle
einer Rezession. Wenn die Stadt
Darmstadt aber bereits in den Zeiten
des Booms auf ihre Rücklagen zurückgreifen muß, ist sie nicht mehr in
der Lage, eine expansive Investitionspolitik zu betreiben, wenn dies in Zeiten wirtschaftlichen Rückganges erforderlich wird.
Spekulation auf weitere wirtschaftliche Expansion: Gehaborn als Garant für den
Stadtsäckel.
Wie wird die Stadt mit ihrem
schrumpfenden Budget in der Planung fertig? Der Stadtkämmerer hofft
auf den Verkauf städtischer Grundstücke: Schlachthofgelände, Hofgut
Gehaborn, Marienplatz, um nur die
größten zu nennen. Der Verkauf von
stadteigenen Wirtschaftsunternehmen, beispielsweise des Bauvereins,
zum Schließen etwaiger Finanzierungslücken, steht nicht zur Disposition. Allerdings werden von dem Kämmerer neue Überlegungen eingebracht, etwa die Einrichtung neuer
städtischer Unternehmen. Die Vorschläge will der Kämmerer für die
Etatberatungen präsentieren.
An Personalkosten kann der
Stadtkämmerer nicht sparen: Sie werden um 13 Millionen auf insgesamt
195 Millionen steigen. Die Formulierung des Stadtkämmerers, es handele
sich bei dem Haushalt um einen
„Gratgang“, wird erst dann klar, wenn
man sich die Folgen vor Augen führt:
Steigende Darlehen bedeuten mehr
Zinsen, die die Stadt bezahlen muß;
sinkende Rücklagen bedeuten weniger Zinseinnahmen und das Ganze bei
sowieso steigenden allgemeinen Kosten. Diese Spirale setzt klare Zeichen
für die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Expansion. Die Weichen
dafür sind von der Stadt bereits gestellt (Siehe Ausgabe 10: „Die Stadt
… muß verkauft werden“).
Mehr Arbeitsplätze in der
Stadt oder mehr Wohnraum?
An der Zielvorgabe, auf welche
Art der Stadtsäckel am besten gefüllt
werden kann, müssen Zweifel laut
werden. Die Gewerbesteuereinnahmen sind zwar heute die größte Einnahmequelle, „auf sie können wir
nicht verzichten“ erklärt Blöcker. Auf
die Frage nach der Sicherheit dieser
Einnahmequellen aber ergibt sich ein
anderes Bild:„Ein verdienender Bürger bringt der Stadt mehr Steuern als
die Einrichtung eines Arbeitsplatzes,
es ist deshalb wichtig, einkommenträchtige Verdiener in der Stadt zu
halten“. Die Voraussetzung dafür
sieht der Kämmerer „in der Förderung des Eigentumwohnungsbaues.
Denn es geht nicht an, daß die besser
Verdienenden ins Umland ziehen und
die Sozialhilfe-Empfänger unseren
Haushalt belasten. Selbstverständlich
helfen wir denen gern, aber für den
Haushalt ist das mindestens ebenso
wichtig wie die Gewerbeförderung“.
Ideal des Kämmerers: „Wir brauchen beides, Arbeitsplätze und Wohnungen.“ Ob das nicht doch ein Zielkonflikt ist?
Was gibt´s Neues 1991 ?
Mit dem Haushalt werden gleichzeitig die Schwerpunkte der städtischen Investitionspolitik festgesetzt.
Der Magistrat hat für das Kanalnetz
19 Millionen, den Wohnungsbau 12
Millionen und für den Nahverkehr 3
Millionen als Priorität verordnet. Zur
Besicherung der Haushaltslücke sind
weitere 7 Millionen eingestellt. Die
Planung sieht - wird sie so alle Beratungs- und Genehmigungspositionen
passieren - seriös und an den Dringlichkeiten orientiert aus. An Neubaugroßprojekten seitens der Stadt ist lediglich die Erweiterung der Stadtbibliothek für 1991 in Aussicht. Ein
“Bürgerzentrum Martinsviertel” als
Neubauprojekt dürfte damit der Vergangenheit angehören - oder einer
ferneren Zukunft.
38 . Kalenderwoche - Seite 4
Galerie der großen
(Darmstädter ) Geister
Diesen Monat stellen wir den Finanzverwalter des Darmstädter
Fortschritts vor:
$$ $$ $$ $$ $$
$$$$
$$$
Auch die DDR wird den
Stadtsäckel erleichtern
Die Zukunft aber ist ungewiß.
Trotz guter Wirtschaftslage stehen
schmale Zeiten bevor: Der Stadtkämmerer meint zwar:„Ich glaube nicht ,
daß sich die Gewerbesteuer zurückentwickeln wird“, bestätigt aber, daß
die Plan-Einnahmen der Stadt zusätzliche Belastung erfahren werden
durch die Beteiligungen der Kommunen an den Finanzhilfen für die DDR,
und dabei gibt es eine ganze Reihe
unwägbarer Größen. In forderster Linie nennt der Kämmerer die heute
schon feststehenden 700000 DM Beteiligung, dann kommt die bange Frage nach der Kürzung der Schlüsselzuweisungen aus dem Landeshaushalt
und letztlich nimmt er den Faden der
Gewerbesteuereinnahmen wieder
auf. Wenn unsere Unternehmen in der
DDR vielleicht noch steuerbegünstigt
investieren, dann „werden die Steuereinnahmen doch sinken“.
Der Stadtkämmerer formuliert
das noch klarer:„Ich kritisiere, daß
die Bevölkerung eingelullt wird, als
ob die Wiedervereinigung ohne Opfer
denkbar wäre. Steuererhöhungen halte ich für unumgehbar“. Für unwägbar hält Blöcker auch die Entwicklungen in Nahost und in der Sowjet-Union.
Die Zahlen für Interessierte
Verwaltungshaushalt
1990
ohne Nachtrag 536,6 Millionen
Verwaltungshaushalt
1990
mit Nachtrag 526,8 Millionen
Verwaltungshaushalt
1991
566,5 Millionen
Vermögenshaushalt
1990
155,6 Millionen
Vermögenshaushalt
1991
172,5 Millionen
Gewerbesteuereinnahmen
1990
122 Millionen
Gewerbesteuereinnahmen
1991
130 Millionen
Gewerbesteuereinnahmen
1992
145 Millionen
Gewerbesteuereinnahmen
1993
152 Millionen
Nettoneuverschuldung
1990
13,5 Millionen
Nettoneuverschuldung
1991
27,7 Millionen
Nettoneuverschuldung
1992
40 Millionen
Nettoneuverschuldung
1993
30 Millionen
Otto Blöcker
Merck soll Steuern zahlen
Stellung der Grünen zur Haushaltspolitik
Die Stadtverordnetenfraktion der
Grünen sieht im vorliegenden Haushaltsplanentwurf für 1991 „ein Musterbeispiel dafür, wie eine Kommune
an den Folgekosten ihrer politischen
Fehlentscheidungen zu ersticken
droht”. Die Politik der vergangenen
Jahre, die nicht nur von SPD und
FDP, sondern auch von der CDU zu
verantworten ist, hat nach den Worten
des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Günther Mayer, „den finanziellen Bewegungsraum der Stadt entgegen aller gegenteiligen Propaganda
gegen Null schrumpfen lassen”. Die
Ursachen der Haushalts-Misere fassen die Grünen aus ihrer Sicht in vier
Punkte zusammen:
- die extensive öffentliche und öffentlich subventionierte Bautätigkeit
der zurückliegenden Zeit ziehe „teilweise abenteuerliche” Folgekosten
nach sich. Als Beispiel nennt Mayer
die Eissporthalle, die 1987 mit 2,9
Millionen Mark aus dem städtischen
Haushalt mitfinanziert worden sei, in
den kommenden vier Jahren aber mit
weiteren 4,5 Millionen Mark zu Buche schlagen werde, „weil sich die
Stadt mit einer nachgerade stümperhaften Vertrags-Politik darauf hat
festlegen lassen”. Als „wahres kommunalpolitisches ‚Folgekosten-Ehrenmal‘” bezeichnen die Grünen auch
das Kongreßzentrum, „das weit von
jeglicher Wirtschaftlichkeit entfernt
ist und stattdessen Jahr für Jahr enorme Folgekosten verursacht”;
- das von OB Metzger und seinem
obersten Wirtschaftsförderer Vauth
veranstaltete „Riesen-Tamtam” um
die angeblich für die Stadt lukrative
zusätzliche Gewerbe-Ansiedlung im
großen Maßstab kann nach grüner
Auffassung nicht darüber wegtäuschen, daß die Stadt sich den vorhandenen ortsansässigen Unternehmen
gegenüber vielfach zu Lasten der
kommunalen Interessen inkonsequent verhält: während der Magistrat
beispielsweise seit Jahr und Tag „wie
ein Naturereignis” hinnehme, daß die
Firma Merck keine Gewerbesteuern
entrichtet, übe der Oberbürgermeister
gegenüber der gleichen Firma „vorauseilenden Gehorsam”, indem er
sich ohne jegliche Gegenleistung
bemühe, bei der Aufsichtsbehörde gehegte Bedenken gegen die geplante
Merck-Erweiterung zu zerstreuen;
und es sei auch „alles andere als eine
Selbstverständlichkeit”, daß Merck
sämtliche Bau- und Erweiterungsmaßnahmen ohne Bebauungsplan
durchziehen könne. „Die Stadt muß
sich nicht nur in diesem konkreten
Fall endlich ihrer Druckmittel besinnen und bei den Unternehmen auf eine verantwortlichere Haltung gegenüber der Kommune drängen”;
- die Weichenstellung für massive
Gewerbe-Ausweitung zuungunsten
eines bedarfsgerechten Wohnungsbaus erweise sich gerade im Hinblick
auf die Haushalts-Entwicklung als
„kapitaler Fehler”: während die Hoffnungen auf ein sattes GewerbesteuerAufkommen ein ums andere Mal enttäuscht würden, bringe sich die Kommune damit selbst um einen sicheren
und keinen Schwankungen unterworfenen Einkommenssteuer-Fluß;
-schließlich habe Oberbürgermeister Metzger im „mittlerweile alles
dominierenden und überlagernden”
Bereich der Wirtschaftsförderung eine beispiellose, kostenintensive Personal-Aufstockung
betrieben,
während vom Wirken der vor langen
Jahren mit viel Vorschußlorbeeren ins
Leben gerufenen Kommission zur
Neu-Organisierenden Verwaltung
nichts mehr zu sehen und zu hören
sei.
Gehaborn
Die Planer von Wei-Tech 2000 wollen
in der Öffentlichkeit um Sympathie und
Unterstützung für ihre ehrgeizigen Pläne werben. Die erste Veranstaltung dieser Art in Weiterstadt-Riedbahn war ein
glatter Durch-Fall: Die Politiker
glaubten, der Presse Unkenntnis unterstellen und sich über die BürgerInnen
hinwegsetzen zu können. Nur geglaubt
hat ihnen das wohl keiner so recht.
„Ich stelle Ihnen frei, zu gehen!“
Diskussion um High-Tech-Park Gehaborn findet breite Öffentlichkeit
I
n äußerst gereizter Atmosphäre
vollzog sich eine Veranstaltung in der
Riedbahn (29.8.), zu der - als „Bürgerinformation“ - der dortige SPD-Ortsbezirk in das „Haus Gutenberg“ eingeladen hatte. Der Erste Beigeordnete Ekke
Feldmann referierte an Hand ausgestellter Planungsunterlagen, daß für den Bau
einer Lärmschutzanlage im Ortsteil
Riedbahn entlang der Autobahn Zuschüsse von der Bundesstraßenverwaltung angekündigt seien, wohl aber nicht
in diesem und auch nicht im nächsten
Haushalt. Von der Baumaßnahme,
wenn sie kommt, die um die fünf Millionen kosten wird, soll die Bevölkerung nur im Rahmen des Erträglichen
belastet werden. Einen ungefähren Bautermin konnte Feldmann nicht nennen,
die Kalkulation der Schutzanlage sei
aber so durchgeführt, daß sich die Kosten nicht an der obersten Grenze bewegten und dennoch ästhetische Gesichtspunkte nicht außer acht blieben.
Das Bauleitplanverfahren ist eingeleitet, eine Veränderungssperre, die sicherstellen soll, daß hinsichtlich der bezeichneten Flächen auf dem Bebauungsplan
keine
Veränderungen
vorgenommen werden können, ist eingebaut. Die Aufschüttung soll mit „ein
bißchen HCH-verseuchtem Schutt“
vorgenommen werden.
SPD: „Man soll sagen
Gewerbepark“
Unter Tagesordnungspunkt „andere
Maßnahmen in der Riedbahn“ waren
die auf dem Gelände des Hofgutes Gehaborn vorgesehenen Veränderungen
gemeint. „Gewisse Unruhe in der Bürgerschaft über Maßnahmen mit ganz
bestimmter Planungsreife“ gebe es,
meinte der SPD-Riedbahn-Vorsitzende
Gerd Körner, und „Reizworte, die immer wieder fallen, sind Techno-Park,
High-Tech-Park, Gewerbepark“, und er
entschied sich so: „Man soll eher sagen:
Gewerbepark und nicht unbedingt
Technologiepark“. Damit war ohne
sprachliche Schönung klar, worum es
gehen soll: Nämlich dort Gewerbe anzusiedeln, denn „wir leben nicht im tiefen Odenwald oder in Osthessen, wir leben mitten im Rhein-Main-Gebiet und
haben ganz andere Probleme!’’ Körner
klagte über bestimmte Presse, die die
Planungsprobleme „teilweise unsachlich aufgenommen hat, wohl weil z.T.
keine Sachkenntnis vorhanden war“. So
sei manche Mißinformation an die Öffentlichkeit gelangt und habe zu unnötiger Emotionalisierung der Diskussion
beigetragen. Und so unternahm Körner
den untauglichen Versuch zur Deeskalation, indem er die Probleme eines
Kindergartenbusses und der Containerentsorgung für wichtiger erachtete, als
die Anlage eines Gewerbeparks, zumal
die Riedbahn in infrastruktureller Hinsicht gegenüber dem übrigen Weiterstadt generell gewisse Handicaps aufzuweisen habe.
Weiterstadt international
Bürgermeister Günther Hahn machte ebenfalls deutlich, daß die Entwicklungen im Rhein-Main-Gebiet und die
Erwartung des Europäischen Binnenmarktes heute längst auch schon die Gemeinde Weiterstadt tangierten. Mit dem
Vorhaben eines Gewerbeparks habe
man nicht vor, „mutwillig Landschaft
zu zerstören“, weshalb ein Umweltverträglichkeitsgutachten in Auftrag gegeben werde. Zunächst sollten die Gutachten der Fachleute abgewartet werden, bevor man sich hier weiterhin in
emotionaler und unsachlicher Diskussion verstricke. So seien auch im unmittelbaren Umfeld Probleme zu lösen: Da
der Darmstädter Hauptbahnhof künftig
eine besondere Rolle spielen werde,
müsse das gesamte zukünftige Verkehrskonzept Darmstadts auch mit Weiterstadt abgestimmt werden. Denn die
Verkehrsprobleme seien der Knotenpunkt, dem dann freilich das Wohnungsbauproblem unmittelbar nachfolge. Für einen kleinen Teil der zu erwartenden Beschäftigten müsse man auch
in Weiterstadt Wohnungen bauen, der
38 . Kalenderwoche - Seite 5
Planungsvorstellungen (etwa neue Verkehrstrassen) gebe, die ein genaues
Bild, was nun wirklich beabsichtigt
wird, schwer zuliassen. Immer wieder
könnten sich Darmstadt-Weiterstädter
Politiker mit einem „So wollen wir es ja
gar nicht!“ herausreden, wenn sie in der
Öffentlichkeit mit ihren eigenen (alten?
veralteten?) Plänen konfrontiert werden.
den sowohl der Landrat, als auch die
Untere Naturschutzbehörde aus fachlichen Gründen eine negative Bewertung
des Planungsvorhabens abgeben. Dieselbe Bewertung könne man auch vom
Kreistagsausschuß erwarten, ohne daß
er jetzt das politische Kräfteverhältnis
im Kreistag mit letzter Sicherheit hochrechnen wolle.
Bürgersprechstunde
Tief enttäuscht zeigten sich einige
GesprächsteilnehmerInnen gerade von
der Haltung der SPD, der man hier nicht
mehr über den Weg traue. Ob denn der
Landrat nicht einmal mit seinen GenossInnen reden könne? Irgendwann müßten doch auch in die Darmstädter Politik
mal wieder Moral und “Verantwortungsbereitschaft für unsere Kinder”
hineingeraten.
In der vergangenen Woche stellte
sich Landrat Hans-Joachim Klein
(SPD) Bürgerfragen am Gehaborner
Hof in einer Sprechstunde . Nach seinen
Erfahrungen hält er es für ausgeschlossen, daß das von der Gemeinde Weiterstadt in Auftrag gegebene Umweltverträglichkeitsgutachten bei Schemel in
München vor Ende dieses Jahres zu erwarten ist. Aus heutiger Sicht und nach
gegenwärtigem Informationsstand wer-
„Es steht Ihnen frei, zu gehen!“ Der Riedbahner SPD-Vorsitzende
Gerd Körner bei einer typischen Handbewegung. Bürgermeister
Günther Hahn (SPD) behält Contenance.
(Foto U. Muhn)
größere Teil werde von außerhalb kommen, so daß man sich auf neue Pendlerströme verkehrsmäßig einzurichten habe. Für die Einrichtung von Gewerbeparks gebe es europäische und
außereuropäische Beispiele (England,
Frankreich, Italien, USA) und hier wegen des „verseuchten“ und „einseitig
monokulturell“ genutzten Bodens die
besten Voraussetzungen. Nun gehe man
daran, durch eine zu gründende Entwicklungsgesellschaft alle Probleme zu
lösen.
Hösel motzt
Planer Dieter Hösel argumentierte
weniger für die zwingende Notwendigkeit einer Gewerbeansiedlung und eines
Golfplatzes, sondern erklärte unentwegt, daß es Beispiele gebe, wie „man
es machen kann“. Äußerst polemisch
geißelte auch er die „sehr polemische,
sehr unqualifizierte Sache“ in der Presse. Denn immerhin hätten acht Ingenieurbüros alle möglichen Gutachten angefertigt, die nicht in Gänze von allen
hätten studiert werden können, weshalb
es im Außenbereich lediglich ein „Teilwissen“ gebe. Heute sei alles sehr
schwierig geworden, denn egal, wohin
man Bauvorhaben lege, ob nach Kranichstein oder in den Osten Arheilgens,
überall werde immer nur „gemotzt“.
Hier befände sich nun der „optimale
Standort“, und „Darmstadt muß ausbauen, um den Vergleich mit anderen
Zentren - Hamburg, Berlin, Frankfurt aushalten zu können“.
„Weltsportart Nr. 1“
„Golf“, so Hösel, müsse man einmal „emotionslos als Sportart betrachten“, und dann habe man dies festzustellen: Es gebe in der BRD nur zwei offene
(also für jedermann und jedefrau zugängliche) Golfanlagen, hier soll nun
die dritte entstehen, für deren Benutzung allein die Platzreife, also gewissermaßen ein „Golf-Führerschein“ vorausgesetzt werde. Und es gebe auch
wissenschaftliche
Untersuchungen,
„die unter Beweis stellen, daß es ökologische Golfplätze geben kann“. Und
sehr positiv an diesem Gelände sei der
Umstand zu bewerten, daß „durch jahrelange Nitratzuführungen die Golfflächen jahrelang nicht gedüngt werden
müssen“. Für dieses „ausgeräumte Gebiet“, zu dem noch laufende Gutachten
beweisen würden, wie verseucht es ist,
sei eine Golfanlage nur wünschenswert,
zumal auch „ein neuer Radweg geschaffen“ werden soll. Bürgermeister
Hahn, der den Golfsport als „Weltsportart Nr.l“ bezeichnete, gab zu bedenken,
daß neben der „ökologischen Verträglichkeit“ auch die „soziale Verträglichkeit“ geprüft werde. Der ursprünglich
ebenfalls vorgesehene 9-Loch-Golfplatz sei gestrichen worden, weil die 18Loch-Anlage „sozialverträglich genug“
ist - und nicht deshalb, um die Fläche
für Gewerbeansiedlung zu vergrößern.
Und für Gerd Körner ist der Golfplatz
„eine angenehme Randerscheinung“.
„…was die Bürger wollen“, muß auch
finanziert werden
Die Firmen, die sich im Gewerbegebiet ansiedeln sollen, müssen - so
Hahn - verpflichtet werden, „auch in
den Wohnungsmarkt zu investieren,
weil die Gemeinden Darmstadt und
Weiterstadt allein nicht für den Bau von
Wohnungen mit einigermaßen sozialen
Mieten in der Lage sind“. Und das Planungsamt der Hessischen Landesregierung habe erklärt, „daß es nicht genehmigen wird, wenn nicht der Nachweis
erbracht wird, daß der Individualverkehr geregelt werden kann“. Bürgermeister und Planer gehen von „maximal
6000 Beschäftigten aus“, eine „attraktive öffentliche Nahverkehrsstraße“ sei
problemlos zu schaffen. Grundsätzlich
seien - so Hahn - alle Pläne deshalb erwogen worden, um das „was die Bürger
wollen“ (etwa Ausbau des ÖPNV, Kindergarten), auch finanzieren zu können,
denn „sonst müßte die Steuerschraube
angezogen werden“. Nur mit einem Gewerbepark seien die gegenwärtigen
Einrichtungen auf dem Niveau zu halten und auszubauen. Wenn sich aber
„eine Problematik herausstellen sollte,
die sich nicht lösen läßt, dann lassen wir
es“. Es müsse aber ganz deutlich werden, daß sich Infrastrukturmaßnahmen
nicht „mit links“ machen ließen. Da
Weiterstadt jetzt „schon mehr mache als
manche Großstadt“, müsse der
„Schwerpunkt auf der Erlangung von
Steuermitteln“ liegen: „Die Kommune
wird (nach Einführung des Binnenmarktes) einen Ersatz bekommen, der
der Gewerbesteuer entspricht!“ „Jetzt
gibt’s endlich mal Gelegenheit, Nägel
mit Köpfen zu machen, um die soziale
Infrastruktur zu verbessern. Erstmal
müssen wir für unsere Leute sorgen,
deshalb holen wir das Gewerbe hierher!“
Publikumsfragen
Einige Fragen aus dem Publikum
wurden wie folgt beantwortet: Ein
Raumordnungverfahren sei nicht notwendig, ein Abweichungsverfahren erfülle den gleichen Zweck (Günther
Hahn).
Über die Hochtanner Brücke werde
kein weiterer Verkehr in die Riedbahn
geführt: „Das ist so. Das wollen wir!“
(Gerd Körner). Die in ersten Entwürfen
eingezeichnete Trasse werde nicht
benötigt, die Brücke werde nicht ausgebaut. Doch Bürgermeister Hahn: Es sei
denn, weitere Untersuchungen sollten
ergeben, daß die Brücke verbreitert
werden müsse „im Moment“ sei es aber
eine „politische Absichtserklärung“,
daß alles so bleibt, wie es ist.
„Platzbesichtigung“
Am 8.9. fand auf dem Gehaborner
Hof eine „Platzbesichtigung“ statt, an
der sich ca. 300 Menschen beteiligten
und zu der die „Bürgergemeinschaft gegen Gewerbezone Gehaborn“ und die
„Bürgerinitiative zum Erhalt des Westwaldes“ eingeladen hatte. Der Stadtverordnete Michael Siebert (Die Grünen)
gab einen Überblick über die Situation,
wie sie sich im Augenblick darstellt. Er
kritisierte, daß es immer wieder neue
Ingulf Radtke
Politiker - Qualifikationslauf
„Ich hab ja schon viel erlebt“,
sagte ein älterer Herr nach der Veranstaltung in der Riedbahn, „aber
so eine Verarschung ist mir noch
nicht untergekommen!“ Anderen
mag es ähnlich ergangen sein. Die
Stimmung war von Beginn an aufgeladen und gereizt, bei allen vieren (Hahn, Körner, Hösel, Feldmann) lagen offensichtlich die
Nerven blank. Und Hausherr Körner gerierte sich wie Napoleon auf
einer Dynamitstange. Gleich zu
Beginn herrschte er die fotografierende Ursula Muhn an: „Für wen
fotografieren Sie? Muß man ja wissen!“ Ein um Informationen ringender zwischenrufender Waldkolonist stand am Rande des Platzverweises: „Wenn Ihnen das nicht
gefällt, dann stelle ich Ihnen frei, zu
gehen!“ Diskussion ließ er zu Beginn der Veranstaltung nicht zu,
„damit des net aus'm Gleis läuft“
und „mer lasse Se unsere Informatione net ausenanner nehme!“ immerhin befand man sich in einem „Anhörungsverfahren“! Und
als Teile des Publikums immer vehementer ums Wort baten, beschied Körner: „Um zehn Uhr wird
uffgehört!“„Was“, rief ein Herr dazwischen, „wir kriegen hier zwei
Stunden lang was vorgebabbelt,
und dann soll Schluß sein!?“ Darauf Körner: „Wie mer's machen,
bestimm ich!“ Ein Herr wagte den
Kommentar, daß ihm Logik und
Rentabilität der Planungen nicht
ganz aufgegangen seien, was ihm
die Antwort beibrachte: „Dann
hätt'ste besser zuhörn müsse!“
Auch ein junger Mann aus Darmstadt fragte, warum man sich denn
in Weiterstadt überhaupt für einen
Golfplatz einsetze. Die Antwort:
„Des könnense sowieso net wisse,
weil se aus Damstadt sind!“ Eine
Anfrage gegen Veranstaltungsende, ob man denn nicht einmal ein
Meinungsbild zusammenstellen
sollte, beantwortete Körner so:
„Sowas brauche mer net!“
Zwar brachte es Körner in seinem Schlußwort über sich, für seine „diktatorische“ Verhandlungsführung um Nachsicht zu bitten aber dafür war es zu jenem Zeitpunkt längst zu spät. Wer so penetrant zwei Stunden lang aus der
Rolle fällt und den Rand zur Publikumsbeschimpfung einige Male
überschritten hat, darf mit Pardon
nicht rechnen, zumal er der Informationsabsicht einen Bärendienst
erwiesen hat. Nichts hat mehr als
diese Veranstaltung bewiesen, daß
der Lockruf des Geldes - das vor
allem in der Darmstädter Kasse
fehlt - jede ernstzunehmende Argumentation übertönt. Auch wenn
das Ausmaß des Widerstandes gegen „Wei-Tech“ unterschätzt worden sein sollte - und diese Annahme kann als sicher gelten - darf
man nicht so aus jeglicher Fasson
geraten! Daß die bisherigen Argumente nicht gezogen haben, bringt
beide Gemeinden offenbar unter
Informations-Zugzwang: Uns ist
mitgeteilt worden, daß es den Entwurf eines Papiers gibt, in dem die
Bürgerinnen und Bürger beider
Gemeinden über die Vorteile einer
Gewerbeansiedlung
informiert
werden sollen. Das noch unter Verschluß gehaltene Papier soll aber
in Weiterstadt an einzelne Personen verteilt worden sein. Wirtschaftsplaner Vauth soll deshalb weil er als Verteiler in Verdacht gestanden haben soll - von seinem
Chef gerüffelt worden sein. Der
Bürgermeister Hahn soll es aber
selber gewesen sein, der das Papier vorab verteilt habe.
Mit Überraschung habe man
auch den nicht üblichen Umstand
zur Kenntnis genommen, daß am
Tage nach der SPD-Veranstaltung
der Darmstädter OB an einem interfraktionellen Gespräch im Weiterstädter
Gemeindeparlament
teilgenommen habe.
Man beachte schließlich auch
dies: Wenn in der Veranstaltung
deutlich gemacht wurde, daß man
sich in einem Stadium des „Vorwissens“ befinde und sich Sachkenntnis in allen Planungsfragen
erst nach dem Urteil der Fachleute
einstellen könne, bleibt zu fragen:
Was hat man den Weiterstädter
GemeindeparlamentarierInnen zugemutet, als man sie ein dickes
Planungspaket (der mittlerweile
berühmte „rote Weiterstädter Aktenordner“, den Darmstädter
Stadtverordnete überwiegend gar
nicht kennen - wir haben ihn aufmerksam studiert und danach erst
berichtet) abstimmen ließ, das sie
acht Tage vor der Abstimmung
erst erhalten hatten? So läuft nämlich hier die Politik: Ahnungslose
Uninformierte sagen mehrheitlich
Ja und geben grünes Licht für die
Einleitung eines Abweichungsverfahrens
zum
Regionalen
Raumordnungsplan, dessen Tragweite sie nicht annähernd überschauen konnten. Wenn Politiker
solche Fakten schaffen, dann
gehören sie in die Wüste
geschickt! Und Gerd Körner soll
als Nachfolger von Ekke Feldmann Erster Beigeordneter - und
damit Stellvertreter des Bürgermeisters - in Weiterstadt werden.
Was qualifiziert ihn für dieses Amt?
Ingulf Radtke
Verkehr I
38. Kalenderwoche - Seite 6
Was geht´s mich an ?
Verkehrskonzepte sollen den kommunalen Herbst in Darmstadt beherrschen.
Der Oberbürgermeister ist in der Öffentlichkeit vorgeprescht, die CDU überschüttet die Zeitungen mit Pressemeldungen, und die Grünen haben ihr Konzept
auch bereits auf dem Schreibtisch liegen. Wir unternehmen den Versuch, die
verfehlte Planungspolitik vergangener Jahrzehnte mit den heutigen Verhältnissen in Zusammenhang zu bringen und Lösungswege als Denkansatz zu vermitteln.
Allen Verkehrskonzepten ist eines
gemein: Der Versuch, den Automobilverkehr einzudämmen zugunsten da gibt’s Unterschiede - von Bahn,
Bus, Fahrrad und Fußgänger. Doch
gleich welches Konzept die vielen
Autos (allein fast 100.000 Einpendler
pro Tag) reduzieren helfen soll, keines wird den Verkehrsinfarkt aufhalten können. Eine Verlagerung der Autofahrer auf Bus und Bahn ist längst
nicht mehr möglich - die öffentlichen
Verkehrsmittel wären sofort völlig
überlastet und keiner käme mehr
rechtzeitig dort an, wo er hin will. Zu
sehr sind die Verkehrsströme angewachsen. Die kurze Denkpause Ende
der siebziger Anfang der achtziger
Jahre hat zwar den Blick für die Zerstörung der Bewohnbarkeit unserer
Stadt geschärft, aber keineswegs zur
Umkehr geführt: Die Autos werden
immer mehr - von Zuwachsquoten
um 25% bis zum Jahr 2000 geht das
Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung aus und darin ist noch nicht
der DDR-Verkehr enthalten.
Die Wohnungen sind zu weit
von den Arbeitsplätzen entfernt - frühe Folgen eines geeinten Europa ?
Jeder Versuch, die Verkehrsströme umzuleiten, muß fehlschlagen.
Das Problem liegt weitaus tiefer begraben, als daß es durch Umsteigen
auf andere Beförderungsmittel noch
lösbar wäre. Die StudentInnen, Angestellten und ArbeiterInnen sind in den
vergangenen Jahrzehnten durch die
Konzentration der Arbeitplätze in
Stadtgebieten einerseits und Wohnungsmangel in der Stadt andererseits
gezwungen worden, immer weiter
vom Arbeitsplatz entfernt zu wohnen.
Dieser Trend hält ungebrochen an:
Die heutige Planung unserer Politiker
will immer mehr Gewerbe in Stadt
und Stadtnähe ansiedeln - Handel,
Handwerk und Industrie haben eindeutig Vorrang vor Wohnungsbaugebieten (siehe Ausgabe 10). Auch
wenn heute argumentiert wird, das sei
eine Notwendigkeit, um die Wirtschaftskraft von Stadt und Region für
ein geeintes Europa zu stärken,
kommt doch die Verkehrsplanung erst
wieder als Re-Aktion im Nachhinein.
Für die neuen Arbeitsplätze werden
nicht annähernd genug Wohnungen
gebaut. Aktuelles Beispiel: 200 Wohnungen werden 1990 entstehen - 200
neue Arbeitsplätze richtet allein Eumetsat ein.
Das „Maritimtor“ als Symbol
für die wirtschaftliche Expansion Darmstadts und das drohende Verkehrschaos
Unsere städtischen Wirtschaftsförderer planen den Anschluß Darmstadts an die neue Hochgeschwindigkeitsbahn, das ICE-Netz. Dadurch
soll die Stadt aufgewertet werden und
unweigerlich mehr Gewerbe und Industrie anziehen. Dafür wird auch die
gesamte Bahnhofsumgebung neu geplant. Mindestens 1000 Arbeitsplätze
sollen im Baugebiet W 30 (Toomund AV-Markt) entstehen. Auch die
gehen nicht ohne mehr Verkehr in Betrieb. Ein neuer Hotelturm entsteht
bereits (nicht, wie behauptet, auf einem „Luftgrundstück“, sondern) neben den Bahngleisen. Wenn die Kreuzung Rheinstraße/Berliner Allee, die
schon heute kilometerlange Staus vor
dem „Maritimtor“ erzeugt, bis in die
Autobahn hineinwächst, wird spätestens eine Unterführung der Kreuzung unumgehbar. Dann haben wir
unweigerlich noch mehr stehende
Autos in der Stadt. Auf der Rheinstraße gibt´s heute noch ein paar Lücken,
für Stauverkehr im Schrittempo. Der
Lärm- und Abgasteppich der stehenden und stinkenden Blechlawinen
wird den letzten Rest von Bewohnbarkeit der Stadt ersticken. Der Verkehr rollt über uns hinweg in sein eigenes und unser Chaos. Ökonomische Rationalität erfährt ihre eigene
Begrenzung in ihrer Selbstüberhöhung, immerhin gibt es noch andere
Formen des Denkens als nur die:
Kann ich mir jetzt endlich mein eigenes Auto leisten?
Parkleitsystem und mehr
Parkplatz-Tiefgaragen führen
zu noch mehr Verkehr im
Zentrum - bis gar nichts mehr
geht
Unsere Politiker versuchen durch
Organisation des Molochs Verkehr
Herr zu werden, indem zum Beispiel
ein Parkleitsystem die Such-Fahrten
verringern soll - ein folgenschwerer
Irrtum: Finden die Autos problemloser Platz im Herzen der Stadt, folgen
umgehend noch mehr. Da im Zentrum
die Wurzel allen städtischen Steuerglückes gesehen wird - in den Einkaufs-Paradiesen - ,sollen gar die ohnehin schon zahlreichen Parkplätze
(6.500) nochmals erhöht werden.
Marktplatz-Tiefgarage und FinaParkhaus-Umbau stehen oben an im
Programm, ganz abgesehen von dem
fast fertigen TH-Parkhaus im Martinsviertel. Wieviel Verkehr verkraftet
die Stadt noch? Soll die Nagelprobe
gemacht werden - solange bis wirklich eben gar nichts mehr geht?
Wer in der Stadt nicht
wohnt…
Auch die Nordost-Umgehung
bringt nicht etwa weniger Verkehr:
Jede neue Straße heißt in der Konsequenz mehr Autos in der Stadt, heißt
mehr Lärm und weniger Luft. Mag
auch der Neubau einer Umgehungsstrasse kurzfristig Entlastung des
Zentrums bringen und damit für die
Anlieger wünschenswert erscheinen,
mittelfristig aber bringt er mehr
Blechkarossen und langfristig unerträglich viele. In Darmstadt sind
77000 Autos zugelassen und noch
mal so viele kommen täglich nach
Darmstadt hinein - abgesehen vom
Durchgangsverkehr. Wollen wir denn
die vielen Autos in unserer Stadt haben? Sollten wir nicht eindeutig fordern, wer hier nicht wohnt, hat mit
seinem Auto nichts in der Stadt zu suchen?
Die Herren Möchtegernegroß
in ihren Blech-Dinosauriern
sind zu spät auf die Welt gekommen
Jeder, der ein Auto hat, sieht die
ständig wachsenden Probleme - die
tagtägliche Stau-Erfahrung. Jeder
denkt, na, ein Auto mehr oder weniger - und fährt weiter in die Blechlawinen hinein. Nicht genug damit: Das
neue Auto muß größer, prestigeträchtiger, schneller, toller… sein. Da gibt
es gar noch Automobilisten, die glauben, wer Besonderer zu sein, wenn sie
in ihrem Blech-Dinosaurier mit vor-
Eine Tiefgarage unter dem Marktplatz soll noch mehr Autos im Stadtzentrum unterbringen. Da eine Garage auch eine Zufahrt benötigt, haben wir versucht, die Größenverhältnisse in einer Fotomontage darzustellen.
(Fotos und Montage Hannelore Anthes)
zeitlichem Spritverbrauch (und Luftverpestung) Wagenlänge um Wagenlänge stinkend durch die Innenstadt
promenieren. Davon gibt´s noch immer mehr. Doch glaube auch der
Kleinwagenbesitzer nicht, er sei moralisch gefeit vor seiner Mitverantwortung in Sachen Infarkt: Jede
Blechkarosse ist bereits zuviel, wenn
ihrer Nutzung nicht die unabdingbare
Notwendigkeit zugrunde liegt. Auf
ein Umdenken der Autofahrer ist heute wohl kaum zu hoffen - noch nicht
einmal in Form einer „Rote-PunktAktion“, wie sie in Zeiten der Ölkrise
schon einmal aufkam: Die Karossen
werden meist nur von ihrem Fahrer
bewegt, statt andere mitzunehmen –
Freiheit der Automobil-Individualisten und Ausdruck für die heutige
Entwicklung, den Rückzug in die Privat-Sphäre. Was ist schon gesellschaftlich verantwortliches Handeln?
Was gehts mich an?
Klar, daß die Beweglichkeit durch
das Auto nicht nur Bequemlichkeit
bedeutet und automobilistische Liebhaberei, sondern auch Notwendigkeit
beinhaltet, um an die Arbeitsstelle zu
kommen und darüber hinaus auch
kulturell viele Möglichkeiten eröffnet
hat, die nur durch das Auto erfahrbar
sind. Aber ist der Preis, den wir dafür
zahlen, nicht viel zu hoch?
Wie stellen wir es an, daß unsere
Stadt wieder atmen kann, wieder bewohnbar wird, daß durch das Öffnen
von Fenstern wieder frische Luft herein kommt?
Erst eine Dezentralisierung der
Großbetriebe in kleinere Einheiten, in
die Nähe der Wohngebiete kann der
gigantischen Verkehrsflut langfristig
einen wirkungsvollen Damm entgegensetzen. Verkehrspolitik muß deshalb heute heißen: Entflechtung von
Industriezentren ohnehin und die
Auslagerung geplanter Neuansiedlungen (so sie für notwendig erachtet
werden) in die Regionen, wo die
Wohnungen entstehen werden (müssen). Gerade das Paradepferd unserer
Politiker, die Hightech-Firmen sind
dazu prädestiniert: Von HardwareProduktion abgesehen, fügen sie sich
geräuschlos und emissionsarm in
Wohnsiedlungen ein. Die Konzentration in den Städten aber führt unweigerlich in die Verkehrs- und Umweltkatastrophe des „Es-geht-nichtmehr“.
Die Stadt muß wieder atmen
können
- nicht nur zwischen den Inversionswetterlagen (z. B.: Nebel), bei
schönem Wetter. Einkaufsmärkte gehören nicht mehr ins Zentrum auch
nicht als gigantische Alles-Anbieter
an die Peripherie. Eine Reorganisation, die die Nähe der Wohngebiete für
Alltägliches wie Essen, Kleidung und
häusliche Dienstleistung herbeiführt,
kann allein langfristig eine Lösung
der Verkehrsprobleme garantieren.
Unsere schnellebige Zeit macht
Mobilität und damit das Automobil
zur gesellschaftlichen Notwendigkeit
und schwelgt noch im Traum von der
räumlichen Unbegrenztheit: Mit dem
Auto und dem Flugzeug wird´s möglich, jederzeit überall zu sein - das Erwachen aber wird ein Alptraum. Erste
Prämisse heutiger Verkehrskonzepte
kann deshalb nicht mehr sein: Wohin
verlagern wir die Verkehrsströme?
Auf Schiene oder Fahrrad? Sondern
wie vermeiden oder schärfer, wie verhindern wir sie.
Die Grenzen des Wachstums
offenbaren entgleistes Fortschrittsdenken
Jeder hat beobachten können, wie
die Luft kontinuierlich schlechter geworden ist und wird. Erste SmogAlarme hatten nur ein kurzes Erschrecken zur Folge, ebenso wie die
Energiekrisen problemlos durch ein
paar Mark mehr für Sprit zu meistern
waren. Die Grenzen des Wachstums
treten durch die Automobil-Überlastung unübersehbar zutage. Der Verkehrsinfarkt wird gleichermaßen die
Bankrotterklärung unserer Planer und
Wirtschaftler sein - als deutlich sichtbare Folge entgleisten Fortschrittsdenkens.
Wieviel Industrie, wieviele Menschen überhaupt und wieviel Verkehr
verträgt unsere Region noch? Hoffen
wir alle, daß wir die Erfahrung nicht
durch den Verlust der Gesundheit
werden zahlen müssen.
Michael Grimm
Verkehr II
„3 Millionen sind zu wenig“
Dr. Moog (CDU) zu dem Verkehrskonzept seiner Partei.
Vorbeigegangen an der Öffentlichkeit sind eine Vielzahl von Pressemeldungen,
die von der CDU kontinuierlich an die Zeitungen geschickt werden. Vor allem
die Lösung der Verkehrsprobleme ist Anliegen der CDU. Um einen Überblick
zu geben, haben wir mit dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Rüdiger Moog das folgende Gespräch geführt.
Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Es mag
richtig sein, daß wir von Herbst 1990
bis Herbst 1991 nicht mehr als 3 Millionen im Haushalt verwirklichen
können, aber das ist zu wenig. Als eine Hypothek der Untätigkeit in der
Vergangenheit sieht der Fraktionsvorsitzende der CDU den heutigen Zustand des öffentlichen Nahverkehrs.
„Seit März 1989 liegt ein Bericht der
städtischen Arbeitsgruppe ÖPNV
vor, der alle notwendigen Maßnahmen formuliert. Danach wurde noch
das Hamburg Consult-Gutachten im
Auftrag der Heag erstellt und jetzt soll
noch ein weiteres Gutachten vom Regionalen Nahverkehrsverband (RNV)
eingeholt werden. Ich verstehe nicht,
wozu das noch gut sein soll. Schon
1990 hätte angefangen werden können. Ich weiß doch auch so schon, daß
es den Bedarf gibt, da brauch ich keine Gutachten mehr“. Als Beispiel
führt Dr. Moog eine Buslinie an, die
das Mühltal und Ober-Ramstadt mit
Darmstadt verbindet. Desgleichen eine Buss-Schnellinie von Pfungstadt
nach Darmstadt. „Wobei dem Bus
eindeutig Vorrang vor dem Automobil einzuräumen ist“. Aber, und das
lastet er dem Oberbürgermeister an,
„es ist Sache des OB’s, da wir Stadtverordnete kein Verhandlungsmandat
haben“. Gemeint ist, die Stadtverordneten können mit den Bürgermeistern
der Umland-Gemeinden nicht in den
erforderlichen Dialog treten.
In dem Ausbau der Nahverkehrseinbindungen des Umlandes sieht Dr.
Moog die Hauptaufgaben, das Verkehrsproblem zu lösen. Auf die Frage
danach, ob der ÖPNV zu einer wesentlichen Entlastung des Darmstädter Verkehrsaufkommens beitragen
kann, erklärt er: „Die Pendlerströme
sind sicherlich aufzunehmen. Da ist
beispielsweise Griesheim, das über
eine sehr gute Anbindung verfügt und
mit 40 Prozent Annahme von Straßenbahnen und Bus ein typisches Beispiel dafür gibt, daß es funktioniert.
Pfungstadt hingegen hat nur 20 Prozent Anteil“. Dennoch gibt sich Dr.
Moog mit dem derzeitigen Zustand
der öffentlichen Nahverkehrsmittel
nicht zufrieden: „Sie müssen schnell,
sicher, bequem und benutzerfreundlich sein.
„Der Verkehr ist ein Mosaikstein für die Lebensqualität
einer Stadt“.
„Wie mache ich eine Stadt so attraktiv, daß jemand, der die Wahl hat,
sich zu entscheiden, sagt: Ich möchte
in Darmstadt leben“. Dr. Moog sieht
die Notwendigkeit, kommunalpolitische Prioritäten zu setzen: „Wie sieht
das Stadtbild aus, ist die Stadt lebendig, eine Frage des kulturellen Angebotes, Theater, Rock für die Jugend
u.s.w., Sport beispielsweise einen
Sportberater…“. Auf die Frage danach, wie das zu finanzieren sei, erklärt er: „Die Stadtverwaltung kann
durch Umstrukturierung, vor allem
der Büroorganisation, viele Kapazitäten frei bekommen“.
„Ich sehe nicht den Gegensatz: Autofreie Stadt oder
autogerechte Stadt“.
In drei Gruppen unterteilt Dr.
Moog die Verkehrsbeziehungen und
die Ströme: „Die Frage ist: Wie kann
ich welche Verkehrswege mit welchen Verkehrsmitteln am besten bedienen. Und das ist abhängig von den
Gründen, warum jemand in die Stadt
kommt“.
„Da haben wir zum einen die
Gruppe, die in der Stadt wohnt und
die selbstverständlich einen Anspruch
darauf hat, das Auto in erreichbarer
Nähe zur Wohnung parken zu können
- das muß durch Anwohnerparken gelöst werden“.
„Die zweite Gruppe sind Besucher, die in die Stadt kommen wollen,
um Einkäufe und Erledigungen tätigen zu können, dazu gehört beispielsweise der Handelsvertreter, der drei
oder mehr Kunden erreichen können
muß. Dafür brauchen wir Kurzzeitparkplätze mit progressiven Parkgebühren, das heißt zum Beispiel, die
erste Stunde Parken 1.- DM, die zweite 3.- DM und die dritte Stunde 5.DM.“ Auf die Frage, ob er denn die
Marktplatztiefgarage für sinnvoll
hält, da sie noch mehr Verkehr in die
Stadt zieht, antwortet Dr. Moog: „Das
Problem schaffen nicht die Leute, die
einkaufen, sondern die Pendler. Und
durch das Parkleitsystem schaffen wir
erheblich weniger Suchverkehr“.
Zum Beweis für seine These führt Dr.
Moog an: „Der Verkehr kollabiert
morgens zwischen 8.00 und 9.00 Uhr
und nachmittags zwischen 16.00 und
17.00 Uhr, das deutet darauf hin, daß
die Pendler Ursache für die Staus
sind“.
Die dritte Gruppe: Der Bereich,
der die Stadt kaputt macht. Die Pendler müssen vom Auto weg, soweit es
nicht notwendig ist. Das soll nach
Vorstellungen von Dr. Moog gelöst
werden durch: „Park-and-ride-Plätze,
aber nicht am Böllenfalltor, sondern
weit draußen vor der Stadt. Dazu bedarf es der Vereinbarung der Stadt mit
den Umlandgemeinden“. Damit das
auch akzeptiert wird, sind Vorrangschaltungen der Ampeln für Busse
und Sonderspuren einzurichten. Ich
wünsche mir außerdem mehr Attraktivität für die öffentlichen Verkehrsmittel, beispielsweise Kaffee und Zeitung am morgen“.
Einen weiteren Schwerpunkt
sieht Dr. Moog in dem Hauptbahnhof, der als Umsteigezentrum
für den öffentlichen Nahverkehr entwickelt werden muß. Das könnte so
aussehen: „Die Straßenbahn müßte
man über die Gleise legen und für die
Attraktivität vom Zug direkt an die
Straßenbahn kommen“.
„Die Verkehrsströme sind heutzutage so stark angewachsen, daß es
zweifelhaft ist, ob der öffentliche
Nahverkehr überhaupt noch in der
Lage dazu ist, die vielen Pendler
rechtzeitig zu ihrem Arbeitsplatz zu
bringen. Die Stadt plant weitere Ansiedlung von Gewerbe. Halten Sie es
nicht für erforderlich, Arbeitsplätze
und Wohnungen zusammenzubringen?“
Dr. Moog antwortet:“Es ist so einfach zu sagen: keine neuen Gewerbeflächen. Wir brauchen mehr Gewerbe, und die Ansprüche sind gestiegen:
Vor zwanzig Jahren gab es weniger
Quadratmeter pro Mitarbeiter als heute. Darmstadt hat Mittelpunkt-Funktionen und soll sie auch behalten. Es ist
eine Illusion, Arbeitsplätze und Wohnungen zusammenzubringen“.
Gewerbe will Dr. Moog dort angesiedelt sehen, „wo die verkehrstechnisch besten Anbindungen bestehen, im Westen Darmstadts, beispielsweise in Gehaborn. Aber,
Weiterstadt ist ein weiteres dringliches Problem, um durch öffentliche
Nahverkehrsmittel weitere Pendler-
38 . Kalenderwoche - Seite 7
ströme aufzunehmen“.
„Die Unfälle mit Radfahrern häufen sich erschreckend. Wie stellt sich
die CDU vor, mehr Sicherheit für
Radfahrer zu schaffen?“
Dr. Moog: „Da ist einmal die Forderung an den Gesetzgeber, die Straßenverkehrsordnung zu ändern, denn
noch ist den Radfahrern die Benutzung von Radwegen vorgeschrieben.
Wir haben aber zwei Sorten von Radfahrern: Die Profi-Radfahrer, die mit
30 bis 35 km/Stunde fahren, brauchen
die Straße, da sie sich zum einen sicherer fühlen und Fußgänger nicht gefährden. Das Hauptunfallrisiko besteht für diese Radfahrer zwischen
dem Tempo der Autos und ihnen. Also müssen wir entweder die Radfahrer
schneller machen oder das Tempo der
Autos reduzieren. Tempo 30 muß eingeführt werden. Für Kinder und langsame Radfahrer brauchen wir ein extra Wegenetz, das sicherer ist und
auch mehr Komfort bietet, das ist ja
eine Holperei, die es abzustellen gilt“.
Was - Sie wissen nicht was das ist ?
„Sinnvolle Verbindung aller Verkehrssysteme“
Interview mit dem Busunternehmer Wolfgang Schneider
Über Verkehrs-Probleme in unserer Region unterhielten wir uns mit Wolfgang Schneider. Er kennt diese Probleme aus
zweifacher Sicht: aus dem Blick der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens (Wehnert-Reisen, Griesheim), das auch für die „Verkehrsgesellschaft Untermain“ - also Deutsche Bundesbahn - und eigene Linien (Schulbusverkehr) fährt; und er ist in seinem Unternehmen selber als Fahrer ständig unterwegs. Mit ihm sprach Ingulf Radtke.
ZD: Wolfgang, Du bist ja ein echter Insider. Wie beurteilst Du die Verkehrsdiskussionen, die gegenwärtig
hinsichtlich künftiger Planungen geführt werden?
WS: Ich beginne mal mit der
konkreten Utopie, also einer optimalen Lösung. Die müßte dann so aussehen, daß alle Verkehrssysteme sinnvoll miteinander verbunden werden.
Also keine Präferenz für nur ein System.
ZD: Du denkst da wohl besonders an die DB und den Slogan „Alle
Güter auf die Schiene“?
WS: Zum Teil, ich muß da ein wenig ausholen und erinnere an den „Leber-Pfennig“. Das war und ist noch
die Abgabe von einem Pfennig pro
Tonne und pro Kilometer, die der Güterfernverkehr entrichten muß, wenn
er seine Güter nicht auf die Schiene
bringt. Daneben wurde damals auch
das „Wechselpritschen“- bzw. Container-System (Huckepackverfahren)
propagiert und umgesetzt, das eine
optimale Verlagerung der Güter von
der Straße auf die Schiene gewährleisten sollte. Nur: dann fing Schorsch
Leber plötzlich damit an, LKW's für
die DB zu kaufen, mit Kühne&Nagel
z.B. ein ganzes Unternehmen, das
dann - von der Öffentlichkeit wegen
des Namens gar nicht so bemerkt den Spediteuren Konkurrenz machte.
ZD: Ging das weiter?
WS: Klar ging das weiter! „Deutsche Touring“, „Auto Kraft“ im norddeutschen Raum, „Wahl“ in Heidenheim an der Prenz, das 600 Busse europaweit fahren läßt - alles Töchter
der Bundesbahn. Und durch die Konzessionshoheit, die die DB im Schienenparallelverkehr hat - also praktisch ein Monopol -, wurden die Privaten von der Straße gedrückt. Das
war alles nicht sehr sinnvoll, wie
manches andere Mißmanagement
auch, das Gohlke, Warnke und Zimmermann bei der DB angerichtet haben.
ZD: Kommen wir zu Problemen
in unserer Region und dem Öffentlichen Personenverkehr. Welche sind
Deine Erfahrungen?
WS: Erstmal die, daß es kein konsequentes System im ÖPNV gibt, der
radikal zuungunsten des privaten Autoverkehrs ausgebaut werden muß.
Die Frage ist: Auf welche Weise
kommt der Fahrgast am schnellsten
und bequemsten zu seinem Zielort?
Und danach muß sich das Konzept
richten. Beteiligt werden müssen dabei Bus, Straßenbahn, Eisenbahn und
Taxen. Die sind die Träger des Personenverkehrs, und die müssen aufein-
ander abgestimmt werden.
ZD: Die Idee ist logisch, warum
aber wird der ÖPNV nicht angenommen?
WS: Erstens weil die Konzepte
aus wahltaktischen Gründen nur
halbherzig in Angriff genommen
werden und deshalb Stückwerk bleiben, zweitens, weil das Gros der Au-
Wolfgang Schneider
(rai)
tofahrerInnen ein falsches Bewußtsein hat. Es ist doch so: Der deutsche
Autofahrer denkt: Es ist billiger,
wenn ich mit der eigenen Kiste unterwegs bin, weil er nur darauf schaut,
was er aus seinem Portemonnaie holt,
wenn er unterwegs ist - also Geld für
Sprit. Weder denkt er daran, was er
für die Anschaffung seines Autos hingeblättert hat, noch an die jährlichen
Versicherungsprämien, noch an Reparaturen, den jährlichen Kraftstoffverbrauch. Reparaturen - da hofft er,
daß dieser Kelch an ihm vorbeigehe.
Und schon gar nicht denkt er an die
Umweltschäden, die er mitverursacht
- denn die zahlt im Augenblick noch
die Allgemeinheit.
ZD: Also ÖPNV ist billiger?
WS: Selbstverständlich! Guck's
Dir doch an: Eine Jahreskarte für den
gesamten FVV -Bereich kostet 1.480
DM. Damit kannst Du von Nord nach
Süd, von 0st nach West, also von
Mainz nach Hanau, von Friedberg bis
Darmstadt abfahren, was Du willst.
ZD: Aber immer wieder kommt
das Argument, der ÖPNV dauere zu
lange. Mit dem PKW bin ich schneller!
WS: Wir kommen wieder dahin
zurück, wo sich die Katze in den
Schwanz beißt. Beispiele: Es gibt die
Faustregel, daß alle PKW-Insassen,
die in einem Stau von 1,5 Km Länge
stehen, in einen einzigen Bus hineinpassen. Oder: Ich habe kürzlich am
frühen Morgen eine kleine private
Verkehrszählung gemacht bei Roßdorf, Beobachtung des Verkehrs nach
Darmstadt. Zwischen 7.40 und 7.50
Uhr waren 165 Fahrzeuge unterwegs,
in denen 175 Personen saßen - LKW
und Firmenwagen noch ausgenommen. Was getan werden muß, ist dies:
Bus und Straßenbahn erhalten absoluten Vorrang vor dem privaten Autoverkehr, neue Bustrassen werden geschaffen. Die müssen nicht aus Beton
oder Asphalt bestehen, das kann genauso gut auch Verbundpflaster sein,
daß das Wasser durchläßt. Wenn die
Busse Grün haben und die anderen im
Stau stehen - da ändert sich schnell etwas im Bewußtsein. Und über die Mineralölsteuer müßte der Liter Benzin
auf mindestens 1,50 DM angehoben
werden, damit es die Leute auch am
Geldbeutel merken, und demgegenüber muß man den ÖPNV von der Mineralölsteuer befreien.Im Grunde haben die Grünen recht, wenn sie fünf
Mark für den Liter verlangen - nur
hätte das Auswirkungen auf die Autoindustrie und Arbeitsplätze, was
man sicherlich nicht vergessen darf.
In unserer Region müssen die Leute
aus Reinheim, Reichelsheim, Roßdorf, Groß-Zimmern oder Gundernhausen mit dem ÖPNV genauso
schnell nach Darmstadt kommen, wie
die aus Groß-Umstadt. Die haben
nämlich den Schnellbus, der die
HEAG-Spur benutzen darf.
Warum gilt das nicht für die anderen Linien? Die müssen ebenso den
Luisenplatz ansteuern können. Und
der Schnellbus auf der Groß-Umstädter Linie ist übrigens ein Erfolg: Das
Fahrgastaufkommen ist erheblich
größer geworden, und die Staus auf
der B 26 haben nachgelassen. Merkwürdigerweise gibt es im DB-Bereich
Aversionen gegen neue Busspuren da dürften dann ja auch die Taxen herauf! Aber das ist genau richtig! Denn
die Taxen sind der individuelle Faktor
im Personennahverkehr. Wenn man
die Geschwindigkeit, mit der der
Fahrgast an sein Ziel kommt, erhöhen
will, dann muß man die Taxen einbeziehen. Ich würde sogar sagen: Ein
Taxen-Linienverkehr muß geschaffen
und gegebenenfalls auch subventioniert werden.
Die Rechnung ist eigentlich ganz
einfach: Durch mehr Attraktivität erreicht man mehr Fahrgäste und selbstverständlich auch mehr Geld, das in
weiteren Fortschritt im ÖPNV investiert werden kann. Zwar bin ich der
Meinung, daß der ÖPNV gegenwärtig ohne Subventionen nicht auskommen kann, denke aber, daß er irgenwann in der Lage sein wird, kostendeckend zu fahren.
Fortsetzung nächste Seite
(schon wieder )Verkehr
R
echtzeitig noch zur Verkehrsdebatte im Herbst haben die Darmstädter
Grünen ihr 35-Seiten starkes Konzept
für eine Neuordnung des Verkehrs vorgelegt. Ingenieur Ullrich Ranly hat das
Konzept in einem Gespräch vorgestellt.
„Kein anderes Verkehrsmittel prägt
unsere Umgebung … so nachhaltig wie
das Kraftfahrzeug“, steht in der Einlei-
Fortsetzung Seite 7
„Sinnvolle Verbindung …
ZD: In Darmstadt ist man gegenwärtig pausenlos unterwegs, um sich
andernorts Verkehrskonzepte abzugucken: Verkehrsleitsystem in Köln,
und kürzlich war Eike Ebert in Zürich
und in Brescia.
WS: Also das Parkleitsystem, das
man hier einrichten will, ist hirnrissig! Dieses Geld sollte die Stadt besser der HEAG geben, die letztes Jahr
12 Millionen Verlust gemacht hat, damit sie ihren ÖPNV ausbauen kann.
Für diesen kleinen innerstädtischen
Bereich Darmstadt braucht man kein
Parkleitsystem, das im übrigen allenfalls in den vier verkaufsoffenen
Samstagen vor Weihnachten zum Zuge kommen könnte. Die Ortskundigen finden hier eh ihre Parkmöglichkeiten, und die Ortsunkundigen werden auch trotz Leitsystem Probleme
haben.
In Darmstadt müßte das genaue
Gegenteil gemacht werden: Nämlich
eine radikale Einschränkung des
Parkplatzangebotes, damit die Autos
vor der Stadt bleiben. Und wer falsch
parkt, muß sofort und konsequent abgeschleppt werden. Und in Zürich, da
war der Eike genau an der richtigen
Adresse! Dort - wie jetzt übrigens
auch in Offenbach - haben die Busse
und Straßenbahnen absolute Vorrangschaltungen. Und die haben dort 30
Prozent Zuwachs im ÖPNV. Da fahren jetzt sogar Generaldirektoren von
Banken (ZD: Wie schön das paßt!)
mit dem Bus, weil es schneller geht,
als mit dem Auto. So etwas brauchen
wir auch hier. Man kann dabei auch
ans Ruhrgebiet denken: Dort kann
man mit einem Fahrschein überall
hinfahren. Wichtig ist auch, daß die
Fahrgäste das Fahrzeug nicht so oft
wechseln müssen, keine langen Wartezeiten entstehen - also höhere Taktfrequenzen und das geht am besten
mit Bussen. Und ein Problem schiebe
ich noch nach, weil ich da pro domo
sprechen kann: Im Busgewerbe explodieren die Kosten, sowohl die Betriebs- wie auch die Personalkosten.
Im öffentlichen Bereich ist der Stundenlohn jetzt auf 18,70 DM angestiegen und da müssen die Privaten nachziehen, wenn sie überhaupt noch Fahrer kriegen wollen. Und im ÖPNV
rechnet man 2 bis 3 Fahrer pro Bus.
Auch dies sind Probleme, die im Zusammenhang mit einem umfassenden
ÖPNV-Konzept gelöst werden müssen. Und letztlich: Auch die Attraktivität des Berufes „Busfahrer“ muß erhöht werden. Die sind nämlich im
Prinzip „Hilfsarbeiter mit Führerschein“ - und allen Launen ausgesetzt, logisch, daß auch sie dann gelegentlich übellaunig reagieren. Deshalb muß man auch in Hessen, wo es
noch keine Richtlinien gibt, hin zur
Berufskraftfahrerausbildung. Es kann
zukünftig auch nicht angehen, daß ein
Busfahrer täglich mehr als 6 bis 7
Stunden unterwegs ist. Also: Es ist
genug zu tun - besonders auch hier in
unserer Region. Nur: es packt keiner
richtig an.
ZD: Wolfgang, schönen Dank für
das Gespräch! (der muß doch immer
das letzte Wort haben)
„40 Prozent weniger Autos !“ ?
Das Verkehrskonzept der Grünen
tung. Die Bevorzugung des Autos gegenüber anderen Verkehrsmitteln, hätte
sich ohne eine „Trennung unserer Orte
in verschiedene Lebensbereiche, wie
Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholen“, nicht so entwickeln können. Der
„massenhafte Autoverkehr, verbunden
mit Belastungen und negativen Folgen
für Naturhaushalt, Landschaft, Umwelt
und Lebensqualität“ und der vielen
„Menschenopfer“ macht es aus Sicht
der Grünen unbegreiflich, daß „die
Menschen heute durch den Autoverkehr belästigt werden dürfen und trotzdem die Freiheit aufrecht erhalten wird,
so viel und überall, das Auto zu benutzen“. Laut Verkehrskonzept sind seit
Kriegsende mehr als eine halbe Million
Menschen getötet und eine weitere Million durch Unfälle verletzt worden.
Verkehrsvermeidung
fordern deshalb die Grünen: „Verkehr muß auf wirklich notwendige
Wegstrecken reduziert werden“. Das
Zusammenlegen von Wohnen und Arbeit, von Versorgung, Bildung, Kultur
und Erholung muß planerisch berücksichtigt werden, denn dann sind Wege
zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen“. Daraus leiten die Grünen eine
grundsätzliche Forderung ab: „Alle
noch bebaubaren Flächen für das Wohnen statt - wie geplant - für zusätzliche
Gewerbeansiedlung vorzusehen“.
Weniger Autofahren
Öffentlicher Personennahverkehr,
Zu-Fuß-Gehen und Rad-Fahren soll
Vorrang erhalten vor dem Autoverkehr,
der „zu steuern und einzuschränken“
ist. Der Güterverkehr gehört auf die
Schiene. Um dieses Ziel zu erreichen,
sollen die Beförderungsmittel „miteinander verzahnt werden und sich gegenseitig ergänzen können“. Das ist aus
Sicht der Grünen nur möglich, wenn
Verkehrsentscheidungen „wesentlicher
Bestandteil des demokratischen Entscheidungsprozesses sind“. „Die BürgerInnen sind … in den Planungs-Phasen einzubeziehen und nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen.“
Oberste Priorität soll das Zu-FußGehen haben. Zu Lasten des Autoverkehrs fordern sie breitere Bürgersteige
und eine „gleichzeitige Beruhigung und
Verringerung des Autoverkehrs“. Die
Planer sollen übergeordnete Netze entwerfen, wie sie bereits für Autos selbstverständlich sind: Das Fußwegkonzept.
„Ein sternförmiges auf das Zentrum hin
ausgerichtetes Netz, das zusammenhängende Wege enthält“. Umfangreiche
Kontrollen sollen Kreuzungen und Bürgersteige freihalten, eine Temporeduzierung auf 30 km/h - auch auf Hauptstraßen - den Fußgängern mehr Sicherheit gewähren.
Mehr Fahrräder als Autos soll es
laut den Grünen in Darmstadt geben.
Deshalb unter anderem fordern sie, daß
der 1978 bereits entworfene Radwegeplan endlich umgesetzt wird. Ein wichtiger Punkt dabei ist ein Radwegenetz,
das sowohl unsicheren RadfahrerInnen
als auch Schnellen und Zielstrebigen
„bedürfnisgerechte Radverbindungen“
schafft. Auch hier wird wieder ein
Rückbau von Straßen gefordert, um
mehr und breitere Radwege auch aus
Gründen der Sicherheit der FahrerInnen
zu bieten. Freie Sicht an Kreuzungen
gehört ebenso dazu, wie die Änderung
der Straßenverkehrsordnung zum
Schutz von FußgängerInnen (vor RadlerInnen) und mehr Kontrollen, um
Falschparker von Radwegen zu entfernen. Gefährliche Kreuzungen sollen
entschärft werden. Einen wesentlichen
Punkt sehen die Grünen auch in der
Möglichkeit für RadfahrerInnen, darin,
die Räder in öffentlichen Verkehrsmitteln mitnehmen zu können. Bordsteinkanten sollen abgesenkt und alles in al-
lem ein „für das Radfahren freundlicheres Klima in Darmstadt erreicht werden“.
Drei neue Bahnhöfe
Die Busse aus dem Umland bewerten die Grünen sehr negativ: „Mit ihnen
können weder Arbeitsplätze in Gewerbegebieten noch eine ausreichende Verbindung mit den Heag-Linien aufgenommen werden. Die Busse verkehren
zu selten und unregelmäßig“. Vor allem
die Bundesbahn hat die Erhaltung wenig gepflegt, geschweige denn den Ausbau ihrer Beförderungswege: „Der Verkehr ist weitgehend auf den Hauptbahnhof orientiert, die anderen Bahnhöfe
veröden immer mehr“. Dem wollen die
Grünen entgegentreten mit einem Verkehrs- und Tarifverbund, mit einheitlichen Fahrpreisen und Fahrkarten und
gemeinsamen Haltestellen. Im einzelnen listen sie die Strecken auf, die
Darmstadt enger mit dem Umland verknüpfen sollen. Wesentlich dabei ist,
daß sie nicht nur die bestehenden Bahnhöfe wieder aufwerten, sondern darüber
hinaus drei neue Bahnhöfe an der Pallaswiesenstraße, in Kranichstein und an
der Lichtwiese fordern. Neben dem
Haupt- wollen sie den Nordbahnhof als
zweiten Knotenpunkt ausgebaut wissen, denn „der ist stadtnah”, erklärt Ullrich Ranly, „und könnte gleichzeitig eine Entlastung des Verkehrs durch die
vielen Arbeiter bei Merck bringen“.
Pfungstadt soll endlich auch in das Eisenbahnnetz einbezogen werden.
Die Forderung der Straßenbahnlinien nach Kranichstein und Weiterstadt
stehen wie schon so lange vergebens
gefordert, auch diesmal wieder in Konzept. Ranly wendet sich dagegen, daß
„ein Gutachten nach dem anderen angefordert wird, ohne daß etwas passiert“.
Seiner Meinung nach sind die Probleme
und ihre Lösungsmöglichkeiten längst
ausreichend bekannt: „ Dazu braucht
man kein Gutachten mehr, um zu wissen, daß die Linien fehlen“.
Und was ist mit den Autos?
Die eine Hälfte der DarmstädterInnen fährt die 77.000 zugelassenen Autos, die andere Hälfte „ist aus altersoder körperlichen Gründen nicht dazu
in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Da Darmstadt „seit 1988 die höchsten Unfallzahlen aller bundesdeutschen Großstädte hat, … die Wohngebiete stark beeinträchtigt sind
(gefährlich, abgasbelastet und laut geworden), und ohne massives Gegensteuern diese Situation sich in den nächsten Jahren erheblich verschlechtern
wird“, fordern sie, „muß der motorisierte Individualverkehr generell zurückgedrängt werden“. Restriktionen für das
Auto sind erforderlich, „da eine Politik,
die nur anbietet, nichts erreicht“, erklärt
Ranly und setzt die Zielvorstellung an:
„Der Autoverkehr muß um 25 Prozent
reduziert werden“.
Dazu gehört vor allem und als Sofortmaßnahme die Parkraumbewirtschaftung. Das „Überangebot an Parkraum“ hat nach der Analyse der Grünen die vielen Autos erst in die Stadt
gezogen. Deshalb fordern sie eine gezielte Parkraumbewirtschaftung. Vorrang soll vor allem das Anwohnerparken haben. In der zweiten Präferenz
kommen Kurzzeitparkplätze, denn
„Pendler können auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen“. Kostenpflichtige Parkplätze, die den Autopendlern
das Fahren erheblich verteuern, ist die
dritte direkte Maßnahme, die sie vorschlagen. Und anstelle innerstädtischer
Parkplätze fordern sie, daß Park-andRide-Plätze über die Ablösesummen,
aus der Stellplatzverordnung eingenommen, finanziert werden“. Als Empfehlung möchten sie verstanden wissen,
daß Firmen nur erforderliche Parkplätze
einrichten und „wer keinen Parkplatz
bekommt, denn Parkplätze kosten Geld,
38 . Kalenderwoche - Seite 8
soll statt dessen Zuschüsse zu öffentlichen Verkehrsmitteln erhalten“.
Auch der Umweltschutz steht dringend im Programm: Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in der
ganzen Stadt wird nicht nur aus Gründen der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erwogen, sondern auch weil
sich der Autoverkehr dadurch um ca. 15
Prozent reduzieren läßt. Die Grünen berufen sich auf eine noch nicht veröffentlichte Untersuchung des Umweltbundesamtes, das noch weit darüber hinaus
geht, wenn gleichermaßen Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und öffentlicher Nahverkehr gefördert werden, dann prophezeien die Gutachter sogar 40 Prozent
Rückgang des Autoverkehrs. Die Tempobegrenzung vermindert den Lärm auf
ein Drittel, gleichzeitig auch den Benzinverbrauch.
Speziell für LKWs fordern sie
Nachfahrverbote, wie sie heute bereits
in anderen europäischen Ländern
Selbstverständlichkeit sind. Anstelle
weiterer Umgehungsstraßen - NordOst-Umgehung und West-Tangente fordern sie sogenannte Pförtnerampeln,
an denen Autos so lange warten müssen, bis die innerstädtischen Straßen
frei von Staus sind. Ranly meint dazu:„Wenn einer mal 20 Minuten gewartet hat oder noch länger und der Bus
fährt an ihm vorbei, dann überlegt er
sich das nächste Mal zweimal, ob er
wieder mit dem Auto fährt“. Der Umgehung Arheilgens stimmen die Grünen
unter Bedingungen zu, weil der Ortsplan zu sehr belastet ist.
Das Konzept ist sehr gründlich ausgearbeitet und wir haben lediglich Ausschnitte und Schwerpunkte darstellen
können. InteressentInnen geben die
Grünen sicher gerne weitere Auskünfte.
Giftgas-Transporte:
Fragen bleiben offen
Zu den Giftgas-Transporten hat die Fraktion der Grünen folgende Presseerklärung abgegeben:
Die Stadtverordnetenfraktion der Grünen sieht sich durch die Rahmenbedingungen der ersten durch Darmstädter Stadtgebiet geführten Giftgas-Transporte „in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt“: trotz eines martialisch
wirkenden Aufgebots an militärischem und polizeilichem Begleitpersonal seien entgegen vorheriger Ankündigung „elementarste Sicherheits-Erfordernisse
außer acht gelassen“ worden. So habe es weder für den militärischen noch den
zivilen Teil des Rhein-Main-Flughafens für die Zeit des Transports durch Südhessen ein Flugverbot gegeben. Ebensowenig habe - obwohl zuvor zugesichert
- der gesamte sonstige Zugverkehr auch in Gegenrichtung für die Zeit der
Durchfahrt geruht: „Laut Presse- und Augenzeugen-Berichten ist es zumindest
in Darmstadt zu Begegnungen mit einem Passagier- und einem Güterzug gekommen.“
Statt nächstliegende Gefahrenquellen auszuschließen, beschränkten sich
die amerikanischen und bundesdeutschen Behörden auf eine „spektakuläre Sicherheits-Show entlang der Wegstrecke“, die aus sich heraus mehr Gefährdungen produziere als sie ausräume: so stellten beispielsweise die den Zug ständig
umschwirrenden Hubschrauber eher ein zusätzliches Sicherheitsrisiko dar.
Die Darmstädter grüne Stadtverordnetenfraktion fordert die Landesregierung auf, für die Durchfahrts-Dauer der noch ausstehenden Transporte unverzüglich ein Flugverbot für den Rhein-Main-Flughafen und die Air-Base durchzusetzen. Sie appelliert zugleich an die „dem gesamten Vorgang unverändert
gleichgültig bis fatalistisch gegenüberstehende Stadt Darmstadt“, sich ebenfalls
in diesem Sinne zu verwenden.
Soweit die Presseerklärung der Grünen.
Der der Stadt Darmstadt zugeschriebene Fatalismus geht freilich weit über
sie hinaus, hat sich doch für die Dauer der Gifttransporte ähnliches gezeigt, wie
es sich auch beim nervenkitzelnden Besuch von Geisterbahnen oder „Fantasia“-Ländern beobachten läßt: Entlang der Eisenbahnstrecken und besonders
an Bahnübergängen versammeln sich ganze Menschentrauben, die dann später
das stolze Gefühl des Dabeigewesenseins weitervermitteln können. Und
Bahnübergänge sichernde Polizisten weisen derweil junge und jüngste MitbürgerInnen ein in die Geheimnisse des Polizeifunks und des Blaulichts, statt die
staunende Meute schnurstracks wieder heimzuschicken.
Und einem Skandal kommt es gleich, wenn sich Politiker in bagatellisierender Absicht nicht entblöden, auf diesen Giftzügen unter gläsernen Kuppeln mitzufahren (medizinisches Notgepäck selbstverständlich in der Westentasche!),
als wären sie bei „Wetten daß“. Man muß dies deutlich als Degenerationserscheinungen qualifizieren, denn wer auf solch fahrlässige Weise zusätzliche
Heldenpunkte bei Wahlen erzielen möchte, ist nachgerade amoralisch kontaminiert.
Weitere Fragen müssen gestellt werden. Wie ist das Zeug überhaupt dorthin
gekommen, von wo es nun wieder abgeholt und durch deutsche Lande transportiert wird? Via USA oder gar hier bei uns produziert? Wenn irgendwo in der
Welt giftige Gase auf Menschen losgelassen werden - „Made in Germany“, unser gutes Qualitätskennzeichen, ist stets dabei. Und: Ist das nun wirklich alles,
was von Deutschland aus seinen Weg zur Endlagerung im Pazifik nimmt? Oder
liegt andernorts doch noch weiteres Tötungsmaterial herum? Im Fischbachtal
vielleicht? Davon jedenfalls hört man.
Soll man frohlocken, daß sich jetzt wenigstens der Abtransport dieser Giftgase vor den Augen der Öffentlichkeit vollzieht?
(rai)
Jörns Seite - dürfen Sie aber auch lesen
38 . Kalenderwoche - Seite 9
„…daß sie halt ihre Ruhe hat.“
Juristen verurteilen Kindesmißbrauch: Vier Jahre Haft
Was am 3.9. und 6.9. vor der Jugendschutzkammer des Darmstädter
Landgerichts verhandelt wurde,
„sprengt den Rahmen“ dessen, was
diese Kammer in vielen ähnlich gelagerten Fällen verfolgt hat - das ist die
Meinung von Staatsanwalt Walter
Müller. Allerdings dürfte das weniger
an dem Vergehen liegen, als vielmehr
an dem Umstand, daß solche Fälle bei
15-facher Dunkelziffer überhaupt nur
selten vor Gericht kommen (siehe Bericht auf dieser Seite): Es geht um den
sexuellen
Mißbrauch
von
Kindern.Die Juristen haben den Stifevater und die Mutter verurteilt.
Auf der Anklagebank sitzen der
Stiefvater und die leibliche Mutter:
Beide sind des sexuellen Mißbrauchs
angeklagt. Eine Kette von Straftatbeständen füllt die Anklageschrift, darin
enthalten sind: sexueller Mißbrauch
von Schutzbefohlenen, Beischlaf
zwischen Verwandten und Förderung
sexueller Handlungen Minderjähriger.
Was die Juristen unter trockene
Paragrahen fassen, in juristischen
Strafrahmen mit unterschiedlichen
Straftatsbeständen einordnen, ist für
die beiden Kinder des Elternpaares
ein Leidensweg gewesen, der -im Falle der Tochter- mindestens vier Jahre
gedauert hat. Vermutlich eher länger ist dem Prozeßverlauf zu entnehmen.
Die beiden in der DDR geborenen
Kinder werden 1980 von dem Angeklagten nach seiner Heirat mit deren
Mutter in die Bundesrepublik geholt.
Der selbst aus der DDR stammende
Stiefvater hat sich hier eine gesicherte
Existenz als Programmierer aufgebaut.
Im Laufe des Prozesses wird klar,
unter welchen Bedingungen die Familie von ihm beherrscht wurde. Vor
seinen unberechenbaren Launen, die
nicht selten in Schläge ausarteten, die
sowohl Kinder als auch Mutter trafen,
herrschte solche Furcht, daß alles getan wurde, um ihn zu beruhigen. Das
führte schließlich so weit, daß der
Tochter - wahrscheinlich noch vor
ihrem 14. Lebensjahr - aufgetragen
wurde, zu ihm zu gehen, wann er es
wollte, gar von ihrer Mutter geschickt, mit ihm zu schlafen.
Über Jahre hinweg -das Gericht
bringt es auf über 90 konkrete Fällemußte die heute 20-jährige auf diese
Weise den Haussegen wieder geraderücken. Dafür zeigte er sich auch
erkenntlich, bevorzugte sie, machte
ihr Geschenke. Wie der psychiatrische Gutachter, der Psychologe HansJürgen Michalowitz erklärt, hatte das
Mädchen die Rolle der Liebhaberin
zu führen.
Ein Punkt, den der Verteidiger des
Angeklagten auch prompt herausgreift und darauf eine „Verteidigung
unter der Gürtellinie“ aufbaut, wie
sich Staatsanwalt Müller empört. Der
theatralische Vortrag von Rechtsanwalt Konrad Becker, der damit proargumentiert, der Angeklagte sei „voll
heißen Verlangens“ gewesen und hätte „von der Stieftochter nicht lassen“
können, war für die Opfer entwürdigend. Eine Zuschauerin verließ
während des Plädoyers aufgebracht
den Saal- während die Stieftochter
auf der Zuschauerbank saß und
zuhörte.
Der heute 18-jährige Sohn wurde
in der Nacht nach seinem 15. Geburtstag in die sexuellen Handlungen
mit einbezogen. Nach einer längeren
Feier außer Hauses brachte ihn der
angetrunkene Stiefvater, der sich nach
eigenen Aussagen auch unter Alkohol
noch im Griff habe, dazu, mit der
Wieder einmal in der Diskussion: Das Herrngarten-Cafe - so sah es vor dem Krieg aus - manche wollen es
wieder so haben (z.B.:Dr. Sissy Geiger, CDU, Kunsthistorikerin)
(as)
Mutter zu schlafen, wovon der Vater
Fotos schoß. In der gleichen Nacht
mußte der Junge den Akt noch ein
zweites Mal ertragen.
Am darauffolgenden Tag, als ein
Freund ihn abholen wollte, blockten
die Eltern den Besuch ab mit der Begründung, er habe noch etwas wichtiges vor. Ein weiteres Mal mußte der
Junge mit seiner Mutter schlafen.
Dem Richter, der die Rolle der Mutter
bei diesen Geschehnissen ergründen
will, erklärt der Junge: „Sie hatte nur
ihren Körper zur Verfügung gestellt.“
Es ist nur noch Verachtung, die er
für seine Mutter übrig hat. Daß sie
seine Schwester mehrmals zum Stiefvater geschickt habe, sei nicht aus
dem Grund geschehen, „daß das Familienklima wieder gut ist, sondern,
daß sie halt ihre Ruhe hat.“
Weder ihm noch seiner Schwester
konnte eine Zeugenaussage vor Gericht erspart werden, da die Aussagen
der Eltern zu ungenügend waren, als
daß sich das Gericht darauf hätte stützen können. Während seiner Befragung wirkte er sachlich und cool, wie
ihm der Vorsitzende Richter Michael
Baumgart bescheinigte. Doch die
Hülle brach zusammen, als er vom
Über Inzest wird nur ungern diskutiert
Das Hilfsangebot des Kinderschutzbundes
(joh.) Kindesmißbrauch - ohnehin
noch immer ein Tabuthema, das in der Öffentlichkeit allenfalls entrüstet diskutiert
wird, wenn ein akuter Fall publik wurde ist leider weiter verbreitet als vielfach angenommen. Nur in seltenen Fällen kommt
es zu einer Anzeige, und die Schätzungen,
wie viele Kinder tatsächlich sexuell
mißbraucht werden, schwanken erheblich. Eine Broschüre des Deutschen Kinderschutzbundes, die sich speziell mit
diesem Thema befaßt, nennt für das Jahr
1984 über 10.000 Anzeigen aufgrund des
§176 des Strafgesetzbuches (Sexueller
Mißbrauch von Kindern). Die Dunkelziffer aber wird bis zu 15 mal höher eingeschätzt.
Entscheidend für die große Zahl von
Fällen, die nie oder erst sehr viel später
bekannt werden, sind nicht nur Angst und
Scham, sondern ist auch der Tatort. Die
verbreitete Vorstellung des fremden Mannes, der das Kind mit einer Tüte Bonbons
vom Spielplatz weglockt, sind allenfalls
die Ausnahme. Tatsache ist, daß sexuelle
Mißhandlung von Kindern in der Regel
dort stattfindet, wo diese sich am sichersten wähnen: in der eigenen Familie oder
deren engstem Umfeld.
Seien es der Freund der Familie, der
Onkel oder der Großvater, die regelmäßig
zu Besuch kommen und nicht nur bei den
Kindern Vertrauen genießen, sondern
auch bei deren Eltern - oder gar die Eltern
selbst, der Vater, der Stiefvater oder der ältere Bruder (30-50% der Täter sind die
leiblichen Väter). Die Opfer, nach einer
Studie des Bundeskriminalamtes meist
Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren, sind nicht in der Lage, sich gegen die
Täter zu wehren. Hinzu kommt noch der
Druck des Redeverbotes unter Drohung,
das dem Kind vom Täter auferlegt wird
und es unerträglich belastet.
Die sexuelle Ausbeutung von Kindern beschränkt sich meist auch nicht auf
eine einmalige Handlung. In der Regel
werden die Kinder über Wochen, Monate
oder Jahre hinweg benutzt, um den Täter
zu befriedigen. Sie werden mit dieser
gräßlichen Erfahrung älter und erleben sie
als Gewohnheit. Auch für die Mütter, die
irgendwann vielleicht davon erfahren, ist
die Situation von eigener Problematik.
Gerade bei der Ausnutzung von Kindern
durch den Vater, Stiefvater oder den
Freund der Mutter, steht sie zunächst vor
dem Konflikt, daß der Partner, den sie sich
ausgesucht hat, zu so etwas fähig ist.
Nicht selten ist die Reaktion dann Angst,
den Partner zu verlieren. Um so mehr, als
sie in existentieller Abhängigkeit zu ihm
steht.
Das kann zur Unfähigkeit der Mutter
führen, einzugreifen. Nach einer Studie
des Deutschen Kinderschutzbundes haben die meisten Familien, in denen sexueller Mißbrauch vorkommt, eine Art „Festungsstruktur“, in der interner Druck
schon soweit vorherrscht, daß eine Öffnung nach außen gar nicht möglich ist.
Nicht nur Mädchen sind betroffen: etwa ein Viertel der Inzest-Opfer sind Jungen. Die psychischen Spätfolgen, die Kinder davontragen, sind meist drastisch und
können sich in vielfacher Weise äußern.
Schwierigkeiten in Partnerbeziehungen,
sexuelle Probleme, Ablehnung des eigenen Körpers, zerstörtes Selbstbewußtsein,
Unfähigkeit zu vertrauen, traumatische
Zustände, aber auch Schuldkomplexe,
Angst vor Männern oder Haß auf diese
zeigen sich.
Inzest ist ein hochkomplexes Thema.
Das liegt nicht nur an der Beziehung zwischen Täter und Opfer, sondern auch an
der Nicht-Bereitschaft der Öffentlichkeit,
das Thema in das Bewußtsein zu heben.
„Während Alkoholiker (Täter und Opfer
zugleich) im Vergleich heutzutage kaum
noch Schwierigkeiten haben“ aus der
Sicht des Kinderschutzbundes, „Anlaufstellen für ihr Problem zu finden“, ist es
nicht nur für sexuell mißbrauchte Kinder,
Mädchen, Jungen und Frauen schwer,
Hilfen zu finden, sondern auch für die Täter, die sich über ihre Handlungen bewußt
werden wollen und einen Ausweg suchen.
Hinsichtlich der Problemlösung aller
Umstände des sexuellen Mißbrauchs von
Kindern führt ein Dazulernen seit einigen
Jahren zur Entwicklung neuer Konzeptio-
nen. Gerda Eggerts-Herrlich vom Kinderschutzbund Darmstadt: „Das Verhalten,
Kinder zu mißbrauchen wird von Experten neuerdings als Suchtverhalten angesehen und erfordert spezifische Therapieansätze, die erst in den Anfängen
stecken“. Dazu gehören auch Therapiemöglichkeiten für die Täter. Das heißt
nicht, daß das Täter-Opfer-Verhältnis zugunsten der Täter verschoben werden soll.
Doch ist das Problem nicht in den Griff zu
bekommen durch Ausstoßen und Bestrafen der Täter. Gesellschaftliche Verurteilung ohne gleichzeitiges Hilfsangebot
führt vielmehr zu einer noch stärkeren
Abschottung vor der Öffentlichkeit und
mindert gleichzeitig Hilfen für die Opfer.
Der Kinderschutzbund versucht, für
Kinder, Mütter oder andere, die von einem Fall erfahren haben, Lösungswege zu
finden. Vor allen Dingen mit den Kindern
selbst sollen Schritte geplant werden, wie
sie aus der Situation herauskommen können, ohne Nachteile zu erfahren. Ihnen
kann nur geholfen werden, wenn nicht gegen ihre Interessen gehandelt wird.
Deswegen hält der Kinderschutzbund
auch eine Anzeige nicht in jedem Fall für
sinnvoll, wenn der Täter aus dem engen
Familienkreis kommt. Vielfach haben
Kinder Angst vor den Konsequenzen, die
eine gerichtliche Verfolgung nach sich
zieht. Allein die Aussagen vor Gericht
sind eine hohe Belastung. Aber auch die
soziale Stigmatisierung und die Verschlechterung des Lebensstandards bei einer Haftstrafe fallen auf das Opfer und
seine Familie zurück. Deshalb muß genau
abgewogen werden, wie dem Kind zu helfen ist.
„Vorrangig bei allen Hilfen muß der
Schutz der betroffenen Kinder sein“, betont Maria Peiffer, ebenfalls Mitarbeiterin
beim Kinderschutzbund Darmstadt. „Erst
dann kann mit der Familie und eventuell
mit dem Täter gearbeitet werden. Dieser
Ansatz wird jedoch erschwert durch das
Fehlen von speziellen Unterkünften, wie
zum Beispiel betreuten Wohngruppen, in
denen die betroffenen Kinder kurzfristig
untergebracht werden können. Eine Bera-
tung mit der ganzen Familie kann nicht erfolgen, wenn Täter und Opfer unter einem
Dach leben.“
Verstärkt setzt sich seit ein paar Jahren auch die Justiz mit dem Thema auseinander. In den USA und in England wird
Kindern der qualvolle Auftritt vor Gericht
erspart, indem das ohnehin schon vorausgehende polizeiliche Protokoll auf Video
aufgezeichnet und vor Gericht verwandt
wird. Aber auch im Umgang mit den Tätern ist das Ausland wesentlich weiter. In
den USA zum Beispiel haben Täter, die
juristisch belangt wurden, die Wahl zwischen Knast und Therapie, wobei die
Haftstrafe erst nach erfolgreicher Therapie erlassen wird, quasi einer Aussetzung
auf Bewährung gleich kommt.
Ist die Situation eines Kindes einmal
erkannt und wird versucht, ihm zu helfen,
kann das leicht ins Gegenteil umschlagen.
Die erste verständliche Reaktion ist meist
Entsetzen, Wut und Verurteilung des Täters. Doch gerade bei kleineren Kindern
kann dies zu verwirrenden Konflikten
führen. Wichtig in einer solchen Situation
ist vor allen Dingen die Bereitschaft zum
Zuhören, aber auch die Absicht, das Kind
nicht zu Aussagen drängen zu wollen.
Für Eltern oder andere Personen, die
erfahren haben, daß das Kind sexuell
mißbraucht wird, ist in den Räumen des
Kinderschutzbundes ein Informationsheft
erhältlich, das einfühlsam Möglichkeiten
der Hilfestellung aufführt. Die verständliche Wut und eigene Hilflosigkeit kann die
Situation des Kindes leicht noch verschlimmern.
Für Frauen, die als Kind nicht die
Möglichkeit hatten, Hilfe zu bekommen
und jahrelang unter der psychischen Belastung leiden, bietet sich auch die Beratungsstelle Wildwasser an, die ursprünglich von selbst betroffenen Frauen gegründet wurde und durch Gespräche und
Selbsthilfegruppen Probleme bewältigen
helfen will. Der entscheidende Unterschied allerdings zum Hilfskonzept des
Deutschen Kinderschutzbund ist verständlich: Täter kommen zu ihnen nicht
ins Haus.
Verteidiger der Angeklagten, Helmuth Gölzenleuchter, scharf angegangen wurde. Durch den Versuch,
die Glaubwürdigkeit des Jungen
grundsätzlich in Zweifel zu ziehen,
bemühte sich der Anwalt, den Jungen
zu verunsichern. Vor der Tür, nachdem das Verhör beendet war, erlitt der
Junge einen Nervenzusammenbruch
und wurde ärztlich versorgt.
Die kühle Art, mit der der Junge,
der heute bei Pflegeeltern lebt, vor
Gericht aussagt, ist Selbstschutz. „Ich
fress halt viel in mich rein“, erzählt er.
Tagsüber, wenn er abgelenkt sei,
kommen ihm die Gedanken an das,
was er erlebt hat, nicht, aber „wenn
man Abends im Bett liegt und kann
nicht einschlafen, dann denkt man
halt schon daran.“
Seine Schwester hat vom äußeren
Eindruck her stärker damit zu kämpfen. Sie lebt heute mit ihrem Mann,
der sich sehr um sie bemüht. Sie, die,
im Gegensatz zu ihren Bruder den
Prozeß gegen ihre Eltern an beiden
Verhandlungstagen verfolgte, obwohl
sie nur am ersten hätte anwesend sein
müssen, leidet sichtlich. Trotzdem
steht sie bis zum Urteil durch, und es
entsteht Eindruck, daß sie dadurch ein
Kapitel abschließen möchte. Vielleicht hat sie jetzt die Möglichkeit, die
Geschehnisse besser zu bewältigen.
Das Urteil setzt vier Jahre Haft für
den Stiefvater, die Mutter erhält eine
Bewährungsstrafe von einem Jahr
und acht Monaten auferlegt. Für den
Stiefvater spräche, so Richter Michael Baumgart, daß er überwiegend geständig war und sich bereits einer
Therapie unterzogen habe. Doch „der
seelische Schaden, den er bei der
Tochter verursacht hat, ist unübersehbar.“
Die Bewährungsstrafe der Mutter
wurde unter dem Gesichtspunkt ausgesprochen, daß sie noch eine elf Monate alte Tochter zu versorgen habe.
Eine weitere 11-jährige Tochter, die
die Angeklagten zusammen haben,
mußte auf Weisung des Jugendamtes
schon nach Ermittlungsbeginn in ein
Internat und darf die Eltern nur am
Wochenende besuchen.
Den Angeklagten wirft Baumgart
darüber hinaus vor, den Kindern nicht
erspart zu haben, vor Gericht aussagen zu müssen.
Jörn Johansen
Adressen, die Hilfe anbieten:
• Deutscher Kinderschutzbund
Darmstadt, Grafenstraße 25, Tel.:
21066, 21067
• Wildwasser Darmstadt, Ernst-Ludwig-Straße 9, Tel.: 28871
• Pro Familia Darmstadt, LandgrafGeorg-Straße 120, Tel.: 43264
Umwelt
38. Kalenderwoche - Seite 10
„Soll ich etwa auf
den Luisenplatz
machen?“
Forever young
Für Berufsschullehrer-Studenten an der Technischen Hochschule hat
die Wella eine Dozentur und eine Stelle für einen wissenschaftlichen
Mitarbeiter für die Dauer von sechs Jahren gestiftet. In „Mode, Kunstund Stilgeschichte/Ästhetik“ sollen die Studenten Bildungsmöglichkeiten
über die Chemie als Grundlage des Studiums hinaus ab Wintersemester
1991 erhalten. Die Dozentur wurde vor geladenem Publikum in einer
kleinen Feier unterzeichnet.
„Körperpflege gibt es, seit es
Menschen gibt“, erklärt Karl-Heinz
Krutzki, Vorstandsvorsitzender der
Wella AG. „Schon die Ägypterinnen
kannten Makeup und Lidschatten, um
ihre Schönheit zu vergrößern. Und der
römische Dichter Ovid soll gesagt
haben: „Der Pflege bedarf auch die
Schönste“. Nach dem geschichtlichen
Abriß kommt Krutzki auf das Heute zu
sprechen:„Nur sieben Prozent der
Bevölkerung stehen der Körperpflege
heute reserviert gegenüber“. Körperpflege wird von ihm offensichtlich
gleichgesetzt mit dem, was pro Kopf für
Kosmetika ausgegeben wird. In der
Bundesrepublik, erklärt Krutzki, „werden 186.- DM für Pflegemittel ausgegeben“, noch nicht ganz das, was sich die
Wella wünscht, denn es gibt Länder, in
denen dieser Betrag auf 240 DM angelangt ist.Da „die Haut das größte Organ
ist und die Umwelt mit dem Körper in
ein harmonisches Verhältnis bringt“, besitzt die Körperpflege in den Augen
Krutzkis einen außerordentlich hohen
Rang:„Man steht dem Leben positiv gegenüber. Das Jung-Sein ist Bedürfnis,
und ohne Zweifel trägt die Körperpflege
dazu bei, sich länger wie ein noch
Jüngerer zu fühlen und –jung zu sein.“
Darmstädter Bürgerin wird
kurzfristig Arbeitgeber
einer Weiterentwicklung exakt umreißt.
Die Industrie soll die Produktion von
FCKW´s freiwillig eingestellt haben
Die Frage der gesundheitlichen
Unbedenklichkeit hat auch Dr. Jochen
Spengler, Leiter der biologischen
Kontrolle der Wella AG, zum Thema gewählt. „Die Natur ist gesund und die
Chemie ist schädlich“, erklärt er,„das
kann ich hier ja sagen, dies ist für einen
gestandenen Naturwissenschaftler barer
Unsinn“. Dennoch die Frage der
Umweltverträglichkeit schneidet auch er
an: „Die Produkte müssen umweltverträglich sein. Alle Ebenen der
Gesellschaft müssen nach dem
Kenntnisstand für den Schutz der
Umwelt eintreten, für die Zukunft“. Er
lobt die freiwillige Bereitschaft der
Industrie, auf umweltschädliche Produkte zu verzichten:„Die Kenntnis der
Ozonwirkung von FCKW's hat dazu geführt, daß die Industrie die Produktion
eingestellt hat“. (Siehe auch Bericht auf
dieser Seite: Greenpeace).
Bundesminister Klaus Töpfer weigert sich immer noch, die Produktion von FCKW zu verbieten
Freiwillig soll die Industrie nach Vorstellung von Bundesumweltminister Töpfer
auf die Herstellung des Ozonkillers FCKW verzichten. Greenpeace prangert an,
daß es nicht funktioniert und bringt die verantwortlichen Herren vor die Augen
der Öffentlichkeit. Zur Zeit befassen sich die Juristen mit dem Thema. Über dem
Kopf des Hoechster Vorstandvorsitzenden mußte Greenpeace einen ZensurAufkleber anbringen.
(red.)
Greenpeace streitet mit ChemieIndustriellen und der Presse
Im Juni und Juli zierte obiges Plakat
der Umweltschutzorganisation Greenpeace die Öffentlichkeit. Der schlecht
lesbare Text lautet: „Absolute Spitze
bei Ozonzerstörung und Treibhauseffekt: Verantwortlich für die deutsche
Produktion des Ozon- und KlimaDurch Kosmetika weg vom grauen
killers FCKW“, schrieb die UmweltAlltag des Sozialismus?
„Um die Umweltverträglichkeit, die schutzorganisation unter die im
Kumulation von Chemikalien in den Großformat abgebildeten Konterfeis
Organismen nachzuweisen, macht uns der Industriellen.
„Der Wunsch, originell und individuder Gesetzgeber die Auflage, über
ell zu sein “
Tierversuche die Unschädlichkeit nachAber nicht nur das Jung-Sein, auch die szuweisen“. Spengler sieht „die
Leistungsbereitschaft und Leistungs- Erwartung des Verbrauchers, weit über
willigkeit stehen laut Krutzki in einem die Wirkung der Kosmetika hinausgeeindeutigen Zusammenhang: „Wer sich hen. Kosmetika unterstützen den Drang
pflegt, leistet mehr“. Außerdem: „Man nach Individualität aus der grauen
kann sich freier entfalten, selbst verwirk- Alltäglichkeit der zur Zeit aktuellen
lichen - es scheint was dran zu sein an Situation in der DDR, des Sozialisdieser Körperpflege.“
musses“.
Die Notwendigkeit der Forschung
Berufschullehrer-Studenten: Wir
sieht er so: „Wenn man auf Werbeplakate
sind „Allround-Dilettanten“
in Kaufhäusern schaut, dann gibt es ja
schon alles. Wozu brauchen wir dann
Der Ausbildungsschwerpunkt der
weitere Forschung? Die Wella muß sich Berufschullehrer-Studenten liegt auf der
den
Anforderungen
aus
dem Chemie. Daran üben die Studenten
Verbraucherkreis stellen: Dem Wunsch, Kritik, denn „es wandern viele Studenten
originell und individuell zu sein“. Und wegen dieser Anforderungen ab, und uns
die Sicherheit spielt eine Rolle: „Ist das fehlt die Ausbildung in Kunst- und
noch der neueste Erkenntnisstand? Denn Modebegriff“, beschreibt der angehende
Umweltaspekte spielen heute eine ent- Berufsschullehrer für Friseure, Dirk
scheidende Rolle“. Krutzki schließt Ruber.
seine Rede mit der programmatischen
Da sie keinen eigenen Fachbereich
Erklärung: „In Zukunft wollen wir haben, sind sie den ErziehungsHochschullehrer noch fähiger machen, Wissenschaften zwar zugeordnet, ihre
als sie ohnehin schon sind.“
Lehrinhalte bestimmt jedoch weitgehen
Sein Vorredner, Professor Dr. Helmut de der zweite Fachbereich Chemie. DesBöhme der Präsident der TH Darmstadt,
halb sehen sie sich
sprach der Wella AG seinen Dank aus s c h l e c h t
dafür, daß die Zusammenarbeit zum
betreut,
einen ein
„wir
„gelunsitzen
gleichsam
z w i schen
d e n
Stühlen“, und
bezeichnen
sich selbst
als
„Allround-Dilettanten“.
g e n e s Ihre Kritik - im Dezember 1988 in einem
Beispiel der Kooperation zwischen Brief an TH Präsidenten Böhme und an
Hochschule und Industrie darstellt“, vor den Kultusminister geäußert -, forderte
allem vor dem Hintergrund, daß die TH die Inhalte der Studienordnung ein,„daß
„von ministerieller Seite aus stiefmütter- die Kenntnisse der Farbenlehre, Mode,
Ästethik und Gestaltungslehre… gestallich behandelt wird.
terisch umzusetzen sind“. Bislang war
„Hautrötungen, Pickel und Pusteln“ für diesen Part der Ausbildung ein
von Kosmetika
Lehrauftrag vergeben worden, den ein
Der Schweizer Gastredner, Dr. Rudolf Mitarbeiter der Wella mit Inhalt füllen
Röthlisberger, tätig in der biochemi- sollte. Die Referentin für Lehr- und
schen Forschung, befasst sich mit Studienangelegenheiten, Frau Elisabeth
Zelltheorie und zeigt, weshalb die Sundermann, kommentiert das EngageNotwendigkeit einer Forschung aus heu- ment:„Die Wella hilft mit der
tigen
Lücken
besteht.
Die Stiftungsdozentur einen wesentlichen
Unverträglichkeit der Haut mit den Bereich abdecken“.
Kosmetika, die offensichtlich immer
An vier Universitäten werden
wieder auftritt, führt er darauf zurück,
daß von den fünf verschiedenen Berufschullehrer heute in der BundesZellarten, aus denen die Haut aufgebaut republik ausgebildet gerade in Essen und
ist, lediglich drei bisher erforscht sind. Hamburg mit noch mehr SchwerDie Wirksamkeit der Cremes und ihre punktlage in Sachen Chemie. In dem
Unverträglichkeit,
die
sich
in Studiengang Körperpflege, Kosmetik„Hautrötungen, Pickeln und Pusteln nie- chemie lernen zur Zeit 50 Berufschulderschlägt“, ist Gegenstand der lehrer-Studenten.
Michael Grimm
Forschung, womit er die Notwendigkeit
Greenpeace: Verantwortlich ist
Töpfer - Wo bleibt das FCKW
Produktionsverbot?
Letztlich
verantwortlich
laut
Greenpeace: „Bundesumweltminister
Klaus Töpfer weigert sich noch immer,
die Produktion von FCKW zu verbieten“. Am 15.8.1990 hatte Töpfer bekannt gegeben, die zunehmende
Ozonbelastung dadurch bekämpfen zu
wollen, daß er die Verursachung durch
Mal erlauben die Juristen die Eindämmung (Verordnung zur
Begrenzung von halogenierten KohVeröffentlichung lenwasserstoffen) reduzieren wolle.
mal verbieten sie es - die endgültige
Von einem Produktionsverbot war aus
Entscheidung steht noch aus. Selbstdem Bonner Ministerium bislang
verständlich war den Industriellen, die
nichts zu hören.
Publikation Ihrer Fotos nicht genehm
und sie suchten Schutz bei den Recht auf das eigene Bild oder
Juristen. Während die ersten
Personen der Zeitgeschichte ?
Instanzen, sowohl in Hannover als
Die Nennung von Namen und die
auch in Frankfurt zugunsten von
Greenpeace entschieden, meint die Ablichtung von Personen wird von der
zweite Instanz, die dritte Zivilkammer Justiz dann von dem „Recht auf das eides Landgerichtes Frankfurt, das Bild gene Bild“ aufgehoben, wenn es sich
von dem Höchster Vorstands- um Personen der Zeitgeschichte oder
vorsitzenden darf nicht veröffentlicht Träger öffentlicher Ämter handelt. Die
werden. Greenpeace überklebte dar- Frage, ob Industrielle Personen der
aufhin die Plakate und schrieb über Zeitgeschichte sind, dürfte letztlich
den Kopf von Hilger: „Zensiert: Bild von grundlegender Entscheidung für
und Name des Vorstandsvorsitzenden nicht nur diesen Prozeß sein. Auf die
dürfen nicht gezeigt werden“. Das Vergangenheit bezogen, ist es proFrankfurter Gericht entschied zu gun- blemlos möglich, bestimmte Großsten eines Antrages auf Einstweilige industrielle als Personen der
Anordnung von Hoechst Vorstands- Zeitgeschichte zu bezeichnen. Wo
vorsitzendem Hilger, mit der heute die Grenze zwischen öffentliAufforderung, binnen vier Wochen chem Interesse an der Person und dem
eine Klagebegründung nachzureichen Schutz des Privatlebens verläuft,
- das ist mittlerweile geschehen, und müßte von den Juristen erst einmal deam 24. Januar 1991 wird die erste finiert werden.
Für die Presse - und damit auch für
Verhandlung sein.
solche Plakataktionen- gilt der
Journalistischer Schmierfink: Grundsatz, „wenn die diesen Personen
zur Last gelegte Tat im Widerspruch zu
„Greenpeace von der RAF
dem Bild steht, das die Öffentlichkeit
unterwandert“
von ihnen hat, dann dürfen der Name
Greenpeace selbst berichtet in der und das Bild genannt und gezeigt werAusgabe Nr.3 des verbandseigenen den“ (Pressekodex Richtlinie 13.3).
Blattes über die weiteren rechtlichen Gemäß diesem Grundsatz dürfte die
Folgen. Der Umweltschutzverein hat Plakataktion von Greenpeace im
von der Zeitung „Frankfurter Neue Einklang mit der vorherrschenden
Presse“ eine Gegendarstellung ver- Rechtsprechung stehen. Die Plakatlangt, weil das Blatt in einem aktion von Greenpeace stellt eine erste
Kommentar geschrieben hatte, „man kämpferische Provokation in der
könnte fast meinen, daß Greenpeace Öffentlichkeit dar, die bei einer positiinzwischen von der RAF unterwandert ven Entscheidung für Greenpeace
ist, von diesen allerschrecklichsten künftig eine nachhaltigere öffentliche
Vereinfachern“.
Kontrolle über die Industrie und ihre
Ganz sicher ist es ein Gebot der Zeit, Tätigkeiten nach sich ziehen wird.
die Zerstörung des Ozongürtels in der
Stratosphäre aufzuhalten. Und wie
Wird in der Bundesrepublik
Hessens Minister für Umwelt und
noch FCKW hergestellt?
Reaktorsicherheit, Karl-Heinz Weimar
FCKW-Stopp, eine Initiative gegen
(CDU), verbreiten läßt, notwendig und
sinnvoll, daß die Industrie„freiwillig die industrielle Produktion und verfür umweltschonendere Produktions- wendung von FCKW´s hat ermittelt:
möglichkeiten sorgt“. Er betont die Die Firma Kali Chemie produziert in
Dringlichkeit: „Es muß schnellstens Bad Wimpfen und die Firma Hoechst
auf internationaler Ebene gehandelt in Frankfurt. Beide zusammen 112.000
werden“. Was Greenpeace den Unter- Tonnen pro Jahr, das sollen laut
nehmern ankreidet, ist daß sie nicht Enquete Kommission der Bundesfreiwillig auf die Produktion verzich- regierung 10% der weltweit produzierten, dafür sollte die Plakataktion den ten Menge sein . 59.000 Tonnen wererforderlichen moralischen Druck er- den davon in der Bundesrepublik verbraucht.
(red.)
zeugen.
(rai.) Es findet das „Internationale
Begegnungsfest“ der Stadt Darmstadt
statt. Frau Hofmann, der wir diese
Geschichte verdanken, verspürt
gegen 16.20 Uhr das Bedürfnis, im
Keller des Luisencenters die Toilette
aufzusuchen. Dort angekommen, bescheidet ihr der Klo-Boss: „Ich mach
zu!“ Frau Hofmann: „Ei, das geht
doch nicht! Soll ich etwa auf den
Luisenplatz machen?“ Der Klo-Herr:
„Ich kann nur sagen: Um vier ist hier
Schluß, und jetzt ist es schon nach
vier. Erkundigen Sie sich bitte bei
denen, die da was zu sagen haben.“
Zwei Damen kommen die Treppe herunter, die, wie der Klo-Bedienstete erkennt, etwas mit der Organisation des
Begegnungsfestes zu tun haben. Frau
Hofmann spricht diese an. „Ach“,
wird geantwortet, „ist sowieso kaum
noch jemand da.“ Wie dem auch
immer sei: Frau Hofmann muß jetzt
einfach mal, fragt den Klo-Chef:
„Sagen Sie mal, was kostet der ganze
Spaß, wenn Sie das Klo einfach bis
18.00 Uhr geöffnet lassen?“ Antwort:
„30 Mark!“ „Gut“, sagt Frau
Hofmann, „die geb ich Ihnen, wenn
Sie mir dafür eine Quittung ausstellen.“ Eine Quittung wird ausgestellt;
auf ihr sind alle Einzelheiten des
Deals vermerkt; die 30 Mark wechseln den Besitzer. „Das Geld hol' ich
mir Montag von der Stadt zurück“,
prophezeit Frau Hofmann. Der KloVerwalter macht seinen Dienst weiter.
Frau
Hofmann
ruft
beim
Ausländerbeauftragten der Stadt an,
spricht mit Dr. Lemmelsen, trägt ihm
ihren Fall vor. Der ist dankbar für ihre
Information, verspricht, die 30 Mark
binnen einer Woche an Frau Hofmann
zu überweisen.
„Wissen Sie“, erzählt mir Frau
Hofmann, „die haben bei der Stadt
einfach geschlafen. Die hatten nämlich noch nicht bemerkt, daß wegen
des 'langen Donnerstags' der verkaufsoffene Samstag nur bis 16 Uhr
geht. Ein Fest an einem solchen Tage
kann aber mal ein bißchen länger dauern. Und daß dann die Leut vielleicht
auch nach vier mal pinkeln müssen das kommt denen nicht in den Sinn!“
Randnotiz
Vor der Information steht die
Frage und vor dem Bericht die
Antwort. Nur im Falle von
Dummheit oder Unkenntnis erhält
der Fragende keine Antwort.
Zumindest der Fragende weiß, was
seine Neugier spornt.
Hat der Schweigende gerade eine
(nicht selbst aufgesetzte) wohlgefeilte Rede vor auserwähltem Volk
unter Beifall zu seiner schon makellos großen Ehre hinzugefügt,
wie könnte er wohl seinem Ruf
mehr Ehre antun, indem er die
Frage des Pressemannes beantworten wolle? Nichts wohl, denn ist der
Krug voll, könnte er ja wohl nur
noch überlaufende Ferkelei bereiten. Klüger scheint deshalb dem
Ehrenmanne das Schweigen.
Schweigender: Präsident der THD,
Pressemann: Der Herausgeber
Tierversuche
38 . Kalenderwoche - Seite 11
Sind Sie für Tierversuche ?
Unser Mitarbeiter Timo Rieg hat nach seinem Interview mit dem Tierschutzbeauftragten Ilja Weiss (Ausgabe 10) umfangreiche Recherchen aufgenommen und sich und uns mit einem Artikel überrascht, der sich intensiv mit dem Problem
der Tierversuche auseinandersetzt. Sein Plädoyer für eine Ethik - vor allem als rationale Entscheidungsgrundlage ob
„für oder gegen“ Tierversuche ist spannend wie ein Krimi.Wir wollen ihn unseren LeserInnen nicht vorenthalten und
werden ihn wegen seiner Länge als Fortsetzungsbericht bringen. Hier und heute der erste Teil
Für Kosmetik?: Nein. Aber medizinisch sind sie doch unumgänglich.
Auch wenn Sie ein kräftiges „Auch
da nicht“ äußern würden - spätestens
in der immer zitierten Situation, Sie
seien krebskrank, würden Sie eine
Ausnahme machen und Ihre ganze
Hoffnung in medizinische Tierexperimente legen.
außen beschrieben; das ist eigentlich
noch Verharmlosung genug. Denn genau darin liegt der Fehler in jeder
sachlichen Diskussion um den Sinn
und die Rechtfertigung von Tierversuchen: Experimente an lebenden,
schmerzempfindenden Geschöpfen
können nicht sachlich, nüchtern und
möglichst neutral gesehen werden. Es
geht doch nicht um ein Auto, das zu
Schrott gefahren wird, es geht um Lebewesen, die zu Tode experimentiert
werden. Wer sich in diese Diskussion
einschalten will - und dazu ist jeder
Mensch aufgerufen - der muß wenigstens den Versuch unternehmen, zu
fassen, was eigentlich vorgeht. Die
wissenschaftliche Fragestellung ist ja
nur der Auslöser für das Leiden.
Bevor man aber an die Begründung der Ursache als „notwendig“,
„hilfreich“ oder nur „vertretbar“ geht
(das Tierschutzgesetz verlangt nur,
„wissenschaftlich begründet darzulegen“) muß man sich bewußt werden,
was gerechtfertigt wird. Denn es geht
nicht um den Versuch (niemand hat
etwas gegen den Physikversuch mit
dem Modellwagen in der schiefen
Ebene), sondern um das Leid des Tieres, darum, daß für „Erkenntnis“
durch Tierversuche Lebewesen leiden müssen, meist sehr schmerzhaft,
oft über Wochen, Monate und Jahre
hinweg.
Wenigstens nichts hören…
Uneinige Wissenschaft
Darüber läßt sich theoretisch
leicht reden. Schalten wir uns doch
mal ein - Direktübertragung aus der
Versuchsanstalt. Während Sie diesen
Artikel lesen (und zur Fortsetzung
kann ich Sie nur ermuntern), schreien
Abertausende von Tieren unter der
Hand von weißgekittelten Wissenschaftlern, festgeschnürt in aufwendigste Apparaturen, um sich nicht zu
bewegen. Viele Tausende schreien
aber nicht, obwohl sie vor Schmerzen
zergehen, die Augen aus ihren
Höhlen hervortreten, das Blut aus
Einstichen oder Einschüssen läuft,
Katheter, Spritzen, feste und flüssige
Testsubstanzen in ihre Körper eindringen, Messer, Scheren und Klammern den zuckenden Körper öffnen,
wißbegierige Studenten dem wissenden Professor zusehen oder ihre eigene Fingerfertigkeit trainieren.
Sie können nicht schreiben, brüllen, jaulen, bellen, miauen oder sich
sonstwie artikulieren, weil man ihnen
kurzerhand die Stimmbänder durchgetrennt hat. Wenn schon „nichts sehen“ im Tierversuch menschliche Gefühle nicht ausschalten kann, dann
kann man sich zumindest mit „nichts
hören“ ein wenig besser auf die wissenschaftliche Untersuchung konzentrieren.
Hier werden Kaninchen die Augen mit ätzenden Substanzen zugeträufelt, dort Hunde stranguliert, im
nächsten Institut Beagle-Welpen Rotlauf-Bakterien injiziert, woanders
Tieren Tusche ins Gehirn gespritzt, an
der Uni Frösche geköpft und die Gehirne mit Streichhölzern zerstört oder
Primaten (Affen) mit Nervengiften
traktiert, Rhesusaffen in irgendeinem
Pharmakonzern auf heiße Herdplatten gesetzt oder Elektroden am Gehirn angelegt….
Die Wissenschaftler sind sich
nicht ganz einig, welches Tier wieviel
Schmerz empfinden kann, wenn es
um niedere Lebewesen oder um Insekten geht. Doch kein Wissenschaftler bestreitet, daß die „gängigen“ Versuchstiere allesamt ein voll ausgeprägtes Schmerzempfinden haben,
das mit unserem vergleichbar ist. Gerade diese Schmerzempfindlichkeit
wird ja in vielen Versuchen genutzt.
Versucht man, mit jemanden über den
eingangs erwähnten Dialog hinaus
über Tierversuche (verharmlosend
„TV“ gekürzelt) zu reden, wird als
Argument gebracht, „ich habe mich
damit noch nicht so genau beschäftigt“ oder „ich bin kein Wissenschaftler, der das entscheiden könnte“.
Falsch. Es gibt wohl mehrere Ansatzpunkte, über die Zulässigkeit von
Tierversuchen zu streiten (und alle
führen zum gleichen Ergebnis), doch
der entscheidende ist die ethische Fragestellung, für die man kein Fachwissen braucht.
ie fahren Auto. Fahren damit
zum Sonnenbaden in den Süden. Trinken gelegentlich ein
Gläschen Wein oder einen „Magenaufräumer“; Sie lassen sich, wenn Sie
krank sind, ein Medikament verschreiben und beglücken Ihre oder
andere Kinder mit Spielsachen; Männer wie Frauen waschen und dekorieren sich, benutzen Hygieneartikel.
Nichts Besonderes - sollte man meinen: Doch Millionen Tiere kostet das
jährlich qualvoll ihr Leben.
Wir wollen eine gute medizinische Versorgung, für uns, unsere
FreundInnen auch den anhänglichen
Vierbeiner. AutofahrerInnen legen
Wert auf Sicherheit im Straßenverkehr, über Gefahren des Alltags sind
wir immer bestens informiert.
S
Sind Sie für Tierversuche?
Immer noch Verharmlosung
Ein Teil der Leserschaft hat sich
inzwischen ausgeschaltet und liest
auf der nächsten Seite weiter. Ein anderer Teil erregt sich über die plumpe
Methode, mit Gefühlsduselei Stimmung gegen Wissenschaft und Forschung schaffen zu wollen. - Stimmt.
Dabei kann niemand das unsagbare
Leid der Tiere in Worte fassen. Ich habe nur als Beispiele Vorgänge von
Es gibt kein Naturrecht
Stellen wir zunächst fest: es gibt
kein Naturrecht, es gibt überhaupt
kein Recht. Zunächst einmal lebt alles
gleichberechtigt auf dieser Erde, ohne
zu wissen, warum. Alles weitere sind
selbsternannte Rechte, die sich Lebewesen schaffen, und die man gemeinhin soweit akzeptiert, als sie der eigenen, unmittelbaren Lebenserhaltung
dienen („fressen und gefressen werden“). Niemand wird in ethischem
Pazifismus dem fleischfressenden
Tier seine Beute absprechen. Die einzige Möglichkeit, die heutige Praxis
der Tierversuche zu rechtfertigen, besteht dann darin, zu beweisen, daß der
Mensch ohne Tierversuche als Art
nicht überleben kann. Das aber wäre
falsch, denn das professionelle Tierexperiment gibt es erst seit etwa 150
Jahren.
„Der Mensch ist mehr wert“
Jede weitere Begründung muß davon ausgehen, daß der Mensch
ethisch mehr wert ist als andere Lebewesen. Schließlich werden mehr Tierversuche durchgeführt, als mit deren
Ergebnissen (sollten sie überhaupt
verwertbar sein - doch dazu später)
Menschen das Leben erleichtert werden könnte, zumal dies eine Forschung ohne Ende sein wird, folglich
also immer mehr Tierversuche im
Verhältnis zu immer weniger Anwendungsmöglichkeiten stehen werden.
Das ewige Leben im Diesseits werden
wir auch mit weiteren Milliarden
Tierversuchen nicht erreichen. Zu
dieser Erkenntnis brauchte man keine
Tierversuche, das Ergebnis stammt
aus Beobachtungen an einzelnen Zellen.
Können wir dann Tierversuche als
notwendig rechtfertigen? Machen wir
mal einen Schritt aufeinander zu, um
weiterzukommen: Dürfen wir Tiere
quälen, um uns mit Cremes und Parfums einzureiben? (siehe auch „Forever young“) Haben wir ein Recht auf
Haarshampoos, die „garantiert nicht
in den Augen brennen“, weil sie zuvor unzählige Kaninchen blindgebrannt haben? Das ethische Postulat
muß heißen: Nein.
An den Grenzen naturwissenschaftlicher Vernunft
Müssen wir vom Bundesgesundheitsamt gesagt bekommen, daß es
gesundheitsschädlich ist, Spielzeug
zu verschlucken, oder kann das unsere Hirnmasse noch selbst zusammenreimen? Die in Berlin können das
nämlich nicht errechnen, sie lassen
Hunde das Spielzeug verschlucken,
beobachten die (teilweise tödlich verlaufenden) Reaktionen und zerschneiden nach einigen Monaten die
bis dahin überlebenden, um Langzeitschäden zu bescheinigen. Die Versuchsanstalt wurde vor einigen Jahren
für 60 Millionen DM erweitert.
An dieser Stelle wird klar, wohin
eine (Natur-)Wissenschaft führt, die
außerhalb ihrer Erkenntnis-Ziele keine Rationalität
kennt und ihre
Schwerpunkte mehr auf quantitative
Erfassung als auf inhaltliche Aussage
legt. Das folgende ethische Postulat
erfährt dadurch wissenschaftstheoretische rationalistische Begründung
und wird versachlicht
Dürfen wir verlangen, daß Hunde
bis an ihr Lebensende eine Zigarette
nach der anderen rauchen müssen,
nur weil die Tabakindustrie beweisen
will, daß Rauchen nicht unbedingt
schädlich ist, während Kliniken das
Gegenteil beweisen wollen - Nein!
Mediziner-Argumente
im Widerstreit
Daß zumindest ein Teil der praktizierten Tierversuche überflüssig ist,
denken die meisten Bürger. Doch an
ein notwendiges Minimum glauben
fast alle. Dabei zeigt sich immer wieder, daß die Aussagekraft von Tierversuchen berechtigt in Frage gestellt
werden muß. Eine Contergan-Katastrophe wäre heute genauso wenig
mit Tierversuchen zu verhindern, wie
sich damals Contergan im Tierlabor
als harmlos gezeigt hat. Mensch und
Tier sind zwar biologisch vergleichbar (physiologisch besehen ist der
Mensch auch nur eine bestimmte
Tierart), auf Stoffe reagieren sie jedoch ganz anders als wir.
Das leuchtet jedem Kind ein,
wenn man sich überlegt, wie verschieden die Tiere sind, die in Versuchen eingesetzt werden. Sie reagieren
untereinander schon völlig verschieden. Professor Dr. Klaus Gärtner von
der Medizinischen Hochschule Hannover: „Alle an Tieren experimentell
gewonnenen Ergebnisse haben nur
für die jeweilige Art Aussagekraft,
und in exakter Auslegung sogar nur
für das Individuum, an dem experimentiert wurde.“ Der Chemiker Alfred Schrempf sagt dazu: „Allgemein
gilt, daß alle aus Tierversuchen ermittelten Werte nur Vergleichscharakter
haben und nicht auf den Menschen
umgerechnet werden können. Sehr
oft liegen die tödlichen Dosen von
Chemikalien auf den Menschen weit
niedriger als bei Tieren. Umgekehrt
ist die negative Reaktion im Tierversuch auch kein Beweis für die Ungefährlichkeit auf den Menschen, wie
das Beispiel Arsen zeigt: obwohl
Tierversuche keine Reaktion ergaben,
weiß man um seine kanzerogene
(krebserregende) Wirkung beim
Menschen.“
Der Tierschutzbeauftragte Hessens, Ilja Weiss, hält es für äußerst
fragwürdig, Tiere mit dem einzigen
Tierversuche in Darmstadt
Der Magistrat der Stadt Darmstadt gab in diesem Jahr auf eine Anfrage der Grünen wegen des Tier- und Artenschutzes folgende erwünschte Antworten.
Frage: „In welchen Betrieben werden genehmigungspflichtige Tierversuche bzw. anzeigepflichtige Tierexperimente durchgeführt?”
Antwort : R-Biopharm, Rösslerstraße 94; Firma E. Merck, Frankfurter
Straße 250; Firma Steigerwald, Havelstraße 5 und Technische Hochschule Darmstadt, Schnittspahnstraße 3.
Frage:„Ist daran gedacht, bei der städtischen Beschaffung von Produkten darauf zu achten, daß bei der Herstellung keine Tierexperimente vonnöten sind?”
Antwort: Ja, in mündlichen bzw. fernmündlichen Anfragen bei entsprechenden Herstellern und Lieferfirmen über vorangegangene Tierexperimente bei der Herstellung von in Frage kommenden Produkten
wurde dieser Tatbestand verneint. Eine schriftliche Bestätigung wurde
zugesagt.
Sollten sich aus den eingehenden Erklärungen andere Sachverhalte
ergeben, wird die Beschaffung von Alternativprodukten angestrebt.
Frage: „Sieht der Magistrat die Möglichkeit, eine/n ehrenamtlich arbeitende/n Tierschutzbeauftragte/n zu berufen? (Analog dem Landestierschutzbeauftragte/n?)”
Antwort:Diese Aufgabe wird bereits vom Staatlichen Veterinäramt
wahrgenommen; die Berufung einer/eines ehrenamtlich arbeitenden
Tierschutzbeauftragten ist daher entbehrlich.
Der Magistrat konnte nur Auskunft über die Institutionen und Firmen
erteilen, die selbst noch Tierversuche durchführen. Viele Unternehmen (Beispiele: Röhm-Pharma und Wella) lassen die Versuche von
Firmen ausführen, die sich genau darauf spezialisiert haben. Diese
Verlagerung ergibt ein falsches Bild, denn gleich ob der Auftraggeber
die Versuche in eigener Regie ausführt oder als Auftrag vergibt - letztlich bleibt es dasselbe: Der Tierversuch (nur außerhalb Darmstadts).
(red.)
Ziel zu züchten, sie in Tierexperimenten umkommen zu lassen. Wissenschaftler kritisieren von einer anderen
Seite: Die Tiere werden durch die
Zuchtbedingungen, durch Angst, Enge und artwidrige Umgebung bereits
so stark beeinflußt, daß Ergebnisse
oft nicht einmal mehr auf die eigene
Tierart in freier Natur übertragbar
sind. Künstliche Krankheiten sind
nicht mit natürlich entstehenden zu
vergleichen. Im Tierexperiment läßt
sich ob der kurzen Lebensdauer keine
Langzeitwirkung ermessen, die aber
für den Menschen gerade wichtig wäre. Ebenso fehlt die Wechselwirkung
zu Umwelteinflüssen aller Art, denen
der Mensch täglich ausgesetzt ist.
Falsche Rückschlüsse aus
Versuchen
Die falschen Ergebnissen fordern
nicht nur sinnlos Tiertode, sie können
sogar medizinische Entwicklungen
hemmen. Toxikologe Prof. Dr. Ueberberg aus Biberach: „Es besteht die
Möglichkeit, daß durch Tierexperimente aussichtsreiche und dringend
benötigte Arzneimittel wegen übermäßiger Nebenwirkungen am Tier
gar nicht erst am Menschen geprüft
werden, obwohl sie sich dabei in richtiger Dosierung als harmlos, hilfreich
oder gar lebensnotwendig erweisen
konnten.“ Tierversuche bringen in
keiner Weise die Ergebnisse, die von
der Bevölkerung zumeist vermutet
werden und aufgrund derer sie Experimente an Tieren für notwendig halten.
Tatsächlich aber könnte mit
alternativen Methoden weit mehr und
(fast) ohne den Einsatz von Tieren erreicht werden. Doch die Forschung
auf diesem Gebiet bewegt sich kaum,
weil sich niemand dafür interessiert,
allen voran staatliche Organe, der mit
entsprechenden Finanzmitteln hier
schnell für Fortschritte sorgen könnte.
Die Wissenschaft wird schon wissen, was sie tut. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß Experimente an Tieren gemacht werden, die nichts bringen. Wir können doch nicht unsere
ganze fortschrittliche Wissenschaft
für dumm verkaufen, oder?
Warum teure Tierversuche?
Ganz so einfach können wir es
uns nicht machen, Angesichts des
Faktums, daß jährlich weltweit etwa
300.000.000 Tiere zu Tode experimentiert werden - das entspricht den
Einwohnerzahlen der USA und
Ganz-Deutschlands zusammen. Für
mich hat sich, auch wenn ich bis zur
eventuellen Mitgliedschaft in einem
Ältestenrat noch ein paar Jahre vor
mir habe, eine Faustregel herausgestellt: Gibt es irgendeinen Vorgang,
der auf den ersten Blick etwas unüberlegt zu sein scheint, sollte man den
finanziellen Gesichtspunkt prüfen.
Fast immer kommen wir dann zu des
Rätsels Lösung. Ist es nicht Geld direkt, was als Ursache in Betracht
kommt, dann sicherlich Macht (die
sich wiederum gewinnbringend einsetzen läßt). So fragen wir uns also:
Warum teure Tierversuche und keine
Alternativen?
Fortsetzung in Ausgabe 12
38 . Kalenderwoche - Seite 12
Selbstmord oder Fememord ?
Vater: „Daß es als erstes den Gerald erwischt hat …“
Im April stand der 22 Jahre alte Gerald Hess in Darmstadt wegen eines NS-Grußes vor Gericht und wurde freigesprochen (s. Ausgabe 5). Am 26.7. entdeckte sein Vater Wolfgang Hess - ebenfalls aktiver Neo-Nazi - die Leiche des Sohnes
in der Langener Wohnung. Ein Bauchschuß aus einer abgesägten Schrotflinte hatte ihn umgebracht. Die Darmstädter
Staatsanwaltschaft und die Offenbacher Kripo erklärten, es handle sich eindeutig um Selbstmord. Drei Wochen zuvor sollen Abschiedsbriefe des Jungen gefunden worden sein. Der Vater behauptet, der Sohn sei ermordet worden: Rivalisierende NS-Gruppen hat er ebenso in Verdacht wie den Staatsschutz. Wir haben ihn in der Wohnung des Jungen aufgesucht,
um seine Gründe zu hören. Das Interview gibt einen interessanten Einblick in die politische Denkweise eines engagierten
Neo-Nazis. Wir hatten darüber hinaus den Eindruck, daß der Vater um seinen Sohn nicht trauerte.
Die Untersuchungen seien sehr steckt mit Sicherheit drin. Scheißker- fen hatte Gerald Hess zu Genüge: Beoberflächlich gewesen, findet Wolf- le, Strolche, Verbrecher, die unter reits als Sechsjähriger bekam er, gegang Hess, der Vater des Toten. So- dem Deckmantel von Recht und Ge- nauso wie sein Bruder Paul, von dem
wohl die Kripo Offenbach, als auch setz Verbrechen begehen.“ Was dabei Vater die erste Flinte in die Hand gedie eingeschaltete Darmstädter Spekulation und in der Folge politi- drückt:„Angefangen mit einem modiStaatsanwaltschaft sehen den Tod sche Agitation ist, bleibt jedem fizierten Kleinkalibergewehr, einzweifelsfrei als Selbstmord an. Für selbst überlassen.
schüssig, was sich dann Mal zu Mal
Wolfgang Hess ist das durchaus ersteigerte“. Zuerst wurde auf dem
Viele Verdächtige
klärlich, „weil das höchstwahrscheinSchießplatz rumgeballert, später
lich von anderer Stelle so erscheinen
Der Kreis der Verdächtigen ist ging´s dann „mit auf die Jagd…, weil
sollte oder mußte oder gar nicht an- groß für Wolfgang Hess. Als er mit ich die Neigung erkannt habe, sie
ders durfte“. Gemeint ist der Staats- seinem zweiten Sohn Paul in der möchten mit Leib und Seele Jäger
schutz, der die rechtsextremistische Nacht zu Geralds Wohnung eilte, kam sein. Ich habe in ihnen das VerständSzene beobachtet. Hess: „Man tut al- in dem Moment jemand aus der Haus- nis erweckt, wie wichtig das ist, auf
les, um diesen Fall der Öffentlichkeit tür. „Das war ein Ausländer - das der einen Seite Wild, auf der anderen
gegenüber zu verbergen“.
könnte rein theoretisch der Mörder der Mensch, der gezwungenermaßen
Gerald Hess gehörte, genauso wie gewesen sein“. An der Wand der Eta- - es liegt in seiner Natur - jagen geht,
sein Vater, der „Bewegung“ an, der ge, in der die Hess-Wohnung liegt, sofern er kann.“
Bezeichnung extremistischer Neo- steht - wie sollte es anders sein Vorbereitet
Nazis, der unter anderem die „Natio- „Ausländer raus“. „Was natürlich ein
nale Sammlung“ (NS gegründet von bißchen irreführend ist,“ schwächt
„Wegen der Jagdkenntnisse und
Michael Kühnen) bis zu ihrem Verbot Wolfgang Hess ab, „denn da gibt´s ja dem Wissen um die Anatomie des
am 9.2.89 zugehörig war. Politisches nun gewisse Kriterien. Das soll natür- Tieres und des Menschen“, ist für
und organisatorisches Zentrum der lich nicht heißen, daß auf einen Hess auch die Form, in der sein Sohn
Bewegung ist in Langen, das bei den Schlag sämtliche Ausländer raus sol- den Selbstmord durchgeführt haben
letzten Kommunalwahlen „erste aus- len. Das hat es selbst im 3. Reich nicht soll, undenkbar. Wenn auch die Konländerfreie Stadt“ werden sollte, so gegeben“. Sein Zorn richtet sich erst sequenz eines letzten Ausweges mit
die rechtsextremistische Zielsetzung. einmal gegen die „Schein- und Wirt- seinen beiden Söhnen schon lange abIn der Wohnung des Sohnes, unter schaftsasylanten“, mit denen jedoch gesprochen ist: „Wir waren uns darüder rotweißen Hakenkreuz-Flagge alle Asylanten gemeint sind, denn po- ber klar -sollte es einmal aus irgend
und dem Führerbildnis, stellt Wolf- litisch Verfolgte gibt es für ihn nicht.
einem Grund notwendig sein, dann
gang Hess in einem knapp dreistündikäme für uns nur eine Art von SelbstWem gehört die Waffe ?
gen Gespräch seine Ansicht über den
mord in Frage: Schußwaffe - ganz
Tod seines Sohnes dar. Auf dem BoStrafanzeige gegen Unbekannt klar - das Ding in den Mund, abden liegen noch immer die Pla- wegen Mordverdachts hat er inzwi- drücken, Feierabend“. Sie sind darauf
stikhandschuhe und blutigen Binden schen gestellt, denn für ihn steht fest: vorbereitet, daß ihre „politische Arder Sanitäter, die einen Monat zuvor „Hundert Prozent – Gerald ist ein- beit“ sie einmal so in die Ecke dränden Tod festgestellt hatten.
wandfrei ermordet worden“. Wo das gen kann, daß ihnen kein anderer
Gewehr herkommt, „eine doppelläu- Ausweg bleibt. „Wir sind sehr reaBedroht
fige Schrotflinte, Kaliber 12-70“, mit litätsbewußte Menschen.“
„Unsere ganze Familie, und in der der geschossen wurde, kann er sich
unmittelbaren Folge gewisse Leute nicht erklären. Daß die „offensichtGerald Hess ist durch einen
von unserer politischen Bewegung, lich etwas leicht verkürzte Flinte“– Bauchschuß ums Leben gekommen.
wurden seit längerer Zeit mehr oder gut einen Meter lang – seinem Sohn Ein „Schrotsteckschuß“, wie Hess erweniger bedroht“ . Seit dem Verbot gehört hatte, will er nicht ausschlies- klärt (“Ich bin selbst Schußwaffender „Nationalen Sammlung haben sen. Schutzbehauptung: „Doch ei- sachverständiger”), der ihm den linsich aus gewissen Richtungen, so- gentlich könne es ja nicht möglich ken Lungenflügel durchhauen hat,
wohl aus der linken Szene her, sowie sein, “aufgrund unserer Organisati- was nicht sofort zum Tod geführt hataus gewissen anderen Ecken, immer onsbefehle, die besagen, daß man kei- te.Daß er schließlich nach zwei Stunmehr regelrechte Drohungen aufge- ne Waffen, Munition oder Sprengstoff den verblutet ist, sei nicht zuletzt die
baut, so daß wir mehr oder weniger hortet - also nicht öffentlich zur Ge- Schuld der Sanitäter, die erst eine halmit solchen Sachen gerechnet haben. walt auffordert.“
be Stunde nach dem Notruf eingetrofDaß es als ersten den Gerald erwischt
fen seien.
hat, davon konnte niemand ausgehen.
Es ist Hess´ Überlegung, daß GeObwohl - man muß dazusagen: Jeder rald sich mit solch einer Waffe wirGegen die Langener Stadtverwalkann morgen dran sein.“
kungsvoll gegen seinen Mörder hätte tung, die die Überführung des Leichzur Wehr setzen können. Gegen die nams zur zweiten Obduktion nach
Die „gewissen anderen Ecken“ Tatsache spräche, daß die Waffe München zu verhindern versucht hat,
sind vor allen Dingen auch die eige- schon vor seinem Tod im Haus war: will Wolfgang Hess noch gerichtlich
nen. Interne Kämpfe gibt es zuhauf in „Wenn alle Stricke gerissen wären, vorgehen: „Wir wollen bis hin zum
der Bewegung. Hess: „Wir haben jede hätte er den ersten Lauf abgefeuert, Bürgermeister Straftaten im Amt
Menge Todesfälle durch äußere Ge- und wenn dann noch keine Ruhe ge- nachweisen“. Und es hört sich an wie
walteinwirkung, sei es durch Absicht wesen wäre, spätestens mit dem zwei- eine Drohung, wenn er sagt: „Um zu
oder in Form von Totschlag oder eben ten wäre Ruhe gewesen - und wenn da verhindern, daß jetzt hier hunderttauauch Unfall. Gerald wurde verstärkt zehn Leute vor der Tür gestanden hät- send Neo-Nazis in Langen einmarin letzter Zeit bedroht. Es erschienen ten.“
schieren und die Stadt in allen vier
hier sogar Rollkomandos. Anführer
Ecken einreißen, hätte die Stadt von
Waffenkammer
ist ein Mann, der von uns wegen partsich aus alles tun müssen, um die Saeischädigenden Verhaltens ausgeMit der leichten Bewaffnung, die che aufzudecken.“
stoßen wurde.“ „Die Polizei kenne Gerald im Flur angesammelt hatte,
Mit Hess verwandt?
ihn“, weiß Hess, „und der steht auch könne man nach Ansicht von Hess
im Kreis der Verdächtigen an allerer- nicht viel ausrichten. „Weder der GasDer Staatsschutz hat, will Hess
ster Stelle“. Tatsächlich ist bereits vor revolver, der auf der Kommode liegt, Glauben machen, schon ein weiteres Jahren ein ehemaliges Mitglied der noch die Tränengas-Sprayflasche entferntes - Mitglied seiner Familie
NS-Vorgänger-Partei “Aktionsfront würden besonders abschreckend wir- auf dem Gewissen. Der HitlervertrauNationaler Sozialisten/ Nationale Ak- ken. Ganz zu schweigen von dem te und „Friedensflieger“ Rudolf Hess,
tivisten” (ANS/NA) durch regelrech- Knüppelchen hier oder dieses lächer- das ist für Neo-Nazis „eindeutig bete Strafexpeditionen aufgefallen, mit liche Küchenbeilchen“ -ein Schlag- wiesen“, habe auch keinen Selbstdenen er Kameraden terrorisierte.
stock und eine unterarmlange Axt, die mord begangen, sondern sei „vom
beide in einem, an der Wand aufge- britischen Geheimdienst ermordet
Doch auf Fememord will sich hängten vollen Patronengurt stecken. worden“. Hess (Wolfgang): „Man
Wolfgang Hess nicht festlegen lassen.
sagt, daß wir mit ihm etwas weitläufig
Er kennt sich aus:„Das war die Arbeit
Das „Knüppelchen“ nimmt Hess verwand seien“. Für eine genaue Beeines Profis“. Für ihn ist die Verant- auch gleich von der Wand und de- stimmung gibt aber wohl auch sein
wortung für den Tod seines Sohnes monstriert damit, wie man sich eine Ariernachweis nicht genug her.
ganz woanders zu suchen: „Wenn es Schrotflinte an den Bauch zu halten
In Dachau - nach Auschwitz eine
eine Verantwortung gibt, dann ist die habe, wenn man sich damit umbrin- der Hauptstationen nationalsozialistiohne Zweifel bei denjenigen Leuten gen will. Der weitere Gesprächsver- schen Völkermordes - sind nach dem
zu suchen, die uns seit Jahren konse- lauf wird von ihm mit dem „Knüppel- Geschichtsbild des Wolfgang Hess
quent verfolgen.“ Für Hess außer chen“ wild fuchtelnd unterstrichen.
„keine Juden vergast worden“.
Zweifel: „Der Verfassungsschutz
Jörn Johansen
Kenntnisse im Umgang mit Waf-
Da liegt es nun, das Ökosäckchen , in flauschiger Umgebung
(Kunstfoto Klaus Maat)
Wohin mit dem Ökosäckchen?
Vorschläge zur individuellen Weiterverwendung
Gelegentlich tut es not, sich auch um die prosaischen Dinge des Alltags zu kümmern - also Waschtag bei Maat. Genauer: Es wird heute über eine ganze Reihe von
Waschvorgängen und deren Auswertung zu berichten sein, denn ich habe ein neues
Waschmittel einem erbarmungslosen Test unterzogen. Es handelt sich um "Dash 3
Ultra", einem Waschmittel , das über "Ultra-Waschkraft + Natürlicher Weichpfleger" verfügen soll, also Lenor und all die anderen Sachen sind nicht mehr nötig.
Chemische Analyse
Beginnen wir mit den eher trockenen Daten: Unter meinem alten Schülermikroskop waren die "Tenside" deutlich zu erkennen, vor allem die "anionischen",
während die "Zeolithe" ein wenig blaß blieben. Doch diese mögen sich erst während
des Waschvorgangs entfalten. Das "Bleichmittel auf Sauerstoffbasis" zeigte deutliche Wirkung: Beim Einatmen und nachfolgender Spiegel-Probe zeigte sich einwandfrei, daß das Halszäpfchen nicht mehr so gerötet, also ausgebleicht war. Die
"Polykarboxylate" schwärzten auf Löschpapier geringfügig aus, während die
"Phosphonate" im Lackmus-Test eine heftig leuchtende Reaktion zeitigten. Die
"Enzyme" vertrug mein Hamster gut, sie hatten sogar eine appetitanregende Wirkung. Die "Schichtsilikate" lagen nicht besonders ordentlich aufeinander, was daran
gelegen haben mag, daß die "Bentonit-Materialien" ein wenig durcheinandergeraten
waren, da mir die Packung vor der Analyse auf den Boden gefallen war. Die "optischen Aufheller" bemerkte ich sogar ohne meine Lesebrille, die "Parfümöle" zeigten in Achselnähe eine frische, beinahe herb-männliche Duftnote, das "Soda" verstärkte den Sprudelvorgang in einem Glase Apollinaris erheblich, und auch der
"Bleichaktivator" tat seine Pflicht: Ich war aschfahl, und zwar nur Minuten später,
nachdem ich mein Gesicht damit eingerieben hatte. Die "Schmutzträger" hatten am
Redaktionsstaub kräftig zu tragen, taten dies aber mit Bravour. Letztlich sollen auch
die "Schaumregulatoren" nicht unerwähnt bleiben: Es gelang mir unzählige Male,
daß das Bierglas nicht überschäumte. Die auf der Packung angegebenen Inhaltsstoffe waren allesamt vorhanden, das Fehlen von Sulfat und Phosphat fiel nicht ins Gewicht. Das Ergebnis der chemischen Analyse ist deshalb so bemerkenswert, weil es
sich durch recht steinzeitliche Untersuchungsmethoden erzielen ließ.
Waschvorgang
Alle Programme liefen gut durch, bisweilen störte ein leichtes Klappern der Wäsche. Blau und Rot vertrugen sich gut, die Wäsche hatte nach dem Waschvorgang einen aparten einheitlichen Ton - eine Farbe übrigens, nach der ich immer schon gesucht hatte. Die Struktur der Wäsche nach dem Waschen bewegte sich irgendwo in
der Mitte zwischen flauschig und beißfest, und über die feine Komposition der Düfte und Aromen, im im Waschmittel enthaltenen Weichspüler elegant austariert,
könnte Patrick Süskind einen weiteren Roman schreiben
Das Ökosäckchen
Clou dieses Waschmittels ist zweifellos das "patentierte Ökosäckchen". In seiner postmodernen, jugendlich-dynamischen, auf Turbo gestylten Form entbehrt es
auch nicht eines optischen Genusses. Das Säckchen selber besteht aus einer grobporösen Stoffkreation, eingehängt in einen runden Hartplastikrahmen, der wiederum im Innern durch einen turbinenartigen Flügel verstärkt ist. Das gibt dem
Säckchen Gelegenheit, wie ein Irrwisch durch die Trommel der Waschmaschine zu
flitzen und jedes Tensid, jedes Enzym und auch jedes Bentonit-Mineral an die Stelle
zu bringen, an der diese Inhaltsstoffe ans Werk zu gehen haben.
Entsorgungsprobleme
Wo Licht ist, ist auch Schatten - leider auch hier. Der Dash-Werbefeldzug hatte
zur Folge, daß drei Probierpackungen vor meiner Türe lagen, etliche erhielt ich von
Nachbarinnen zum Geschenk - und nun sitze ich auf 27 Ökosäckchen. Zum Wegwerfen sind sie mir zu schade, dafür sehen sie gar zu putzig aus - also was tun?
Hier einige Vorschläge zu privaten Weiternutzung - sofern man die Säckchen
nicht im Müllcontainer entsorgen will.
Ökosäckchen-Folgenutzung
Teebeutel: Nach dem Waschvorgang sind selbstverständlich auch die Säckchen
wunderbar sauber und duftend. Leicht läßt sich nun um die Plastikeinfassung herum
ein stabiler Draht, der als Halter dienen soll, befestigen, so daß man ohne übergroße
Umstände ein Teesieb hergestellt hat. Mein Earl-Grey-Tea erhielt bei den beiden ersten Malen einen aparten Beigeschmack - und: Das harte Darmstädter Wasser verwandelte sich in eine solche luftige Weichlichkeit, daß es eine Pracht war.
Keimlinge: In einem Hobby-Markt ließ ich ein Brettchen (90x30) mit 10
Löchern (Durchmesser 7,5 cm) und vier je 6-cm-langen Füßchen versehen. Die
Ökosäckchen füllte ich mit Watte auf, danach bestreut mit Erbsen, Linsen etc. und
hängte sie in die Löcher. Täglich kurz begießen, und im Nu ziehen Sie köstliche
Keimlinge für Ihre makrobiotische Kost.
Sonstiges: Wenn man den Turbinenflügel vorsichtig entfernt (der später bei Bedarf in einen defekten Staubsauger eingearbeitet werden kann), lassen sich schöne
Zipfelmützen für Vorgartenzwerge oder Teddybären unserer Kleinen anfertigen.
Statt des Teesiebes läßt sich - durch die gleiche Herstellungsweise - das Säckchen
auch als Klingelbeutel benutzen (vor allem für Kirchen, die Dritte Welt und unsere
DDR). Versuche, das Säckchen nach Vulkanisierung der Stoffbestandteile zum
Kondom umzuarbeiten, erscheinen freilich nach heutigem Stand wenig erfolgversprechend. Alles in allem: Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, und man muß
dem Hersteller wirklich dankbar sein, daß er mit diesem Säckchen auch die kreativen Potentiale seiner BenutzerInnen freizulegen vermag. Viel Spaß beim Waschen
und der Säckchennutzung wünscht
Klaus Maat
Drogen
Arzt wegen Hilfe für Süchtige vor Gericht
Streit um Ersatzdrogen-Therapie
Um die beste Hilfe für Drogenabhängige streiten die Ärzte. Juristen erfüllen ihren gesetzlichen Auftrag, indem sie Ärzte verfolgen, die Fixern „Ersatzdrogen“ in der sogenannten „Substitutionsbehandlung“ verschreiben. Die Darmstädter Justiz hat einen bekannten Darmstädter Vertreter dieser Behandlungsmethode vor Gericht gestellt. Der Arzt möchte nicht namentlich genannt werden - er fürchtet um seinen Ruf . Der Gesetzgeber beschwört die Situation herauf: Die
BRD und Norwegen sind die letzten zwei Länder, in denen diese Behandlungsmethode noch unter Strafe steht.
Vor dem Darmstädter Schöffengericht ist zur Zeit ein Strafverfahren
gegen einen Darmstädter Arzt anhängig, der Heroinabhängigen geholfen
hat, von ihrer Sucht wegzukommen.
Dem Mediziner wird von der Staatsanwaltschaft Darmstadt vorgeworfen,
die Drogenabhängigen gesundheitlich geschädigt zu haben. Die Geschichte begann im Sommer 1985.
Damals waren bei einer Heroinabhängigen, die zweimal in eine Polizeikontrolle geraten war, ein von dem
Arzt ausgestelltes Privatrezept und
Medikamente gefunden worden, die
zur Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger dienen.
Eine Substitutionsbehandlung besteht darin, daß ein Opiatsüchtiger Ersatzdrogen (beispielsweise Methadon) erhält, die keine euphorisierende
oder bewußtseinsbeeinträchtigende
Wirkung haben, dafür aber die Entzugsschmerzen des Süchtigen neutralisieren sollen. Der Süchtige ist nicht
mehr darauf angewiesen, Heroin zu
beschaffen, und kann gleichzeitig,
weil er schmerzfrei ist, einer geregelten Arbeit nachgehen. Die „Ersatzdroge“ unter ärztlicher Aufsicht wird
nach und nach abgesetzt. Einem Substitutionierten sieht man seine Sucht
nicht an, er kann sich so ein neues soziales Umfeld aufbauen. Er ist von einem Nichtsüchtigen nicht zu unterscheiden und kann ein normales Leben führen. Eine Methode, die
inzwischen international mit hoher
Erfolgsquote zur Heilung Drogensüchtiger angewandt und unter anderem auch von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt wird.
Führungsakademie, in Fernseh- und
Rundfunkdiskussionen sowie bei
ärztlichen Weiterbildungsseminaren
über Drogenthemen referierte, unter
anderem auch über die Substitutionstherapie.
Rückfallquote statt Entzug
Eintausend Drogentote sagt die
Statistik für dieses Jahr voraus. Ob
dieses Problem nicht eher durch die
neue Entzugspraxis gelöst werden
kann als durch staatliche Verfolgung?
Die Strafverfolgungsbehörden und
der Gesetzgeber gehen davon aus,
daß ein Süchtiger nur dann wirklich
entzieht, wenn er keinerlei Drogen,
also auch keine Ersatzstoffe mehr zu
sich nimmt. Diese Art der seit Jahrzehnten praktizierten Suchtbekämpfung führt allerdings nur bei einer
verschwindend geringen Zahl von
Drogenabhängigen zum Erfolg. Die
meisten brechen eine solche Entwöhnung nach kurzer Zeit ab und werden
rückfällig.
sätzliche Ladung von Sachverständigen, weil „der wissenschaftliche
Streit um die Ersatzdrogentherapie
Heroinsüchtiger weithin einem Glaubenskrieg gleicht, und von Sachverständigen über das in bisherigen Anhörungen hinaus Gesagte nichts neues mehr zu erwarten war.“
Peter Hetzler
Beschaffungskriminalität
Praxis durchsucht
- und das Berufsgeheimnis?
Weil also die Substitutionsbehandlung in der BRD, von einigen Pilotprojekten abgesehen, keine gesetzlich erlaubte Therapieform darstellt,
wurden die Praxisräume des Arztes in
Darmstadt von der Staatsanwaltschaft
durchsucht. Einige hundert Krankenakten sichtete die Staatsanwaltschaft
und verletzte so das Recht auf den
Schutz durch ärztliche Schweigepflicht. Dabei stießen die Ermittler
auf weitere zehn Patienten, denen der
Arzt von 1983 bis 1986 Ersatzdrogen
verschrieben hatte. Diese Personen,
die sich vertraulich an den Arzt gewandt hatten,um von ihrer Sucht
wegzukommen, wurden verhört und
sind jetzt als Drogensüchtige registriert.
Dem Arzt wird in der Anklageschrift vorgeworfen, zehn Drogenabhängige gesundheitlich geschädigt zu
haben, weil er ihnen, angeblich ohne
ausreichende medizinische Untersuchung, Drogen verschrieben habe, die
zur Abhängigkeit führen. Damit habe
der Arzt, so die Staatsanwaltschaft,
die Sucht der Abhängigen gefördert,
verlagert und eine Mehrfachabhängigkeit erzeugt. Bei dem Arzt handelt
es sich um einen gefragten Spezialisten, der u.a. bereits vor der EnqueteKommission des deutschen Bundestags, dem Berliner Senat, der Polizei-
betroffen, auch Heroinabhängige, die
von ihm behandelt werden.
Ob er verurteilt wird, ist offen. Im
Juli dieses Jahres lief es ein ähnliches
Verfahren vor dem Berufsgericht für
Heilberufe in Schleswig. Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hatte einen Mediziner verfolgt, der ebenfalls
mit der Substitutionstherapie gearbeitet hatte. In dem vorangehenden
Strafverfahren war der Mediziner
freigesprochen worden. Auch das Berufsgericht entlastete den Arzt. Es
verwies auf die international anerkannt guten Erfahrungen mit dieser
Therapieform und verzichtete auf zu-
Süchtige sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Stoff aufzutreiben.
Sie müssen pro Tag 200 bis 300 DM
für die Droge beschaffen, im Monat
also ca. 6.000 bis 10.000 DM auftreiben, je nach Grad der Abhängigkeit.
Da sie keine Zeit haben, sich dieses
Geld zu erarbeiten, finanzieren sie ihre Sucht entweder durch Prostitution
(und geraten dabei zwangsläufig in
den AIDS-Kreislauf) oder durch
Diebstahl und Einbrüche, bei denen
die Beschaffungsschäden oft wesentlich höher liegen als der eigentliche
Ertrag.
Ein Beispiel: Auto aufgebrochen,
Fenster eingeschlagen, das bringt bei
einem Schaden von mehreren hundert
Mark gerade mal einen Fünfziger auf
dem Schwarzmarkt für das erbeutete
Radio. Dann beginnt der Kreislauf
von Verhaftung, Strafverfahren, Gefängnis- und Psychiatrieaufenthalt.
Ungefähr die Hälfte aller Gefängnisinsassen der BRD, sitzen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz oder wegen damit verbundener
Beschaffungskriminalität. Bei einer
Substitutions-Behandlung fällt die
Beschaffungskriminalität weg, weil
der Arzt die Ersatzdrogen verschreibt.
Wie werden Darmstadts
Juristen urteilen?
Die Hauptverhandlung gegen den
Darmstädter Arzt ist noch nicht terminiert, wird aber aller Voraussicht
nach noch in diesem Jahr stattfinden.
Kommt es zu einer Verurteilung, kann
ein weiteres standesrechtliches Verfahren von der Landesärztekammer
Hessen eingeleitet werden. Für den
Arzt könnte das schlimmstenfalls bedeuten, daß er nicht mehr praktizieren
darf.Davon wäre nicht nur der Arzt
In der nächsten Ausgabe:
Interview mit einem ehemals Abhängigen, der es durch Substitution geschafft hat, von Drogen loszukommen.
38. Kalenderwoche - Seite 13
Drogenpolitik
im Vergleich
Die kleine Statistik - siehe unten zeigt den tödlichen Unterschied zwischen der deutschen und der niederländischen Drogenpolitik. Während
sich in der einstigen Fixerhochburg
Amsterdam das Drogenproblem stabilisiert hat (kaum Neueinsteiger bei
Heroinfixern), steigt die Abhängigkeitsrate in Frankfurt-Main und im
Rest der BRD stetig an.
Trotz der holländischen Erfolge
mit der Substitution Abhängiger ist
die hessische Ärztekammer gegen eine Ausweitung der Methadonvergabe. Methadon als Ersatzdroge wird in
Frankfurt nur an Süchtige abgegeben,
die bereits HIV-infiziert sind. Ausgerechnet Ärzte, die mit dem Verschreiben von Medikamenten bekanntlich
großzügig umgehen, weisen auf den
vermeintlich ungenügenden wissenschaftlichen Kenntnisstand bei der
Methadonvergabe hin. An Hand einschlägiger Untersuchungen, die bereits vorliegen, könnten sich Mediziner und interessierte Laien problemlos weiterbilden: Das Plädoyer für die
Substitution bei entsprechendem
Kenntnisstand fiele im Sinne eines
ethischen Pathos des hippokratischen
Eides aus.
Holland mit seiner liberalen Drogenpolitik erzielt nachweisbar größere Erfolge, als die BRD mit ihrer repressiven Verfahrensweise. Allein die
Zahlen der Drogentoten (in Frankfurt
mehr als doppelt so viele als in Amsterdam) mögen dies belegen.
Sicher steht vor der generellen
(Fotos Petra Fleißner)
Einführung einer Substitution mehr
als nur der Vergleich von Erfolgsdaten, aber ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung könnte es sein. Das
Motiv der Hilfe für Drogenabhängige
hebt die Diskussion aus dem christlich ethischen Bereich heraus in den
einer gesellschaftlich notwendigen
rationalen Neufassung moralischer
Bewertung. Wenn schon der Staat
nicht in der Lage ist, unsere Kinder
vor dem Erwerb und damit der Verführung zu Drogen wirksam zu schützen, dann ist ein Schuld-Sühne-Denken (in Praxi die strafrechtliche Verfolgung) Beweis für die Unfähigkeit,
mit dem Problem umgehen zu können.
A. Schwarz
Frankfurt und Amsterdam sind
von der Einwohnerzahl her ähnlich
groß. Die folgenden Zahlen aus dem
Jahr 1989 geben einen Einblick in die
Drogenproblematik der beiden Städte:
Frankfurt
610.000 Einwohner
ca. 5.000 Fixer
89 Drogentote 1989
7 Millionen DM für Drogenpolitik
25 AIDS-positive Fixer bekommen
Methadon.
Amsterdam
675.000 Einwohner
ca. 5.400 Fixer
42 Drogentote 1989 (davon 25%
Deutsche)
24 Millionen DM für Drogenpolitik
Jeder Abhängige kann Methadon bekommen.
Buchbesprechung
Drogenkonsum Ersatz für Spießerwelt
„Weiße Nigger“ - Ein Roman aus Norwegen über das„Ende der Welt“
Ingvar Ambjornsen ist Norweger, lebt aber seit Jahren in Hamburg. Er gehört zu der kleinen
Gruppe junger Autoren, die eine
Menge zu sagen haben, und darüber hinaus auch schreiben können. Sein preisgekrönter Roman
„Weiße Nigger“, ein autobiographischer Bericht aus der norwegischen Drogenszene, ist ein Beispiel dafür.
Die drei Hauptpersonen, Rita,
Charly und Erling, wachsen in einem kleinen norwegischen Kaff
am Ende der Welt auf und wissen
nur eins: Das kann nicht alles sein.
Ihre Eltern sind die Biederkeit in
Person, der Schulleiter ein verkappter Faschist, und die Jobs, die
sie schließlich ergreifen, weil ihnen nicht besseres einfällt, werden
schneller abgebrochen als angefangen. Charly und Erling wollen
Schriftsteller werden, Rita malt,
aber bis zum „großen Duchbruch“ muß man das Leben noch
ein bißchen angenehm gestalten.
In dem kleinen Kaff gibt es im
Prinzip nur eine Gruppe, der man
sich anschließen kann, wenn man
mit der Spießerwelt fertig ist: die
Gruppe der Kiffer.
Das alles läßt sich auch ganz
gut an. Sommercamps am Stand,
Drogenkonsum in lauen Nächten,
ab und zu unterbrochen von den
Schlägertrupps der städtischen
Saubermänner. Das sorgt für Abwechslung und läßt die Ideen der
großen Künstlerkarriere immer
wieder im Nebel besten Nepals
versinken.
Aber weil es eben so geht,
wenn man durch stetigen Drogenkonsum langsam den Überblick
verliert: Eins kommt zum anderen
- wer keinen Job hat, hat kein
Geld, wer kein Geld hat, keine
Wohnung, und so endet die ganze
Geschichte schließlich in einem
abbruchreifen Haus in Oslo, wo
Drogenfreaks aller Couleur mit
Prostituierten, Transvestiten, Alkoholikern und einer Horde
Punks zusammen leben, gerade
noch einen Schritt von der Gosse
entfernt. Den Verlust von Freunden und Bekannten in Psychiatri-
en, Gefängnissen und Friedhöfen
realisieren die Haupterpersonen
fast nur noch nebenbei im rasant
ansteigenden Strudel des eigenen
Überlebenskampfs.
Ambjornsen bringt diese Geschichte allerdings nicht als Jammerstory. Bei allem Frust hat es
schließlich auch Spaß gemacht,
und so schreibt er sich lustvoll
und lebendig die Ereignisse vom
Leib. Es macht einfach Spaß dieses Buch zu lesen, weil die ungebremste Lebensfreude des Erzählers aus jeder Seite quillt.
Peter Hetzler
Ingvar Ambjornsen, „Weiße
Nigger“, Nautilus/Nemo Press,
370 Seiten, gebunden, 36.- DM
38. Kalenderwoche - Seite 14
„Merckst Du
was?“
Eine Polemik zu dem Tag der
„geschlossenen Tür“ bei Röhm
und Merck
Röhm will sich nicht in die
Giftküche
schauen
lassen,
Merck ist da schon cleverer. Der
Tag der „Offenen Tür“ der bundesdeutschen Chemieindustrie
in Großanzeigen - in Darmstadt
von Merck und Röhm - angekündigt, hätte glatt von den
Werbemanagern in Sachen „Persil“ stammen können („Dash
wäscht so weiß, weißer gehts
nicht“). Vorbeugend schalten
die Firmen auch nur dort ihre
Anzeigen, wo sie sicher gehen
können, daß ihnen ja nicht zu
viele KritikerInnen auf die Einladung folgen: PR- für erlesenes
Publikum
Für Röhm ohnehin kein Problem, ihre Darmstädter Tore waren verschlossen. Wie hätten sie
den BesucherInnen verständlich
machen sollen, daß ihre Vorkriegsanlagen modernster und
sicherster Stand der Technik seien? Das schaffen nicht einmal
mehr clevere PR-Leute: Aus einem Käfer Baujahr paar´n
dreißig wird auch im hellsten
Rampenlicht kein Golf Baujahr
90. Für die Darmstädter „RöhmWorms“ (dorthin sollten wir fahren): Vielleicht stehen da ein
paar Gölfe.
Bei Merck ist das anders. Der
Weltkonzern hat seine Renommeeobjekte, die er vorzeigen
und damit das Bild von der sauberen Fabrik und sein Image als
umweltbewußtes pflegen kann.
Was den BesucherInnen
nicht gezeigt worden ist: Tierversuch. Das macht keinen guten
Eindruck. Was aus den Schornsteinen herauskommt und nicht
riecht, braucht man den BesucherInnen ebenfalls nicht vorzustellen, und wo in der Vergangenheit die Abfälle geblieben
sind, bekommt auch keiner zu
hören. Aber heute ist ja alles hygienisch - besonders bei der
Chip-Produktion, da darf kein
einziges Staubkorn verunreinigen. Das macht Eindruck, poliert Image auf und lenkt ab.
Aber die Presse schluckt brav
die PR-Pillen (hoffentlich nicht
auch die BesucherInnen) und
macht auch nochmal PR- immerhin, die Anzeigen sind ja
auch bezahlt worden. So
wäscht eine Hand die andere.
Was soll's denn dann? Wer
von den freundlichen WerbeLeuten sein Vitamin C und seinen
Essen-und-Trinken-Gutschein erhalten hat und deshalb
glaubt, es mit Ehrenmännern zu
tun zu haben und einer sauberen Fabrik in einer sauberen Umwelt, ist schlicht und einfach der
Werbung auf den Leim gegangen. Werbesprüche - a la Tag der
„Offenen Tür“ - nehmen es bekanntlich mit der Wahrheit nicht
so genau. Oder glauben sie
an:„Pack den Tiger in den Tank“
- „Denk´ bei Röhm nicht an Gestank“ - „Merckst Du was?“
Sanne Borghia
„Ich habe eine unheimliche Wut im Bauch“
Zu einer Podiumsdiskussion hatten das Frauenselbsthilfezentrum, Wildwasser, Frauen für Frieden, die Frauenbeauftragten der Stadt und des Landkreises vier Politikerinnen eingeladen, um die Stellung der Parteien zu Frauenfragen präziser als aus Programmen oder anderen politischen Veranstaltungen zu erhalten. Tips für Frauen, welche Partei sie wählen können? Viel gebracht hat´s nicht, die Zeit war zu knapp bemessen, um auch nur annähernd die komplexen Themen
anreißen zu können. Dennoch lassen die Antworten - allerdings nicht nur auf die Partei - Rückschlüsse zu.
Das Mollerhaus war zu klein, um
alle Interessentinnen (mehr als 200)
teilhaben lassen zu können - es waren
fast nur Frauen anwesend und der einzige Mann, der sich zu Wort meldete, trat
gar als Patriarch nach wilhelminischer
Oberschullehrer-Manier auf - mit dem
warnenden Zeigefinger und dem Plädoyer für den § 218. Deutlicher hätte er
die Notwendigkeit dieser und weiterer
politischer Diskussionen gar nicht vor
Augen führen können. „Das Patriarchat
gehört zum Zeugen dazu“ meinte er die
Herrlichkeit verteidigen zu müssen Analphabetentum war es nicht - immerhin ein Frauenarzt.
Der Einladung gefolgt waren von
der SPD Heidemarie Wieczorek-Zeul,
von der FDP Anne Linke-Diefenbach,
von den Grünen Daniela Wagner-Pätzhold und von der CDU Otti Geschka.
Die Moderation oblag Ulrike Holler
vom Hessischen Rundfunk. Die Politikerinnen antworteten auf Themenkomplexe. Wir bringen Schwerpunkte der
Antworten (soweit sie verständlich waren) für unsere Leserinnen, die nicht
teilnehmen konnten. Der Schreiber (ein
Mann) enthält sich jeden Kommentars.
Das erste der Themen:
Frauenförderung:
Frau Wieczorek-Zeul: „In der SPD
selbst haben wir eine erfolgreiche Frauenpolitik verwirklichen können, heute
sind vierzig Prozent der Stellen mit
Frauen besetzt. Darüber hinaus haben
wir ein Gleichstellungsgesetz entwickelt, das gesetzliche Regelungen für
Bund und Länder schaffen soll. Auch in
Betriebsräten der privaten Industrie sollen Frauen nach unseren Vorstellungen
vertreten sein.“ Damit so etwas auch
von der Industrie befolgt wird, bringt
Frau Wieczorek-Zeul als Beispiel die
USA, wo für Betriebe, die keine Gleichstellung verwirklichen, finanzielle Fördermittel gestrichen werden, das empfiehlt sie, auch bei uns einzuführen.
Frau Wagner-Pätzhold: „Der Frauenförderplan hat in den letzten drei Jahren nicht funktioniert. Wir haben ein
Gleichstellungsgesetz vorgelegt und
haben in der Partei ohnehin eine paritä-
tische Besetzung von fünfzig Prozent“.
Sie weist ausdrücklich darauf hin, daß
Frauenförderpläne - auch wenn sie in
gesetzlichen Status erhoben sind- nicht
gleich etwas mit Machtverteilung zu
tun haben.
Frau Geschka: „Der Teufel steckt
im Detail“. Sie schließt sich der Meinung von Frau Wagner-Pätzhold an:
„Es hat wenig gebracht bisher. Frauen
sollen - so steht’s im Gesetz - bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Was
ist gleiche Voraussetzung? Da steht
dann später in der Beurteilung drin,
man hatte doch den Eindruck, daß der
Mann besser geeignet sei für den Posten.“
Auf die Frage aus dem Publikum
nach einer klaren Regelung über formale Kriterien für die Qualifikation, „denn
Gefühlsentscheidungen kann man nicht
brauchen“; antwortet
Frau Linke-Diefenbach: „Wir lehnen die Quoten ab. An den Schaltstellen
sitzen noch nicht genügend Frauen, die
sagen: Jetzt protegieren wir mal.“
Frau Wieczorek-Zeul: „Das AntiDiskriminierungsgesetz, eine Forderung der Grünen, enthält einen wesentlichen Punkt: Die Beweispflicht für das
Nicht-Erfüllen von Quoten soll bei dem
Arbeitgeber liegen und muß, um durchgesetzt zu werden, mit außerordentlich
scharfen Strafen bis zu 100.000 DM belegt werden.“
Frau Geschka: „Ich kümmere mich,
seit ich die Bevollmächtigte der Hessischen Landesregierung für Frauenfragen bin, auch um einzelne Bewerbungen. Ich kontrolliere die Bewerbungen
um Professuren und passe da sehr genau
auf.“
Frau Wagner-Pätzhold: „Gegen die
Seilschaften der Männer machen wir
Frauen der Landtagsfraktion jeden
Mittwoch Stammtisch, um die Männer
mit eigenen Waffen zu schlagen. Fraktionsübergreifend ist das nicht gelaufen,
die Frauen von FDP und CDU sind
eben noch Frauen.“
Das zweite Thema:
Familie - Beruf
Frau Linke-Diefenbach: „ Wir for-
Ich arbeite bei Röhm…
Gespräch mit einem Freund auf der Straße. Samstag vormittag, Einkaufzeit, zufälliges Treffen mit einem alten Freund. Wie immer ist nur wenig Zeit,
jeder hat sein Programm, wird erwartet -dennoch redet man sich fest, erzählt
vieles, was sonst der Öffentlichkeit vorenthalten bliebe. Hier einige Auszüge:
Freund: „Ich bin ja loyal, und eigentlich dürfte ich Dir darüber nichts erzählen - aber vielleicht sollte ich es doch, denn Du hast mit den Berichten
über Röhm in ein Wespennest gestochen. Als die Zeitung erschien, ging sie
bei Röhm von einer Hand in die andere, alle wollten lesen.
Normal kommt so was eh nicht an die Öffentlichkeit. Wenn die Besucher
durchführen, zeigen sie denen nie die alten Anlagen, sondern immer nur das,
was sauber und hygienisch aussieht. Wenn die Leute wüßten, was die da fertig bringen. Die Anlagen sind aus der Vorkriegszeit und - eigentlich dürfte
ich's nicht sagen - aber wenn da mal was hochgeht, hebt es das Dach von der
Halle. Da kann einem angst und bange werden. Die stellen Leute ein, die wissen nichts. Die stellt man grad mal an die Maschine. Womit die hantieren,
wissen die doch nicht.
Seit das Werk an Hüls gegangen ist, der Axel Röhm hat ja verkauft, herrschen da andere Sitten. Jetzt müssen die Kontrolleure den Kopf hinhalten mit
Strichlisten, auf denen genau kontrolliert wird, wer wie oft und wann kontrolliert worden ist. Nur was soll's bei den Uralt-Anlagen?
Leid tut mir ja vor allem der Kleine, der 1987 an der Maschine stand, als
der Unfall war - das war nicht fair, den rauszuschmeißen. Die haben doch sowie so zu wenig Leute, und was für Leute. Seit Hüls haben die auch mit Unterrichtung angefangen - trotzdem wissen die meisten nicht, womit sie's eigentlich zu tun haben.“
ZD: „Meinst Du nicht, daß es für den Chemiehandwerker damals eher
Glück war, daß er gefeuert worden ist?“ (Die Frage wird sofort richtig aufgefaßt, die Verbindung zu gesundheiltlicher Gefahr hergestellt!)
Freund: „Das mit dem Krebs ja, das müßte einer mal klar schreiben und
an die Öffentlichkeit bringen.“
ZD:„ Wie denn, das kommt doch meist nicht raus, weil Zusammenhänge
nicht beweisbar sind? Beispielsweise die Frage danach, wieviele alte und
kranke Menschen vorzeitig gestorben sind nach dem damaligen Unfall wird
immer un beantwortet bleiben.“
Freund: „Da hast Du recht, aber damit muß man wohl leben. Aber trotzdem…“
dern mehr Hortplätze und die betreuende Grundschule.“
Frau Geschka: „Schule als Angebot
- als Ganztagsschule, ergänzt um Horte
für die Ferien halten wir für sinnvoll.
Und seit wir an der Regierung sind, gibt
es erstmals fünfzig Ganztagesschulen.
Es werden immer mehr werden, Schritt
für Schritt. Bis wir an der Regierung
waren, haben ja alle in der Richtung
nichts getan.“
Frau Wagner-Pätzhold: „Ich habe
bei diesem Thema immer eine unheimliche Wut im Bauch. Das Kultusministerium schafft es immer wieder, die
Leute auf Grund laufen zu lassen. Da
muß man auch mal Nägel mit Köpfen
machen, zum Beispiel beim Straßenbau
abspecken.“
Die Frauenbeauftrage des Landkreises Darmstadt-Dieburg, Dagmar
Morgan fordert: „Wo sind eigentlich
die Männer, die Väter, die tragen doch
auch Verantwortung. Die sollen mit
einbezogen werden.“
Frau Wieczorek-Zeul: „Der Grund
für wenig Kinderbetreuung ist, wir haben wenig getan. Es gibt da eine große
Lücke zwischen öffentlichen Bekundungen und der Wirklichkeit. Kinder
brauchen eben auch Platz, mehr Platz in
unserem Leben. Und wir müssen uns
überlegen, wie wir unsere Männer fördern können. Es muß eine Motivation
für Männer geben, auch Elternurlaub
zu nehmen - durch mehr Urlaub.“
Frau Geschka: „Da muß ein Bewußtseinswandel stattfinden.“
Das dritte Thema:
Sexuelle Gewalt
„Wie werden Sie dafür eintreten,
daß Gewalt gegen Frauen, Mädchen
und Lesben verhindert wird? Meistens
geschieht sexuelle Gewalt in der Familie. Was kann praktisch getan werden?“
Frau Wieczorek-Zeul: „Öffentliche
Diskussion, Unterstützung der Frauenselbsthilfe-Gruppe durch finanzielle
Mittel für mehr Frauenhäuser und mehr
Personal“.
Frau Wagner-Pätzhold: „ Härtere
Strafen sind die eine Seite - Knäste abschaffen die andere - wir sind für humanen Strafvollzug, aber auch für den
Schutz der Frauen und Kinder, das ist
ein Widerspruch, der bleibt bestehen.“
Frau Linke-Diefenbach: „Hilfe statt
Strafe geht nur, wenn sie früh genug
einsetzt. Es gibt Männer, die sich selbst
melden - das ist die absolute Ausnahme. Reichlich wenig passiert da“.
Das vierte Thema:
Abrüstung
Alle erklären sich als Befürworterinnen der Abrüstung - mit Ausnahme
von Frau Geschka:„Ich bin keine Verteidigungspolitikerin“.
Das fünfte Thema:
Abschaffung §218
Frau Geschka: „ Die Verfassung
schreibt ausdrücklich den Schutz des
ungeborenen Lebens vor, allerdings
müßen die die Rechtsansprüche auf
Hilfe und Beratungshilfen erweitert
werden. Ich bin gegen die Fristenregelung und für die Indikationslösung , wie
wir sie haben. Das Recht des werdenden Lebens steht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.
Frau Wagner-Pätzhold: „ Es wäre ja
schön, wenn sich die Lebensschützer
des Ungeborenen auch mal für das existierende Leben einsetzen würden. Ich
bin für ersatzloses Streichen des §218
und gegen eine Kriminalisierung der
Frauen“.
Frau Wieczorek-Zeul: „Wir müssen
über politische Verhältnisse eine Mehrheit im Bundestag erreichen, die den §
218 abschafft, dafür sorgt, daß er aus
dem Strafrecht gestellt wird. Praktische
Hilfe aber heißt der schwangeren Auszubildenden auch den Platz zu sichern
und der Studentin längeres BAföG“.
(red)
CDUWaldkolonie oder:
Wo ist Reinhard
Sander?
(rai.) „Die CDU stellt mit Reinhard Sander als einzige Fraktion in
der Waldkolonie einen Stadtverordneten. Er ist für alle Bürger da, und er
wird deren Belange vertreten. Unterstützen Sie ihn in dieser schwierigen
Aufgabe.“
So hieß es vor längerer Zeit auf einem Flugblatt der CDU. Sieht man
einmal davon ab, daß dieser Stadtverordnete die Bürgerinnen offensichtlich nicht vertritt, dann stimmt nach
Meinung vieler WaldkolonistInnen
nur der erste Satz. Denn wann und wo
immer in diesem Stadtteil, in den gesamtdarmstädter Probleme ständig
hineinverlagert werden, diskutiert
wird - nie hat man bei solchen Gesprächen den Stadtverordneten Sander gesichtet.
Die seinerzeit vorgesehene Ansiedlung von Eumetsat neben der
Esoc hatte Sander aus „Gewissensgründen“ befürwortet und den Waldverlust, der entstanden wäre, in Kauf
genommen. Andererseits ist ihm der
Westwald ein ständiges Anliegen: Zu
einer Waldsäuberungsaktion hatte er
zu einem Zeitpunkt aufgerufen, zu
dem der Wald aus Naturschutzgründen (Brutzeit der Vögel) entlang der
Wege forstamtlich gesperrt war.
Nie nahm Reinhard Sander an einer Veranstaltung der Bürgerinitiative
teil - offensichtlich erscheint ihm diese als zu grün. Auch Bürgerversammlungen, zu denen früher die SPD eingeladen hatte, mied er, weil ein
Schwarzer nun einmal nicht zu den
Roten geht - auch wenn dies der Sache dienlich gewesen wäre. Deshalb
ist die Enttäuschung (auch unter
CDU-Mitgliedern und deren Sympathisanten) seit gut zwei Jahren groß denn bis dahin hatte man sich noch an
den damaligen SPD-Stadtveroprdneten Friedel Gnad wenden können.
Kürzlich hat Reinhard Sander
auch den Platz seiner Fraktion im
Umweltausschuß geräumt. Zwar
sieht man das unter WaldkolonistInnen als nicht so tragisch an, weil sich
Sanders Aktivitäten dort stets in
Grenzen gehalten hatten, aber angesichts der auch diesen Stadtteil betreffenden Veränderungen am Hofgut
Gehaborn wäre ein Stadtverordneter
in diesem Ausschuß wichtig.
Nachdem der SPD-Ortsverein in
der Waldkolonie das Feld kampflos
geräumt hat und auch CDU-Aktivitäten unter Fehlanzeige laufen (die
Grünen unterhalten dort keine Ortsgruppe, was manche AnwohnerInnen
sehr bedauern), muß dieser Stadtteil
gegenwärtig als parteipolitisch tot
gelten. Ursula Muhn von der Bürgerinitiative: „Was hier früher die Parteien gemacht haben, das muß ich jetzt
alles machen“.
Darmstädterisches
Mißstände gib'ts gar viele und im
Zeitalter des ungetrübten Glaubens an Naturwissenschaft und
Technik wird alles für machbar
gehalten, vorausgesetzt, daß Geld
dafür ist da. Auf echt Darmstädterisch hört sich das so an:
"Do hot doch so aan Beamder
vom Finanzministerium mal gesacht - mer habe ihn gefracht ,
warum er sich die Schäde net e
mol vor Ort ogucke dut - ja do hot
der doch gesacht: "Nein, denn
dann muß ich Ihnen ja Geld geben".
Nachrichten
Bundesbahnausverkauf ?
Designer gesucht
AfA-Darmstadt diskutiert mit Ernst Haar
Amerikaner rücken ab
Am 12.9. hatte die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen
(SPD) Ernst Haar in die HEAG-Kantine am Dornheimer Weg eingeladen,
um mit ihm und – vor allem – Bundesbahnangestellten verkehrskonzeptionelle Probleme, hauptsächlich im
Bereich der Bundesbahn, zu diskutieren. Zugegen waren auch der Landtagsabgeordnete Karl Hermann Ritter
(SPD) und der Direktkandidat für den
Landtagswahlkreis 51 (DarmstadtDieburg 1), Harald Polster.
Ernst Haar, Schwabe, Sozialdemokrat alter Prägung, ist Mitglied des
Deutschen Bundestages, war fast
zehn Jahre lang Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GED), ist bahnpolitischer
Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, war Staatssekretär im Verkehrsund Postministerium in der Ära
Schmidt und ist auch Mitglied des Regierungsausschusses Verkehr. Haar
ist 65 und er scheidet mit Ablauf der
jetzigen Legislaturperiode aus dem
Hohen Hause aus, nicht weil er es altersmäßig oder gesundheitlich nicht
mehr könnte, sondern weil er sich einreihen möchte in die Schar all der anderen, die eben auch mit 65 in Pension gehen. Ein älterer Herr dieses
Schlages, immer im Zentrum oder in
Riechweite irgendwelcher Macht, hat
an der Wendemarke zum Altenteil
manches zu erzählen: Vor allem Politisch-Anekdotisches: - das macht ihn
menschlich - allzumenschlich. Gelegentlich kam er auch auf sein eigentliches Thema: Bundesbahnausverkauf.
Heftig war seine Kritik am letzten
DB-Manager Gohlke, und die Frage
aus dem Publikum, welche Hauffsche
Menschenkenntnis (damals war
Hauff, der Frankfurter OB, Verkehrsminister) Gohlke berufen ließ, beant-
Keine illegale Deponie
Vieth gewinnt Prozeß wegen
Betreibens einer illegalen Deponie
Die Mieter, die das Haus Alicenstrasse 2 mal bewohnten, sind zum Teil
mit unsauberen und kriminellen Methoden entmietet worden – das war vor
mehr als einem halben Jahrzehnt. Seitdem steht das Haus Alicenstraße 2 leer
und gammelt still vor sich hin. Theodor
Vieth, dem der Schuppen gehört –
Wohnhaus kann man dazu nicht mehr
sagen –, will es seinem ursprünglichen
Verwendungszweck nicht wieder zu
führen. Statt dessen lagert ein Haufen
Müll auf dem Grundstück und im Keller - so die Staatsanwaltschaft. Sie hatte
Vieth gerichtlich dazu veranlassen wollen, seine private Kippe zu beseitigen,
wegen „Betreibens einer nicht genehmigten Abfallbeseitigungsanlage“. Allerdings gerieten die Juristen in Beweisnot: Wo die Grenze zwischen beispielsweise Alt-Eisen und Schrott verläuft ist
nicht nachweisbar, solange der Eigentümer eine geplante Wiederverwendung
zumindest behaupten kann.
Am 20. August wurde das Verfahren vom Darmstädter Amtsgericht eingestellt. Vor Ort konnte Vieth das Gericht davon überzeugen,daß er für den
ganzen Sperrmüll noch Verwendung
habe und Nichtverwertbares ordnungsgemäß beseitige. Also kein unerlaubtes
Betreiben. Jedem steht es frei, aus seinem Grundstück eine Mülldeponie zu
machen, solange sie nicht gegen das
Abfallbeseitigungsgesetz verstößt.
Daß dieses Grundstück zu einem
Wohnhaus gehört, das selbst zu einem
Müllhaufen geworden ist, erregt zwar
öffentliches Ärgernis und kann, in Anbetracht der katastrophalen Wohnungsnot, gelinde formuliert als Asozialität
bezeichnet werden, zu juristischen
Schritten hat es aber nicht geführt.
Vieth schwebt städtebauliche Größe
vor: Ein Parkhaus mit modernem Gebäudekomplex soll auf dem Grundstück
errichtet werden. Die Pläne für sein Monument lägen noch immer beim Bauamt und warteten auf ihre Bearbeitung.
Dort liegen sie gut, denn von der Stadt
sind sie längst abschlägig beschieden.
wortete Haar so: „Hauff war damals
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei
IBM, Gohlke auch“. Haar sieht die
Bahn „offensichtlich in einer Krise“,
aber in einer solchen stecke der Verkehr generell. 900 000 Stunden Stau
gebe es in der BRD pro Jahr, was
volkswirtschaftlich und umweltpolitisch ein absolutes Unding sei. 30
Millionen PKW-Fahrer bewegten
sich jährlich über unsere Straßen - da
müssen neue Konzepte her: "Eine
umweltbedenkende Verkehrspolitik,
die nicht unbedingt eine nur schienenfreundliche sein muß, muß sich begründen!"
Publikumsfragen bezogen sich
auf das schlechte Image der DB (das
sie sich redlich verdient habe), den
Kundendienst, die Fahrplangestaltung, den öffentlichen Personennahverkehr. Ernst Haar dazu: Für den Bereich "Personen- und Geschäftsverkehr" habe die DB ihr Image
verbessert, vor allem in der Sparte "1.
Klasse". Hier müsse auch für die
"2.Klasse" noch Erhebliches an Serviceleistungen draufgesattelt werden.
Auch das Lohngruppenverhältnis sei
gründlich zu überdenken: So gehe es
nicht an, daß ein Lokführer (mittlerer
Dienst), der ungeheure Verantwortung für seinen Zug und dessen Insassen trage, so mäßig entlohnt werde.
Erhebliche Probleme werde es auch
zunächst durch die Vereinigung der
beiden deutschen Staaten geben.
Bereits vor der Veranstaltung hatte sich Ernst Haar mit den besonderen
Problemen der Eisenbahner vor Ort
bekannt gemacht. Wie in Kassel, so
wäre auch im Ausbesserungswerk
Darmstadt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen durch Privatisierungspläne
der DB gefährdet gewesen. Dieses
Damoklesschwert hängt immer noch
über diesen Beschäftigten,aber angesichts der bevorstehenden Wahlen
sind diese Privatisierungsmaßnahmen
zunächst zurückgestellt worden. Später - Ernst Haar war bereits wieder auf
dem Weg nach Bonn - versicherten
Harald Polster, Karl Hermann Ritter
und Ulrich Wißmann (Darmstädter
AfA-Vorsitzender) die „Bundesbähnler“ ihrer umfassenden Solidarität,
vor allem jene vom Ausbesserungswerk, die nach den Wahlen von der
Reduzierung betroffen sein werden.
Weitere Veranstaltungen zu dieser
Problematik sollen folgen, an denen
sich auch die HEAG beteiligen will.
Ingulf Radtke
Mahnwachen für Kinder
Die Erwartungen an den UNOWeltgipfel für Kinder am 29. und 30.
September in New York, sind hoch: Das
Wohl der Kinder soll in jedem Land politische, wirtschaftliche und soziale Priorität erhalten.
Weltweit sterben täglich 40 000
Kinder im Alter bis zu fünf Jahren an
Hunger oder Krieg, Unfällen oder
Krankheiten. Ein Bewußtsein dafür zu
fördern und auf den politischen Willen
einzuwirken, ist das Ziel einer weltweiten Aktion, die dem UNO-Gipfel
vorausgeht. In über 70 Ländern rund
um den Erdball werden am Sonntag,
dem 23. September, Mahnwachen beginnen.
Daran beteiligt sich auch Darmstadt. Unter der Schirmherrschaft von
Oberbürgermeister Günther Metzger
nehmen 14 Darmstädter Organisationen
und Verbände daran teil. Die Aktion auf
dem Marktplatz beginnt um 18 Uhr. Neben der Kindergruppe Children´s International Summer Villages (CISV), die
„Kinderrechte” spielen und dem Kinderchor der Kindermusikschule Hoppla-Di-Hopp werden Eike Ebert (SPD),
Dr. Dierk Molter (FDP), Michael Will
(Die Grünen) und Gerhard O. Pfeffermann (CDU) Stellung beziehen, außerdem die Kinderbuchautorin Ursula
Fuchs. (red.)
(rai.) Zwischen 1991 und 1998
wird die Ernst-Ludwig-Kaserne an
der Eschollbrücker Straße frei. Umzüge bei solchen Entfernungen dauern halt lange. Unsere amerikanischen Freunde richten sich bereits
jetzt auf ihre neue englischsprachige
Umgebung „back in the States“ ein
und versuchen in einem sog. „codeswitching-program“ die sprachliche
Re-Integration in ihre alte Heimat. Im
Amt für Propaganda und Technologiegewerbeentwicklung bei der Stadt
Darmstadt ist eine „Untere Abschiedsbehörde“ installiert worden,
die sich ausschließlich um die Produktion von Schnupf- und Winktüchern kümmern soll. Ein Stab von
Designern ist dieser Unterbehörde zugeornet: Er soll bis Weihnachten
Stars-and-Stripes-Motive, die sich
angenehm mit dem Darmstädter
Stadtwappen verbinden, ersinnen.
Wie wir kurz vor Redaktionsschluß von unserem Korrespondenten
im Pentagon erfahren haben, soll von
1999 an und dann weiter durchs dritte
Jahrtausend der Umzug gehen. Nach
ersten Hochrechnungen könnte der
völlige Abzug unserer amerikanischen Freunde bis zum Jahre 2432
grundsätzlich abgeschlossen sein.
Auszüge aus einem Dossier von
General Gerald H. Putman mit vertraulichem Kartenmaterial an OB
Metzger veröffentlichte das DE - danach soll ein weiterer Part des Umzuges - mit 650 Soldaten - aus den
Kelley-Barracks ab 1.Mai 1991 vonstatten gehen. Im Interesse unseres
OB, der eine Chance sieht, die Heimstättensiedlung zu erweitern - bitten
wir Wohnungssuchende und Spekulanten, noch nicht an die Stadt heranzutreten - sie will das Gelände erst als
Geschenk vom Bund erwerben. (mig)
Architekten treten an die
Öffentlichkeit
(mig.) Für mehr Öffentlichkeit
der geplanten Bauvorhaben in der
Stadt will der Bund Deutscher Architekten (BDA) sorgen und hat deshalb
erst einmal Vorgespräche mit der
Presse geführt. Ab Frühjahr 1991 soll
ein „Forum Stadtentwicklung“ den
Darmstädtern mehr Einsicht in die
Planung und eine detailliertere Vorstellung von Bauvorhaben ermöglichen. Über Diskussionen, Stadtrundgänge und Ausstellungen möchten
die Architekten mehr Einblick in
Stadtentwicklung geben. Das Ideal
Schweizer Verhältnisse, wo Bauherren verpflichtet sind, die Gebäude erst
einmal als Vormodell zu errichten, damit ein Eindruck von dem gewonnen
werden kann, was später im Stadtbild
prägend ist, gibt einen Eindruck von
den Vorstellungen der Architekten.
Auch wenn bei uns wegen fehlender
gesetzlicher Bestimmungen die Planungsvorhaben nicht so nahe gebracht werden können.
Die Kritik beispielsweise an der
„Investorenplanung“ - so bezeichnen
die Architekten Bauvorhaben, die ohne Öffentlichkeit nach ausschließlich
ökonomischen Gesichtspunkten errichtet werden - bildet dabei den Hintergrund. Beispiele dafür gibt es in
Darmstadt genug. „Stadtkultur und
Lebensqualität in Darmstadt“ ist der
Titel einer ersten Veranstaltung im
Februar kommenden Jahres und „Perspektiven der Stadtentwicklung“ der
zweiten, in einer dritten Veranstaltung
sollen die Ergebnisse diskutiert werden.
Schmalfuss on the road
Der Pianist Peter Schmalfuss,
Darmstadt, war im Augut in Südamerika auf Tournée und gab 12 Konzerte
und einen Meisterkurs in Brasilien..
(Konzerte mit Orchester, Solo- und
Kammerkonzerte), u.u. in Sao Paulo,
Curitiba, Brasilia und Porto Alegre.
38 . Kalenderwoche - Seite 15
In eigener Sache
Wo kann Frau/Mann die Zeitung für Darmstadt kaufen ?
Zeitung machen ist eine Sache - die andere ist, sie auch an Frau/Mann zu
bringen. Damit die Zeitung für Darmstadt immer und überall erhältlich ist, haben wir einen Vertrieb beauftragt, der sie an 278 Kioske , Lebensmittelläden kurz an alle Zeitschriftenverkaufsstellen in und um Darmstadt verteilt. Aber an
den wichtigsten Stellen gibt es sie nicht: Luisenplatz, Hauptbahnhof und Buchhandlungen. Wir haben alle Buchhändler angeschrieben und sie gebeten, unsere
Zeitung mit in ihr Verkaufsprogramm aufzunehmen und hoffen, daß damit dieser Mißstand zum Teil zumindest beendet sein wird. Abstellen aber lassen sich
die Vertriebsprobleme nicht, denn zum Teil schicken die Verkaufsstellen die angelieferte Zeitung einfach wieder zurück. Sie wird nicht ausgelegt und zum Teil
auch gar nicht zum Verkauf angeboten: Wen wundert´s, wenn die „Nationalzeitung“ an der Stelle liegt, wo eigentlich die ZD angeboten werden müßte.
Der Verkauf der ZD bringt nichts, sondern kostet
Aber selbst wenn, dann hilft das unseren Lesern nur, leichter an die Zeitung
zu kommen - die ZD legt bei dem Verkauf an Kiosken noch drauf: Die Vertriebsgesellschaft kassiert die Hälfte des Verkaufpreises - übrig bleibt für uns
nichts mehr. Deshalb bitten wir alle interessierten Leser, die Zeitung zu abonnieren. Das hat nicht nur vertriebliche Gründe, auch inhaltliche: Wir berichten
kontinuierlich weiter über das, was wir einmal im Blatt hatten. Wer dann nur
mal sporadisch eine Zeitung liest, verliert den Überblick.
„Die Zeitung für Darmstadt ist ja viel zu teuer“
Zum Preis: Wir hatten mehrere Anfragen wegen des Abonnement-Preises,
der jetzt über dem Einzelverkaufspreis liegt. Das ist im Moment richtig - ändert
sich aber wieder, wenn wir ökonomisch Land in Sicht haben. Statt zwei Ausgaben im Monat zu erstellen, versuchen wir Abonnements und Anzeigen zu werben, damit eine Existenz auf längere Sicht Chancen bekommt. Vom Inhalt her
sind die nächsten Ausgaben deshalb umfangreicher und nur, wenn etwas wirklich Sensationelles passiert, werden wir - nur an unsere Abonnenten - Sonderausgaben liefern.
Warum das Gerede von der Kokurrenz Unsinn ist.
Die Zeitung für Darmstadt, das muß einmal klar und präzise gesagt werden,
ist keine Konkurrenz für das Darmstädter Echo. Erstens wollen wir das gar
nicht, denn die ZD ist keine Heimat-Zeitung, die über alles und jedes nur deshalb berichtet, damit die Darmstädter sich selbst mal irgendwann im Blatt lesen
oder gar sehen können. Zweitens können wir das gar nicht, da eine (hoffentlich
mal) Wochenzeitung im Überblick berichtet und nicht jede (ausgewählte) Presseverlautbarung mal mehr oder weniger offen im Wortlaut abdruckt. Drittens erweitern wir den Blick für die Wirklichkeit in Darmstadt, und das kann nur eine
zweite Zeitung leisten. Für ein Darmstädter Echo stellen wir ebenfalls keine
Konkurrenz dar: die spielt sich nicht in der Berichterstattung ab, sondern im Anzeigengeschäft. Und da meinen wir: Für ein Blatt das überwiegend aus Anzeigen besteht, sind wir nicht ernst zu nehmen als ökonomische Konkurrenten.
„Man hat Sie eingeordnet“,
erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Rüdiger Moog. Gegenfrage:
„Wie eingeordnet?“. Antwort: „Zu den Grünen natürlich“. Was er und die meisten nicht sehen: Zeitung lebt auch und vor allem von den Informationen, die sie
bekommt. Die meisten Informationen bekommt die „Zeitung für Darmstadt“
von den Grünen, die sich sehr bemühen, nicht nur Pressemitteilungen, sondern
auch Veranstaltungstermine durchzugeben. Danach kommt die CDU, die bislang nur die Pressemitteilungen schickt, aber keine Termine. Die FDP reagiert
entweder gar nicht oder nur sporadisch mit Teilmeldungen. Und die SPD gibt
gar keine Termine durch und selektiert die Nachrichten: Alles Wichtige kriegt
das„Echo“, und ab und zu – wenn es nicht so wichtig ist – kriegt auch die ZD
etwas. Alle denken: „Die müssen doch irgendwo stehen“ – parteipolitisch gemeint. Daß es auch einen Journalismus gibt, der sich nicht in die Schubladen eines bestimmten orientierten Denkens stecken läßt, sondern unabhängig und nur
der Sache verpflichtet ist, müssen wohl noch viele Leute lernen.
Nochmal: Wir werden von keiner Partei bezahlt, unterstützt oder sonst was
– wir sind eben unabhängig.
Die Probleme der Geschäftswelt: Vier Irrtümer
Was läuft wohl eher weg, die Kunden oder die Lebensqualität ?
Bei dem Versuch unseres Anzeigenberaters, Anzeigen zu werben, hört er außer Standard-Ausreden - immer häufiger, „wenn wir darin annoncieren, laufen uns unsere Kunden wohl möglich weg“, oder „das liest ja doch keiner“.
Erster Irrtum: Die Möglichkeit für preiswerte Anzeigen und eine im Sinne
der Marktwirtschaft gesunde Konkurrenz läuft den Geschäftsleuten davon,
nicht ihre Kunden. Richtig: Wer sein Geschäft auf lange Sicht plant und nicht
nur im Heute lebt, müßte schon jetzt anfangen an die Zukunft (des preiswerten
Werbens) zu denken.
Zweiter Irrtum: Je weniger Anzeigen in einer Zeitung stehen, desto eher
werden sie gelesen und je eher Anzeigen gelesen werden, desto wirksamer sind
sie - von wegen die Kunden laufen weg - eher hin.
Dritter Irrtum: Die Zeitung für Darmstadt wird gelesen. Die Hochschulbibliothek hat noch keine Zeitung archiviert, die so oft nachgefragt und gelesen
wird. Der Inhalt der jeweiligen Zeitungsausgabe ist den meisten bekannt, auch
über Darmstadt hinaus.
Vierter und letzter Fehlschluß: Auch Geschäftsleute leben in Darmstadt
und müßten an einer Erhaltung der Wohnqualität Ihrer Stadt und Umwelt mindestens genauso interessiert sein, wie an dem Fortbestand Ihrer Geschäftstätigkeit. Die Ökonomie – oder die Mark in der Tasche – ist eben nur ein Teil des Lebens.
Der Herausgeber
Kulturelles
38 . Kalenderwoche - Seite16
Vom Glück des Kunstsammlers
Expressionistische Kunst in Frankfurt
Hubert Bischof singt den Fallstaff
im Darmstädter Staatstheater.
(Foto Aumüller)
Kunstsammlungen können Geschichte erzählen, ihre Veränderungen
sind oft durch den „Zeitgeist“ einer
Epoche geprägt. Private Sammlungen
sind meist nur ihren Eigentümern bekannt, ihre Veröffentlichung läßt sie
dann um so sensationeller erscheinen.
Beide Aspekte lassen die Sammlung des Frankfurter Ehepaares Ludwig
und Rosy Fischer zu einem interessanten Kapitel Kulturgeschichte werden,
das derzeit in einer Ausstellung des
Frankfurter Jüdischen Museums erarbeitet wird. Die Umstände der Entstehung erscheinen dabei ebenso zeittypisch, wie mit dem persönlichen
Schicksal der Sammler verbunden.
Beide stammten aus dem bürgerlich jüdischen Milieu, kannten dessen Wechsel von Traditionalismus und Weltaufgeschlossenheit, erlebten aber auch ihre
Isolation als Randgruppe. Kurz nach
der Jahrhundertwende fanden sie in der
Kunst des Expressionismus eine Richtung, die ihrem Lebensgefühl entsprach. Ihre Gemälde kauften sie größtenteils bei dem jüdischen Frankfurter
Kunsthändler Schames, dessen Engagement für avantgardistische Kunst vergleichbar ist.
Nach dem Tod ihres Mannes richtete Rosy Fischer selbst eine Galerie in ihrer Wohnung ein, um trotz der Wirtschaftskrise weiter sammeln zu können
- zu einer Zeit, als Galeristin noch ein
seltener Beruf war. Einen Block von 24
Werken der über 500 Exponate zählenden Sammlung konnte sie an das Museum in Halle verkaufen, wodurch der
Name Fischer erste Bekanntheit erlangte, zwei Jahre später starb sie. Für das
Provinzmuseum war der Kauf spektakulär, die Expressionisten waren erst
teilweise anerkannt. Bald schon 1937,
bei der „kulturellen Säuberung“
Deutschlands durch die Nazis, wurden
die Bilder aus Halle beschlagnahmt und
in der Schau „Entartete Kunst“ gezeigt
als abschreckendes Beispiel der durch
Juden „verdorbenen“ Kunst. Einige der
Werke sind heute verschollen, andere
wurden zu Spottpreisen ins Ausland
verkauft. Von dem Erbe der Sammlung
verkaufte einen Teil der Sohn Max, dessen Bruder Ernst nahm den Rest 1934
bei seiner Emigration mit in die USA.
Dieser Block blieb dort auch nach seinem Tod erhalten und bildet den Kern
der Ausstellung, die Gemälde und Graphik allerersten Ranges vereint. Das
Werk von E.L.Kirchner stellt dabei einen Schwerpunkt dar. Heckel, Pechstein, Mueller und Nolde schließen den
Kreis der Expressionisten der Künstlergruppe „Die Brücke“, der durch Werke
von Marc, Macke, Beckmann, Klee und
anderen ergänzt wird.
Die Ausstellung schreibt somit
Kunst-Geschichte, regt an zum Nachdenken über das wechselhafte Schicksal von Privatpersonen, von Frankfurt,
von Deutschland und hebt sich wohltuend von bloßer Kunstpräsentation ab.
Der Besuch verbindet so das angenehme Lernen mit dem nützlichen Kunstbetrachten und darf sehr empfohlen
werden.
Die Ausstellung „Expressionismus
und Exil“ ist bis zum 28.10.1990 zu sehen im Jüdischen Museum Frankfurt,
Untermainkai 14/15, Di-So 10-17 Uhr,
Mi 10-20 Uhr. Der Katalog stellt die
Geschichte der Sammlung aufschlußreich und fundiert dar und kostet
im Museum 48 DM.
Gerhard Kölsch
Pflasterstrand zu Tode gestylt
Das Ende einer Stadtillustrierten
(rai.) Bald 15 Jahre ist es her, daß Daniel Cohn-Bendit und einige andere damals junge Leute mit ihrer Idee von einer „Gegenöffentlichkeit“ so lange
schwanger gingen, bis sie den „Pflasterstrand“ gebaren, der sich im Laufe der
Jahre zu einem ansehnlichen, lesenswerten und kritischen Magazin mauserte.
Temperamentvoll - zu seiner Hoch-Zeit - und mit einem sattelfest gewordenen
Journalismus bot es dem uniformen, uninspirierten Tagespressen-Medienzirkus
Paroli, und vielen LeserInnen war das Blatt zur Herzensangelegenheit geworden.
Damit ist nun Schluß. Den Pflasterstrand wird es so nicht mehr geben - warum? Als Grund für seine Einstellung nannte Cohn-Bendit die Höhe der monatlichen Investitionen für den Verleger Matthias Kierzek, der auch Eigner der
Fuldaer Verlagsanstalt und Teilhaber am Eichborn-Verlag ist. Er habe zum
Schluß bald dreistellige Tausenderbeträge zubuttern müssen, obwohl - laut
Cohn-Bendit die Auflage um die Hälfte und der Anzeigenerlös um das Dreifache habe gesteigert werden können. Aber dies hatten die Produktionskosten des
optisch opulent aufgemachten Postmoderne-Blattes, das den kritischen Biß so
gut wie aufgegeben hatte, mit jeder neuen Ausgabe bereits wieder verschlungen. Nach dem Stil des „New York Magazine“ hatte Chefredakteur Matthias vor
wenigen Monaten das Magazin aufmotzen wollen - und es damit gesprengt.
Die Großverlage Burda und Bauer winkten ab, als sie um Patenschaft gebeten wurden - sie wittern das große Billiggeschäft in der (Noch-)DDR. Nun hat
sich ehemalige Vor-Ort-Konkurrenz, die Macher von „Auftritt“ nämlich - des
gestrandeten Hochglanz-Blattes angenommen und sich grundsätzlich auf eine
Kooperation ab November 1990 geeinigt. Es ist bis heute nicht deutlich, ob die
„Presseverlagsgesellschaft für Zeitungen und neue Medien“, die den „Auftritt“
herausgibt, in der Lage ist, das nötige Kapital für den Kauf des „Pflasterstrandes“ aufzubringen - so jedenfalls deren Verleger Eichhorn und Krauß:“das ist
genau das Problem.“
Vom Politkartoon zu gähnender Langeweile
Gerhard Seyfried wurde 1948 in München geboren und
lebt seit 1977 in Berlin-Kreuzberg. Bekannt wurde er durch
seine unvergleichlichen Polit-Cartoons, die anfangs in der
Münchner Stadtzeitung "Blatt" erschienen, jedoch auch
von anderen Stadtzeitungen rasch als Raubdruck übernommen wurden. In seinen Cartoons, die politische Ereignisse
der damaligen Zeit, wie Hausbesetzungen, Anti-AKWProteste und Knüppeleinsätze der Polizei karikierten,
wimmelt es nur so von dumpfköpfigen Ordnungshütern,
die verzweifelt versuchen, im Chaos der linken und alternativen Scene Ruhe und Ordnung herzustellen. Mit seiner
grenzenlosen Respektlosigkeit führte er nicht nur hirnloses
Obrigkeitsdenken durch gelungenen Sprachwitz ad absurdum - sein Spott machte auch vor der linken Scene nicht
halt, die sich in ihren endlosen Theoriedebatten nie über einen gemeinsamen Weg einigen konnte.
Seyfrieds frühere Arbeiten, die in den beiden, vom Rotbuchverlag herausgegebenen Bänden , „Wo soll das alles
enden? - Kleiner Leitfaden durch die Geschichte der APO“
und „Invasion aus dem Alltag“, zusammengefaßt sind,
gehören zu seinen besten Comics. Sein 1986 erschienenes
Album „Das schwarze Imperium“ war dagegen inhaltlich
und zeichnerisch gähnend langweilig. Seyfried hatte
einfach nichts mehr zu sagen.
In diesem Jahr versuchte er sein Comeback mit dem
Band "Flucht aus Berlin". Dieses Album kann man als
Mischung aus seinen früheren Arbeiten und dem
"Schwarzen Imperium" bezeichnen. Auf etwa 20 Seiten
arbeitet Seyfried wieder mit gelungenen Wortspielen
und witzigen Figuren, die den Wiedervereinigungstaumel in Berlin ätzend karikieren. Die restlichen 40 Seiten
sind ähnlich hirnlos und langweilig wie die Traumsequenzen im "Schwarzen Imperium". Das ist um so bedauernswerter, als er mit den 20 guten Seiten wieder
einmal bewiesen hat, daß er immernoch einer der stärksten Millieuzeichner der Bundesrepuplik ist.
Gerhard Seyfried wurde auf dem diesjährigen internationalen Comicsalon in Erlangen mit dem deutschen
Comic-Oskar, dem Max-und-Moritz-Preis, als bester
deutscher Zeichner für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.
Während der Buchmesse wird er am 6. Oktober einen
Abstecher nach Darmstadt machen, wo er in der Darmstädter Comic-Buchhandlung Gebicke (am Gericht) seine Alben signiert.
Peter Hetzler