Partnerschaftsprobleme bei Alkoholproblemen

Partnerschaftsprobleme bei Alkoholproblemen
Von Ahmad Khatib
erschienen in salü 1/06
Das Glück „Partnerschaft“
Eine glückliche Partnerschaft gilt als eine besondere Voraussetzung für die allgemeine Zufriedenheit im Leben. Sie ist
eine wichtige Quelle für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach zwischenmenschlicher Bindung (als verlässliche
unterstützende Beziehung), positivem Selbstwert (durch Zuwendung, Bestätigung, Anerkennung etc.), Lustbefriedigung (v.a.
Sexualität) und Kontrolle der persönlichen Lebensumstände zur Führung eines psychosozial ausgewogenen Lebensstils.
Für die meisten Menschen ist die Familie nach Gesundheit der zweitwichtigste Lebensbereich (in den neuen
Bundesländern steht sie an erster Stelle); Liebe folgt auf dem dritten Platz, weit vor Arbeit, Einkommen und Erfolg im
Beruf; über 90% der Menschen in der BRD wünschen sich eine langfristige feste Beziehung; etwa ¾ aller Geschiedenen
heiraten wieder.
Wenn das Glück zum Unglück wird!
Eine unglückliche Partnerschaft gilt als der häufigste Hintergrund für Frustrationen und Depressionen: Für 58% der
psychiatrisch behandelten Patienten waren Eheprobleme der Hauptgrund ihrer psychisch negativen Befindlichkeit; etwa
50% aller Selbstmordversuche sind auf Paarkonflikte zurückzuführen. 2/3 der depressiven (auch schizophrenen) Patienten
erlitten einen baldigen Rückfall, wenn sie zu Partnern zurückkehren, die ihnen kritisch gegenüber stehen (bei positiv oder
neutral eingestellten Partnern beträgt die Rückfallquote nur 11%).
Ehescheidung gilt als eines der am meisten belastenden Ereignisse im menschlichen Leben. Menschen, die von
Partnern getrennt oder geschieden leben, haben eine schlechtere psychische und physische Verfassung als Alleinlebende,
Verwitwete oder Verheiratete. Geschiedene oder getrennt Lebende sind in ambulanten und stationären Behandlungen
sechsmal häufiger zu finden als Verheiratete.
Als häufigste Hintergründe für Paarkonflikte werden an erster Stelle negative Kommunikation (geprägt von
Abwertung, Beleidigung, aggressive Auseinandersetzung u.ä) bzw. mangelnde Zuwendung und unbefriedigende Sexualität
genannt. Probleme aus den Bereichen Finanzen, Haushalt und Beruf spielen eine eher untergeordnete Rolle. Eine schlechte
Beziehungsqualität erhöht die Gefahr physischer Aggression und Gewalt in der Familie.
Partnerschaft bei Abhängigkeitserkrankten
Ca. 1,4 Mio. Menschen in der BRD leben als Partner mit einem Suchtkranken zusammen (insgesamt gibt es mehr
Angehörige, v.a. Partner und Kinder, die im Umfeld von Suchtkranken leben als Suchtkranke selbst). Das
Zusammenleben mit einem Suchtkranken ist für viele Angehörige extrem stressig und belastend. Vernachlässigung
partnerschaftlicher und familiärer Pflichten, negative Kommunikationen, Eskalationen in Zusammenhang mit
psychischen, körperlichen, beruflichen und finanziellen Beeinträchtigungen sind übliche Begleiterscheinungen. Deshalb ist
die Scheidungsrate doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Eine stabile Partnerschaftssituation stellt wiederum
eine wichtige Stütze bei der Bewältigung der Suchtproblematik dar und gilt als eine besonders wertvolle Bedingung zur
Aufrechterhaltung der Abstinenz. Deshalb bemüht man sich in den Entwöhnungsbehandlungen intensiv um die
Miteinbeziehung der Angehörigen (z.B. in Form von „Partner- und Angehörigenseminaren“). Doch was sind die typischen
behandlungsbedürftigen Problembereiche bzw. welche partnerschaftlichen Themen sollen im Rahmen der Entwöhnungsbehandlung besonders beachtet werden, um den Therapieerfolg zu optimieren und langfristig zu stabilisieren?
Inwiefern spiegelt sich der (sichere vs. unsichere) Bindungsstil in der Beziehungsqualität? Können das konstruktive
Denken und die Zuversicht, einen Einfluss auf den Lösungsprozess nehmen, („Kohärenzsinn“),spielen sie bei der
Gestaltung einer zufrieden stellenden Partnerschaft eine Rolle?
Eine Befragung
Im Rahmen der zweitägigen Partner- und Angehörigenseminare in der salus klinik Friedrichsdorf wurden 178 Paaren
(89 Patienten und Patientinnen), zu diesem Thema befragt. Die Dauer der Partnerschaft bei den Befragten betrug im
Mittelwert 17.7 Jahre (Minimum 1 Jahr, Max. 38 Jahre). 64% waren verheiratet, 71,3% wohnen zusammen.
Zur Erfassung möglicher Problembereiche wurden der Partnerschaftsbogens (PFB) und die Problemliste (PL) von
Hahlweg (1996) eingesetzt. Darüber hinaus wurde der „Bindungsstil“ bei den Partnern (Fragebogen Measure of
Attachment Qualities MAQ, Carver, 1997), das „konstruktive Denken“ bei der Bewältigung emotionaler und sozialer
Anforderungen (Costructive Thinking Inventory CTI, Epstein, 2003) und der „Kohärenzsinn“, d.h. die Überzeugung,
bestehende Schwierigkeiten selbst löse zu können (Fragebogen Sense of Coherence SOC, Schmidt-Rathjens et al, 1997)
erfasst.
Patienten und Angehörige wurden gebeten, die (gleichen) Fragebögen getrennt zu bearbeiten. Die Befragung wurde
am ersten Tag der Angehörigenseminare durchgeführt; die Daten wurden im Laufe von ca. zwei Jahren gesammelt.
Ergebnisse:
„Wie glücklich schätzen Sie Ihre Partnerschaft im Augenblick ein?“
Angehörige (Männer wie Frauen) schätzen ihre Partnerschaft insgesamt bedeutend unglücklicher ein als die Patienten.
Das Beziehungsglück nimmt mit zunehmender Ehedauer/Partnerschaft ab. Ferner schätzen die Angehörigen (Männer wie
Frauen) die Gemeinsamkeiten in der Beziehung (Freizeitunternehmungen, Zukunftsplanung etc.) signifikant geringer ein
als die Patienten.
Als häufigste Problembereiche wurden Kommunikation, Sexualität und Umgang mit Alkohol und Medikamenten
genannt. Der allgemeine Kommunikationsstil wird von Patienten und Angehörigen zwar als Problembereich angegeben,
sie erleben ihn jedoch tendenziell als positiv. Bei Sexualität wird das Problem sowohl von Patienten als auch von
Angehörigen (Männern wie Frauen) als solches wahrgenommen; über die diesbezüglich herrschende Unzufriedenheit wird
jedoch eher nicht gesprochen! Der Umgang mit Alkohol/Medikamenten wird von Patienten und Angehörigen ebenfalls als
Problem wahrgenommen. Sie streiten häufig darüber, aber eine Lösung dafür haben sie meistens nicht.
Bindungsstil:
Bindungsstile werden von inneren Regeln und Regelsystemen (meistens nicht bewusst) gesteuert, die aufgrund
früherer Erfahrungen die Gedächtnisinhalte organisieren und die Aufmerksamkeit gezielt ausrichten. So erhalten
bestimmte Interaktionsmuster in der Partnerschaft Auslöserqualität für positive Gefühle von Nähe und Akzeptanz bzw. für
negative Gefühle von Zurückweisung und Abwertung.
Nach den Ergebnissen scheint ein sicherer Bindungsstil (d.h., die Nähe zu anderen Menschen wird als angenehm
erlebt, vermittelt Wohlgefühle) einen positiven Einfluss auf Streit in der Partnerschaft zu haben: Je sicherer der
Bindungsstil, desto weniger Streit entsteht. Ein vermeidender Bindungsstil (d.h., die Nähe zu anderen wird als unangenehm
erlebt, wird vermieden; Distanz wird bevorzugt), ambivalent-besorgter (d.h., Angst und Sorge, von Partnern und/oder
anderen Bezugspersonen nicht wirklich geliebt zu werden) bzw. ambivalent-desorientierter Bindungsstil (d.h., Mühe, zu
anderen die erwünschte Nähe bzw. Distanz herzustellen; Wunsch nach Nähe schreckt andere eher ab) scheint Streit in der
Partnerschaft zu provozieren/schüren und wirkt sich (tendenziell) negativ auf Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit aus.
Patienten weisen weniger sicheren Bindungsstil auf als ihre Angehörigen.
Konstruktives Denken:
Die typischen Umgangsformen mit Suchtproblemen in der Partnerschaft/Familie werden sowohl in der Literatur als
auch in der Arbeit mit Suchtkranken sehr unterschiedlich beschrieben. Sie reichen von Disharmonie bis „CoAbhängigkeit“: Verstrickung in negative Interaktion (Beleidigung, Drohung, Abwendung, Wutausbruche), v.a. in
Zusammenhang mit Misstrauen und Enttäuschungen, wegen unerfüllter Versprechungen einerseits, übermäßiger Verantwortungsübernahme, ausgeprägtem Mitleidgefühl mit starken Helferimpulsen, Neigung zur Verleugnung unangenehmer
Emotionen und Konfliktvermeidung andererseits.
Konstruktives Denken hat einen positiven Einfluss auf die Verhinderung von Streit in der Partnerschaft, wirkt sich
positiv auf das Beziehungsglück und die Gemeinsamkeiten aus. Das konstruktive Denken ist bei Patienten (hinsichtlich
aller drei Aspekte emotionale, behaviorale und globale Fertigkeiten) geringer ausgeprägt als bei Angehörigen.
Auch ein hoher Kohärenzsinn (die Zuversicht, Lösungen für die Probleme selbst herbeizuführen zu können) beeinflusst die partnerschaftliche Atmosphäre positiv. Auch der Kohärenzsinn ist – wie beim Konstruktiven Denken – bei
Patienten geringer ausgeprägt als bei Angehörigen. Diese Ergebnisse könnten eine Folge der chronischen Erkrankung und
der damit verbundenen Veränderung im allgemeinen Wertesystem und in der Zuversicht, Kontrolle bezüglich des Lebensverlaufs einzunehmen, verstanden werden.
Schlussfolgerung:
Die Ergebnisse der Befragung unterstreichen die Bedeutung der Partnerschaft für den Bewältigungsprozess von
Abhängigkeitserkrankungen. Als eine wichtige Grundlage für die Durchführung einer glücklichen Partnerschaft müssen
die dysfunktionalen Aspekte in der Partnerschaft beleuchtet und behandelt werden. Dabei sind die „dyadischen
Determinanten der Ehequalität“ (Hahlweg, 1994) in besonderem Maße zu berücksichtigen: (a) soziale Aspekte, d.h.
gesellschaftliche Eingebundenheit des Paars, Dauer der Partnerschaft, Altersdifferenz etc., (b) Homogenität des Paares,
d.h., Ähnlichkeiten bei den Persönlichkeitsmerkmalen, Wertvorstellungen etc. und (c) Interaktionsstil des Paars
untereinander, d.h. Art der Kommunikation, des Problemlösens, Verständnis für den anderen, Kameradschaftlichkeit und
Ausdruck von Emotionen etc.. Insbesondere positive Kommunikation und Streitverhalten der Partner scheinen eine gute
Immunität für viele Störungen zu gewähren.
Der Kommunikationsstil wird von den Teilnehmern am Partnerseminar eher positiv erlebt. Trotzdem scheint er nicht
auszureichen, um das Thema „keine zufrieden stellende Sexualität“ gemeinsam zu besprechen. Hier fehlt eher die
Bereitschaft zur Kommunikation überhaupt, besonders wenn der Bindungsstil „negativ“, „ambivalent“ oder „desorientiert“
ist. Dementsprechend soll die Aufgabe der Therapie darin bestehen, das Gespräch zwischen dem Paar zu erleichtern, den
Austausch gegenseitiger Wünsche und Erwartungen bzgl. der Sexualität zu ermöglichen und es bei der Findung passender
Lösungen zur Steigerung sexueller Zufriedenheit zu unterstützen. Zum Umgang mit alltäglichen Partnerschaftskonflikten
sollen bessere Problemlösefertigkeiten erarbeitet werden. Die Stärkung der Gemeinsamkeiten zwischen dem Paar soll zur
Harmonisierung des Bindungsstils und zur Verbesserung der Partnerschaftsqualität insgesamt beitragen.
Im Gegensatz zum Problembereich Sexualität wird der störende „Konsum von Alkohol/Medikamenten“ von dem Paar
offen ausgetragen; zur Bewältigung dieses Problems ist das Paar offensichtlich auf die Unterstützung der Therapie
angewiesen. Konstruktives Denken würde zwar zur Beschwichtigung der Problematik und Deeskalation beitragen, jedoch
nicht zur Lösung des Konflikts selbst. Neben der Behandlung der Suchtkranken ist die Aufklärung ihrer Angehörigen über
die Suchtproblematik und der Aufbau eines größeren Verständnisses für die individuelle Problemlage der Betroffenen von
besonderer Bedeutung. Die Angehörigen sollen für ihre konstruktiven Bemühungen Bestätigung erfahren; destruktive
Bewältigungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sollen aufgedeckt werden.
Schließlich ist zu vermerken, dass diese Ergebnisse mit Patienten und ihren Partnern erhoben wurden, die bereit
waren, am Partner- und Angehörigenseminar teilzunehmen. Dies beinhaltet wahrscheinlich bei den meisten eine
Bereitschaft bei der Bewältigung der gesamten Problematik aktiv mitzuwirken. Inwiefern diese Ergebnisse auf alle
Suchtkranken generell übertragbar sind, bleibt jedoch offen. Die Vermutung, dass Patienten, die die Teilnahme am
Angehörigenseminar - absichtlich – vermeiden, möglicherweise andere/weitere Problembereiche aufweisen, bleibt noch zu
überprüfen.