WENN MENSCHEN DEN BÄUMEN AUFS DACH STEIGEN

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Wohnen in luftiger Höhe ist ein ganz besonderes Erlebnis, damit aber weder der Mensch noch der Baum zu Schaden kommt, sind statische Prüfungen unerlässlich. Foto: Baumbüro Klaus Schöpe
WENN MENSCHEN DEN
BÄUMEN AUFS DACH STEIGEN
Hochseilgarten, Klettergarten, Baumhotels – Menschen wollen hoch
hinaus. Statt unter Waldbäumen zu wandern, suchen sie Freizeitglück und Herausforderung in den Baumkronen. Groß und Klein balancieren über Seil- und Hängebrücken, hangeln sich auf wackligem
Untergrund von Baum zu Baum oder sausen mit Karacho über Abgründe hinweg. Doch was bedeutet die freizeit-touristische Eroberung der Baumkronen für die Bäume selbst?
Wie kann man neuen Freizeittrends gerecht
werden und gleichzeitig die Bäume schützen?
Darüber diskutierte die Sachverständigengemeinschaft Baumstatik (SAG e.V.) bei ihrem
9. Workshop im elsässischen Urmatt.
INSTALLATIONEN
IN BÄUMEN sind Fremdkörper,
darin war sich das international besetzte Fachgremium einig. Deshalb ist bei Bauminstallationen Expertenrat gefragt. Bestenfalls vor
dem Bau in Zusammenarbeit mit Architekten.
Der Baumgutachter Klaus Schöpe (Baumbüro,
Garten
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Edewecht) handhabt das so. Er errechnet vor
der Errichtung eines Baumhotels in einem
Worst-Case-Szenario, welche horizontale Last
ein Baum maximal tragen kann. Höchstens
50 Prozent davon mutet er ihm zu. Schlimmstenfalls wird auf die statische Prüfung im Vorfeld des Baus verzichtet. Davon erzählte der kanadische Baumsachverständige Philip van
Wassenaer. „Bei uns ist das eher wie im Wilden
Westen“, sagte er. Die wenigsten Anlagen erhielten eine ingenieurtechnische Analyse. Man
lerne eher durchs Ausprobieren. Dabei erspart
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sich Ärger, wer Baumschäden vor dem Bau entdeckt. Übersehene Risse in Astgabeln können
sich nach Stürmen oder starken Frösten zu veritablen statischen Problemen auswachsen, sodass nachgestützt werden muss.
Doch wie werden Installationen in und an Bäumen befestigt? Bäume werden umgürtet, Seile
zwischen ihnen gespannt, Plattformen an
Schlaufen in Astgabeln gehängt oder Podeste
um Stämme gebaut. Bei allen Bauminstallationen gilt die Devise, die Bäume so wenig wie
möglich zu verletzen.
Werden die Seile nicht korrekt über die baumschonenden Hölzer geführt,
sind irreparable Schäden die Folge. Fotos (2): Office National des Forêts
(O.N.F.)/Bernhard Stephan
Das mag ein Wunschgedanke sein. „Wir müssen uns nichts vormachen“, sagte der Baumsachverständige Michael Schlag (Sachverständigenbüro Reinartz & Schlag, Köln), „Haltesysteme sind immer ein Fremdkörper und der
Baum wird sie überwachsen.“ Aber Bauminstallationen deswegen grundsätzlich ablehnen? Das ist keine Alternative für die Baumstatiker. Der neue Freizeittrend ist wohl kaum aufzuhalten.
DIE EMPFINDLICHSTE STELLE EINES BAUMES ist das
Kambium. Es liegt ringförmig dicht unter der
Rinde und ist für das Dickenwachstum des
Baumstamms verantwortlich. Die im Kambium
verlaufenden Leitbahnen, die Wasser, Nährstoffe und Assimilate zwischen Wurzeln und
Baumkrone transportieren, sind äußerst druckempfindlich. Bei allen Anbindetechniken müssen deshalb Einschnürungen und Quetschungen vermieden werden. In Seilgärten und Slackline-Anlagen verlaufen die Halteseile deshalb
auf einem Kranz von Holzkeilen oder Rundhölzern. So werden die Druckkräfte auf eine größere Fläche verteilt und immer Teile des Stammumfangs ganz von Druck freigehalten. Werden
Podeste oder Plattformen in Astgabeln gehängt, sorgen breite Schlaufen für eine große
Auflagefläche und beugen dem Einwachsen
vor.
Bohrungen in oder durch den Stamm nehmen
die Experten nur in Ausnahmefällen vor. Zu
hoch ist die Gefahr, dass sich Baumwunden
nicht schließen. Für Pilzkrankheiten wäre das
eine willkommene Eintrittspforte. Sind Bohrungen unverzichtbar, sollte dieser Eingriff einer präzise ausgeführten Operation gleichen.
Ein solches System stellte Bernard Stéphan (Organisation Nationale des Forêts, Frankreich) vor.
Die eingetriebenen Rohre, die die Basis für weitere Montagesysteme bilden, müssen den
Stammzuwachs einkalkulieren und erweiterbar sein. Sonst werden die Haltesysteme auf
lange Sicht vom Kallusgewebe überwachsen.
Das könnte zu Verschiebungen oder frischen
Scheuerwunden führen.
DAS
NEUE
Bei diesem Podest wurde das Dickenwachstum des Baumes nicht berücksichtigt.
Unsachgemäße Bauminstallationen hinterlassen am Baum gravierende
Schäden. Foto: O.N.F. /Vincent Pontois
genau angepassten Bauteilen und hochwertigsten Materialien. Mit den baumschädigenden Bohrankern der früheren Baumchirurgen
ist diese neue Technik nicht zu vergleichen. Zudem ist eine regelmäßige Kontrolle der Ankerpunkte von Haltesystemen wichtig. Am besten,
sie sind frei einsehbar und nicht überdeckt.
Ein Abenteuerparcours in den Baumwipfeln ist
SYSTEM funktioniert nur durch die ein einzigartiges Klettererlebnis. Doch die Last
Kombination von qualifizierter Baumbeurteilung, speziellen Druckluftbohrern, millimeter-
tragen die Bäume, und das vor allem in physikalischer Hinsicht. Enorme statische und dynamiGarten
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Dieses Beispiel zeigt, wie eine Netzlandschaft baumschonend anzubringen ist.
Foto: Baumbüro Klaus Schöpe
sche Kräfte wirken auf die Bäume ein. Das auf
den Bäumen lastende Eigengewicht der Bauminstallationen ist dabei das geringste Problem.
Wind- und Schneelast kommen hinzu. Und
nicht zu vernachlässigen ist die Verkehrslast,
die die Kletterer selbst ausüben. Baumstatiker
orientieren sich bei ihren Berechnungen an der
herkömmlichen Tragwerksplanung. Doch weil
es sich bei Bauminstallationen um lebende
Bauobjekte handelt, „bringt die Belastungsberechnung ganz neue statische Herausforderungen mit sich“, erklärte die Bauingenieurin Eva
Mauz (Mitarbeiterin von Brudi & Partner, TreeConsult). Ein Seilgarten ist kein statisches Bauwerk. Seine Stützen sind lebendige Gebilde.
Bäume bewegen sich, sie reagieren auf extreme Wetterbedingungen, sie können ihren
Schwerpunkt verlagern und sie haben ein Dickenwachstum. Diese Faktoren müssen berücksichtigt werden. Nicht zuletzt, weil Bauminstallationen unter wirtschaftlichen Aspekten
langfristig betrieben werden sollen.
Die wie Wäscheleinen gespannten Seile üben
einen Zug auf die Baumstämme aus. Hangeln
sich Kletterer über den Seilparcours, kommen
Biegebelastungen hinzu. Hohe dynamische
Kräfte wirken dann, wenn Nutzer an langen
Seilen hängend über Täler rasen. Doch selbst
die Erfahrung der 800 Meter langen Zip-Line in
St. Vergil (Südtirol) zeigt, dass Bäume diesen
hohen dynamischen Belastungen Stand halten, wenn entsprechende Abspannungen verstärkend in den Boden angebracht werden, wie
Andreas Detter (Brudi & Partner TreeConsult)
berichtete.
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Wer in luftiger Höhe das Gleichgewicht verliert,
darf sich sicher sein, dass ihn Halteseile auffangen. Für Bäume ist diese Situation eine Extrembelastung.
Beim Fangstoß übertragen die Drahtseile Kräfte auf den Baum, die mehr als das Zehnfache
des Körpergewichts erreichen können. Durch
die Trägheit der Baumkrone biegen sich die
Baumstämme nicht auf der ganzen Länge des
Stamms, sondern erfahren durch eine ruckartige Belastung dort die stärkste Verformung, wo
die Haltesysteme angebracht sind. Man spricht
vom Karateeffekt.
HOHE BELASTUNGEN erfahren Bäume in Seil- und
Klettergärten auch im Wurzelbereich. Insbesondere dort, wo die Kletterer in die Seilgärten
einsteigen, und auf den Waldwegen. Der
Baumexperte Mark Pommnitz (Sachverständigenbüro Leitsch, Erfurt) berichtete von Bodenverdichtungen, die im Extremfall wie Plastikfolien einen Luftabschluss bewirken können.
Druckbelastungen im Wurzelbereich verändern das Bodengefüge. Der Anteil der Grobporen verringert sich zugunsten der Fein- und
Mittelporen. Der Luftaustausch wird unterbunden. So kann der Kohlendioxidgehalt im Boden
schnell toxische Werte erreichen. Nachlassende Vitalität und vermehrte Totholzbildung bei
Bäumen sind dann die Folge. Bodenauflagen
oder freitragende Plattformen an den Einstiegsbäumen, Brückenelemente und eine konsequente Wegeführung schaffen Abhilfe.
Martina Lachenmaier | Eutingen